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Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht

von

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3. Januarwoche – 21. Januar, Tag X+1 – In der Nacht werden viele Dinge gesagt und getan, die einem am helllichten Tag peinlich sind

Das Hauptquartier mag nur zu einem Drittel besetzt sein – immerhin ist es Nacht und ein Feiertag hat begonnen – aber Kondō erfährt trotzdem sehr zeitnah von Hijikatas und Yamazakis Ankunft. Und er zögert nur einen klitzekleinen Moment, doch dann schaltet er seinen Laptop aus, wirft sich einen Haori über seinen Schlaf-Yukata, schlüpft in seine warmen Pantoffeln und huscht dann leise durch die dunklen Gänge. Als er an Sōgos Tür vorbeikommt, zaudert er kurz, doch dann entscheidet er sich, den Jungen schlafen zu lassen. Tōshis Räume sind fast nebenan, aber es ist dunkel hinter dem Fusuma und Kondō kann sich ein kleines, wissendes Lächeln nicht verkneifen, als er weiterschleicht.

Es dauert lange, bis er Yamazakis Quartier erreicht, denn es liegt ziemlich weit abseits. Durch die Milchglasscheiben des Fusumas ist ein schwacher Lichtschein auszumachen.

Kondō klopft einmal an den Türrahmen und schiebt dann, ohne eine Antwort abzuwarten, die Tür beiseite.

Er quetscht sich hindurch, sobald der Spalt groß genug für ihn ist und schließt die Tür hastig wieder hinter sich. Er rechnet fest damit, angebrüllt oder doch zumindest angezischt zu werden, doch alles, was ihn empfängt, ist Stille.

Und Tōshis berühmter Todesblick.

Doch er sagt nichts und funkelt ihn nur an. Und dann versteht Kondō auch, warum:

dort auf ihrem Futon liegt Shisako, den Kopf in Hijikatas Schoß gebettet und sie scheint zu schlafen. Sie liegt unter mindestens zwei Decken, zusammengerollt auf der Seite, und eine ihrer Hände ruht zwar über den Decken, aber dennoch auf ihrem Bauch, als habe sie Schmerzen. Oder als wolle sie etwas beschützen, was nicht mehr existiert. Kondō weiß nicht, welcher Gedanke ihn trauriger macht.

Und dennoch ist es ein sehr friedliches Bild.

Und sehr privat.

Kondō weiß nicht, wie lange die beiden schon zurück sind, aber es war eindeutig lange genug, dass Tōshi Gelegenheit hatte, sich umzuziehen und wie immer, wenn der junge Mann nur einen Yukata trägt, wirkt er so unglaublich jung und ganz oft erkennt Kondō dann wieder diesen Teenager mit dem Pferdeschwanz und diesen unglaublich ernsten, blauen Augen in ihm, der er vor zehn Jahren noch war.

Als jemand, dessen emotionale Seite sein Dasein bestimmt, weiß Kondō auch solche Momente und Gedanken zu schätzen und so saugt er dieses Bild regelrecht in sich auf und versiegelt es fest in seinem Gedächtnis, packt es zu all seinen anderen kostbaren Erinnerungen über seine Jungs.

Und – neuerdings – sein Mädchen.

So geräuschlos wie möglich setzt sich Kondō neben Hijikata und ignoriert gekonnt dessen stechenden Blick. Versonnen betrachtet er, wie Tōshis Finger durch Shisakos pechschwarzes Haar streichen, eine so ungewohnte, zärtliche Geste, dass es Kondō unwillkürlich das Herz wärmt, und dann wandert sein Blick weiter in Shisakos immer noch viel zu blasses Gesicht. Sie wirkt so still, als sei sie tot. Und für einen Moment flackert Panik in Kondōs Brust auf, doch dann sieht er, wie sich ihre Brust sacht unter ihren Atemzügen hebt und senkt und seufzt tonlos, aber sehr, sehr erleichtert auf.

„Tetsu wird enttäuscht sein“, wispert er schließlich leise, „er wollte gleich nach dem Frühstück damit anfangen, Shi-chans Zimmer zu schmücken. Mit Blumen, Luftballons und Girlanden, auf denen Willkommen zurück, steht. Er hat schon Muffins für sie gebacken.“

Tōshis Eisblick schmilzt regelrecht dahin, als er das hört.

„Er ist ein guter Junge“, flüstert er zurück.

Kondō nickt nur zustimmend. Sasaki Tetsunosuke war ein hoffnungsloser Fall, als Matsudaira ihn hier anschleppte, aber der Junge hat sich wirklich gut entwickelt. Und alles, was dafür nötig war, war viel Geduld und ein gehöriger Vertrauensvorschuß.

Ein Vertrauensvorschuß... nachdenklich nagt Kondō an seiner Unterlippe herum, den Blick ununterbrochen auf Shisako gerichtet. Jetzt sind sie es, denen ein Vertrauensvorschuß gewährt wird. Jetzt sind sie es, die sich beweisen müssen. Sie müssen Shisako zeigen, dass sie es ernst meinen, dass sie sie nie wieder im Stich lassen werden.

„Sie wollte nach Hause.“ Tōshis leise Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. „Wir haben uns aus dem Krankenhaus geschlichen.“

„Ich werde das regeln“, verspricht Kondō schmunzelnd.

Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass jemand von der Shinsengumi sich aus dem Krankenhaus stiehlt. Tōshi ist ein Meister darin, dicht gefolgt von Sōgo. Und, erstaunlicherweise, der sonst immer so überaus vernünftige Harada. Sogar Yamazaki hat sich gerne und oft selbst entlassen, auch, wenn er bisher immer so höflich war, wenigstens auf seine Papiere zu warten. Dass es diesmal nicht so war, beweist ihm nur, wie sehr sich die Dinge verändert haben.

Oder, fährt es ihm durch den Sinn, vielleicht haben sich die Dinge gar nicht verändert. Vielleicht war Zaki schon immer so und hat sich nur nie getraut, seine... ihre wahre Seite zu zeigen.

Immerhin hat Shisako sechs Mimawarigumi-Offiziere gnadenlos ermordet und besaß dann auch noch die Kaltblütigkeit, in diesen Mordfällen zu ermitteln. Gezwungenermaßen zwar, aber sie hat es trotzdem mit einer Bravour gemeistert, die Kondō mit Stolz erfüllt. Auch wenn der bittere Nachgeschmack überwiegt.

Zaki musste so viel erdulden, und zwar ganz allein und dieser Gedanke verursacht Kondō regelrechte Magenschmerzen.

Shisako ist stark, das hat sie ihnen allen bewiesen, aber er wünschte, sie hätte niemals so stark sein müssen.

„Isao...“ Er schreckt abermals auf, aber diesmal nicht nur, weil Tōshi ihn beim Vornamen nennt, sondern vor allem, weil er plötzlich seine Finger an seiner Hand spürt. Eine zaghafte Geste, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten und bei jemanden wie Tōshi, der eher selten andere von sich aus so vertraulich berührt, ist das wirklich ein ganz besonderer Moment.

„... Shisako möchte, dass ich bei ihr bleibe. Ich werde also heute Nacht hier bei ihr schlafen. Und vielleicht auch noch die anderen Nächte.“ Es ist keine Bitte, sondern eine Feststellung.

Kondō nickt nur und verbeißt sich ein Schmunzeln. Als ob er jemals etwas dagegen einzuwenden hätte, wenn Tōshi endlich mal auf ihn hört!

„Und ich werde morgen zu einem Priester gehen. Er soll für das Kleine beten. Ich kenne einen alten Priester, der zuverlässig ist. Er nimmt nicht nur das Geld und behauptet, dass er betet, er tut es auch. Könntest du in der Zwischenzeit auf Shisako achtgeben?“

Kondō schluckt er einmal schwer und nickt. Natürlich. Natürlich wird er Shisako Gesellschaft leisten.

„Isao...“ Tōshi zögert merklich und als er weiterspricht, ist seine Stimme nicht mehr als ein Raunen und während er spricht, lässt er Shisakos schlafende Miene nicht aus den Augen. „Lass dich nicht täuschen. Sie weint viel heimlich. Lass das nicht zu. Sie soll sich nicht schämen. Sie hat jedes Recht dazu, traurig zu sein.“

„Ich trauere mit ihr“, erklärt Kondō genauso leise, aber auch sehr entschieden. „Die Neujahrsbesuche beim Schrein fallen für mich aus.“ Er weiß nicht, wie es bei den anderen ist, und er wird niemanden von ihnen dazu zwingen, sich ihm anzuschließen, aber für ihn bedeutet Shisako Familie und ihr Verlust ist daher auch seiner.

Tōshi sagt nichts darauf, aber Kondō fühlt, wie er kurz dankbar seine Hand drückt, bevor er seine Finger wieder zurückzieht. Abermals muß Kondō schwer schlucken, aber diesmal ist der Kloß in seiner Kehle nicht so leicht zu besiegen.

Und dann sieht er es.

Zuerst starrt er nur verblüfft, doch dann hebt er die Hand und wischt mit dem Daumen die kleine Träne aus Tōshis Augenwinkel. Tōshi sagt nichts, aber er wendet verlegen den Kopf beiseite. Nur ganz kurz, dann konzentriert er sich wieder auf Shisakos Kopf in seinem Schoß und streichelt weiter ihr Haar.

Kondō sagt auch nichts, aber er atmet einmal tief durch, als ihm mit einem gewissen Schrecken bewußt wird, dass sich sein starker Freund von seinem Nervenzusammenbruch im Krankenhauswartesaal nur scheinbar erholt hat. Das ganze zehrt doch mehr an seinem Nervenkostüm, als Kondō dachte und mehr, als er selbst zugeben will. Noch hält die Fassade, aber sie bekommt Risse und das ist bisher noch nie passiert.

Dass Tōshi an seinem emotionalen Limit angelangt sein könnte, ist für Kondō ein ganz neuer Gedanke.

„Tōshi...“ flüstert er leise, legt ihm eine Hand auf die Schulter und drückt einmal kurz zu, „... ich bin da. Jederzeit. Für euch beide.“

Tōshi erstarrt, doch dann senkt er in einer knappen, aber furchtbar ergebenen Geste den Kopf.

Kondō sitzt noch ein paar Minuten schweigend bei ihm, bis er vor Müdigkeit zu schielen beginnt. Es war ein langer, aufreibender Tag. Für sie alle drei.

Langsam quält er sich auf die Füße. Er zögert, doch dann streicht er Tōshi einmal genauso durchs Haar, wie dieser Shisako ständig.

„Gute Nacht, Tōshi.“

 

 

Hijikata achtet nicht wirklich darauf, wie Kondō den Raum verläßt. Er ist zu sehr in seinen eigenen, dunklen Gedanken versunken. Obwohl es sich dabei weniger um richtige Gedanken im Sinne von zusammenhängenden Worten handelt, sondern viel mehr um Emotionen.

Träge läßt er weiterhin Strähne um Strähne von Shisakos Haar durch seine Finger gleiten, und die Gleichmäßigkeit dieser Bewegung übt inzwischen eine geradezu hypnotische Wirkung auf ihn aus. Einerseits fühlt sich das wirklich gut an, aber ein anderer Teil von ihm fühlt sich, als läge da eine Last auf seinen Schultern, die ihn langsam, aber sicher zu Boden drückt, und er könnte nicht einmal erklären, warum das so ist.

Sicher, es war ein aufreibender Tag und eine gewisse Erschöpfung ist da durchaus normal, aber er hat schon Schlimmeres durchgestanden. Viele seiner Männer sind schon in der Ausübung ihres Dienstes gestorben, und er hat auch schon viele geliebte Menschen an den Tod verloren, also: wieso fühlt er sich jetzt so? Immerhin ist Shisako nicht gestorben. Sie ist schwach und bettlägerig, aber sie wird sich erholen. Mit seiner Hilfe und der aller anderen. Also: wieso fühlt er sich, als würde er langsam aber sicher von einem Mühlstein zerquetscht?

Wieso ist er nur so schwach? Gerade jetzt, wo Yamazaki ihn mehr denn je braucht?

Als er hört, wie sich die Tür hinter ihm leise öffnet und er Sōgos Präsenz spürt, dreht er nicht einmal den Kopf. Er reagiert auch nicht, als dieser auf leisen Sohlen näherschleicht und sich dann hinter ihn setzt. Er spürt, wie sich Sōgos Rücken gegen seinen eigenen drückt, doch er zuckt nicht einmal zusammen.

Sōgos sagt nichts. Keine Todesdrohung, keine Beleidigung, nicht einmal eine spöttische Bemerkung. Da sind nur seine ruhigen Atemzüge, das Gewicht seines Körpers und seine Wärme. Es ist merkwürdig, aber Hijikata fühlt sich tatsächlich besser.

Plötzlich legt Sōgo den Kopf nach hinten und Hijikata spürt, wie sein Haar ihn im Nacken kitzelt.

„Ich werde dich morgen zu dem Priester begleiten“, meint Sōgo leise.

Es ist keine Bitte und auch keine Frage, sondern eine schlichte Feststellung. Und beweist mal wieder, dass Sōgo gelauscht hat.

Hijikata weiß nicht, warum ihm bei Sōgos Worten plötzlich die Tränen in die Augen schießen. Er schluckt sie entschlossen hinunter und gibt ein zustimmendes Brummen von sich.

Sōgo unterdrückt ein kleines Seufzen. Tōshirō ist ein Idiot. Und er selbst ist auch einer, weil er plötzlich so ein Softie geworden ist. Wie kommt er nur dazu, diesem Idioten zu helfen? Der Kerl drängte sich schon immer in den Vordergrund und zwischen ihn und die Menschen, die ihm am Liebsten waren. Erst seine Schwester Mitsuba und dann Kondō. Sōgo war und ist nicht gut darin, zu teilen, schon gar nicht, was die Liebe und Aufmerksamkeit anderer betrifft.

Aber so gerne er ihn auch immer aus dem Weg räumen möchte, tut es ihm jetzt in der Seele weh, ihn so zu sehen. Und Shi-chan hat etwas Besseres verdient. Da sie aber nun einmal leider in Hijikata verliebt ist, muß er jetzt alles in seiner Macht stehende unternehmen, damit dieser wieder zu dem Mann wird, den sie braucht.

„Kondō hat recht, weißt du? Du bist nicht allein. Wir wollen Shi-chan auch helfen. Und wir wollen dir helfen, ihr zu helfen. Ich bin durchaus bereit, zeitweise als Vizekommandant einzuspringen, damit du mehr Zeit für Shi-chan hast.“

Hijikata gibt ein müdes Glucksen von sich. War ja klar, dass Sōgo so etwas sagen wird.

„Danke, Sōgo.“ Und das meint er durchaus ernst.

Sōgo gibt ihm dafür nur einen Ellbogenstoß in die Nieren, aber es fehlt die Kraft dahinter. Es ist eher wie ein neckender Knuff.

Und plötzlich ertönt das leise Rascheln von Stoff und dann hockt Sōgo direkt neben ihm, beugt sich herunter und gibt der schlafenden Shisako einen Kuß auf die Wange.

Dann wirft er Hijikata einen kurzen Blick zu und schenkt ihm eines seiner seltenen, aber dafür ein absolut ehrliches Lächeln.

Noch ehe Hijikata irgendwie darauf reagieren kann, hat er den Raum wieder genauso leise verlassen wie er ihn betrat.

Hijikata ist wieder allein mit Shisako und die unsichtbare Last auf seinen Schultern ist plötzlich viel, viel leichter geworden.

 

 



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