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Kurzgeschichten

24-Stunden-Schreibaufgabe
von

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Winternacht

Schneeflocken fielen vom Himmel hinab und überzogen die Welt mit einer weißen Decke. Nur der nächtliche Wind wirbelte vereinzelt den Puder auf. Die alten Fachwerkhäuser von Mont Brison sahen aus wie Lebkuchenhäuser mit Puderzuckerguss auf den Dächern.

Ein Teil der dicken Wolkendecke riss auf und das fahle Licht des Mondes tauchte die Schneelandschaft und das Dorf in ein mysteriöses Licht. Die Eiszapfen wirkten wie silberne Dolche, die von den Dächern hingen.

Die Tür eines Bauernhauses wurde geöffnet. Heraus trat eine junge Frau, die ihren Rock raffte und zum nahegelegenen Pferdestall lief. Kurz bevor sie ihn erreicht hatte, riss ihr der Wind die Haube vom Kopf und trug sie fort. Ein paar Haarsträhnen ihres dunkelblondes lösten sich aus dem fest gebundenen Dutt. Erschrocken blieb sie stehen und wollte ihrer Haube hinterherlaufen.

Sandrine…

Sandrine zog überrascht ihre Schultern hoch und sah in die Nacht. Sie bildete sich ein, dass der Wind ihr ihren Namen ins Ohr geflüstert hatte.

Die junge Frau öffnete vorsichtig die Stalltür und sah hinein. Enttäuscht stellte sie fest, dass er noch nicht zur verabredeten Zeit da war, betrat aber dennoch den Stall und setzte sich auf einen Strohballen, um auf ihre Verabredung zu warten.

Gelangweilt sah sie sich im trüben Licht um und lauschte dem leisen Schnauben der Pferde. Sie wusste nicht, wie lang sie bereits wartete, als sie ein Geräusch vernahm, das ihrer Meinung nach nicht in einen Pferdestall gehörte. In ihren Ohren klang es wie ein zufriedenes Gurren. Von ihrer Neugierde angetrieben erhob sie sich von ihrem Platz.

»Heda! Wer ist hier im Stall?«

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, sah sie einen Schatten, der aus einer Pferdebox sprang und durch eine offene Stallklappe floh.

Sandrine lief zur Box und wollte nach dem Tier sehen. Vorsichtig öffnete sie Tür. Das Pferd ließ matt seinen Kopf hängen und schnaubte aufgeregt. Um es zu beruhigen strich sie dem Tier über die Nüstern, legte eine Hand auf den starken Hals und sprach leise mit ihm.

Als das Pferd sich beruhigt hatte, entfernte sich Sandrine von ihm. Im Schein einer Lampe wischte sie ihre Hände an ihrer Schürze ab.

»War wohl eine der Katzen, die sich erschrocken hat.«

Der Wind hatte zugenommen. Er drang durch die Ritzen des Stalles und heulte sein grausames Lied. Die Stalltür wurde von einer Böe erfasst. Die Tür schwang mit einem lauten Krachen auf.

Sandrine, Sandrine, Sandrine…

Immer wieder flüsterte der Wind ihr ihren Namen ins Ohr.

Angstschweiß trat aus den Poren der jungen Frau. Das Herz schlug schnell in ihrer Brust und drohte zu zerbersten. Ihre Angst ließ all ihre Muskeln anspannen und machte sie zur Flucht bereit.

»Sandrine…«

Kurz sah sie in das bleiche Antlitz des Mannes, welcher sie in den Stall bestellt hatte.

»Vicômte, ich dachte, Ihr würdet nicht mehr kommen. Ich hatte große Angst«, flüsterte Sandrine und schlang ihre Arme um seinen Körper.

Der Vicômte lächelte und strich ihr über das Haar. »Ich bin gekommen, wie ich es dir versprochen habe.«

Er küsste mit seinen kalten Lippen ihre Stirn. Sandrine hob ihren Kopf und sah in die tiefblauen Augen des Mannes. Die Augen hypnotisierten sie. Sie fühlte sich sicher in seinen Armen. Sie war bereit für alles. Egal, was er mit ihr vorhatte.

Der Vicômte drückte sachte den Kopf der jungen Frau nach hinten. Mit seiner Nase nahm er den süßlichen Geruch des Blutes auf, das in Sandrines Adern pulsierte. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten und durchstach mit seinen Eckzähnen die zarte Haut.

Gierig sog er das Blut aus der Hauptschlagader. Mit jedem Schluck nahm er mehr von ihrem Leben auf.

Sandrine erschlaffte in seinen Armen. Ihr Herz schlug nicht mehr. Wieder hatte er ein Menschenleben genommen.

Vorsichtig legte er den Körper des toten Mädchens ins Stroh und verließ den Stall. Er hatte sich noch nicht weit vom Gehöft entfernt, als der Wind ihm eine Haube in die Hand blies.

Sandrine…, wimmerte leise der Wind.



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