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Never let me go

von

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I've untold all of my lies

I've untold all of my lies“

 

Placebo, „The Prodigal“

 

Gespannt wartete Dazai vor der verschlossenen Türe in dem alten Lagerhaus.

Aus dem Inneren hatte er eine Frau wutentbrannt schreien hören, bevor es sehr viel ruhiger geworden war. Jetzt redeten sie so leise, dass selbst er sie nicht verstehen konnte.

Wie gemein. Das zeugte nicht gerade von ihrem Vertrauen ihm gegenüber.

Dazai machte einen Schritt zurück, als die Tür aufging.

„Bitte“, sagte Shaw knapp und der Detektiv trat an ihm vorbei in den kleinen Raum ein. Eine Frau mit rostbraunen Haaren, einem roten Kleid und einem gerade ebenso roten Kopf fixierte ihn zornig. Sie schnaubte regelrecht vor Wut.

Das war also Katherine Mansfield.

Zur ihrer Rechten stand Eliza und guckte wie die Unschuld vom Lande. Und zu ihrer Linken – Dazai konnte nicht leugnen, dass er in diesem Moment wohl ziemlich verdattert dreinschaute – stand niemand Geringeres als Oscar Wilde. Er sah deutlich mitgenommen aus. Offensichtlich war er mehrmals ins Gesicht geschlagen worden; getrocknetes Blut klebte auf seiner Haut und auf seinem Hemd. Und autsch! Drei Finger seiner linken Hand schienen gebrochen zu sein. Freiwillig war er wohl nicht hier.

„Ich muss zugeben, ich bin enttäuscht“, sagte Wilde pikiert, „aber nicht überrascht. Sie haben sich nicht verändert, so wie ich das sehe.“

Dazai lächelte süffisant. „Dafür bin ich überrascht und alles andere als enttäuscht. Ist das nicht schön, wie wir uns gegenseitig ausgleichen?“

Wilde schüttelte spöttisch den Kopf. „Frau Mansfield war nicht die einzige, die überredet werden musste, Ihnen nicht an die Gurgel zu gehen. Sie sind wirklich ein hassenswerter Abschaum. Und das obwohl Sie so ein hübsches Gesicht haben.“

„Oh? Vielen Dank.“

„Genug jetzt.“ Mit spürbarem Unbehagen hatte Shaw ihre Diskussion verfolgt und unterbrach sie nun. „Ich habe Frau Mansfield überreden können, Sie erst einmal nicht umzubringen. Sie werden ihr aber umgehend erzählen, was Sie über den Verbleib ihres Bruders wissen.“

Lustlos zuckte der Detektiv mit den Schultern. „So gut ist mein Gedächtnis auch wieder nicht.“ Er schaute Mansfield direkt und intensiv an. Man konnte fast meinen, sein Blick würde sie durchleuchten. „Aber … doch, ich bin mir ziemlich sicher, Ihr Bruder ist tot.“

Die Frau war drauf und dran, auf ihn loszugehen, als Eliza sie festhielt und sie sich wieder abregte.

„Ich habe euch gesagt, wie er drauf ist“, wandte Wilde abschätzig ein, „daher möchte ich auch noch einmal klarstellen, dass ich nur gemeinsame Sache mit Georgie mache und nicht mit ihm.“

Eliza ließ die andere Frau los, die sich unverzüglich ihre Kleidung richtete. „Ich bin auch nach wie vor nur einverstanden, weil ich inzwischen fürchte, dass Eliza völlig außer Kontrolle gerät.“ Sie warf Shaw einen abwertenden Blick zu. „Gucken Sie nicht so böse. Es ist offensichtlich, dass sie mittlerweile nicht einmal mehr sofort zurückkommt, wenn Sie sie rufen.“

„Frechheit!“, schimpfte Shaw gereizt. „Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram!“

„Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte“, warf Dazai gut gelaunt ein. „Lassen Sie mich überprüfen, wie weit meine Kollegen mit der Suche sind. Dann müssen Sie nicht Eliza schicken und Angst haben, dass sie unterwegs ein paar Leute niedermetzelt.“

„Klingt vernünftig“, bestätigte Wilde.

Unentschlossen schnellten Shaws Augen hin und her, während er nachdachte. „Einverstanden“, sagte er schließlich. „Aber ein falsches Wort und Sie sind Geschichte.“

„Oh, das wäre ja das Gegenteil von dem, was ich will“, flötete Dazai. „Wo wir beim Thema sind: Komme ich eigentlich auch in den Genuss dieses geheimnisvollen Apparates?“

Zu seiner Verwunderung tauschte Shaw an dieser Stelle einen Blick mit Wilde aus – und Wildes Miene las sich wie ein „Habe es dir doch gesagt.“

Shaw räusperte sich. „Das ließe sich arrangieren.“

Ein vorfreudiges, verträumtes Lächeln bildete sich auf Dazais Gesicht. „Dieser Apparat …. Im Prinzip macht er unsterblich, ja?“

„Im Prinzip. Die Details brauchen Sie nicht zu wissen.“

„Details können auch furchtbar langweilig sein! Wenn mir jemand ein Handy borgen könnte …? Ich habe meins logischerweise nicht mitgenommen.“ Dazai sah aufgeregt in die Runde und nahm ein Wegwerfhandy von Shaw entgegen. Sein Lächeln hatte eine finstere Färbung angenommen.

„Also dann.“

 

Nachdenklich wanderte Joyce' Blick über die alten Lagerhäuser in diesem abgelegenen Teil der Speicherstadt, fernab vom Hafen. Hatte er zuvor schon erschöpft ausgesehen, so wirkte er nun als würde er jeden Augenblick zusammenklappen. Sein Kopf tat weh und schwirrte und wollte trotzdem das Gedankenkarussell nicht abstellen. Es ergab keinen Sinn. Nichts davon ergab irgendeinen Sinn. Hatte Wilde wirklich zu dieser Gruppe gehört? Was für Verbrechen hatten sie wohl begangen? Die Detektei konnte nicht auf weitere Informationen aus der Datenbank zugreifen und der Ire war sich nicht sicher, ob er das gut oder schlecht finden sollte. Ohne Gewissheit darüber zu haben, malte sich sein Verstand pausenlos die schlimmsten Dinge aus. Aber ob die Wahrheit viel besser war?

Kriegsverbrecher und Landesverräter.

Konnte das sein? Konnte das wirklich sein?

Er dachte an seinen chaotischen, arbeitsscheuen und seine Nerven überstrapazierenden Partner und konnte diese Begriffe nicht mit ihm in Einklang bringen. Und doch …

Joyce atmete durch und dachte an die Worte, die Atsushi ihm mit auf den Weg gegeben hatte, bevor sie sich in alle Himmelsrichtungen verstreut hatten:

Wichtig ist nur, was Sie jetzt in ihm sehen. Nicht, was er vielleicht einmal war.“

Es war ihrem Zwiespalt von damals nicht unähnlich, überlegte er, während er die Lagerhäuser betrachtete, die ihn an die erinnerten, zwischen denen er und Wilde seinerzeit den Mitgliedern der Hafen-Mafia aufgelauert hatten. Sie hatten zuerst nur von einem Osamu Dazai erfahren, der ein blutrünstiger Mörder gewesen sein sollte, doch dann herausgefunden, dass er inzwischen ein anderer Mensch geworden war. Und gerade weil sich kein eindeutiges Bild ergeben hatte, hatten sie nicht gegen ihn vorgehen wollen.

Ein eindeutiges Bild.

Er seufzte innerlich. Dazai hatte etwas in dieser Richtung gesagt. Es wäre unmöglich einen Menschen je wirklich zu kennen. Sollte etwa ausgerechnet dieser Kerl Recht behalten?

„Das hier ist nicht mehr das Gebiet der Hafen-Mafia“, äußerte Kunikida in seine Gedanken hinein. Die Stirn des bemitleidenswerten Mannes durchzogen noch tiefere Falten als sonst. Fukuzawa hatte sie zu diesem Ort geschickt, ohne zu erklären, warum. Sie sollten sich hier umsehen. Die Sonne brannte vom Himmel und offenbarte ihnen dennoch keinen einzigen Hinweis.

„Nach was sollen wir uns umsehen?“, hatte Kunikida nachgefragt, aber keine brauchbare Antwort erhalten.

„Ich weiß es nicht. Mori nannte diesen Ort“, war alles, was der Chef ihnen dazu gesagt hatte. Joyce konnte es sich nicht erklären, aber er hatte das Gefühl, Fukuzawa hatte ihnen nur die halbe Wahrheit über das Telefonat mit dem Boss der Hafen-Mafia verraten.

„Ist das üblich, dass Sie Hinweisen nachgehen, die von der Hafen-Mafia kommen?“, fragte Joyce mit skeptischem Ton seinen Begleiter.

Kunikida stöhnte leise. „Ich weiß nicht, wie man unser kompliziertes Verhältnis zufriedenstellend beschreiben soll. Mir ist es jedes Mal zuwider, wenn wir mit der Hafen-Mafia zusammenarbeiten müssen, allerdings ...“

„Muss es manchmal sein?“, schloss Joyce und sein Gegenüber nickte schwerfällig. „Wenn ich an das letzte Mal denke, scheinen manche Mitglieder der Mafia sowieso eine interessante Beziehung zu Herrn Dazai zu pflegen. Der Herr, dem der Hut nur bei Erwähnung seines Namens schon hochging, kam zu seiner Rettung, obwohl er gleichzeitig davon sprach, ihn am liebsten tot sehen zu wollen.“

„Den letzten Teil kann ich nachvollziehen“, ächzte der Idealist griesgrämig.

„Es gibt noch eine Sache, die ich nicht verstehe: Warum bestand Herr Edogawa darauf, den Jungen und den Laufburschen mit dem Waschbären bei der Strategiebesprechung hinauszuschicken?“

Kunikida zuckte geschlagen mit den Schultern. „Das ist das Unglück mit Leuten wie Dazai oder Ranpo. Wir Normalsterblichen können ihre Gedankengänge nicht einmal ansatzweise nachempfinden. Aber ich weiß mit absoluter Gewissheit, dass Ranpo sich etwas dabei gedacht hat.“

„Er hat sich etwas dabei gedacht, ja?“ Grübelnd sah Joyce zum strahlend blauen Himmel. Es war nicht nur die Hitze, die sein Herz plötzlich einen Sprung machen ließ. Huxley. Huxley musste sich etwas dabei gedacht haben, Wilde aufzunehmen. Es war geradezu undenkbar, dass er nicht gewusst hatte, wen er sich da in seine Organisation geholt hatte.

„Geht es Ihnen gut?“

Kunikidas Frage holte Joyce ins Hier und Jetzt zurück.

„Mir kam gerade nur ein Gedanke. Ist nun aber nicht weiter wichtig.“

Der Detektiv nickte verständnisvoll. „Wir kommen so nicht weiter. Vielleicht sollten wir bei Ranpo nachfragen, wonach wir eigentlich suchen sollen.“

 

Mit deutlichem Trübsinn hatten die Detektive und Poe das Theater wieder verlassen. Ranpo hatte dem Besitzer nahegelegt, mit seiner Geschichte zur Polizei zu gehen. Eventuell hatte die verstorbene Schauspielerin irgendwo im Ausland noch Angehörige, die bestimmt wissen wollten, was mit ihr geschehen war. Der am Boden zerstörte Inhaber hatte ihm unter Tränen Recht gegeben. Man merkte ihm an, wie sehr es ihn belastet haben musste, dieses Geheimnis all die Jahre mit sich herumzutragen.

„Und jetzt?“, fragte Atsushi betrübt, als sie draußen in der Mittagssonne standen.

„Wir könnten darauf warten, dass Eliza auftaucht“, antwortete Ranpo, „ich vermute, wenn sie nicht damit beschäftigt ist, Mori zu jagen, wird sie mal wieder bei uns vorbeischauen.“

„Warum hat Dazai Mori an die Fähigkeit verraten? Das ist seltsam.“ Kyoka war irritiert. Alles, was sie von dem Telefonat zwischen dem Chef und Mori wussten, war, dass Eliza bei der Hafen-Mafia aufgetaucht war und dass dies wohl auf Dazais Initiative zurückging. „Will Dazai, dass Mori stirbt?“

„Das würde er nicht wollen … oder?“ Atsushi wusste selbst nicht mehr, was er glauben sollte und blickte überfragt zu Ranpo.

„Dazai ist unmöglich“, beschwerte der Meisterdetektiv sich übellaunig und ohne dem Jüngeren damit eine vernünftige Antwort zu geben.

„Uhm, wenn ich kurz etwas nachhaken dürfte“, warf Poe zaudernd ein. „Diese Eliza ist also eine Fähigkeit, die skrupellos jeden umbringt, den sie nicht für ihre Zwecke brauchen kann. Ist das richtig?“

Ranpo nickte.

„Und es gibt keine Möglichkeit, sie zu töten?“

Ranpo nickte.

„Und was genau machen wir, wenn sie auftaucht und uns das Teil wegnimmt?“

„Hoffen, dass sie uns nicht um die Ecke bringt.“

„Ist das dein Plan??“

Ranpo nickte – und Poe stand die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben.

„Das ist ein furchtbarer Plan!! Wir werden alle sterben!!“

Der Meisterdetektiv winkte ab. „Wenn sie auftaucht, verwickele ich sie in ein Gespräch, sodass Kyoka und Atsushi abhauen können. Es macht nicht viel Sinn, sie zu verfolgen, wenn die Fähigkeit hat, was sie will. Solange ich das Teil habe, wird sie mir nichts tun.“

„O-okay, also du wärst dann vor ihr sicher und Kyoka und Atsushi sollen fliehen und ähm, vielleicht fehlt da noch jemand?“ Mit einem zitternden Finger zeigte Poe auf sich.

„Wer denn?“ Ranpo blinzelte ihn an. „Ach, du wirst mir doch sicher beistehen, nicht wahr?“ Gut gelaunt schlug er ihm auf den Rücken.

Mit zuckenden Augen beobachtete Atsushi das Geplänkel der beiden. Poe hatte Recht. Ranpos Plan war furchtbar. Man konnte das kaum einen Plan nennen! Irgendetwas daran störte ihn. Der dienstälteste Detektiv hatte doch sonst immer sehr viel cleverere Strategien parat.

„Ich vertraue ihm.“ Kyoka sah von Ranpo zu Atsushi und nickte entschlossen, worauf ein schwaches Lächeln sich auf sein Gesicht stahl. Auch wenn alles andere gerade unsicher war, sie konnten Ranpo vertrauen. Der Junge erschrak, als plötzlich sein Handy klingelte. War das einer der anderen? Waren sie angegriffen worden? Hatten sie etwas herausgefunden? Atsushi bebte am ganzen Körper, als er das Mobiltelefon hervorholte.

„Eine unbekannte Nummer?“ Stutzend blickte er von dem Display zu Ranpo.

„Geh ran“, entgegnete dieser und er kam unverzüglich der Aufforderung nach.

„Ja?“

„Atsushi!“

Eine überschwänglich fröhliche Stimme tönte aus dem Hörer und ließ den Silberhaarigen noch mehr stutzen als zuvor.

„Dazai??“ Die anderen horchten auf. „Wo zum Teufel steckst du? Wieso bist du einfach verschwunden? Eliza hat in der Zwischenzeit Mori angegriffen.“

„Hat sie? Sehr schön, sehr schön.“ Er klang euphorisch – merkwürdig euphorisch. „Etwas anderes, Atsushi: Wie weit seid ihr mit der Suche nach dem fehlenden Teil?“

„Was? Moment, verrate mir erst einmal, wo du bist.“

„Wo ich bin?“ Er machte eine eigenartige Pause. „Das sage ich dir später. Die Zeit drängt. Habt ihr Fortschritte gemacht oder nicht?“

Ein flaues Gefühl machte sich in Atsushis Magen breit. Dieses Verhalten war selbst für Dazais Verhältnisse seltsam.

„Ob wir das fehlende Teil haben?“ Atsushi blickte zu Ranpo, der nickte. „Ja, wir haben es eben gefunden.“

„Ihr habt es? Großartig! Großartig! Auf das Büro der bewaffneten Detektive ist doch wahrlich Verlass, nicht wahr? Ich nehme an, Ranpo hat das Rätsel gelöst?“

„Ja, hat er. Er hat jetzt das Teil.“

„Richte Ranpo meine Anerkennung aus. Er ist wirklich das klügste Kerlchen, das ich kenne! Ich bin erleichtert. Ja, so erleichtert war ich nicht mehr, seit ich damals diese hässliche Schwarzhaarige abserviert habe, als ich aus der Mafia raus bin. Die war noch schlimmer als die hübsche Ausländerin von neulich.“

Was redete Dazai da? Atsushis Miene wurde mit jedem Wort seines Mentors perplexer.

„Wie dem auch sei, Atsushi“, fuhr er ungebrochen enthusiastisch fort, „könnt ihr euch schon mal auf den Weg machen, um mich zu treffen? Ich weiß, wo wir Shaw finden können.“

„Du hast Shaw gefunden?“

„Die Zeit drängt. Ich melde mich gleich noch einmal mit den Details.“

„Verstanden, dann machen wir uns auf den Weg.“

Dazai legte auf und der Junge sah verwirrt auf sein Handy. Was in aller Welt war denn das gerade gewesen? Das vorangegangene Gespräch ließ ihn mit einem starken Gefühl von tiefem Unbehagen zurück.

„Was hat er gesagt?“, fragte Ranpo ungewohnt ernst.

„Er weiß angeblich, wo Shaw ist und wir sollen ihn treffen. Ich soll dir seine Anerkennung ausrichten, weil du so ein 'kluges Kerlchen' wärst. Außerdem redete er irgendetwas von einer hässlichen Schwarzhaarigen, die er abserviert hätte, als er die Mafia verließ und die schlimmer gewesen sein soll als die hübsche Ausländerin von neulich.“ Man konnte die Fragezeichen um Atsushis Kopf herumtanzen sehen.

„Hm“, machte Ranpo daraufhin nur und begann zu grübeln – bis sein Handy klingelte. „Wer stört?! … Ich hoffe, es ist wichtig, Kunikida! ... Hmm? Wo genau seid ihr denn? … Außerhalb des Gebietes der Hafen-Mafia?“ Zu Atsushis zunehmender Verwirrung grinste Ranpo mit einem Mal beglückt. „Alles klar! Macht euch auf den Rückweg und sammelt unterwegs Atsushi und Kyoka ein. Und Kunikida? Passt auf euch auf, ab jetzt wird es brandgefährlich und ich werde eine Weile nicht erreichbar sein.“

Er legte auf, tippte eilig etwas in sein Handy und steckte es weg, als er fertig war.

„So, das wäre erledigt“, sagte er zufrieden, trat ganz nah an den baffen Atsushi heran und klopfte ihm mit einer Hand übertrieben heftig auf die Schulter. „Ihr geht mit Kunikida und Joyce und trefft Dazai. Wir bringen das Teil erst einmal in Sicherheit.“

„In Sicherheit?“ Der junge Detektiv japste, als er begriff, was der Andere andeutete.

„Das heißt, nicht zu Dazai“, folgerte Kyoka nüchtern.

„Und jetzt auf, auf!“ Ranpo wedelte mit den Händen, als wollte er sie davonscheuchen. „Soll diese Eliza nur kommen und versuchen, MIR das Teil wegzunehmen! Dafür muss sie erst einmal an meinem Assistenten vorbei!“

„HUH?!“ Besagter Assistent wirkte nicht glücklich, ganz und gar nicht glücklich, als er dies hörte.

Ernst und sichtlich besorgt richtete Atsushi noch einmal das Wort an Ranpo. „Bitte passt auch auf euch auf.“

Dann liefen er und Kyoka los.

„Ranpo“, begann Poe wirklich, wirklich mitleiderregend, nachdem die beiden außer Sichtweite waren, „wir müssen mal darüber sprechen, dass du mich ständig als deinen Assistenten bezeichnest.“

„Wieso?“, entgegnete sein kindisches Gegenüber unschuldig.

„Weil ich dein Rivale bin, nicht dein Assistent.“

„Wortklauberei.“ Er winkte mitleidslos ab und setzte sich zügig in Bewegung, sodass Poe ihm gleichermaßen geschwind hinterherdackelte.

„Und was soll ich deiner Meinung nach tun, wenn diese Fähigkeit angreift?“

„Du bist doch selber ein Befähigter, oder etwa nicht?“

„Aber wie soll das denn-“

„ICH habe jedenfalls jetzt dieses Teil! Und so leicht lasse ich es MIR bestimmt nicht wegnehmen!“

„V-vielleicht solltest du das nicht so laut herausposaunen“, mahnte Poe nervös an. „Wir müssen sie ja nicht herbeibeschwören.“

„Na und? Diese Eliza kommt doch nicht gegen meinen Verstand an! Ich bin außerdem ehrlich enttäuscht, dass Ihr MICH nicht viel mehr gelobt habt, als ICH dieses Teil gefunden habe!“

„Ranpo, bitte, mich überkommt ein ganz ungutes Gefühl, wenn du so herumschreist …. Sie wird uns ganz sicher töten, sobald sie das Teil hat.“

„Bei MIR ist dieses Teil am besten aufgehoben, findest du nicht?“

Poe legte eine Hand auf sein rasendes Herz. „Hörst du mir überhaupt zu?! Du musst ihr ja nicht gleich verraten, dass du es hast!“

„Wieso nicht? ALLE WELT SOLL WISSEN, DASS ICH DAS FEHLENDE TEIL BEI MIR HABE!“

Karl klammerte sich vor Angst an Poes Schulter fest. Selbst ihm war das alles nicht geheuer. Der Amerikaner schluckte. Konnte diese Aktion gut gehe-

Eine Frau mit mattbraunen Haaren materialisierte sich vor ihnen auf der Straße. Sie wirkte aufgeregt und getrieben.

„Du hast das Teil! Gib es mir! Sofort! Denkt dieser Detektiv, er wäre besser als ich?! Ich werde das Teil zu George bringen und dann wird George mich loben und nicht diesen Detektiv!“

Poe erstarrte auf der Stelle. „Sag mir nicht, das ist-“

„Eliza.“ Ranpo war die Ruhe selbst.

„Wie kannst du so ruhig bleiben?! Ich habe doch gesagt, dass sie herkommen wird, wenn du so herumbrüllst!“, jammerte der Amerikaner weinerlich.

„Was mich interessieren würde“, der Meisterdetektiv schob gelassen seine Mütze hoch und kratzte sich darunter am Kopf, „lässt du uns am Leben, wenn wir dir das Teil geben?“

Eliza dachte einen Moment über seine Frage nach. „Nein“, erwiderte sie schließlich, „du bist hinterlistig. Du könntest George in die Quere kommen.“

„Oh, hm, verstehe.“

Poes Kinnlade hatte derweil Bekanntschaft mit dem Boden gemacht. Wie konnte Ranpo nur so entspannt bleiben? Konnte ihn gar nichts erschüttern? Das war beeindruckend. Poes Herz raste nun aus einem weiteren Grund. Seine Bewunderung für ihn wurde jedoch jäh von Eliza gestört.

In der rechten Hand der übernatürlichen Frau erschien eine Pistole. Die sich in der Nähe befindlichen Passanten bemerkten dies und schrien laut und ängstlich durcheinander, ehe sie flohen. Umgehend zielte Eliza mit der Waffe auf Ranpos Kopf. Poe vergaß zu atmen, während er dies beobachtete. Was sollten sie gegen einen bewaffneten Gegner ausrichten? Keiner von ihnen war ein Kämpfer. War das etwa tatsächlich ihr Ende?

Huh?

Ranpo drehte seinen Kopf zu ihm und grinste spitzbübisch. „Buch, bitte.“

Eliza drückte ab und erschrak, als ein grelles Licht aufblitzte und plötzlich niemand mehr vor ihr stand. Mit verdatterter Miene sah sie zu, wie ein Buch auf die Erde fiel. Was war denn nun passiert?! Wo waren diese zwei Menschen hin? Sie konnten sich doch nicht in Luft auflösen! Nein, Menschen konnten das nicht! Sie existierten, ohne dass jemand sie rufen oder verschwinden lassen konnte! Was fiel diesen beiden also ein, gegen diese elementare Regel zu verstoßen?!

Erbost stapfte sie auf das Buch zu und wollte es vom Boden aufheben, als jemand mit einem lauten Krachen davor landete und ihr zuvorkam.

„Ich nehme das mal an mich, du durchgeknallte Furie.“

Die Fähigkeit zog scharf die Luft ein, als sie den Mann erkannte, der nun das Buch in der Hand hielt. Diese roten Haare, dieser schwarze Hut … er gehörte zur Hafen-Mafia!

„Ob du es glaubst oder nicht“, sagte Chuuya souverän, „du bist nur die zweitverrückteste Person, die ich kenne. Dein George wird sicher furchtbar enttäuscht sein, wenn er erfährt, dass du dir dieses Ding für das andere Ding durch die Lappen hast gehen lassen. Ich kann nicht fassen, dass ich das hier wirklich tue, aber … fang mich doch, wenn du kannst.“

Zornesfalten zogen sich durch Elizas Gesicht, als sie dies hörte. „Sag seinen Namen nicht so abschätzig!“

Chuuya rannte los und wurde ohne Umschweife von einer ihn unaufhörlich attackierenden Fähigkeit verfolgt.

 

Fukuzawas Blick sah noch verkniffener aus als sonst, als er die eingegangene Textnachricht las. Seine Miene kam nicht daher, dass das Licht in der verlassenen Fabrikhalle, in der er sich gerade befand, so schlecht war. Nein, die ganze Situation bereitete ihm Magen-und Kopfschmerzen. Er hatte Haruno und Naomi in einem Park nahe des Krankenhauses, in dem Tanizaki, Yosano und Kenji behandelt wurden, abgesetzt. Es war bitter zu wissen, dass sie nirgends wirklich in Sicherheit waren. Eliza konnte überall auftauchen und wenn sie vor den beiden Bürokräften auftauchte, dann sollten sie irgendwo sein, wo nicht viele andere Menschen waren und wo sie trotzdem schnell Hilfe bekommen konnten. Es war die einzige Lösung, die Ranpo und ihm auf die Schnelle eingefallen war.

„Warum so ernst, alter Freund?“

Die Stimme, die neben ihm ertönte, verschlechterte seine Laune noch einmal um einiges. Fukuzawa hielt dem schwarzhaarigen Mann, der neben ihm saß, wortlos die Textnachricht hin. Dieser studierte sie rasch.

„Ist das machbar?“, fragte der Chef in dem neutralsten Ton, den er bewerkstelligen konnte.

„Aber natürlich“, antwortete Mori erheitert. „Sie wollen doch nicht andeuten, dass Sie meine Leute für inkompetent halten?“

„Ich ziehe es vor, nicht offen zu sagen, was ich über Ihre Leute denke.“

Mori lachte, während er selbst eine Nachricht tippte. „Es ist immer wieder eine Freude, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.“

„Ist es das?“

„Auf gewisse Weise schon. Wenn das hier vorbei ist, sollten wir auch einmal darüber reden, wie Sie wiedergutmachen wollen, dass einer Ihrer Leute mir diese übernatürliche junge Dame auf den Hals gehetzt hat. Mein Vorschlag wäre, Sie geben mir die gute Yosa-“ Mori verstummte, als Fukuzawa ihm einen tödlichen Blick zuwarf.

„Immer so humorlos.“ Der Boss der Hafen-Mafia schüttelte belustigt den Kopf. „Sie haben eindeutig zu viel Stress. Lassen Sie mich Ihnen als Arzt sagen, dass das nicht gut für Ihre Gesundheit ist.“

„Sie reden zu viel. Das ist nicht gut für Ihre Gesundheit.“

„Oh?“ Mori horchte auf und erhob sich von den alten Kisten, auf denen sie Platz genommen hatten. „Schade. Wir müssen die Unterhaltung ein anderes Mal fortsetzen. Dieses cholerische Dröhnen, was da an unsere Ohren dringt, erkenne ich von weitem.“

Fukuzawa stand ebenso auf. „Dieses Mal keine Tricks“, ermahnte er den Anderen wie einen kleinen Schuljungen.

„Es ist in meinem eigenen Interesse, dass Sie mir hier nicht zu früh wegsterben.“

'Krach!'

Die große Eingangstür wurde mit einem wütenden Schrei eingetreten. Hinein flog ein vor Wut und Anstrengung schnaufender Chuuya Nakahara – auf den ein Dauerfeuerkugelhagel niederging. Mit gezogenen Pistolen betrat Eliza die halbdunkle Halle und blieb fassungslos stehen.

„Mori“, hauchte sie und krallte ihre Hände noch fester um ihre Waffen.

Der Angesprochene schmunzelte gequält. „Chuuya, bring den Herrn Meisterdetektiv und seinen Spielkameraden zu Akutagawa. Wir kümmern uns derweil um diese Angelegenheit. Bist du so weit, mein Elisechen?“

Er rief seine Fähigkeit herbei, die keine Zeit verlor, ihr dunkelhaariges Äquivalent zu provozieren: „Das ist langweilig, Rintaro. Lass es uns schnell hinter uns bringen. Diese alte Schnepfe wird dich schließlich niemals töten können. Nein, sie wird gewiss ihren George weiterhin schrecklich enttäuschen.“

Ein unmenschlicher, ohrenbetäubender Schrei entwich Eliza, als sie in blinder Wut begann, auf ihre Gegner zu feuern. Fukuzawa zog sein Schwert und Mori, der von Elise beschützt wurde, zog ein paar Skalpelle aus dem Ärmel.

Chuuya rettete sich aus dem Gefecht zur Tür hinaus und stöhnte.

„Wann bin ich eigentlich zum Laufburschen degradiert worden??“

Sein wertvolles und ihm zutiefst verhasstes Gepäck in Form von Poes Roman unter dem Arm haltend, lief er von neuem los.

 

„Dann hat Dazai sich noch einmal gemeldet und mir diese Adresse durchgegeben“, berichtete Atsushi Kunikida angespannt und zum wiederholten Mal, während sie zusammen mit Kyoka und Joyce die ellenlangen Treppenstufen eines im Bau befindlichen Hochhauskomplexes erklommen. Von außen war das hohe Gebäude bereits so gut wie fertig, nur im Inneren sah noch alles nach einer Baustelle aus. Die Treppenstufen verfügten noch nicht über ein Geländer, sodass alle möglichst dicht an der Wand entlanggingen. Atsushi schluckte bei dem Gedanken, die unzähligen Stockwerke hinunterzufallen. Der Tiger würde das vielleicht überleben, aber er hatte keine Lust, das überhaupt herausfinden zu wollen. Seinen Blick streng nach vorn zu den vorangehenden Männern gerichtet, fuhr er fort: „Er sagte, er würde auf dem Dach warten. Mehr bekam ich nicht aus ihm heraus.“

„Das gibt immer noch keinen Sinn“, grummelte Kunikida entnervt. Er und Joyce hatten die beiden Jüngeren aufgesammelt, bevor sie zu der Adresse gefahren waren, die Dazai Atsushi genannt hatte. Bereits auf der Fahrt hatte der Junge alles erzählt, was vorgefallen war und Kunikida hatte ihn gebeten, es noch einmal zu wiederholen, weil er hoffte, Dazais Absichten erkennen zu können.

Konnte er nicht.

Ranpo hatte sich nun wahrscheinlich mithilfe von Poes Roman in Sicherheit gebracht, während Mori und der Chef versuchten, Eliza in Schach zu halten, sodass sie nicht weiter wahllos auf die Detektive losgehen konnte. Soweit lief alles nach dem Plan, den Ranpo ihnen in der Detektei genannt hatte. Allerdings gab es nach wie vor einen schwerwiegenden, unbekannten Faktor und dieser ließ den Idealisten mit den Zähnen knirschen.

Es gibt eine Sache, die ich jetzt nicht entscheiden kann“, hatte Ranpo ihnen ernst erklärt, nachdem er Atsushi und Poe herausgeschickt hatte. „Aber ihr werdet meine Entscheidung sehen, wenn es so weit ist.“

„Vielleicht liegt es an der relativ niedrigen Meinung, die ich von Herrn Dazai habe“, sagte Joyce hörbar aus der Puste in ihre Runde hinein, „doch es scheint fast so, als würde er etwas verbergen. Können wir zweifellos ausschließen, dass er nicht nur Mori verraten hat?“

Atsushi rutschte beinahe das Herz in die Hose. „Das würde er nicht. Er würde uns nicht verraten.“ Seine Stimme bibberte so sehr, dass er nicht einmal sich selbst mit seinem Einwand hätte überzeugen können. Er glaubte an Dazai, er vertraute ihm, doch er hatte sich am Telefon so seltsam verhalten. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm und das war es, was Atsushi solche Angst machte. Hinzu kam, dass die anderen ihn anscheinend aufgegeben hatten.

„Ich verstehe ihn nicht“, sagte Kyoka, von allen noch am besten bei Atem, offen und ehrlich heraus. „Aber ich glaube, dass er sehr oft gefährliche Gedanken hat.“

Bei ihren Worten ließ Atsushi seinen Kopf noch etwas tiefer hängen. Sogar Kyoka misstraute Dazai nun?

„Man kann einen Menschen nur dann besser verstehen, wenn man es auch wirklich will und versucht“, fuhr sie zu seiner Verblüffung fort. „Vielleicht ist es unmöglich, jemanden vollkommen zu verstehen, aber man kann sich demjenigen dennoch annähern und so möglichst viele seiner Facetten kennenlernen. Ich glaube auch, dass niemand sich selbst vollkommen versteht. Wie soll das dann ein anderer tun?“

Joyce hielt auf der obersten Etage an und drehte sich zu ihr um. Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Wie niederschmetternd. Dieses kleine Mädchen ist so viel lebenskluger, als wir es sind.“

Kunikida brummte lediglich. „Sagt mir Bescheid, wenn ihr eine Facette an Dazai gefunden habt, die nicht unerträglich ist.“ Er öffnete die Tür, die zum Dach führte und ging hinaus -

wo er abrupt stehenblieb.

„Was zur-?! Was hat das denn jetzt zu bedeuten?!“

Die anderen beeilten sich, auf das Dach zu kommen.

Entsetzt blickte Atsushi auf die drei Männer, die dort bereits standen.

Ein ominöses Lächeln im Gesicht, das ihm einen kalten Schauer den Rücken hinunterjagte, begrüßte Dazai seine Kollegen.

„Endlich seid ihr da! Das hat aber gedauert.“

Links von ihm stand ein griesgrämig und nervös dreinblickender blonder Mann. Das musste Shaw sein. Doch rechts von Dazai stand – mit einem genüsslichen Lächeln auf den blutigen und verkrusteten Lippen – Wilde.

„Was-was in drei Teufelsnamen machst du hier??“ Völlig entgeistert starrte Joyce zu seinem Partner.

„Lange Geschichte, Jimmy, lange Geschichte. Und sie ist nicht einmal sonderlich spannend.“

„Ah, ich will das Wiedersehen nicht trüben, aber wir sollten uns erst der Arbeit widmen“, wandte Dazai ein und zum Entsetzen der vier gerade Eingetroffenen zog er eine Pistole, die er auf sie richtete. „Das Teil, bitte.“

Atsushi hörte seinen eigenen Herzschlag in seinen Ohren pulsieren.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Szenen mit Fukuzawa und Mori machen immer einen Riesenspaß.
Konnte ich euch mit dem Schluss überraschen? Komplett anzeigen

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