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Memori3s

von

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Sanktionen

Am nächsten Morgen verabschiedete Linus im Vorbeigehen seine Mutter und verließ wie gewohnt mit seiner sporadischen Schultasche früh die Wohnung. Routiniert schlug er den Weg links die Straße runter ein, an dessen Ende eine U-Bahn hielt, die ihn direkt zur Schule gefahren hätte. Kurz davor, außerhalb der Sichtweite der Wohnung, bog er dann in eine andere Straße ab und legte den Weg zum Hauptbahnhof im Laufschritt zurück.

Heute war der letzte Tag seiner von Dragan gesetzten Frist und er hatte sein Ziel, die 200000 Yen in den Händen zu halten, noch längst nicht erreicht. Er würde sich heute ranhalten müssen, um diese Summe zusammenzubekommen.

Zu dieser Uhrzeit, wenn der erste Ansturm des Arbeitstages langsam abklang, hoffte er, ein paar bekannte Gesichter am Bahnhof zu finden- die ganz Kranken und Süchtigen, die sich in der letzten Nacht ihr letztes Bisschen Stoff einverleibt hatten und nun jeglichen Preis für mehr bezahlen würden. Das Glück meinte es gut mit ihm und so fand er tatsächlich in den ersten zwei Stunden eine Hand voll Leute, denen er eine ansehnliche Menge verkaufen konnte. Doch es reichte immer noch nicht und mit jeder Stunde, die verstrich, wuchs seine Nervosität.

Gegen 14 Uhr machte er sich auf den Heimweg. In Gedanken versunken und mit weichen Knien, schloss er die Wohnung auf und marschierte direkt in sein Zimmer durch, was ihm einen schiefen Blick seitens seiner Mutter einbrachte.

„Alles in Ordnung, Schatz?“, fragte sie besorgt, als er stumm an ihr vorbeiging und ihr die Tür mehr oder weniger vor der Nase zuschlug.

„Alles Bestens!“, rief er über die Schulter zurück zur Tür, holte das Geld und die restlichen Drogen aus den Hosentaschen hervor und legte beides auf seinen Schreibtisch. Er biss sich auf die Lippen und sah zu den zerknitterten Scheinen und dem weißen Pulver. Er hatte sich noch nie wohl gefühlt, wenn er dieses Zeug hier zuhause hatte, wo es seine Mutter bei einer ungünstigen Gelegenheit jederzeit finden könnte.

„Ist etwas in der Schule gewesen?“

„Nein, Mum!“

Linus nahm das Geld und zählte zum hundertsten Mal nach- es fehlten rund 50000 Yen. Er fluchte stumm. Ihm blieben nur noch zwei Stunden und jetzt, um die Mittagszeit, wo die Straßen voll mit heimkehrenden Schülern und kaufwütigen Menschen waren, war es unmöglich, diese Summe zusammenzukriegen…

Seine Hände zitterten, als er sich durchs blonde Haar fuhr. Was sollte er sonst tun? Wo bekam er auf die Schnelle so viel Geld her? Er selbst besaß nicht einmal halb so viel und seine Mutter konnte und wollte er nicht um das Geld bitten.

Verzweifelt ließ Linus den Blick durch sein Zimmer schweifen- und blieb an Zeus` Visitenkarte kleben, die er achtlos auf die Fensterbank gelegt hatte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, den Mann aufzusuchen und ihn um die 50000 zu bitten, doch dann schaltete sich sein Stolz wieder ein und schimpfte seinen Verstand einen Idioten- er hatte nicht vor seine alten Schulden mit neuen zu tilgen.

Sein Blick wanderte weiter und fand diesmal etwas anderes, das Linus jedoch einen unangenehmen Stich im Magen versetzte. Er dachte lange darüber nach, doch dann fasste er einen Endschluss und packte die kostbare Armbanduhr in seinen Rucksack. Die Drogen stopfte er sich wieder tief in die Gesäßtasche, dann verließ er sein Zimmer und streckte hastig den Kopf zur Küche hinein, in der seine Mutter kochte.

„Ich treff mich noch mit ein paar Leuten aus der Schule.“, rief er schnell und wollte schon weiter zur Wohnungstür eilen, als ihn die verwirrte Stimme seiner Mutter aufhielt.

„Was habt ihr denn vor?“

Linus schaute sie blinzelnd an und zuckte die Schultern. „Weiß nicht, wir wollten in die Innenstadt.“

Auf dem Gesicht seiner Mutter bildeten sich Sorgenfalten. „Komm aber diesmal nicht so spät nach Hause…“

„Ich bin pünktlich zum Abendessen da.“, versprach Linus lächelnd, dann war er auch schon aus der Tür raus und nahm auf dem Weg nach unten hastig jeweils zwei Stufen auf einmal.
 

Prüfend nahm der Mann die goldene Uhr in die Hand und hielt sie in das Licht der Lampe. Ein paar Minuten lang drehte er das wertvolle Stück schweigend hin und her, betrachtete jedes Detail des Ziffernblatts einzeln, bis er sie brummend wieder auf den Tisch legte und mit verschränkten Armen zu Linus sah, der ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte trommelte.

„Vierzigtausend.“, sagte der Antiquitätenhändler mürrisch und Linus sah ihn fassungslos an.

„Ist das Ihr Ernst? Die ist viel mehr wert!“, rief er aufgebracht. „Die Uhr hat meinem Großvater gehört. Die muss schon über 50 Jahre alt sein, handgemacht und das ist echtes Gold!“ Pikiert über den schroffen Tonfall wanderte die Braue des Mannes in die Höhe.

„Das seh ich, junger Mann.“, erwiderte er und nahm Linus abschätzend ins Auge. „Dennoch ist sie nicht mehr wert als-“

„Ich will 50000 dafür haben!“ Der Blick des Händlers wechselte ins Verblüffte.

„Das ist- bei aller Liebe…“

„50000 Yen.“, fiel ihm sein Gegenüber betont ins Wort. „Für weniger verkaufe ich die Uhr nicht.“

Für Sekunden kämpfte der Mann innerlich um Beherrschung. So ein vorlauter Bengel! Was erlaubte er sich eigentlich? Aber dann fiel sein Blick wieder auf die wunderschöne Armbanduhr vor ihm. So etwas sah man heute nur noch selten. Er konnte nicht glauben, dass der Junge so etwas Schönes verkaufen wollte- die Jugend von heute wusste halt immer weniger zu schätzen…

Der Händler gab sich einen Ruck. „Abgemacht, 50000 Yen.“, gab er nach und ging zum Kassiergerät.

Als Linus die vielen Scheine endlich in den Händen hielt, fiel ihm ein riesiger Stein vom Herzen. Ihn plagten zwar immer noch Gewissensbisse, dass er sein Erbe so leicht hingegeben hat, aber auf der anderen Seite hatte er jetzt das beinahe Unmögliche geschafft und konnte tatsächlich seine Schulden bei Dragan abzahlen! Erleichtert verließ Linus das Antiquitätengeschäft, steckte das gesammelte Geld unter seine Jacke und schlug den Weg in Richtung Rotlichtviertel ein- das Viertel, in dem die mächtigen Unterweltgrößen saßen und regierten. Allerdings sollte er nicht weit kommen- genauer gesagt, nur zwei Straßenkreuzungen weiter, dann sah sich Linus einer Wand aus Polizisten gegenüber.

Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte die uniformierten Leute an, die Passanten anhielten und sie nach ihren Tascheninhalten befragten. Die Straßenecke, an der sie standen, war ein beliebter Dealertreffpunkt, weshalb die Polizisten bevorzugt Jugendliche aufhielten. Linus vermutete, dass irgendein Anwohner bei der Polizei geplaudert haben musste. Ihm fiel alle Farbe aus dem Gesicht, als einer der Polizisten auf einmal zu ihm herüber sah. Er war noch gute 30 Meter entfernt und es hätte auch einfach nur Zufall sein können, dass der Mann in seine Richtung geschaut hat, doch in diesem Moment machte Linus den Fehler und ging nervös ein paar Schritte rückwärts, als er sich dem Stoff in seiner Hosentasche wieder bewusst wurde. Er war sich sicher gewesen, dass der uniformierte Mann ihn nicht weiter beachtet hätte, aber nun verengten sich seine Augen misstrauisch.

Linus sah plötzlich keinen anderen Ausweg mehr, als auf dem Absatz kehrtzumachen und wegzurennen. Donnernde Rufe wurden hinter ihm laut, die ihn jedoch nur zu höherem Tempo antrieben, dass er beinahe blind durch den Menschenstrom in der Innenstadt stolperte. Linus schaute sich nicht um, aber die immer lauter werdenden Rufe, die er zu hören glaubte, reichten ihm als Information völlig aus, um zu wissen, dass er verfolgt wurde.

Irgendwann lichtete sich die Masse der Menschen und der Hafen tauchte vor ihm auf. Er bog in eine leere Gasse ein, die zwischen zwei Fabrikgebäuden herlief und in der seine weit ausgreifenden Schritte von den Blechwänden her im Kanon widerhallten. Seine Lunge brannte und sein Atem war zu einem schmerzhaften und wilden Keuchen zusammengeschrumpft. Plötzlich fiel ihm auf, dass das aggressive Gebrüll des Polizisten ausblieb und so drehte er sich im Laufen kurz über die Schulter um- und stolperte über seine eigenen Beine.

Ungebremst schlug Linus auf den asphaltierten Boden auf, vollführte eine unelegante Rolle über Kopf und Schultern und blieb stöhnend auf dem Bauch liegen. Sein ganzer Körper schrie vor Schmerzen und keuchend versuchte er, wieder auf Knie und Arme zu kommen. Seine Handflächen waren aufgeschürft, genauso wie sein Kinn und in seinem Mund sammelte sich der Geschmack von Blut. Benommen schüttelte Linus den Kopf und sah die Gasse hinunter. Niemand war zu sehen und die einzigen Geräusche, die er hörte, waren sein eigener hektisch keuchender Atem, der sich mit dem Schreien der Möwen vermischte, und das leichte Rauschen der Wellen. Sein Herz überschlug sich beinahe und es fiel ihm immer schwerer, klar zu sehen. Rasend schnell verschwamm sein Sichtfeld, die Gasse vor ihm begann sich zu drehen und bevor Linus aufstehen konnte, wurde ihm schwarz vor Augen.
 

Als er das Bewusstsein wiedererlangte, fühlte er sich, als lägen zwei Tonnen auf ihm. Blinzelnd öffnete Linus die Augen und versuchte den schweren Kopf zu heben. Die Welt drehte sich immer noch vor seinen Augen und der Schmerz in seiner Schulter war unerträglich, dennoch zwang er sich auf die Beine und stützte sich schwankend an der Fabrikwand neben ihm ab. Stöhnend hielt er sich den Kopf und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus, tastete vorsichtig seinen Oberkörper ab und vergewisserte sich, dass ihm nichts gestohlen worden war, bis ihm ein Gedanke wie glühendes Eisen durch den Kopf schoss.

Wie spät war es?

Hastig schaute er auf seine Armbanduhr und im nächsten Augenblick gaben seine Beine vor Schock unter ihm nach. Seine Frist war vor 20 Minuten abgelaufen…

Er fluchte laut und setzte sich humpelnd in Bewegung. Es war nicht weit vom Hafen aus bis zu Dragan, doch seine Beine wollten ihm partout nicht gehorchen. Den Schmerz ignorierend zog Linus das Tempo an und mit Schweiß auf der Stirn erreichte er zehn Minuten später Dragans Bar.

Die leicht bekleideten Kellnerinnen sahen ihm teils schockiert, teils besorgt hinterher, riefen ihm sogar etwas zu, doch er antwortete kein einziges Mal. Gehetzt zwängte er sich an den Bodyguards vorbei und betrat keuchend den hinteren Teil der Bar, der zu Dragans persönlichen Räumen zählte. Zu seiner Verwunderung hielt ihn niemand auf- normalerweise hätte er bei diesem rücksichtslosen Verhalten schon längst ein paar Kugeln in seinen Gliedmaßen stecken gehabt. Dragan saß wie üblich an seinem Schreibtisch und musterte Linus aufmerksam, als dieser ins Hinterzimmer gestürmt kam.

„Dragan…“, begann der junge Mann atemlos und vollführte eine fahrige, aber dennoch tiefe Verbeugung. „Es tut mir Leid, dass ich zu spät bin- ich wollte pünktlich sein, wirklich, aber-“

Linus verstummte unter Dragans langsamer Handbewegung. Der dickliche Mittfünfziger sah ihm stoisch in die Augen, wobei sein Gesicht keinerlei Emotionen zeigte, sodass Linus seine Stimmung nicht erraten konnte- und genau dieses Pokergesicht ließ ihn wie so oft erzittern und trocken schlucken.

„Hast du das Geld?“, fragte Dragan nach ein paar Sekunden und Linus beeilte sich, zu nicken. Nervös griff er unter seine Jacke und überreichte dem Mann das Geld. Nach kurzem Zögern holte er auch noch die verbliebenden Drogen, wenn es auch nicht mehr viel war, zum Vorschein und legte diese ebenfalls auf den Tisch- er hätte sie früher oder später sowieso zurückgeben müssen. Was man nicht verkauft, darf man nicht behalten- die Regel war simpel und Dragan verstand es, sie effektiv in die Hirne seiner Dealer einzubrennen; missachtete man sie einmal, würde er umgehend dafür sorgen, dass man es kein zweites Mal tun würde… wenn man das Glück hatte, am Leben bleiben zu dürfen.

Ein junger Mann, der Gerüchten zufolge Dragans Neffe sein sollte und der Unterweltgröße nie von der Seite wich, nahm das weiße Pulver an sich, wobei sich der silberne Metallring an seinem Mittelfinger hell im Licht der kleinen Schreibtischlampe brach, und stellte sich wieder dicht neben seinen Boss, der in der Zwischenzeit das Geld nachzählte. Linus` Knie wurden wieder weich und nervös nestelte er an seinem Jackensaum. Hoffentlich hatte er kein Geld auf dem Weg hierhin verloren…

Minuten, die sich wie Stunden hinzogen, vergingen schweigend, ehe Dragan wieder aufschaute und das Geld in einer Schublade an seinem Schreibtisch verschwinden ließ.

„Ich gehe davon aus, dass du deine Lektion gelernt hast, Linus.“, sagte er ruhig und seine Stimme veranlasste Linus dazu, sich steifer hinzustellen. Er nickte schnell.

„Ich werde Sie nicht noch einmal enttäuschen.“, antwortete Linus heiser. Dragan legte die Hände vor seinem Gesicht zusammen und musterte ihn aus verengten Augen.

„Da bin ich mir sicher…“, entgegnete er kühl und vollführte einen wegwischenden Wink mit der Linken. „Geh jetzt.“

Linus verbeugte sich schnell und drehte etwas erleichtert auf dem Absatz um.

„Linus...“

Das Knurren in Dragans Stimme war nicht zu überhören und ließ den Jüngeren bis ins Mark zusammenzucken. Langsam drehte er sich zu dem Mann um und sah ihn fragend an. Dragan lächelte nicht besonders breit oder belustigt; es erinnerte Linus mehr an das Zähneblecken einer fetten Hyäne.

„Deine Mutter ist eine ausgezeichnete Köchin.“

Quälend langsam sickerten Dragans Worte durch Linus` Verstand, als wollte er sicher gehen, dass jede Faser in seinem Körper sie bewusst wahrnahm und verstand. Sein Herz schlug plötzlich mit aller Kraft gegen seine Rippen, als wolle es ausbrechen und aus seinem Gesicht fiel jegliche Farbe. Ohne weiter darüber nachzudenken oder Rücksicht zu nehmen, stürzte er aus dem Raum, drängte sich an Dragans Untergebenen vorbei und lief kreidebleich hinaus auf die Straße.
 

Er schrie beinahe panisch den Namen seiner Mutter, als er die Wohnungstür aufstieß. Keuchend stand er ein paar Sekunden im Türrahmen und horchte. Vergebens wartete er auf eine Antwort. Linus` Hals zog sich schmerzhaft zusammen und seine Lunge versagte ihm den Dienst. Vorsichtig schloss er die Tür und betrat den schmalen Flur.

„Mum? Bist du da?“, rief er noch einmal. Sie ist nicht zuhause, ganz einfach, raunte sein Verstand beruhigend immer und immer wieder. Sie ist nicht da, vermutlich etwas einkaufen…

Doch es half nichts. Sein Herz schien vergessen zu haben, wie man im Rhythmus blieb und mit weichen Knien sah er in die einzelnen Räume. Das Wohnzimmer war wie immer aufgeräumt und sauber, in seinem Zimmer herrschte das gewohnte Chaos. Die Stille brachte ihn fast um den Verstand. Sie ist nicht da, also beruhig dich endlich, rief er sich zur Ordnung.

Aus der Küche roch es nach gebratenen Fleisch und Gewürzen. Die Tür stand offen, sodass Linus von außen die Töpfe und Pfannen auf dem Herd stehen sah. Etwas Gelbes klebte an einem von ihnen und stirnrunzelnd betrat Linus die Küche und nahm den kleinen Zettel in die Hand.

„Maggie hat angerufen- sie hat Stress mit ihrem Freund. Ich bin bei ihr und weiß nicht, wann ich wieder komme. Iss ruhig ohne mich.“, stand dort in der geschwungenen Schrift seiner Mutter und erleichtert und glücklich atmete Linus aus. Sie war tatsächlich nicht hier, Dragan wollte ihn einfach nur einschüchtern…

Er stockte, als er auf einmal den roten Fleck auf dem gelben Zettel wahrnahm. Sein Herz klopfte schneller, als er mit dem Daumen über den Fleck fuhr und dieser in Schlieren verwischte. War das etwa…?

Knarrend schloss sich die Tür in seinem Rücken und ein dumpfes Geräusch folgte, sodass Linus erschrocken zusammenfuhr. Zitternd drehte er sich um und brach im nächsten Moment aufschreiend zusammen.

Die geweiteten Augen seiner Mutter schienen ihn direkt anzustarren. Ihr Mund war leicht geöffnet, als habe sie versucht zu schreien oder etwas zu sagen. Ein Loch prangte auf ihrer Stirn genau zwischen ihren von Angst erfüllten Augen. Zwei weitere Kugeln hatten sie in Brust und Bauch getroffen und das noch feuchte Blut tränkte ihre helle Kleidung tiefrot. Ein schwacher Umriss ihres Kopfes war an der nun rot gesprenkelten Wand neben der Tür zu erkennen, vor der sie vermutlich gestanden hatte, als sie erschossen wurde. Blutige, verwischte Streifen deuteten an, dass sie an der Wand runtergerutscht war und nur die geöffnete Tür ihren Sturz für gewisse Zeit aufgehalten hatte- nun lag sie auf den kalten weißen Fliesen, auf denen sich das Blut grotesk abzeichnete.

Linus wusste nicht mehr, wie lange er so regungslos und ohne zu atmen dagesessen hatte. Er fühlte sich wie in einem dieser Horrorfilme, den er Popcorn essend mit seinen wenigen Freunden schauen würde. Für gewöhnlich würden sie jetzt jubeln, da nun nach fünf Minuten sinnlosem und absehbarem Hinauszögern der Regisseure endlich die Leiche gezeigt wurde, sie würden über die übertriebene Blutlache die Köpfe schütteln und anfangen, über den verwendeten Kaliber zu fachsimpeln, der solche Blutspritzer und Einschusslöcher hinterlassen würde.

Als dann aber die Illusion verblasste und er in den Gesichtszügen des Opfers wieder seine eigene Mutter erkannte, drehte sich sein Magen um. Er begann zu würgen, zog sich an der Küchenzeile hoch und übergab sich in die Spüle. Er schluckte den Geschmack von bitterer Magensäure hinunter und spürte die Tränen in ihm hochsteigen. Seine Mutter starrte ihn immer noch an und verstört wich er von ihr weiter weg. Linus wollte ihren Blick nicht länger sehen, wollte hier raus, aber sie lag vor der rettenden Tür in ihrem eigenen Blut.

Zitternd und schluchzend kroch er hinter den Küchentisch, drehte sich mit dem Gesicht zur Wand und legte die Hände in seinen schweißnassen Nacken. Er kauerte sich zusammen, schloss die Augen und weinte leise.

Ja, Alexej Dragan wusste, wie er seine Regeln nachhaltig in dem Bewusstsein seiner Untergebenen verankern konnte; das hatte Linus wieder einmal schmerzhaft feststellen müssen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Thuja
2013-01-03T19:16:03+00:00 03.01.2013 20:16
*wütend auf den Tisch haue*
NEIN. Nein. Nein
das geht doch nicht
wie kann man nur immer, durchweg so genial schreiben
mir tun alle Leid, die das nicht lesen. Ihnen entgeht wirklich etwas
*riesige Packungen Mitleid für die ganze Menschheit kaufe*

Das Ende ist bitter.
Nach Dragans Worten habe ich gerätselt, ob es nur eine Drohung war oder ob er sie tatsächlich schon umgebracht hat
Linus konnte mir gar nicht schnell genug zuhause ankommen. Ich wollte es unbedingt wissen.
Und als er den Zettel fand, war ich erleichtert
Du bist schon mies *dich schlag*
Eine harte Strafe und dabei hat er gar nicht so riesig verspätet. Aber diesen Auftraggeber verärgert man wohl lieber nicht O_o
Was wird Linus jetzt tun?



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