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Kurzgeschichten

24-Stunden-Schreibaufgabe
von

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Elinor

Bereits seit vielen Jahrzehnten führten die beiden Fürstentümer Swid und Béohrd Krieg. Der Grund hierfür ist bereits eine Legende, da niemand mehr lebte, der sich noch daran erinnern konnte. Jedem Thronfolger wurde gelehrt, immerzu gegen den Feind zu kämpfen und die Familienehre aufrecht zu erhalten.

Das Land litt schon seit langem unter dem langen, zehrenden Krieg. Die Äcker konnten die Bauern nicht mehr bearbeiten, da die Truppen und die Schlachten die Böden aufwühlten und so unfruchtbar machten. Den Dorfbewohnern in der Umgebung fiel es schwer frisches Wasser zu finden, weil die verwesenden Leichen die so dringend benötigte Flüssigkeit vergifteten. Die Wälder wurden gerodet, damit man aus deren Holz Palisaden bauen konnte; somit wurde das Gelände karger und die Waldtiere zogen sich immer weiter zurück. Die Jäger kamen immer öfters mit leeren Händen zurück. Die Familien litten an Hunger und erkrankten an der Schwindsucht, doch sie trafen bei Audienzen nur auf taube Ohren.
 

Der Morgen dämmerte, als Elinor aus dem Schatten des letzten Waldes trat. Sie seufzte tief, als sie die Rinde einer Erle berührte. »Mein Volk hätte nie gewollt, dass ihr unter diesem Krieg leiden müsst.«

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, umschmeichelte sie der Wind und lauschte diesem. Ihre roten Locken schienen im Luftzug zu schweben und gaben ihre Elfenohren preis. Die Strähnen fielen ihr ins Gesicht, als es wieder still wurde. Elinor löste ihren Blick vom Wald und wandte sich dem Feldlager zu, welches auf dem Hügel lag.

»Elinor!«

Die Elfe blieb stehen. Sie nahm Schemen wahr und erkannte dann, dass Geralf auf sie zukam.

»Verschwinde, Geralf! Wenn dich mein Herr sieht, wirst du getötet«, zischte Elinor. »Es ist schon schwer genug uns heimlich zu treffen.«

»Ich verstehe dich, Liebste, aber du scheinst den Auftrag unseres Volkes vergessen zu haben. Es hat zu lange stillschweigend hingenommen, dass die Menschen das zerstört haben, was es mit seinem Wissen seit Beginn der Zeitrechnung behütet hat«, erwiderte Geralf und nahm sie in seine Arme. »Der Wind hat auch zu mir gesprochen. Heute ist es Zeit, dass wir uns rächen. Die Natur hat viel zu lange gelitten.«

Elinor lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Ich habe Angst. All die Wochen haben wir unseren Herren vorgespielt, dass wir gegeneinander kämpfen würden. Mein Herr ist nicht dumm. Er kennt meine Fähigkeiten und hat mich bereits darauf angesprochen, warum ich dich noch nicht getötet habe.« Sie machte eine kurze Pause. »Ich fürchte ihn, Geralf. Er ist ein grausamer Mann.«

»Heute hat dies alles ein Ende, mein kleiner Phönix.« Er sah sie lange an. Ihre klaren grünen Augen waren voller Tränen. »Dein Feuer wird sie alle verbrennen und mein Wasser wird es löschen. Vater hat mir Samen gegeben, die wir gemeinsam aussäen werden.«

Die ersten Sonnenstrahlen fielen auf das Land. Die Tauperlen auf den Gräsern fingen an zu verdunsten und ein dünner Nebelstreifen legte sich über den Boden. Im Wald begannen die letzten Vögel ihr Lied.

»Ich muss gehen, Geralf. Mein Herr erwartet mich.« Elinor löste sich von ihrem Liebsten, doch dieser zog sie wieder schnell in seine Arme. Seine Lippen legten sich flüchtig auf ihre. Seufzend strich sie über seine hellbraunen langen Haare.
 

Nervös tänzelte die weiße Stute auf der Stelle. Das Tier spürte die Aufregung, die von Elinor ausging. Heute würde sie zu einer Mörderin vieler Familienväter werden. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie an die Frauen und Kinder dachte, die keine Schuld an diesem Krieg hatten.

Die Naturgeister wollten Rache dafür, dass die Menschen sie geschändet hatten und baten die Elfen und ihre Magie um Hilfe.

Elinor war in Gedanken versunken und erschrak, als ihr eine Hand auf ihre Schulter gelegt wurde. Sie verfluchte sich selbst für ihre Unachtsamkeit. Im Kampf hätte dies ihr Leben gekostet.

»Nun, meine Magierin, seid Ihr bereit für die heutige Schlacht? Ich zähle auf Euch. Der Magier von Swid soll heute vernichtet werden. Ich bin diese Fehde langsam leid. Heute soll der Tag sein, an dem ich den Fürsten Andrós vernichten werde. Dafür benötige ich deine Hilfe. Béohrd soll noch mächtiger werden und mit mir als zukünftigen König wird dieses große Reich erstrahlen.«

»Mein Herr, Corvus, ich…«

Der Fürst warf ihr einen süffisanten Blick zu. »Ihr werdet als meine Königin regieren. Mit einer mächtigen Feuermagierin an meiner Seite wird selbst der Großkönig es nicht wagen, mich anzugreifen. Und mit Euch werde ich mein Reich noch mehr vergrößern können. Sei es durch noch mehr Krieg.«

Die Elfe versuchte ihre Wut zu unterdrücken. Sie sah ihm in die Augen und wusste, dass er sie trotzdem zur Königin nehmen würde, auch wenn sie ablehnte.

Dann sprach Corvus die Wörter aus, die sie befürchtete: »Solltet Ihr ablehnen, Elinor, werde ich Euch als Hexe verbrennen lassen. Mein Volk fürchtet Euch und Eure Fähigkeiten. Euer feuerrotes Haar und Eure katzengleichen Augen lässt es noch mehr vor Angst erzittern. Ihr seid bei mir in Sicherheit, Elinor.«

Sie nickte. »Das ist mir bewusst, mein Herr.«

Corvus lächelte und ritt zurück zu seinem befehlshabenden Kommandanten.

Elinor verkrampfte ihre Hände und zitterte am gesamten Leib, sodass ihre Rüstung klapperte. Sie griff nach dem Schwert an ihrer Seite.

Noch mehr Krieg konnte das Land nicht verkraften. Noch mehr Krieg konnte sie nicht verkraften.

Sie spürte, wie ihr Hass auf Corvus ihre Macht anfachte. Die Elfe konnte es kaum erwarten, die Streitmächte zu zerschlagen.

Da kam auch schon das Signal zum Angriff. Mit Kriegsrufen ritten und liefen die Soldaten an ihr vorbei. Die Bogenschützen traten neben Elinor. Als diese ihre Bögen spannten, entfachte die Elfe mit einer Handbewegung die Pfeilspitzen mit Feuer.

Ein Feuerregen ging auf die feindlichen Soldaten nieder, doch diese wurden von einem Schild aus Wasser geschützt. Das Wasser bündelte sich und wurde als Welle auf Elinor und den Männern Corvus’ zurückgeworfen.

Die Elfe reagierte scheinbar zu langsam, denn zehn der Bogenschützen wurden mit dem Wasser fortgerissen und ertranken jämmerlich. Um den Schein zu wahren, zog sie ihr Schwert und verwandelte die Klinge in eine Flamme. Sie hob es über ihren Kopf.

»Phönix, der du mir die Macht verleihst! Ich rufe dich!«, beschwor sie das Feuer.

Das Fauchen von Feuer erklang, welches von einem gellenden Schrei gefolgt wurde. Aus den Flammen der Klinge materialisierte sich der gerufene Phönix. Der Vogel segelte in Kreisen in den Himmel. Dort verharrte er.

Elinor starrte zu ihm empor. Wenn sie jetzt das Schwert hinunterriss, verbrannten alle Männer elendig. Sie sah die weinenden Frauen und Kinder vor sich, die den Tod ihrer Männer betrauerten, die gefallen waren. All diese Männer konnten nichts für den Krieg, sie führten nur die Befehle der beiden Fürsten aus. Die Elfe zögerte immer noch. Schweiß lief an ihrer Schläfe hinab und ihr Schwertarm zitterte.

Niemand konnte ihr diese Entscheidung abnehmen. Nicht einmal Geralf, der darauf vertraute, dass sie den Plan ausführte.

Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und riss das Schwert nach unten. Der Phönix im Himmel schrie und schlug seine gewaltigen Schwingen nach unten. Eine Feuerwalze wurde auf das Schlachtfeld geschleudert.

Sie konnte Corvus lachen hören, als er sah, dass das Feuer sich durch die Reihen seiner Gegner fraß. Elinor warf einen Blick über die Schulter. Sie spürte schon die Hitze, die auf sie zukam und konnte Corvus ansehen, wie ihm das Lachen im Halse stecken blieb.

Dann umarmte das Feuer die Elfe. Sie lachte, als sie Corvus vor Schmerz schreien hörte und er am lebendigen Leib verbrannte.
 

Geralf kam mit schnellen Schritten auf Elinor zu, die gerade ihre roten Locken mit einem Lederband bändigte.

»Es ist getan, Liebste«, flüsterte er. Er betrachtete das brennende Schlachtfeld unter sich. Geralf entkorkte die Flasche, die an seinem Gürtel hing und goss das Wasser in seine hohle Hand. Mit einer ausholenden Bewegung warf er die Flüssigkeit in die Luft. Als sie wieder niederkam, vervielfachten sich die Tropfen und ein leichter Regen ging auf die geschundene Erde nieder. Nun holte er die Samen aus einem Lederbeutel hervor, der um seinen Hals – verborgen unter der Rüstung – hing. Er gab ihr eine handvoll Samen und zusammen verstreuten sie alles in jede Himmelsrichtung. Der Wind erfasste die Saat und trug sie dorthin, wo sie benötigt wurde.

»Was wird aus den Frauen und Kindern, Geralf? Sie waren unschuldig und verloren heute all ihre Männer und Väter. Viele der Soldaten sind in die Schlacht gezogen, weil sie es mussten. Ich konnte teilweise ihre Gedanken lesen. Viele sträubten sich gegen den Krieg.«

Der Elf lächelte sie sanft an. »Es muss diese Opfer geben, Elinor. Auch wenn viele Unschuldige heute starben, sie haben dennoch das Land zerstört und dies können wir Naturgeister nicht dulden.«

Elinor wandte ihren Blick dem Schlachtfeld zu und konnte ihre Tränen kaum verbergen.

»Wir sollten zu meinen Vater zurückkehren und ihm berichten, dass wir erfolgreich waren. Das Land hier wird jetzt wieder gedeihen mit Hilfe der Naturgeister.«

Während die Elfe sich auf ihre weiße Stute schwang, liefen ihr Tränen über die noch vom Kampf geröteten Wangen. Sie wandte ihren Blick vom Schlachtfeld ab, stieß ihre Fersen in die Flanken des Tieres und ritt Geralf hinterher.



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