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Noch eine Liebesgeschichte

von

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Teil 1 Kapitel 3

Ruri hatte in dieser Nacht schlecht geschlafen. Kakerus Behauptung, dass Ryouichi sie mögen könnte, hatte ihr schließlich doch keine Ruhe gelassen. Sie erschrak fast, als sie sich im Spiegel sah. Kakeru schlief noch. Kein Wunder, denn es war gerade mal fünf Uhr morgens. Sie beschloss sich anzuziehen und zu Kisuke zu gehen, der ganz in der Nähe wohnte. Sie würde sich erst dort umziehen. Sie packte ihre Schuluniform und ihre „Zauberaccessoires“ ein und zog sich ein leichtes Kleid an. Sie schrieb Kakeru eine Nachricht und legte ihm den Schlüssel dazu. Dann schlich sie so leise, wie sie konnte vom Schulgelände. Kisukes Haus war nicht groß, aber gemütlich. Sie schloss auf, huschte hinein und wurde sofort von seiner Katze Marielle begrüßt. Marielle wusste immer, wann Ruri zu Besuch kam und freute sich. Ruri nahm sie auf den Arm und ging mit ihr die Treppe hoch, denn Kisukes Schlafzimmer war im ersten Stock. Sie schlich leise ins Zimmer, setzte Marielle ab, zog ihre Schuhe aus und kroch unter seine Decke. Dieser zuckte daraufhin zusammen und murmelte:

„Du hast kalte Füße.“

Ruri lachte und kuschelte sich an ihn.

„Guten Morgen, Papa.“

Sie bekam zunächst nur ein Grunzen als Antwort, aber Kisuke legte seine Arme um sie und zog sie zu sich heran. Er antwortete schläfrig:

„Du bist schon länger nicht mehr morgens zu mir gekommen. Ist etwas passiert?“ Er legte sich auf den Rücken und sie legte ihren Kopf auf seine Brust. Sie lächelte, auch wenn er das nicht sehen konnte und antwortete:

„Nicht so wichtig. Das hat Zeit bis nachher.“

Und damit schlief sie ein.
 

Kisuke weckte sie zwei Stunden später und sie stand widerwillig auf. Sie zog sich ihre Schulsachen an und schwankte müde nach unten. Auf der vorletzten Stufe rutschte sie ab und wurde gerade noch so von Kisuke aufgefangen.

„Wenn du weißt, dass du noch nicht richtig wach bist, dann lauf auch keine Treppen.“

Sie hörte an seiner Stimme, dass er verärgert war. Er nahm sie kurzer Hand hoch und trug sie in die Küche, wo bereits Frühstück auf dem Tisch stand. Er setzte sie auf einen Stuhl und Ruri lächelte.

„Wir haben auch schon länger nicht mehr zusammen gefrühstückt. Wusstest du, dass Kakeru wirklich stark ist? Er sieht gar nicht danach aus.“

Kisuke lachte amüsiert und antwortete:

„Es hat sich wirklich nichts verändert. Es denkt immer noch jeder, dass „Unseresgleichen“ schwach sind. Du musst schon jemandem ins Gesicht schlagen, damit sie es verstehen. Das hast du ja gestern gesehen.“

Ruri blickte weg.

„Ich kann mir denken, was sie zu dir gesagt haben. Ich werde es nicht wiederholen, denn das ist es nicht wert. Ihr habt euch also wirklich getrennt?“ Ruri lachte:

„Ja. Sie haben uns zusammen am Schultor erwischt und mir eröffnet, dass Kakeru schwul sei. Ich habe total übertrieben reagiert und bin weggerannt. Die Typen haben versucht Kakeru noch mehr nieder zu machen, aber das hat nicht geklappt. Irgendwann ist er auch weggerannt, weil er sein Lachen nicht mehr unterdrücken konnte. Danach waren wir Eis essen, im Kino und im Park. Ich habe ihm „unseren“ Teich gezeigt.“

Er lächelte. Sie frühstückten, räumten den Tisch ab und machten sich auf den Weg in die Schule. Sie verabschiedeten sich aber vorher noch von Marielle, indem sie sie kraulten. Auf dem Weg erzählte sie ihm von Kakerus Vermutung, aber er lachte nur und meinte:

„Das wirst du früher oder später selbst bemerken.“

Ruri konnte den seltsamen Unterton in seiner Stimme nicht deuten, also beließ sie es dabei. Am Schultor wartete bereits Kakeru auf sie und lächelte ihnen entgegen. Erst, als sie näher kam sah sie, dass seine Backe geschwollen war. Sie lief zu ihm und fragte aufgeregt:

„Wer hat das getan? Tut es sehr weh?“

Ohne eine Antwort abzuwarten ging sie Richtung Schulgebäude und rief ihnen zu: „Ich hole etwas zum Kühlen aus dem Sanitätsraum.“

Damit war sie verschwunden. Kisuke stellte sich neben Kakeru und fragte wie selbstverständlich:

„Ryouichi Karasuma?“

Kakeru sah ihn an und lachte:

„Sie wissen es also auch?“

Kisuke nickte.

„Ja, er kam doch tatsächlich vor einiger Zeit zu mir in mein Büro und bat mich um Hilfe. Er meinte, dass ich die einzige Person sei, mit der er darüber reden konnte. Da wusste ich schon in etwa, worum es ging. Warum hat er dich eigentlich geschlagen?“

Kakeru seufzte:

„Erzählen Sie mir dann, was er zu Ihnen gesagt hat?“

Kisuke nickte und er fuhr fort:

„Ich habe es gewagt aus „Yukis“ Zimmer zu kommen. Ich erklärte ihm, dass ich jetzt bei ihm im Zimmer wohnen würde. Darauf sagte er mir mit gedämpfter Stimme, dass ich es ja nicht wagen sollte, „Yuki“ anzurühren. Um sicherzustellen, dass ich es auch tat, hat er mich geschlagen. Danach ist er gegangen und ich bin hier her gekommen, um zu warten. Wenig später seid ihr dann gekommen. Was wollte er bei Ihnen?“

Kisuke lachte und sagte:

„Lass uns schon mal losgehen, sonst denkt sie noch du wärst gestorben. Ihre Mutter war genauso. Du darfst mich auch ruhig duzen, sonst komme ich mir so alt vor.“

Sie gingen los und Kisuke begann zu erzählen:

„Es ist ungefähr einen Monat her, als er plötzlich in meinem Büro stand und mit mir reden wollte. Es war Wochenende, deswegen wunderte ich mich, dass er hier war und nicht mir Freunden unterwegs. Er setzte sich und sagte mir nach unten gerichtetem Blick, dass er meine Hilfe bräuchte. Er hätte einen Klassenkamerad, mit dem er nicht nur befreundet sein wollte. Ich fragte ihn, wer es denn sei und er antwortete mit hochrotem Kopf „Yuki Hio“. Ich hatte damit gerechnet, seit sie auf diese Schule gehen wollte. Ob sie will oder nicht, aber sie kann nichts daran ändern, dass sie eine Frau ist. Bei allem, was sie tut ist immer etwas Weibliches dabei. Darauf reagieren Jungs nun einmal instinktiv. Es würde mich nicht wundern, wenn es noch anderen Jungen so geht, wie Ryouichi. Sollte es noch weiter ausarten, muss ich sie wohl oder übel von der Schule nehmen.“

Sie waren am Schulgebäude angekommen.

„Hier trennen sich unsere Wege. Ruri wartet bestimmt im Sanitätsraum auf dich. Ihr solltet es noch locker zum Unterricht schaffen.“

Er lächelte und Kakeru lächelte ebenfalls, als er sagte:

„Also wenn die anderen gesehen hätten, wie wir uns normal unterhalten, dann wäre das Vorurteil, dass wir nur übereinander herfallen können auch aus der Welt geschafft.“

Sie verabschiedeten sich und Kakeru suchte nach Ruri. Kisuke hatte Recht behalten. Ruri stand im Sanitätsraum und wartete. Der Arzt war scheinbar nicht da. Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn erleichtert an. Sie kam zu ihm und legte ihm eine in ein Handtuch gewickelte Kompresse auf die Backe. Sie sah ihn an und fragte vorwurfsvoll:

„Wo warst du? Warum hat das so lange gedauert? Ich dachte es wäre etwas passiert.“

Kakeru musste lachen, weil Kisuke auch damit Recht behalten hatte. Er kannte sie wirklich in und auswendig. Nachdem seine Backe fast eingefroren war, nahm er die Kompresse vom Gesicht und lächelte.

„Ich denke, wir sollten gehen, sonst stirbt meine Backe noch ab.“

Er nahm sie und zog sie aus dem Raum. Er seufzte und sagte:

„Ich bin okay, wirklich! Ich habe mich nur mit Kisuke unterhalten. Niemand hat uns angesprochen. Es kam uns nicht einmal jemand entgegen. Also schau nicht so, als würdest du vor Sorge sterben.“

Sie lächelte und er ließ ihre Hand los, um nicht für einen Aufruhr zu sorgen. Natürlich kamen sie auch pünktlich zum Unterricht. Kisuke hatte wirklich in allem richtig gelegen. Niemand sprach sie an, als sie das Zimmer betraten, aber sie spürten alle Blicke auf sich ruhen. Kakeru spürte besonders Ryouichis Blick auf sich.
 

Die Stunde verging relativ schnell. In der nächsten Stunde waren alle aufgeregt. Ruri erklärte ihm, dass das an den nächsten beiden Stunden lag. Da hatten sie Kochen und das wurde von einer LEHRERIN unterrichtet, die scheinbar nicht schlecht aussah. Ruri warnte Kakeru vor ihr:

„Nimm dich in Acht, Kakeru. Die nimmt alles männliche, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Egal ob schwul oder nicht. Mit mir hat sie es auch einmal versucht, aber ich bin ihr irgendwie entkommen. Wenn du beim aufräumen helfen sollst, dann mache ich freiwillig mit.“

Nachdem sie, während dem Unterricht, alle Sicherheitsmaßnahmen durchgesprochen hatten, gingen sie fast entspannt in die nächste Stunde. Der Klassenraum erinnerte eher an einen Schlussverkauf. Alle kämpften um die Plätze in den ersten Reihen. Immer drei Leute waren an einem Tisch, also machte das sechs Plätze in der ersten Reihe. Mit Kakeru waren sie genau 27. 24 davon kämpften vorne um die sechs Plätze. Ryouichi hatte sich als einziger alleine an einen der hinteren Tische gesetzt und schaute desinteressiert aus dem Fenster. Da sich wohl niemand freiwillig einen Tisch mit ihnen teilen würde, beschlossen sie sich zu Ryouichi zu setzen. Ruri stellte sich neben ihn und fragte:

„Ryouichi? Macht es dir was aus, wenn wir uns zu dir setzen?“

Er sah zu ihnen und schüttelte den Kopf.

„Als ob ihr eine andere Wahl hättet.“

Ruri und Kakeru glaubten sich verhört zu haben. Nicht er hatte keine andere Wahl, sondern sie. Der absurdeste Gedanke, der ihnen kam, war, dass er sich absichtlich alleine an einen Tisch gesetzt hatte. Nicht aus Desinteresse am Kampf, sondern um ihnen zu helfen. Der Gedanke war zu unwahrscheinlich, deswegen verwarfen sie ihn schnell wieder. Als die Lehrerin in den Raum kam, war der Kampf vorbei. Jeder setzte sich an den Platz, an dem er stand. Alle grüßten sie freundlich. Nur Ryouichi murmelte:

„Wem raubt sie heute die Unschuld?“

Ruri war durch Kisuke natürlich darüber informiert, was sie mit dem ausgewählten Schüler während des „Aufräumens“ tat. Doch solange sich niemand beschwerte, waren sie machtlos. Ruri stellte fest, dass weder Kakeru noch Ryouichi Talent zum Kochen und Backen hatten. Sie sollten nur harmlose Pfannkuchen machen, aber die beiden scheiterten schon kläglich beim Eier öffnen. Kakeru wusste nicht einmal, dass man die Eier aufschlagen musste. Er dachte, dass sie aufgestochen werden müssten. Ryouichi kam mit der Waage nicht zurecht, deswegen bereitete er schon einmal die Pfanne vor. Dass hier noch nichts explodiert war, musste ein Wunder sein. Ruri seufzte, nahm Kakeru die Eier und Ryouichi die Pfanne ab. „Setzt euch besser hin und schaut zu, sonst verletzt ihr euch noch. Oder jemand anderen.“

Sie taten gehorsam, was ihnen befohlen worden war und Ruri machte sich an die Arbeit. Sie wog alle Zutaten ab, öffnete sie Eier in Null Komma Nix und verrührte alles. Außerdem hatte sie unbemerkt sie Pfanne vorbereitet. In einer Viertelstunde war der Teig leer und die Pfannkuchen dampften auf dem Teller. Ruri setzte sich zufrieden hin und grinste.

„Habt ihr euch alles gemerkt?“

Ryouichi und Kakeru sahen sich an, grinsten und schüttelten synchron den Kopf. Sie war erstaunt und fragte:

„Seit wann versteht ihr euch so gut?“

Kakeru antwortete:

„Er sagte, dass ich gar nicht so übel wäre, wenn ich es schaffe ihn die ganze Stunde über nicht anzumachen und da sie fast vorbei ist, habe ich gewonnen.“ Ryouichi nickte nur zustimmend. Er sah die Pfannkuchen an und fragte:

„Wenn wir die behalten dürfen, wollen wir sie dann zusammen in der Pause essen?“ Ruri war skeptisch und fragte:

„Meinst du das ernst? Du wirst wahrscheinlich zum Außenseiter werden. Das ist dir klar, oder?“

Ryouichi nickte. Sie seufzte und lächelte schließlich.

„Gut, dann essen wir sie in der Mittagspause.“

Die Lehrerin kam und betrachtete kritisch die Pfannkuchen. Nach einiger Zeit entschied sie:

„Das sind die Besten Pfannkuchen. Dafür sollte mir einer von euch beim Aufräumen helfen. Wen nehme ich denn da?“

Sie sah die drei an. Den Gedanken Ruri zu nehmen verwarf sie sofort wieder. Sie musste sich also zwischen dem Neuen und dem Abgeneigten entscheiden. Sie lächelte und sagte:

„Ich denke wir sollten Kakeru-kun noch etwas Zeit geben, um sich einzugewöhnen, deswegen hilfst du heute Ryouichi-kun.“

Da sie nur ein widerwilliges Knurren bekam fügte sie hinzu:

„Du weißt ja, dass es Punktabzug gibt, wenn du dich weigerst. Die Stunde ist vorbei. Packt eure Sachen und geht. Wir sehen uns nächste Woche.“

Sie schenkte allen ein zuckersüßes Lächeln und Ruri hätte sich am Liebsten übergeben. Sie packten die Pfannkuchen ein und waren schon fast an der Tür, als Ruri sich noch einmal umdrehte. Sie sah, dass Ryouichis Gesicht weiß wie die Wand hinter ihm war. Sie kämpfte mit sich, drehte sich aber schließlich zu Kakeru um und sagte:

„Geh du schon mal vor. Ich komme dann nach.“

Kakeru schüttelte den Kopf und seufzte:

„Ich wusste, dass es so kommen würde. Ich habe versprochen dich nicht mehr allein zu lassen. Erst recht nicht bei so einer Person.“

Er lächelte und Ruri drehte sich wieder in Richtung Lehrerin. Sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie sprach:

„Wir helfen mit. Das Chaos ist für zwei Personen viel zu groß.“

Die Lehrerin lächelte engelsgleich, als sie antwortete:

„Ist schon in Ordnung. Ryouichi-kun und ich schaffen das schon. Ihr habt jetzt doch sicher Unterricht.“

Sie wollte die beiden unbedingt loswerden, dass war nicht zu übersehen, aber so schnell gab Ruri nicht auf. Das Lächeln prallte an ihr ab und sie gab mit einem überfreundlichen Lächeln zurück:

„Wir haben jetzt eine Freistunde, weil unser Mathelehrer krank ist. Wir haben also mehr als genug Zeit.“

Sie ließ keine weiteren Widersprüche zu, denn sie begann einfach aufzuräumen. Kakeru lachte und tat es ihr nach. Die Lehrerin war kurz vor dem Wutausbruch, aber sie musste sich geschlagen geben. Sie packte wütend ihre Sachen und verließ den Raum mit einem:

„Wehe ich finde noch irgendwo Schmutz.“

Ruri und Kakeru klatschten sich ab und lachten.

„Du bist der Hammer, Yuki. Niemand hätte sie so in die Flucht schlagen können.“ Ruri zwinkerte und meinte:

„Tja, was soll ich sagen. Ich verstehe eben das Verhalten von Frauen.“

Sie mussten wieder lachen. Ryouichi, der das Geschehen bisher nur stumm beobachtet hatte, meldete sich zu Wort:

„Warum habt ihr das getan?“

Sie drehten sich zu ihm um und Kakeru antwortete:

„Na um einem Freund zu helfen. Du magst das vielleicht nicht so sehen, aber wir rechnen dir deine Freundlichkeit uns gegenüber hoch an. Du hast das ja offensichtlich nicht gewollt.“

Ryouichi blickte zu Boden und murmelte ein leises, aber verständliches:

„Danke.“

Ruri stemmte die Hände in die Hüfte und sah sich im Raum um.

„Wie kann man nur so eine Unordnung hinterlassen?“

Sie sah die Jungs an.

„Wollen wir anfangen?“

Sie nickten widerwillig und die drei begannen aufzuräumen. Nach einer halben Stunde waren sie fertig und Ruri meinte spöttisch:

„Das wollte sie nach der Haupttätigkeit mit einem mitgenommenen Jungen noch aufräumen? Sehr selbstbewusst die Frau. Das hätte sie nie geschafft.“

Die Jungs nickten nur, da sie Hausarbeit scheinbar nicht gewohnt waren. Ruri bot ihnen als Friedensangebot an die Pfannkuchen jetzt schon zu essen. Der Vorschlag wurde mit voller Begeisterung angenommen. Sie holten das nötige Geschirr, setzten sich an einen Tisch und aßen gemütlich. Als es klingelte packten sie alles zusammen und gingen zusammen zur nächsten Stunde. Alle kamen auf Ryouichi zu und fragten, wie das „Aufräumen“ gewesen wäre. Die drei sahen sich an und Ryouichi antwortete grinsend:

„Also ich weiß ja nicht, wie ihr aufräumt, aber wir haben lediglich die Sachen weggeräumt und sauber gemacht, oder?“

Ruri und Kakeru nickten zustimmend. Sie lachten und ließen ihr völlig perplexen Klassenkameraden einfach stehen. Sie wussten, nicht, ob das daran lag, dass nichts passiert war, oder daran, dass er einen Schwulen und seinen „Schutzengel“ einer Frau vorgezogen hatte. Aber es konnte ihnen eigentlich egal sein. Sie waren nun schon zu dritt und nicht mehr nur zu zweit. Das würde alles erträglicher machen.
 

Der Tag ging recht schnell vorbei. Als sie auf dem Rückweg waren sah Ryouichi zu Kakeru und sagte:

„Entschuldigung!“

Als Kakeru ihn verwirrt ansah, fuhr er fort:

„Ich entschuldige mich für alles, was ich dir bisher angetan habe. Besonders für die Schläge. Nach allem, was ich dir angetan habe, habt ihr mir heute trotzdem geholfen. Du bist gar nicht so übel, wie ich anfangs gedacht habe… Freunde?“

Er hielt Kakeru seine Hand hin und dieser schlug grinsend ein. Ruri lachte und legte ihre Hände oben drauf.

„Vergesst mich nicht.“

Jetzt lachten sie alle drei. Als sie sich wieder beruhigt hatten, schlug Ryouichi vor, dass sie sich umziehen und danach in die Stadt gehen könnten. Sie stimmten zu. Ruri und Kakeru gingen in ihr Zimmer und Ryouichi in seines. Sie wollten sich in zehn Minuten am Schultor treffen. Kakeru war als erster fertig und ging vor. Ruri schaffte es gerade noch so rechtzeitig am Treffpunkt zu erscheinen. Kakeru grinste und fragte:

„Was hat denn da so lange gedauert?“

Sie funkelte ihn an und zischte:

„Idiot.“

Ryouichi verstand nicht, was sie meinten, aber er wollte auch nicht nachfragen. Vielleicht würden sie es ihm irgendwann erklären. Stattdessen fragte er:

„Können wir dann los, oder wollt ihr das lieber noch einmal ausdiskutieren?“

Sie lachten und liefen los. Sie kamen pünktlich zum Abendessen wieder zurück. Ryouichi wurde wider Erwarten nicht zum Außenseiter. Man ließ sogar Ruri und Kakeru mit am Tisch sitzen. Manche fingen auch ein Gespräch an und merkten, dass man sich mit ihnen ganz normal unterhalten konnte. Ruri lächelte, als sie sah, wie sich Kakeru mit jemandem um das Salz stritt. Alle Vorurteile schienen wie weggeblasen. Zumindest an diesem Tisch. Andere Tische warfen ihnen fast tödliche Blicke zu. Ein Junge aus ihrer Klasse beugte sich zu ihr und meinte:

„Ignorier sie einfach. Solange sie nur zu uns schauen und nichts tun, habt ihr nichts zu befürchten. Wenn Ryouichi euch als vertrauenswürdig einstuft, dann tun wir das auch. Von unserer Klasse habt ihr nichts mehr zu befürchten. Aber ich kann natürlich nicht für alle Klassen sprechen. Nicht überall wird Ryouichi wie ein Gott behandelt.“

Ruri sah ihn verwundert an und fragte:

„Wie meinst du das?“

Er grinste und antwortete:

„Viele aus unserer Klasse kennen ihn noch aus der Middleschool. Im dritten Jahr war er Schulsprecher und hat vielen aus der Patsche geholfen. Er hat sich immer für andere eingesetzt. In meinem Fall hat er meine Prügel bezogen. Er ist kein schlechter Mensch. Ganz und gar nicht.“

Ruri sah zu Ryouichi und lächelte. Mit jeder neuen Sache, die sie über ihn erfuhr, fand sie ihn ein bisschen sympathischer. Es war ihr fast schon peinlich so zu denken. Selbst wenn sie Gefühle für ihn entwickeln würde, musste sie diese bis zum Abschluss unterdrücken, wenn sie ihm keine Probleme bereiten wollte. Sein perfektes Ansehen sollte nicht wegen ihr zerstört werden. Allein dieser Gedanke zeigte, dass sie Gefühle für ihn hatte, aber das wollte sie sich nicht eingestehen. Sie freute sich jetzt lieber darüber, dass er dafür gesorgt hatte, dass Kakeru aufgenommen wurde. Nachdem sie zu Ende gegessen hatten, verabredeten sie sich, um am nächsten Tag (Samstag) etwas zusammen zu unternehmen. Einer der Jungs boxte Kakeru in die Seite und meinte:

„Du kannst ja deine Bekannte mitbringen. Da sie nicht deine Freundin ist, findet sie ja vielleicht Gefallen an einem von uns.“

Kakeru hatte wohl schon damit gerechnet, denn er schüttelte sofort den Kopf und antwortete:

„Das geht leider nicht. Sie kommt aus meinem Heimatort und der ist weit von hier entfernt. Sie hat mich nur besucht, um zu sehen, ob es mir gut geht. Vielleicht wann anders.“

Er lächelte und der Junge, der ihn gefragte hatte, tat so, als würde er schmollen. Ruri war von seiner Lüge beeindruckt. Wann hatte er sie sich wohl ausgedacht? Doch sie hatte jetzt keine Zeit darüber nachzudenken. Sie wollte gerne als Mädchen mit den Jungs weggehen, deswegen sagte sie zu ihm:

„Lad sie doch ein. Sie kann meinen Platz füllen. Meine Eltern hätten mich gerne mal wieder zu Hause, deswegen bin ich am Wochenende nicht da. Sie kann ja in meinem Bett schlafen.“

Kakeru sah sie skeptisch an, aber sie machte ein bettelndes Gesicht und so hatte er keine Wahl. Er seufzte und stimmte zu. Er würde sie noch am Abend anrufen und einladen. Nachdem sie alles geklärt hatten gingen sie zum Wohnheim, verabschiedeten sich voneinander und gingen in ihre jeweiligen Zimmer. Als sie alleine waren fragte Kakeru:

„Du willst wirklich als Mädchen mit ihnen weggehen? Willst du dich nicht gleich den Löwen zum Fraß vorwerfen?“

Sie verstand seine Sorge, aber sie antwortete dennoch etwas trotzig:

„Genau das hat Kisuke auch gesagt, als ich ihn gefragte habe, ob du bei mir wohnen darfst. Du passt doch auf mich auf. Ich werde nicht von deiner Seite weichen. Versprochen! Ich will nicht immer nur ein Junge sein. Ich bin nun mal ein Mädchen und ich will manchmal auch ein Kleid oder einen Rock tragen. Das musst du doch verstehen. Ich weiß, dass ich mich freiwillig als Junge verkleide, aber…“

Sie wusste nicht warum, aber sie spürte Tränen in ihren Augen. Kakeru nahm sie in den Arm.

„Entschuldige. Ich wollte nur nicht, dass sie dich die ganze Zeit dumm anmachen. Wie hat meine Klassenkameradin immer gesagt? So was wie sie sei eine Perle unter Steinen. Das trifft deine Situation morgen wohl am Besten.“

Sie sah zu ihm hoch und lächelte zustimmend. Sie zogen sich um und fielen sofort in ihre Betten.



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