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Seine Arme waren mit zwei schweren Ketten an der Decke angebunden. Die straff
gezogenen Fesseln schnitten in seine Handgelenke. Er wusste nicht, wo er war und
auch nicht, wie er hier her gekommen war. Er spürte, wie Blut an seinem Arm
hinunter floss. Wo auch immer er gerade war, es roch fürchterlich, moderig und
irgendwie tot. Langsam öffnete er die Augen.
Um ihn herum war es dunkel. Eine kleine Fackel neben der Tür erhellte den Raum
nur spärlich, gerade so, dass man genug erkennen konnte. Ihr Flackern verlieh
ihm etwas Unheimliches. Links von ihm stand ein alter Holzstuhl, das Polster war
bereits zerschlissen und das dunkle Holz sah morsch aus. Er ließ seinen Blick
durch den Raum wandern. Vor ihm, nur ein kleines Stück entfernt, war ein
großer Tisch aus grauem Stein. Zumindest dachte er, es wäre ein Tisch, bis er
die Schellen für Kopf, Hände und Füße entdeckte. Hinter dem „Tisch“ war
die Tür mit der Fackel. Im oberen Bereich der Tür war ein kleines vergittertes
Fenster, durch das er leise Stimmen vernahm. Allerdings verstand er nicht, wovon
die Personen vor der Tür sprachen. Er ließ seinen Blick noch ein Stück durch
den Raum schweifen. Rechts von sich sah er etwas, das ihm das Blut in den Adern
gefrieren ließ.
Gegenüber der Längsseite des Tisches sah er eine Person. Sie hing dort genauso
wie er selbst. Die Hände waren über dem Kopf mit zwei massiven Ketten an der
Decke gefesselt. Ebenso ihr Füße, die, dicht an die Wand gezogen, in Ketten
lagen. Er konnte die Person wegen des spärlichen Lichtes nicht genau erkennen,
dennoch wanderte sein Blick über die zierliche Gestalt. Er kniff die Augen
zusammen, nein, sie war nicht zierlich sie war dürr, regelrecht ausgehungert
und abgemagert. Ihre Arme waren nur noch Knochen und ihre Haut sah so dünn aus.
Ein Schauder lief ihm über den Rücken. Würde er auch so enden? Wie lange
hatte diese Person wohl durchgehalten, bis sie so aussah? Er betrachtete sie
wieder. Ihr Kopf war nach vorn gefallen und ihre langes, rosanes Haar hing vorn
über. Es war matt und hing in schlaffen, fettigen Strähnen von ihrem Kopf
herunter. An der Kopfhaut konnte er eine Menge getrocknetes Blut erkennen . Als
er diese Person weiter betrachtete, stelle er fest, dass sie offensichtlich
weiblich war. Er erkannte ein Kleid, welches ihm seltsam bekannt vorkam. Es war
ein rotes Kleid, welches über den Knien endete. Hervor stachen zwei dürre
Beine, welche voller Blut waren. Was hatte man diesem Mädchen
nur angetan. Und woher kannte er sie?
Plötzlich ging ein Zucken durch den so leblos wirkenden Körper. Er erschrak
und wollte zu ihr und ihr helfen, nur hatte er die Ketten vergessen, an denen er
hing. Er zog daran, doch stellte er schnell fest, dass das sinnlos war. Wieder
ging ein Zucken durch den Körper der jungen Frau. Ihr Kopf hob sich langsam und
ihr verwirrter Blick glitt durch den Raum und endete bei ihm. Ihre grünen Augen
durchbohrten ihn. Ihr Blick war voller Schmerz, Trauer und Wut, trotz allem aber
entschlossen und fest. Er war fasziniert von dieser Frau. Ihr Kopf sackte wieder
nach vorn und er hörte ein leises Wimmern. Weinte sie? Sollte er versuchen, sie
zu trösten? Was sollte er sagen?
„Warum?“, hörte er sie dann plötzlich fragen. Er war sich sicher, ihre
Stimme schon einmal gehört zu haben, er konnte sich nur nicht erinnern, wo.
„Warum hast du uns das angetan?“, sie sah ihn wieder an. Tränen standen in
ihren Augen. Sie tat ihm furchtbar leid, er wusste nur nicht, was er tun sollte.
Sein Blick war verwirrt und verständnislos auf sie gerichtet. Als er nicht
antwortete, fing sie heftig an zu weinen, sie schluchzte so herzzerreißend,
dass er fast mit ihr geweint hätte. Nach einer Weile hatte sie sich beruhigt
und hob ihren Kopf ein drittes Mal. Ihr Gesicht war tränen-überströmt. Sie
musste einmal umwerfend hübsch gewesen sein, dachte er bei sich. Sie öffnete
den Mund, um wieder etwas zu sagen, jedoch hielt sie inne, als sich die Tür mit
dem Gitterfenster öffnete. Ein gleißendes Licht flutete den Raum, sodass er
seine Augen zusammenkneifen musste. Er versuchte, sich an das ungewohnt helle
Licht zu gewöhnen. Plötzlich vernahm er einen hellen Schrei, das gleißende
Licht verschwand und er suchte den Raum nach der Ursache des Schreies ab. Er sah
zu dem Mädchen, welches er gerade noch so ausgiebig
betrachtet hatte. Ihre strahlend grünen Augen strahlten nicht mehr. Sie waren
vor Angst weit aufgerissen und leer. Ihr Mund war immer noch geöffnet, doch es
kam kein Ton heraus. In ihrer Brust, direkt in ihrem Herzen, steckte ein langes
dünnes Messer mit gebogener Klinge. Das, ohnehin schon, rote Kleid färbte sich
an dieser Stelle dunkel. Ihr Kopf fiel ein letztes Mal nach vorn und er wusste,
sie würde ihn nie wieder heben. „Na, hast du deine Freundin gar nicht
erkannt?“, fragte eine säuselige, eiskalte Stimme. „Hast du wirklich schon
alles vergessen? Die Menschen waren dir doch mal so wichtig. Armer kleiner
Junge, habe ich dich etwa kaputt gespielt?“
Er verstand nicht, was dieses Wesen ihm sagte. Er blickte immer noch auf den
toten Körper dieses hübschen Mädchens. Es dämmerte ihm. Er erinnerte sich,
woher er sie kannte, ihre klaren, entschlossenen Augen, ihre wunderbar weiche
Stimme, das Kleid. Sie war alles, was er in den letzten Jahren so sehr vermisst
hatte. Sie war diejenige, für die er alles aufgegeben hatte. Für sie hatte er
auf seine Rache verzichtet und lebte nun als ein Gefangener. Er erinnerte sich
an alles. Wie er hier her gekommen war, in dieses stinkende Verlies. Er
erinnerte sich an sie und doch hatte er die Liebe seines Lebens vorhin nicht
erkannt. Eine einsame Träne lief ihm über die Wange. Und wieder drang die
eiskalte Stimme an sein Ohr: „Ach, erinnerst du dich endlich? Hatte ich dir
nicht versprochen, dass ich dir alles nehme, was du liebst?“ Er blickte immer
noch fassungslos auf das Messer in ihrer Brust. Konnte sie die Augen nicht
einfach wieder öffnen und sagen, dass das alles nur ein dummer Scherz war?
Nein, das konnte sie nicht und das wusste er auch. Mit ihrem Namen auf den
Lippen gab er sich wieder dem furchtbaren Schmerz der Erkenntnis hin.
„Sakura.“ Dann verlor sich Sasuke in der Dunkelheit.