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Memories

von

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Realisation

Der vertraute Geruch von Desinfektionsmittel kam ihm entgegen, als würde Toru gegen eine Wand laufen, als er völlig atemlos durch den gläsernen Eingang des Krankenhauses, in dem er in den letzten Wochen so unzählig viele Stunden verbracht hatte, trat. Es war ruhig im Empfangsbereich, so ruhig, dass sein eigener Herzschlag das Lauteste war, was der Blonde vernahm. Er pochte in seinen Ohren, schien der Rhythmus zu sein, an den sich sein Körper nun zwangsläufig halten musste und der ihn bestimmte. Torus Hände waren nass, ob vor Schweiß oder dem Regen, welchem er nicht das kleinste Bisschen Beachtung geschenkt hatte, wusste er selbst nicht, aber es wäre in dieser Situation ohnehin nicht von Belangen gewesen. Nicht für Toru.

 

Die Schwester, die sich scheinbar seiner annehmen wollte ignorierend, lief Toru in Richtung Treppenhaus. In einem Fahrstuhl, dessen Tempo er nicht bestimmen konnte, auszuharren kam für ihn nicht in Frage. Fast schon provokant presste sich sein Smartphone gegen seinen Oberschenkel, als er die ersten zwei Stufen gleichzeitig nahm, erinnerte ihn an die SMS ihres Managers, die noch immer auf dem Display zu sehen war, würde Toru ihn entsperren. Sein Herz schlug noch immer wild, vielleicht sogar noch etwas schneller. Taka war wieder wach, er würde wieder mit ihm reden können, seine Stimme hören, sein Lächeln sehen, seine Hand durch die dunklen Locken gleiten lassen, die eigenen Lippen mit den vollen des Älteren vereinen.

 

Abrupt bleib Toru stehen, vernahm den eignen Puls ein paar Sekunden lang nicht, blendete ihn aus. Richtig. Sein Lockenkopf hatte Amnesie, er würde sich wohlmöglich nicht mehr an ihn erinnern können, geschweige denn an das, was zwischen ihnen war. Gewesen war.

Wie sollte sich Toru verhalten? Würde er es überhaupt ertragen in Takas Gegenwart zu sein? Was wenn er anfing zu weinen, was sollte Taka denken? Etwas in dem Blonden brach in sich zusammen und landete auf dem großen, bereits vorhandenen Scherbenhaufen in ihm. Was dachte er sich überhaupt? Es würde nur wehtun den Sänger zu sehen, es würde Taka nur verwirren Toru jetzt schon zu begegnen.

In seinem Hinterkopf entstand die Versuchung einfach wieder kehrt zu machen und zu verschwinden, doch als Toru den Kopf drehte und die bereits zurückgelegten grau gefliesten Stufen betrachtete, fühlte sich nichts falscher an als der Gedanke des Weglaufens. Das würde er Taka nicht antun können und sich selbst nicht antun wollen.

 

Mit einem drückenden Gefühl in der Brust schritt er die Treppen weiter hinauf, was ihm nun deutlich schwerer fiel als zuvor, geschuldet den Sorgen, die nun wieder wie ein zusätzliches Gewicht auf seinen Schultern ruhten und aus jedem Schritt einen Kraftakt machten. Ein Teil von ihm wünschte sich nichts sehnlicher, als den Menschen, den er am meisten liebte endlich wiederzusehen, ein anderer hatte so schreckliche Angst vor eben genau dieser Begegnung, dass Toru schlecht wurde, sobald er diesem nachgab.

 

„Intensivstation "

 

Seine Gedanken drehten sich im Kreis, sie zu verfolgen würde Toru nicht weiterbringen, er würde sich lediglich in ihnen verlieren.

In der dritten Etage war es ruhig, in einiger Entfernung war das tiefe Lachen eines Mannes zu hören, gefolgt von dem eines weiteren. Ein kurzer Blick auf das an der weißen Wand angebrachte Ziffernblatt verriet Toru, dass es gerade einmal zehn Uhr war, es war nicht viel Zeit vergangen, nachdem er die Nachricht über den erwachten Sänger erhalten - und er sich auf den Weg ins Krankenhaus gemacht hatte.

 

„Intensivstation“

 

Langsam schob er die gläserne Tür auf, bedacht darauf so wenig Geräusche wie möglich von sich zu geben, auch wenn ihn wohl kaum jemand durch die dicken Türen hätte hören können. Zur linken Seite des Flures befand sich ein Fenster, durch das Toru im Vorbeigehen die hellen Sonnenstrahlen sah, welche die Sonne nach dem letzten Regenschauer zuvor ausstrahlte, sie aber für den Moment – so schön dieser Anblick auch war – als zweitrangig abstempelte, stattdessen auf eine weiße Tür zuging, die die zweitletzte an der rechten Wand war. Der Blonde hätte auch ohne das an der Wand angebrachte Schild mit dem Namen des hier liegenden Patienten gewusst, wer sich in diesem Zimmer befand, doch bei dem Anblick der vier Schriftzeichen überkam Toru wieder Angst. Ihn und Taka trennte lediglich diese Tür, lediglich diese Tür war es, was ihn davon abhielt, seinen Lockenkopf wieder in die Arme zu schließen. Sie und die nackte Angst vor der Ungewissheit. Noch nie in seinem Leben war Toru so verunsichert gewesen, noch nie hatte er so mit sich selbst ringen müssen. Der kalte Türgriff in seiner Hand fühlte sich an, wie eine Stange Dynamit die jeden Moment hochgehen, man sie aber der Panik wegen nicht mehr loslassen konnte.

 

Kühle Luft kam Toru entgegen, man hatte wohl das Fenster aufgemacht. Aus dem Augenwinkel sah der Blonde, wie die weißen Gardienen sich leicht im Windzug bewegten, geradezu in den Raum hineintanzten, bevor sein Blick auf das Bett fiel, neben dem er so oft gewacht hatte. Er fühlte seine Augen wieder feucht wurden und verspürte den Drang, den aufrecht im Bett Sitzenden um den Hals zu fallen, genießen zu können, wie sich diesmal auch die Arme des Älteren um seinen Körper legten, er ihm sanft den Rücken streichelte und ihm sagte, dass alles okay sei. Als sich Takas Kopf zu ihm drehte meinte er, sein Herz aussetzen zu spüren und beinahe vergaß Toru zu atmen, als ihn große, braune Augen durch eine wilde Lockenmähne hindurch ansahen. Die Lippen seines Freundes sahen trocken aus, die Wangen jedoch gesund rot, ebenso wie die Nasenspitze des Sängers. In seinen Händen hielt er einen Zettel, dessen Aufschrift Toru jedoch nicht erkennen konnte. Wie angewurzelt starrte er den Lockenkopf an. Seinen Lockenkopf. Seinen Taka.

 

„Taka, i-“

 

„Toru!“ Wie ein Kind, das von seiner Mutter aus der Kindertagesstätte abgeholt wurde, strahlte Taka den Blonden an, dem sein eigenes Wort im Hals stecken geblieben war. Seine Augen weiteten sich und Toru befürchtete, dass Tränen binnen weniger Sekunden abermals an diesem Tag ihren Weg über seine Wangen fanden. Taka wusste, wer er war. „Oh wow, die blonden Haare stehen dir aber!“ Ein Lachen verließ die Kehle des Kleineren, welches jedoch von den tausenden Scherben, welche in Torus Inneren zu Boden fielen, übertönt wurde. Taubes Gefühl machte sich in seinen Beinen breit, woraufhin Toru etwas schwankend auf Takas Bett zuging und sich zu dessen Füßen auf die Matratze sinken ließ.

 

„Alles in Ordnung? Der Doktor meinte, du wärst auch in den Unfall verwickelt gewesen, vielleicht wäre es besser, wenn du wieder in dein Zimmer gehst und dich hinlegst? Die Medikamente scheinen richtig reinzuhauen bei dir. Ich meine, wir können ja später auch noch reden, oder?“ Taka wusste von dem Unfall, er hatte bereits mit einem Arzt gesprochen, okay. Er wusste aber nicht, dass Toru bereits entlassen wurde und der Blonde ging davon aus, dass Taka auch nicht wusste, wie lange er selbst bereits hier lag.

 

„Nein, nein, alles bestens, ich bin in Ordnung.“ Eine Lüge. „Ist nur alles ein bisschen…viel, denke ich?“ Vorsichtig sah Toru auf, traf den besorgten Blick seines Freundes und wollte heulen. Verzweifelt zwang er sich zu einem Lächeln. „Sag mir lieber wie es dir geht.“

 

„Besser als ich aussehe.“ Wieder lachte der Kleinere, hob dabei seinen rechten Arm, an den einiges angeschlossen war, um seine Aussage zu untermalen. „Nachdem ich aufgewacht bin kamen schon die ersten Ärzte und Schwestern, um meine Werte zu überprüfen, sie meinten alles sei hervorragend und wenn es über Nacht so bliebe, dürfte ich sogar schon morgen von der Intensivstation runter.“ Toru war erleichtert, dass zumindest die physische Verfassung seines Freundes in Ordnung zu sein schien, auch wenn der Verband um Takas Kopf im ersten Moment auf etwas anderes schließen ließ, ebenso wie die ganzen Schläuche um den Sänger herum. Generell war das Bild des fröhlich grinsenden Schwarzhaarigen in einer solchen Umgebung geradezu grotesk.

 

„Uhm…der Doktor hat mir erzählt was passiert ist, also das mit dem Unfall. Im ersten Moment hab ich mir fürchterliche Sorgen um dich gemacht, weil ich dich ja nicht direkt hier bei mir hatte, aber er meinte sofort, dass du um einiges glimpflicher davongekommen wärst als ich, da war ich erleichtert.“, erzählte der Kleinere weiter und zeigte seinem Gegenüber aufmunternd einen Daumen nach oben, worüber dieser in einer anderen Situation vielleicht geschmunzelt hätte. Toru spürte seine Wangen etwas wärmer werden, als Taka meinte, dass er sich Sorgen um ihn gemacht habe, auch wenn das natürlich auf einer völlig anderen Ebene gemeint war, als der Blonde es interpretierte. Er verkniff sich ein Seufzen.

 

„Und deine Verletzungen?“ Mit dem Kinn deutete Toru in Richtung Kopf des Kleineren, meinte augenscheinlich den Verband, spielte aber eigentlich auf etwas anderes an.

 

„Ach der.“, begann Taka und zupfte etwas an dem weißen Stoff oberhalb seiner Augen, schielte zu ihm hinauf. „Nein, keine Sorge, den trage ich nur wegen einer Platzwunde, auf die man kein Pflaster machen konnte.“ Besänftigend lächelte er den Blonden an, ließ seinen Blick dann aber auf die weißen Laken fallen, strich eine nicht vorhandene Falte aus der Decke.

 

„Was ist?“, fragte Toru, wobei er die Antwort wahrscheinlich schon kannte und hielt sich im letzten Moment davon ab, nach der Hand des Älteren zu greifen.

 

„Naja, es ist nur…also der Doktor meinte, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit Amnesie habe, also mich an Dinge nicht mehr erinnern kann.“ Auf die Erläuterung hätte Toru gerne verzichten können, verkniff sich diesen Kommentar aber natürlich. „Also…an den Unfall kann ich mich nicht mehr erinnern, aber das sei wohl bei 9 von 10 Patienten so, ansonsten…“ Er griff nach dem Papier, welches er bei Torus Eintritt in sein Zimmer noch in der Hand gehalten hatte und faltete es auseinander. „Ansonsten gibt nicht vieles einen Hinweis darauf, an wie viel ich mich noch erinnern kann, weil die Ärzte mich ja persönlich nicht kennen und meine Aussagen daher nicht bestätigen können, deswegen sollte ich Menschen oder Ereignisse aufschreiben, an die ich mich erinnere.“ Auffordernd hielt er Toru das Blatt entgegen, wollte wohl, dass der Blonde ein Blick darauf warf. Den Drang, die Kompetenz des Fachpersonals anzuzweifelnd, da diese Taka nicht einfach gefragt hatten, welches Jahr sie hätten, unterdrückte er. „Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass ich eine Gedächtnislücke von lediglich ein paar Tagen habe, aber da man sich im Krankenhaus wohl kaum die Haare bleichen kann, hab ich wohl doch etwas mehr verpennt.“ Der Körper des Jüngeren spannte sich an, als er Takas Finger an seinem Ohr spürte, wie sie nach einer der hellen Strähnen griffen und sie fast schon würdigend betasteten. „Schau bitte auf das Papier und sag mir, an wie viel ich mich erinnere, bitte.“ Am liebsten hätte Toru diesen Dienst verweigert, war aber nicht fähig den Kopf zu schütteln, geschweige denn Nein zu sagen. Viel zu eingenommen war er von der Präsenz des Sängers. Mit einem flauen Gefühl im Magen las er die ersten Zeichen auf dem karierten Papier.

 

Shinichi Mori -> Vater
Masako Mori -> Mutter
Tomohiro Moriuchi -> kleiner Bruder
Hiroki Moriuchi -> jüngster Bruder
 

An seine Familie schien sich Taka zu erinnern, auch wenn es Toru missfiel, dass er diese vor der Band, vor ihm, erwähnte, zumal sie solchen Krach gehabt hatten. Aber was konnte der Lockenkopf da schon für, wohlmöglich erinnerte er sich nicht mal mehr daran.

 

ONE OK ROCK -> Band
Toru Yamashita -> Gitarrist von ONE OK ROCK
Alexander Reimon Onizawa -> Gitarrist von ONE OK ROCK
Ryota Kohama -> Bassist von ONE OK ROCK
Tomoya Kanki -> Drummer von ONE OK ROCK
 

An seinem eigenen Namen blieb er hängen, las ihn mehre Male, ohne dass sich die Schriftzeichen änderten. Was hätte er lieber gelesen? Toru Yamashita -> Gitarrist von ONE OK ROCK/mein Verlobter vielleicht. Toru Yamashita -> mein Verlobter/Gitarrist von ONE OK ROCK. In der Reihenfolge wäre es ihm sogar noch lieber gewesen. Doch Taka erinnerte sich nicht. Er würde sich vielleicht nie wieder erinnern und Toru würde den Teufel tun ihm zu sagen, was er ihm bedeutet hatte, das konnte er dem Lockenkopf nicht antun. Ihm ein Schicksal aufzuzwingen, für das er, der jetzige Taka, sich nicht entschieden hatte, wäre falsch. Ihm sein altes zu verschweigen aber auch. Alle Möglichkeiten, die der Gitarrist hatte fühlten sich verlogen und feige an. Er wollte sich verkriechen, weinen, vielleicht sogar schreien. Er saß direkt neben Taka, fühlte sogar dessen Berührung an seiner Ohrmuschel und doch war da ganz deutlich diese Distanz zwischen ihnen, diese Mauer die er unmöglich einreißen konnte, so sehr er es auch versuchte, so sehr er es sich auch wünschte.

Beim Lesen der Schriftzeichen unter seinem Namen, die Taka in seiner zugegeben recht unleserlichen Schrift mit Kugelschreiber auf die Linien gezeichnet hatte, hob Toru erst eine Augenbraue, bevor der Blonde allmählich realisierte was es bedeutete, dass dieser Name dort aufgelistet war.

 

Alexander war nicht mehr Mitglied von ONE OK ROCK.

 

„Taka,“ Schon lange nicht mehr. „Alex hat die Band vor 6 Jahren verlassen.“



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