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Wöchentliche Schreibaufgabe

Die Ergebnisse des 24-h-WBs
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Der Tag danach

Ich hatte noch nie Angst vor dem Fremden gehabt. Wenn es etwas Neues auszuprobieren gab, war ich immer einer der ersten gewesen, die es wirklich getan haben. Und dementsprechend ist es auch nicht schwer, mich zu Neuem zu überreden.
 

Ich weiß, was gestern passiert ist. Keine Blackouts, nur ein leichtes Gefühl von Irritation, etwas Nebliges, das die Ereignisse einhüllt, als wären es Träume. Aber dass es keine Träume waren, dafür brauche ich keine Bezeugungen von Außenstehenden.

Vorsichtig und in Gedanken versunken reibe ich mir den linken Oberarm, um die Bissstelle zu befühlen. Sie fühlt sich heiß an und als meine Finder drüberstreichen, reißt die Kruste aus geronnenem Blut wieder auf, was mich zusammenzucken lässt. Ich hätte ihn nicht so sehr reizen sollen vielleicht hätte er sich dann etwas zurückgehalten. Ich hatte nur ein Muskelshirt und Shorts angehabt, Dinge, die die Wunde nicht einmal andeutungsweise verdecken würden. Andererseits war er genauso außer sich gewesen wie ich, nicht mehr Herr seiner Sinne und zweifellos wütender als ich - er hatte sicher die doppelte Portion gehabt wie ich.

Mein Blick wandert in Richtung des Nachttisches, auf dem die Reste liegen. Die Reste von unserem "Kumpelsabend", genau neben dem Festsaal, in dem die anderen Gäste gefeiert hatten, nur durch eine dünne Wand von ihnen getrennt. Wenn ich nicht wüsste, was das ist, hätte ich keine Ahnung, was wir da gestern gegessen haben könnten. Man sieht, dass es pflanzlichen Ursprungs ist, aber mehr auch nicht.

Soll ich gehen? Soll ich ihn allein lassen? Meinen besten Freund hier liegen lassen in der Hoffnung, dass er mich zu den Halluzinationen zählt, die er hatte, die wir hatten? Denn die hatten wir wirklich, beide, mehr als genug. Anfangs waren wir uns noch bewusst gewesen, dass es wirklich nur Halluzinationen waren und nichts anderes, später war es schwer geworden, diese immer weiter verschwimmende Linie zwischen Realität und Illusion zu ziehen. Ich erinnere mich daran, wie wir den Göttern gegenüber standen, allen, ohne Ausnahmen. Die Götter waren zeugen gewesen, die einzigen Zeugen dessen, was wirklich und definitiv passiert war.

Ein Schauer durchfährt mich, ein letztes Überbleibsel der Emotionen, die mich gestern geschüttelt hatten, genau im gleichen Moment, in dem ein klares Bild vor meinem inneren Auge entsteht: Seine Hand, wie sie mir hektisch, gierig über den Rücken fährt. Meine Hände, die ihn mit Gewalt auf den Boden pressen.

Was hatte mich in diesem Moment dazu getrieben, mich so gehen zu lassen? Ich war wütend gewesen, auf ihn, auf mich, hatte aber auch Angst gehabt. Es hatte sich alles in einem Schlag entladen.

Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, ziehe ich seine Bettdecke um einige Zentimeter tiefer. Da sind sie, blutig wie das bissmal an meinem Oberarm, tiefe Kratzer, die von menschlichen Fingernägeln herrühren. Sie geben seinem Oberkörper einen verruchten Touch, lassen den Beobachter nicht an die Schmerzen denken, die sicher mit ihnen verbunden sind.
 

"Bist du dir sicher, dass sie uns nicht finden?", hatte ich gefragt. Ängstlich, abe auch äußerst erregt und mit einer Vorfreude erfüllt, wie ich sie selten erlebe.

"Mann, die Tür ist abgeschlossen, was soll da passieren? Außerdem saufen die sich doch eh alle zu, meinst du, die merken das noch? Und Pilze sind gar nicht so anders als Alkohol, nur einfach ein Stück besser!"
 

Ich hatte zugestimmt. Hatte mir von ihm eine Portion geben lassen. Und hatte sie geschluckt.
 

"Wie heißt das Zeug?", hatte ich gefragt.

"Keine Ahnung." Ich weiß noch, wie lustig er die Frage fand. Mit einem amüsierten Schnauben hatte er schließlich nachgesehen. "Dunkelrandiger Düngling." Er hatte die Augen zusammengekniffen, um auch die kleine Unterschrift lesen zu können. "Panaeolus subtalteatus... und dann ein paar komische Abkürzungen, keine Ahnung, was die bedeuten. Warum?"

"Nur so", hatte ich gemurrt und skeptisch das Fruchtfleisch geschluckt. Zu meiner Überraschung hatte es erstaunlich mild und angenehm geschmeckt.

"Auf Ex", hatte er mir noch zugeprostet, dann hatte auch er seine Portion geschluckt. "Und jetzt heißt es abwarten."
 

Was danach kam? Ich weiß es nicht mehr. Ich erinnere mich, wie uns kalt wurde, wir näher zusammenrückten. Wie die Wände nachrückten, das Zimmer sich drehte. Wie es schließlich ganz verschwand und die Götter da standen. Und wie wir realisierten, wie gefährlich nah wir uns saßen...

"Ich bin nicht schwul", entfährt es mir leise.

"Ich auch nicht." Er sitzt, inzwischen wach, neben mir. Ich habe gar nicht gemerkt, wie er wach geworden ist. "Aber da wir zwei die einzigen Zeugen von all dem waren, brauchen wir es ja auch keinem zu erklären."

Mein Mund wird trocken und ich nicke. "Uns... und den Göttern."

Er überlegt, sein Blick wandert spekulativ über seine Brust, meinen Oberarm, verweilt auf den blauen Flecken und Kratzern, die wir uns heute Nacht zugefügt haben. Dann wird der Ausdruck seiner Augen berechnend. "Ich schätze, dann werden wir sie doch nochmal besuchen und ihnen das erklären müssen..."

Ich sehe zurück auf den Teller und nicke. Es ist noch genug da.
 

Ich hatte noch nie Angst vor dem Fremden gehabt. Wenn es etwas Neues auszuprobieren gab war ich immer einer der ersten gewesen, die es wirklich getan haben. Und dementsprechend ist es auch nicht schwer, mich zu Neuem zu überreden.

Erst recht nicht, wenn es dabei um einen Besuch bei den Göttern geht.



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