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Ich bin nicht schwul!

Die intersubkulturelle WG
von

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Eindeutige Zweideutigkeiten

„ESSEEEEN!“
 

Verschreckt fuhr ich aus dem Schlaf auf, meine Hand tastete ganz automatisch nach dem Dolch unter meinem Kopfkissen, der selbstverständlich nicht zu finden, weil nicht vorhanden war. Schließlich pflegte ich nur auf Lagern – so nannte man Treffen von Reenactoren – mit einer griffbereiten Waffe zu schlafen. Und normalerweise wurde ich auch nur auf solchen Veranstaltungen so unbarmherzig geweckt.

Noch geistig etwas abwesend schielte ich auf meinen Wecker, ein von einer Drachengipsfigur umschlungenes, altmodisch anmutendes Ziffernblatt, das morgens ein schrecklich schrilles Kreischen von sich gab. Zu Anfang wurde es von meinen Mitbewohnern nicht selten als das Schreien einer Frau in Todesangst interpretiert, aber sie haben sich – wie ich auch – mittlerweile daran gewöhnt.

Die Zeiger zeigten auf sechs Minuten nach Sieben. Wie viele Sekunden vermochte ich nicht zu sagen, die zittrigen Bewegungen des schmalsten Plastikstreifens unter dem Glasdeckel waren für meine noch nicht völlig in Betrieb genommenen Augen einfach zu schnell.

Mich außerordentlich verspannt fühlend, als hätte ich in ungesunder Haltung längere Zeit gelegen (dabei konnte es nicht mehr als etwa eine halbe Stunde gewesen sein), stemmte ich mich aus dem Bett, meine zerknitterten Klamotten richtend, und fuhr mir kurz mit den Fingern durch die schulterlangen, blonden Haare, ehe ich erneut einen Haargummi darum wickelte.

Nach einem ausgiebigen Strecken und Gähnen schlurfte ich zur Treppe.

Sämtliche Musik war verstummt – auch meine, irgendwer musste sie ausgeschaltet haben – was eigentlich nur zwei Dinge bedeuten konnte: Es war niemand da oder es gab Essen.

Ich tippte auf Letzteres.

Denn von unten war eindeutig leises Stimmengewirr, wie durch eine geschlossene Tür, zu hören. Und – viel deutlicher – Severin.

„Mach’s gut, Schätzchen, vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“

Er schnurrte regelrecht.

Als Antwort war nur ein leises Murmeln zu vernehmen.

„Ja, fand ich auch. Tschüss!“

Die Wohnungstür fiel ins Schloss.

Vor der Küche traf ich mit ihm zusammen. Sev sah fast so aus, wie immer. Das gestufte, glatte, hellblond gefärbte Haar lag gewollt zerzaust um seinen Kopf, das weiße Hemd war freizügig geknöpft und hatte bis knapp unter den Ellenbogen aufgekrempelte Ärmel, etwas nachlässig hing es über den Bund der schwarzen, sehr figurbetonten Lederschlaghose. Um Hals und Handgelenke baumelten diverse Kettchen und Lederbänder. Nur das intensive Leuchten in seinen Augen, die mich herausfordernd anfunkelten, war nicht wie immer. Es war ein deutliches Zeichen dafür, dass er gerade Sex gehabt hatte.

Stumm betrat ich die Küche und ließ mich auf meinen Platz am großen Küchentisch nieder.

„Na, ist dein One-Afternoon-Stand endlich verschwunden?“, stichelte Gia, die am Herd stand und sorgfältig die Spaghettisoße abschmeckte.

Sev grinste nur.

„Ach, Gia, du bist doch im Grunde nur eifersüchtig. Bring doch auch mal wieder irgendwen mit heim!“

„Besser nicht, sonst lässt sie sich noch schwängern…“, brummte Wulf, der in irgendeine Autozeitschrift vertieft auf seinem Stuhl hing. Für seine ausgesprochen freundliche Bemerkung erntete er allerdings nur einen giftigen Blick seitens seiner Schwester, denn die hatte gerade genug damit zu tun, den großen, schweren und sicherlich auch heißen Topf auf den Tisch zu bugsieren, ohne irgendjemanden oder irgendetwas zu verbrennen.

„Ist das schon wieder Hackfleischsoße…?“, fragte Emilys zartes Stimmchen.

„Mensch, Mi, ein Essen ohne Fleisch ist kein Essen!“, fauchte Gia zurück.

„Wie willst du jemals von diesem Magersucht-Körper wegkommen, wenn du keine anständigen Fette isst?“

„Aber ich bin aus Überzeugung Vegetarier!“, maulte unser kleines Sorgenkind zurück, was an sich schon ziemlich erstaunlich war.

Mi hieß eigentlich Emilia und war neben dem Vegetarier auch ein Emo aus Überzeugung. Sie und Gia gingen in denselben Jahrgang auf einem Gymnasium hier in der Gegend. Früher waren sie sogar in einer Klasse gewesen. Die zwei kannten sich schon ewig, aber wie zwei so verschiedene Menschen es so lange miteinander aushielten, war nicht wenigen ein Rätsel.

Mir zum Beispiel.

„Heulboje, Maul halten und fressen!“, kam der erwartete Kommentar unseres liebsten Rapfans.

Emily zog sofort schniefend die Nase hoch, war mal wieder kurz vorm Heulen.

Die beiden konnten sich auf den Tod nicht ausstehen. Das äußerte sich immer wieder in den entstehenden – meist sehr einseitig ausfallenden, denn Mi war eindeutig zu nah am Wasser gebaut – Streitereien am Tisch, vor dem Fernseher, auf Partys oder im Auto, immer dann eben, wenn beide gleichzeitig in einen Raum gezwungen wurden.

Gia ging diesmal, wie auch sonst so häufig, sofort dazwischen und verbot ihrem Bruder mit einem Klaps auf den Hinterkopf den Mund.

„Hey, Mi, guck mal, ich hab dir extra ein kleines Töpfchen mit purer Tomaten-Basilikum-Soße gemacht…“

„Danke“, nuschelte das für sein Alter viel zu kleine Mädchen mit den schwarzgefärbten Haaren und schnupperte an dem kleinen Topf, der jetzt direkt vor ihr abgesetzt wurde,

„Sind das…?“

„Biotomaten“, nickte Gia, „Extra für dich.“

„Genau“, nickte Severin, schon an einer einsamen Spaghetti kauend, „Sonst wären die uns nämlich viel zu teuer.“

Und er schenkte Emily sein berüchtigtes Zahnarztweißlächeln, mit dem er schon so manches arme Wesen rumgekriegt hatte. Auch Mi, wie es schien, denn die begann wieder zaghaft zu lächeln.
 

„Sag mal, Linux, hast du am Wochenende wieder Zeit für ein bisschen Training?“

Ich blickte, den Mund voller Hackfleischsoße, von meinem Teller auf und kaute angestrengt, um Gia möglichst rasch eine Antwort geben zu können.

Mi kam mir allerdings zuvor:

„Oh Gott, wollt ihr euch schon wieder die Schädel einschlagen?!“

Hätte ich nicht immer noch den Mund voll, hätte ich jetzt geseufzt. Emily hatte etwas dagegen, dass Gia und ich zusammen Schwertkampf trainierten. Was genau, konnte sie mir nicht sagen. Aber es war brutal und gemein und überhaupt ganz böse und wir taten uns immer weh. Jedenfalls aus ihrer Sicht.

Gut, ein paar Verletzungen gab es tatsächlich meistens, aber mit den paar blauen Flecken, Prellungen und seltenen Platzwunden musste man eben leben können. Es hieß ja nicht umsonst Kampfkunst, oder?

„Lass sie doch, dann kann ich sie mal wieder verarzten…“, schnurrt Sev spitzbübisch.

Geschockt riss ich die Augen auf.

Nein! Nicht von DEM Kerl!

Da lief ich lieber weiterhin unverbunden herum, bevor der mit seinen lüsternen Fingern meine Haut betatschte!

Inzwischen war mein Essen auch zur Genüge klein gekaut, sodass ich gefahrlos schlucken konnte. Sofort setzte ich zu meiner Verteidigung an.

„Nein, nein, Mi, wir tun uns schon nicht weh.“, versuchte ich sie zu beruhigen.

„Wie schade…“, meinte Severin und leckte sich lasziv einen Soßenspritzer vom Finger.

Heiß war er ja schon irgendwo…

Moment! Was zur Hölle dachte ich denn da! Ein Kerl war doch nicht heiß! Nicht für mich! Um Himmels Willen, wo kämen wir denn da hin?

„Warum so rot, Linux?“

Erschrocken sah ich in Sevs selbstzufrieden grinsendes Gesicht. War ich tatsächlich rot geworden?

„Mach ich dich an?“

Na ja, wenn ich es eben noch nicht war, dann spätestens jetzt. Oder alternativ leichenblass. Ich wusste es nicht so genau. Mein Appetit war mir jedenfalls gründlich verdorben worden. Stumm legte ich mein Besteck weg, schob den Stuhl zurück und stand auf.

Kostja startete einen Versöhnungsversuch.

„He, Kumpel, nimm das nicht so ernst, ja?“

Aber ich nahm es ernst. Wollte es ernst nehmen. Denn das musste ich mir wirklich nicht noch länger antun.

Im Hinausgehen traf mich ein mitleidiger Blick von Gia.

Ich erwiderte ihn mit einem gefrorenen Lächeln, um ihr zu zeigen, dass es mir nicht schlecht ging, sondern mich nur die Tischgesellschaft ankotzte. Wie so häufig.

Ohne ein weiteres Wort verließ ich die Küche.

Von drinnen ertönte erneut Severins leicht rauchige Stimme.

„Hach ja, ist er nicht niedlich, wenn er sauer ist?“

Fest presste ich meine Lippen aufeinander.

Es kostete mich gerade ehrlich viel Überwindung, nicht wieder hinein zu gehen und ihm meine Faust in die hübsche Fresse zu dreschen. Aber ich war ja zum Glück ein rational denken der Mensch und fähig, meine Gefühle zu kontrollieren.
 

Mit unbeschreiblicher Wut im Bauch und so fest geballten Fäusten dass sie zitterten, ging ich in mein Zimmer zurück. Ich war normalerweise ziemlich gut darin, meine Gefühle zu beherrschen, wenn ich das wollte. Aber das hier schlug dem Fass den Boden aus!

Mit dem erdrückenden Gefühl im Brustkorb, jemanden umbringen zu müssen, stapfte ich die Treppe nach oben, zurück in mein Zimmer. Von unten konnte ich Gias laute Stimme hören. Wahrscheinlich machte sie Sev gerade zur Sau.

Knisternd vor Energie und zugleich völlig erschöpft taumelte ich zu meinem Bett und setzte mich. Starr starrte ich meine fest im Schoß verschränkten Hände an, meine Kiefermuskeln zuckten.

Was bildete das Arschloch sich eigentlich ein?!

Dass er einfach so auf meinen Gefühlen herumtrampeln und sich über mich lustig machen könnte?

Moment… welche Gefühle?

Na, meine selbstverständlich, die, die ich als Mensch und empfindendes Wesen entwickelte, und immerhin war ich gerade schwer gekränkt worden. Ich hatte doch keine Gefühle für IHN! Wie sollte das überhaupt gehen? Er war schließlich ein Kerl, ebenso wie ich, auch wenn man ihm das manchmal nicht so recht glauben wollte.

Aber wie kam er auf den absurden Gedanken, er würde mich anmachen?

Doch nicht er! Niemals! Als Frau wäre er ja vielleicht attraktiv, also, er war auch so definitiv attraktiv, aber er war nun mal genetisch gesehen auf jeden Fall männlich, ein XY-Typ, und das passte vorne und hinten nicht!

Und wie wenig Anstand hatte der Kerl eigentlich, dass er überhaupt erst auf den Gedanken kam, so eine Frage auszusprechen? Und es dann auch noch zu tun? Mir mitten ins Gesicht?

Irgendwo musste an dem Typ ein gewaltiger Fehler bei der Entstehung passiert sein.

Welcher normale Mensch sprach in aller Öffentlichkeit solche Sätze?

Na ja, gut, wenn man verliebt war oder jemanden verführen wollte…

Geschockt riss ich die Augen auf.

Wenn man jemanden verführen wollte.

Wollte Severin etwa mich verführen?

Um Himmels Willen, wozu denn? Der konnte doch nicht ernsthaft vorhaben, … Oder doch?
 

Gebannt von dem horriphobischen Gedanken starrte ich mehrere Sekunden lang mit schreckgeweiteten Pupillen auf einen absolut uninteressant weißen Fleck an meiner Wand, ehe ich wieder zu mir kam und kurz den Kopf schüttelte, um die ekelerregenden Bilder, die meine etwas hyperaktiven Neuronenverbindungen im Hirn produziert hatten, zu vertreiben.

Auf den Schock brauchte ich erst einmal etwas Ablenkung.

Ich zwang mich, meine den ganzen Körper betreffenden verspannten Muskeln zu lockern und aufzustehen. Vorsichtig streckte ich mich, in meiner Wirbelsäule knackte es unschön.

Lange mit angespanntem Rücken in einer unangenehmen Position zu sitzen, war eindeutig nicht gesund.

Gemächlich schlich ich zu meinem geliebten Computer hinüber und drückte genüsslich den Power-Knopf. Die Festplatte begann leise zu surren, die Lüfter vollführten ihren alltäglichen Testlauf, und der Bildschirm schaltete sich mit einem leisen Piepton automatisch ein.

Ich wählte das Windows-Betriebssystem und wartete, bis mein Schätzchen sich hochgefahren hatte. Nach dem sorgfältigen Überprüfen der Übertragungsrate meiner Internetverbindung drückte ich meine Lieblings-Desktop-Verknüpfung und stürzte mich ins Paradies.

Vor meinen Augen erschien die World-of-Warcraft-Startseite, und ich konnte mich gar nicht schnell genug einloggen.

Vielleicht hatte ich ja Glück, und ich traf einen alten Freund wieder…
 


 


 

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Anmerkung: Ich spiele selbst kein WoW, von daher möge man mir logistische Fehler, das Spiel betreffend, bitte nachsehen.

Aber ihr dürft mich gern berichtigen und darüber aufklären ^w^



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Animegirl_07
2008-12-21T21:35:31+00:00 21.12.2008 22:35
Toll!!!!!!!
Ein super Kapi!
Aber Sev ist gemein! Der Arme... so etwas vor allen zu sagen grenzt an überheblichkeit.
bin gespannt, was noch so passiert^^
schließlich sind das viele Charas und spannende Charaktere XD (ergibt dieser satz einen sinn? XD)
*grins*


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