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Stray

von

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In meinen Augen Sternenglanz

Vorwort: Ja, Antti besitzt eine Tasse mit Muminaufdruck. Nein, er besitzt sie weder, weil er Finne ist, noch, weil ich zuviele SuFin-FFs gelesen habe (habe ich nämlich nicht, noch lange nicht ;)) ... Er besitzt sie einfach aus dem Grund, dass ich auch eine habe. Nur ist meine grün ;)

Ach....Saku und Fuchs....

….Melodramatik ahoi! - Aber es MUSS sein ;)
 

Stray

vol.12: In meinen Augen Sternenglanz
 

Jamie: Pure Morning
 

There's always one who loves and one who lets himself be loved.
 

- W. Somerset Maugham
 

Als ich erwacht war, war es noch früh morgens gewesen, und ich war allein im Zimmer.

Ich öffnete das Fenster, und zitterte ein wenig im Schwall kalter Luft, der über meine Haut wehte; vielleicht war Junya in sein eigenes Zimmer gegangen, um auszuschlafen, oder er war im Bad. Ich hatte die ganze Nacht über nichts von ihn gemerkt, und war auch nicht einmal aufgewacht, als er aufgestanden war; nicht so verwunderlich, da ich halb auf dem Dielenboden gelegen hatte, mein Nacken schmerzte vom steifen Liegen. Die Matratze war wirklich etwas klein für zwei Personen.

Ich gähnte, beide Hände im Nacken, und ließ mich auf den Boden fallen, um meine Kleidung zusammenzusuchen. Es war wirklich noch früh, aber ich fühlte mich ausgeruht, und zudem etwas rastlos, mit einem Flattern im Bauch, das ich mir nicht erklären konnte; selbst das fahle Morgenlicht schien eher von Silber als von Grau, und als ich eine Amsel auf dem Dach vor meinem Fenster in den Frühlingsmorgen rufen hörte, schien es mir wie die Verheißung eines bedeutenden Tages. Dass ich nicht Unrecht hatte, wurde mir später bewusst, zu diesem Zeitpunkt wusste ich nur, dass ich nicht mehr länger liegen und schlafen wollte. Der feine kühle Wind fuhr mir in den Nacken, und ich zog mir schnell meinen Pullover über den Kopf, versuchte vergebens, meine Haare mit den Fingern zumindest soweit zu bändigen, dass sie annähernd in natürliche Wuchsrichtung abstanden. Die vorderen Strähnen hingen mir in die Augen; vielleicht sollte ich ebenfalls Mari nach einem Schnitt fragen, aber vielleicht war das auch zu aufdringlich.

Ich verzichtete auf Socken und tappte auf bloßen Füßen zur Tür; es war niemand bei uns oben auf dem Flur zu sehen, aber aus Valentins Zimmer hörte ich Gitarrenspiel, und ich trottete hinüber, mit den Händen meinen Pulli zurechtziehend, um ihm einen guten Morgen zu wünschen, unsicher, ob er überhaupt schon geschlafen hatte in dieser Nacht, oder sein Tag gerade erst zuende ging.

Er war ja auch immer noch erkältet, und sollte vielleicht ein wenig mehr auf seine Gesundheit achten; immerhin hatten wir ihm extra etwas gegen die Erkältung besorgt! Vier Jahre älter als ich, und dennoch unvernünftig wie ein sturer Bock, wenn es um seine Medizin ging.

Ich wollte erst eintreten, stockte dann mitten im Griff nach der Klinke, und mir schoss das Blut ins Gesicht, als ich an den vergangenen Abend dachte.

Vielleicht sollte ich nicht einfach so eintreten – was, wenn Valentin nicht alleine war – was, wenn.... Ich konnte förmlich spüren, wie mir bei der Vorstellung die Gesichtszüge entgleisten, und ich schüttelte heftig den Kopf und klopfte etwas fester als beabsichtigt an, zum Teil auch, um durch das Geräusch die Bilder aus meinem Kopf zu vertreiben.

Keine Ahnung, was ich getan hätte, hätten mir statt einer drei Personen die Tür geöffnet, aber zu meiner immensen Erleichterung stand, nachdem das Gitarrenspiel verklungen war, nur Valentin im Türrahmen und grinste mich etwas schief an; er hatte wieder etwas mehr Farbe im Gesicht, so viel das bei seiner von Natur aus blassen Hautfarbe möglich war, und trug die Jeans vom Vorabend; seine blauen Augen blitzten mich an, seine Haare rochen nach Rauch, was gut war, da ich einmal kurz ausatmen musste und mich der intensive Geruch davon ablenkte, dass er shirtlos vor mir stand. Val war wirklich sehr schlank, und blass, sein Körper hatte diese Aura von ausgezehrtem Rebellenstolz, das ihn auf der Bühne an der Gitarre seinen eigenen Bandleader in den Schatten stellen ließ; ich sah einen Ring an seiner rechten Brustwarze, ehe ich den Blick schnell wieder hob. Valentin grinste; in seiner rechten Hand hielt er zwischen zwei Fingern noch die Zigarette. „Hey, morgen. Alles klar bei dir?“

„Ja, alles gut. Hab ich dich gestört?“

„Nein, ach was. Ich konnte nicht schlafen. Ach, Jamie, wegen gestern Abend...“ Er verlagerte sein Gewicht etwas und lehnte sich an den Türrahmen, nahm einen schnellen Zug von seiner Zigarette. „Ihr seid so schnell abgehauen, ich hoffe wir sind nicht zu weit gegangen.“

Ich wurde etwas rot. „Nein...ist okay....war ja nur Spaß.“ Ich biss mir auf die Lippe, war sauer auf mich selbst. War es so offensichtlich gewesen, dass man mich so leicht aus dem Konzept bringen konnte? War es so auffällig? „Es ist ja nicht so, dass mich sowas stört, ihr müsst mich nicht....“

„...behandeln wie ein rohes Ei?“, beendete Val den Satz für mich, sein Mundwinkel zuckte. „Ist schon okay, Jamie, wir sind alle erwachsen; das hab ich auch so gar nicht gemeint.“

„Was denn sonst?“ Ich sah ihn etwas verwirrt an und versuchte, den Sinn seiner Worte zu rekapitulieren; irgendwie hatte ich das seltsame Gefühl, dass ich etwas Wichtiges verpasst hatte, denn ich verstand nicht mehr wirklich, was der Blonde sonst hätte meinen können; jener zuckte nur die Schultern.

„Ist nicht so wichtig. Wenn alles in Ordnung ist, spielt es ja auch keine Rolle.“

„Ähm...“ Ich sah ihn eine Weile an, forschte in seinem Gesicht nach einer Antwort, aber Valentin hielt die blauen Augen von mir abgewandt, als er einen Aschenbecher aus dem Regal neben sich angelte und die Kippe ausdrückte, und ich schweifte unwillkürlich mit dem Blick etwas ab, über seine bloßen Schultern, die schlanken Arme, den schmalen Körper, der aufrecht da stand; sein Gesicht hatte etwas fast Weiches, Kindliches, aber sein Körper wirkte trotz der milchig schimmernden Haut so gar nicht zart, ohne jegliches überflüssige Gramm Fett, die Haut über dem flachen Bauch samtig; die hagere Anmut in seiner Gestalt, wie die einer streunenden Katze, hatte auf ihre eigene Art sogar etwas sehr Männliches. „Gehts dir eigentlich wieder besser?“, stotterte ich schnell, den Blick auf irgendeinen total interessanten Punkt irgendwo in der Gegend von Vals linkem Ohr gerichtet.

„Hmm?“ Er sah auf, strich sich die wirren Haare nach hinten. „Ach so, ja, ich bin ein bisschen verschnupft, aber sonst geht’s mir gut. Wegen deiner guten, und etwas aggressiven, Pflege! Danke.“

Ich musste lachen, rieb mir ein wenig verschämt den Arm; schön, vielleicht hatte ich darauf bestanden, dass Valentin inhalierte, aber ich war nicht einmal laut geworden dabei. Ich hatte nur keine Widerrede gelten lassen.

Wenn man ihn auch zu seinem Glück zwingen musste!

„Gern geschehen.“

Der Blonde lächelte mich an. „Hey, ehe du die ganze Zeit im Flur rumstehst, du kannst auch gern -“ Er brach auf einmal ab. „Ach, weißt du was, oder ich komm raus, schlafen kann ich sowieso nicht mehr.“

Ich runzelte die Stirn und wollte etwas sagen, als ich auf einmal einen Arm um mich spürte; als ich zur Seite sah, sah ich in Junyas Gesicht; er wirkte ungewohnt ernst, lächelte aber, als mein Blick ihn traf, und ich lächelte zurück. Valentin ging in sein Zimmer und zog sich ein T-Shirt über, Junya strich mir sacht mit einer Hand über die Seite. „Guten Morgen. Du hast dich gar nicht gewundert, dass ich weg war?“

„Doch....klar hab ich mich gewundert. Warum fragst -“ Ich wurde unterbrochen, als Ilja die Treppe hochkam und uns zuzischte.

„Da seid ihr! Kommt! Schnell! Aber leise!“

„Was zum -“ begann Valentin, der großgewachsene Russe unterbrach ihn mit einer Geste.

Seine braunen Augen blitzten, als er uns zugrinste; die dunkelblonde Mähne hing ihm nur teilweise vom Zopf gebändigt über die Schulter, er sah aus, als sei er gerade erst aufgestanden, um in die Garage zu gehen; trug eines seiner alten T-Shirts, das lose um seinen muskulösen Oberkörper spielte, und eine verblichene Jeans, er griff nach hinten um seine Haare neu zum Zopf zu binden, steckte die Zungenspitze zwischen die Zähne in einem aufgedrehten Grinsen und schüttelte nur den Kopf; so aufgeregt kannte ich ihn gar nicht, für mich war er immer der Ruhige, Gelassene gewesen, umso jünger wirkte der Bastler nun.

„Sagt nichts, kommt einfach mit!“

Wir folgten dem aufgeregten Russen die Treppe hinunter; ich spürte, wie sich Junyas Hand in meine schob, und lächelte ihm über die Schulter hinweg zu, mit einer Hand an der zerrissenen uralten Tapete des Treppenaufgangs entlangstreichend; hinter uns folgte Valentin, band sich die losen Strähnen, die ihm in die Stirn fielen, mit einem dünnen Gummi zusammen.

Das Umsehen stellte sich als eher suboptimaler Einfall heraus; beim wieder Umwenden trat ich neben eine Stufe und hätte mir ein weiteres Mal fast den Hals gebrochen, wenn nicht Ilja mich geistesgegenwärtig aufgefangen hätte; ich klammerte ich an ihm fest, er war überraschend warm.

„Whoa, Vorsicht, langsam fallen! Alles okay?“

„Geht schon, danke“, murmelte ich und merkte, wie ich knallrot wurde; warum war immer ich es, der regelmäßig gegen geschlossene Türen rannte, gestapeltes Geschirr zu Boden riss und auf Treppen halb zu Tode stürzte? Und dazu fast jedes Mal geradewegs in die Arme anderer Männer; mein eigener Bruder konnte ein Lied davon singen, wenigstens konnte man mir damit keine Absicht mehr unterstellen!

Junya schien mich trotzdem ungern in Iljas Arm zu sehen; er nahm meine Hand, die ihm entglitten war. „Warte, ich helf dir schon.“

„Wie wärs, wenn ihr mich alleine die Treppe runtergehen lasst?“, murrte ich leise, noch roter im Gesicht vor Scham, als ich es vorher schon gewesen war; ich bekam Junyas verhalten eingeschnappte Reaktion nur am Rande mit, weil Val hinter ihm loslachte.

„Traust du dir das zu?“

„Seid mal bitte etwas leiser“, flüsterte Ilja; wir waren im ersten Stock angekommen.

„Was ist denn überhaupt so Tolles los?“

Auf dem oberen Treppenabsatz saßen die Zwillinge und hoben kurz synchron den Kopf zu uns, unterhielten sich dann leise weiter. Ich hörte sowas wie ein Quietschen von weiter unten an der Treppe; auf dem unteren Absatz saß Rose, Yuki hatte die Arme um ihn geschlungen und das Gesicht an seiner Schulter vergraben; sah auf, als wir leise die Treppe hinabkamen.

„Drei Kreuze“, flüsterte er uns tonlos zu, gestikulierte wild ins Wohnzimmer; seine braunen Augen funkelten. „Ich mach drei Kreuze! Mindestens!“

„Was...“ Ich stockte, und hörte Valentin hinter uns leise die Luft durch die Zähne stoßen; ich merkte gar nicht, dass ich die Hände ans Gesicht gehoben hatte, bis Yuki mich am Ärmel zupfte und mich zu sich hinunterzog; jetzt sah ich auch Diego in seiner Zimmertür stehen und in sich hinein grinsen.

„Du brauchst nicht so zu lachen; ich bekomm Geld von dir“, zischte Yukio ihn an.

„Das mit der Wette war doch nicht ernst gemeint!“

„Und wie es das war, mein Schatz! Wir sprechen uns noch, verlass dich drauf.“ Der Blonde warf Diego einen Kuss zu, der ihm dafür den Mittelfinger zeigte.

„Arschloch.“

„Ich liebe dich auch.“

Im hellen Licht des anbrechenden Vormittages lagen Seite an Seite auf dem Wohnzimmerteppich, mit den Köpfen in unsere Richtung und in festem Schlaf, mein Bruder und Fuchs, die Gesichter einander zugewandt. Das Licht kroch über ihre schlafenden Körper und schien sanft auf die entspannten Gesichtszüge; sie sahen so friedlich aus, diese unterdrückte Wut in Sakus Gesicht, die schlecht versteckte Trauer in Fuchs' Miene, sie waren verschwunden.

Beide hatten einen Arm umeinandergelegt, den anderen unterm Kopf liegen, die Beine so miteinander verschränkt, dass sie einander nicht im Weg waren; es sah so aneinander angeglichen aus, als hätten sie schon ewig so gelegen. Fuchs' bandagierter Arm hob sich weiß von Sakus dunklem T-Shirt ab; ich sah einen seiner Finger im Schlaf zucken, Sakuya bewegte leicht den Arm im Schlaf, als wollte er den Rotblonden enger zu sich ziehen. Zwischen ihnen lag ein Buch, es schien keinen von beiden zu stören, sie schliefen anscheinend wie Steine.

Ilja winkte uns zu und zeigte auf die Küche.

„Ich glaub du kannst sprechen, die weckt so schnell nichts auf“, murmelte Diego, kam dennoch zu uns herüber.

Rose legte einen Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf. „Irr dich da mal nicht“, wisperte er. „Ohren wie Luchse; wenn du zu nah rangehst oder ein lautes Geräusch machst, ist sofort einer wach, und der andre spätestens zwei Sekunden danach, glaub mir. Ich hab es erlebt. Lasst uns in die Küche gehen.“

„Ernsthaft?“

„Wenn ich's dir sage. In meiner zweiten Nacht mit den beiden lag ich irgendwann gegen Morgen plötzlich auf dem Bauch, die Arme auf dem Rücken, und hörte von irgendwo über mir nur ein betretenes 'Oh, shit, entschuldige, ich war noch nicht richtig wach'.“

Yuki grunzte durch die Nase beim Versuch, ein Lachen zu unterdrücken, und erntete davon eine auf den Mund gepresste Hand von Diego, ehe wir alle gesammelt in der Küche standen; es war unglaublich eng zu neunt.

Ilja stellte sich an die Theke und machte uns allen Kaffee; Diego lehnte am Kühlschrank und sah glatt so aus, als würde er gleich schlafend zur Seite in die Spüle plumpsen, während Yukio ihn in die Seite piekste.

„Lass das.“

„Nicht geschlafen?“

„Lass das!“

„Was hast du denn die ganze Nacht gemacht?“

„Lass das jetzt sein!“

Yuen reagierte und drückte dem kleinen Blondschopf einen Lappen in die Hand, „Hier, wenn du so viel Energie hast, kannst du auch Tassen für alle abwaschen.“

Sein Bruder scheuchte den Spanier von der Spüle fort und drehte das Wasser auf; jetzt, wo Diego sich zu uns auf die Bank quetschte, wurde es wirklich eng. Rose und Valentin saßen auf den Stühlen, und Junya legte einen Arm um meine Schultern, während wir alle, mit Ausnahme der Zwillinge, unseren Kaffee tranken; hungrig war auch auf Nachfrage noch niemand.

Die Stimmung war gelöst; ich glaube, das war das erste Mal, seit ich in diesem Haus war, dass wirklich jeder hier gute Laune hatte; nur Diego schien etwas zu bedrücken, aber er taute schnell auf.

Ich glaube auch, das war das erste und eines der seltenen Male, dass ich Rose wirklich ungehemmt fröhlich mit Yuki lachen sah; ich freute mich, aber es war auch verständlich, schließlich war er lange mit meinem Bruder und Fuchs befreundet, schon mehr als drei Jahre. Auch die anderen wirkten erleichtert, sogar die Zwillinge plauderten hemmungslos, wenn sie sich auch munter auf Chinesisch unterhielten, und ich kein Wort verstand.

Ilja hatte die Hände um seinen Kaffee gelegt und sah versonnen aus dem Fenster, ein leichtes Lächeln um die Lippen, während er Diego und Val zuhörte, die darüber diskutierten, warum genau es nicht absehbar gewesen war, dass die beiden sich wieder vertrugen.

Mir selber kam es wie ein kleines Wunder vor, wie ein schöner Traum in den wir erwacht waren, aus einem schweren Schlaf. Es wirkte noch so irreal, fast traute ich mich nicht, mich zu freuen; auf der anderen Seite war es wohl relativ unwahrscheinlich, dass die beiden versehentlich nebeneinander eingeschlafen waren.

Für unsere Mitbewohner kam es ja noch dazu, dass sie endlich wieder Fuchs in Sicherheit wussten; wir hatten natürlich niemandem erzählt, dass wir von seinem Aufenthaltsort wussten, nichtmal Sakuya. Er musste in der Vornacht nach Hause gekommen sein.

Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich hatte wirklich Angst um den freundlichen Rothaarigen gehabt. Ich wusste nach wie vor nicht sicher, was einen Menschen wie ihn, überhaupt ein fühlendes Wesen, dazu treiben konnte, so etwas zu versuchen, selbst wenn es unter Alkoholeinfluss war, und wer konnte schon wissen, ob er es nicht wieder versucht hätte?

Aber, und davon war ich überzeugt, wenn es einen Ort auf der Erde gab, an dem Fuchs sicher wäre vor sich selbst, dann war es an Sakuyas Seite. Drei Monate lang hatte der große Schwarzhaarige mich behütet und beschützt, seine ernste Gegenwart wie dunkle Schwingen um mich gelegt, war immer da, wenn ich mit jemandem reden musste, hatte mich zum Lachen gebracht, auch wenn er selber bedrückt war; auch wenn er in den letzten Wochen nicht mehr die Kraft dazu gehabt hatte, auch nur sich selber zu schützen.

Ich freute mich so, am liebsten wäre ich gleich rausgelaufen und meinem Bruder um den Hals gefallen, meinem lieben Saku. Und im gleichen Moment gab es dieses minimale Ziehen in meinem Herzen, das mir zuflüsterte, dass der Bruder jetzt nicht mehr ich war; und ich zwang das Stimmchen zu schweigen. Das war ja Blödsinn.

Ich hatte meinen Kaffee noch nicht einmal ganz ausgetrunken, als die Küchentür sich öffnete und wie auf Kommando schlagartig Stille einkehrte; mein Bruder stand im Türrahmen und sah völlig verwirrt im vollbesetzten Raum umher. „Ist was passiert?“

„Saku....“

„Ihr seid auf einmal so still.“

Yukio sprang auf und zu ihm, legte ihm die Arme um den Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist so doof, Saku. Und wag es nicht, jetzt alles abzustreiten; wir haben alle mit eigenen Augen gesehen, dass ihr beide euch wieder vertragen habt; und wenn du auch nur daran denkst, das wieder zu ändern, dann fessel und knebel ich dich und sperr dich aufs Dach, bis du wieder zur Besinnung kommst.“

Sakuya grinste leicht; er wirkte müde, seine Augen waren gerötet, und es lagen tiefe Schatten darunter, sein Blick war etwas unstet. „Ach...“

Der Blonde reckte sich zu ihm empor und flüsterte ihm etwas ins Ohr, was ich nicht verstehen konnte; Sakuya lächelte, drückte dem Kleineren einen Kuss auf den Schopf. „Ist schon gut, Yu.“

„Ist jetzt wirklich wieder alles in Ordnung?“, platzte Yuen heraus und baute sich vor Sakuya auf, der in die Küche getreten war. „Sag mal ehrlich.“

„Es ist alles in Ordnung, Yuen.“

„Es ist alles wieder wie vorher?“ Ilja hob kritisch eine Braue.

„Es gibt ein paar Sachen, über die wir reden müssen.“ Der Schwarzhaarige ließ sich auf dem Stuhl nieder, den Rose ihm freimachte. „Aber wir sind wieder Freunde.“

„Freunde? Oder...“ Valentin nahm Rose auf den Schoß.

„Wie immer, Val. Was wir immer waren. Denke ich. Gib uns ein paar Tage, ja?“

„Hey, so lange wie du willst. Aber macht so einen Scheiß nie wieder. Fuck, ich dachte wirklich, ihr zwei habt euch endgültig zerstritten.“

Diego nickte dazu bestätigend.

„Wenn das so leicht wäre, Val. Ist es zum Glück nicht.“ Mein Bruder fuhr sich mit den Händen durch die Haare; einige Strähnen hatten sich aus dem Zopf gelöst, und er sah aus wie eine zerzauste Sturmkrähe. Er rieb sich dann über die bloßen Oberarme und sah sich auf dem Tisch um. „Gibts Kaffee?“

„Ich mach dir welchen. Wieviel willst du?“

„Soviel wie da ist.“ Sakuya stöhnte leicht. „Ich habe eine Stunde oder zwei, wenns hochkommt, geschlafen, aber einschlafen kann ich jetzt nicht mehr.“

„Wo ist eigentlich Fuchs, pennt der noch?“

Sakuya schüttelte den Kopf, mit geschlossenen Augen, stützte das Kinn auf die Hände. „Oben, unter der Dusche.“ Er öffnete ein Auge halb und sein Blick fiel auf mich; ich konnte nicht anders, als das liebe Lächeln zu erwidern, das er mir zuwarf.

„Was habt ihr zwei die ganze Nacht gemacht? Vor einer Stunde ist die Sonne schon aufgegangen!“ Ilja schüttelte den Kopf und wandte sich wiederum zu uns um, während der Kaffee blubbernd durch die Maschine lief.

„Geredet“, murmelte Sakuya. „Gott, ich war seit Jahren nicht mehr so müde!“

„Na, dann leg dich doch wieder hin; was willst du Idiot denn jetzt Kaffee trinken!“ Diego stand auf und stellte seine Tasse in die Spüle.

„Ich kann nicht mehr schlafen.“

„Warum nicht?“

„Na was denkst du denn?“ Mein Bruder sah auf, seine Augen blitzten durch den grauen Schleier der durchwachten Nacht, er grinste breit. „Ich hab endlich meine bessere Hälfte wieder.“

„Hättest du auch eher schon haben können“, murmelte Rose in seine Tasse.

„Ich weiß.“

„Wenn du nur nicht so ein elender sturer Bock wärst.“

„Ja, Rose, ich weiß!“

„Vielleicht siehst du jetzt ein, wie idiotisch du dich verhalten hast. Dass er dir verziehen hat, grenzt an ein Wunder.“

„Jaaa! Verdammt, ich weiß. Kannst du das Thema jetzt bitte fallen lassen? Es ist mir selber klar, dass ich unglaublich schlecht bin im Umgang mit anderen Menschen.“

„Das hast du nett gesagt. Du bist ein hochgradig traumatisierter Mensch, mein Freund, und ich will dich nicht zum Feind haben. Aber dein Kollege ist auch wirklich nicht viel besser, daher lass ich dich für heute in Ruhe.“

„Ich danke.“

„Hey, was ist denn hier los?“ Die Tür ging auf, und Fuchs tappte einen Schritt hinein, weiter kam er nicht, weil es zu voll war. Er trug ein graues T-Shirt und eine Jeans und war barfuß, die Spitzen seiner Haare glänzten nass, und seine grünen Augen waren fahl und blutunterlaufen.

„Offensichtlich wird unsere Versöhnung zum nationalen Feiertag ausgerufen.“ Sakuya rutschte ein Stück auf seinem Stuhl zur Seite und sah den Rotblonden fragend an, der nur den müden Kopf schüttelte.

„Das find ich gut. Gibt’s Kaffee?“

„Ist noch nicht fertig. - Sag mal, Fuchs... Wo zum Teufel warst du?“, meinte Ilja und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir waren wirklich in Sorge um dich! Und wann bist du nach Hause gekommen? Niemand hat dich gehört.“

„Ist eine lange Geschichte“, murmelte der Angesprochene und lehnte sich an die nun geschlossene Tür. „Ich bin vor mir selber fortgelaufen und an einem furchtbaren Ort gelandet; den letzten Tag über war ich bei einem Freund, weil ich dachte, ich brauche noch mehr Abstand.“

„Das war ein Irrtum?“

„Abstand hat mich überhaupt erst in diese beschissene Situation gebracht, Ilja.“ Fuchs trat hinter Saku, der den Kopf müde auf die Arme gelegt hatte. „Ist der Kaffee bald durch? Gott, wenn ich nicht bald welchen bekomme, dann schwöre ich, ich falle auf der Stelle ins Koma.“

„Kaffee gehört mir, ich war zuerst da“, hörte man Sakuya leise murmeln.

„Vergiss es. Ich hab eine verdammt harte Nacht auf gestern hinter mir.“

„Die du in gnädiger Ohnmacht verbracht hast, während ich vor Sorge nicht schlafen konnte. Der Kaffee gehört mir.“ Der Schwarzhaarige stöhnte und vergrub das Gesicht in den angewinkelten Armen. „Fuck, mir tut alles weh!“

„Tja, du wirst nicht jünger“, meinte Yukio lakonisch.

„Als Kind hab ich jahrelang fast jede Nacht auf dem Boden geschlafen...“

„Und da wunderst du dich, dass du mit Mitte zwanzig Rückenschmerzen hast?“

„Ach, lass ihn in Ruhe, ich hab auch einen steifen Hals vom Liegen.“ Fuchs legte die Hand auf Sakuyas Nacken und fuhr mit den Fingern mit leichtem Druck die Muskulatur entlang, massierte ihn dabei ein wenig mit dem Daumen, was Sakuya ein zufriedenes Schnaufen entlockte.

Sein Freund musterte ihn mit leicht nachdenklichem Blick von hinten, während er ihm über die Haut strich, unter halbgesenkten Lidern hervor; er stand entspannt da, aber wirkte unglaublich erschöpft; kein Wunder, die letzte Zeit musste ihn sehr mitgenommen haben, und jetzt wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren, musste ihn das letzte bisschen Kraft gekostet haben, mit dem er sich gezwungen hatte, weiterzumachen.

„Was ist mit deinem Arm passiert?“, fragte Yuki leise von der Spüle her.

„Ich will zurzeit nicht darüber reden.“

„Aber...“

„Lass das meine Sorge sein, Yu.“ Saku blinzelte ein wenig über einen Arm hinweg, seine Augen waren ernst, wenn er auch sehr still lag unter Fuchs' Hand, wie ein zahmer schwarzer Panther. „Wir sprechen ein andermal mit euch darüber.“

Der Rothaarige hinter ihm ließ die Hand zwischen Sakuyas Schulterblättern ruhen und streichelte ein wenig mit dem Daumen über den dünnen Stoff des Shirts. „Ich kann schon auf mich selber aufpassen, Saku.“

„Hmm.“

Fuchs schnippte ihm mit dem Finger in den Nacken.

„He, was soll das! Ich habe überhaupt nichts gesagt!“

„Ich weiß genau, was du gedacht hast.“

„Tatsächlich? Wenn du so klug bist, was denke ich dann jetzt?“

„Ich ahne es.“ Fuchs wandte sich zum Tresen und griff die inzwischen volle Kaffeekanne, stellte sie vor Sakuya auf den Tisch, in den wieder etwas Leben kam und der sich aufrichtete, den Nacken streckte.

„Ah. Wunderbar.“

„Lass mir was übrig, sonst bringe ich heute noch jemanden um, und das wird sehr schmutzig.“

„Oh Gott, ich bin so froh!“, stieß Valentin einen Stoßseufzer aus, und Sakuya verharrte im Eingießen, sah ihn perplex an.

„Was?“

„Die Welt dreht sich endlich wieder normal weiter.“
 

Sakuya: Unser Weg
 

Am Abend, wenn wir auf dunklen Pfaden gehn,

Erscheinen unsere bleichen Gestalten vor uns.

Wenn uns dürstet,

Trinken wir die weißen Wasser des Teichs,

Die Süße unserer traurigen Kindheit.

Erstorbene ruhen wir unterm Holundergebüsch,

Schaun den grauen Möwen zu.

Früblingsgewölke steigen über die finstere Stadt,

Die der Mönche edlere Zeiten schweigt.

Da ich deine schmalen Hände nahm

Schlugst du leise die runden Augen auf,

Dieses ist lange her.

Doch wenn dunkler Wohllaut die Seele heimsucht,

Erscheinst du Weiße in des Freundes herbstlicher Landschaft.

Georg Trakl
 

Wir waren irgendwann aus der Küche geflohen; ich konnte ja zu gut verstehen, dass alle froh und erleichtert waren, und ich war auch auf eine gewisse Art dankbar dafür, dass meine Freunde solchen Anteil nahmen, ganz abgesehen davon dass sie auch unter unserem Verhalten hatten leiden müssen.

Trotzdem fiel es mir schwer, immer wieder hören zu müssen, wie dumm ich mich im vergangenen halben Jahr angestellt hätte; als wäre alles immer so einfach gewesen. Niemand an diesem Tisch war auch nur einen halben Kilometer in meinen Stiefeln gegangen. Sicher hätte ich einiges anders oder besser machen können.

Aber das hier war unser Weg, und niemand sonst konnte uns sagen, wie wir ihn zu gehen hatten.

Zudem war ich noch nach dem Kaffee unglaublich müde gewesen, verständlicherweise; es wäre sicher klüger gewesen, an diesem Morgen überhaupt nicht zu schlafen.

So oder so, ich konnte die ständigen Nachfragen nach dem Warum und Wie nicht mehr ertragen; und ich ahnte, dass es Fuchs ähnlich oder schlimmer ging; jeder wollte wissen, wo er gewesen war, was mit ihm passiert war, und so ruhig er auch bei diesem Thema in der vergangenen Nacht gewesen war, und sich durchaus realistisch damit auseinandersetzen konnte, so sah ich doch in seinen erschöpften Augen, dass er an diesem Morgen nicht die Kraft hatte, diese Fragen zu beantworten; er machte Witze darüber, wie ich ihn davor abschirmte, aber das Verhalten war mir nicht neu. Er war mir dankbar dafür.

Ich persönlich brauchte jetzt etwas Zeit, und Ruhe, um wieder zu mir zu kommen, die innere Aufgedrehtheit nach den Ereignissen und der fast schlaflosen Nacht zu überwinden, und auch meiner Seele Gelegenheit zu geben, mit dem Geschehenen aufzuholen; auch durch den Schlafmangel wirkte der ganze Tag seltsam irreal, und ich berührte Fuchs öfter, als ich es gewohnt war, um mich davon zu überzeugen, dass er noch da war.

Ich sprach ihn bis zum Mittag kaum an, und er redete auch wenig, wir saßen auf dem Dach, nebeneinander, schweigend, der Himmel war mit fahlen Wolken bedeckt, und es wehte ein kühler Wind, welcher unsere Haare zauste; es würde am Abend regnen. Ich hatte die Beine über die Dachkante baumeln, und er saß neben mir mit angezogenen Knien, sah aus blicklosen Augen in die Ferne, und ich störte ihn nicht in seinen Gedanken; er würde mich ansprechen, wenn er soweit war, und solange genoss ich seine Gegenwart, die leichte Ahnung seiner Wärme an meiner Seite, seine Schulter an meiner Schulter.

Irgendwann gegen Mittag musste es gewesen sein, als er wieder sprach.

„Worüber denkst du nach?“

„Hmm. Über dich.“

„Ich meine bis gerade eben.“

„Ob wir nicht so tun können, als wäre nie was passiert.“

Er schwieg kurz. „Hm. Und was meinst du?“

„Das wäre zu einfach.“

„Elender Pessimist.“

„Glaubst du etwa daran?“

Er schüttelte den Kopf, ließ das Bein über die Dachkante sinken. „Ich weiß nicht. Vielleicht. Aber wir müssen reden, ich meine, wir haben immer geredet; wenn alles wie vorher sein soll, dann können wir nicht einfach so tun, als wäre nichts.“

Ich sah wieder nach vorn, sah aus den Augenwinkeln, wie er an einem Nagel kaute. Ein Windstoß kam auf und ließ einen Wolkenfetzen an den bewaldeten Wipfeln entfernterer Berge kratzen. „Ich will auch, dass du mir alles sagst, was du denkst. - Ich kann es dir nicht versprechen, weil ich heute erstmal nur unglaublich erleichtert bin, und ziemlich übermüdet, und außerdem ein bisschen verstört wegen dieser Sache...du weißt schon...“

„Nenn es beim Namen, es war ein Suizidversuch.“

„Eben der. - Aber ich bin mir gerade relativ sicher, dass ich dir in Zukunft absolut alles nachsehen könnte. Ich meine, die letzten Monate waren wirklich die Hölle. Das einzig Gute darin war Jamie. Ich würd dir die Hand drauf geben, wenn ich etwas klarer im Kopf wäre, und etwas wacher, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du mich auch fesseln und vergewaltigen könntest, ohne dass ich noch einmal einfach gehen würde. Ich meine, es bist ja du. Es ist nicht so, als ob du ein Fremder wärst; ich kenne dich. Nichts, was du tust, sollte mir etwas ausmachen können, eben weil du mich auch verdammt gut kennst.“

„Das sagst du jetzt.“ Fuchs zog die Beine in den Schneidersitz und wandte sich leicht zu mir. „Du hast auch mal gesagt, ich könnte dich umbringen, wenn ich wollte, ohne dass du dich wehren würdest, wenn ich der Meinung wäre, es wäre aus irgendeinem Grund das Richtige.“

„Ja, selbstverständlich, das habe ich auch so gemeint.“

„Du warst aber noch ein Kind.“

„Nein, ich meine, ich habe das immer so gemeint; ich meine das jetzt auch noch. Wenn du morgen feststellen würdest, dass du mich töten musst; ich würde dich lassen.“

„Warum?“

„Immer noch aus dem gleichen Grund. Weil ich darauf vertraue, dass du das Richtige tust, und es keine andere Möglichkeit gäbe.“

„Du bist ganz schön kindisch.“

„Warum?“ Ich war etwas beleidigt.

Er zuckte nur kurz die Schultern und sah wieder nach vorn; seine rechte Seite lehnte an meiner Schulter. „Du bist zwanzig Jahre lang der Überzeugung, dass ich dich sogar töten dürfte; und wenn ich mit dir schlafe, bricht deine Welt zusammen?“

„Deine nicht?“

Er schwieg. Er schwieg lange.

„Wollen wir ein Stück spazierengehen?“
 

„Ich weiß, was das Problem war. Gewesen sein könnte. Vielleicht. Es ist nur ein Gedanke. Willst du ihn hören?“

„Gern.“

„Ich warne dich, es ist Laienpsychologie.“

„Seit wann interessierst du dich für Psychologie?“

Fuchs hob die Schultern. Wir standen in einem nahezu unbewohnten Teil der Stadt; die Häuser hier waren großteils verfallen und nur noch Ruinen, wie Zähne eines gesplitterten Schädels ragten einige zerborstene Mauern in den grauen Himmel; wir liefen auf grob an die Seite geschafften Trümmern. Zu holen gab es hier nichts mehr. Es war still. Mein Freund tänzelte auf einem Trümmerstück und sprang dann leichtfüßig zum nächsten.

„Ich habe mir in den letzten Monaten dann und wann Bücher zu solchen Themen ausgeliehen. Hat mich beruhigt.“

„Von wem?“

„Karasu.“

Schon wieder. Ich blieb stehen und sah mich um; Fuchs hielt ebenfalls inne, ließ sich mit dem Rücken gegen eine schartige Betonwand sinken; es war etwas kühl, und er zog die Jacke enger um sich.

Ich war nicht eifersüchtig auf Karasu oder etwas in der Art; er war schon vorher immer ein Thema gewesen, als ich mit Antti zusammen gewesen war, und er hatte immer erfolglos versucht, mich ihm auszureden, hatte dabei keine Rücksicht darauf genommen ob Antti seinem Schandmaul überhaupt zuhören wollte, schon da hatte ich ihn gehasst. Es hatte Antti verletzt, dass ich genauso schlecht über Karasu dachte wie jener über mich, weil der Finne nichts tun konnte, außer zwischen den Fronten zu stehen, aber ich konnte auch nichts dagegen tun, um meine Wut zu verstecken. Und so, wie Karasu mich aus seinen kalten Augen angesehen hatte, hatte er ebenso empfunden.

Ich wusste zwar von Fuchs, dass er ebenfalls eher zwiespältige Gefühle für den Bassisten hegte, daher konnte ich auch gar nicht eifersüchtig sein. Aber trotzdem, der Gedanke, dass Karasu bei ihm gewesen war, als ich es nicht war, machte mir üble Laune. Und ich verstand einfach nicht, warum. Warum Fuchs zu ihm gegangen war, was er in ihm gesehen hatte. Und immer wieder. Ich hatte aber, um ehrlich zu sein, auch bis dahin nicht danach gefragt.

Nur jetzt immer wieder, von all den Namen der Menschen in der Stadt, selbst der vielen Menschen die uns oder speziell mich hassten oder lieber tot sähen, ausgerechnet den Namen desjenigen zu hören, der mich ganz offen hasste, anstatt aus Angst vor mir und Fuchs heimlich hinter vorgehaltener Hand wie all die anderen, regte mich auf.

Fuchs sah zu mir auf, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Tut mir leid, es war so.“

„Ich habe nichts gegen ihn.“

„Du musst dringend wieder lernen, mich nicht anzulügen.“

„Ich hätte ihn früher am liebsten vom Dach gestoßen. Jetzt hat er etwas Nettes für dich getan, jetzt kann ich ihn einfach nur nicht besonders leiden. Du bist auch nicht begeistert von ihm, das sehe ich. Das tut aber alles nichts zur Sache. Was war dein Gedanke?“

„Wir waren bisher immer im Kopf zusammen gewesen.“

„Ich verstehe nicht ganz....“

„Ich erklärs dir.“ Er schwang sich auf einen Mauerrest, ließ sich nieder und stützte die Füße in den ausgeblichenen Chucks gegen die schartige Wand unter sich; ich stellte mich vor ihn; so waren wir etwas besser vor dem kühlen Wind geschützt. „Antti hatte mal gesagt, wir wären wahrscheinlich traumatisierter, als wir es sowieso bereits sind, wenn wir alleine gewesen wären; wir haben uns quasi gegenseitig resozialisiert. Erinnerst du dich?“

„Ja, das stimmt, aber dass wir traumatisiert sind, war sein Gedanke, dafür hat er keinen Beweis.“

„Saku, ich bitte dich...sieh uns an, wir müssen es fast schon zwingend sein. - Sei's drum; er hat wahrscheinlich irgendwo Recht, das wissen wir ja beide, das wussten wir eigentlich immer.“ Ich nickte. „Ohne Zuhause, ohne Familie, jeden Tag rennen, immer frieren oder hungern. Eigentlich kann man zusammenfassend sagen, alles, was an unserer Jugend einigermaßen okay war, spielte sich bei uns im Kopf ab. Beziehungsweise, es waren immer mehr die Gedanken, oder die Gespräche die wir hatten, es war nie etwas das von außen kam, es kam alles aus uns heraus. Du sagtest mal was von Geborgenheit.“ Ich nickte wieder. „Eine Art Zuflucht, nenne ich es mal für diesen Zweck, okay?“

„Ich glaube, ich verstehe ein wenig; aber sprich weiter.“

„Es stellte sich ja auch nie die Frage, wer folgt wem, wer wird wovon getrieben, wer lässt sich ziehen; wer treibt an. Wir waren halt einfach nur zu zweit, ohne das zu hinterfragen; das hatte nichts mit der Außenwelt zu tun, die ja grundsätzlich erstmal nur schlecht war.“

„Dann kam die Pubertät.“

„Ganz genau. Aber das war noch okay.“

„Weil wir es nicht besser wussten, weil wir es nicht anders kannten, als zu zweit zu sein, daher fanden wir nichts dabei, daher passierte auch nie etwas; es war zu normal; das ist mir schon bewusst, Mika.“

„Ja! Das meine ich aber. Schau, als wir uns zum ersten Mal küssten damals, hattest du auch schon dein Coming Out gehabt, trotzdem habe ich nichtmal daran gedacht, dass da etwas.... Ich habe dich nie so gesehen, du mich ja auch nicht. Ich hänge mich jetzt vielleicht etwas weit aus dem Fenster, aber wahrscheinlich hätten wir einander noch nichtmal auf diese Art gesehen, hätten wir wilden Sex gehabt.“ Er grinste ein wenig, und ich musste schmunzeln. Das war halb als Scherz gemeint gewesen, aber vielleicht hatte er recht; ich war damals in einem Alter gewesen, und er auch, in dem wir rückblickend ziemlich schwer von Begriff gewesen waren.

Vielleicht hatten wir auch damals unseren erwachsenen Ichs etwas voraus gehabt, das wir jetzt verloren hatten. Unschuld, hatte ich es einmal Jamie gegenüber genannt, aber ich glaube, es war so viel mehr gewesen.

„Was, glaubst du, hat sich verändert?“

Fuchs hob die Schultern, zog ein Bein an. „Nichts. Wir sind einfach nur Menschen. Wir sind wählerisch und misstrauisch und daher oft allein, vielleicht zu oft. Und du bist ein verdammt attraktiver Mann. Früher oder später musste eins zum anderen kommen. Meinst du nicht?“

„Das war das Ende der Kopfzeit.“

„Das denke ich auch. Was meinst du? Ich komme mit dem Gedanken nicht so ganz weiter, aber er geht mir nicht aus dem Sinn.“

„Ich kann dir sagen, was ich darüber denke, wenn du magst.“

„Bitte.“

„Die Grenze zwischen Außenwelt und Innenwelt war weg. Meinst du das?“

„Ja! Seit wann kannst du dich so kurz fassen?“

„Idiot. - Ich habe selber darüber nachgedacht.“ Genug Zeit hatte ich ja gehabt dafür.

„Aber es ist ja bei anderen Menschen auch kein Problem; ich meine, ich lebe sicher nicht im Zölibat, Spätzünder hin oder her.“

„Nein, aber du hast dir das ja selbst schon beantwortet.“

„Ich kann dir nicht folgen.“

„Bei den wenigen Partnern in unseren Leben waren wir ja immer von Anfang an mit dem Körper dabei. Als ich Antti im Eden auf der Bühne sah damals, konnte ich die ganze Nacht und den nächsten Tag an nichts anderes denken als daran, wie unglaublich erotisch er ausgesehen hatte. Es war nie ohne Körper gegangen. Das ist ja auch natürlich, dass man andere Menschen begehrt, hin und wieder. Das ist normal. - Nur mit dir war es das nicht.

Und das geht dir doch auch so, dass du die gleichen Bedürfnisse hast, und meist unterdrückst; das weiß ich. Nur, ob das auf Dauer gut geht?

Du hast ja selber gesagt, wir sind nur Menschen.

Der Körper geht vor, der Geist folgt; wenn er das nicht tut, ziehen wir uns wieder zurück, insofern haben wir wahrscheinlich Glück, dass wir nicht allzu promiskuitiv sind, und vielleicht nur ein ganz klein wenig psychisch vorgeschädigt. - Ganz ohne Geist möchte ich nicht. Ich kann nicht nur mit dem Körper Sex haben. Nein, ich will nicht. Es stößt mich ab.“

Wir schwiegen eine Weile.

„Und was ist jetzt?“ Fuchs sprach leise.

Ich sah ihn eine Weile an; ich hatte mich so in Begeisterung geredet; wieder mit ihm zu sprechen, gerade über solche Dinge zu sprechen, die uns beschäftigten, Gedankenkonstrukte zu bauen, zu diskutieren, gemeinsam Satz auf Satz zu türmen und bis in die tiefsten Tiefen unseres Geists vorzudringen – das ließ mich immer so lebendig fühlen, so glücklich, und so eins mit ihm.

Jetzt erst wurde ich jäh in die Realität zurückgeholt; dass es kein Gedankengespinst war, was wir hier spannen, sondern harte Wirklichkeit, und dass es um nichts weniger als die Zukunft unserer Freundschaft ging.

Ich wollte das vergessen, ich wollte wirklich so tun, als wäre nichts geschehen, niemals. Ich wünschte es tatsächlich. Ich wollte, dass nichts mehr zwischen uns stand, so wie jetzt; wollte ihm wieder so nahe sein, wie man einem Menschen nur sein konnte, ohne mit ihm zu schlafen; vielleicht näher.

Ich wollte nicht denken, dass all das jetzt kaputt und verloren war; ich hatte noch nie im Leben so viel Hoffnung und so viel Verzweiflung zugleich gefühlt wie in jenen Tagen nach der Versöhnung mit Fuchs.

Er sah mich ein wenig bitter aus fahlgrünen Augen an, wie ich seinen Blick sprachlos erwiderte, in seinem Blick mischte sich Enttäuschung mit einem Flackern wie von Furcht, und er wandte den Blick schnell wieder ab, als sähe er etwas in meinen Augen, das er nicht sehen wollte.

Er ließ sich von der Mauer gleiten und wollte sich an mir vorbeischieben. „....Vergiss es.“

„Mika!“ Ich nahm ihn von hinten als er neben mir stand und hielt ihn fest; schlang die Arme um ihn, ich spürte, wie er still stehen blieb, allerdings ohne sich zu versteifen, hörte seinen leisen Atem, und schmiegte mich an seinen Rücken; als Kinder hatten wir oft auf diese Art gelegen. Nach einigen Sekunden merkte ich sein leichtes Gewicht an der Brust, als er sich gegen mich fallen ließ; ich hatte das Gesicht an seine Schulter gelegt und schloss die Augen; es fühlte sich gut an, ihn so zu halten; tatsächlich stand er aufrecht, die Hände auf meine Arme gelegt, viel eher, als würde er mich festhalten, anstatt umgekehrt.

„Ich kann dir sagen, was jetzt ist.“ Ich sprach leise; in diesem Moment schien es mir wie das Selbstverständlichste von der Welt, alle Fragen waren für mich unwichtig geworden, zumindest vorerst; was zählte, war, dass er wieder da war. Das Leben war in meine Welt zurückgekehrt, und ich wollte nie mehr zurück in die Kälte, die seine Abwesenheit bei mir hinterlassen hatte. Mich kümmerte nie weniger, was genau aus uns wurde, als in diesem Moment. „Wir waren doch schon immer anders als die anderen Menschen; wir haben nie versucht, unsere Beziehung zu kategorisieren, und ich will nicht jetzt damit anfangen.“

Ich spürte, wie er ausatmete unter meinen Armen. „Und was ist dann jetzt?“ Er sprach noch immer sehr leise; seine Finger strichen über meine und verflochten sich auf seinem Bauch damit; sein Kopf sank ein wenig zur Seite gegen meinen, und ich spürte seinen warmen Atem über mein Gesicht streichen; meine Waffe, die ich am Gürtel trug, drückte zwischen uns, und ich verlagerte mein Gewicht etwas, schloss ihn enger in die Arme.

„Jetzt kennst du mich wahrscheinlich wirklich besser, als mich je jemand anders kennen wird; jetzt kennst du alles an mir. Und ich bin froh darüber.“
 

Antti: Das lange kalte Erwachen
 

(…)
 

What would you do if I said I love you

Who would you trust if I told you lies

What would you do if I’d turn the tables

Where would you run if you’re running out of time

You’re running out of time

(...)

How would you feel if I said I hate you

What would you dream if you’d get some sleep

Who would you blame if the world would listen

What would you change if a change was all you need

A change was all you need.
 

(…)
 

- aus: Mono Inc.: Get Some Sleep
 

Ich habe keine Ahnung, wie oft ich mich wieder in den Schlaf zurückkämpfte; die vergangene Nacht war für mich die Hölle auf Erden gewesen.

Ich weiß auch nicht, ob es nur mir so geht; es gibt diese Zeit zwischen Wachen und Schlafen, in dem das Bewusstsein noch nicht den Körper verlassen hat, doch die Kontrolle dir schon lange aus den Händen geglitten ist; Stunden können es sein, zumindest fühlt es sich so an, in denen du liegst, dich umherwirfst, müde, doch unfähig, zu schlafen, gleichzeitig unfähig, dich deiner eigenen Gedanken zu erwehren, die kommen und mit klammen Fingern klammern und würgen, bis du nahezu erstickst, die Decke um den Körper gewickelt; du schwitzt, du hast einen Druck auf der Brust, als säße dir ein Alb darauf, und immer wieder kommen dieselben Gedanken und quälen, aber es fühlt sich an, als wären es nicht die eigenen; jegliche Herrschaft über den eigenen Geist ist dir genommen. Du hast nicht einmal mehr genug Kontrolle, um aufzustehen, um das Licht anzuschalten, bist wie benebelt, gerade noch weit genug vom Schlaf entfernt, um nicht einfach abtauchen und fliehen zu können.

Ich war in jener Nacht immer wieder in diesen Trancezustand aufgeschreckt, wieder weggedämmert; meine Decke war von mir halb auf den Boden gerutscht, weil ich mich so sehr hin- und hergeworfen hatte, und mein Kissen sah ich in der Dunkelheit nicht einmal mehr.

Wie ein Albtraum, dem man nicht entfliehen kann, weil er sich in der vermeintlichen Sicherheit des eigenen Schädels abspielt, dröhnte es in meinem Kopf, mein Herz hämmerte, ich fühlte mich als würde mir etwas den Atem abschnüren; ich hätte weinen können, aber ich war nicht wach genug dafür.

Immer wieder kam die Erinnerung an Sakuya zurück.

Sie war mir so nahe; ich konnte vollkommen mühelos jede Einzelheit ins Gedächtnis zurückrufen, und tat dies auch, unwillkürlich, seine Augen, seine leise Stimme, die immer etwas schnurrend klang, wenn er sie senkte, als käme sie aus dem Rachen eines ruhenden Raubtiers; ich hatte seinen Geruch in der Nase, ein herber Geruch nach Leder und Patchouli und Regen, und dazu dieser ganz feine Geruch seines Körpers. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich den Geschmack seiner samtig heißen Haut auf der Zunge erahnen.

Und ich sah seinen Blick vor mir, in jenem Moment, in dem ich ihm gesagt hatte, dass es aus wäre.

Es hatte mich damals meine ganze Kraft gekostet; ich wünschte, ich wäre zu schwach gewesen, und hätte es nicht fertiggebracht!

Ich erinnerte mich, wie in seinen klaren grauen Augen etwas brach, als er mich ansah; sein Gesicht war so unbewegt gewesen, er stand still und aufrecht vor mir, und genau das war es: er stand vor mir, einen halben Meter von mir entfernt, wie beide sahen einander eine Weile nur an – ich glaube, das war es, woran er merkte, dass ich es ernst meinte; er hatte anfangs versucht, zu widersprechen, doch die Worte hatten ihm den Dienst versagt.

Ich hatte gesehen, wie er die Hände geballt hatte, wie seine Nägel sich in die weiße Haut gruben, mit dem rechten Daumennagel hatte er immer wieder über den Zeigefinger gerieben, ohne es recht zu merken; irgendwann war er meinem Blick ausgewichen, während ich noch leise auf ihn einsprach, erklärte, so gut ich gekonnt hatte, all die schönen Lügen aufsagte, die ich mir überlegt hatte, um etwas leichter zu machen, was überhaupt nicht leichter machbar gewesen war. Ich war froh gewesen, dass er fortsah; hätte er mich nur einige Sekunden länger angesehen, hätte ich geweint.

Ich hatte das verräterische Glitzern in seinen Augen gesehen, als er sich abgewandt hatte und ging. Er war schnell gegangen, sein Mantel hinter ihm wehend; eine Hand ans Gesicht gehoben, wie ein wilder Rabe auf der Flucht vor dem Sturm.

In meinem Kopf lief ich ihm nach und hielt ihn fest, so fest, dass ich ihn nie wieder würde verlieren können; ich drückte das Gesicht an seine Schulter und sagte ihm, dass ich ihn wirklich liebte, und immer lieben würde, dass er der Einzige für mich war.

In meinem Kopf war er immer noch an meiner Seite.

In meinem Kopf war ich immer noch glücklich.
 

Slut ömt i ditt sköte min smäktande kropp,

förkväv i ditt famntag min smärta!

I maskar lös tanken och känslorna opp,

i aska mitt brinnande hjärta.
 

Schließ zart in deinen Schoß meinen schmachtenden Leib,

erstick in deiner Umarmung meinen Schmerz!

In Würmern löse Denken und Fühlen auf,

In Asche mein brennendes Herz.
 

- aus: Erik Johan Stagnelius: Till Förruttnelsen
 

Es war hell, schon seit einigen Stunden, das sah ich durch meine zugezogenen Vorhänge, die nur ein kränkliches Halblicht in den Raum ließen, aber ich lag noch immer im Bett; ich trug nur Boxershorts am Körper, und es war kühl, aber das war mir egal; meine Decke lag auf dem Boden, und ich auf dem Rücken, starrte blicklos an die Decke. Ich hatte versucht, wieder einzuschlafen, aber den Kampf aufgegeben; jetzt schwammen meine Augen in Nebel, und ich bohrte mir selber immer wieder neu das Messer ins Herz, zerrte gierig, wie ein Besessener, jede kleinste Erinnerung an Saku aus den Winkeln meines Gedächtnisses hervor, um mich in jede kleine Sekunde zu hüllen, fast schon masochistisch die Momente zwanghaft brutal wiederzuerleben, die mir jetzt am meisten wehtaten, so, wie man nicht aufhören kann, an einer Wunde herumzuspielen, so wie man den Schmerz genießt, der beim Aufkratzen des Schorfs über die Haut zuckt, wie ein kleines brennendes Lebenszeichen.

Ich fühlte mich matt und leer, meine Kehle war trocken, meine Augenlider fühlten sich schwer und klebrig an; fast war es, als hätte ich Fieber, aber meine Stirn war kühl.

Ich wollte nicht aufstehen, am Besten nie mehr; ich würde alle Proben absagen, und den Gig in den nächsten Tagen ebenfalls. Ich wollte niemanden sehen und mit niemandem reden. Allein der Gedanke, dass ich irgendwann etwas würde essen müssen, verursachte mir Übelkeit.

Kurzum, ich war nicht annähernd über Sakuya hinweg.

Ich schloss kurz die Augen, als sich Schritte meiner Tür näherten und ohne ein Anklopfen die Klinke heruntergedrückt wurde; es gab nur eine Person hier, die einfach ohne Anmeldung in mein Zimmer platzen würde, völlig ungerührt angesichts dessen was sie vorfinden mochte, und auch diese eine Person wollte ich nicht sehen; ich ahnte aber, dass ich nicht darum herumkäme, und ich öffnete die Augen gleich resigniert wieder, als die Tür von innen zugestoßen wurde.

Karasu stand neben meinem Bett, schob mit einem Fuß die Decke auf dem Boden zur Seite; er war geschminkt und trug nicht mehr Fuchs' Shirt, seine Haare waren nass vom Waschen und wirkten fast vollständig schwarz, er sah auf mich hinab mit verurteilendem Blick, ziemlich kalt, aber nicht auf diese Art wütend, mit der er mir am vergangenen Abend fast ein Buch, und noch einige andere gemeine Dinge, an den Kopf geworfen hatte, in der vollen Absicht, mich zu verletzen.

„Da.“

Er stellte mir eine Tasse auf den Nachttisch, aus der es verdächtig dampfte; es war eine meiner Lieblingstassen, mit der saß ich gerne unten auf dem Sofa.

„Was ist das?“

„Rattengift“, fauchte er ungerührt und wandte sich ab, ging zum Fenster, riss die Vorhänge auf.

Ich ließ mich tiefer in meine Matratze sinken und schloss die Augen. Er tat mir nicht den Gefallen, zu verschwinden und mich in meinem Selbstmitleid allein zu lassen, sondern öffnete das Fenster; mich traf ein kalter Luftzug von draußen, und ich rollte mich etwas enger zusammen, so ganz ohne Decke; auf meinen Armen bildete sich fast sofort eine Gänsehaut.

„Antti, setz dich sofort hin und trink deinen verdammten Tee.“

„Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“, murmelte ich ohne rechten Elan; ich lag auf der Seite in Embryohaltung, er warf mir einen langen Blick aus seinen dunkel geschminkten Augen zu, jetzt trug er keine Kontaktlinsen, seine Iris war hellblau.

„Nein.“

„Bitte...mir geht’s nicht so gut, ich will wirklich nur schlafen... Ich geh heut nicht zur Probe.“

Mein Mitbewohner war dabei, meine Kleidung vom Vortag vom Boden aufzusammeln, legte sie zusammen und auf meinen Schreibtischstuhl, seine Stimme war sehr dominant, als er sprach, und erstickte meinen kläglichen Protestversuch im Keim. „Ich kann Jimi sagen, dass du krank bist, wenn du das den anderen wirklich antun willst, so kurz vor dem nächsten Gig. Aber ich lasse nicht zu, dass du wegen dieses Vollpfostens in deinem eigenen Selbstmitleid erstickst. Du musst aufstehen, zieh dir wenigstens was an, geh duschen, krieg deinen Kopf klar. - Und scheiße, trink endlich deinen gottverdammten Tee, ehe ich ihn dir mit einem Trichter einfülle.“ Er kam zum Bett und sammelte meine Notizen vom Vorabend auf, stapelte sie auf dem Schreibtisch, überflog kurz die Texte. „Oh, machen wir wieder einen auf Emo?“

„Sei still....“

„Setz dich hin, dann bin ich es vielleicht.“

Ich richtete mich nun doch auf und umschlang mit den Armen meine Knie; es war kalt im Zimmer, und ich zitterte etwas; Karasu sah kurz zu mir und warf mir von meinem Stuhl einen Pullover zu, den ich mir schnell überzog.

Im Sitzen fühlte ich mich nicht mehr ganz so in Verwesung begriffen, aber dennoch wie gerädert; ich konnte nur ahnen, wie ich aussah, aber ganz sicher nicht viel besser, als ich mich fühlte.

Ich griff nach der Tasse auf meinem Nachttisch; ich hatte immer noch einen Druck auf der Brust und hinter der Stirn, und fühlte mich einsam, so schrecklich einsam, als hätte man mich aus der lebenden Welt gerissen und in ein kaltes Weltenall verbannt.

Das Porzellan der Tasse war warm und ich schloss die Finger eng darum, ein wenig das Gesicht in den aufsteigenden Dampf haltend; Karasu war noch mit dem Aufräumen beschäftigt und ging dann zum Fenster, schloss einen Flügel wieder und hakte den anderen ein, sein Gesicht war ernst, als er sich eine Haarsträhne zur Seite strich, und er sah ebenfalls müde aus, stand aber aufrecht, wie ein Fels in der Brandung, wie ein Anker der mich ins Leben zurückholte.

Ich nippte ein wenig an dem heißen Getränk; trinken konnte ich kaum, ohne mir die Zunge zu verbrennen, aber ich roch den guten Duft meines Lieblingstees, fühlte die Wärme unter meinen Händen, und ich schmeckte Honig.

Der leichte Apfelgeschmack war in diesem Moment fast wie eine Umarmung für meine schwache Seele, und diese bescheuerte dampfende Tasse mit schwarzem Muminmotiv rührte mich so, dass ich völlig übertriebenerweise anfing zu weinen.

Vielleicht war es auch die schlecht durchschlafene Nacht gewesen, oder alles zusammen; jedenfalls bedeutete mir diese kleine Geste eines wenig einfühlsamen Mannes viel, wahrscheinlich gerade auch dessen, weil ich wusste, was sie für ihn bedeutete, für meinen treuesten Freund, der sich auf diese Art bei mir für den vergangenen Abend entschuldigte, auf seine seltsame kindliche und irgendwie unbeholfene Art; indem er mir etwas brachte, von dem er wusste, dass es mich glücklich machte – seltsamerweise wusste er das immer, ohne fragen zu müssen.

Ich verzieh ihm jedesmal.

Karasu wandte sich um. „Hey....warum weinst du jetzt? Antti?“

Ich schüttelte nur wortlos den Kopf, hatte eine Hand ans Gesicht gelegt, spürte wie die Tränen über meine Wangen rannen, während stumme Schluchzer mich schüttelten; er kam zu mir und nahm mir die Tasse aus der Hand, stellte sie auf den Nachttisch und setzte sich zu mir aufs Bett, und ich konnte nicht anders:

Ich wusste, dass er es nicht mochte, angefasst zu werden, nicht einmal von mir, aber er war derzeit der einzige, der mir Trost spenden konnte, und der einzige, vor dem ich mir nicht wie ein völliger Idiot vorkam - auch wenn er absurderweise ebenfalls der einzige war, der mir ins Gesicht sagte, ich wäre einer.

Ich ließ mich gegen ihn sinken und fing hemmungslos an zu weinen; er roch intensiv nach Rauch und ein wenig nach Haarlack, der Duft hing in seinem schwarzen T-Shirt fest.

Er hätte mich wahrscheinlich ignorieren können, was ich auch von ihm erwartet hatte; ich lehnte nur an ihm, ohne ihn auf irgendeine Weise zu halten, und mir hätte seine reglose Gegenwart gereicht; einfach die Nähe eines anderen Menschen, eines Freundes, an der Seite zu spüren, hätte mir gereicht, zu merken, dass ich nicht ganz alleine war. Aber er tat etwas, das ich nie erwartet hätte, und das in dieser Form auch bisher nur sehr wenige Male vorgekommen war; er legte die Arme um mich, hielt mich vorsichtig fest und ertrug meine Tränen, die ich an seiner Schulter vergoss, ohne ein Wort zu mir zu sprechen, streichelte nur mit einer Hand meinen zitternden Rücken. Ich lag an ihn gekuschelt, an seinen schlanken sehnigen Körper unter dem Shirt, griff irgendwann nach oben und hielt mich an seiner Schulter fest, während der ganzen Zeit sprach er kein Wort, strich mir mit einer Hand über die Haare. Er musste auch nicht reden, ich wusste, dass das mein Privileg war, dass das mehr war als Karasu bereit war zu geben, und dass er es trotzdem tat.

„Antti“, sagte er irgendwann sehr leise, hob die Hand und strich mir mit dem Handrücken eine Träne von der Wange. „Du musst ihn wirklich vergessen.“

„Ich will ihn nicht vergessen....“ Ich lag zusammengekauert, halb sitzend, an ihm, fast auf seinem Schoß, meinen Kopf an seiner Schulter, ich spürte seine Arme, die mich sicher hielten, und sah seine geschundene weiche Haut, sein Körper war fest und warm neben mir, so zerrissen von den Narben auf seiner Haut, und doch so viel stärker als ich, vielleicht. Er strich mir mit der Hand über den Arm. Ich kämpfte die Tränen hinunter. „Du bist so lieb zu mir heute...bitte geh nicht weg. Ich brauche dich grad.“

Er atmete kurz aus, als wollte er sich eine zynische Antwort verkneifen, schwieg dann ein paar Sekunden, ehe er wieder sprach, saß jetzt wieder bewegungslos, seine Stimme war sehr bestimmt. „Ich kann dir eins sagen, ich werde das nicht zulassen, dass du dich an ihm so kaputtmachst, das ist er nicht wert. Du weißt, ich habs nicht so mit dem ganzen Freundschaftsquatsch, aber ich mach mir tatsächlich Sorgen um dich.

Und ich weiß doch schon, dass du mich brauchst, deswegen bin ich hier, Dummkopf.“

Ich schluckte. Ja, ich merkte, dass er sich Sorgen machte, und das tat mir leid.

Ich glaube nicht, dass ich je im Leben wieder einen so loyalen Weggefährten finden könnte, wie Karasu.

Er schwieg eine Weile. „Aber es ist mein Ernst. Ich lasse das nicht zu. Habe ich bisher nicht, werde ich in Zukunft nicht.“

„Ich weiß“, flüsterte ich und setzte mich wieder etwas auf. „Danke.“

„Nicht dafür. Ich schulde dir was. Für gestern.“

„Du musst nichts dazu sagen. Ist in Ordnung. Alles schon verziehen.“

Er atmete leise aus bei meiner Bemerkung, sah mich nicht an, legte mir aber kurz die Hand auf die Schulter, wie in Dankbarkeit. „Okay.“ Eine Weile hielt er es noch aus, dann konnte er wohl nicht mehr. „Komm, setz dich wieder richtig hin, hör auf zu heulen, verhalt dich mal wie ein Mann.“

„Machst du bitte das Fenster wieder zu?“, fragte ich leise. Meine Tränen waren versiegt, und es ging mir etwas besser, warum auch immer; vielleicht hatte die frische Luft meinen Kopf etwas geklärt.

Karasu stand auf, schien fast erleichtert, der für ihn unangenehmen Situation zu entkommen, ich konnte es ihm nicht vorwerfen. Er fühlte sich am wohlsten, wenn er seinen Sicherheitsabstand wahren konnte.

Ich kannte ihn seit zu diesem Zeitpunkt zweieinhalb Jahren, und konnte trotzdem nur raten, was er durchgemacht hatte, dass er so geworden war, er sagte es mir nicht, und ich fragte nicht. Es war nicht von Bedeutung; ich verdankte ihm mein Leben, und war dankbar, dass ich mir zudem auf irgendeine Art seine Freundschaft verdient zu haben schien.

Er schloss mit einem Ruck das Fenster, drehte sich um, als ich ihn ansprach: „Was soll ich machen?“

„Was meinst du?“

Ich zog die Beine an den Körper, mit dem Rücken an die Wand hinter meinem Bett gelehnt, er kam zurück zu mir und drückte mir wieder den Tee in die Hand, ich nahm einen Schluck, ehe ich weitersprach. „Er fehlt mir so schrecklich...!“

„Hör auf, an ihn zu denken. Er hats nicht verdient, dass du seinetwegen weinst. Antti, der Mann ist ein Psychopath; du kannst die Leute aus dem Krieg holen, aber nicht den Krieg aus den Leuten. Du glaubst, er kann sich ändern und ein guter Mensch werden, aber das kann er nicht, er bleibt immer ein Mörder, und du kannst mit niemandem zusammensein, dem ein Leben nichts bedeutet, ich kenne dich doch. Du machst dich nur unglücklich. - Ich weiß, die Diskussion hatten wir schon, und gleich wirst du mir sagen dass er sich ach so rührend um seine Freunde kümmert; aber weißt du was, das ändert nichts, tief in der Seele ist er kaputt, und das wird dich auf Dauer mit runterziehen. Er war ein Jahr mit dir zusammen und hat dich angeblich geliebt, und dann ist er weggegangen ohne wenigstens zu versuchen, nochmal mit dir zu reden? Und als er zurückkommt, lässt er dich auch völlig links liegen, sogar als er hier ist? Abgesehen davon, dass vielleicht mal sowas wie ein Dank angebracht wäre, ich hab keinen bekommen. Er sitzt jetzt bei sich zuhause mit seinem Harem an Jüngern um sich und fühlt sich als was Besonderes, weil alle möglichen anderen Leute Angst vor ihm haben, und ist wahrscheinlich noch stolz darauf, dass er allen was vormachen kann mit dieser elenden Bigotterie; Gott, da schimpft sich einer religiös und Retter von den armen Seelchen auf der Straße, und hat zehnmal mehr Leute auf dem Gewissen, als er überhaupt kennt. Aber natürlich immer alles für eine gute Sache, nicht wahr? Wers glaubt.

Der tötet, weil es ihm nichts ausmacht.

Sakuya ist ein seelisches Wrack, und wird es immer sein.

Er kann dich gar nicht wirklich lieben, weil er in seiner kranken Seele dazu gar nicht fähig ist.“

„Und was ist mit Fuchs?“ Es war ein Schuss ins Blaue.

Karasu verschränkte die Arme vor der Brust und sah auf mich herab. „Fuchs ist genauso gestört. Nichtmal nur, weil er mal einfach so versucht hat, sich umzubringen; sie sind beide nicht ganz normal im Kopf. Ich hab mich auch ab und zu mit ihm unterhalten, glaub es oder nicht, und er kommt mir fast ein bisschen bipolar vor; hier in der Stadt meinen alle, er ist so ein vernünftiger, lustiger Kerl, und im nächsten Moment will er nicht mehr leben, betrinkt sich, oder lässt sich hart ficken und schreit noch nach mehr, und er ist gefährlich, das weißt du auch, er hat den Vater vom Punk Gassi getötet; dann ist er wieder ganz freundlicher Junge von Nebenan und winselt Sakuya nach; ist es normal für einen erwachsenen Mann, so von einer anderen Person abhängig zu sein? Ich glaube nicht. Im Ernst, nichtmal ich bin seelisch so verwirrt.

Die ganze Wg ist gestört, ich will gar nicht wissen was die untereinander treiben, halt dich am besten von allen fern, ich kanns dir nicht oft genug sagen.“

Ich hatte mich während seiner Rede weiter aufgesetzt, seine Worte taten weh, und ich fühlte den Drang, Saku und Fuchs zu verteidigen, auch wenn ich nicht recht wusste, wie....Karasu hatte recht, Sakuya war nicht normal. „Wenn er ihn liebt, ist es sehr wohl normal.“

„Tut er nicht.“

„Was?“

„Er ist nicht in ihn verliebt. Er hats mir gestern erst noch gesagt. Er dachte es, und ich auch, aber wie es aussieht, hat er mich die ganze Zeit sogar mehr benutzt, als ich ihn; ich wusste nicht, dass ich nichtmal mehr ein schlechter Ersatz war.“

Etwas in seinen Worten ließ mich aufhorchen. „Du bist eifersüchtig.“

„Bin ich nicht.“

„Was empfindest du für Fuchs?“

„Nichts“, fauchte er.

„Das glaube ich dir aber nicht.“

„Das kümmert mich einen Scheißdreck, ob du das glaubst oder nicht.“

„Meinst du wirklich, du solltest Fuchs kritisieren, wenn er versucht sich umzubringen, und seine Gefühle nicht ganz unter Kontrolle hat? Er ist wirklich ein lieber Kerl, egal was du sagst. Sie haben beide eine Menge durchmachen müssen; es wäre doch komisch, wenn sie jetzt noch ganz normal wären, oder? Aber es sind gute Menschen, ich würde beiden mein Leben anvertrauen. Auch was Sakuya angeht, ich weiß, dass ich ihm gutgetan habe; er sehnt sich ja nach Frieden! Es gibt übrigens auch genügend Leute, die zu mir kommen, und sagen, der Karasu, der ritzt sich, und lässt niemanden an sich heran, der ist nicht ganz normal, lass ihn doch endlich links liegen.“

Er sah mich bitter an. „Willst du dich denen anschließen?“

Ich stand erschrocken auf. „Das hab ich nicht - !“

„Dann halts Maul.“
 

Fuchs: Kinder sind unsere Herzen
 

Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen ...

Wir wollen wachen die Nacht,

In den Sprachen beten

Die wie Harfen eingeschnitten sind.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht –

So viel Gott strömt über.

Kinder sind unsere Herzen,

Die möchten ruhen müdesüß.

Und unsere Lippen wollen sich küssen,

Was zagst du?

Grenzt nicht mein Herz an deins –

Immer färbt dein Blut meine Wangen rot.

Wir wollen uns versöhnen die Nacht,

Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.

Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen.
 

Else Lasker-Schüler: Versöhnung
 

Wir hatten es geschafft, gegen Abend zurückzukehren, ohne sämtliche Fragen wieder von vorn beantworten zu müssen; wir hatten etwas gegessen und, in Sakuyas Fall, noch eine weitere Kanne Kaffee getrunken; ich sah seine Hände schon etwas zittern, er war völlig am Ende, aber dennoch munter.

Wir hatten den restlichen Nachmittag über über andere Themen gesprochen, über Bücher die wir gelesen hatten, was sich in der Stadt getan hatte – es sah so aus, als würden in den umliegenden Regionen immer mehr Krawalle ausbrechen; die Zacharias verstärkten ihre Garde, und öfter kamen auswärtige Politiker und Vertreter diverser Stadtregierungen in deren Residenz, die Zeiten wurden unruhig - , wir redeten viel über Jamie, Saku hatte ihn unglaublich lieb und verlor sich fast in Beschreibungen seines kleinen Bruders.

Ich freute mich für ihn, auch wenn der Kleine nur sein Halbbruder war; das war das erste Mal seit fast fünfzehn Jahren, dass einer von uns Lebenszeichen von einem Familienmitglied bekommen hatte, und ich glaube, Jamies Gesellschaft tat ihm gut. Es war wichtig, jemanden zu haben, den man beschützen konnte, für Sakuya. Das gab ihm Hoffnung, dass sein Dasein einen höheren Zweck erfüllte.

Ich selber mochte Jamie, er war seinem großen Bruder so unglaublich ähnlich, auch wenn beide das nicht zu merken behaupteten, es war so.

Beide sahen mit einer sturen Hoffnung in den Augen auf die Welt, beide waren Opfer ihrer Affekte, beide glaubten fast schon störrisch fest an die Werte, für die sie eintreten wollten. Beide wirkten manchmal unglaublich naiv.

Sakuyas Reaktion vorhin hatte mich verunsichert; ich genoss natürlich seine Zuneigung, dennoch, es fiel mir schwer, mich mit etwas anzufreunden, von dem ich nicht einmal genau wusste, was es war. Ich war mir nach wie vor nicht im Klaren, woran ich bei Saku nun war; ich war mir nicht einmal im Klaren, woran ich bei mir selber war, wie nicht zuletzt der Verband an meinem linken Arm eindrucksvoll bewies.

Ich glaube auch, er tat sicherer, als er war, und das würde sich spätestens dann herausstellen, wenn ich nachbohrte; Saku war ein Meister darin, unangenehme Themen einfach zu umgehen, bis es nicht mehr anders ging, und sie dann in vollem Lauf auf die Hörner zu nehmen, brüllend und um sich schlagend, bis kein Gras mehr wuchs. Ein Mittelding gab es bei ihm selten.

Auch ich selber hatte zuversichtlicher getan, als ich tatsächlich gewesen war, als ich gesagt hatte, der Sex zwischen Sakuya und mir sei etwas gewesen, das früher oder später einfach hatte passieren müssen.

Das versuchte ich mir einzureden, aber es fiel mir schwer, es wirklich zu glauben. Natürlich war Saku ein wahnsinnig attraktiver Mann in meinen Augen; doch das hatte ich vorher niemals so gesehen. Er war wie mein Bruder gewesen. Und das hätte er bleiben können.

Jetzt konnte ich nicht mehr umhin, zu bemerken, wie er auf mich wirkte – noch immer, auch wenn ich mich dagegen sträubte – und doch... Ich hatte gedacht, ich hätte mich in ihn verliebt; hatte ihn begehrt; hatte ihn vermisst, wie man einen Partner vermissen mochte. Jetzt war mir klarer als je zuvor, dass ich ihn unbestreitbar liebte, dass ich ihn immer geliebt hatte. Aber was war das schon, Liebe? Er war ein Teil von mir. Ich trug ihn unter der Haut und atmete ihn in der Luft. Er war mein Leben.
 

Unsere Freunde zuhause nahmen Rücksicht auf mich, vielleicht fingen sie auch den einen oder anderen warnenden Blick von Sakuya auf, und niemand sprach mich ein weiteres Mal auf meinen Arm an. Auf der einen Seite erleicherte es mich, auf der anderen war ich verärgert, wäre am liebsten aufgestanden und hätte jemandem befohlen, mich zu fragen, was ich getan hatte; ich war kein rohes Ei!

Allerdings bei der Erinnerung allein wurde mir etwas kalt, und ich schwieg.

Sakuya würde mich verstehen, Saku verstand mich immer, ohne zu fragen. Er würde bei mir sein, ohne eine Erklärung zu verlangen; wie auch immer wie nun zueinander standen. Und das war alles, was ich wirklich wollte.

Ich musste fast laut auflachen bei dem Gedanken, dass ich jetzt nicht mehr alleine war; jetzt erst merkte ich wirklich, wie einsam ich in den vergangenen Monaten gewesen war, wie schrecklich dunkel es wirklich in meiner Seele gewesen war; vielleicht rührte meine leichte Hysterie aber auch von den aufreibenden Erlebnissen der vergangenen Tage und dem wenigen Schlaf her.

Während Yukio fröhlich erzählte, dass er am Sonntag mit Marius ausgehen würde, nahm ich mir doch auch noch einen Kaffee. Ich freute mich für ihn, Mari war ein lustiger Kerl, ich hatte schon mehrmals mit ihm getrunken auf diversen Konzerten, nicht viel, aber es waren immer unterhaltsame Abende gewesen. Schade, dass er zuhause so viele Sorgen hatte; das alberne Auftreten war wahrscheinlich ein guter Ausgleich.

Und beide, Yu und Mari, waren gut im Bett, hatte ich mir sagen lassen; sollten sie ruhig ihren Spaß miteinander haben, immerhin konnte dabei keiner den anderen verletzen, wenn keiner eine Beziehung wollte.

Jamie und Junya waren nicht da, ich hörte wie Saku nach seinem Bruder fragte, aber hörte bei der Antwort Yukis nicht mehr zu, meine Aufmerksamkeit war gefesselt von den Zwillingen, die auf dem Hof saßen, ich sah sie durch das Fenster.

Yuen kauerte auf der kleinen Bank, die vor dem Schuppen stand, die Knie angezogen und die Arme darum gelegt, ich konnte sein Gesicht nicht erkennen; sein Bruder hatte den Arm um ihn gelegt und redete auf ihn ein, mit der Hand des anderen Arms hielt er Yuen am Oberarm.

Wenn der Kleine jetzt wieder einen Anfall bekäme, wäre das denkbar ungünstig; in der nächsten Woche hatten die zwei Geburtstag, und obwohl sie ausdrücklich wünschten, dass wir diesen Tag übergingen, fände ich es doch traurig, müssten wir Yuen über seinen fünfzehnten Geburtstag unter Drogen setzen.

Er tat mir leid.

Ich wusste selber gut genug, wie es war, seine Pubertät nicht unbeschwert angehen zu können, ganz zu schweigen davon, wie es war, seiner Kindheit so jäh beraubt zu werden, mit nur einem Bruder als Halt und Trost; ich hätte mir gewünscht, die zwei würden sich durchringen können, zu einem Arzt zu gehen, aber eher würden sie wahrscheinlich sterben.

Als ich mich vom Fenster abwandte, fing ich Iljas Blick auf, der leise nickte, was ich erwiderte.

Er hatte es auch gemerkt, und er würde sich kümmern. Das tat er immer. Ilja war der einzige unter uns, der ein klein wenig Erfahrung in diesem Bereich hatte, tatsächlich war er ein ausgebildeter Pfleger, wenn es auch lange her war. Trotzdem, einen richtigen Psychotherapeuten konnte er nicht ersetzen, er konnte nur dafür sorgen, dass alles halbwegs glatt ging.

Ich seufzte und wandte mich ganz ab.

Ich mochte die Zwillinge; die meisten hier im Haus fanden sie etwas seltsam, auch wenn alle eifrig behaupteten, nichts gegen sie zu haben, aber ich glaube, ihre Art war den meisten unangenehm, vor allem da die beiden auch kein Blatt vor den Mund nahmen, und bisweilen etwas unhöflich wirkten. Aber sie waren lustige Jungs, wenn man sich eine Weile mit ihnen unterhielt; rauchende, trinkende, lautstark fluchende Jungs. Sie konnte keiner Fliege was zuleide tun, und waren vielleicht die einzigen hier, die mit unseren Alltagsstreits halbwegs erwachsen umgingen, bisweilen, bis auf Ilja, vielleicht.

„Kommst du mit runter?“ Sakuya blinzelte mich müde an.

Ich nickte, stürzte den letzten Rest Kaffee hinunter und verließ mit ihm die Küche.
 

Unten im Zimmer war es dämmrig; durch das Kellerfenster drang nicht viel Licht, aber wir brauchten auch nicht viel, um uns zurechtzufinden, unsere Augen waren an die Dunkelheit zwischen engen Wänden gewöhnt. Sakuya lehnte sich mit dem Rücken an die geschlossene Tür, sah erschöpft aus, aber dann merkte, ich, dass er lächelte, und ich wusste, warum, und erwiderte das Lächeln. „Willkommen zuhause.“

Die meisten von Sakuyas Cds lagen oben bei Valentin, seine Bücher hatte ich in einem Karton außer Sichtweite verstaut, ebenso wie seine Kleidung, es war sowieso nicht sehr viel. Aber ein paar Cds hatten doch ihren Platz im Regal behaupten können, und während das Licht langsam weniger wurde, und Sakuya eine Öllampe entzündete, die wir an einem Haken von der Decke hängen hatten, so dass der Raum in ein fahles Halblicht aus Flamme und Led-Display getaucht war wie eine neuzeitliche Dichterkammer, brandete die Musik wie Wogen über uns hinweg, solide Rockmusik, teils durchsetzt mit intensiven Bassriffs, düster, ehrlich.

Saku hatte diese eine Cd irgendwann einmal zusammengestellt, hatte dafür Yannis' Pc benutzt; es waren so viele seiner Lieblingslieder enthalten, wie er auf der Festplatte hatte finden können, ich selber konnte mit den großteils melancholisch gefärbten Texten nicht viel anfangen, all dieser Weltschmerz der schwarzen Szene war nichts für mich, nicht, weil ich es nicht nachvollziehen könnte, aber diese dunkle Romantik war Sakus Steckenpferd, nicht meines.

Ich beobachtete ihn kurz, die Musik schien ihn einzuhüllen; sie passten schon zu ihm, die schwermütigen, etwas rockigen Klänge, wie er da stand, im Halbdunkeln, seine pechschwarzen Haare schluckten noch das letzte Licht, sein Gesicht ernst und still wie immer, wenn er schwieg; seine Gestalt war aufrecht, schlank, noch mit gesenktem Kopf stolz, als er den Mantel wie schwarzes Wasser von den Schultern gleiten ließ, sein Shirt umspielte den Schwung seines kräftigen Rückens wie Wind einen jungen Baum, seine geschnürten Stiefel umschlossen seine Beine fest bis zu den Knien; so stand er da, gewandet in Schwarz, still, den Blick gedankenvoll zur Lampe gerichtet, so elegant, und doch kannte ich die animalische Kraft, die in dem weißen Körper ruhte, in den immer angespannten Muskeln, kannte die Hitze, die ihn nie verließ. Ich sah, wie er ein wenig die Lider senkte, als die Klänge eines seiner Lieblingslieder um seinen Körper brandeten; die Musik war laut; gerade leise genug, um sich noch unterhalten zu können, und doch laut genug, um unter die Haut zu gehen.
 

(…)
 

Held in stasis, all unchanging

Touched by none, admired by all.

Circumstance will change the balance

Hold your breath, await the fall.

Time is now past for regret

Time to forgive but never forget.
 

No warmth, no pain, no fire, there's only love like broken glass.

No passion, no desire, there's only love like broken glass, love like broken glass.
 

Now the prison smashed and broken

Petals lie in diamond shards.

In the needle-sharp reminders

Lies a broken, bleeding heart.

Time is now past for regret

Time to forgive but never forget.
 

aus: Cauda Pavonis: Love like broken glass
 

Ich lachte leise, hatte meine Jacke auf den Stuhl geworfen; es war warm im Zimmer, für mein Gefühl zumindest, und ich hatte fast vergessen, wie gut es war, nicht mehr alleine hier zu sein, und wie gut es war, nicht immer meine eigenen Cds zu hören. „Träumst du?“

„Hm?“ Saku sah auf, lächelte flüchtig; er hatte in der Mitte des Zimmers gestanden, den Kopf leicht geneigt, hatte ein wenig mit dem rechten Arm seine Schulter gerieben, mit dem Blick weit entfernt. „Nein.... Ich habe nur gedacht, ich muss dir noch soviel erklären.“

„Was meinst du?“

Er wandte sich jetzt vollständig zu mir um, fuhr sich mit der Hand über den Nacken. „Ich meine alles mögliche. Was ich für dich fühle, was ich für Antti fühle...“ Er brach ab, als hätte er schon zuviel gesagt. „Aber lieber, wenn ich ausgeschlafen bin, bitte.“

„Okay...“ Ich sah ihn zögerlich an, bei seinen Worten war mir der Mund etwas trocken geworden, und ich musste mich zum Durchatmen zwingen; es machte mich nervös, wie er das sagte, nicht weil ich Angst hatte, er würde nichts für mich fühlen – oder Angst, er würde es – nein, ich war ohnehin verunsichert, verunsichert wie nie im Leben, gottverdammt, ich war so verunsichert gewesen dass ich mir betrunken den Arm aufgeschnitten hatte; und obwohl ich nun wieder das Gefühl hatte, das rettende Ufer erreicht zu haben, mit Sakuya als meinem Anker, umspülte doch immer noch das kalte Wasser meine Knöchel, und ich wusste nicht mehr mit Sicherheit, was mein Weg war und was mein Ziel war, oder ob es überhaupt so etwas wie einen Weg oder ein Ziel für jemanden wie mich geben konnte. „Was...“ Ich befeuchtete etwas meine Lippen, um besser sprechen zu können. „Was fühlst du denn für mich?“

Sakuya sah auf.

Seine grauen Augen glitzerten im künstlichen Licht des Displays, das diese Hälfte des Zimmers unirdisch schimmernd erhellte; er sprach leise, etwas heiser, aber mit einer Ehrlichkeit, die ich von ihm kannte, und die ich vermisst hatte. „Ich weiß es nicht.“

Ich erwiderte seinen Blick eine Weile stumm. „Ich auch nicht“, sagte ich dann fast genauso leise; ich war nichtmal sicher, ob er es über die Musik gehört hatte, aber er musste es, denn er lächelte.

„Sagst du es mir, wenn du es weißt?“

„So wie letztes Mal?“ Das hatte ich mir nicht verkneifen können.

„Nein. So wie früher.“

Ich nickte still, musste erst grinsen, dann lachen; er stimmte ein. „Hast du ein bisschen Wasser oder so hier?“

„Da steht eine Flasche, irgendwo am Fußende.“ Ich ging zum Fenster und öffnete es einen Spaltbreit, um etwas frische Luft hereinzulassen, während er im Hocken ein paar Schlucke trank; als er wieder aufstand, verzog er das Gesicht.

„Was ist los?“

Ich hockte mich aufs Bett und schnürte meine Schuhe auf; Sakuya richtete sich sehr langsam gerade auf. „Mir tut immer noch alles weh von letzter Nacht, und von den Tagen davor; mein ganzer Rücken, ich kann kaum den Kopf drehen. Ich bin völlig aus dem Training; so darf mich niemand sehen.“

Ich lachte leise, schmiss die Schuhe in die nächste Ecke neben dem Schrank und stand auf; mein schwarzhaariger Freund sah mich leidend an und rieb sich mit der Hand den Nacken. Ich konnte ihn gut verstehen; ich selber fühlte mich wie gerädert, hatte in den letzten Tagen immer wieder meinem Körper zuviel zugemutet, ohne ihn entsprechend vorzubereiten, oder sonst irgendwie auf ihn achtzugeben. Ich fuhr Sakuya mit einer Hand über den Nacken; er war noch immer so angespannt, wie ich es auch am Morgen in der Küche schon gefühlt hatte, senkte den Kopf ein wenig nach vorne, als ich mit leichtem Druck nach unten fuhr und die Hand zwischen seinen Schulterblättern ruhen ließ. „Ich mach das schon. Leg dich hin.“

Wortlos zog er sich mit beiden Armen das T-Shirt über den Kopf und legte sich bäuchlings auf das Bett, die Arme unter dem Kopf verschränkt; ich ließ mich auf ihm nieder, einzelne schwarze Haarsträhnen hatten sich aus dem Zopf gelöst und hingen ihm auf den hellen Rücken, die strich ich zur Seite. Sein Körper war warm unter mir, auch durch die mit Besätzen verstärkte Kunstlederhose, die er trug, hindurch, und ich spürte die Hitze unter meinen Fingern, als ich ihm mit der Hand über den Rücken nach oben zum Nacken hin fuhr, dann mit der zweiten, und mit sanftem Druck die Daumen in die harte Muskulatur grub; er war steif wie ein Brett, das kannte ich schon, selbst ich hatte über all die Jahre nicht alle Kämpfe aus diesem Körper vertreiben können, konnte nur die schlimmste Verspannung nehmen. Ilja könnte es vielleicht, ich würde es ihm zutrauen, doch dafür müsste Sakuya erst einmal jemand anderem gegenüber zugeben, dass sein Körper Schwächen hatte, und das würde er nicht tun. Ich tat es auch nicht. Daher lebten wir beide mit unseren Verspannungen.

„Fester?“

Er nickte, und ich wandte mehr Kraft an; er schloss die Augen unter meinen Händen. Seine Haut war weich, ungeachtet der Spannung darunter, und warm, wie Samt, vor einem Feuer gewärmt; die Tätowierung, die sich auf der linken Hälfte seines Rückens bis hinunter zur Hüfte erstreckte, schimmerte schwarz und dunkelgrau vor der blassen Haut, ganz leicht konnte ich die Erhebungen ertasten, wo die Tinte unter die Haut gedrungen war; der stilisierte Wolf schien fast lebendig, als ich mit der Hand mit leichtem Druck über ihn strich, kaum fähig, mit den Fingern die harten Muskeln zu lockern, die unter dem Tier ruhten.

Sakuyas Haar hob sich schwarz von meinem Laken ab, wie er da lag, die Augen geschlossen, die Züge friedlich, ich fuhr mit den Händen die sanften Kurven seiner Schultern nach, dann den Nacken; ich kannte seinen Körper auswendig, jeden Muskel, jede Bewegung, ich hatte ihn hundertmal so angefasst, noch als er ein schmächtiger Junge gewesen war, dann als Heranwachsenden, als er langsam geschmeidiger wurde und an Schulterbreite zulegte, auch an Tagen, an denen ich seine Rippen hatte zählen können. Ich kannte seine untätowierte und tätowierte Haut; jede weiße Narbe an seinem Körper, welche ich spüren konnte, wenn ich mit den Händen darüberfuhr, kannte ich, denn ich hatte auch die Wunden gekannt, denen sie entstammten. Ich kannte die sanfte Kurve seines Rückens vor mir und den Geruch seiner warmen Haut.

Was ich wirklich liebte, wenn er bei mir war, war tatsächlich nicht dieser Körper, sondern seine Seele.

Ich konnte dennoch nicht leugnen, dass mich sein Körper erregen konnte; noch mehr jetzt, wo ich zu genau wusste, wie er sich anfühlte, wie heiß er wirklich war; jetzt, wo ich wusste, wie er sich vor Verlangen aufbäumte, wenn ein Zittern ihn überlief.

Ich grub unwillkürlich fester die Finger in Sakus Haut, Sekundenbruchteile lang; ich sah seine Hände vor mir, wie sie sich ins Laken krallten, und für eine Sekunde blitzte ein anderes Bild vor meinem inneren Auge auf, für einen Moment sah ich nicht Sakuya unter mir, sondern einen anderen Körper, schwarze Tinte unter weißgoldener Haut, sah einen dünnen Schweißfilm darauf, ein Zucken, ein Aufblitzen von Metall, als ein Schauer wie von Lust den narbenübersäten Körper durchströmte, der devot unter mir lag.

Ich hielt kurz inne; Sakuya blinzelte mich von unten her an, ich legte eine Hand auf seinen Rücken, schloss für einige Sekunden die Augen. Ich wollte diese Gedanken nicht, zumindest nicht jetzt; und doch wurde ich auch zeitgleich ein anderes Bild nicht los, jetzt, wo ich Sakuyas bloßen Oberkörper unter mir sah; ich sah gepflegtere Finger als meine auf dem tätowierten Wolf, blonde Haare die sich auf dem Kissen mit Sakus mischten, hundertmal hatte ich Sakuya Antti eng an den Körper gezogen halten sehen, schlafend, die nackten Körper von verrutschten Decken bedeckt wie die von gefallenen Engeln.

„Mika? Alles in Ordnung?“, murmelte er von unten, linste mich unter losen Haarsträhnen hervor an.

Ich ließ die Hand auf seinem Rücken ruhen, sah ihm nicht ins Gesicht, mir fielen die Haare nach vorn als ich den Kopf senkte. „Ich hab nur...“

Ich brach ab. Warum lügen? Ich war es leid, jedem um mich herum etwas vorzumachen, jetzt, wo mein Seelengefährte wieder an meiner Seite war. „Saku...vermisst du Antti?“

Er schwieg eine Weile; ich dachte, ich hätte ihn mit der Frage verstimmt, aber als ich ein wenig aufsah, merkte ich, dass er nachdachte, das Gesicht halb vom Arm verdeckt, die Augen leicht glitzernd im Licht von Erinnerungen. Ich wartete stumm auf seine Antwort.

„Ja“, sagte er irgendwann schlicht, sprach weiter, als ich ihn nach einigen Sekunden nicht unterbrach. „Ich habe es die ganze Zeit verdrängt, im letzten halben Jahr, weil du mir so gefehlt hast; aber ich habe oft von ihm geträumt. Auch, als ich hier war, musste ich immer wieder an ihn denken; als er mich verlassen hat, das war so....“ Sein Blick flackerte für eine Sekunde, und ich merkte, dass ich an eine offene Wunde gerührt hatte.

„Du bist noch nicht über ihn hinweg.“

„Ich weiß nicht.“

„Das war keine Frage. Du bist nicht über ihn hinweg.“

Er war eine Weile still. „Stört dich das?“

Ich war erst nicht sicher. Störte mich das? Ich hatte das Gefühl, es müsste, aber gerade traf mich eher, dass ich Saku verletzt hatte. „Warum sollte es?“

Es dauerte eine lange Weile, bis er antwortete; er lag nach wie vor regungslos unter mir, ich spürte seine Bewegung beim Atmen unter meiner Hand. „Ab diesem Punkt wird es kompliziert.“

„Es hat mich nie gestört, dass du Antti geliebt hast, und es könnte mich auch nie stören. Weil ich weiß, dass du glücklich warst.“ Ich strich mit der Hand seine Wirbelsäule hinauf und ließ sie an seinem Nacken ruhen.

Sein Blick wurde etwas dunkler vor Schmerz, und er schloss kurz die Augen. „Er war der Einzige für mich...“

„Ich weiß.“ Ich streichelte ihm mit einem Finger über den Nacken.

Jeder hatte das sehen können, aber ich hatte es gewusst, besser als jeder andere, weil ich Sakuya kannte, weil er alles mit mir geteilt hatte, selbst seine tiefsten Gefühle. Seit er den femininen Blondschopf zum ersten Mal gesehen hatte, jener erhitzt vom Auftritt, auf der verrauchten Bühne im Eden, hatte er ihn begehrt; und Anttis sanfte Art mit ihm, und jedem anderen, hatte schnell dafür gesorgt, dass Sakuya sich haltlos in den sensiblen jungen Mann verliebt hatte.

Oh, der Finne mochte unschuldig wirken, aber ich war Fuchs, Sakus bester Freund, und ich wusste sehr genau, dass dem durchaus nicht so war; Antti liebte mit einer Leidenschaft und Verruchtheit, die mir selber gefallen würde, wäre er nicht so schrecklich zart; unter der kühlen nordischen Oberfläche brannte ein wildes Herz.

Und auch er war wirklich in Saku verliebt gewesen.

„Willst du ihn wiedertreffen?“

Saku regte sich leicht unter meiner Hand, und ich hob sie, aber er legte nur den Kopf auf den Arm, sah traurig ins Leere, dann huschte sein Blick zu mir, wie haltsuchend. „Ich weiß nicht...nein, ich....Nein. Ich will ihn nicht wiedersehen. Als ich ihn im Eden sah, tat es so weh, ich dachte, ich bekomme keine Luft mehr. Es ist besser für mich, und besser für ihn, wenn ich ihn nicht mehr wiedersehe.“

„Selbst, wenn du ihn dann immer vermisst?“ Ich hatte sehr leise gesprochen, strich ihm mit einer Hand die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht; Saku schloss die Augen, ich sah es verräterisch glitzern zwischen den Lidern. Er nickte.

Ich strich ihm über die weiche Haut, streichelte seine Schulter; er tat mir so leid, wie er da lag, die dunklen Haare wie Federn auf dem Laken ausgebreitet, wie Rinnsale strichen sie über die weiße Haut seiner Schultern; ich strich sie ihm aus dem Nacken und beugte mich zu ihm hinab, hockte noch immer breitbeinig auf ihm; ich roch seine Haut, und hörte seinen Atem, spürte die Wärme seines Körpers schon Millimeter vor meinen Lippen, ehe ich jene sanft auf seinen Rücken senkte und die Stelle zwischen seinen Schulterblättern küsste, die trockenen Lippen nur Sekunden ruhen ließ, ehe ich sie wieder ein wenig hob, Sakus samtene Haut strich über meine Unterlippe, und ich fühlte, wie warm mein Atem zwischen uns wurde.

In diesem Moment wurde mir klar, was ich gerade tat, und ich erstarrte; ich war wie versteinert von der Erkenntnis, dass ich drauf und dran war, den gleichen Fehler vom letzten Jahr zu widerholen, und das gerade einen knappen Tag, nachdem er mir vergeben worden war!

Ich richtete mich wieder ein Stück auf, versuchte wieder anzufangen zu atmen; als ich nach unten sah, traf mich Sakuyas Blick, meine Hände, die ich neben seinem Oberkörper aufgestützt hatte, fingen etwas an zu zittern, und ich atmete wieder etwas beherrschter; er sah in keiner Weise verletzt oder verärgert aus, im Gegenteil, er sah mich sehr ruhig an, vielleicht etwas erstaunt, aber er lag völlig still da, den Kopf auf der Seite.

Meine Augen ruhten in seinen grauen, ich kniete auf allen Vieren über ihm und fühlte die Wärme des schlanken Körpers unter mir, und in seinem Blick las ich so viel Zutrauen und Loyalität, dass ich in diesem Moment das Gefühl hatte, nein, ich wusste es, als ich die Hand hob und mit dem Daumen seinen Nacken streichelte, dass ich, wenn ich wollte, alles mit ihm würde machen können; ich könnte diesen Weg weitergehen, und ich könnte ihn bis zum Ende gehen.

Wenn ich in diesem Moment wollte, könnte ich ihn küssen, könnte ihm den Gürtel öffnen, die Finger unter seinen Hosenbund wandern lassen; er würde sich widerstandlos von mir herumdrehen lassen und sich vollständig in meine Hände geben. Ich würde ihn Antti vergessen lassen, dabei sein heiseres Stöhnen hören, und dieses Mal würde er es bei vollem Bewusstsein genießen, sich jeder meiner Berührungen entgegenstrecken.

Weil er mein war.

Sein Blick wich meinem nicht aus, und sein Körper schmiegte sich an meine Hand, die ihm streichelnd über die Seite fuhr; sein Atem ging ruhig. Er musste nichts sagen; ja, ich wusste, dass ich jetzt alles von ihm haben könnte, wenn ich wollte.

Aber das wollte ich nicht.

Ich küsste ein weiteres Mal seinen Nacken, beugte mich über ihn, mein Bauch berührte seinen Rücken, als ich das Gesicht an seins lehnte, meine Nase an seiner Wange; und ich sah, wie er die Augen schloss, den linken Arm bewegte und nach meiner Hand griff, die neben ihm auf dem Laken lag, und seine Finger mit meinen verschränkte; so hielten wir eine ganze Weile inne.
 

(...)
 

And when I touch your hand

It's then I understand

The beauty that's within

It's now that we begin

You always light my way

There never comes a day

No matter where I go

I always feel you so

'Cause you're everywhere to me

And when I close my eyes it's you I see

You're everything I know

That makes me believe

I'm not alone
 

You're everywhere to me

And when I catch my breath

It's you I breathe

You're everything I know

That makes me believe

I'm not alone

(…)
 

-aus: Yellowcard: Everywhere
 

Sakuya rührte sich unter mir, löste seine Hand von meiner und drehte sich unter mir geschmeidig herum, so dass er jetzt auf dem Rücken unter mir lag und mir ins Gesicht sah; ich kauerte noch immer über ihn, mit den Armen aufgestützt; er sah mir in die Augen, lächelte ein wenig sein ernstes leises Lächeln, hob die Hand und strich mir die Haare aus dem Gesicht, dann über die Wange; ich senkte die Lider halb über den Augen, entspannte den Körper etwas. Sakuya fuhr mit den Fingern in mein Haar und umfasste meinen Hinterkopf, richtete sich im Oberkörper ein wenig auf; er musste sich dazu nicht einmal aufstützen, mit der freien Hand streichelte er meine Schulter und Nacken, legte das Gesicht an meins, seine Stirn an meiner, sein Atem strich über meine Lippen, und ich ließ mich mit ihm wieder ein wenig nach unten sinken, ließ mich auf die Ellbogen nieder und vergrub den Kopf an seiner Schulter. Mein Seelengefährte hielt mich mit beiden Armen umfasst und drückte das Gesicht in mein Haar, streichelte mit einer Hand immer wieder sanft über meinen Rücken, die Nägel leicht aufgelegt, sie strichen über den dünnen Stoff meines T-Shirts, und ich spürte, wie sich seine Lippen an meinem Ohr bewegten, als er fast unhörbar, wie ein stilles, ernstes Gebet, flüsterte.

„Ich liebe dich.“

Ich spürte seinen Puls an meinen Lippen, welche an seinem Hals ruhten.

Wir lagen lange auf diese Art; ich dachte kurz, er wäre eingeschlafen, doch als ich den Blick hob, trafen meine Augen in seine; er war müde, aber noch wach.

Ich genoss diese Minuten. Ich genoss die Wärme, die von ihm ausging; mir war, als hätte ich monatelang gefroren. Wir hatten so viele Nächte zusammen verbracht, hatten so oft einander gehalten; es war jetzt, als müssten wir das vergangene halbe Jahr nachholen. Ich musste ihm keine Fragen stellen, und auch er konnte schweigen; alles, was wir wissen mussten, war schon seit Jahren beantwortet. In unserer Welt gab es keine Fragen und keine Zweifel, es gab nur uns beide, immer schon, und es würde für immer so sein.

Das war es, worauf Antti immer eifersüchtig gewesen war, und worauf er gleichzeitig nie hätte eifersüchtig sein müssen; es hatte nie etwas mit ihm zu tun gehabt, nicht einmal im Ansatz. Antti konnte nie Teil davon sein, aber er musste es auch nicht; Saku hatte ihn ehrlich geliebt, und tat es vielleicht immer noch. Was er für Antti empfunden hatte, würde er für mich nie empfinden können; das war ihm vielleicht nicht ganz bewusst in diesen Tagen, aber mir war es umso klarer.

Ich war mir noch immer nicht sicher, was ich mir von ihm wünschte, aber ich wusste, ich war in diesem Moment glücklich, und mein bester Freund, der an mir atmete, war es auch, und das war fürs Erste genug.

„Mika....“ Sakus Stimme zerriss die Stille zwischen zwei Liedern.

Ich hob den Kopf und sah ihn an, er wirkte etwas unsicher, aber gleichzeitig auch so sanft; man sah ihn selten so entspannt und mit so einem zärtlichen Ausdruck in den Augen, in letzter Zeit hatte ich ihn nur Jamie so anschauen gesehen.

„Hmm?“

Er richtete sich etwas auf, und ich setzte mich hin, nun auf seiner Hüfte, während er sich nach hinten mit den Ellbogen abstützte. „Was dürfte ich nicht tun, um dir nicht zu nahe zu treten, jetzt in diesem Moment?“

Ich dachte eine Weile über seinen etwas umständlichen Satz nach. „Nichts“, erwiderte ich dann ehrlich. „Du kannst alles tun, ohne mir zu nahe zu treten. Immer, nicht nur in diesem Moment.“

„Ich würde gern etwas versuchen.“

„Nur zu.“

„Es geht um dich und Antti.“

Ich wartete kurz ab; ich wusste nicht, worauf er hinauswollte, aber ich kannte diesen Blick an ihm, dieses unsichere, nur Sekunden kurze Auf-die-Lippe-beißen, ich sah, wie er sich einen winzigen Moment lang mit der Zungenspitze über selbige fuhr und dann den Blick abwandte, als ihn auf einmal alle Courage wieder verließ. „....Ist aber auch nicht so wichtig.“

Ich spürte, wie mein Herz schlug, als ich ihn ein wenig nervös an der Schulter fasste. „Soll ich dir helfen?“

Er sah mich wieder an, und an der Aufrichtigkeit und stummen Dankbarkeit in seinen grauen Wolfsaugen sah ich, dass ich wohl ziemlich richtig gelegen hatte mit meiner Vermutung. „Das wäre gut.“

Er setzte sich etwas weiter auf, so dass ich nun wirklich auf seinem Schoß kniete, fuhr sich durch die Haare, wie er es immer tat, wenn er verunsichert war; ich wartete eine Weile, wusste nicht recht, was ich sagen sollte, wie ich auf ihn zugehen sollte, fing an zu überlegen, ob das eine kluge Sache war, auch wenn es nicht das erste Mal wäre, ich traute mir selber nicht mehr. ...Dann aber ließ ich die Nachdenklichkeit fahren, legte eine Hand an Sakuyas Nacken, ehe er wieder den Blick abwenden konnte, und meine Lippen sanft auf seinen Mund.

Er verkrampfte sich für einen winzigen Moment, wurde dann mit einem Mal weich wie Wachs in meinen Händen; sogar sein angespannter Nacken unter meiner Hand lockerte sich, und er reckte sich mir entgegen, während seine Lippen unter meinen nachgaben, ein wenig trocken, aber weich, wie ich sie in Erinnerung hatte.

Ich küsste ihn einige Sekunden lang auf diese Art, was er zart erwiderte, merkte dann, wie er den Kuss intensivierte, nach der Initiative griff, die ich ihm gerne überließ; es war früher schon so zwischen uns gewesen, dass wir einander die Zügel aus der Hand nahmen, in allem was wir gemeinsam taten, aber selbst beim Küssen hatte ich es nie so mit allen Sinnen genossen wie jetzt; vielleicht war ich zu jung gewesen damals.

Sakuyas Kuss war fordernder geworden, ich spürte seine Zunge, die meine Lippen teilte, sich dann zurückzog, mit der Spitze über meine Oberlippe strich; ich begegnete ihm, drängte ihn etwas zurück, drang mit der Zunge in die Hitze seines Mundes vor, er schmeckte wahnsinnig gut, heiß, war wie Glut an mir. Er ließ mich gewähren, fing dann meine Zunge ein, haschte nach meinen Lippen, ich kratzte ein wenig mit den Zähnen über seine Unterlippe, was ihm etwas wie ein heiseres Schnurren entlockte, das gefiel mir gut. Ich hatte Sakuya schon geküsst, als wir jünger gewesen waren, und natürlich auch im vergangenen Jahr, als er betrunken gewesen war, doch ich hatte nicht damit gerechnet, wie sanft sein Kuss sein konnte, wie hingebungsvoll; Antti war ein glücklicher Mann gewesen.

Ich merkte erst jetzt, dass ich schwer atmete und mich in seine Schultern gekrallt hatte; zog seinen Kopf enger zu mir und raubte ihm einen weiteren Kuss; spürte seinen schlanken Leib erschauern, als ich nahezu unendlich lange seine Lippen küsste, er erwiderte es mit einer Zärtlichkeit, die meinem Leben so lange schon fehlte.

„Stopp“, flüsterte ich an seinen Lippen.

„Soviel hatte ich gar nicht gewollt, entschuldige“, wisperte er genauso leise zurück; ich spürte seinen Atem über meine Haut streichen, strich ihm mit den Händen über die Schulter, ließ sie dann nach unten gleiten und merkte, wie sich sein Oberkörper beim Atmen schwer hob und senkte.

Seine Arme legten sich um meine Hüfte und er verschränkte die Hände an meinem Rücken, ich fing seinen Blick ein, seine Augen glänzten, wirkten etwas verschleiert von der Hitze des Moments, aber zugleich auch betroffen, ich lehnte meine Stirn an seine.

„Ist schon in Ordnung.“

Wir schwiegen eine Weile und nur die Musik durchbrach die Stille zwischen uns, ich spürte einen warmen Luftzug auf meiner Brust, als Sakuya den angehaltenen Atem aushauchte. „Glaubst du, das war ein Fehler?“

„Was wolltest du denn wissen?“, murmelte ich zurück, mein Atem ging selber allmählich wieder etwas ruhiger, und ich konnte ihm ins Gesicht sehen, seine grauen Augen schienen dunkel und besorgt.

„Ich wollte wissen, ob es anders ist als mit Antti.“

„Und?“

Er nickte nur, ließ dann den Kopf etwas sinken und legte das Kinn auf meine Schulter.

Ich strich mir die Haare hinters Ohr, lehnte den Kopf etwas zur Seite an seinen. Ich war aufgewühlt durch den Kuss; ich hatte nicht damit gerechnet, dass dies von Sakuya käme, der sich beim letzten Mal so verletzt gezeigt hatte, aber mir gingen seine Worte von Nachmittag nicht aus dem Kopf. Jetzt kannte ich ihn wirklich besser als jeder andere, sein letztes Geheimnis war keins mehr für mich.

Ich hatte Angst, es zuzugeben, doch so innig hatte ich mich selten mit ihm gefühlt, wie in diesem Moment, als gäbe es keine Grenzen mehr zwischen uns. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, doch ich fühlte mich so geborgen in seinen Armen, und ich hielt ihn selber fester, spürte wie er sich an mich schmiegte.

Ich wusste nicht, wo wir standen, weniger als je zuvor, aber es schnürte mir mit einem Mal die Kehle zu, daran zu denken, dass unsere Freundschaft vorbei war, dass an ihre Stelle etwas anderes getreten war, etwas, das ich niemals dagegen eingetauscht hätte, einfach nur dadurch, dass er fähig war, mich so zu erregen. Ich presste kurz die Lider zusammen, hoffte dass er mein minimales Zittern nicht bemerkte.

Er war meine Zuflucht, wo er war, fand ich meine Heimat. Ich wollte immer mit ihm zusammensein, so, wie wir es früher gewesen waren. Ich ahnte, und fürchtete, dass wir das nicht zurückbekommen konnte, und ich fühlte mich so ohnmächtig.

Ich konnte ihm nicht das geben, was ihm Antti gegeben hatte, was immer es gewesen war, ich kannte dieses Gefühl nicht; ich wollte es ihm auch gar nicht geben. Ich war sein Fuchs, immer schon gewesen, nichts anderes wollte ich sein für ihn.

Ich genoss seine Nähe und seine Berührungen, jede Regung eines Körpers der mir wertvoller war als mein eigener, jeder Herzschlag war mir teuer, und ich liebte das Gefühl seines lebendigen Atems unter seiner Haut. Ich liebte ihn mehr, als jemals ein Bruder einen Bruder geliebt hat.

Ich wollte meinen besten Freund nicht verlieren.

Als er sprach, spürte ich seinen Atem an meiner Schulter. „Mika....“ Seine Stimme war leise, etwas unsicher, er brach wieder ab.

„Hmm?“ Ich drückte mich enger an ihn, angespannt in Erwartung dessen was ich hören würde.

„Du küsst jetzt schon viel besser als mit sechzehn.“

Es war eine Weile still, Sakuya hob den Kopf von meiner Schulter; als ich den eigenen wandte, sah ich in seine emotionslosen grauen Augen, und ich kannte diesen Blick; als wäre er ertappt, fingen seine Mundwinkel leicht an zu zucken, und sein Blick wurde heller; ich sah ihn eine Weile an, stieß ihn dann augenrollend mit dem Kopf an, meine Hände waren ganz kalt und verspannt vor Nervosität, die sich jetzt in einem tonlosen kurzen Auflachen Bahn brach; Sakuya fing an zu schmunzeln und strich mir mit der Hand über den Kopf die Haare ins Gesicht, ich hörte ihn selber kurz lachen und fing seine Hand ein, stieß sie zurück.

„Du solltest nicht so lachen, wenn du anderen Männern Komplimente machst, auf die Art wirst du Single bleiben.“

„Ach, niemals!“

Ich lachte jetzt lauter, wischte mir mit einer Hand über das Gesicht; kurz hatte ich das Gefühl, ich müsste anfangen zu weinen, aber das war ja bescheuert. „Du bist so ein Idiot.“ Ich rutschte von seinem Schoß.

„Hey.“

„Was?“ Ich sah auf, meine Augen trafen in seine, mit einem Schlag war er wieder ernster geworden, hatte eine Hand auf meinem Arm liegen.

„Sind wir noch Freunde?“

Ich glaube, ich lächelte noch, aber ich war völlig ernst, als ich sprach; ich hatte noch nie in meinem Leben etwas so ernst gemeint. „Wir sind für immer Freunde. Auf die Art wirst du mich nicht loswerden können...ich will ja nicht nur dein Liebhaber sein, ich will mehr sein.“

„Das bist du doch.“

Ich beugte mich zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Übrigens, ich liebe dich auch.“

Er lächelte.
 

„Lovemates join for pleasure, lifemates join for love, but recognition – ah!“
 

Skywise aus Elfquest
 

Ich kam etwa eine halbe Stunde später zurück ins Zimmer, Sakuya saß auf dem Bett in nur einer alten, etwas lädierten Hose, die Spitzen seiner Haare hingen ihm noch nass auf den Rücken von der Dusche, die er genommen hatte; er sah zu mir auf und lächelte.

Ich selber fror ein wenig, das Wasser war kalt gewesen, und ich hatte sicher eine Viertelstunde nur unter dem harten Strahl gestanden, gespürt wie das Wasser auf meinen Rücken und meine Schultern aufschlug, an meinem Körper und Gesicht hinabrann; ich hatte die Augen geschlossen gehabt und das Bild von Sakuyas Körper aus meinem Kopf verbannt, was mir auch gut gelungen war; mein Geist wollte meinen Seelenbruder nicht, aber andere Teile von mir sahen das anders und schrien fast schon schmerzhaft auf einmal nach Karasu, den ich jetzt, zum ersten Mal seit Monaten, nicht haben konnte, wenn ich es wollte. Ich konnte ja schlecht einfach gehen!

Ich hatte mich mit den Händen gegen die gekachelte Wand gestützt, meine Haare hingen mir nass ins Gesicht.

Sakus Körper, Karasus Körper, heiße Haut an meiner, mich verzehrte ein inneres Feuer.

Manchmal hasste ich mich selber, so auch in diesem Moment, dafür, dass ich mich nicht unter Kontrolle hatte, für mein Ungestüm, für den Kick, den mir Sex gab, seitdem vor Monaten diese große Depression über mich gekommen war.

Ich hätte gern mit Saku darüber geredet, aber ich wusste nicht wie, und es war so beschämend – er schien das Problem nicht zu haben; sicher, auch er war leicht erregbar nach Monaten der Abstinenz, von Antti war er es anders gewohnt. Wir waren ja auch nur Menschen.

Warum jetzt Karasu, warum musste ich jetzt ausgerechnet an ihn denken, von allen Leuten?

Es hatte eine Weile gedauert, bis ich mich fertig geduscht hatte, und es war schon vollständig dunkel draußen; in unserem Zimmer unten schien genug Licht für uns beide, uns gegenseitig problemlos auszumachen.

Ich ließ mich neben Saku auf das Bett fallen und lehnte erschöpft den Hinterkopf an die Wand.

„Alles okay?“

Ich nickte. „Saku...“

„Hm?“

„Kannst du mir etwas versprechen?“

„Sicher.“

Ich leckte mir über die Lippen. „Kannst du...mir versprechen, dass wir alles tun können, aber dass wir keinen Sex miteinander haben? Gar keinen. Niemals. Egal was passiert. Bitte?“

Er sah mich überrascht an, ich sah es im fahlen Licht; er verstand es nicht, manchmal war er so naiv. „Warum?“

„Das ist ein bisschen schwer zu erklären.“

„Versuch es.“ Er hockte sich in den Schneidersitz neben mich und sah mich ruhig mit auf die Hände gestütztem Kinn an.

„Ich traue mir selber nicht mehr. Ich habe Angst, dass ich irgendwann wieder alles zerstöre. Bitte, versprich es mir, es wäre ein Fehler wieder mit dir zu schlafen, und ich möchte ihn nicht machen. Es ist ein bisschen kompliziert. Versprich es mir einfach.“ Ich brach ab, was ich da von mir gab war völliger Unsinn, aber ich hoffte, er verstand es trotzdem.

Tat er. „Versprochen. Alles, nur kein Sex.“ Er hielt mir die Hand hin, und ich schlug ein.

„Danke.“

„Ist das wegen Karasu?“

„Was?“ Mein Kopf fuhr herum, und traf in seinen misstrauischen grauen Blick. „Was? Nein, das ist...nein! Das ist nicht seinetwegen. Wie kommst du darauf?“

„Ich wundere mich nur. Du wirkst so durcheinander, du sagtest ihr hättet lange eine Affäre gehabt, und Sex war vorher nie ein so großes Thema für dich gewesen wie es jetzt ist.“

Ich lehnte den Kopf zurück an die Wand. „Vielleicht hat er mich verdorben“, murmelte ich leise. „Ich weiß es nicht.“

„Willst du drüber reden?“

Ich schüttelte den Kopf. „Heute nicht.“

„Mika.“

Ich öffnete ein Auge und blinzelte ihn an, er hatte sich vor mich aufgestützt und sah mir fest ins Gesicht.

„Du bist nicht verdorben.“

Ein Schauer überlief mich, als ich mich so durchschaut wusste, und ich senkte den Blick. „Ich bin...“

„Du bist ein Mensch.“

Ich schwieg eine lange Weile, Saku kam auf meine andere Seite und setzte sich neben mir an die Wand. Ich seufzte. „Danke.“

„Zeig mir deinen Arm.“

Er nahm mein Handgelenk, als ich den Arm auf seinen Schoß legte, und begann vorsichtig mit den Nägeln das Pflaster aufzuknibbeln, das meinen Verband hielt, wickelte dann umsichtig Lage für Lage die weiße Mullbinde ab, darunter kam noch festerer Stoff zum Vorschein, nach einer Weile sah ich dunkle Flecken im Weiß, die größer und intensiver wurden, Lage für Lage, und ich wandte irgendwann den Blick ab, spürte wie meine Hand anfing zu zittern, mir war ein wenig übel, und ich biss mir auf die Lippe; ich war schon oft verletzt gewesen, ohne dass mir je deswegen übel gewesen wäre.

„Sieh hin. Es ist halb so wild, glaub mir, aber schau es dir an. Der Verband ist gut. Hat er das gelernt?“

Ich hob die rechte Schulter. „Ich weiß es nicht.“

Saku löste sanft die letzten Lagen, die die Wunde an meinem Arm abdeckten, es stach ein wenig, und die Luft im Zimmer war kühl und unangenehm auf der weichen nackten Haut.

Ich verkrampfte meine Hand, und Sakuya griff sie mit der linken, hielt meine Finger mit seinen verschränkt, während er mit der rechten so sacht wie möglich die Verletzungen untersuchte. „Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Ich glaube nicht, dass es dich hätte umbringen können.“

Ich lachte tonlos. „Nichtmal das habe ich noch anständig machen können.“

„Wirf dir nichts vor“, murmelte er leise, während er mit einem neuen Tuch das trockene Blut um die Stichverletzungen entfernte, sorgsam, um nichts aufzureißen. „Es sind schon erfahrenere Männer an weniger kaputtgegangen.“

Ich schloss die Augen, während er beschäftigt war; ich hatte einen Knoten im Magen angesichts der unordentlichen Wunden auf meinem Arm, aber Sakus Finger waren sanft, und seine beruhigende Stimme tat mir gut. Wie jedesmal.

„Das bin nicht ich, Saku.“

Er sah kurz auf.

„Ich erkenne mich gar nicht wieder. Ich hätte früher nie so etwas gemacht. Ich hätte auch nie so viel getrunken. Und ich hätte nie gedacht, dass ich mir selber mal so wenig vertraue. Was ist nur mit mir passiert? Ich will das nicht. Ich will mein altes Ich zurück. Das nicht von einer Sekunde auf die andere etwas Dummes tut, Sex und Alkohol und Selbstmord; das bin ich nicht!“

„Das weiß ich. Du bist viel zu vernünftig.“

„Warum tue ich das dann?“

„Ich weiß nicht.“ Er nahm eine saubere Mullbinde aus einem Kästchen neben sich und begann, meinen Arm sorgsam wieder zu verbinden. „Aber ich glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst.“

„Warum meinst du das? Wer weiß, was morgen ist.“

„Ich weiß, was morgen ist. Ich werde morgen da sein, und übermorgen auch. Und du allein bestimmst, was du tust, das darfst du nicht vergessen, auch wenn es dir grad anders vorkommt.“

„Woher willst du das wissen? Vielleicht ist es ja soweit, und ich werde verrückt.“

„Ich weiß es, weil ich dich kenne. Du wirst nicht verrückt. Von uns beiden bin ich derjenige, der irgendwann verrückt werden wird; du wirst eines schönen Tages einfach nur an der Welt durchdrehen und Amok laufen. Erinnerst du dich? Du hast das selber mal gesagt.

Und vielleicht hast du das schon getan; aber keine Sorge, du bist nicht verrückt, und du wirst sowas auch nicht wiederholen.“

„Woher weißt du das?“

„Ich weiß mehr über dich als du selbst.“ Er schloss den Verband, nahm meine Hand jetzt in beide Hände. „Du machst dir nur Gedanken darüber, weil du so vernünftig bist; genau daher musst du dir keine Gedanken machen. Verstehst du? Du bist vielleicht ein bisschen bescheuert. Aber nicht verrückt.“

Ich seufzte. „Du bist kompliziert.“

„Wir sind beide übermüdet. Willst du schlafen gehen?“

„Ja....bitte.“

Ich wollte endlich wieder klar denken können.

Die Frage, ob wir ihm seine Matratze holen sollten, stellte sich gar nicht; die hatte Junya, und die konnte er behalten.

Ich hatte mich einfach zur Seite sinken lassen, hielt Sakuya an mich gezogen, der die Arme um meine Mitte gelegt hatte und nach wenigen Sekunden schon schlief wie ein Stein, und atmete in sein mitternachtsschwarzes Haar; vielleicht hatte er recht.

Vielleicht waren wir aber auch beide verrückt.
 

(...)

There's more pain here than I can keep inside me

No place I know where it can't find me
 

(...)
 

Take me to a place where darkness swells

The pain to a point where it can't be held

Burst and break it and let it all spill

Through the dark city night where angels will

In the guise of strangers

Lead me back

Let me heal.
 

aus: Anne Clark: The Healing
 

Zwischenspiel: Marius: Para
 

Let's destroy rules made by adults and

Dance until the sun comes up

(...)

We spray out the spoiled world,

And shall we start from here, the new days...

We throw away everything. We aren't afraid of anything.

We can be sparklingly shining stars

(...)
 

aus: The GazettE: Linda~Candy Dive Pinky Heaven
 

„Du bist ja so gut gelaunt heute.“

Marius grinste dazu nur, wippte summend auf den Fersen auf und ab, stellte einen Stapel Teller in den Hochschrank in der Ecke. Gekleidet war er an diesem Tag in ein lockeres schwarz-violettes T-Shirt, schwarze Hose und Minirock; er trug nur Socken, und die pinken Teile seines Haares waren frisch gefärbt und glänzen noch nass, als er sie sich hinter ein Ohr strich, seine Nägel waren pink lackiert. „Bin ich! Ich hab ein Date am Sonntag.“

„Oh! Wer ist es denn? Dein Freund, dieser Blonde?“

„Antti?! Ach was, nein, doch nicht Antti, er ist nicht mein Typ.“

„Ich wusste nicht, dass es Männer gibt, die nicht dein Typ sind.“

„Mama!“ Mari baute sich empört vor ihr auf und nahm ihr das Handtuch ab, das sie ihm reichte, hängte es wieder an seinen Haken. „Also echt!“

„Wer ist es denn dann?“

„Du kennst ihn nicht. Nur ein Bekannter.“

„Dafür, dass er nur ein Bekannter ist, bist du aber gut gelaunt.“ Marius' Mutter war eine schmale Frau mit langem dunklen Haar, das sie meist in einem lockeren Zopf über der Schulter trug; ihr Gesicht war schmal, mit hohen Wangenknochen und dunklen Augen, die sie blass wirken ließen. „Reichst du mir bitte meine Tabletten von der Anrichte, Schatz?“

Mari gehorchte und griff dann ohne zu fragen die Griffe ihres Rollstuhl, um sie, ungerührt von ihren Protesten, sie könne das alleine, ins Wohnzimmer nebenan zu schieben; sie hatten eine kleine Rampe für sie angebaut, um die Schwelle leichter überbrückbar zu machen....dennoch.

„Ich bin nunmal ein fröhlicher Mensch.“

„Was wirst du tragen?“

„Das gleiche was ich sonst auch trage, wenn ich ausgehe, damit musst du leben. Du musst mich ja nicht anschauen, wenn es dir nicht gefällt.“

„Schatz, du könntest so hübsch aussehen, wenn du wolltest...!“

„Ich weiiiiß. Lass mich doch!“ Mari schloss das Fenster wieder und ging zum Ofen, um einen Holzscheit nachzulegen. „Haben wir noch Holz hinten?“

„Nein, du musst welches kaufen gehen. Ich leg dir nachher das Geld raus.“

„Ich war vorhin beim Arzt und hab deine Rechnung bezahlt, wir haben diesen Monat also mehr übrig. Ich hab überlegt, ob ich davon den Boiler reparieren lasse.“

„Ach, Schatz...das ist lieb von dir, aber das ist dein selbstverdientes Geld, das musst du doch nicht tun.“

„Ich bin erwachsen und es ist mein Geld, oder? Lass mich nur machen.“

Seine Mutter sah eine Weile aus dem Fenster, während Marius mit dem Schürhaken in der Glut stocherte, dann auf allen Vieren unter dem Ofen nach Streichhölzern suchte.

„Warum gehst du nicht mal mit deinem Freund Antti aus? Das ist so ein lieber Kerl, er täte dir sicher gut.“

„Ich darf ja wohl noch selber aussuchen, mit wem ich ausgehe...! - Ja er ist lieb, nein ich will nicht mit ihm ausgehen. Du tust ja so, als ob ich sonst nur mit verurteilen Mördern rumhänge!“

„Du weißt ja nicht, was das für Leute sind, wenn du dich ständig mit Fremden triffst! Ich mache mir doch nur Sorgen um dich.“

Mari hatte die Streichhölzer gefunden und riss eins an, schmiss es zusammen mit einem Stück Zeitung in den Ofen und schob einen Scheit über die aufflackernde Flamme. „Ständig! Du sagst das, als ob ich das letzte Flittchen wäre.“

„Bitte, Schatz, es ist schon hart genug für eine Mutter, wenn der einzige Sohn mit mehr Männern Sex hatte als sie selber.“

„Mamaaaaaaaaa!!“

„Es stimmt doch!“

„Aber doch nicht ständig....!“

„Vielleicht lernst du ja endlich jemand Netten kennen, mit dem du zusammenbleibst.“

Marius seufzte. „Vielleicht. Irgendwann.“

„Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Spaß morgen mit deinem Freund. Und tu mir einen Gefallen und zieh nicht wieder diesen kurzen Rock an!“

„Er ist nicht mein....! Weißt du was, Mama, super Idee.“ Marius tänzelte durchs Zimmer, blieb kurz im Türrahmen stehen, drehte sich einmal zu einer unhörbaren Melodie. „Der Minirock soll es sein!“

„Marius! Ich sagte, nein!“

„Und Glitzer! VIEL Glitzer!“, tönte es noch von der Treppe, ehe im oberen Stockwerk eine Tür ging.

Maris Mutter seufzte und rollte sich zum Fenster, nahm eine Tablette und schüttelte den Kopf, während sie nach draußen starrte. „Ach, Junge....“
 

Sakuya: Endlich
 

Es gibt eine Zeit für viele Worte, und es gibt auch eine Zeit für Schlaf.
 

Homer
 

Überall war Rauch, und Asche, ich rannte, aber ich bewegte mich nicht vorwärts; ich sah nach unten, mein ganzes Hemd war voller Blut, meine Hände auch, ich wusste von wem es war, es war das Blut meines Vaters. Seine Leiche lag hinter mir, das wusste ich, ohne mich umzusehen, aber ich konnte mich nicht umdrehen, wollte ihn nicht sehen; ich hörte Schüsse in meinem Rücken und wollte in den Schutz einer Mauer rennen, aber meine Füße bewegten sich nicht. Vor mir, im Schatten des Gebäudes, sah ich einen kleinen Jungen sitzen, fast blond, noch ein kleines Kind, er trug eine viel zu große Jacke, eine Armeejacke, und sah aus schreckgeweiteten Augen auf einen Punkt hinter mir.

Ich wusste, dass jemand hinter mir stand; ich wusste, dass jemand auf mich zielte, doch der Schutz hinter den Trümmern kam und kam nicht näher, und der kleine Junge schrie die ganze Zeit.

„Saku! Lauf weg, Saku! Lauf weg!“

Ich wusste, dass der Junge Fuchs war; irgendwann erreichte ich ihn endlich, und wandte mich um; ich sah meinen Vater hinter mir stehen, er war nicht tot, ich konnte sein Gesicht nicht sehen, ich erinnerte mich nicht an sein Gesicht; neben ihm stand Fuchs' Vater, hob eine Pistole. „Er ist leider verrückt geworden.“

Ein Schuss, und der kleine Junge sank neben mir tot zu Boden; als ich aufsah, sah ich in den Gewehrlauf meines Vaters. „So ist es besser für alle.“

Noch ein Schuss, und ich schrak hoch.

Um mich herum war es dunkel und still, mein Mund war trocken, und mein Herz hämmerte gegen meine Rippen, als wollte es hindurchbrechen. Ich merkte ein Ziehen in meiner Lunge von dem scharfen Atemzug, den ich beim Erwachen getan hatte, und eine Kälte, die durch meinen ganzen Körper strömte; ich merkte, wie ich blass im Gesicht wurde, und setzte mich schwankend auf, mir war schwindlig; im ersten Moment wusste ich nicht, wo ich mich befand, musste mich mit einer Hand an der Wand neben mir abstützen, versuchen, wieder zu Atem zu kommen.

Das Blut rauschte mir in den Ohren, und ich kniff die Augen zusammen, als könnte ich damit den Traum vertreiben.

Neben mir spürte ich eine Bewegung, etwas stieß gegen mein Bein, und es raschelte leise, als ich den Kopf wandte, erahnte ich im Dunklen einen Schemen, nach einigen Sekunden dann eine Gestalt, die sich etwas zusammenrollte, einen Arm hob und sich ein wenig aufrichtete, ich sah ein Glitzern, als sich das wenige Licht von draußen in Fuchs' Augen brach, als jener blinzelte; er gab ein leises Stöhnen von sich und versuchte nach mir zu reichen, ich spürte seine Hand kurz über meinen Arm streichen, von einem beruhigend gebrummten „mmmh“ begleitet, ehe er wieder aufs Kissen sank.

Ich rollte mich an seiner Seite zusammen, einen Arm über der Decke auf ihm ruhend, und langsam merkte ich, dass mein Herz aufhörte wie wild zu rasen. Ich spürte seinen Arm, der mich an sich zog und einmal im Halbschlaf über mein Haar streichelte, während ich das Gesicht an seiner Brust vergrub, ich war nicht allein, ich musste nicht mehr alleine aus meinen Albträumen aufwachen, die mich seit der Kindheit in fast jeder Nacht verfolgten, alles war wieder in Ordnung.

Ich stieß einen Stoßseufzer aus. „Gott sei Dank.“
 

Ende 12/?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Last_Tear
2012-01-28T13:42:39+00:00 28.01.2012 14:42
*fieps*
Neues Kapi O.O
*rumhüpf*
*purr*
Gott, allein schon der Titel kam mir irgendwie bekannt vor, so vertraut so, keine Ahnung wie ich das sagen soll XD"
Aber wies aussieht, hab ich mich wirklich schon in Stray verliebt O_O"

*chuckle*
Fuchs und Saku im Wohnzimmer am Pennen => Zucker pur >///<
*quietsch*
Und ja, ich glaub an Jamies Stelle hätt ich Val auch nicht ins Gesicht sehen können o.o"
*hust*

Nya...Antti tut mir leid ._.
*nick*
Doch, er tut mir wirklich leid O-o
Ich mein, er liebt Saku noch so sehr und Saku liebt ihn noch so sehr und ARGH und MÄNNER >__<
Wieso müssen die immer so stur sein?
*sighs*
Ich muss zugeben, am Anfang war ich auch mehr für SakuXFuchs...
aber es hat sich geändert und Gott... ich mag Karasu mittlerweile wirklich schon viel zu sehr XD"
Das ist nicht gut x.x
Ich mags knuddeln >o<
Auch wenn es sich nicht anfassen lassen will und alles XD

Und noes <-<
Ich hoff auch, dass sie Yuen? nicht unter Drogen setzen müssen...bei den beiden bin ich mir mit den Namen nie so sicher X__X"
15. Geburtstag...iwie hab ich das Bild im Kopf, dass Fuchsi den beiden ne Torte backt, keine Ahnung wo das herkommt O__O"
Und mir fällt auf, dass wir irgendwie recht wenig von den Zwillingen im Allgemeinen hatten oder is das nur meine Meinung? @…@

Davon ab... *MarixYuki-Fähnchen schwenk*
^-^
Glitzer...viel GLITZER
*weglach*
Also die VOrstellung, ne....
Davon ab, dass ich jetzt das Bild nicht mehr aus dem Kopf bekomm von einem Mari mit Edelsteinchen über den Wimpern O_O In allen Farben X___X
*drops*

Und well XD
Die Bettszene mit Saku und Fuchs...ich war dauernd am Überlegen, freu ich mich, wenn sie weitermachen oder nicht x.x"
Und ich war froh, dass sie nicht weitergemacht haben XD"
Weil Fuchsi hat doch Recht, sie sollten das nicht wieder zerstören ._.

Mipes und jez weiß ich nich mehr, was ich schreiben soll XD"
Außer dass ich mich wie irre aufs neue Kapitel freu *o*
Von:  JamieLinder
2012-01-27T15:12:33+00:00 27.01.2012 16:12
Sooo perfektes Timing. :D
Ich komm online & Stray wird veröffentlicht. *-*

Ich hätte am Mittwochabend vor freude sterben können. <3
Ich danke dir soooooo sehr, das ich die 12 vol. als Beta lesen durfte. *-*
Es ist eine sooo große Ehre für mich und ich war so glück darüber. <3

Das Meiste wurde zwar schon nebenbei geklärt &
wir haben schon genüsslich über vieles disskutiert, aber ich hab dir ein Kommi versprochen & natürlich bekommst du es auch. <3

Du weißt, ich LIEBE Junya & Jamie. =3
Deswegen hatte ich mich auch soooooo riesig gefreut, als es wieder mit Jamie anfing. *-*
Die Trppenszene war klasse.xD
>Traust du dir das zu? <
Ich musste soooo laut los lachen. Echt einfach WUNDERBAR. Jamie ist so ein kleiner Tollpatsch, genau wie ich. xD
Dafür bist DU genauso ein kleiner Sturkopf, wenn es um Medizin & Krankheit geht wie Val. Bei dem Absatz musste ich SOFORT an den einen Abend denken. =3

Haaach. Ich war so glücklich nach dem letzten Kapitel, das Fuchs & Saku sich wieder vertragen haben... ♥
Und dieses Glück konnte ich dieses Kapitel mit dem gesamten Rudel teilen. <3

Mir ist in diesem Kapitel klar geworden, dass du wahrscheinlich recht hast, dass Karasu wahrscheinlich doch ein gutes Herz hat. Zwar nur für den lieben, lieben, liiieben Antti und Fuchs. Aber immerhin, nicht ? (:
War schon niedlich son bisschen über ihn zu erfahren & mitzubekommen, das er einen guten Kern hat. =3

Auch wenn du Anfangs deine Ängste hattes, das Kapitel ist mindestens genauso klasse wie die anderen 11. <3
Etwas kurz geraten, aber mit den Zwischenspielen von Saku & Mari(♥) ist das sofort wieder rausgeholt. <3
Yuki & Mari haben also ein Date ?! ;D
Bin ich echt gespannt wie es ausgehen wird. *-*

Es war wirklich... wunderbar "mitanzusehen" wie sich Saku & Fuchs verhalten, wenn sie wieder zusammen sind. Es ist unglaublich süß, ich bin den Beiden verfallen. DEFINITIV!
Mit der Bettszene. Ich saß so vorm Rechner:
"Jetzt Küsst euch, Küsst euch.!!! Fallt euch in die Arme und sagt, dass ihr euch liebt.!!!"
Ich bin halb ausgeflippt vorm PC...EHRLICH! Hätte ihn beinahe zu Brei geschlagen.><
Aber im nachhinein find ich es besser, dass es NOCH nicht passiert ist.
Mein Bauch sagt mir eh, das "ich" Fuchs an Karasu verlieren werde.. Warum auch immer...):
Aber ich glaube, wenn Antti erstmal sieht, das zwischen Saku & fuchs WIRKLICH nicht läuft, dann ...dann, ja was erhoffe ich mir eigentlich ?! Vielleicht klappt es zwischen Saku & Antti wieder, auch wenn mir Saku & Fuchs besser gefällt, NICHTS GEGEN ANTTI. Er ist ein richtiger Engel. ♥
Mal sehen ob Saku & fuch das Gefühlschaos überstehen, ihre Gefühl deuten können und, egal wie sich endscheiden, glücklich werden. <3

Ich liebe Stray, ich liebe das Rudel, ich liebe einfach alle deine Jungs. Selbst Karasu ist mir mit der Zeit etwas an Herz gewachsen. Ich freu mich schon auf Vol. 13.
Und bis dahin werde ich dich weiter mit Junya & Jamie nerven.*poke*
Ich würde am liebsten SOFORT weiter lesen, auch wenn es nicht wirklich geht. ICH MÖCHTE WEITER LESEN. EGAL wie lange Stray dauert, ich werde fleßig weiterlesen & in der Zwischenzeit mit dir schreiben, dir die Daumen drücken und mich einfach freuen. ;D
*Finnisches Zwieback knabber* <3

Ich glaube diesmal konnte ich meine Gefühle nicht richtig rüber bringen, es tut mir auch leid. Aber ich glaube & hoffe du hast es wärende dem Schreiben mit mir mitbekommen, dass ich wirklich voll dabei war. =3

Wir schreiben uns. *knuddel*
UND wir sehen uns am 18.02. :p
Hoff ich jedenfalls.xD

P.s.

- große Freude
- kleine Tränchen
- lachend vom Stuhl gefallen)
- mitgedacht
- mitgefühlt
- mitgeweint
- begeistert
- stolz
- gefesselt
- erleichtert
- dankbar
- verletzt
- ängstlich
- sauer (wegen: Karasu: Halts Maul)
- verblüft


Nur ein paar Worte, aber eine große Wirkung. (:
Das in etwas hab ich Gefühlt während dem Lesen.




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