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Glue The Heart

von

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Dreiecke oder so ähnlich

Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie lange ich unterwegs war. Mir ist heiß und ich habe ein Stechen in der Seite, das mich davon überzeugt, dass das alles gerade kein Traum war, sondern die Realität. Denn jetzt bin ich nicht nur eine Heulsuse, sondern auch noch ein Feigling, weil ich vor ihm weggerannt bin.

Was Nick wohl von der ganzen Sache hält? Vermutlich hat er mich noch nie so schnell laufen sehen. Und ich habe noch nie so viel Luft gebraucht, wie in diesem Moment. Mir ist schon ganz schwindlig von der ganzen Hitze und der Anstrengung. Deshalb lehne ich momentan erschöpft an Ians Haustür.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier sein sollte. Was für ein Gesicht soll ich machen, wenn ich Ian sehe? Soll ich so tun, als wäre nichts gewesen? Wahrscheinlich ist er sowieso schon genervt von mir. Aber das ist der einzige Ort an den ich gehen kann, also bleibt mir nichts anderes übrig, als meine negativen Gedanken erst einmal zu ignorieren. Stattdessen konzentriere ich mich lieber darauf, ein bisschen weniger gehetzt auszusehen und zur Abwechslung etwas normaler zu wirken. Zumindest ist das mein Vorsatz.
 

Dann höre ich ein Klacken und die Tür gibt nach. Ich strauchle kurz, kann das Gleichgewicht aber halten.

»Sag mal, wie lange willst du hier eigentlich noch rumstehen?«

Meine Finger haben sich im Türrahmen verkeilt und sind der Hauptgrund, weshalb ich noch stehe, selbst nach dieser Überraschung. Möglicherweise starre ich Ian schon wieder seltsam an, da er etwas unsicher wirkt. Also beschließe ich mich erst einmal zu räuspern, um sicherzustellen, dass meine Stimme nicht versagt, wenn ich antworte.

«Ich... »

»Jetzt komm erst mal rein!« werde ich harsch unterbrochen und auch gleich ins Innere gezogen.

Er ist sauer. Sein ganzer Körper strahlt es aus, die verschränkten Armen, das vorgestreckte Kinn und nicht zu vergessen sein Tonfall, der, auch wenn man die anderen Zeichen übersehen hätte, eindeutig klarstellt, dass ich in Ungnade gefallen bin.
 

Ian wirft die Tür knallend zu und ich schrecke etwas zusammen.

»Sind das meine Sachen?«

Sein Blick wandert über meinen Körper und ich mache es ihm kurzerhand nach, um zu sehen was er meint. Ich kann spüren wie ich etwas rot werde. Ians Klamotten hängen etwas schlaff an mir herunter. Wieso muss ich ihm immer einen derart lächerlichen Anblick liefern?

«Ähm... ja... sorry, meine waren... »

»Du lässt dich in meinen Sachen begrabschen?!«

«Hä?»

Egal weshalb er wütend war, jetzt hat es sich verdoppelt.

»Habt ihr es getan?«

Ians Stimme hat sich beinahe zu einem Flüstern gesenkt. Ich bewundere wie sehr er sie selbst jetzt noch unter Kontrolle hat, leise und bedrohlich. Aber ich habe jetzt keine Zeit, mich davon ablenken zu lassen. Das Verblüffen in meinem Blick weicht und macht stattdessen der Empörung platz. Ich stemme meine Hände in die Seiten, so wie es auch meine Mutter immer tut, wenn sie sich über irgendetwas schrecklich aufregt. Wieso muss ich gerade jetzt daran denken? Jede noch so kleine Ähnlichkeit mit meiner Mutter ist mir im Grunde zuwider. Vielleicht fehlt mir gerade deshalb der Elan, meine Antwort mit mehr Überzeugung zu erwidern.

«N.nein! Bist du bescheuert?»

Das war eher ein erbärmliches Nuscheln. Die Wirkung ist dennoch nicht zu verachten.
 

Ich kann beobachten, wie sich Ians Schultern etwas entspannen und leicht herabsacken, dazu kommt ein Aufatmen.

»Ein Glück. Ich dachte schon, ich müsste mich auch noch mit ihm prügeln.«

Dann lächelt er sein typisches unbeschwertes Ian-Lächeln und ich starre nur verblüfft. Er ist wieder zahm wie ein Lamm, nach einem mir völlig unerklärlichen Ausbruch. Na ja, ganz unerklärlich ist er dann doch wieder nicht, immerhin kann ich mir denken, dass ich daran Schuld bin, aber jetzt bin ich zu eingeschüchtert, um genauer nachzufragen.
 

»Was steht ihr denn im Gang herum? Ich dachte, du bringst Finn in die Küche.«

Das war Ians Mutter. Aber diesmal war ich nicht der Einzige, der aus seinen Gedanken gerissen wurde. Ich kann genau erkennen, wie Ian etwas überrumpelt dreinschaut.

»Nun schau doch nicht so, du warst es doch, der unbedingt mit dem Essen auf Finn warten wollte.«

«Wollte ich gar nicht!»

Dann stapft er davon und ich starre ihm noch immer erstaunt nach, wobei sich mir ein winziges Schmunzeln ins Gesicht schleicht.

»Er war die ganze Zeit über unruhig und hat auf dich gewartet.« petzt seine Mutter.

»Ich bin froh, dass du doch noch gekommen bist. So habe ich ihn noch nie erlebt.«

«Wirklich?»

Ich weiß nicht recht, was ich darauf erwidern soll, irgendwie freue ich mich deswegen. Er war nicht wütend, er war nur besorgt. Ich kann nicht anders als wieder zu grinsen.
 

Anschließend ziehe ich mir Jacke und Schuhe aus und geselle mich zu den anderen in die Küche.

Dabei kann ich es nicht lassen, Ian wissend anzugrinsen, was diesen wohl etwas zu überfordern scheint, da er anscheinend immer noch damit bemüht ist, mir dir kalte Schulter zu zeigen und mein Grinsen ihn wohl ziemlich abzulenken scheint.

»Noch mehr Salat?«

Ich blinzle überrascht, seine Mutter hat mein Starren unterbrochen und ich lächle etwas verlegen.

«Ja, danke.»

Also nehme ich mir welchen und lasse meine Aufmerksamkeit endlich auch auf die anderen Personen am Tisch übergehen. Und die scheinen mich genauso interessant zu finden, na ja, alle außer Ian, der ist damit beschäftigt seine Bohnen in möglichst kleine Stücke zu schneiden, nur um sie dann alle einzeln auf die Gabel aufzuspießen und ihnen mit einem Habs ein Ende zu bereiten, wobei er sich jedoch extra nochmal Zeit nimmt den Bissen gründlich zu zerkauen. Wirklich bemerkenswert wie lange er das durchhält.
 

»Finn, sag mal wo habt ihr euch eigentlich kennengelernt? Ian hat dich nie erwähnt.«

Mein Blick wandert automatisch zum Gesprächsführer, Ians Vater.

«Oh... ähm... ja, kann ich mir denken.» murmle ich nervös.

Er hat mich ja auch heulend auf einer Parkbank gefunden und mich wohl mit einem streunenden Hund verwechselt.

«Wir kennen uns von der Schule, aber weil wir in verschiedene Klassen gehen...»

Ich zucke nur mit den Schultern und hoffe, dass das Thema damit gegessen ist.

»Aber.. du gehst momentan nicht zur Schule.«

Ein Stück Radieschen bahnt sich den Weg in meine Luftröhre, als ich diese Worte höre. Ein heftiges Husten ist die Folge davon. So heftig wie es scheint, dass sogar Ian etwas Mitleid mit mir bekommen hat, da dieser mir jetzt fürsorglich auf den Rücken klopft.

Ich trinke einen Schluck Saft, um mich zu beruhigen. Dann geht es wieder.

«Ähm... ja, das ist richtig.»

Mein Blick ruht auf einem kleinen Ketchupfleck am Rande meines Tellers.

«Ich... hatte eine Auseinandersetzung... mit meinem Mathelehrer.» Meine Worte sind nur ein Murmeln, trotzdem verstehen sie alle. Ich stelle mir Ians Familie im Augenblick ein bisschen wie Fledermäuse vor, mit riesigen Ohren und ledernen Flügeln, bereit um sich jederzeit in einen Vampir zu verwandeln und mir auch noch den Rest dessen auszusaugen, was ich früher einmal Selbstachtung genannt hätte.
 

»Aber du bist in keiner Gang, oder doch?«

«Schatz!»

»Was denn? Er könnte einen schlechten Einfluss auf Ian haben.«

«Trotzdem, das ist unhöflich!»

Diese zischende Unterhaltung lässt mir mein Herz in die Hose sinken. Ich dachte wirklich, hier wäre ich willkommen.

Dann steht Ian langsam auf. Das Gespräch verstummt und wir starren ihn alle an. Er hat es doch tatsächlich geschafft mit akribischer Kleinstarbeit den Teller zu leeren.

Er bemerkt die Blicke, lässt sich jedoch nicht davon stören. Stattdessen streckt er sich nur ein wenig.

»War lecker. Kannst du mir dann in Mathe ein bisschen Nachhilfe geben Finn? Soweit ich weiß bist du der beste in deiner Klasse und ich versteh den neuen Stoff absolut nicht.«

«Ähm... k.klar...»

»Oh, bevor ichs vergesse. Schaut euch Finn doch nur mal an, so jemanden lasse ich doch nicht in meine Gang.«

Dabei grinst er breit, räumt den dreckigen Teller weg und verzieht sich wieder nach oben in sein Zimmer.
 

Dann herrscht erst einmal Stille in der Küche. Ians Eltern scheinen wohl genauso überrascht von seinem Verhalten zu sein, wie ich. Nur langsam wird das Essen wieder aufgenommen.

»Entschuldige Finn, dass war wirklich unhöflich von uns.«

Ich kann ein Seufzen hören. Die Entschuldigung ist wohl nicht leicht gefallen.

»Es kommt selten vor, dass sich Ian für einen seiner Freunde auf diese Weise einsetzt.«

«Etwa vier Jahre, nicht wahr Schatz?»

Die Überraschung ist aus den Stimmen gewichen, an deren Stelle ist eine Sanftheit getreten, die ich nur selten zu hören bekomme. Aber sie lässt mich darauf schließen, dass der gefährliche Teil der Unterhaltung vorbei ist und ich es wieder wagen kann, den Kopf zu heben.
 

Ians Eltern sind so ganz anders wie meine, das muss ich jetzt erneut feststellen. Wenn sie sich ansehen, dann ist da noch etwas von dieser Verliebtheit übrig, die ich bei meinen Eltern schon seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Irgendwie traurig sowas.

Und am liebsten würde ich nachfragen, was sie damit gemeint haben.

Was vor vier Jahren wohl gewesen ist?

Aber ich will diese Verbundenheit nicht stören. Also esse ich fertig und folge Ian kurze Zeit später.
 

»Hey, du bist ja noch in einem Stück«

«Ja, vermutlich schmecke ich doch nicht so gut, wie es den Anschein hat.»

Ich lächle ein wenig und Ian scheint sich auch wieder etwas zu entspannen.

»Man, tut mir echt leid, aber sie können nichts dafür. Diese Überfürsorglichkeit ist angeboren und die Taktlosigkeit ist ein Nebenprodukt davon.«

«Schon okay. Hab mir schon gedacht, dass sie früher oder später nachfragen werden. War also nur ne Frage der Zeit.»

Ich mach es mir auf meiner Matratze bequem.

«Hast du das eigentlich ernst gemeint?»

Ians Blick heftet sich an meinen, er wirkt sehr ernst und dann nickt er vorsichtig.

»Ja. Ich brauche definitiv deine Hilfe in Mathe.«

«Das meinte ich nicht...»

»Was dann?«

Angesichts dieser übermächtigen Unwissenheit bleibt mir nicht anderes übrig als tief durchzuatmen und schief zu grinsen. Irgendwie ist er entwaffnend mit seiner Art und auch irgendwie... süß, zumindest ein bissen.

«Ach, nichts.»

«Hol dein Mathebuch.»
 

Ich frage mich, ob er mich auf diese Weise irgendwie therapieren will, damit ich meine Abneigung Mathe gegenüber verliere. Nur, dass ich im Grunde nichts gegen Mathe habe. Meine Erinnerungen an Nick sind ohnehin mit anderen Dingen verknüpft, seine Nachhilfe hat ja auch nie aus richtigem Lernen bestanden, sondern eher...

Okay, Schluss damit. Themenwechsel!

Da kommt zum Glück auch schon das Mathebuch.

«Was macht ihr denn grade durch?»

»Weiß nicht so genau, irgendwas mit Dreiecken glaub ich.«

«Aha... Dreiecke.»

Ich kann nicht anders, als ihn amüsiert zu mustern.

«Kann ich mal deine Mitschrift sehen?»

«Ian?»

Dieser bewegt sich keinen Millimeter vom Fleck, stattdessen haben seine Wangen jedoch eine leichte rosa Färbung angenommen.

»Ich hab keine.«

Es war nur ein leises Nuscheln, ich habe es trotzdem verstanden.

«Du hast keine? Wieso nicht?»

»Jedes Mal, wenn ich ihn sehen, werd ich so sauer, dass ich meine Stifte zerbreche und dann kann ich nichts schreiben.«

Ich bin erst baff, dann grinse ich jedoch schief.

«Ich bin vielleicht ein bisschen naiv, aber ich bin nicht blöd, erzähl den Mist jemand anderem und schreib gefälligst im Unterricht mit!»

Ian scheint darauf nichts besseres einzufallen, als zu lachen und zwar sein entwaffnendes Ian-Lachen. Langsam glaube ich wirklich, dass er mich um seinen kleinen Finger gewickelt hat und dessen ist er sich nicht einmal bewusst.

»Und ich dachte wirklich, du schluckst es.«

«Tja... falsch gedacht.»

Dann mustere ich das Mathebuch genauer. Kein Wunder, dass er keine Zeit für Mitschriften hat, sein Verlangen nach unnötigen Verschönerungen scheint viel größer zu sein.

«Langsam fange ich an daran zu zweifeln, dass du überhaupt weißt, wie ein Dreieck aussieht.»



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2011-06-06T18:21:36+00:00 06.06.2011 20:21
ich kann mich sensi-chan nur anschließen-dein Schreibstil ist genial!
ebenfalls mag ich die ineressanten Details und die GEDANKEN; er wurde mit einem streunenden Hund verwechselt.
von mir griegst ein *sternchen*
Von:  sensi-chan
2011-06-04T18:52:17+00:00 04.06.2011 20:52
hach~
ich liebe deinen schreibstil ♥
er is toll
und die kleinen details, des mitm bohnen zerschneiden und so, macht es ganze no viel interessanter
auch die storry an sich is interessant
*daumenhoch*


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