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Samhain - Der Feind meines Feindes

Magister Magicae 10
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Triggerwarnung: körperliche & psychische Gewalt (zwar nicht adult, aber trotzdem) Komplett anzeigen

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Die ersten Tage

Victor brach unter einem miesen Magentreffer in die Knie und hielt kurz die Luft an, um sich nicht sofort zu übergeben. Der Schmerz und das Bedürfnis, seinen Mageninhalt auf den Boden auszuleeren, vergingen erst nach ein paar Sekunden wieder. "Meine Fresse. Seit drei Tagen reagierst du dich an mir ab. Ist es nicht langsam mal gut?", beschwerte er sich dann unwillig.

Vladislav grinste. "Was denn? Wünschst du dir den Tod etwa schon selber?"

"Nein. Ich würde nur endlich mal normal mit dir reden wollen."

Der Motus-Boss antwortete mit einem gnadenlosen Fausthieb in Victors Gesicht.

Der Gestaltwandler gab ein schmerzhaftes Stöhnen von sich. "Ach, komm schon!", bat er dann dennoch erneut um Vernunft, als er sich wieder aufrichtete, auch wenn er den tadelnden Tonfall nicht ganz aus der Stimme filtern konnte.

"Ich wüsste nicht, warum ich mit dir reden sollte."

"Weil ich deswegen hier bin!"

"Du bist hier, weil ich dich langsam und genüsslich umbringen werde!"

Victor schüttelte mitleidig den Kopf über so viel Naivität. "Wie lange hast du mich mit der Polizei um die Wette gejagt, und hast mich nichtmal gefunden, geschweige denn gefangen? Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich dir nach so vielen Jahren ganz zufällig mitten in Moskau in einer Fußgängerzone vor die Füße falle. Ich bin hergekommen! Absichtlich!"

Ein weiterer Faustschlag, diesmal von der anderen Seite, war die Reaktion. Dann zog Vladislav beleidigt und mit einem letzten Zischen von dannen.

Victor musste an sich halten, nicht zu grinsen. Dieser fluchtartige Rückzug sagte mehr als deutlich, dass Vladislav bereits die Argumente ausgingen. Victor ließ ihn ziehen und fuhr stattdessen mit der Zungenspitze vorsichtig seine Lippen ab, auf der Suche nach aufgeplatzten Stellen. Er hätte sich gern den schmerzenden Kiefer gerieben, aber seine gefesselten Hände erlaubten es nicht. Ermattet ließ er sich auf die Seite fallen, ungeachtet der Tatsache, dass sein gesamter Körper höllisch schmerzte. Auf den Knien sitzen zu bleiben, würde es ja auch nicht erträglicher machen.
 

Gefühlt nur wenige Sekunden später kam Vladislav schon wieder die Treppe herunter. Er hatte einen kleinen Digitalrecorder in der Hand und schaute sich nach einer Steckdose um. Als er das Gerät zu seiner Zufriedenheit im Raum platziert hatte, machte sich ein hinterlistiges Schmunzeln auf seinen Lippen breit, das Victor Sorgen bereitete. "Mal sehen, wie lange du die Nummer mit der großen Fresse noch durchhältst", meinte er und schaltete das Gerät ein.

Victor krümmte sich stöhnend akut zu einem Ball zusammen. Aus dem Lautsprecher drang ein lautes, kratzendes Quietschen, ungefähr wie Fingernägel auf einer Kreidetafel. Oder eher wie die spitzen Krallen eines Monsters auf einer Metallfläche. Es war genau diese fiese Frequenz, bei der sich alles in einem zusammenzog.

"Du wirst heute Nacht kein Auge zumachen, das verspreche ich dir", drohte der ehemalige Motus-Boss ihm an und machte sich wieder auf den Weg zur Treppe.

"Nein! Woar, Vladislav!", rief Victor ihm flehend hinterher, aber erfolglos. Er hörte die Kellertür ins Schloss fallen und war mit dem garstigen Recorder allein, der die Tondatei dauerschleifenartig immer wieder von vorn abspielte. Er fluchte ein wenig verzweifelt in sich hinein. Mit Prügel und anderer körperlicher Folter hatte er hier gerechnet und war darauf vorbereitet. Psychoterror hingegen war neu. Das hatte er Vladislav weder zugetraut, noch entsprach das seinem Stil. So kreativ war der Kerl doch noch nie gewesen! Nach Victors Zeitempfinden war es erst kurz nach Mittag. Wenn Vladislav das verfluchte Teil jetzt wirklich den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch laufen lassen wollte, würde er den Verstand verlieren. Durch seine auf dem Rücken gefesselten Hände konnte er sich nichtmal die Ohren zuhalten.
 

Die Sonne war schon ein gutes Stück weitergewandert, als die Tür das erste Mal wieder geöffnet wurde. Es musste gute drei oder vier Stunden später sein. Waleri brachte einen der dicken Stehordner zurück, um ihn wieder in den Kartons zu verstauen. Der Hühne kramte eine Weile herum, um die Lücke zu suchen, in die der Stehordner gehörte, klatschte den Ordner aber irgendwann mit einem Schnauben einfach oben auf eine der Kisten. Er warf dem kratzend-quietschenden Digitalrecorder einen bösen Blick zu. "Meine Fresse, geht mir das Scheißteil vielleicht auf den Sack!", fluchte er, stapfte hinüber und schaltete ihn ab.

Aus der Gefängniszelle drang ein leises, etwas zittrig klingendes Ächzen. Victor hatte sich auf der Seite zusammengerollt, und auch wenn die langen Haare ihm ins Gesicht gefallen waren, sah man ihm deutlich an, wie elend es ihm ging. Vladislavs dreitägige Prügel hatte ihm nicht halb so zugesetzt wie diese fürchterliche Beschallung.

Waleri kümmerte sich nicht um ihn, sondern ging zu seinen Kisten zurück, wo er den Ordner nach einigem Kramen und Suchen endlich in irgendeine Lücke stopfte, die noch frei war. Da die Dinger ohnehin nicht sortiert waren, war es ihm letztlich egal, ob der Ordner an der richtigen Stelle steckte oder nicht. Er pappte den Deckel wieder auf den Karton, dann kehrte er wie beiläufig zu dem Recorder zurück, um ihn wieder einzuschalten, bevor er ging.

Victor warf sich in seiner Zelle mit einem gequälten Aufstöhnen auf die andere Seite herum, als er abermals mit dem grausamen Geräusch malträtiert wurde.

Waleri wollte es erst ignorieren, blieb auf der Treppe aber doch nochmal stehen und schaute einen Moment lang zu, wie der Gefangene vor angestrengter Selbstbeherrschung zitterte. Dieses Gebaren war sichtlich kein theatralisches Schauspiel, sondern echt. Waleri rechnete hoch, wie das weitergehen mochte. Nach kurzem Hadern kam er wieder ganz herunter in den Keller.

Vorsichtig sah Victor auf, als Waleri geruhsam an das Gitter spaziert kam. Ihm standen förmlich Tränen in den Augen. Er versuchte, Stärke zu bewahren. Versuchte, nicht erniedrigt und entwürdigt um das Abschalten des Recorders zu betteln. Aber sein Blick sprach Bände, das konnte er auch mit all seiner Selbstbeherrschung nicht verhindern.

Waleri begutachtete ihn eine Weile schweigend, dann langte er durch das Zellengitter, griff sich Victors Wasserbecher und ging damit zum Recorder hinüber. Er goss das Wasser eiskalt über das elektronische Gerät, welches hörbar knisternd den Geist aufgab und verstummte. Auch Waleri selber fand die Ruhe hernach himmlisch. Er warf den Becher achtlos daneben.

"Danke ...", hauchte Victor leise, beinahe ängstlich. Seine Stimme klang zittrig.

"Bedank dich mal nicht zu früh. Die Schläge dafür kassierst du selber." Waleri trat mit einem auffordernden Winken wieder an die Zelle. "Komm ans Gitter und gib mir deine Hände."

Mühsam und kraftlos - was wohl zumindest teilweise noch der letzten, körperlichen Tracht Prügel vor einigen Stunden geschuldet war - kam der Gestaltwandler der Aufforderung nach und drehte Waleri den Rücken hin, da seine Hände immer noch nach hinten gefesselt waren.

Waleri griff hart in die Stricke und zerriss sie mit der puren Muskelkraft des Elasmotheriums sibiricums, das er war.

Victor konnte ein schmerzliches "Aua" nicht unterdrücken. "Warum nimmst du denn kein Messer dafür?"

"Vladislav sieht den Unterschied zwischen zerrissenen Seilen und durchgeschnittenen. - Und dass das klar ist: Wenn er fragt, dann hast du die Fesseln in Rage selber zerrissen und dein Wasser nach dem Recorder geworfen. Sonst schwöre ich dir, tu ich dir schlimmeres an als diese Geräusche."

Victor nickte einverstanden und rieb sich die wundgescheuerten Handgelenke. Das Leiden, das ihm immer noch sichtbar ins Gesicht geschrieben stand, rührte aber sicher nicht von denen her.

"Und bilde dir bloß nichts drauf ein", fuhr Waleri düster fort. "Ich hab ganz bestimmt kein Mitleid mit dir. Ich mach mir nur Sorgen, was hier drin losgegangen wäre, wenn dir wegen dem scheiß Folter-Sound wirklich eine Sicherung durchbrennt." Miesepetrig machte er sich auf den Weg zur Treppe und nach oben. Noch deutlicher wollte er nicht aussprechen, dass er Vladislavs Bannmarken nicht vertraute, wenn es um jemanden wie Victor ging.
 

Urnue spazierte etwas gelangweilt in der Gegend herum. Es war jetzt Tag 5, den er auf der Astralebene zubrachte. Er war Vladislav und Waleri zu dieser Villa hier im ländlichen Nirgendwo gefolgt. Urnue hatte sich noch keinen richtigen Reim darauf machen können, was für ein Haus das war, zumal außer den beiden niemand hier zu sein schien. Keine Bediensteten, die dieses riesige Anwesen in Schuss hielten, keine Besucher, die ein und aus gingen, keine Lieferdienste. Aber im Grunde war es Urnue ja auch egal. Sie hatten Victor da reingeschleppt, und mehr interessierte Urnue vorerst nicht. Er hatte sich auf der Astralebene versteckt, um von den beiden nicht entdeckt zu werden, und observierte das Gelände so gut, wie er es allein eben vermochte. Essen musste er auf der Astralebene zum Glück nicht, und er brauchte auch nicht so viel Schlaf wie in einem stofflichen Körper, aber auch hier sah er sich hin und wieder zu Ruhephasen gezwungen.

Langsam musste Urnue sich wirklich zusammenreißen, weiter wachsam zu bleiben. Nach fünf Tagen, in denen absolut gar nichts passiert war, übernahm die Langeweile immer nachdrücklicher das Zepter. Weder Vladislav noch Waleri hatten das Haus in diesen fünf Tagen mal verlassen. Und wie es inzwischen um Victor stand, konnte er auch nicht sagen, da die Villa mit einigen Bannzaubern gegen Eindringlinge gesichert war, die sich über die astrale Ebene Zugang verschaffen oder einen Blick ins Innere werfen wollten.

Der Wiesel-Genius merkte auf, als er in der Ferne ein Auto näher kommen sah. Und fluchte, als er dieses als Streifenwagen der Polizei erkannte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er durfte auf gar keinen Fall die Polizei zu dieser Villa lassen. Dann wäre nämlich nicht nur Vladislav Mode gewesen, den sie hier unweigerlich finden würden, sondern Victor gleich mit. Auch der galt als schwer gesuchter Verbrecher und würde von der Polizei nur zu gern einkassiert werden, wenn die seiner habhaft wurden. Ganz gleich ob sie ihn hier als Opfer oder als Täter vorfanden. Immer noch rüde vor sich hinfluchend kehrte Urnue auf die sichtbare, stoffliche Ebene zurück und lief dem Streifenwagen entgegen. Es gab ja nur die eine Zufahrtsstraße hier her. Dabei schob er unverdächtig die Hände in die Jackentaschen, als sei er auf einem gemütlichen Spaziergang.

Urnue winkte den beiden Streifenpolizisten freundlich, als das Auto näher kam. Und der Wagen fuhr glücklicherweise auch tatsächlich an die Seite und hielt an. Lächelnd trat Urnue an das heruntergelassene Fenster auf der Fahrerseite. "Tag, der Herr und die Dame", grüßte er die beiden Uniformierten, einen Mann und eine Frau, und schaffte es dabei sogar, eine glaubwürdig gute Laune aufzusetzen. "Wollen Sie auch zu der Villa da?"

"Ja. Kommen Sie gerade von dort?"

Urnue nickte bestätigend. "Sparen Sie sich den Weg ruhig. Es ist niemand zu Hause."

"Da steht doch ein Transporter vor dem Eingang", merkte die Polizistin ganz richtig an und deutete in die Ferne.

"Das ist meiner." Urnue hielt vielsagend den Autoschlüssel seines Mietwagens hoch, der immer noch in irgendeinem Parkhaus in Otradnoje herumstand, und betete inständig, dass die Polizisten ihm das abkaufen würden. "Ich hab mich gerade ein bisschen auf dem Anwesen umgesehen. Ich dachte, vielleicht finde ich noch jemanden. Aber es ist keiner hier. Nichtmal ein Gärtner, oder sowas. Die Villa wirkt ziemlich verlassen, wenn Sie mich fragen."

"Und wer sind Sie, Mann?", verlangte der Herr des Polizisten-Duos zu wissen. Er klang nicht direkt skeptisch, aber man merkte, dass er routinemäßig nicht jedem alles sofort glaubte, was er den lieben langen Tag so aufgetischt bekam.

"Äh~ Sergej Fjodorov, Privatdetektiv aus St. Petersburg", log Urnue die beiden aalglatt an, und war insgeheim froh, dass sein Russisch inzwischen so gut und fehlerfrei war, dass man ihm das auch glauben konnte. "Meine Klientin hat mich auf eine Truppe angesetzt, die sich wohl früher mal 'Motus' genannt haben soll, aber schon lange nicht mehr existiert. Sie glaubt, die hätten immer noch ihre vermisste Tochter. ... Und warum sind Sie hier?", hakte er smalltalk-mäßig nach.

"Wir gehen auch ein paar alten Motus-Hinweisen nach", gab der Polizist offenherzig zu. Er fand die Story wohl plausibel genug, um Urnue endlich zu glauben. NATÜRLICH war die Story plausibel. Schließlich waren sie beide aus genau dem gleichen Grund hier.

Der Wiesel-Genius zog ein betont überraschtes Gesicht. "Hat die Polizei etwa wieder offizielle Ermittlungen aufgenommen? Dann müsste ich mich von Gesetz wegen aus dem Auftrag zurückziehen. Privatdetektive dürften ja nur ihr Glück an sowas versuchen, wenn der Fall eingestellt wurde. Ich darf nicht die Arbeit der Polizei machen."

"Nein-nein, machen Sie ruhig weiter", winkte der Mann ab. "Wir haben keine alten Fälle wieder aufgerollt. Uns geht´s hier um was anderes." Er warf nochmal einen abschätzenden Blick durch die Windschutzscheibe auf die Villa.

Urnue stöhnte innerlich. 'Geht doch endlich! Bitte, bitte, geht endlich!', dachte er unablässig, und musste sich zwingen, sich nichts anmerken zu lassen.

"Da ist wirklich keiner zu Hause?", rückversicherte sich der Polizist nochmals.

"Nein, keine Menschenseele. Ich hab durch alle Fenster spioniert. Versuchen Sie´s lieber in ein paar Tagen nochmal."

Nach kurzem Überlegen startete der Polizist seinen Streifenwagen wieder. "Gut. Dann schauen wir andermal wieder vorbei. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und viel Erfolg bei ihrem Auftrag. Ich hoffe, Sie finden das Mädchen."

"Danke, gleichfalls", entgegnete Urnue und trat vom Fenster zurück. Zufrieden sah er zu, wie der Wagen wendete. Am liebsten wäre er vor Erleichterung zusammengebrochen, bewahrte aber Haltung. Gott, hatte er ein verdammtes Glück gehabt! Das hätte echt schiefgehen können. So vertrauensselig waren Polizisten selten. Scheinbar hatten die beiden keinen dringenden Verdacht bezüglich dieser Villa gehabt, sondern klapperten nur zufallsmäßig ein paar Adressen ab. Vielleicht suchten sie wirklich bloß stichprobenartig hier und da auf gut Glück nach Vladislav, seit der aus dem Gefängnis ausgebrochen war.

Besorgt rechnete Urnue nach, wie viel Zeit noch war, bis er die Polizei selber wieder würde herrufen müssen. Eine Woche wollte Victor haben, um seine Angelegenheiten mit Vladislav zu klären. Am 8. Tag sollte Urnue Hilfe holen. Victor meinte, wenn er bis dahin nicht von selber wieder auf der Bildfläche erschien, könne man ihn getrost für tot halten. Nur, wenn Victor den ehemaligen Motus-Boss schon nicht selber zur Strecke brachte, sollte zumindest Seiji Kami das noch für ihn erledigen. Victor wollte, dass irgendjemand hiervon erfuhr. Es sollte wenigstens Ermittlungen geben, und Vladislav sollte im besten Fall gefunden und wieder hinter Gitter gesteckt werden, wo er hingehörte. Victors letztes Geschenk an den Boss, falls er selber versagte. - Urnue betete, dass es nicht dazu kam, auch wenn jetzt nach fünf Tagen sein Mut langsam sank.



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