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Ich bin nicht schwul!

Die intersubkulturelle WG
von

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Deine Mucke, meine Mucke

Mit einem müden Ächzen ließ ich die Haustür hinter mir ins Schloss fallen. Die Erleichterung, endlich zu Hause zu sein, musste man wohl deutlich heraushören können, denn Frau Danzel, die jungverheiratete Blondine aus der Wohnung neben unserer, lächelte mich leicht verzerrt an, während sie den Briefkasten leerte.

„Na, schweren Tag gehabt?“

Ich rang mich nur zu einem Nicken durch und setzte meinen Weg fort.

Die aufgesetzte Freundlichkeit ihrerseits war nicht minder deutlich zu hören. Ich wusste, dass sie uns allesamt für völlig verrückt hielt und es als Zumutung empfand, neben uns wohnen zu müssen. Aber Klagen waren zwecklos, immerhin waren wir quasi die Eigentümer des großen Altbaus.

Völlig fertig schleppte ich mich die Stufen hoch in den zweiten Stock, während mir meine Gedanken davonrannten. Dass ich nach dem Tag überhaupt noch denken konnte, grenzte schon an ein Wunder.

Mit zitternden Fingern versuchte ich, mit dem Schlüssel das Loch zu treffen, schrammte aber immer wieder knapp daran vorbei.

„Scheiße, verdammt!“, fluchte ich ungehalten in den Flur, ich wollte doch nur in mein Bett und meine Ruhe haben!

Nach dem fünften Versuch, die Tür zu öffnen, erwies das Schicksal sich ausnahmsweise als gnädig, und mit einem metallischen Klackern schob das gezackte Stück Metall sich endlich ins Schloss. Mühsam drehte ich den Schlüssel um – die Tür war schon etwas älter und hatte sich verzogen, weshalb jetzt das Schloss ein wenig klemmte – und drückte die schwere Holztür auf.

Schon wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Laute Musik dröhnte mir entgegen, wie dazu gemacht, um meine Kopfschmerzen zu verstärken. Monotone Bässe versuchten krampfhaft, eine kreischende Gitarrenwand zu übertönen, untermalt wurde das Ganze durch eindeutig nicht jugendfreie, spitze Schreie aus der nur angelehnten Tür direkt neben mir.

Einer Ohnmacht nahe versuchte ich krampfhaft, mir trotz der Einkaufstüten in der einen und der Laptoptasche in der anderen Hand, die Ohren zuzuhalten und kämpfte mich durch den mit Jacken, Schals, Handschuhen, Zeitungen und –Schriften, Schlüsseln, Taschen und einer unglaublichen Anzahl an Schuhen vollgestopften Eingangsbereich, meine eigenen, lose geschnürten Stiefel mit den Füßen abstreifend und ebenfalls irgendwo an den Rand schleudernd. So lief das hier bei uns halt, keiner von uns hatte auch nur die Spur eines Ordnungsfimmels. Wenn hier mal einer aufräumte, dann war ich das. Und ich hatte meistens nicht den Nerv dazu.

So wie jetzt. Ich zwängte mich durch den mit Memozettelchen behängten Türrahmen in die Küche, knallte die Einkaufstasche einfach auf den großen Esstisch, der eine Seite des Raums einnahm, und torkelte durch die andere Tür ins Wohnzimmer. Hier saß Kostja, ein vierundzwanzigjähriger russischer Medizinstudent, der bei uns sein Auslandssemester machte, vor dem Flachbildfernseher und zockte irgendein Ballerspiel auf der Gemeinschafts-PS2. Er bemerkte mich, drehte sich halb um und grinste mich über die Schulter an. Anscheinend hatte er heute keine Vorlesung gehabt, denn er war definitiv noch nicht draußen gewesen. Das verriet mir der ungestylte, ein wenig traurig herunterhängende, schwarzblonde Iro. Kostja, der ja eigentlich Konstantin hieß, aber nicht einmal von seinen Eltern so genannt wurde, war ein Bilderbuchpunk. Aus vollster Überzeugung. Er hasste jedes System gleich welcher Art, vor allem aber das Russische und Kapitalismus nicht weniger. Aber mal davon abgesehen, dass er sich ständig mir irgendwelchen Faschisten oder der Polizei anlegte, war er echt ein feiner Kerl, mit dem man viel Spaß haben konnte und der jeden Scheiß mitmachte.

Mit hochgezogener Augenbraue bedachte ich die qualmende Zigarette in seinem Mundwinkel.

„Pass bloß auf, dass Gia das nicht sieht, sonst setzt sie dich ratzekahl vor die Tür!“, warnte ich ihn scherzhaft.

Er grinste nur noch breiter.

„Soll sie doch.“

Wenn ich ihn reden hörte, könnte ich mich jedes Mal kringeln vor Lachen, weil er diesen typisch breiten Osteuropaakzent draufhatte, den in amerikanischen Filmen die Bösewichter sprachen. Aber ansonsten war sein Deutsch – von kleinen Ausrutschern abgesehen – tadellos.

Aus den Lautsprechern des Fernsehers waren urplötzlich ein lautes Krachen und ein seltsames Röcheln zu hören. Kostja fuhr herum und gab irgendetwas in seiner Heimatsprache von sich, das ich selbstverständlich nicht verstand. Aber dem Tonfall nach könnte es ein Fluch gewesen sein.

Aber für mich klang Russisch sowieso wie ein permanentes Gefluche. Vor allem dann, wenn Kostja mit seiner Freundin zu Hause telefonierte, hatte ich bei seinem Sprachtempo und dem Klang der Worte immer das Gefühl, er beschimpfe sie am laufenden Band als Schlampe.

Ein zaghafter Blick über seine Schulter auf den Bildschirm brachte den Beweis: Es war ein Fluch. Er war nämlich grade gestorben.
 

Müde schleppte ich mich die Wendeltreppe hoch, die vom Wohnzimmer in den Flur des oberen Stockwerkes führte.

Ja, in unserer Wohnung gab es eine Treppe. Und zwei Stockwerke. Die Geschichte war etwas kompliziert, aber eigentlich schnell erzählt. Das ganze Haus gehörte der Familie Talhoff. Beide Elternteile waren Diplomaten und kurvten im Auftrag des Goetheinstituts in der Weltgeschichte herum. Die zwei Kinder, Regina, von allen nur Gia gerufen, und Wolfgang, genannt Wulf, blieben zwecks Bildung hier und bekamen die einzige Zwei-Etagen-Wohnung des Gebäudes zur Verfügung gestellt. Die restlichen sechs Wohnungen in dem dreistöckigen Altbau mitten im Stadtzentrum waren alle vermietet, die finanzielle Verwaltung regelten Mami und Papi aus dem Ausland. Da die Wohnung aber für zwei Jugendliche allein viel zu groß war, wurde beschlossen, eine WG daraus zu machen. Auch aus Geldgründen, denn viel bekamen die Geschwister von ihren Eltern nicht überwiesen. Das erste, was Regina getan hatte, war, ihre Schulfreundin Emilia in die WG zu holen, die mit ihren Eltern große Probleme hatte und sich die Miete über einen Job in einem der Szeneclubs finanzierte. Es war ja auch nicht teuer, nur Strom, Wasser und Verpflegung mussten mitfinanziert werden. Und über die Telefonbenutzung wurde sorgfältig von jedem Buch geführt.

Schließlich kamen auch noch Severin, ein Physikdoktorand und der Älteste in der Wohngemeinschaft (aber keineswegs der Vernünftigste!), und ich dazu. Bis vor einem Vierteljahr hatte noch ein Freund von Wulf eines der Zimmer gehabt, aber der war mit seiner Familie schließlich in die USA ausgewandert. Seitdem wohnte Kostja bei uns. Und seitdem hatte Wulf hier einen schweren Stand.
 

Endlich oben! Mit jedem Schritt schien die Laptoptasche schwerer zu werden. Und mit jedem Schritt dröhnte die Musik lauter. Wulf und Gia bewohnten die beiden größten Zimmer der Wohnung, logisch, irgendwie. Nur dummerweise lagen die sich genau gegenüber. Und dummerweise waren die beiden, was ihre Vorlieben betraf, so verschieden, wie es nur ging. Während Wulf einer Gruppe von Hoppern angehörte, zählte seine zwei Jahre jüngere Schwester sich zur schwarz gekleideten Seite der Jugendkulturen. Wo Wulf in Form seiner Autotunergang die Gegenwart und Zukunft feierte, betrieb Gia einen Kult um längst vergangene Zeiten, indem sie mit mir auf Mittelalterfeste oder gelegentlich Reiten ging. Und während aus Wulfs Zimmer gerade 50 Cent rappte, ging Gias mit einem großen „Gorgoroth“-Poster verzierte Zimmertür auf, und mir dröhnte Naglfar entgegen.

Mit einem schmalen Lächeln im eigentlich recht hübschen Gesicht trat Gia auf dem Flur, während ihre T-Shirt-Aufschrift deutlich verkündete, was sie von ihrem Bruder hielt: „Lieber für einen Euro rocken, als für fünfzig Cent rappen!“ stand da in Gotischer Textur.

„Hey, Linux! Ich geh den Tisch decken, willst du noch was essen oder hast du schon?“

Ich lächle müde zurück, während sie sich die langen braunen Haare im Nacken zu einem Zopf zusammenbindet.

„Ja, ich komm noch was Essen, danke…“

„Okay!“, und schon war sie weg.

Energiegeladen wie immer. Ich konnte nicht anders, als ihr verblüfft hinterher zu schauen. Gia steckte gerade mitten in ihren Abivorbereitungen und fand trotzdem noch Zeit für ihre Hobbys, obendrein schaffte sie es, uns am Verhungern zu hindern, denn sie war hier die einzige, die wirklich kochen konnte.

Ich habe damals Schule und Freizeit nicht koordiniert gekriegt.

‚Damals? Sehr lustig, Linux, das ist gerade mal zwei Jahre her.’, meinte die fiese kleine Stimme meines Unterbewusstseins, das es natürlich mal wieder besser wusste als ich. Und es hatte sogar Recht. Vor zwei Jahren hatte ich die Schule abgeschlossen. Und seit einem Jahr lebte ich hier in diesem verrückten Haufen und studierte. Informatik, falls es jemanden interessierte.
 

Aber jetzt wollte ich erst einmal alles ausblenden, das irgendwie mit Arbeit zu tun hatte. Unsanft stieß ich mit dem Fuß meine Zimmertür auf, die zwar nicht von einem Poster, dafür aber vom Banner meiner Horde geziert wurde. Ich wurde nämlich als Reenactor bezeichnet. Also einer jener Spinner, die an den Wochenenden so taten, als herrsche noch das Mittelalter. In meinem Fall aber eher die Wikingerzeit. Außerdem zählte ich mich stolz zum eingeschworenen Kreis der Rollenspieler. Und das ließ sich sogar meinem Zimmer ansehen. Kaum schwang die Tür auf, bot sich wie immer der Anblick, der jedem Gleichgesinnten das Herz in der Brust hüpfen ließ. Links in der Ecke neben dem Fenster stand das Holzgestell, das meinen Gambeson, eine Art sehr dicke, wattierte Steppjacke, die unter Metallrüstungen getragen wurde, mein Kettenhemd sowie den Stahlhelm mit Nackenschutz aus Kettengeflecht, trug. Auf der anderen Seite des Fensters das heilige Regal mit meinen gesammelten Regelwerken unzähliger Spielsysteme und - gut verschlossen, damit Sev sich nicht daran vergriff, der wollte sich nämlich daraus einen Gürtel machen – meine geliebte Würfelsammlung. Frei im Raum standen Rücken an Rücken zwei Bücherregale, vollgestopft mit Fantasyliteratur. Die Schränke und Truhen auf der linken Seite bewahrten meine Mittelalterausrüstung auf, weiter rechts fanden sich solch profane Dinge wie Kleiderschrank, Bett, Nachttisch und - für einen Infostudent natürlich unerlässlich – ein großer Eckschreibtisch, das Zuhause meines perfekt eingerichteten PCs. Auf dem war neben diesem dämlichen Windows, das ich für’s Studium brauchte, übrigens auch Linux drauf, mein Lieblingsbetriebssystem. Dem verdankte ich im Übrigen auch meinen Namen, denn eigentlich hieß ich Linus Normann, wenn man meinen Personalausweis fragte, jedenfalls. Ansonsten trafen unterschiedliche Leute über meinen Namen unterschiedliche Aussagen. Die einen, die mich privat kannte, Linux, meine Wikingergenossen nennen mich Eyvindur, nach dem berühmten isländischen Geächteten, und die meisten Zockerfreunde kennen mich als Gnarl.

Unsanft stellte ich die Laptoptasche am Fußende meines Bettes ab, aber ich war einfach zu fertig, um mich noch um irgendetwas zu kümmern. Energielevel auf Null. Hoffentlich rief Gia bald zum Essen. Aber andererseits…

Mein müder Körper forderte seinen Tribut und zwang mich, mich auf mein Bett sinken zu lassen. Zum Glück war dieser Frühling warm, sodass ich keine Jacke getragen hatte. Wenn doch, wäre ich sicher zu faul gewesen, sie auszuziehen.

Nebenbei bemerkte ich, wie die Metalmusik aus dem Zimmer neben mir abrupt verstummte. Wulf musste wohl Gias Stereoanlage ausgeschaltet haben.

Hämisch grinsend griff ich nach meiner Fernbedienung und erweckte meinen CD-Spieler zum Leben. Den Triumph, ungestört seine Musik hören zu können, würde ich ihm nicht lassen.

Ein letzter Blick streifte die Wand neben meinem Bett, an der meine Waffensammlung, summa summarum etwas über zwanzig Schwerter und Dolche, hingen und während das langsame, balladenartige Viking-Metal von Tyr in meine Ohren brandete, schloss ich die Augen…
 


 

~~~

Tja, jetzt ist die Rakete abgeschossen. Ich werd mir Mühe geben, sie im Flug zu halten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Animegirl_07
2008-12-21T21:09:41+00:00 21.12.2008 22:09
Hey, dass ist doch mal was!
Super gut geschrieben, kann sich richtig sehen lassen!
bin gespannt, was noch passiert XD
les auf jeden Fall weiter^^
Find vor allem interessant, das so viele unterschiedliche Personen in dieser WG leben
so etwas macht es immer wieder spannend XD
Von:  black_-_rose
2008-10-05T17:20:03+00:00 05.10.2008 19:20
Ich find die Idee mit den Klischees total lustig..
ich musste so lachen als ich bei dem Emo den Klischee punk :"Größter Traum: sich mit dem schönsten Dolch aus Linux’ Sammlung die Pulsadern aufzuschneiden. Da sie sich aber nicht entscheiden kann, welcher der Schönste ist, wird das wohl noch ein Weilchen dauern."^^
tja konstruktives hab ich kaum^^
freu mich auf jedenfall schon auf das nächste Kappi
Von: abgemeldet
2008-10-05T13:08:58+00:00 05.10.2008 15:08
So, ejttz bin ich auch endlich mal dazu gekommen, das zu lesen.
Du hast mir die den Tipp ja schon viel früher gegeben, aber bisher... Kam ich da einfach nicht zu... Jetzt hab ich es mehr durch Zufall wieder entdeckt und hab mir gedacht, das es endlich mal Zeit wird, das zu lesen °-°
Und ich muss sagen, bis jetzt gefällt mir das wirklich. Schon die Charakterbeschreibung der einzelnen Figuren hat mich doch sehr zum Schmunzeln gebracht... Schön, das da ordentlich Klischees durchgekaut werden xD
Mit am sympathisten fionde ich bis jetzt Kostja, den russischen Punk... Scheint ja ein lustiger Zeitgenosse zu sein xD
Schön, das das ganze in Ich-Perspektive geschrieben ist, dann fokussiert man sich auf eine einzige Person, statt auf alle. Dann hat man so einen Beobachter, an den man sich halten kann.
Ich freu mich schon auf weiteres °-°
Von:  White_Chaos
2008-09-15T17:55:07+00:00 15.09.2008 19:55
Seeehr gut! Gefällt mir schon mal super, die Charaktere und die Story klingen total witzig... ;)
Aber auch von deinem Schreibstil bin ich mal wieder begeistert, Elfe! o__O
Genial!^^
Ich will jedenfalls wissen, wie es weitergeht - also bleib dran! xDD
*knuddel*
Dein Whitey
Von: abgemeldet
2008-09-15T14:24:32+00:00 15.09.2008 16:24
*grins*
Also ich muss schon sagen... Super Idee *Daumen zeig*
Die Hauptpersonen passen mal so gar nicht in irgendein Klischee. Also schon, aber das ist ja mit Absicht gemacht. Z.b der Hopper XD Wer kennt das nicht.
Ich muss gestehen, ich konnte fast nur Lachen. Schon allein bei der Beschreibung der Charakter.
Merkwürdig ist... Das ausgerechnet ich den Hopper irgendwie mag ;)
Ich weiß nicht wieso, aber das ganze verspricht noch recht chaotisch und lustig zu werden.
Ich lese auf jedenfall weiter.



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