Zum Inhalt der Seite

Zusammen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Unheil

Am nächsten Morgen war Kuroganes Laune vollends im Keller. Der Kleine benahm sich merkwürdig und war noch verbissener als sonst und der trottelige Magier verhielt sich so auffällig, dass dem Ninja nach Schreien und irgendetwas Kaputtschlagen zumute war. Anstatt mit ihm und dem Bengel das Waffenlager des Dorfes zu inspizieren, beharrte der Wirrkopf darauf, mit Mokona zusammen im Haus zu bleiben. Ihm wäre zu kalt und er bräuchte Mokonas Wärme.

Am Arsch!

Der Spinner kam aus einer verdammten Eiswelt; glaubte der, er hätte das vergessen?! Oh nein, niemals würde er irgendetwas von dem vergessen, was mit Ceres oder Valeria zu tun hatte! Niemals würde er irgendetwas von dem vergessen, was er in Ceres gesehen hatte!

Vielleicht lag da das Problem.

Direkt nach ihrer Ankunft hatte Fye beinahe eine Panikattacke gehabt; nur weil er den Schnee und das Eis gesehen hatte. Vielleicht gab es hier einfach zu viel von dem, was ihn an die grausamen Welten erinnerte, in denen er aufgewachsen war.

Kurogane schnaubte innerlich. Konnte der Idiot das nicht einfach sagen? Oder war da noch etwas anderes im Gange?

Eher halbherzig hörte er den Erklärungen Retas und Rohis zu, die ihm und Shaolan das Waffenarsenal zeigten. Magie half nicht gegen das Viech, Schwerter und Pfeile prallten ebenso ab.

Toll. Wirklich toll.

Trotzdem fragte der Ninja, ob er einen Bogen und ein paar Pfeile für Fye mitnehmen könnte. Den Schwachkopf ganz unbewaffnet mit auf Drachenjagd zu nehmen, war kein Gedanke, der ihm gefiel. Genauso wie das Gesicht, das der Alte zog, als er Fye erwähnte.

„Ihr wollt … den Magier mitnehmen?“ Der Kerl gab sich nicht einmal Mühe, die Verachtung in seiner Stimme zu verschleiern.

„Irgendein Problem damit?“, knurrte Kurogane.

So jemand bringt nur Unglück“, konterte Rohi und ahnte nicht, welches Unglück er damit über sich selbst brachte.

Sämtliche Zurückhaltung und Manieren in den Wind schlagend, packte Kurogane ihn wutentbrannt an seinem Kragen und drückte ihn brachial gegen die nächste Wand.

So jemand?? Was soll das heißen??“

Verdattert blieben Shaolan und Reta regungslos im Hintergrund stehen.

„Ich hatte so wenig wie möglich mit dem Magier, der hier gelebt hat, zu tun, aber weil meine Frau immer zu ihm rennen musste, weiß ich ganz genau, was das für einer war“, antwortete Rohi, unbeeindruckt von Kuroganes Wutausbruch. „Einer, der nach den alten Lehren unseres Volkes Unheil bringt, weil er sich mit Leuten des gleichen Geschlechts einlässt. Und euer Magier scheint genau so einer zu -“

„Kurogane-san, nicht!!“, rief Shaolan dazwischen, als der Dunkelhaarige mit einer Faust zum Schlag ausholte. Die Faust verweilte noch einen langen Moment in der Luft, ehe er sie wieder absenkte und dafür den alten Mann kräftig durchschüttelte.

„Unheil, ja? Ging die Geschichte nicht so, dass euer Magier euch eure ehrlosen Ärsche gerettet hat? Er hätte den verdammten Drachen in Ruhe lassen sollen und dafür euch wegsperren sollen!“

„Denken … denken alle Leute eures Volkes so?“ Bekümmert wandte sich Shaolan an Reta, der eiligst den Kopf schüttelte.

„Nein. Nur noch ein paar der Älteren. Keiner weiß mehr so wirklich, woher dieser unsinnige Aberglaube eigentlich kam.“

Beleidigt presste Rohi seine Lippen zusammen, bevor Kurogane ihn noch einmal mit ganzer Kraft in die Wand rammte und ihn dann fallen ließ.

„Abergläubische Vollidioten!“ Zornig stapfte er aus dem Lagerraum hinaus.

Die kalte Luft brannte in seinen Lungen und tat dennoch nichts dafür, dass er sein erhitztes Gemüt abkühlen konnte. Unheil! Wenn er dieses verfluchte Wort noch einmal hörte, würde er ausrasten! Was stimmte mit den Leuten nicht? Irgendwo gab es wahrscheinlich auch eine Welt, in der man blonde Haare für unheilvoll hielt. Oder blaue Augen. Oder eine Vorliebe für Süßkram. Es war nicht Fye, der Unheil brachte, es waren die Leute, die ihn für unheilbringend hielten.

Wütend kickte er gegen den Schnee, der auf dem Boden lag, als Shaolan sich ihm vorsichtig näherte.

„Kurogane-san?“

Der Angesprochene hörte auf, seinen Unmut an dem Schnee auszulassen und hob eine Hand, um anzuzeigen, dass er sich beruhigt hatte.

„Kein Wort darüber zu dem Magier.“

Shaolan nickte.

 

Fye beeilte sich, Mokona nach dem erneuten Gespräch mit Watanuki wieder aufzuwecken. Wenn sie schon wieder schlief, nachdem sie bei ihm geblieben war, wäre das zu auffällig – und Kurogane hatte ja eh bereits Lunte gerochen. Watanuki hatte in Yukos Aufzeichnungen nur eine einzige Methode gefunden und die klang nicht nach einer guten Idee. Die Erfolgsquote bei diesem Fluch war so gering, dass Fye nicht groß darüber nachdenken musste. Bei seinem Glück würde der Fluch ihn direkt killen – und das konnte er den anderen nicht antun. Nicht nachdem sie – und besonders einer von ihnen – so viel auf sich genommen hatten, um ihn am Leben zu erhalten. Außerdem … wollte er bei ihnen bleiben.

Also war er erst einmal dabei verblieben, Watanuki darum zu bitten, weiterzusuchen. Aber was, wenn es keinen anderen Weg gab?

Mokona gähnte und hopste sogleich nach dem Erwachen in seine Arme.

„Konnte Watanuki dir nicht helfen?“

Mit abwesendem Blick gab er ihr einen Kuss auf den Kopf. „Nein.“

„Dann fragst du jetzt Kurogane und Shaolan um Hilfe?“

„Noch nicht.“

„Dann will Mokona helfen!“

Der Eifer des kleinen Wesens ließ ihn trotz der Schwere seines Herzens schmunzeln. „Oh? Die anderen kommen wieder-“ Er stockte, als die zwei ins Zimmer kamen. Einer von beiden hatte deutlich schlechte Laune. Verwirrt musterte er sie, bevor er in Shaolans Richtung wisperte: „Ist etwas passiert?“

Der Junge kaute augenblicklich auf seiner Unterlippe. „Na ja, es … es wird sehr schwierig, den Drachen zu töten.“

„Aha …?“ Log Shaolan ihn da gerade an? Ausgerechnet Shaolan? Oweia, färbte er etwa auf den Jungen ab? War er ihm ein schlechtes Vorbild? Aber Shaolan orientierte sich doch sonst mehr an der Aufrichtigkeit in Person – die nur grummelte und knurrte, als Mokona fragte, warum er so wütend war.

„Äääh“, machte Fye verlegen, „ich weiß, das klingt ausgerechnet von mir jetzt ein bisschen … komisch, aber … verheimlicht ihr etwas vor mir?“

„Nein!“, rief Shaolan wie aus der Pistole geschossen. Oh weh, war der Junge ein schlechter Lügner.

„Ich bin einfach nur froh, wenn wir diese Welt wieder verlassen können“, brummte Kurogane und ließ dies seine ganze Antwort sein.

Fyes Verwirrung nahm beim Abendessen zu. Rohi saß abseits von ihnen und fixierte mit angesäuerter Miene entweder die Schüssel in seinen Händen oder den Boden unter sich, während Ruka ihm giftige Blicke zuwarf (zudem hatte Fye mitbekommen, wie sie sich draußen wegen irgendetwas angeschrien hatten; er hatte allerdings nicht verstehen können, um was es dabei gegangen war). Reta hatte ihn selbst in ein auffallend bemühtes Gespräch darüber verwickelt, wie es um seine Bogenschießkünste stand und wo er dies denn gelernt hatte. Der Magier hatte ihm freundlich alle Fragen beantwortet, kam aber nicht umhin, bei der angespannten Atmosphäre innerlich eine gequälte Grimasse zu ziehen. So fühlte es sich also an, wenn andere Geheimnisse vor einem hatten? Autsch. Ein wirklich blödes Gefühl war das.

Es half ihm definitiv nicht dabei, sich in irgendeiner Weise besser zu fühlen.

 

„Wollknäuel, du bleibst beim Magier.“

Kurogane schnappte sich Mokona, die es sich auf seinem Kopf bequem gemacht hatte und warf sie Fye zu. „Ich sage es euch ein letztes Mal: Wenn irgendwas schief geht, brechen wir die Aktion ab. Verstanden?“

„Schon beim ersten Mal, Kuro-rin.“

„ … Ja.“

„Einer von euch beiden hat mich nicht überzeugt und es war schockierenderweise niemand mit einem furchtbar falschen Lächeln.“

Ertappt zuckte Shaolan zusammen, ehe er mal wieder eine große, schwere Hand auf seinem Kopf spürte. Kurogane seufzte.

„Hör zu, egal, wie wichtig dir das hier ist, es hat keiner was davon, wenn du dabei drauf gehst. Verstanden?“

Zaghaft nickte der Junge, bevor Fye sacht seine Schultern drückte.

„Papa ist nur so streng, weil er nicht will, dass dir etwas zustößt. Wir killen den Drachen schon irgendwie. Mach dir darüber keine Sorgen.“ Er zurrte den Köcher mit den Pfeilen darin an seinem Körper fest.

Abmarschbereit traten sie in den Wohnraum, wo Ruka und Reta nervös warteten. Rohi wanderte derweil im Dorf umher.

„Ihr müsst das nach wie vor nicht tun“, äußerte Ruka besorgt.

„Auch wenn ihr meint, der Drache müsste einen Schwachpunkt haben, das ist zu gefährlich“, stimmte Reta ihr ebenso angstbesetzt zu.

Der Schwachpunkt war Fyes Einfall gewesen. Wenn man ein mächtiges Wesen erschuf, so lautete seine Logik, versah man es auch mit einem Ausschalter. Kein Zauberer wäre so dämlich, diese einfache Grundregel außer Acht zu lassen.

„Wir wissen nicht, ob wir erfolgreich sein werden“, sagte Shaolan bestimmt, „doch wir werden es auf jeden Fall versuchen.“

„Ich will irgendwem den Kopf abschlagen. Also lasst uns endlich das Echsenvieh suchen.“

„Kuro-tan, manchmal kannst du wirklich schlimm sein.“

„So brutal!!“

Ruka und Reta sahen der scheinbar unerschütterlichen Gruppe noch lange hinterher, nachdem sie das Dorf verlassen hatte.

Ihr Plan sah vor, dass sie dem Drachen in der Nähe seiner Höhle, zu der er sich mehrmals am Tag zurückzog, auflauerten. Kurogane und Shaolan würden ihn einen Kampf verwickeln, um Fye und Mokona die Gelegenheit zu geben, nach dem erhofften Schwachpunkt Ausschau zu halten.

Ein eisiger Wind wehte ihnen auf dem Weg zur Höhle entgegen, sodass Shaolan seinen Umhang noch fester um sich zuzog. Kurogane marschierte vornweg und meckerte über das Wetter, Fye trottete dicht hinter ihm selbst her und warf immer mal wieder einen besorgten Blick gen Himmel. Shaolan war so froh, die beiden bei sich zu haben und fühlte sich gleichzeitig schuldig dafür. Womit hatte er sie überhaupt verdient?

„Hey“, Kurogane warf einen Blick über seine Schulter zurück, „konzentrier dich.“

Ertappt schreckte der Junge zusammen, während Fye zu ihm aufschloss und ihm zuraunte: „Manchmal glaube ich, er riecht es, wenn man einen düsteren Gedanken hat.“ Er zwinkerte dem Jüngeren zu und ließ sich wieder zurückfallen. In dieser Formation stapften sie durch die Schneemassen den Berg hinauf, bis sie direkt vor der Höhle ihres gesuchten Zieles standen.

„Scheint nicht da zu sein.“ Kurogane blickte mithilfe eines Lichtzaubers seines blonden Gefährten in die dunkle, doch überschaubare Höhle.

„Kaum zu glauben, wie enttäuscht du klingst.“

„Die Aussicht, ewig in der Kälte zu stehen, um auf das Vieh zu warten, reizt mich eben nicht besonders.“

„Reta sagte, der Drache würde mehrmals täglich hierher einkehren, um sich auszuruhen.“ Shaolan stand hinter seinen Kameraden am Höhleneingang. „Vielleicht müssen wir nicht zu lange wa-“

Das ohrenbetäubende Geräusch gigantischer Flügel unterbrach seine Erklärung und ließ ihn erschrocken herumwirbeln. In der Ferne erkannte er den Drachen, der genau auf sie zuflog – und alles andere als begeistert zu sein schien, dass da Fremde an seinem Schlafplatz standen. Er zog das Tempo an und kam noch schneller auf sie zu.

„Na also.“ Mit einem martialischen Grinsen stellte Kurogane sich neben Shaolan und zog sein Schwert.

„Ein bisschen irre siehst du schon aus“, neckte Fye und entlockte dem Ninja ein Grummeln.

„Je eher wir wieder aus dieser Kälte herauskommen, desto besser.“

Der Drache verlangsamte sein Tempo wieder und blieb vor ihnen in der Luft stehen. Umgehend spie er seinen Feueratem in ihre Richtung, sodass Kurogane und Shaolan zur einen Seite ausweichen mussten, während Fye und Mokona sich zur anderen Seite in Sicherheit brachten.

„Kurogane war ja schließlich kalt“, kommentierte Mokona unerschrocken.

„Ich glaube, das hatte er nicht gemeint.“ Fye lachte und richtete seinen fokussierten Blick auf die Riesenechse, die vor ihnen in der Luft flatterte und zum Angriff auf die beiden Schwertkämpfer überging. Anscheinend hatte sie einen Narren an Shaolan gefressen, denn die Feuerattacken konzentrierten sich auf den Jungen, der so immer weiter von Kurogane weggetrieben wurde. Der Ninja wiederum hatte frustriert festgestellt, dass wirklich keine einzige seiner Spezialtechniken dem Drachen einen Kratzer zufügen konnte. Jede einzelne wurde sofort mit einem einfachen Schlag des ellenlangen Schwanzes zurückgeschleudert und er sah sich gezwungen, seinen eigenen Angriffen auszuweichen. Shaolan erging es nicht anders und mit einem Mal bemerkte der Junge panisch, dass er im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken zur Wand stand: Der Drache hatte ihn bis an das Gesteinsmassiv getrieben und keine Möglichkeit zur weiteren Flucht gelassen.

„Scheiße!!“, brüllte Kurogane gegen den heulenden Wind, während er losrannte, um zu ihm zu gelangen.

„Hm.“ Mit ruhigem Blick beobachtete Fye die Situation, zog einen Pfeil aus dem Köcher auf seinem Rücken und spannte ihn in den Bogen. Mokona entging weder das flüchtige Leuchten des Pfeiles, noch die Magie, die sie kurz gespürt hatte. Aber wen oder was visierte Fye da an? So wie er den Bogen hielt gewiss nicht den Drachen.

Der Pfeil sauste durch die Luft, an der Echse vorbei und schlug knapp neben Shaolans Kopf in das Gestein hinter ihm ein. Die Spitze, die sich in den Fels bohrte, begann zu glühen und in Sekundenschnelle formierten sich bunte Linien und Symbole auf dem Gestein, die hell strahlten. Als würde ihn plötzlich etwas irritieren, stellte das Ungetüm seinen Angriff ein und wich zurück.

Überwältigt von solch starker Magie begriff Shaolan, was der Magier getan hatte. Er hatte mit dem Pfeil eine Barriere zu ihm transportiert. Leider blieb ihm für die Bewunderung dieser Fähigkeiten nicht viel Zeit; das Leuchten ebbte wieder ab und die Symbole verschwanden wieder. Geistesgegenwärtig nutzte Shaolan die gewonnene Zeit, um aus seiner miserablen Position zu entkommen und zurück auf das breitere Plateau vor dem Höhleneingang zu fliehen. Der Drache hatte sich mittlerweile von seinem Schrecken erholt und drehte sich von neuem zu Shaolan um, der bei Kurogane angekommen war.

„Das ist interessant“, murmelte Fye, als er die Bewegungen des Drachen beobachtete. „Kuro-sama“, rief er hinüber, „greif ihn noch einmal an!“

„Hatte ich sowieso vor!“ Der Ninja schleuderte einen weiteren Angriff auf das Monstrum vor sich. Wie all die Male zuvor wehrte der Drache die Attacke mit einem Hieb seines Schwanzes ab, während er mit kleinsten Bewegungen seiner Flügel an Ort und Stelle verharrte.

Konnte es sein …? Ohne lange darüber nachzudenken, spannte Fye den nächsten Pfeil in seinen Bogen und zielte hoch in die Luft. Er feuerte den Pfeil ab, der – mit magischer Unterstützung – einen losen Felsbrocken auf einer höheren Stelle des Berges traf. Das tonnenschwere Gestein brach los und stürzte auf den Drachen hinab. Doch statt seine gewaltigen Schwingen auszubreiten, um das von oben kommende Gestein aufzuhalten, schnellte erneut der Schwanz des Tieres empor und wehrte so das steinerne Geschoss ab.

„Alles klar.“ Das kampflustige Grinsen schlich sich zurück auf Kuroganes Gesicht.

„Seine Flügel?“, hakte Shaolan grübelnd und letztlich begreifend nach. „Ist die Schwachstelle unter seinen Flügeln?“

„Er weigert sich strikt, seine Flügel auszubreiten. Das heißt, er will irgendeine Stelle auf deren Unterseite beschützen.“

Dem Drachen jedoch war in der Zwischenzeit aufgefallen, wer ihn ständig störte. Mit einem blitzschnellen Dreh preschte er auf Fye zu, unterband mit seinem Feuerstrahl geschwind den Versuch des Magiers eine Barriere aufzubauen, sodass diesem nur das Zurückweichen blieb (nachdem er Mokona hastig in Sicherheit geworfen hatte) und rasend schnell schoss der Schwanz des Drachen nach vorn, packte sein Opfer an einem Bein und warf es mit voller Wucht zu Boden.

Der laute Schmerzensschrei des Magiers hallte durch die gesamte Umgebung.

Fye war, als hätte er den Knochen in seinem Bein brechen hören und ein stechender Schmerz, als würde jemand ihm sein Bein abreißen, schoss durch ihn hindurch. Übelkeit stieg in ihm auf und ihm wurde schwarz vor Augen.

„Mist“, presste er gepeinigt und Auge in Auge mit dem vor ihm schwebenden Drachen hervor. „Mein Glück ... mal wieder.“ Verschwommen konnte er sehen, wie sein Gegenüber sein Maul öffnete, um erneut Feuer daraus zu spucken. Panik ergriff ihn. Er konnte ihm so nicht entkommen. Aber … er durfte hier und jetzt nicht sterben. Nein … er wollte nicht sterben! Und doch-

Fye schloss seine Augen, als das Feuer das Maul des Drachen verließ.

Sie flogen wieder auf, als er zwar die Hitze spürte, die Flammen ihn direkt aber nicht trafen. Sein Herz blieb beinahe stehen, als er sah, warum dem so war.

Kurogane hatte sich schützend über ihn geworfen.

Mit zusammengebissenen Zähnen und schmerzverzerrtem Gesicht bekam der Ninja den Feuerstrahl ab, der für den Magier bestimmt gewesen war. Im Hintergrund hörte man Shaolan panisch schreien. Im gleichen Atemzug griff der Junge mit einer seiner Spezialtechniken den Drachen an und unterbrach so dessen Attacke auf die beiden anderen. Der Drache wollte Fyes zertrümmertes Bein loslassen, um Shaolans Angriff zu parieren, doch sah sich plötzlich außer Stande dies zu können. Um seinen Schwanz herum leuchteten Symbole strahlend auf und hielten ihn davon ab, sich wegzubewegen.

Elendig keuchend blickte Kurogane von den aufleuchtenden Zeichen hin zum nicht minder elendig aussehenden Magier, dessen Teint der Farbe des Schnees glich und der um Luft rang. Der Ohnmacht nahe hatte Fye mit letzter Kraft eine weitere Barriere errichtet. Dem Drachen blieb nichts anderes übrig, als Shaolans Angriff mit einem seiner Flügel abzuwehren.

Die Schwinge hob sich nur einen kurzen Moment lang, aber in Kuroganes Sichtfeld existierte nichts mehr außer dem Feind vor ihm; nichts mehr außer dem Wunsch, seine Liebsten zu beschützen, indem er dieses Ungetüm nun tötete. In diesem kurzen, flüchtigen Moment, in dem die winzige, schuppenfreie, ungeschützte Stelle auf der Unterseite des Flügels alles war, was er sehen konnte, schleuderte er mit seinem linken Arm sein Schwert genau dort hinein. Der Drache kreischte auf, schien in der Luft geradezu zu erstarren und fiel abrupt zu Boden - leblos wie der Fels, den er zuvor weggeschlagen hatte.

Der Ausschalter.

Magier waren doch nicht so blöd, wie er immer angenommen hatte.

Kraftlos und das Bewusstsein verlierend, fiel Kurogane in den Schnee; die angsterfüllten Schreie Shaolans und Mokonas nahm er nicht mehr wahr.

 

Kuroganes im Halbschlaf noch verschlossenen Lippen entwich ein schmerzerfülltes Ächzen. Sein rechter Arm und sein Rücken brannten, als würde er noch immer von dieser dämlichen Echse geröstet werde-

Die dämliche Echse!

Seine Augen sprangen auf und er wäre es genauso, wenn er sich vor Schmerzen hätte rühren können.

„Vorsicht! Vorsicht!“ Die Frau, die an seine Seite eilte, signalisierte ihm mit hektischen Gesten, dass er liegen bleiben sollte. War das nicht … Ruka?

„Kuro-tan? Bist du wach?“

Der Kopf des Ninjas schnellte zur anderen Seite. Ein schwaches, erschöpftes Lächeln begrüßte ihn dort neben sich – und ließ ihn hörbar aufatmen. Der Idiot lebte also noch, fehlten nur …

„Ah, endlich! Endlich! Mokona hatte schreckliche Angst, weil Kurogane so lange geschlafen hat!“

„Wie geht es dir? Hast du schlimme Schmerzen?“

Der Blick des Dunkelhaarigen wanderte nach oben. An Fyes Seite standen Shaolan (mit einem Ausdruck in den Augen, als würde er gleich anfangen zu heulen) und Mokona, die er in Händen hielt und die unverhohlen heulte. Waren sie wieder im Haus des Ältesten?

„Was ...“ Kurogane musste sich räuspern. Seine Stimmbänder fühlten sich schrecklich rau an. „Was ist mit der Echse?“

Shaolans Blick wurde ernst. „Der Drache ist tot.“

Den Schmerzen zum Trotz musste Kurogane lächeln. Es war kein triumphierendes Grinsen, wie er es sonst schon mal an den Tag gelegt hatte. Es war ein zufriedenes Lächeln. Drache tot, Gefährten noch am Leben. So gefiel ihm das.

„Ich kann nicht fassen, dass ihr das wahrhaftig geschafft habt“, Ruka klang ergriffen, „ich habe es den anderen bereits gesagt, aber auch dir möchte ich es noch sagen: Vielen Dank. Wir danken euch allen von Herzen. Wir werden für immer in eurer Schuld stehen.“

„War keine große Sache.“ Aus dem Augenwinkel heraus konnte er Fye mit den Augen rollen sehen.

„Ich wünschte nur, wir könnten mehr für euch tun“, fuhr Ruka bedauernd fort. „Unsere Medizin hilft nicht viel bei so starken Verletzungen. Ihr beide müsst schreckliche Schmerzen haben.“

„Lässt sich aushalten.“

„Shaolan-kun? Schlägst du ihn bitte einmal kräftig für mich?“

„HÄH??“

„Äh, ich-ich möchte lieber nicht-“

„Mokona macht das!“ Energisch hob der Klops eine kleine Pfote, doch Shaolan ließ sie nicht aus seinem Griff heraus.

„Ruht euch bitte weiter aus“, warf Ruka sichtlich überfordert mit dem Verhalten ihrer Gäste ein. „Ruft mich, wenn ihr etwas braucht.“ Sie verließ das Zimmer.

„Wie sind wir hierher gekommen?“, fragte Kurogane, den blassen Magier neben sich so gut es ging musternd.

„Nachdem der Drache tot zu Boden gestürzt war und ihr das Bewusstsein verloren hattet“, begann Shaolan zu erzählen, „wollte ich zurück zum Dorf laufen, um Hilfe zu holen. Auf halbem Weg kamen mir Ruka und Reta schon entgegen, weil sie sich Sorgen um uns gemacht haben.“

„Verstehe.“

„Kurogane-san, Fye-san, es tut mir so-“

„Kein Wort“, unterband der Ninja harsch seine Entschuldigung. „Wir leben noch.“

Shaolan biss sich auf seine Unterlippe. Es war mal wieder ein verzweifelter Versuch, seine Tränen zurückzuhalten. „Es hätte auch anders ausgehen können.“

„Ist es aber nicht.“

„Ihr seid verletzt.“

„Das mag sein“, schaltete Fye sich in die Diskussion ein, „aber weißt du, was das Gute daran ist?“

Perplex sah der Junge ihn an. „Was … was soll gut daran sein?“

Ein aufrichtiges Lächeln strahlte ihm von einem erschöpften Gesicht entgegen. „Du bist es nicht.“ Der Magier streckte eine Hand zu Shaolan hin aus und berührte ihn sacht am Arm. „Mir wäre es natürlich lieber, keiner von uns wäre verletzt worden. Und ich bin ebenso kein Fan davon, dass Kuro-sama zwischen mich und den Drachen gesprungen ist; vor allem, weil er nicht einmal zugeben kann, wie schlimm die Verbrennungen weh tun müssen“, seine zweite Hand fand den Weg zum Kopf des Ninjas, „aber dir und Mokona ist nichts passiert und keiner von uns ist gestorben. Das ist das Wichtigste. Das ist das, was zählt, Shaolan-kun.“

Der Junge schniefte und japste und dennoch liefen dicke Tränen seine Wangen hinunter. Er hatte seinen Blick gesenkt und Kurogane fragte sich, ob er sich seiner Tränen schämte.

„Du musst müde sein“, sagte Fye, „hast du seit gestern überhaupt einmal geschlafen?“

„Seit gestern?“ Kurogane hob eine Augenbraue.

„Seit gestern, als wir den Drachen getötet haben.“ Der Magier wandte sich ihm wieder zu. „Du hast ziemlich lange geschlafen. Wage es ja nicht, mir je wieder so einen Schrecken einzujagen.“

Oh. Der Ninja blinzelte lediglich. Wenn der Idiot dermaßen wütend klang, dann hielt er lieber die Klappe.

 

Ruka und Reta kümmerten sich in den darauffolgenden Tagen nach Leibeskräften und voller Herzlichkeit um die Verwundeten. Andere Dorfbewohner kamen vorbei, dankten ihnen, brachten ihnen getrocknete Heilkräuter und zahlreiche Hausmittel gegen Brandwunden und bastelten mit Shaolans Hilfe eine improvisierte Schiene für Fyes Bein (der medizinische Standard dieser Welt war in der Tat noch nicht weit entwickelt). Selbst Rohi hatte ihnen sehr kleinlaut gedankt und noch kleinlauter gemurmelt, sie sollten bleiben, bis ihre Verletzungen besser waren.

Aber als nach fast zwei Wochen Kuroganes Verbrennungen immer noch recht schlimm aussahen, wuchs Fyes Sorge, der Andere könnte sich eine Infektion zuziehen und so beschlossen sie, ihr Glück zu versuchen und in eine andere Welt weiterzureisen. Nach Möglichkeit eine, in der es bessere Medizin oder vielleicht sogar Heilzauber gab. Es war riskant, doch sie waren sich darüber rasch einig. Kurogane war die Kälte leid, Fye die Rumliegerei und beide der Umstand, dass Shaolan schuldbewusst um sie herum wuselte.

„Ich hoffe, eure Wunden sind bald verheilt und dass ihr findet, wonach ihr sucht.“ Reta atmete angespannt aus, als sie vor dem Haus des Ältesten Abschied von ihren Gästen nahmen. „Werdet ihr uns irgendwann noch einmal besuchen?“

„Das ist möglich“, antwortete Shaolan, während er sich mit seinen Kameraden aufstellte. Fye hing an Kuroganes unversehrter Seite und während Ersterer selbst daran noch etwas Belustigendes finden konnte, grummelte Letzterer wie gewohnt unzufrieden. Bei den Schnee- und Eismassen dieser Welt machten Krücken nicht viel Sinn und Fye hatte gescherzt, dass, wenn er so mitleiderregend an dem Ninja hing, das Schicksal eventuell Milde zeigte und sie in eine Welt schickte, in denen ihnen geholfen werden konnte.

Mit nachdenklichem Blick verabschiedete Ruka sich von dem Magier. „Fye, wegen unseres Gesprächs damals ...“

Der Blondschopf zuckte merklich zusammen, was Kuroganes Aufmerksamkeit nicht entging.

„Shaolan hat mir ein wenig von euren Abenteuern erzählt und ...“ Sie stockte, unsicher, ob sie ihren Gedanken überhaupt aussprechen sollte. „Ich denke, ich verstehe es jetzt. Es tut mir leid, dass ich dir das gesagt habe. Das war schrecklich unbedacht von mir gewesen.“

Fye erwiderte mit einem leichten Kopfschütteln. „Nein, du hast nichts falsch gemacht. Ich … mir hätte das eigentlich schon vorher klar sein sollen.“ Er spürte Kuroganes fragenden Blick auf sich und ein automatisiertes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Sorge dich nicht darum.“

Mokonas Flügel begannen zu wachsen.

„Habt vielen Dank für eure Gastfreundschaft!“, rief Fye dem mit staunenden Augen zusehenden Paar zu.

Nur einen Augenaufschlag später waren die Reisenden, so schnell wie sie gekommen waren, wieder aus dem Land aus Eis und Schnee verschwunden.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und mit dem Aufbruch der Helden nach Matrisis kehren wir im nächsten Kapitel in die Gegenwart zurück. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Lady_Ocean
2022-10-03T06:06:15+00:00 03.10.2022 08:06
Ich finde es cool, dass du den Kampf gegen den Drachen so kurz und prägnant abgerundet hast. Ich war mir nicht sicher, ob es bis zum Finale nicht noch ein, zwei Kapitel dauern könnte, Und bis zur Weiterreise eventuell noch eins. Aber mich juckt es zu erfahren, wie es in der Gegenwart weitergeht. Deshalb finde ich es echt gut, dass die Geschichte so flott durch diesen kleinen Höhepunkt geflutscht ist. Nun ist also auch klar, wie Fye und Kurogane zu ihren Verletzungen gekommen waren. Hilfe, bei dem Feuerstrahl ist selbst mir das Herz halb stehen geblieben. Ich nehme an, Kurogane wird nach wie vor in irgendeiner Form magisch geschützt sein. Sonst hätte ihn dieser Angriff garantiert das Leben gekostet. Aber es war echt cool, wie sie alle drei gemeinsam den Drachen zur Strecke gebracht haben. Jeder hat auf seine Art einen wichtigen Beitrag geleistet. Ein gut eingespieltes Team. Hat mir sehr gefallen. :)
Und auch der Humor, der immer mal wieder eingestreut war, war herrlich! "„Kurogane war ja schließlich kalt“, kommentierte Mokona unerschrocken." - Oder wie Mokona sich später so bereitwillig anbietet, Kurogane für Fye zu schlagen, nachdem Shaolan es nicht übers Herz gebracht hat. XDDDD

Bei dem Aberglauben, der in dieser Welt bezüglich Magiern herrschte, konnte ich aber nur ähnlich den Kopf schütteln wie Kurogane. Auch wenn ich nicht handgreiflich geworden wäre (gut, wenn sich der Angriff auf meinen Liebsten gerichtet hätte, dessen Leben wegen genau solcher Sachen bereits zur Hölle gemacht worden war, sähe das sicher anders aus), konnte ich es ihm soooo gut nachvollziehen, wie angekotzt er war über diese Vorurteile. Ich war aber froh, dass sich diese Flausen in dieser Welt in den jüngeren Generationen offenbar gelichtet hatten. Meine persönliche Theorie von Valeria wäre ja, dass das Land nur deshalb so schlimm von Unheil heimgesucht worden war, weil so unglaublich viele Menschen an diese Mär der Unheil verheißenden Zwillinge glaubten und die Magie diesem Glauben und dieser Angst Gestalt verliehen hatte. Es hörte damals ja selbst dann nicht auf, als die beiden in ewiges Elend verbannt worden waren. Weil garantiert die Angst der Menschen vor einem "Aber was, wenn das alles doch nicht ausreicht?" nicht verklungen war.
Antwort von:  rokugatsu-go
08.10.2022 14:24
Siehst du, hier war mir der Gedanke gekommen, dass manch einer den Kampf vielleicht zu kurz finden könnte. Ich entscheide mich eigentlich grundsätzlich für das, was mir am besten gefällt und freue mich dann, wenn diese Lösung bei jemandem Zuspruch findet. Jetzt gerade freue ich mich, dass dir der Kampf gefallen hat. ^_^
Ich wollte damit auch zeigen, dass sie ein gut eingespieltes Team sind, wenn auch jeder ständig in seine eigene Gedankenwelt abtaucht. ;)
Ah~, schön, dass dir Mokonas comic relief-Momente gefallen haben! Ich liebe dieses Wollknäuel. XD

Ich stimme deiner Valeria-Theorie so etwas von zu! Die Leute dort wirkten ja regelrecht fanatisch, was den Glauben an den Aberglauben anging. Das Land ist ja trotz der Verbannung der Zwillinge untergegangen (und sie gaben immer noch den beiden die Schuld daran!). Ich habe genau das hier aufgreifen wollen, nur mit dem Twist, dass der Aberglaube irgendwann als genau das und nur das erkannt wird und sich somit langsam auflöst. Kurogane deutet das ebenso an, als er sich darüber aufregt, dass die Menschen immer etwas finden würden, auf das sie ihr Unglück schieben.

Vielen Dank für deinen Kommentar! Du machst mich mit denen immer sehr froh! :)


Zurück