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Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht

von

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Vergangenheit – 25. Dezember – Verkleide dich als Frau, wenn du deinen Vizekommandanten durcheinander bringen willst

„Zaki...“ schwungvoll öffnet Hijikata den Fusama und erstarrt dann regelrecht auf der Schwelle.

„Wow...“, bricht es aus ihm heraus, gefolgt von einem erstickten: „Was?“ und einem hastigen: „Sumimasen.“

Dann versagt ihm die Stimme. Fassungslos starrt er auf den Anblick, der sich ihm bietet. Zuerst wird er geblendet von dem schimmernden, kunstvoll bestickten blau-goldenen Kimono, dann wandert sein Blick über einen schmalen, zarten Nacken, der plötzlich von einem wahren Wasserfall von kastanienrotem Haar verdeckt wird, als die Person, zu der diese Haare gehören, bei seinem Eintreten die Hände vom Hinterkopf nimmt.

„Oh. Fukuchō.“ Mit einem strahlenden Lächeln dreht sich Yamazaki zu ihm um. „Ich probiere gerade meine neueste Verkleidung aus. Was meinst du? Haare offen oder lieber einen Zopf?“ Vielsagend hält er sich die Haare wieder zusammen.

Hijikata starrt ihn für volle zehn Sekunden einfach nur an.

Wahnsinn, ist das einzige, was ihm durch den Kopf schießt. Immer wieder und wieder. In einer richtigen Endlosschleife.

„Ich...“, bringt er schließlich mit trockener Kehle heraus und räuspert sich ein paar Mal. „Haare offen, definitiv.“

Niemand außer mir darf diesen Nacken je wieder sehen, fährt es ihm in einem plötzlichen Anfall von Eifersucht durch den Sinn.

Bewundernd lässt er seine Blicke jetzt ganz offen über die Gestalt seines Spions wandern. Yamazaki hat einen verdammt guten Geschmack und er weiß genau, wie er etwas tragen muß, um wie eine täuschend echte Frau auszusehen. Und eine bezaubernd hübsche noch dazu. Nur die beiden Wakizashi in seinem Obi stören das Gesamtbild etwas. Doch weil es genau jene Kurzschwerter sind, die Kondō, Okita und er ihm heute zu Weihnachten geschenkt haben, sieht er über diesen kleinen Stilbruch großzügig hinweg. Yamazaki ist ganz vernarrt in die Dinger, er hat sie seitdem nicht ein einziges Mal mehr aus der Hand gelegt. Und in seinen Augen liegt jetzt wieder dieses schwache Glitzern, das Hijikata seit Langem so schmerzlich vermisst hat.

„Hm“, macht Yamazaki plötzlich, zieht sich die Perücke vom Kopf und fährt sich mit gespreizten Fingern durch sein nackenlanges, schwarzes Haar. Und für einen Augenblick vergißt Hijikata glatt das Atmen.

„Wärst du eine Frau, würde ich dich sofort um ein Date bitten“, platzt es ungewollt aus ihm heraus.

„Oh?“ Verschämt senkt Yamazaki den Kopf, während ihm das Rot in die Wangen kriecht.

Bezaubernd. Bezaubernd. Bezaubernd.

Hijikata räuspert sich einmal.

„Wie auch immer“, meint er dann betont forsch und mit sehr, sehr rauher Stimme. „Mach dich fertig. Wir müssen auf Patrouille.“

Noch ein letztes Mal läßt er seine Blicke über Yamazakis Gestalt wandern, dann reißt er sich regelrecht von diesem Anblick los und wirbelt auf dem Absatz herum.

„Ich warte draußen. Beeil dich.“

 

 

Yamazaki ist daran schuld, wenn er noch zum Kettenraucher wird. Ziemlich unglücklich über das Durcheinander, das plötzlich in ihm tobt, saugt Hijikata an seiner dritten Zigarette innerhalb von fünfzehn Minuten. Aber ihm geht dieser Anblick einfach nicht mehr aus dem Kopf.

Ich will das nicht. Nicht schon wieder. Er ist mein Untergebener. Mein FREUND.

Leider ist irgend etwas in ihm da anderer Meinung und plötzlich sind all diese Gefühle wieder da, die er damals hatte, als der Dekoboko-Kult alle Männer in Frauen und alle Frauen in Männer verwandelte und er Yamazaki zum ersten Mal in seiner weiblichen Gestalt sah. Es war merkwürdig, unter all den Sexbomben, in die sich die Männer der Shinsengumi auf einmal verwandelt hatten, war Yamazaki bestenfalls niedlich – zu gewöhnlich, zu kleine Brüste, im Gesicht immer noch zu sehr Sagaru – aber Hijikata bekam jedes Mal Herzklopfen, wenn er ihn sah. Weshalb er ihn mied, so gut es ging. Und er hatte weiß Gott genug eigene Probleme, als sich auch noch damit herum zu plagen. (Er war dick, wurde deswegen vor allem von Sōgo gemobbt und litt sehr darunter, aber das verdrängt er erfolgreich.)

Hijikata hat schwer gekämpft, um auf der freundschaftlichen Basis zu bleiben und seit sie wieder Männer sind, kein einziges Mal mehr daran gedacht. Bis auf heute.

Er wirft einen verstohlenen Seitenblick zu dem jungen Mann neben sich. Es schneit, und der Anblick der Schneeflocken, die sich in Yamazakis Haaren und Wimpern verfangen ist für sein Herz genauso Gift wie die Fellmütze, der Schal und der lange Shinsengumi-Mantel, alles so stinknormale, langweilige Sachen, die Yamazaki überraschend gut stehen.

Hijikata beißt die Zähne zusammen und dabei seine Zigarette entzwei. Während er die Einzelteile angewidert ausspuckt, fragt er sich, was er den Göttern bitteschön angetan hat, dass sie ihn so bestrafen? Oder bricht etwas in seinem Inneren jetzt einfach nur zusammen, weil er sich in den letzten dreieinhalb Wochen unterschwellig ständig Sorgen um Yamazaki machen musste und er jetzt, wo sich alles wieder zum Besseren wendet, wieder etwas lockerer lassen kann?

Bah, nein. Ich hätte nur einfach nicht Kondōs verdammten Glühwein trinken sollen.

Er zwingt sich dazu, an etwas anderes zu denken und sich auf die Umgebung zu konzentrieren. Sie sind noch nicht weit vom Hauptquartier entfernt, aber weil heute Feiertag ist, sind nur wenige auf den Straßen. Der wenige Zentimeter hohe Neuschnee verleiht allem einen feierlichem Flair und zum ersten Mal fühlt es sich wirklich an wie Weihnachten.

Von allen importierten, neuartigen Festen ist ihm Weihnachten das Liebste. Wer mag das nicht? Anderen mit kleinen Geschenken eine Freude zu machen, selbst beschenkt zu werden, gutes Essen, mit Freunden, mit der Familie zusammen zu sitzen und Glühwein zu trinken? Gut, früher fand er es einfach nur lästig, aber seitdem er herausgefunden hat, dass es Menschen gibt, die sich über kleine Aufmerksamkeiten einen wahren Wolf freuen können, macht es ihm Spaß, die richtigen, die passenden Geschenke herauszufinden und zu verteilen. Sein „Lieblingsopfer“ seit fast genau zwei Jahren ist dabei Yamazaki Sagaru. Das silberne Armkettchen war das erste, gefolgt von weniger extravaganten und eher praktischen Geschenken wie die Bücher, die er unbedingt haben wollte oder ein neues Badminton-Set, aber jetzt wollte er ihm unbedingt etwas ganz besonderes schenken, also haben er, Kondō und Okita für diese Wakizashi zusammengelegt und die Freude in Yamazakis Gesicht war das Schönste, was er seit langem gesehen hatte.

Abgesehen von Yamazakis Nacken natürlich.

Urgh. Ganz falscher Gedankengang.

Der Geruch von gerösteten Maronen steigt ihnen in die Nase, und als der dazugehörige Imbiß vor ihnen auftaucht, gibt Hijikata seinem Impuls nach und kauft eine große Portion, die er Yamazaki wortlos in die Hand drückt. Dann setzen sie sich auf die kleine Bank davor. Da sie die einzigen Kunden sind, bleiben sie ungestört.

Während Yamazaki die Maronen isst, sieht Hijikata ihm dabei aufmerksam zu und es dauert nicht lange, bis Yamazaki das irritiert.

„Fukuchō, bitte... starr mich doch nicht so an.“

„Ach, es ist nur gut, dich essen zu sehen“, gibt Hijikata in einem Anfall von Sentimentalität zu. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“

„Gomen“, Yamazaki verbeugt sich kurz im Sitzen. „Ich war in letzter Zeit nicht ganz ich selbst. Aber das ist vorbei.“

„Ist es das?“

„Ja. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe.“ Den letzten Satz murmelt er nur.

„Bitte?“ fragt Hijikata stirnrunzelnd, der zwar die Worte gehört aber deren Sinn nicht verstanden hat.

„Nicht wichtig“, winkt Yamazaki hastig ab und wechselt schnell das Thema. „Gefällt dir der Schal?“

Unwillkürlich zupft sich Hijikata besagten Schal zurecht. „Ja, danke.“

„Das Blau betont deine Augen. Und die eingestickten Glückssymbole werden dich beschützen. War echt mühsam, aber ich glaube, es hat sich gelohnt.“

„Du hast den selbst genäht?“

Yamazaki nickt nur stolz. Hijikata starrt erst ihn verblüfft an und dann den Schal. Mit zunehmender Ehrfurcht betastet er die filigranen, goldenen Stickereien.

„Erstaunlich. Wann hast du das gelernt? Und vor allem: wann hattest du die Zeit dazu?“

Yamazaki lächelt nur verschmitzt. „Ich habe so meine kleinen Geheimnisse...“

In der Tat. Aber so sehr er es auch versucht: es will Hijikata nicht gelingen, sich Yamazaki mit Nadel und Faden vorzustellen. Außer, wenn er seine Erste-Hilfe-Kenntnisse herauskramt und den Sanitäter mimt.

„Hat dir deine kleine Freundin dabei geholfen?“

Yamazaki zerbeißt krachend eine Marone und zwinkert ihm zu.

„Vielleicht ein bißchen...“

Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit wirkt er richtiggehend vergnügt.

„Du kannst sie jederzeit besuchen, wenn du möchtest.“

Aber Yamazaki schüttelt nur mit dem Kopf. „Sie ist zur Zeit bei dem Mann, den sie liebt. Da würde ich nur stören.“

Sie hat also einen Freund? Hijikata weiß nicht, warum ihn das so erleichtert – außer dem offensichtlichem Grund vielleicht, dass es einfach besser ist, wenn man in ihrer Situation zu dieser Jahreszeit nicht allein ist.

„Dann ist's ja gut. Woher kennst du sie eigentlich?“

„Hm … Erinnerst du dich noch an den Dekoboko-Kult? Als alle schon zurückverwandelt wurden, nur wir nicht und wir dann in Kabukicho gearbeitet haben? Ihr habt mich immer losgeschickt, um Damenbinden und Tampons zu besorgen.“

Hijikata spürt, wie ihm bei diesen beiden Worten das Blut ins Gesicht schießt und fragt sich unwillkürlich, wieso Yamazaki so locker darüber reden kann. Aber der wird ja nicht einmal ein kleines bisschen Rot.

„Als ich zum ersten Mal ratlos vor dieser riesigen Auswahl stand, hat sie mir geholfen. Sie arbeitet für eine Werbefirma und war für eine Fotoaktion da. Sie sagte sogar, ich sei ziemlich fotogen.“

„Shisako war ja auch richtig niedlich.“

„Danke. Aber wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Ich sehe in jedem Geschlecht langweilig aus. Aber das hilft mir in meinem Job.“

„Red keinen Blödsinn!“ Aus irgend einem Grund wird Hijikata richtig wütend, als er ihn so reden hört. „Shisako war niedlich. Und du wärst es auch, wenn du aufhören würdest, dir diese Augenringe zu züchten.“

„Oi, Augenringe sind die einzigen Ringe, die ich jemals in meinem Leben bekommen werde, also sag nichts gegen meine Augenringe.“

Das klingt so … so … Hijikata fehlen für einen Moment glatt die Worte.

„Du redest heute wirklich viel Blödsinn“, schnaubt er schließlich.

Zu seiner großen Überraschung kichert Yamazaki nur und schiebt ihm als Friedensangebot die Maronentüte zu. Und nur, damit Yamazaki selbst nicht aufhört zu essen, nimmt sich Hijikata auch eine. Natürlich zückt er erst seine Mayonnaiseflasche und garniert sie großzügig mit der weißen Köstlichkeit – von Yamazaki dabei belustigt beäugt - bevor er sie isst.

Dann, ganz plötzlich, hält ihm Yamazaki eine Marone entgegen.

„Kann ich es auch mal mit Mayo probieren?“

Glücklich, dass es endlich jemanden gibt, der bereit ist, ihm – vielleicht – auf dem Weg des Mayonnaise-Abhängigen zu folgen, kommt Hijikata dieser Bitte nach.

Er beobachtet Yamazakis Miene ganz genau, als dieser das Experiment wagt und er sieht den Moment, als Yamazakis Geschmacksknospen geradezu überwältigt werden.

„Das schmeckt wirklich gut“, ruft Yamazaki erstaunt aus.

„Sag ich doch“, nickt Hijikata selbstzufrieden, lehnt sich über den Tisch und wischt ihm mit dem Daumen einen Mayonnaisetropfen aus dem Mundwinkel. Ohne genauer darüber nachzudenken, führt er den Daumen dann zu seinem eigenen Mund und leckt ihn ab.

Erst Yamazakis entgeisterter Blick macht ihn darauf aufmerksam, dass er soeben einen riesengroßen Fauxpas begangen hat.

Doch dann zuckt doch nur ein kleines Lächeln um Yamazakis Lippen und er widmet sich dem kläglichen Rest seiner Maronen (mit Mayonnaise), als wäre nichts geschehen.

Und Hijikata ist ihm dafür sehr, sehr dankbar.

 

 

 

Als sie eine Stunde später von ihrer Patrouille zurückkehren, bringt Hijikata seinen Spion bis zu dessen Zimmertür, bevor er sich von ihm verabschiedet – als wäre dies hier ein Date. Doch er ist schon wieder in seinem eigenen Quartier, als ihm das auffällt.

Ja, er wird definitiv nie wieder Kondōs Glühwein trinken.

Denn eines ist mal sicher: Okita muss ihm bei der Zubereitung geholfen und irgend welche komischen Drogen dazugemischt haben.

 

 



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