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Wöchentliche Schreibaufgabe

Die Ergebnisse des 24-h-WBs
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Aus der Asche/Frühling

Sie hatte es sich vorgenommen, es nicht zu tun. Es war vorbei. Ihrer Familie war nichts passiert. Und doch fühlte sie, wie ihr eine einzelne Träne die Wange hinunterlief.

Vor ihr stand, tot und schwarz, das, was von dem kleinen Einfamilienhaus übrig geblieben war, das ihrer Familie gehörte. Der Schnee war im Umkreis von mehreren Metern geschmolzen, der weiße Zauber zu einem grauen, schlammigen Alptraum verbrannt. Und in diesem Kreis war nichts, aber auch gar nichts von den gefräßigen Flammen verschont geblieben.

Dabei konnte sie nicht einmal sagen, warum sie weinte. War es Trauer? War es Glück? Oder gar Erleichterung? Nie hatte sie sich etwas sehnlicher gewünscht als diesem Alptraum entkommen zu können. Der täglichen Bedrohung, der immerwährenden Angst. Den Gong der alten Pendeluhr hatte sie gleichermaßen gefürchtet und herbeigesehnt, wohl wissend, dass er Schmerzen bedeuten würde - aber auch Erlösung von der Qual des Wartens, immer in der Gewissheit, dass sie ihrem Schicksal nicht entkommen konnte. Immer wieder hatte der Gedanke sie heimgesucht, die Uhr zu zerschlagen, das Kissen zu verbrennen, in das sie ihre zusammenkrampfenden Finger vergraben und das jede Nacht wieder ihre Schreie erstickt hatte. Die CDs ihrer Mutter zu zerbrechen, die ihr halfen, die Augen und Ohren vor dem Offensichtlichen zu verschließen.

Sie hatte es genossen. Sie hatte glücklich, fasziniert und geradezu berauscht von der Schönheit des zerstörerischen Lichts zugesehen, wie der Rauch zum Himmel emporgestiegen war, wie eine Opfergabe, wie der Allmächtige selbst: So schwerelos... Dann hatte sie die Schreie gehört.

Sie hatte sie nicht umbringen wollen. Sie wusste selbst nicht, warum sie niemanden gewarnt hatte. Sie wollte nicht, dass sie starben. Aber tief in ihr spürte sie, dass sie versucht hätten, das Feuer zu löschen. Und das wäre einfach nicht gegangen. Undenkbar, unvorstellbar, grausam. Sie waren entkommen, hatten es noch geschafft, aber es war so knapp gewesen... was, wenn das Feuer schneller gewesen wäre, nur einen Moment schneller? Alles wäre geblieben wie zuvor, die Uhr, das Kissen, ihr Vater, der Schmerz... der Schmerz.

Nicht weit vom Haus entfernt stand eine alte Eiche, die schon der Großvater ihres Großvaters gepflanzt hatte, als er noch ein Junge gewesen war. Der Baum, auf dem sie als Kind so gerne gespielt hatte, der ihr Schutz, Zuflucht und Sicherheit garantiert hatte. Das Baumhaus in der Krone war nur noch Kohle und Asche, so wie das große Haus neben dem Baum auch. Sie war sechzehn und hatte schon lange nicht mehr hineingepasst, aber der Anblick hatte ihr doch wieder und wieder Mut gemacht, wenn sie während den nächtlichen Besuchen im Schmerz innerlich zusammengekrümmt aus dem Fenster gesehen hatte.

Sie unterdrückte das Verlangen, wild zu lachen. Es war alles so unwirklich, wirkte so lustig und trotz seiner düsteren Ausstrahlung so urkomisch, so unwirklich, so lustig... Schmerz.

Taumelnd drehte sie sich um und stoplerte auf die Grenze zu, die das Feuer in dem Schnee gezogen hatte, auf die Verbindung zwischen dem braun´-schwarzen Unrat und der glitzernden, weißen Schönheit. Es machte ihr nichts aus, dass ihre Spuren für jeden gut sichtbar waren. Sie bemerkte es nicht mal. Sie wurde von etwas fortgezogen, das stärker war als sie. Erst, als die Sonne den Horizont berührte, ließ sie sich in den kalten Schnee fallen und wartete auf ihr Schicksal.
 

Als am nächsten Morgen das erste Tageslicht auf ihren toten Körper fiel, wandte sich neben dem Haus ein Schneeglöckchen aus der Asche empor, den Kopf dem Licht zugeneigt.

Der Frühling kam.



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