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Battle for the Sun

von

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Don't leave me here to pass through time without a map or roadsign – Don't leave me here, my guiding light

Don't leave me here to pass through time without a map or roadsign

Don't leave me here, my guiding light“

 

Placebo, „Kings of medicine“

 

Dazai trug ein friedliches Lächeln im Gesicht. Als wäre er ruhig eingeschlafen und hätte nun einen schönen Traum. Atsushi verstand bei diesem Anblick die Welt nicht mehr. Überall auf seinem Mentor war Blut, so schrecklich viel Blut; wo kam es her und wo kam Dazai so plötzlich her? Und Chuuya? Was war passiert? Wo war Dickens? Wieso sah Kunikida so mitgenommen aus? Hatte hier ein Kampf stattgefunden?

Sein Kopf tat weh und er spürte ein schmales Rinnsal seines eigenen Blutes über sein Gesicht laufen.

„Hey! HEY! HEY!!!“ Chuuya schrie den bewusstlosen Mann in seinen Armen an und schüttelte ihn abermals – vergeblich. „Ich habe doch gesagt, er muss in ein Krankenhaus, aber er bestand darauf, dass ich ihn hierher bringe. Jetzt wage es nicht zu sterben, nachdem ich mir die Mühe gemacht habe, du undankbarer Mistkerl!!“

„Was … was ist mit ihm?“ Kunikida gelang es endlich, sich aus seiner Schockstarre zu befreien und eilte hinkend zu dem gerade aufgetauchten Duo.

Der rothaarige Mafioso legte Dazai auf dem Boden ab und Kunikida griff sich sofort ein Handgelenk des Kollegen. Entsetzt blickte er zu Chuuya.

„Er hat kaum noch Puls!“

„Seine Atmung wird auch immer flacher. Ich versteh das nicht.“ Chuuya lenkte Kunikidas Augen zu den zwei Einstichstellen, die er gefunden hatte. „Das müssen die ursprünglichen Verletzungen gewesen sein. Aber aus immer mehr Stellen scheint Blut auszutreten.“

Der blonde Detektiv öffnete Dazais Weste und riss das darunter liegende Hemd auf. Tatsächlich. An mehreren Stellen auf den Verbänden waren Blutflecke zu sehen. Er schob ein paar der Bandagen beiseite, um sich die Haut darunter anzusehen. Die vom Regen durchnässten Verbände taugten nichts, um die Blutungen zu stoppen, außerdem blutete der Mann fast aus allen Poren. Panisch und doch behutsam drehte er Dazai um.

„Der Mantel muss weg.“

Angesichts des Befehlstons verzog Chuuya das Gesicht, half aber dennoch den braunen Trenchcoat und die Weste abzustreifen. Der Idealist musste das Hemd nicht einmal anheben, um zu sehen, dass Dazai selbst am Rücken überall blutete. Kunikida fuhr mit einer Hand über einen der rot gefärbten Punkte und zog mit einem Mal die Hand zurück. Irgendetwas Scharfes war da.

„Eine Klinge …?“, hauchte er entgeistert und nicht begreifend.

„Weg da!“ Akutagawa schubste den angeschlagenen Detektiv grob zur Seite, sodass dieser in die stetig wachsende Blutlache Dazais fiel und kniete sich selbst neben seinen ehemaligen Lehrmeister. Er zerriss dessen Hemd und fühlte an die Spitze, die sich durch den Verband drückte. Akutagawas Blick schnellte zu Fagins Leiche zurück. „Das ist eine Waffe der Engländer. Die Klinge spaltet sich im Körper in mehrere Einzelteile auf.“

„Warte, was?!“ Chuuya blickte von Dazai hoch. „Soll das heißen mehrere kleine Klingen wandern gerade lustig durch den Körper dieses Idioten und schlitzen ihn von innen auf??“

„Es gibt zwei Einstichstellen. Das heißt, es waren zwei Messer.“ Akutagawas Stimme klang noch vergleichsweise ruhig, aber sein Blick verriet, dass ihm die Schwere seiner Entdeckung massive Sorgen bereitete.

„Kein Wunder, dass er wie blöd blutet und Unmengen Blut gespuckt hat.“

„W-WIR MÜSSEN ETWAS TUN!!“

Die drei anderen zuckten zusammen, als Atsushi aus dem Nichts lautstark diesen Satz brüllte. Bis gerade eben hatte der Junge nur dagestanden und tatenlos auf sie geblickt. Die Angst darüber, nicht zu wissen, was geschehen war, drückte ihm den Hals zu und er bekam kaum einen klaren Gedanken zu fassen. Nun aber, als hätte ihm jemand ins Gesicht geschlagen, wachte Atsushi aus seiner Paralyse auf und wurde überwältigt von der Angst um seinen Kollegen.

„Er stirbt, wenn wir nichts tun!!“

„Der Menschentiger hat ausnahmsweise Recht. Wir müssen uns beeilen!“ Akutagawa machte bereits Anstalten nach Dazai zu greifen, als Kunikida dazwischen ging.

„Wenn wir ihn noch weiter durchschütteln, machen wir seine Verletzungen nur noch schlimmer. Er wird verblutet sein, bis wir ihn ins nächste Krankenhaus gebracht haben. Wir müssen ihn vorsichtiger bewegen und die schlimmsten Blutungen stoppen.“

Der dunkelhaarige Mafioso knurrte noch unzufriedener als er sonst tat und ließ überstürzt Bänder Rashomons auf die sichtbaren Verletzungen des Brünetten los, doch die schwarzen Binden taugten als solche nichts bei diesem Patienten. Sie verschwanden sofort, nachdem sie seinen Körper berührt hatten.

„Verdammt! Wir brauchen etwas Anderes!“

Mit zitternden Fingern zog Atsushi sich hastig seinen langen Gürtel aus. Sogleich griff Kunikida danach und zurrte ihn um eine der dutzenden Wunden. Geschwind nahm Akutagawa den Gürtel aus seinem eigenen Mantel, während Atsushi schon dabei war, den Gürtel aus Dazais Trenchcoat zu ziehen. Kunikida wickelte alles stramm an dem mit Verletzungen übersäten Körper fest, selbst das rote Band seiner Schleife funktionierte er um. Einer plötzlichen Eingebung nachgehend, steckte Atsushi seine Hand in eine der Manteltaschen Dazais und förderte seine eigene Krawatte daraus zutage, die Kunikida ebenso verwendete.

Während diese drei hektisch versuchten, den Blutverlust einzudämmen, sah Chuuya ihnen nur abwartend zu.

„Ihr wisst schon, dass ihr gegen seinen Willen handelt, oder?“

In ihrem panischen Werk gestört, schauten sie erschrocken zu dem Führungsmitglied.

„Das ist es doch, was er immer wollte“, fuhr Chuuya fort und bemühte sich darum gelassen zu klingen, auch wenn der Zorn in seiner Stimme deutlich hervortrat. „Seht euch nur seine zufrieden grinsende Visage an. Er wähnt sich am Ziel seiner Träume. Sollten wir ihn da nicht einfach in Ruhe lassen?“

„Aber ...“, begann Atsushi und schluckte. Gab es ein gutes Gegenargument gegen Chuuyas Aussage? Er hatte schließlich Recht. Dazai wollte sterben. Aber – konnten sie ihn deswegen einfach sterben lassen? Das ging doch nicht! Sie konnten doch nicht … oder? War es falsch oder richtig, was sie hier taten?Ratsuchend guckte er zu Kunikida, dessen ernster Blick von dem Mafioso hin zu Dazai und wieder zu Chuuya wanderte.

„Hat Dazai auf dich je den Eindruck gemacht, wirklich zu wissen, was er will? Ich weiß nicht, wie lange du ihn kennst, aber ich kenne ihn lang genug, um behaupten zu können, dass der Mann selbst nicht weiß, was er tatsächlich will. Und solange er dies nicht herausgefunden hat, können wir ihn auch nicht sterben lassen.“

Chuuya tauschte einen intensiven, schweigenden Blick mit dem Idealisten aus.

„Ich frage mich, ob wir überhaupt den selben Dazai kennen.“ Der Rothaarige lächelte plötzlich. „Wenn man es so sieht, dann müssen wir seinen traurigen Hintern ja retten. Nicht zuletzt, weil ich derjenige sein will, der den Spinner irgendwann zur Hölle schickt.“ Er sprang auf und stürmte in Richtung der weiter zurückliegenden Gebäude los – dorthin, wo die nächste Straße war. Während Atsushi ihm verwirrt hinterher sah, zog Kunikida noch einmal alle Bänder um Dazais Wunden stramm und prüfte noch einmal seinen Puls. Er biss sich auf die Lippen, als er ihn kaum noch finden konnte.

„Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.“

„Kunikida, wir brauchen ein Auto, aber deins ist -“ Atsushi stockte, als er zu dem demolierten Fahrzeug sah. Ein gepeinigtes Japsen entwich ihm und seine Augen weiteten sich bei dem Anblick. „Das Auto … habe ich … ? Nein …. Nein! Ich war …! Ich habe-!“ Tränen und Übelkeit kamen gleichzeitig über Atsushi, als ein verstörender Rausch von vagen Erinnerungen über ihn hineinbrach. Wie die verschwommenen Bilder in seinem Kopf plötzlich klarer wurden (er hatte Kunikida gegen die Wand geschleudert, er hatte diese junge Frau verletzt, er hatte Dickens zu Boden geschlagen! Oh Gott, Kyoka war hier gewesen, hatte er ihr auch etwas getan?!), brach er zusammen und übergab sich elendiglich.

Ohne jegliches Mitgefühl hievte Rashomon ihn umgehend wieder auf die Beine.

„Menschentiger, hast du nicht gerade eine Aufgabe vor dir, die wichtiger ist als dein Selbstmitleid?“

Bevor er antworten konnte, raste mit quietschenden Reifen ein Auto um die Ecke.

„Macht schon!“ Chuuya öffnete die Fahrertür und brüllte zu ihnen herüber.

Atsushi und Akutagawa tauschten einen kurzen Blick aus, ehe Ersterer Dazais Oberkörper anhob und Letzterer dessen Beine. Kunikida biss die Zähne zusammen und humpelte so schnell er konnte ihnen hinterher.

„Ist der eigentliche Fahrer dieses Wagens unverletzt?“, fragte er in Richtung des Rothaarigen.

Der Mafioso stöhnte genervt. „Ja ja, er kommt mit 'nem Schrecken davon.“

„Na gut. Aber ich fahre.“

„Häh?“

„Ich fahre. Und für Diskussionen haben wir keine Zeit.“

Chuuya machte ein murrendes Geräusch, gab aber angesichts des Zeitdrucks klein bei und ließ den Detektiv ans Steuer, während Atsushi und Akutagawa mit Dazai auf die Rückbank kletterten. Chuuya beeilte sich, auf der Beifahrerseite einzusteigen, als Kunikida den Fahrersitz ein Stück nach hinten setzte. Ihre Situation war so schon seltsam genug, nie im Leben hätte er sich da in einen Wagen gesetzt, der von einem Führungsmitglied der Hafen-Mafia gelenkt wurde. Eigentlich waren schließlich zwei der Insassen dieses Autos ihre Feinde und auch wenn Kunikida momentan keinen Zweifel daran hatte, dass allen daran gelegen war, Dazai zu retten; ihm war wohler bei dem Gedanken, selbst das Steuer in der Hand zu halten.

Das war wohl das Seltsamste überhaupt an ihrer Situation: Sie alle wollten Dazai retten.

Nein, eigentlich war daran nichts seltsam, dachte Kunikida, als er mit durchdrehenden Reifen losfuhr.

Die Kraft der Beschleunigung schmiss ausgerechnet Chuuya in den Sitz. „Whaa! Wo hast du denn Fahren gelernt?!“

„In der Nähe von Suribachi gibt es kein Krankenhaus“, antwortete der Idealist nüchtern. „Wir müssen über die Brücke und in die Stadt hinein.“ Er warf einen hastigen Blick in den Rückspiegel. Bei dem halsbrecherischen Tempo, das er fuhr, durfte er seine Augen nicht zu lange von der Straße nehmen. Der flüchtige Blick reichte, um zu sehen wie Atsushi, von den Ereignissen merklich gezeichnet, mit bebenden Händen Dazai umklammerte.

„K-kunikida“, wimmerte der Junge leise und doch hörbar, „es-es tut mir alles so -“

„Du hast nichts falsch gemacht, Atsushi“, fiel der Angesprochene ihm ins Wort.

„G-geht es Kyoka gut?“

„Sie ist unverletzt.“

Ein abschätziges Geräusch von Akutagawa mischte sich in das angespannte Gespräch. „Bevor der Menschentiger noch weiter über seine eigene Schwäche jammert: Wieso sagte Kyoka, sie sei ihm nur ein einziges Mal begegnet?“

„Sie steht unter dem Einfluss einer Fähigkeit und kann sich nicht an mich oder an sonst wen erinnern“, erklärte Atsushi stimmlos und ohne seinen Sitznachbarn anzusehen.

Kunikida krallte das Lenkrad noch etwas fester. Der Mord an Fagin hatte nicht dessen Fähigkeit aufgelöst. Das hieß, selbst wenn Eleanor starb - was auf gar keinen Fall passieren durfte - könnte ihre Fähigkeit weiter aktiv bleiben. Und wenn Dazai starb, würde niemand seine Erinnerungen zurückerhalten. Ranpo, Kyoka, Lucy; keiner von ihnen würde zurückkommen.

Der Blondschopf erschrak, als sein Handy plötzlich in seiner Westentasche klingelte. Er überlegte, wie er es beantworten sollte, wenn er wie der Teufel durch die Straßen fegte und Überholmanöver machte, die Dazais selbstmörderischen Fahrkünsten gleich kamen.

Ein wenig hilflos sah er aus dem Augenwinkel heraus zu Chuuya, der seinen Blick erst fassungslos und dann genervt erwiderte.

„Echt jetzt?“, schimpfte der Mafioso und ächzte. „Na schön!“ Er langte in Kunikidas Westentasche, zog das Mobiltelefon heraus und nahm den Anruf entgegen. „Was?!“

Der Detektiv konnte das verdatterte Geräusch auf der anderen Seite hören. „Lautsprecher, bitte.“

Mit einem abermaligen Grollen kam Chuuya auch dieser Bitte nach.

„Kunikida??“, drang Naomis erschütterte Stimme an alle Ohren. „Bist du da??“

„Was gibt es, Naomi?“

„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll!“

Ihr panischer Tonfall alarmierte auch Atsushi. Aufgeschreckt sah er nach vorne.

„Der Chef und Ranpo sind schwer verletzt! Der Chef hatte gerade noch die Kraft, Haruno anzurufen. Und Yosano ist bewusstlos! Mein Bruder hat sie wiederbelebt, aber sie wacht nicht auf! Wo sind du und Atsushi??“

Der Idealist fühlte sich, als wäre er aus einem Albtraum aufgewacht, nur um direkt danach einen noch schlimmeren zu haben. Er schluckte.

„Auf dem Weg in ein Krankenhaus“, sagte Kunikida um Fassung ringend. „Dazai ist ebenso schwer verletzt.“

„Dazai auch??“

„Melde dich, wenn es etwas Neues gibt, Naomi.“

„Ja!“ Sie legte auf und Chuuya nahm das Handy herunter, während er auf Kunikidas Hände sah, die sich regelrecht um das Lenkrad verkrampften.

„Heute wäre also ein guter Tag, um der Detektei den Gnadenstoß zu versetzen.“

Atsushis Hände krallten sich fast in Dazai, als er die Tränen in seinen Augen daran hindern wollte zu fallen. Alles war bereits schrecklich genug, er wollte nicht auch noch vor Akutagawa weinen. Wenn die beiden Mafiosi sich jetzt gegen sie wandten, wäre alles aus. Akutagawa war eigentlich an sein Versprechen gebunden, aber wenn Chuuya ihm den Befehl gab, sie anzugreifen, dann würde er dies ohne jeglichen Zweifel auch tun. Atsushi vergaß zu atmen, als ihm plötzlich etwas Gravierenderes auffiel.

Panisch fuhr er mit einer Hand unter die Nase des bewusstlosen Mannes in seinen Armen. Mit einer gleichermaßen aufgescheuchten Bewegung legte er zwei Finger an dessen Hals.

Die plötzliche Aufgekratztheit des Detektivs bemerkend, hob Akutagawa fragend eine Augenbraue.

„Er atmet nicht! Er atmet nicht mehr!“, schrie Atsushi. „Ich spüre auch keinen Puls mehr!!“

„Was?! Lass mich mal!“ Der Dunkelhaarige griff nach Dazais Handgelenk und versuchte, dort einen Puls zu finden.

„Was ist? Hat der Menschentiger Recht?“ Chuuya drehte sich zu ihnen um.

Akutagawas entsetzte Mimik beantwortete seine Frage.

„Scheiße!“

Mittlerweile hatten sie die Insel, auf der Suribachi lag, hinter sich gelassen und waren in den dichten Feierabendverkehr der Innenstadt geraten. Kunikida konnte noch so schnell Abkürzungen durch Seitenstraßen ansteuern, sie gerieten trotzdem immer wieder ins Stocken.

„Akutagawa!“, bellte Chuuya im Befehlston und ließ die beiden Detektive vor Schreck die Luft anhalten. „Wir müssen die Straße verlassen!“

Akutagawa nickte, schubste Dazais lange Beine von sich und versuchte, von ihm wegzurutschen. Als dies nicht gelang, öffnete der Mafioso das Fenster und kletterte auf die Autotür. Riesige, stelzenartige, pechschwarze Beine erschienen und hoben das Fahrzeug (unter den erstaunten Blicken der anderen Verkehrsteilnehmer) hinauf.

Ein merkwürdiges Glühen, welches den gesamten Wagen erfasste und Chuuyas konzentrierte Miene waren das Einzige, das ihnen verriet, dass gerade die Gravitation manipuliert wurde. Das – und der Umstand, dass das Auto plötzlich an der Wand eines Hochhauses entlang fuhr. Für einen Moment von der ungewohnten Situation irritiert, holte Kunikida tief Luft und trat das Gaspedal wieder durch.

„Wenn dieser durchgeknallte Schwachkopf nach dem ganzen Aufwand, den wir betreiben, immer noch stirbt, bringe ich ihn um!“, wütete Chuuya und war sich seines unlogischen Satzes nicht einmal bewusst.

„Aber bitte erst nachdem ich ihm eine Tracht Prügel verpasst habe!“, wandte Kunikida ein.

„Das kann unmöglich dein Ende sein.“ Akutagawa sah in den Wagen zurück und biss seine Zähne aufeinander. „Das darf unter keinen Umständen dein Ende sein!“

„Bitte stirb nicht, bitte stirb nicht, bitte stirb nicht, Dazai. Bitte, bitte, bitte, bitte stirb nicht, Dazai“, wiederholte Atsushi immerfort, während er den leblosen Körper seines Mentors an sich drückte und heiße Tränen auf diesen fielen.

 

Als Dazai dieses Mal die ihm so bekannten Treppenstufen unter seinen Füßen sah, rannte er sofort los. Wie ein amerikanisches Kind am Weihnachtsmorgen sprintete er die Stufen hinab. Er meinte, sein Herz bis in seine Ohren schlagen zu hören. Die Vorfreude ließ ihn fast platzen. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er am Fuß der Treppe das ersehnte Bild erblickte.

„Da bist du ja wieder.“ Odasaku grüßte ihn von seinem angestammten Hocker aus.

Mit noch mehr Schwung als beim ersten Mal ließ Dazai sich neben ihm nieder. Selbst sein Glas und die angefangene Flasche standen noch dort, wo er sie zurückgelassen hatte.

„Jetzt bleibe ich hier, Odasaku! Freust du dich?“

„Freust du dich?“

„Ja! Ja! Natürlich! Siehst du das nicht?“

Der Rothaarige schmunzelte. „Alles erledigt?“

„Im wahrsten Sinne des Wortes!“ Dazai schüttete sich sein Glas bis zum Anschlag voll und trank es in einem Zug aus. „Ah~!“ Er stellte es auf dem Tresen ab und drehte sich seinem Freund zu. „Jetzt werden wir nicht mehr gestört, Odasaku. Also, was wollen wir mit der Ewigkeit anfangen?“

Der Angesprochene nippte an seinem Glas. „Wir könnten uns unterhalten.“

Dazai klatschte in die Hände, als würde ihn diese Idee begeistern. „Das ist ein großartiger Einfall, Odasaku! Ich habe dir so viel zu erzählen! Wo soll ich nur anfangen?“

„Hmm ...“ Odasaku stellte sein Glas ab und legte nachdenklich den Kopf leicht schief. „Du hattest von diesen bewaffneten Detektiven gesprochen. Erzähl mir mehr von denen.“

Der Brünette stutzte kurz verwundert, aber seine überschwängliche Euphorie verließ ihn nicht. „Wenn du das willst, mach ich das gerne, Odasaku.“

„Wie bist du bei denen gelandet?“

„Ich musste ja etwas finden, bei dem man Menschen retten kann und Herr Taneda vom Innenministerium vermittelte mich dann quasi an die Detektei. Und die machen tatsächlich nichts anderes als Menschen zu retten! Kannst du dir das vorstellen? Die sind geradezu besessen davon, anderen zu helfen!“ Dazai warf theatralisch die Arme in die Höhe, was Odasaku erneut schmunzeln ließ.

„Klingt nett. Du rettest also Menschenleben?“

In einer weiteren theatralischen Geste ließ Dazai erschöpft seinen Kopf auf den Tresen fallen. „Das ist viel anstrengender als mein Job bei der Mafia. Einmal wollte eine amerikanische Organisation ein riesiges Luftschiff auf Yokohama hinabstürzen lassen. Hast du eine Ahnung, wie viel Arbeit das war, das zu verhindern?“

„Viel, vermute ich.“

Sein Gegenüber seufzte. „Und weil die Detektei ständig irgendwen rettet und beschützt, macht sie sich immer mehr Feinde. Von der Blutfehde zwischen Mori und dem Chef fang ich gar nicht erst an. Trotzdem ...“ Dazai hob seinen Kopf wieder und fuhr mit einem Finger über den Rand seines Glases. „Trotzdem sind sie alle davon überzeugt, dass es sinnvoll und richtig ist, was sie tun.“ Ein schmales Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, als er das Glas ansah. „Du würdest dich da wohlfühlen, Odasaku. Ja, ich glaube, du würdest perfekt zu ihnen passen.“

„Zu dem Pedanten, der Angsteinflößenden und den unschuldigen Gesichtern?“

Bei dieser Reaktion hielt Dazai kurz inne, bevor er loslachte. „Vielleicht sind bei meiner Beschreibung von ihnen ein paar ihrer anderen Charakterzüge untergegangen.“ Sein Lachen ebbte ab. „Im Ernst, Odasaku, ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie du wohl mit Atsushi umgegangen wärst. Er hat so viel Potenzial, aber das Selbstwertgefühl eines Stecknadelkopfes. Mir war direkt klar, dass ich ihn nicht auf die gleiche Weise behandeln kann, wie ich es bei Akutagawa getan habe. Atsushi wäre daran zerbrochen.“

Interessiert blickte Odasaku seinen nachdenklich gewordenen Freund an. „Und was hast du letztlich mit ihm gemacht?“

Jetzt war es Dazai, der schmunzelte. „Wie ich schon sagte: Ich habe überlegt, was du wohl getan hättest.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber dein Weg ist so viel schwerer, Odasaku.“

Für einen kurzen Moment lang schwiegen sie sich an, ehe Dazai sich dem Rothaarigen wieder zudrehte. „Aber … du hattest Recht. Er ist schöner.“

Er bekam eines der seltenen Lächeln des eigentlich Älteren zur Antwort. „Das freut mich.“

Dazai sog das Lächeln und die Antwort in sich auf, bevor Odasaku etwas hinzufügte:

„Jetzt müssen sie also ohne dich klar kommen?“

„Das kriegen sie schon hin.“

„Der Pedant, Kunikida hieß er, richtig? Wird er ohne dich zurecht kommen?“

Der Brünette stutzte abermals. „Ja, das ist er vorher auch. Auch wenn ich mit meinen Bemühungen, dass er mal etwas von seiner Anspannung verliert, nicht so weit gekommen bin, wie ich gehofft hatte. Hoffentlich war jetzt nicht alles umsonst und es wird noch schlimmer mit ihm. Das wäre ärgerlich.“

„Und dieser Junge, Atsushi … es klingt so, als wäre er auf deine Unterstützung angewiesen. Hängt er nicht an dir?“

Dazai schüttelte irritiert den Kopf. „Ja, er sucht aus irgendeinem Grund ständig meine Nähe, aber das kann Kunikida übernehmen. Er bringt dem Jungen sowieso mehr bei als ich.“

„Ist Kunikida nicht mit sich selbst beschäftigt? Du sagtest doch gerade, es könnte mit ihm noch schlimmer werden, wenn du nicht mehr bei ihm bist.“

Die Irritation des Detektivs wuchs. „Was soll das, Odasaku? Warum versuchst du, mir ein schlechtes Gewissen einzureden?“

„Tue ich das?“, entgegnete der Angesprochene seelenruhig.

„Ja! Und ich bitte dich, hör auf damit! Ich will einfach nur hier mit dir zusammensitzen und über alles reden, was uns einfällt. So oft habe ich mir gewünscht, ich könnte wieder mit dir reden, Odasaku! So oft!“ Dazai sah ihn beinahe verzweifelnd an. „Manchmal habe ich Zigaretten angezündet, nur weil ihr Geruch mich an dich erinnert. Ich habe sogar extra-scharfes Curry heruntergewürgt, weil du es so gemocht hast. Aber nichts davon hat dich mir wiedergebracht, Odasaku!“

Der Angeklagte atmete hörbar ein. „Das tut mir leid, Dazai. Ich habe nie gewollt, dass du meinetwegen leidest.“

„Das weiß ich doch. Aber ohne dich …“ Dazais Hände krallten sich von neuem in die Ärmel des Anderen. „ … ohne dich wusste ich gar nicht mehr, was ich tun sollte ...“

Er stockte, als er bemerkte, wie der Rothaarige den Kopf sacht schüttelte.

„Das stimmt nicht, Dazai. Ich hatte es dir gesagt und du hast dich daran gehalten. Mehr noch, du hast alle meine Erwartungen übertroffen. Es gibt nur immer noch ein Problem.“

Erstaunt blickte Dazai auf und sah ihn mit fragenden Augen an. „Was für ein Problem?“

„Du weißt nicht, was du tatsächlich willst.“

Der Brünette verstärkte seinen Griff in die beige Jacke. „Natürlich weiß ich, was ich will! Ich will bei dir bleiben!“ Er wirkte nun wie ein trotziges Kind.

Odasaku seufzte leise. „Wenn das die ganze Wahrheit wäre, könntest du das hier ignorieren.“

„Was? Könnte ich was ignorieren?“

Kaum hatte er diese Frage gestellt, begann das Licht im Lupin zu flackern.

Er atmet nicht! Er atmet nicht mehr! Ich spüre auch keinen Puls mehr!!“

Wo kam diese Stimme her? Klang das wie … Atsushi?

Scheiße!“

Der Wicht, keine Frage. Was machte der denn bei Atsushi?

Dazai kniff die Augen zusammen, als das Stimmengewirr immer lauter wurde. Er hörte auch Kunikida und Akutagawa heraus. Sie klangen alle so aufgewühlt, geradezu panisch.

„Odasaku, was ist das? Was passiert hier?“

„Klingt, als würde sich jemand um dich sorgen.“

Dazai schüttelte heftig den Kopf. „Unwahrscheinlich.“ Plötzlich zog er scharf die Luft ein. Die Schmerzen in seinem Körper waren zurückgekehrt.

Odasaku sah ihn ganz ruhig und abwartend an. „Ich habe mich früher nie in deine Angelegenheiten eingemischt. Jetzt weiß ich, dass das ein Fehler war und möchte ihn nicht wiederholen. Warum kannst du es dir nicht eingestehen?“

Die Flaschen und Gläser in den Regalen zersprangen mit einem lauten Knallen und Klirren, während das Licht immer stärker flackerte.

„Mir eingestehen?“ Dazai stöhnte vor Schmerzen und fiel beinahe vornüber.

„Dass noch ein anderer Wunsch in dir aufgekommen ist. Einer, der das genaue Gegenteil des ersten Wunsches ist.“

„Ich weiß nicht … wovon du redest … Odasaku ...“

Odasaku richtete seinen gepeinigten Freund auf und sah ihm direkt in die Augen. „Du weißt es. Er sagt es dir doch.“

„Bitte stirb nicht, bitte stirb nicht, bitte stirb nicht, Dazai. Bitte, bitte, bitte, bitte stirb nicht, Dazai!“

Atsushis verzweifeltes Flehen erfüllte die auseinanderfallende Bar.

„Fürs Erste musst du eine Entscheidung treffen“, sagte Odasaku, ohne den Anderen loszulassen. „Sie wird nicht endgültig sein, aber sie wird von Bedeutung sein.“

Dazai schluckte und erwiderte mit bebenden Lippen seinen Blick.

„Also“, fuhr Odasaku fort, „wofür entscheidest du dich?“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich liebe die „Kunikida klaut ein Auto“-Szene im Manga. Die ist großartig!
Dazais Fahrkünste werden in der ersten Light Novel erwähnt. Ich würde nicht zu ihm in einen Wagen steigen.
Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr. Das hier war das vorletzte Kapitel. Es folgt noch der Epilog. Komplett anzeigen

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