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Die Gegenwart, die wir wollen

„Hey! Ich habe euch was gefragt!“, bellte Kurogane, als er den Raum am Ende des Gangs betrat und dort zehn weitere Frauen vorfand. Sie standen um einen ellenlangen, steinernen Tisch. Obwohl das Zimmer (mehr schon ein Saal) riesig war, wurde es nur durch ein paar spärliche Lampen an den Wänden beleuchtet. Fenster gab es keine und trotzdem war es nicht stickig. Die Luft fühlte sich im Gegenteil ganz frisch und klar an.

„Ist er das?“

„Er ist sehr hübsch, das muss man ihm lassen.“

„Ein männlicher Magier! Das ich das noch erleben darf!“

„Zwei seiner Begleiter haben auch ein wenig magische Kräfte.“

„Ja, nur der Grimmige nicht.“

Die Frauen tuschelten und staunten in einem wilden Durcheinander.

„Leg ihn auf den Tisch“, sagte Simone ruhig und seufzte, als Kurogane zögerte. „Das sind die anderen Wächterinnen.“

„Schon klar“, erwiderte er.

„Kurogane-san“, schaltete Shaolan sich von der Seite ein, „wir haben keine andere Wahl, als ihnen zu vertrauen.“ Mit ernstem Blick wandte er sich an die vor ihm stehenden Wächterinnen und verbeugte sich vor ihnen. „Ich bitte Sie, helfen Sie unserem Gefährten, wenn Sie können.“

„Machen wir. Wenn der Große uns lässt“, entgegnete Monique.

Kurogane spürte die Blicke aller Anwesenden auf sich, obwohl er seinen zu Fye hinabgebeugt hatte. „Klops, was denkst du?“

„Huh?“ Überrascht, dass sie gefragt wurde, horchte Mokona auf. „Ich glaube nicht, dass sie Fye wehtun wollen.“

„Hn.“ Der Ninja nahm seine Augen nicht von dem Magier in seinen Armen. „Einverstanden. Aber wenn ich merke, dass hier etwas schief läuft, werdet ihr es bereuen.“

Zum Erstaunen der Reisenden entfuhr Simone ein Schmunzeln. „Wie das Mädchen in meinem Traum gesagt hat. 'Einer von ihnen wirkt wie ein Grobian. Aber nur, weil er die Menschen, die er liebt, um jeden Preis beschützen will.'“

Ohne darauf zu reagieren, legte Kurogane Fye auf dem Tisch ab. Shaolan fixierte derweil Simone, die wie die anderen Wächterinnen an den Tisch heranrückte und ihre Finger auf der Tischplatte rund um die darauf liegende Gestalt ablegte – unter den wachsamen Augen eines Ninjas.

„Sie sind in einem Traum einem Mädchen begegnet?“, hakte Shaolan nach.

„Oh ja. Eigentlich bin ich keine Traumseherin.“ Die Hände der Wächterinnen begannen in allerlei Farben zu leuchten. „Und doch erschien mir vor einiger Zeit in einem Traum dieses Mädchen. Sie sagte, dass dies eventuell bedeutete, dass ihre Freunde in diese Welt kommen würden und sie fragte mich nach unserer Welt. Als ich ihr erklärte, wie unsere Magie funktionierte, erschrak sie. Einer ihrer besagten Freunde sei nämlich ein mächtiger Magier, doch ein unbelastetes Herz habe er bei weitem nicht. Leider, wie sie traurig anfügte.“

Shaolan, Mokona und Kurogane beobachteten, wie die Leuchtstrahlen aus den Händen der Wächterinnen in den Tisch fuhren und plötzlich auf Fyes Körper aufleuchteten.

Angespannt (und mit einer Aura, die verriet, dass er jeden Augenblick den Magierinnen den Kopf abreißen würde, wenn ihm das Geschehen zu suspekt wurde) besah sich Kurogane die vielen verschiedenfarbigen Linien, die mit einem Mal auf dem Körper des Ohnmächtigen erschienen waren. Die grellen Farben sahen auf seiner blassen Haut befremdlich aus.

„Das war die Prinzessin, oder?“

Shaolan nickte, während er ebenso Fye nicht aus den Augen ließ. „Es kann nur Sakura-chan gewesen sein.“

„Ich wollte ihr zuerst gar nicht glauben“, erzählte Simone mit konzentriertem, doch gelassenem Blick, weiter. „Ein Mann, der über magische Kräfte verfügt? Das war mir in vielerlei Hinsicht verdächtig. Aber gleichzeitig hatte es meine Neugier geweckt. Der Traum brach viel zu früh ab, wohl weil ich keine Traumseherin bin. Und weil lange Zeit nichts passierte, gab ich nicht mehr viel darum. Als ihr jedoch plötzlich vor mir standet, erinnerte ich mich an diesen Traum.“

Die bunten Leuchtstreifen fingen an, sich von Fyes Körper zurückzuziehen, doch sie taten dies nur langsam und mit sichtlichem Widerstand. Einige der Frauen fluchten nun, andere verzogen vor Anstrengung ihre Miene – was Kurogane umgehend nervös machte.

„Was ist los?“

„Stimmt etwas nicht?“, fragte auch Shaolan besorgt nach, während er Mokona über ihr kleines Haupt fuhr, um sie zu beruhigen.

„Euer Magier hat echt verdammt viel Magie in dieser kurzen Zeit aufgenommen.“ Monique klangt frustriert. „Und er muss verdammt viel Negativität besitzen.“

Auch Simone sah nun weniger entspannt aus, was Kuroganes Herzschlag abrupt schneller werden ließ.

„Ich hätte mir nie vorstellen können, dass jemand so viel Magie auf einmal aufnehmen könnte. So schwerwiegende Folgen in so kurzer Zeit hatte ich beim besten Willen nicht erwartet. Du meine Güte, was ist denn mit ihm, dass er ein dermaßen schweres Herz hat?“

„Aber, aber ihr könnt Fye doch helfen, ja? Ihr könnt ihn wieder gesund machen, ja?“, jaulte Mokona zu Tode verängstigt.

„Ein bisschen was muss er uns schon entgegen kommen“, antwortete Simone ernst. „Er muss auch zu uns zurückkommen wollen.“ Sie drehte ihren Kopf in Kuroganes Richtung, als sie bemerkte, wie eine seine Hände unschlüssig in der Luft über Fyes Kopf schwebte und sich wieder zurückzog. „Es ist in Ordnung. Du darfst ihn anfassen.“

Die Hand zuckte kaum wahrnehmbar, bevor sie ihren Weg auf Fyes Kopf fand.

„Er ist ein Idiot. Das ist sein Hauptproblem.“

Ein flüchtiges Lächeln huschte über das Gesicht der Wächterin. „Die Herausforderung, vor der wir zurückweichen, muss erst noch gefunden werden!“

Voller Inbrunst stimmten die elf anderen ihr zu.

 

Sakura-chan, was machst du an einem so schrecklichen Ort?“ Fye löste sich ein Stück von ihr und sah sie besorgt an. „Du gehörst hier nicht hin.“

Die Prinzessin ergriff seine beiden Hände und setzte sich zu ihm auf den Boden. „Das ist ein grausamer Gedanke, dass du glaubst, du würdest hierher gehören.“

Ich ...“ 'Ich will ja auch nicht hier sein', wollte er sagen, aber dies änderte nichts daran, dass er hier war.

Du hattest in letzter Zeit viele Albträume, nicht wahr?“

Erstaunt riss Fye die Augen auf. „Woher …?“

„Die Magie in der Welt, in der ihr gerade seid, reagiert auf traurige Gedanken. Dein Körper und deine Seele wurden davon beeinflusst und deswegen wurdest du krank.“

Für einen kurzen Moment schloss der Magier die Augen. Das war es also. Er war selbst schuld an seiner Misere.

Oh Fye-san, warum bist du denn nur so traurig?“

Er öffnete seine Augen und sah die Sorge in Sakuras Augen. „Weil ich Angst vor dem Alleinsein habe. Weil ich Angst davor habe, ohne Kurogane und Shaolan und Mokona und dich zu sein.“

Aber wir sind doch bei dir. Zu jeder Zeit.“

Irgendwann werdet ihr das nicht mehr sein.“

Aber jetzt, jetzt sind wir es doch.“

Fye wandte seinen Blick von der Prinzessin ab und küsste sie auf eine ihrer Hände. „Eine Zukunft ohne euch macht mir so sehr Angst, dass ich das Gefühl habe, nicht mehr atmen zu können. Nein. So eine Zukunft will ich nicht.“

„Fye-san … was für eine Gegenwart willst du denn?“

Sein Blick schnellte zu ihr zurück. Hatte Kurogane nicht etwas Ähnliches gesagt?

'Deine Gedanken kreisen nur darum, wie du mit uns sterben könntest. Verschwendest du auch mal einen Gedanken daran, mit uns zu leben?'

Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird“, sagte Sakura resolut. „Selbst wenn man die Zukunft ein Stück weit vorhersehen kann, heißt das nicht, dass sie vorherbestimmt ist. Die Zukunft entsteht aus der Gegenwart. Vielleicht wirst du irgendwann wieder allein sein, vielleicht aber auch nicht. Ist es nicht viel wichtiger, dass du es jetzt nicht bist?“

Wortlos sah er sie an. Wie vertauscht ihre Rollen wieder einmal waren! Er war der Erwachsene, doch sie kümmerte sich um ihn und machte ihm Mut.

Fye atmete tief aus.

Sie hatte Recht. Natürlich. Sakura-chan hatte noch nie Unrecht gehabt.

Er hatte sich so in das Schicksal des Yuis aus Dragoon hineingesteigert, dass er darüber vergessen hatte, dass dies nicht sein Schicksal war. Dieser Yui hatte seinen Kurogane verloren, aber seiner war noch quicklebendig und anstatt sich darüber zu freuen, hatte er nur noch sehen können, dass er ihn irgendwann verlieren würde. Irgendwann. Irgendwann, wenn sie 'Shaolan' und 'Sakura' zurückgebracht hätten und ein langes, gemeinsames Leben gehabt hätten. Dann würde vielleicht der Moment kommen, in dem er sich um alles weitere Sorgen machen sollte. Fye konnte sich gut vorstellen, dass Kurogane es genauso sah.

Der Hauch eines Lächelns glitt über sein Gesicht und erstarrte sogleich wieder.

Seine Einsicht kam zu spät. Sie änderte nichts mehr. Er war jetzt an diesem Ort, weit weg von denen, die er zurückgelassen hatte.

Fye schluckte. ER hatte die anderen zurückgelassen! Was würden sie jetzt tun? Was würde nun aus ihnen werden? Was würde nun aus … - Die Vergangenheit hatte gezeigt, wie Kurogane mit seinem möglichen Verlust umging. Schlecht. Sehr schlecht.

Mit einem Mal war der Magier schrecklich aufgekratzt. Sein Atem raste und sein Herz überschlug sich fast. Besorgt intensivierte Sakura den Druck, mit dem sie die Hände des Blonden mit ihren eigenen umschlossen hielt.

Fye-san?“

Ich habe etwas Furchtbares getan, Sakura-chan. Ich habe etwas getan, von dem ich mir geschworen hatte, es nie wieder zu tun.“

Sie blinzelte ihn mit ihren großen Augen an.

Ich habe … das Herz eines geliebten Menschen gebrochen.“

Aber doch nicht mit Absicht, nicht wahr? Du würdest so etwas nicht mit Absicht tun“, entgegnete sie ruhig.

Nein. Nein, das war nicht meine Absicht.“

Dann wird Kurogane-san bestimmt nicht böse sein.“

Fye war nur für einen flüchtigen Moment verwundert. Das Mädchen war eintausend Mal klüger und weiser als ihr Alter es verriet.

Machst du dir Sorgen um ihn?“, fragte sie weiter.

Ja.“

Die Prinzessin lächelte ein strahlend schönes Lächeln. „Sonst macht er sich ja meistens Sorgen um dich. Das ist schön, dass ihr beide aufeinander aufpasst.“

Sakuras bezauberndes Lächeln beruhigte ihn ein wenig und er erwiderte es sogar. „Eigentlich habe ich mir immer gewünscht, dass er sich nicht so sehr um mich sorgen würde.“

Das macht er nur, weil er weiß, dass du viel zu wenig an dich selbst denkst.“

Der Magier stutzte. So hatte er es noch nie betrachtet.

Wenn du besser auf dich aufpasst, wird er weniger Sorge um dich haben.“

Fye stutzte von neuem. Sakura wusste so viel über seine aktuelle Lage, aber sie sprach die ganze Zeit schon so, als -

Willst du ab jetzt besser auf dich aufpassen, Fye-san?“

Irritiert starrte er sie an. „Sakura-chan, ich … ich bin doch ...“

Versprichst du mir das noch? Wir müssen wieder Abschied voneinander nehmen.“

W-was heißt das?“

Ich kann nur so lange bei dir bleiben, wie der Traum andauert.“

Traum?“ Verdutzt blickte er in die nun leicht betrübten Augen seiner Gefährtin.

Ich weiß, dass wir uns bestimmt bald wiedersehen, deswegen will ich jetzt nicht traurig sein“, antwortete sie tapfer, während sie langsam durchsichtig zu werden schien.

In Windeseile fiel der Magier dem Mädchen ein weiteres Mal um den Hals.

Ich verspreche es dir, Sakura-chan! Ich verspreche es dir!“

 

„Na bitte!! Wer sagt's denn!!“ Simone reckte jubelnd ihre Hände in die Höhe.

„Niemand zwingt uns in die Knie!!“ Monique stieß einen lautstarken Jubelschrei aus und auch die anderen Wächterinnen schrien frohlockend und erleichtert auf und durcheinander. Manche lagen sich sogar in den Armen.

Aufs Äußerste verwirrt und irritiert kniff Fye ein paar Mal die Augen zusammen.

Was war hier los? Wo war er überhau-

„FYEEEEEEE!!“ Eine Sturzbäche weinende Mokona kam in sein Sichtfeld.

„Fye-san, kannst du mich hören? Wie geht es dir? Kannst du sprechen? Oder blinzele nur, wenn das nicht geht. Hast du noch Schmerzen? Fühlt sich irgendetwas seltsam an?“ Shaolan, der Mokona hielt (und im Moment auch davon abhielt, auf den Erwachten drauf zu springen), überschlug sich fast mit seinen Worten. Seine den Magier wachsam beobachtenden Augen schwankten zwischen Bestürzung und Erleichterung hin und her.

Plötzlich wurde er sich der Hand auf seinem Kopf gewahr. Fyes Augen wanderten ein Stück nach oben und – erblickten die sauertöpfischste, angefressenste Miene, die er je gesehen hatte.

„Gut. Du bist wach. Dann kann ich dich jetzt töten.“

„Hey, hey, hey, nix da!“, widersprach Monique empört. „Du hast keine Vorstellung, wie anstrengend das gerade war. Ich habe keine Lust, das für die Katz gemacht zu haben!“

Fye wollte etwas sagen und musste erst einmal husten. Mit einem Mal waren alle still und blickten ihn erwartungsvoll an.

„Ich … ich habe irgendetwas verpasst, oder?“

Simone kicherte leise. „Lassen wir sie für den Moment allein. Sollte etwas sein, findet ihr mich im Flur.“ Sie gab den restlichen Wächterinnen ein Zeichen, ihr nach draußen zu folgen, was diese unverzüglich taten.

„Hey“, brummte Kurogane, bevor sie die Tür schlossen, „danke.“

Ein erneutes Glucksen später waren sie unter sich.

Vorsichtig setzte Fye sich auf. Umgehend stützte Kurogane ihn ab, wohl aus Angst, er könnte wieder umfallen. Der Magier legte eine seiner Hände auf eine der Größeren, die ihn aufrecht hielten.

„Ich ...“, begann er zaghaft, „ich muss mich für eine ganze Menge entschuldigen.“

„Nicht doch.“ Shaolan schüttelte sofort den Kopf. „Ich bin nur heilfroh, dass es dir wieder besser geht.“

Mokona hüpfte auf Fyes Schoß. „Mokona hat so Angst gehabt! Aber wenn du versprichst, deine Sorgen nicht mehr für dich zu behalten, dann will Mokona dir verzeihen!“

Fyes andere Hand legte sich behutsam um das Wollknäuel. „Ich verspreche es euch. Ich habe ziemlichen Mist gebaut. Und das soll nie wieder vorkommen.“

„Das hoffe ich für dich“, grummelte es neben ihm. „Ich will eine ausführliche Entschuldigung und das Versprechen am besten schriftlich.“

Obwohl dies mit großer Wahrscheinlichkeit Kuroganes voller Ernst gewesen war, musste der Magier lachen. „Du kannst meine Schrift doch gar nicht lesen, Kuro-pon.“

„Dann diktier's dem Bengel und wir lassen das von irgendwem beglaubigen.“

„Mein Wort allein reicht dir nicht?“

„Nie und nimmer.“

Fyes Lachen wurde lauter. „Sakura-chan hat mir mein Versprechen eben einfach so abgenommen.“

Er spürte alle Augen auf sich.

„Sakura-chan?“ Shaolan tauschte einen Blick mit Kurogane aus.

„Mmm-hmm. Sie hat mir im Traum Gesellschaft geleistet.“ Die Erinnerung an ihre Begegnung erfüllte Fye spürbar mit Freude.

„Sakura-chan hat ebenso Simone vorgewarnt, dass wir hier auftauchen würden“, erklärte Shaolan. „Daher ahnten die Wächterinnen, was mit dir passieren könnte. Die Magie dieser Welt -“

„Ich weiß. Sakura-chan hat mir alles erzählt.“ Nachdenklich strich Fye über Mokonas Rücken und machte eine Pause, um sich auf das vorzubereiten, über das er sprechen musste – über das, was ihm sein Herz überhaupt erst so schwer gemacht hatte. „Der Magier aus Dragoon … er hatte die gleiche Seele wie ich.“ Er fühlte, wie die Anspannung der drei anderen schlagartig zunahm. „Er hatte nicht damit umgehen können, dass er jemanden, den er über alles geliebt hatte, überlebt hatte und deswegen hatte er seinem eigenen Leben ein Ende bereitet. Und ich … ich bekam plötzlich Angst.“

Ein bleischweres Schweigen herrschte nun in dem geräumigen Saal. Ein Schweigen, das recht ruppig durchbrochen wurde.

„Du bist ein Idiot. Und der Kerl, der die gleiche Seele wie du gehabt haben soll, war auch ein Idiot, aber für ihn können wir nichts mehr tun. Du hingegen bist noch da, auch wenn du dir alle Mühe gibst, damit das nicht so bleibt. Du bist fast draufgegangen, weil du Angst hast, uns zu überleben. Ich muss dir die Ironie nicht erklären, oder?“

Blinzelnd schüttelte Fye den Kopf.

„Bevor du Blut spuckend zusammengeklappt bist, hast du deine Magie verflucht. Du hast gesagt, wenn sie nur nicht wäre, wäre alles besser, aber ich sage dir eins: Wenn deine Magie nicht wäre, wären wir uns nie begegnet, du Trottel.“

Der Magier starrte den Schwarzhaarigen mit offenem Mund an. Da hatte er nicht Unrecht.

„Ich weiß auch nicht, was die Zukunft bringen wird, ist mir auch egal“, fuhr Kurogane fort, „wichtig ist die Gegenwart. Und gegenwärtig finde ich den Gedanken unerträglich, dass du nicht weiterleben willst, wenn ich einmal nicht mehr bin. Wenn ich irgendwann einmal abtreten sollte, lange, lange nachdem wir die Kinder zurückgebracht haben, und du dich einsam fühlen solltest, dann gehst du zu den Kindern und deren Kind und dann zu dessen Kindern und so weiter, denn die wollen dich mit Sicherheit um sich haben. Verstanden?“

Die Stille, die nun in der Halle herrschte, war nicht mehr bleischwer – es wusste einfach niemand etwas darauf zu antworten. Fye war sprachlos, dass Kurogane sich allem Anschein nach bereits derart viele Gedanken um diese Sache gemacht hatte. Es hatte nicht so geklungen, als wäre ihm das alles gerade spontan eingefallen. Shaolan war derweil bei der Erwähnung seiner potentiellen zukünftigen Kinder rot angelaufen. Er räusperte sich verlegen.

„Fye-san, Kurogane-san hat Recht. Wir wissen nicht, was noch alles auf uns zukommen wird, aber ich weiß ganz sicher, dass es immer jemanden geben wird, der will, dass du lebst.“

Der sichtlich ergriffene Magier fand immer noch keine Worte. Stattdessen liefen ein paar einzelne, stille Tränen seine Wangen hinab.

„Sprich lieber aus, was du denkst“, mahnte Kurogane ihn. „Ich habe keine Lust, dass du gleich schon wieder ohne Vorwarnung umfällst.“

Die Hand, die Mokona gestreichelt hatte, wischte die Tränen aus seinem Gesicht, als Fye unwillkürlich lachen musste.

„Womit habe ich euch eigentlich verdient?“

„Das frage ich mir bei dir ständig.“ Der Ninja zuckte mit den Achseln.

„Es ist leider wahr. Ich … ich bin ein Idiot.“ Der Blondschopf lächelte. „Und ich kann meine Ängste nicht so einfach ablegen. Aber wenn ihr es aushaltet mit so einem ängstlichen Idioten zusammen zu sein, dann will ich auch jetzt und hier mit euch zusammen sein und mit euch zusammen sehen, was die Zukunft bringen wird.“

„Mokona will auch mit Fye zusammen zu sein!“

„Ich bin froh, das zu hören, Fye-san.“

Der Dritte im Bunde zuckte nur erneut mit den Schultern.

„Willst du nichts dazu sagen, Kuro-pii?“

„Tsk. Ich will sehen, wie du diesen Worten Taten folgen lässt. Dann reden wir weiter.“

„Da Kurogane-san es eben schon angesprochen hat“, begann Shaolan plötzlich sehr ernst, „wir können vermutlich nicht länger hier bleiben, wenn die Magie dieser Welt Fye-san so leicht Schaden zufügen kann.“

„Der Gedanke kam mir auch bereits.“ Fye nickte bedächtig. „Allerdings scheinen die Zauberkräfte der Wächterinnen extrem stark zu sein. Wir sollten nicht weiterreisen, bevor wir nicht die Gelegenheit hatten mit ihnen über Shaolans Problem zu sprechen. Außerdem müssen wir ihnen noch das mit der Feder erklären.“

„Bist du dir sicher, Fye-san? Nicht, dass du erneut-“

Der Magier ließ von der Hand des anderen Mannes ab und winkte mit dieser ab. „Fragen wir die Wächterinnen, was sie dazu meinen.“

Kurogane machte ein mürrisches Geräusch. „Sie haben uns zwar eben geholfen, aber ich halte sie für ziemlich komische Gestalten.“

„Kann es sein, dass du ein bisschen voreingenommen gegenüber Magiern bist, Kuro-rin?“

„WORAN DAS WOHL LIEGEN MAG!“

„Hmm ...“ Shaolan fasste sich nachdenklich mit einer Hand ans Kinn. „Es gibt noch so viele offene Fragen, was diese Welt betrifft. Soll ich Simone herholen?“

Die zwei Erwachsenen nickten und Shaolan eilte zur Tür. Im Flur standen Simone und Monique und unterhielten sich. Einige der Türen im Gang waren nun geöffnet und der Junge verstand, dass dies die Arbeitszimmer der Wächterinnen sein mussten.

„Oh? Was gibt's?“ Neugierig wandte Simone sich ihm zu.

„Wir … wir hätten noch ein paar Fragen ...“

„Das klingt lustig!“ Monique lud sich selbst mit ein, als die beiden anderen in die Halle zurückkehrten. Beschwingten Schrittes steuerte sie auf Fye zu. „Was macht der Patient?“

„Er fühlt sich viel besser, vielen Dank.“ Der Angesprochene verneigte sich von seiner sitzenden Position aus.

„Hey, kann das wieder passieren?“ Kurogane legte weniger gute Manieren an den Tag.

„Natürlich“, antwortete Simone direkt. „Euer Magier nimmt weiterhin die natürliche Magie unserer Welt auf.“

Fye spürte die plötzliche Anspannung des Ninjas. Und nicht nur er.

„Ganz ruhig“, sagte Monique gelassen, „jetzt sind wir ja gewarnt und behalten ihn im Auge.“

„Eine Sache begreife ich nicht“, warf Shaolan ein, „ich verfüge auch über Zauberkräfte, aber die natürliche Magie dieser Welt scheint auf mich gar keinen Effekt zu haben. Ich spüre sie sogar kaum.“

Die zwei Wächterinnen tauschten unverhohlen einen amüsierten Blick aus.

„Aww, ist das süß“, entfuhr es Monique – und Shaolan kam nicht umher, einen Hauch Hochmut herauszuhören.

Simone kicherte abermals. „Oh, Junge, wie soll ich das ausdrücken, ohne deine Gefühle zu verletzen? Im Vergleich zu uns oder eurem Magier sind deine Zauberkräfte … eher niedlich. Ziemlich niedlich, um ehrlich zu sein.“

Shaolan machte ein Gesicht, als hätte ihm jemand einen Eimer Eiswasser ins Gesicht geschüttet. „Oh“, sagte er nach einer unangenehm langen Pause, „verstehe.“

„Das heißt, Shaolan-kun nimmt nichts von der Magie hier auf?“, hakte Fye nach und Monique nickte energisch.

„Man kann sagen, sie ignoriert ihn, nachdem sie ihn begutachtet hat.“

„Ah“, Fye wurde etwas klar, „deswegen die Unterschiede in unserer Wahrnehmung.“

„Wird Mokona auch ignoriert?“

Die Heilerin beugte sich lächelnd zu dem Wesen hinab. „Nur von der Magie. Wir sind Feuer und Flamme für ein so süßes Ding wie dich. Gut, dass du aus deinem Versteck gekommen bist.“

Das Wollknäuel quietschte zufrieden.

„Wenn ich noch etwas fragen dürfte“, begann Fye freundlich. „Wieso habt ihr eure Zauberkräfte in meiner Gegenwart unterdrückt?“

Simone zuckte schmunzelnd mit den Schultern. „Wir wollten nicht, dass du sofort weißt, wie stark wir sind. Ich wusste anfangs ja nicht, was ihr vorhabt und ob ihr nicht doch gefährlich seid. Alles, was ich hatte, war das Wort dieses Mädchens aus meinem Traum. Und da du deine Magie ebenso unterdrückt hattest, gab ich den anderen Bescheid, dies auch zu tun. Sodass du, hättest du uns unterschätzt und angegriffen, eine Überraschung erlebt hättest.“

Sie schüttelte lachend den Kopf. „Ich weiß nicht, ob dir klar ist, was für ein Kuriosum du für uns bist. Ein männlicher Magier! In all meinen 126 Jahren habe ich so etwas noch nicht gesehen. Wir waren alle sehr, sehr neugierig auf dich. Und dann gibst du dich auch noch als Frau aus und versteckst dieses magische Wesen auf so kuriose Weise! Wir können wohl alle behaupten, dass das Warten auf euer Eintreffen sich gelohnt hat. Zum Glück seid ihr uns in der Tat nicht feindlich gesonnen. Aber selbst wenn dürftest du inzwischen erkannt haben, wie stark wir sind.“ Sie zwinkerte ihm zu, stutzte und fügte ein entschuldigendes Lächeln an. „Ich hoffe, das klang nicht beleidigend. Ich würde niemanden herabwürdigen wollen, der älter ist als ich.“

Fyes Mimik erstarrte bei ihrem letzten Satz. Zögernd blickte er aus dem Augenwinkel zu seinen Begleitern. Shaolan sah verdutzt zu ihm und gab sich gleichzeitig große Mühe, seine Fassungslosigkeit zu verschleiern. Kurogane war der Unterkiefer heruntergeklappt. Keiner von beiden sagte etwas. Fye hatte schon oft befürchtet, dass diese Frage irgendwann aufkommen könnte und er hatte sich vor ihr gefürchtet. Nicht weil ihm sein hohes Alter unangenehm war, nein, das war es nicht – er hatte nur nicht die geringste Ahnung, was er ihnen darauf antworteten sollte. Er hatte längst den Überblick verloren, wie alt er eigentlich war. Es war zuvor auch nie wichtig gewesen. Aber wie klang das, zu sagen, dass man so alt war, dass man nicht mehr wusste, wie alt? Würde es etwas daran verändern, wie sie ihn sahen? Würde es etwas daran verändern, wie Kurogane ihn sah?

„Nicht, Fye! Nicht! Du darfst nicht traurig werden in dieser Welt! Das ist schlecht!“ Mokona wibbelte auf seinem Schoß nervös auf und ab.

„Tut mir leid“, flüsterte der Magier entmutigt, „selbst wenn ich wollte, ich könnte euch nicht sagen, wie a-“

„Tsk“, machte Kurogane nonchalant, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, „geistig bist du etwa fünf Jahre alt.“

Jetzt war es an Fye, verdattert dreinzublicken. Mit großen Augen sah er den Ninja ein paar Sekunden an, ehe er lächelte. „Du bist ein alter Charmeur, Kuro-sama.“

Kurogane erwiderte das Lächeln, bevor er heftig ins Stutzen geriet. Man konnte sehen, wie gerade eine Erkenntnis über ihn hereinbrach. „Moment. Moment!“ Sein missmutiger Blick landete auf den beiden Frauen. „Wenn ihr von Anfang an wusstet, dass der Magier ein Mann ist und er das Wollknäuel unter seiner Kleidung versteckt, was sollte dann das 'werte Freundin' und die Sorge um das Kind??“

Die Wächterinnen sahen ihn ernst an.

„Ist dir nicht klar, warum wir das getan haben?“, fragte Simone trocken.

Überfragt schüttelte er den Kopf.

„Um euch zu ärgern!“, platzte es aus Monique heraus und die zwei Damen brachen in lautstarkes Gelächter aus.

Wie der Ninja so dastand und derart dumm aus der Wäsche guckte, wie er es noch nie zuvor getan hatte, prusteten zu seinem gesteigerten Unmut auch noch Fye und Mokona los.

„Ich meine …“, Simone wischte sich die vor Lachen geflossenen Tränen weg, „das war auch ein guter Weg, um etwas über euch zu erfahren. Ab da waren wir uns sehr sicher, dass eine wunderliche Gruppe wie eure keine bösen Absichten hegt.“

„Kurogane-san?“, fragte Shaolan vorsichtig, nachdem dieser scheinbar erstarrt war und nicht einmal mehr mit der Wimper zuckte. „Ist alles in Ordnung?“

Ein tiefes Grummeln erfüllte den großen Raum.

„Knalltüten! Alles Knalltüten!!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wenn ich mich recht erinnere, sagt Yuko über Fyes Alter nur, dass er schon viel, viel länger leben würde als Kurogane … was auch immer das heißen mag.
Das Kapitel wurde etwas zu lang, deswegen kommt Shaolans Geständnis gegenüber den Wächterinnen erst im nächsten und letzten Kapitel. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Lady_Ocean
2022-10-30T10:18:21+00:00 30.10.2022 11:18
Gott sei Dank (oder: Sakura sei Dank) hat Fye noch mal die Kurve gekriegt. Und er ist sich dessen auch bewusst, dass er noch lange an seiner Unsicherheit zu knabbern hat. Aber für den Moment ist er erst mal wieder mit sich im Reinen. Ein Glück. Sakura ist definitiv eine sehr viel bessere Gesprächspartnerin als Kurogane. Sie antwortet ihm ohne auszurasten. Kein Wunder, dass es Fye leichter fällt, sich ihr anzuvertrauen als Kurogane. Wenn Kurogane es schaffen würde, an seiner Beherrschung zu arbeiten, könnte er künft vielleicht auch mehr aus Fye rauskriegen. Dass er selbst sich auch so seine Gedanken über die Zukunft macht, zeigt sein Vorschlag, dass er nach Fyes Ableben bei den Kindern und dann deren Kindern bleiben soll, ja sehr schön. Aber unterm Schnitt haben sowohl Kurogane als auch Sakura recht, wenn sie sagen, dass Fye sich erst mal überlegen soll, was für eine Gegenwart er will. Ich denke, zwischenzeitlich hatte Fye sich auch daran orientiert, aber das Wissen über den Yui aus Dragoon haben ihn echt aus der Bahn geworfen. Immerhin ist ihm während seines Traums klar geworden, wie sehr er die anderen damit verletzt hat. Speziell gegenüber Kurogane ist ihm das bewusst geworden, aber ich denke, im Folgenden, wenn sich die Aufregung legt und er noch mal Zeit zum Nachdenken hat, werden auch Shaolan, Mokona und Sakura wieder präsenter in seinem Denken sein und es wird ihm noch mal bewusst werden, dass er sie damit ebenfalls sehr verletzt hat.
Und Kurogane ist mal wieder ganz der Pragmatiker, der er ist. ^^ Dass er auf Fyes Worte nichts gibt, sondern Taten sehen will, das konnte echt nur aus seinem Mund kommen! Genauso wie Fyes geschätztes geistiges Alter. Ein Kommentar in einer ähnlichen Richtung war mal in einer anderen Fanfic zu den beiden drin. Da hat Fye angemerkt, dass er alt genug ist, um Kuroganes Vater sein zu können. Woraufhin Kurogane erwidert hat, er benehme sich aber, als wäre _er_ der Sohn. ^^
Antwort von:  rokugatsu-go
05.11.2022 15:30
Du hast absolut verstanden, warum Sakura hier vorkommen musste. Kein anderer aus der Truppe eignet sich besser als Gesprächspartner für Fye. Außerdem hängen die beiden ja sehr aneinander. Da Kurogane eher nicht an einem anger management Seminar teilnehmen wird, ist es vorerst ganz gut, Sakura in der Hinterhand zu haben.
Ich muss ehrlich sagen, ich (und Fye wahrscheinlich auch) liebe Kurogane so wie er ist. Er ist nicht nur für Fye der Fels in der Brandung und sein Pragmatismus hilft ihm bei der Erfüllung dieser Rolle sicher ungemein.
Uh, dieser Kommentar aus der anderen FF gefällt mir auch sehr gut! Das ist witzig ... und so wahr. *lach*
Ich danke dir wieder sehr für deinen Kommentar! Ein Kapitel noch; was insofern auch schade ist, weil ich so gerne deine Analysen und Gedanken dazu lese. :)


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