Verloren geglaubt
Die Sonne schien hell an diesem Morgen. Naruto saß auf einem Ast vor seinem
Wohnzimmerfenster und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Er hatte
das leicht gebräunte Gesicht der Sonne zugewandt und die Augen geschlossen. Er
hörte das sanfte Rauschen der Bäume und Blätter, spürte die leichte Brise
über sein Gesicht streifen. Doch, wie so oft in letzter Zeit, dachte er an das,
was in den letzten zwei Jahren passiert war.
Nachdem Sasuke das Dorf verlassen hatte, war alles anders geworden. Sakura hatte
sich erst in die Arbeit und in das Training mit Tsunade gestürzt, doch
irgendwann kam sie nicht einmal mehr dorthin. Niemand wusste, wo sie war,
geschweige denn, wie es ihr ging. Auch Narutos Versuche, sie zu kontaktieren,
waren nicht von Erfolg gekrönt. Anfangs wimmelte sie ihn an der
Gegensprechanlage ab, aber später reagierte sie auch darauf nicht mehr. Vor
ihren Fenstern hingen schwere Vorhänge und Naruto traute sich nicht, einfach
hinein zu gehen. Er selbst konnte Sakura auch nicht die ganze Zeit über helfen.
Er war mit Jiraiya zu einem speziellen Training aufgebrochen. Kakashi hatte sich
ebenfalls vollkommen abgeschottet. Nachdem er erfahren hatte, was Sasuke dem
Dorf angetan hatte, war er verschwunden. Man wusste nur, dass er Konoha
verlassen hatte. Er war wortlos gegangen, hatte sich nur von Naruto und Sakura
verabschiedet und ihnen gesagt, er müsse wieder zu sich selbst finden. Eines
Tages war er dann einfach weg gewesen. Auch die anderen im Dorf hatte Sasukes
Verschwinden nicht kalt gelassen. Für einen
Außenstehenden wirkte es fast so, als wäre alles in bester Ordnung, alles sah
so normal aus. Doch Naruto wusste, würde man ihnen ihre Beschäftigung und
ihren Alltag nehmen, wäre da nichts mehr. Nur leere Hüllen, die verzweifelt
versuchten zu leben. Sie waren nur gebrochene Ninjas, die ihren besten Freund
nicht retten konnten.
Eine Träne rann über sein Gesicht. Ja, sie konnten ihren besten Freund nicht
retten. Sie wussten nicht, wo er war, wie es ihm ging oder ob er überhaupt noch
lebte. Würden sie ihn jemals wieder sehen?
Naruto stand auf. Das ging ihm jetzt doch zu weit. Er war entschlossen, seine
trüben Gedanken beiseite zu schieben und sich voll und ganz auf diesen
wunderschönen Tag zu konzentrieren. Es war ein besonderer Tag für ihn, denn
heute würde er den ersten Auftrag seit zwei Jahren erhalten. Er war nervös, ob
er alles richtig machen würde, fragte sich, ob er das neu gelernte Wissen wohl
anwenden könnte, aber ebenso war er gespannt, mit wem er den Auftrag erledigen
würde. Er glaubte nicht, dass Kakashi wegen eines Auftrages ins Dorf zurück
kommen würde und mit Sakura rechnete er auch nicht. Es würde also ein neues
Team auf ihn warten. Möglicherweise würde er mit Kiba und Choi auf die Mission
gehen. Das wäre super. Er mochte die beiden. Eigentlich war es ihm egal, mit
wem er zu dieser Mission aufbrach. Nur Ino konnte er nicht gebrauchen, sie
nervte ihn immer noch. Vielleicht würde Tsunade ihn auch einem ganz anderen
Team zuordnen, mit ganz neuen Leuten. Neue Leute waren gut, dachte er. Sie
würden ihm wieder Kraft geben und er könnte wieder voll in seinem Ninjadasein
aufgehen. Er freute sich auf den Auftrag, nur musste er hoffentlich nicht
irgendeine davongelaufene Katze zurück bringen. Nachdem er durchs Fenster in
seine Wohnung geklettert war, ging er in die Küche. Es war noch Zeit etwas zu
essen. Wie von selbst griff seine Hand nach der Müslischachtel, die neben der
Nudelsuppe stand. Noch so etwas, das sich schlagartig geändert hatte. Seit
Sasukes Verschwinden hatte er keine Nudelsuppe mehr gegessen. Nicht einmal
Irukas Einladungen hatte er angenommen.
„Seltsam“, murmelte er, entschied sich dann aber doch für das Müsli. Aus
dem Kühlschrank holte er etwas Milch, gab beides in eine Schüssel und fing an
zu essen. Nach einem Blick auf die Uhr an der Wand verschluckte er sich. Es war
ja schon so spät. Er müsste schon längst auf dem Weg zu Tsunade sein. Jetzt
stand er mitten in der Küche, den Schlafanzug voller Müsli und geriet völlig
in Panik. „Aaaaaah, das darf doch nicht wahr sein“, schrie er und fing an,
wie ein Irrer durch seine Wohnung zu laufen und sich anzuziehen.
In ihrem Büro lief Tsunade auf und ab. Sie hoffte wirklich, dass heute alles
glatt laufen würde. Sie hatte endlich einen Auftrag für Narutos Wiedereinstieg
gefunden. Zu lange hatten sie alle Trübsal geblasen und Sasuke nachgetrauert,
doch damit war jetzt ein für alle Mal Schluss. Sie würde ab jetzt zuerst an
das Dorf denken und das hatte es nötig. Vieles war in den letzten Jahren
herunter gekommen, während sie in ihren Schuldgefühlen versank. Shizune hatte
sie letztendlich von ihren Gedanken befreit und wieder zurück in die Realität
geholt. Nach einem Ausflug mit ihr war Tsunade der Zustand des Dorfes
schmerzlich bewusst geworden. Am meisten traf sie allerdings der leere Schulhof
der Ninja- Akademie. Noch nie hatte sie diesen fröhlichen Ort so leer gesehen.
Die Schaukel im Hof schwang quietschend vor und zurück, vor und zurück. Lange
hatte sie auf den Schulhof gestarrt, doch als sie sich aus ihrer Starre gelöst
hatte, hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie würde Konoha wieder aufbauen und
wenn sie selbst die Steine dafür zusammentragen musste. Sie setzte sich auf
ihren Stuhl und öffnete noch einmal die Akte mit dem aktuellen Fall. Es war
eine einfache Rang C Mission. Ein Brückenbauer sollte in sein Dorf gebracht
werden, nichts Schweres aber es würde für den Anfang wohl reichen.
Es klopfte an der Tür. Tsunade hob den Kopf und sah, wie Shizune ihren Kopf
durch die Tür streckte. „Komm herein“, sagte sie freundlich und lächelte
Shizune an. Auch sie hatte sich sehr verändert. Zum Beispiel trug sie das
Schweinchen nicht mehr ständig mit sich herum. Es war in den letzten Jahren
doch sehr rundlich und viel zu schwer zum Tragen geworden. Auch Shizune hatte
erstaunlich zugelegt. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“, hörte sie
Shizune fragen.
„Natürlich höre ich dir zu. Ich höre dir immer zu!“
Ein strafender Blick von Shizune und sie gab kleinlaut zu, dass sie kein Wort
mitbekommen hatte.
„Ich habe dich gerade gefragt, wen du mit Naruto zu der Mission schickst. Sein
Team gibt es ja nun nicht mehr“, meinte Shizune.
„Du wirst es gleich sehen meine Liebe“, grinste Tsunade. Damit würde
niemand rechnen. Sie selbst hatte es sich kaum zugetraut, das Team in der Form
zusammenzustellen. Es war immerhin ein Risiko. Die Tür wurde aufgerissen und
sie wusste, nun waren Ruhe und Frieden vorbei.
In der Tür stand Naruto. Er trug immer noch orange Kleidung. Tsunade musste
lächeln. Ob er auch immer noch so stürmisch war wie früher?
„Hey Oma, ich bin schon zu spät. Wo ist mein Team?“, wurde sie angebrüllt.
„Jetzt beruhige dich erst einmal, Naruto. Das ganze hat noch etwas Zeit“,
beschwichtigte sie ihn.
„Der Rest von deinem Team ist...“, sie wurde von einem lauten Knall
unterbrochen.
„Sorry Leute, mir ist eine schwarze Katze über den Weg gelaufen!“, es war
Kakashi. Sein ehemaliger Sensei stand freudestrahlend vor ihm.
„ Kakashi-Sensei!! Was machst du denn hier? Ich dachte, du würdest nie wieder
kommen“, Naruto war unbeschreiblich froh seinen alten Lehrer wiederzusehen.
Doch bevor Naruto sich auf ihn stürzen konnte, wandte dieser sich Tsunade zu.
„Und, weiß er schon über die Mission Bescheid?“, fragte Kakashi Tsunade.
„Nein, ich wollte warten, bis das Team vollständig ist. Aber wenn die dritte
Person bis jetzt
noch nicht da ist, kommt sie wohl auch nicht mehr“, Tsunade beschloss die
Katze aus dem Sack zu lassen: „Ihr bekommt eine Rang C Mission. Ich werdet
einen Brückenbauer zurück in sein Dorf bringen. Shikamaru wird euch auf dieser
Mission begleiten. Er weiß bereits Bescheid und packt seine Sachen.“
Betretenes Schweigen.
„Och, kommt schon Leute. Das ist doch eine tolle Mission. Da kommt ihr endlich
mal aus dem Dorf raus und auf andere Gedanken. Ihr seht schöne Landschaften und
könnt ein bisschen eure Freiheit genießen. Es ist ja keine schwierige
Mission“, versuchte Tsunade die so plötzlich gekippte Stimmung zu retten.
„Wir hatten damals auch so eine Mission. Sasuke wäre dabei fast gestorben“,
eine zarte Stimme, so sanft und zerbrechlich wie Glas, war zu hören. „Haku
hätte ihn fast getötet, weißt du noch, Naruto? Ob es da schon angefangen
hatte? Ob er da schon beschlossen hatte, uns irgendwann mal zu verlassen?“
Naruto traute seinen Ohren nicht. Er war wie erstarrt. Zwei Jahre lang hatte sie
nicht mit ihm gesprochen, ihn völlig ignoriert und jetzt stand sie dort im
Schatten und sah ihn mit verweinten Augen an. Ihr Haar hing unfrisiert an ihrem
Kopf herunter, es hatte all seinen Glanz verloren. Wie ihre sonst so strahlend
grünen Augen. Naruto erinnerte sich an diese Mission, als wäre es gestern
gewesen. Damals hatte Sasuke sein Leben für ihn riskiert und ihn gerettet. Und
nun standen sie wieder hier. Am selben Ort wie damals, nur einer fehlte.
„Hey Sakura. Wo kommst du denn her?“, fragte er, um das unangenehme
Schweigen zu brechen.
„Ich war lange unterwegs. Habe viel trainiert. Ich war ein Jahr lang überall
und nirgendwo. Das heißt überall, nur nicht in Konoha“, antwortete sie ruhig
und sachlich. Sie trat aus dem Schatten. Nun konnte Naruto sie besser sehen und
staunte nicht schlecht. Aus der schmächtigen Sakura mit der hohen Stirn war
eine wunderschöne junge Frau geworden. Ihr Blick allerdings war keineswegs
verweint oder traurig. Er war kalt, viel zu kalt für die Sakura, die er kannte.
Ihr Haar war immer noch kurz, doch hatte sie ihr hübsches rotes Kleid gegen ein
rotes ärmelloses Oberteil und einen kurzen, rosanen Rock getauscht. Die flachen
Halbschuhe mussten offensichtlich kniehohen Stiefeln weichen und ihre dünnen,
langen Finger steckten in Handschuhen.
Tsunade beobachtete das Aufeinandertreffen der Freunde aufmerksam. Naruto hatte
sich kaum verändert. In seiner Art war er immer noch Derselbe. Ebenso Kakashi,
der immer noch log wie gedruckt. Nur Sakura war anders. Sie war erwachsener
geworden und strotze nur so vor Kraft und Energie. Doch schien sie bei all dem
Streben nach Stärke, ihr Herz verloren zu haben. Ihr Blick war eiskalt und auch
ihre Körperhaltung sprach dafür, dass sie mittlerweile zu allem bereit war.
Sie hatte ihre Gefühle komplett unter Verschluss, was Tsunade gar nicht gefiel.
Sie wollte weiß Gott nicht, dass Sakura ihr Herz auf einem Tablett vor sich her
trug, wie sie es früher getan hatte. Doch waren Gefühle in einem Kampf sehr
nützlich. Sie führten einen und durch sie fällte man spontan die richtigen
Entscheidungen. Sakura hatte mit Sicherheit an Kraft gewonnen, aber stark war
sie dadurch noch lange nicht.
Auch Sakura hing ihren Gedanken nach. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten
sollte. Sie hatte Naruto und Kakashi schon ewig nicht mehr gesehen und wollte
auch eigentlich nicht mit ihnen sprechen. Sie wollte aus einem bestimmten Grund
auf diese Mission. Seit Monaten hatte sie seltsame Träume. Immer wieder wachte
sie in einem dunklen Raum auf und sah sich als Beobachterin einer schrecklichen
Folterzeremonie. Jede Nacht sah sie alle sterben, die sie liebte. Und jedes Mal
wachte sie mit einem grausamen Gefühl auf. Es war, als würde sie zerreißen.
Sie hatte Angst, dass ihre Träume Wirklichkeit wurden. Angst, endgültig alles
zu verlieren. Sie deutete es als Zeichen, sich ihnen wieder annähern zu
müssen.
„Ach so ein Schwachsinn“, sagte sie laut und blickte in die Runde. Naruto
und Kakashi, die sich gerade angeregt über das neue Flirtparadies unterhielten,
schauten erstaunt auf. „Was ist denn los, Sakura?“, fragte Naruto und ging
mit großen Schritten auf sie zu. „Wir sollten uns endlich auf den Weg machen.
Ich habe keine Lust hier zu versauern. Ich packe jetzt meine Sachen!“, meinte
sie und war schon verschwunden. Sie ließ einen verwunderten Naruto im Raum
zurück, der sich fragte, was nur aus seiner früheren Freundin geworden war.
Und schon wieder flossen Tränen in Konoha. Sakuras Haare wurde vom Wind
zerzaust, während sie durch die Straßen von Konoha lief. Sie hatte in letzter
Zeit so viel nachgedacht . Hatte genau geplant, wie sie sich verhalten wollte,
wenn sie auf Naruto traf, doch alles war ganz anders gekommen. Sie wollte so
fröhlich sein wie vor 2 Jahren. Wollte lachen, mit ihm scherzen und sich
darüber freuen, ihn wieder zu sehen. Als sie aber hörte, was ihre Mission war,
hatte sie alles vergessen. Sie hatte Bilder vor Augen, die sie schon längst
vergessen, nein verdrängt hatte. Sie wollte sich nicht mehr daran erinnern und
doch erweckte Tsunades Auftrag alle Erinnerungen an das alte Team 7 wieder zum
Leben. Nicht nur negative, auch positive und freudige Erinnerungen kamen in ihr
auf. Damals war sie glücklich gewesen und hatte es doch nie wahrhaben wollen.
Heute war sie unglücklich und wusste, dass es anders hätte kommen können.
Wäre sie nur stärker gewesen. Hätte sie Sasuke nur aufhalten können an
diesem Abend. Vor ihrer Haustür blieb sie stehen, blickte in den Himmel und in
diesem Moment wurde ihr klar, es konnte sich alles nur noch zum besseren wenden.
Sie würden diese Mission erfolgreich abschließen und wieder zueinander finden.
Wenn sie zurück waren, würde sie wieder mit Naruto trainieren, ihr altes Leben
wieder aufnehmen und voller Zuversicht in die Zukunft blicken. Mit einem breiten
Lächeln auf den Lippen begann sie ihre Sachen zu packen. Auch das verstaubte
Foto, das sie mit Sasuke, Naruto und Kakashi zeigte, wanderte, mit einem
Lächeln bedacht,in die Tasche. Viel hatte sich seit diesem Tag verändert, doch
ihre Gefühle waren dieselben. Ihr Herz gehörte Sasuke, ihre Freundschaft
Naruto und ihre Treue Konoha. Eine Stunde später standen sie mit ihrem
Schützling vor den Toren Konohas und lächelten einander an. Schnell wurde
Shikamaru begrüßt, welcher sich wie üblich still und nachdenklich gab. Naruto
und Sakura brannten darauf aufzubrechen und freuten sich, als Kakashi das Signal
zum Aufbruch gab. Es ging also los.
In diesem Moment wusste keiner von ihnen, was sie während ihres Auftrages
erwarten würde. Keiner von ihnen konnte erahnen, dass sie am Ende an einem
anderen Ort landen würden. Ein verhängnisvoller Umweg, der ein Leben nehmen
und eins geben sollte, Leid brachte und alte Wunden heilte. Der Spalt zwischen
Sieg und Niederlage war ab diesem Moment so schmal wie nie zuvor.
Viele Kilometer weiter erwachte Sasuke, immer noch an die Wand gefesselt. Er
spürte einen grausamen Schmerz in seinem Herzen. Er hatte sie verloren. Sofort
blickte er zu der Stelle, an der Sakura gestorben war, in der Hoffnung alles nur
geträumt zu haben. Doch sie war nicht da. An ihrer Stelle war nun ein anderes
weinendes Mädchen. Auch sie kannte er, doch auch bei ihr wusste er nicht, wer
sie war. Ihr langes, blondes Haar bebte bei jedem Schluchzen.
„Warum?“, hörte er sie dann plötzlich fragen. „Warum hast du uns das
angetan?“, sie hob den Kopf und er blickte in ein verzweifeltes blaues
Augenpaar.