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Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht

von

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Gegenwart - 3. Januarwoche – 20. Januar, Tag X – Wenn Frauen weinen, schenk ihnen ein Taschentuch oder eine starke Schulter

 

 

Krankenhausbetten sind Gift für den Rücken. Sie sind zu unbequem und ganz einfach zu hoch. Für den Arzt und das Pflegepersonal mag das ja praktisch sein, aber für jemanden, der auf diesem Ding liegen muß, ist allein das Aufstehen ein Spiel mit der Balance. Hijikata ist sich sicher: wäre er nicht immer hilfreich zur Stelle gewesen, wäre Shisako die dreimal, die sie ins Bad musste, bestimmt auf der Nase gelandet.

Das Essen ist allerdings ziemlich gut – auch wenn Shisako keinen Bissen angerührt und alles an ihn weitergereicht hat. Einen Arzt haben sie nicht mehr gesehen und die schreckliche Schwester wurde von einer wesentlich Netteren abgelöst, die Hijikata gestattete, über Nacht zu bleiben, wenn er ihr im Gegenzug versprach, fürs Rauchen die ausgewiesenen Raucherräume zu nutzen.

Da Hijikata Shisako aber ungern alleine lässt, schränkt er ausnahmsweise mal seinen Zigarettenkonsum etwas ein.

Und es ist gut, dass er da auf seine innere Stimme hörte, denn so ist er zur Stelle, als Shisako ihren lang herausgezögerten Nervenzusammenbruch bekommt. Dennoch hätte er es fast nicht bemerkt. Sie spielt ihm vor zu schlafen, hat sich auf die Seite gerollt und ihm den Rücken zugedreht, sich in der Decke vergraben, aber er hört das Stocken in ihren Atemzügen und sieht das Zucken ihrer Schultern.

Vielleicht liegt es daran, dass er insgeheim schon seit Stunden darauf gewartet hat oder einfach nur an seiner eigenen emotionalen Erschöpfung, dass er sich ohne zu zögern neben sie auf dieses schmale, unbequeme Bett legt und sie einfach nur von hinten umarmt. Das ist alles, was er macht. Er liegt einfach nur da und hält sie fest, während ihr anfangs stilles, unterdrücktes Weinen zu einem immer lauter werdenden Schluchzen und Wehklagen wird.

Irgendwann dreht sie sich in seiner Umarmung herum und vergießt bittere Tränen in sein Hemd, doch er streichelt ihr nur tröstend mit der einen Hand durchs Haar und zieht beruhigende Kreise mit der anderen auf ihrem Rücken. Sie ist warm und sie riecht gut nach dem Jasmin-Duschbad, das genauso in ihrer Reisetasche war wie der weiche Jinbei, den sie jetzt trägt.

Es sollte sich nicht so gut anfühlen, sie so zu halten, nicht, wenn sie so traurig ist, aber Hijikata hat keine Lust mehr, sich selbst zu belügen.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis sich Shisako wieder etwas beruhigt, und Hijikata genießt jede einzelne Sekunde davon. Er stellt fest, dass es sich nicht sehr davon unterscheidet, wie es war, wenn er Yamazaki getröstet hat – neben allem anderen fühlte es sich immer irgendwie gut an, wenn dieser seine Hilfe annahm und sich allmählich in seinen Armen wieder beruhigte. Natürlich hat er ihn nie so eng umschlungen wie Shisako jetzt. Und er hat ihm auch nie so zärtlich durchs Haar gestreichelt.

Und wegen der tränennassen Stelle auf seinem Uniformhemd hätte er ihm auch die Hölle heiß gemacht.

Als ihre Schluchzer auf ein Niveau verebbt sind, das ihr nicht mehr das Atmen erschwert, findet sie auch langsam ihre Stimme wieder.

„Ich wußte es nicht einmal“, murmelt sie mit stockender Stimme gegen seinen Hals, während sich ihre Finger weiter in sein Hemd krallen. „Ich dachte, dass ich überfällig bin, läge am Streß... der Arzt sagte, das käme vor. Er sagte, wenn es ist nicht gesund ist, dann stößt der Körper es ab. Vielleicht ist es besser so, oder?“

Spontan würde er ihr da sofort zustimmen, doch er will nicht eifersüchtig und herzlos klingen.

„Du wärst eine tolle Mutter“, versichert er ihr stattdessen und drückt ihr einen Kuß aufs Haupt.

„Sicher?“ hakt sie unsicher nach.

„Absolut. Ja.“

Sie schweigt und kuschelt sich nur fester an ihn.

„Wie wäre es mit einer kleinen Gedenkstätte?“ schlägt Hijikata schließlich leise vor.

Sie schnieft einmal und hebt den Kopf aus seiner Halsbeuge. Große, feuchte Augen blinzeln ihn fragend an.

„Ein kleiner Platz bei uns im Hauptquartier, wo du jederzeit hingehen kannst“, führt er aus. Je mehr er darüber nachdenkt, desto besser gefällt ihm die Idee. „Ein Blumenbeet, eine kleine Gedenktafel, so etwas in der Art.“

„Wie bei Tosshi?“

Er verzieht das Gesicht und schüttelt den Kopf. Das hier kann man nun wirklich nicht mit dem Otaku-Geist vergleichen, von dem er einst besessen war. Und das will er ihr auch deutlich machen.

„Wir sollten einen Priester bitten, für die kleine Seele zu beten“, schlägt er daher vor.

„Das ist, glaube ich, nicht üblich. Aber es klingt schön.“

„Dann machen wir das so.“ Es ist ihm völlig egal, was üblich ist und was nicht. Er kennt einen alten, freundlichen Priester eines kleinen, nicht sehr bekannten Tempels, der ihm für eine kleine Spende diesen Gefallen bestimmt erfüllen wird. Morgen ist das Neujahrsfest – das Richtige – und auch wenn die Priester da immer alle Hände voll zu tun haben, dieser Priester wird Zeit für ihn finden.

Er spürt, wie sie sich zufrieden an ihn kuschelt und schließt zur Antwort seine Arme noch ein ganz klein wenig fester um sie. Ihr Körper schmiegt sich auf eine geradezu perfekt anmutende Art und Weise gegen seinen und er spürt, wie etwas in ihm regelrecht dahinschmilzt.

„Fukuchō...“

„Tōshirō“, berichtigt er sie sanft.

Sie schweigt einen Moment und er kann spüren, wie sie kurz den Atem anhält. Er hat noch niemals jemandem gestattet, ihn beim Vornamen zu nennen – jeder, der das tut, wie Kondō oder Sōgo und ja, sogar Mitsuba damals, hat sich dieses Recht einfach genommen.

„Tōshirō...“ Es klingt, als lasse sie den Namen prüfend über ihre Zunge rollen und verdammt, noch niemals hat sich sein Name besser angehört.

„...ich will nach Hause.“

 

 

Es ist erst eine halbe Stunde vor Mitternacht, aber wenn Shisako nach Hause will, wird Hijikata ihr das nicht ausreden. Ihre Argumente sich schließlich überzeugend: ausruhen kann sie sich am besten in ihren eigenen vier Wänden. Und wenn Hijikata so sehr befürchtet, dass ihr etwas Schlimmes passiert, kann er gerne bei ihr bleiben und auf sie aufpassen.

Es klingt wie ein Freifahrtschein und es ist auch einer, aber sie wissen beide, dass er die Situation niemals ausnutzen wird.

Und so verlässt er ein letztes Mal das Zimmer um eine zu rauchen, damit sie sich in der Zwischenzeit fertig machen kann. Er hat nicht vor, die Nachtschwester um Shisakos Entlassungspapiere zu bitten, sie werden sich einfach davon schleichen. Das ist nicht schwer, das hat er selbst schon hundert Mal gemacht und auch wenn er noch niemals auf der gynäkologischen Station war, hat er Dank seiner Raucherpausen schon einen Schleichweg hier hinaus gefunden.

Zehn Minuten später kehrt Hijikata zurück und glaubt zuerst, sobald er das Zimmer betritt, sich in der Tür geirrt zu haben. Erst auf den zweiten Blick erkennt er in der Frau vor ihm Shisako. Es ist ähnlich wie an Weihnachten und Silvester, als er Yamazaki in einem Kimono erwischte.

Obwohl Hijikata jetzt weiß, dass Yamazaki Sagaru seit einem Jahr Yamazaki Shisako ist, muß sein Intellekt auf dem Wege zur Realisierung dieses Fakts in einer Endlosschleife gefangen sein, anders kann er sich seine ständig wiederkehrende Fassungslosigkeit über diesen Anblick nämlich nicht erklären.

Dabei weiß er es doch – er hat es gesehen, sogar ihre schmale Taille unter dem Krankenhaushemdchen gefühlt, als er Yamazaki … nein, stopp, Shisako auf dem Weg zum Bad stützte. Und das passierte nicht nur einmal.

Und dann mal ganz davon zu schweigen, wie oft er ihn … sie schon in den Arm gehalten hat und dabei ihre eindeutigen Rundungen spürte. Ihre Brüste sind klein und fest und einfach nur perfekt wie alles an ihr und trotzdem vergißt er das alles, wenn er mal kurz den Blick abwendet.

Vielleicht muß er nur lernen, weniger von Yamazaki und stattdessen öfter von Shisako zu denken.

Langsam schließt er die Tür hinter sich und versucht nicht, sie allzu offensichtlich mit seinen Augen zu verschlingen.

„Es war ein Fehler, Kondō loszuschicken, um mir Kleidung zu holen“, beschwert sich das entzückende Wesen vor ihm schmollend.

Hijikata mustert sie von Kopf bis Fuß und wieder zurück.

„Du siehst umwerfend aus“, murmelt er.

Ein weinroter Andon-Bakama, dazu ein Oberteil in fast derselben Farbe mit weiten Ärmeln und einem verschlungenen, goldenen Muster. Die frisch gewaschenen, schwarzen Haare umranden ein jetzt vor Ärger leicht gerötetes Gesicht und auch wenn das Weiß ihrer Augen wieder etwas rot angehaucht ist – sie weint viel heimlich, aber das hat Sagaru auch oft gemacht - schimmern diese hellbraunen Augen lebhafter als jemals zuvor.

„Das ist meine Verkleidung für den Job in Kabukicho letzten Herbst“, lamentiert sie. Ganz offensichtlich hat sie sein Lob nicht gehört. „Wieso greift er sich ausgerechnet das heraus? Wieso hat er nicht einfach eine Jeans und einen Hoodie genommen?“

Hijikata verbeißt sich ein Grinsen.

„Was hast du erwartet? So ist unser Kondō nun einmal. Für eine schöne Frau sucht er auch schöne Wäsche aus dem Kleiderschrank heraus. Du siehst umwerfend aus, Shisako.“

Mit diesen Worten geht er auf sie zu, bleibt vor ihr stehen und nimmt ihre Hände in seine. Sie wird noch etwas röter und weicht seinem Blick verlegen aus.

„Können wir jetzt gehen?“ fragt sie nach ein paar peinlichen Sekunden betont forsch.

„Gleich“, erwidert er und kann dann doch nicht widerstehen. Sanft zieht er sie in seine Arme.

„Gleich.“

Zuerst sträubt sie sich etwas, doch dann vergißt sie zu schmollen und schmiegt sich vertrauensvoll an ihn. Selbst durch den dicken Stoff ihrer Kleidung spürt er wieder alles, aber vielleicht ist er inzwischen auch nur sensibilisiert, was das betrifft. Es läßt sich jedenfalls nicht leugnen: er hält sie gerne einfach nur fest.

„Können wir jetzt gehen?“ wiederholt sie irgendwann und es klingt etwas gedämpft, weil sie ihr Gesicht gegen seine Schulter drückt.

Nur sehr widerwillig entläßt er sie aus seiner Umarmung.

Als Kondō ihre Sachen vorbeibrachte, hat er zwar an einen Mantel und Stiefel gedacht, aber Mütze und Schal vergessen. Entschlossen wickelt Hijikata ihr seinen Schal um den Hals – den goldbestickten, blauen, den, den sie ihm zu Weihnachten geschenkt hat – und drückt ihr dann seine Fellmütze aufs Haupt.

Und dann starrt er sie für einen Herzschlag lang einfach nur an. Sie trägt denselben Mantel wie an Silvester, als er sie dabei ertappte, wie sich über die Mauer zurück ins Hauptquartier schlich. Es war, wie ihm jetzt schmerzhaft bewußt wird, jene Nacht, in der sie drei Mimawarigumi-Offiziere tötete, drei der sechs Männer, die ihr Unbeschreibliches angetan hatten. Aber er erinnert sich auch an ihr Lächeln und das dunkle Licht in ihren Augen, als sie ihm diese Lüge von Nori-chan auftischte. Nori … das bedeutet „Gesetz“.

Man kann wirklich nicht behaupten, dass Zaki ihm keine Hinweise gegeben hätte...

Er sollte ihr böse deswegen sein, aber alles, was er empfindet, ist Stolz.

Dann wird er sich bewußt, dass er sie anstarrt und schnappt sich schnell ihre Tasche, während sie den Blumenstrauß aus der Vase nimmt und fest an ihre Brust drückt. Für einen kurzen Moment vergräbt sie ihr Gesicht in den bunten Blüten und atmet deren Duft tief ein, als würde sie dadurch Mut tanken.

Dann nickt sie ihm entschlossen zu und reicht ihm auffordernd ihre Hand.

Und in diesem Moment fühlt er es: das hier ist mehr als die Flucht aus einem Krankenhaus. Hier beginnt ein neuer Lebensabschnitt.

Für sie beide.

 



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