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FFVII: Blue Wanderer - In the lines

von

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Ein neuer Gegner

Die folgenden Tage gestalteten sich anders als erwartet (wobei sich Sephiroth und Cutter gleichermaßen hinsichtlich fehlender diesbezüglicher Erfahrungen nicht ganz sicher waren, was sie hätten erwarten sollen). Ihre Welten hatten sich um ein neues, einzigartiges Detail bereichert, und beide spürten, dass dieses eine Weile brauchte, um Wurzeln schlagen und sich festigen zu können. Aber der beidseitige Wunsch, einander zu sehen, ließ sich weder ignorieren, noch verdrängen.
 

Ihn zu erfüllen ohne Aufmerksamkeit zu erregen, bedurfte es äußerster Vorsicht – eine Herausforderung, die sich aber meistern ließ. Eine Nähe wie die im Cutters Quartier fand zwar vorerst nicht statt, aber Distanzverringerungen in anderen Form waren völlig in Ordnung. So stellte zum Beispiel der mächtige, tiefschwarze Schreibtisch des Generals eine klar zu erkennende, optische Grenze dar – Cutter jedoch durfte sie ohne üble Konsequenzen überschreiten. Die Oberfläche, auf der täglich so viele wichtige Entscheidungen getroffen wurden, als Sitzfläche nutzen. Und vergnügt mit den Beinen baumeln. Erzählen. Laut und leise. Gestikulieren, manchmal mit Händen und Füßen gleichzeitig.
 

Es gelang ihr immer noch völlig problemlos, Sephiroth zum Lachen oder wenigstens zum Schmunzeln zu bringen. Oder zum Staunen. Zum Beispiel, wenn sie auf eine seiner sehr ernsten, die aktuelle Situation zwischen ihm und ihr betreffende Fragen eine Antwort fand, die nicht simpler und logischer hätte sein können, und die er akzeptierte – auch, wenn Cutter immer noch oft erst sprach und erst am Satzende zu denken anfing.
 

Aber gerade diese Momente beinhalteten einen ganz bestimmten Zauber, weil es ausschließlich ihre Seele war, die zu ihm sprach. Und so kam sich Sephiroth nicht selten vor wie eine Wüste, über der sich gerade Regenwolken entleerten, und wenn er konzentriert in sein Denken hineinfühlte, so konnte er spüren, wie gewisse Dinge (Samen?) die Kraft des Regens nutzten, um ihre vor 4 Jahren eingestellte Entwicklung wieder aufzunehmen. Und obwohl es hin und wieder unmöglich war, ein Ergebnis zu erahnen, Sephiroth setzte dem Wachstum vorübergehend keine Grenzen, selbst gespannt, wohin es führen würde.
 

Außerhalb des Büros galten andere Regeln. Begegneten er und Cutter sich irgendwo in den Fluren des HQ nahmen beide augenblicklich die klassischen Rollen ein. Die junge Frau salutierte vorschriftsmäßig, Sephiroth nahm dies mit der üblichen Reaktion zur Kenntnis. Kam es im Rahmen der immer noch andauernden Schulungen zu einem kurzen Gespräch, war er stets `Sir´ oder `General´. Beide wussten, was von ihnen verlangt wurde, und beide spielten ihre Rollen so perfekt, wie es ihnen nur möglich war.
 

Aber nicht immer befanden sie sich in der Öffentlichkeit, und dann war alles anders. Gerade zum Beispiel hatte Sephiroth seiner Phoenix eine Heizdecke gebracht, weil sämtliche Heizungen im HQ ausgefallen waren. Und er war am Rand ihres Bettes sitzen geblieben, selbst, als sie sich behutsam an ihn kuschelte.
 

Es war seltsam, sich nach einem anspruchsvollen Tag voller Regeln, Richtlinien, Anweisungen, Papierkram, Telefonaten und Kälte auf eine solch friedlichen Ebene zu begeben. Seltsam – aber nicht störend. Und so ließ er zu, dass sich die von Cutter ausgehende Ruhe auf ihn übertrug. Sein unberührbares, eisiges Ich würde er noch früh genug wieder an den Tag legen können. Spätestens beim Verlassen des kleinen Quartiers. Als seine Phoenix eingeschlafen und es an der Zeit war, zu gehen, trat er den Rückweg langsam an, nachdenklich schweigend und sich fragend, ob die letzte Silbe seines Namens nach dem leisen `Gute Nacht´ mit Absicht weggelassen worden oder nur vom Schlaf verschluckt worden war.
 

Und jetzt, dachte er, schläfst du. Träumst du vielleicht sogar schon? Eventuell sogar von mir? Ich weiß, das würde dir gefallen ... Schlaf gut, Cutter. Träum was Schönes ...
 

Niemals zuvor hatte er irgendjemandem etwas Ähnliches gewünscht. Und doch schien es richtig zu sein, so richtig ... Wenn er tief in sich hineinlauschte, konnte er sogar immer noch einen Funken des in Cutters Quartier so intensiv verspürten Frieden wahrnehmen. Es schien, als sei das winzige Licht auf der Suche nach etwas, für das Sephiroth noch keinen Namen kannte, und er versuchte eben, den richtigen Namen zu finden um dem Hauch Helligkeit den Weg zu zeigen, als die Kopfschmerzen erneut einsetzten, stärker als jemals zuvor. Der Lichtfunken flackerte erschrocken und verlosch. Sephiroth selbst hielt jäh inne, unterdrückte ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen und zwang sich, die Augen offen zu halten.
 

Er wusste genau, welche gedankliche Richtung er einschlagen musste, um den Schmerz verblassen zu lassen. Aber er weigerte sich, eine derartige Flucht anzutreten. Vielmehr begann er sich einmal mehr zu fragen, weshalb diese Kopfschmerzen nur in Bezug auf Cutter so intensiv wurden. Sicher, es gab noch Fragen. Dinge, die ihn leicht bis mittelschwer verwirrten. Aber nichts von alledem wäre als Auslöser in Frage gekommen. Zumal sich der Schmerz stets wie ein gewaltsames Dazwischendrängen anfühlte ... Und ganz abgesehen davon passte sich seine Stärke stets der Intensität der Cutter geltenden Gedanken an. Als würde er gesteuert ... Wovon?
 

Sephiroths Hand fuhr unwillkürlich über die Stelle am Nacken, unter der sich der von Hojo implantierte Chip befand. Aber der Wissenschaftler konnte das Geheimnis um seine Phoenix unmöglich kennen. Also wer oder was kam sonst noch in Frage? Vorläufig gab es keine Antwort. Und somit blieb nur abwarten und beobachten. Mittlerweile war der Schmerz verstummt. Und ob die Stille nun auf trügerischen Frieden oder Erschöpfung hinwies – sie hielt an. Vorerst.
 

Mehrere Tage vergingen. Und niemand schöpfte Verdacht. Nun ja – fast niemand. Zack war oft genug selbst verliebt oder das wundervolle Ziel von Liebe gewesen, um auch ohne die geringste Info zu wissen, in welche Richtung sich die Dinge entwickelt hatten, und er beschloss, den momentanen Zustand gebührend zu feiern, ganz egal, ob die Betroffenen damit einverstanden waren oder nicht.
 

Sephiroth war gerade dabei, Cutter in seinem Büro eine der PHS Funktionen, die sie (angeblich) überhaupt nicht verstanden hatte, zu erklären, als sich vorwarnungslos die Tür öffnete. Herein kam ...
 

„Zackary“, grollte Sephiroth, während Cutter neben ihm sich schlagartig vor lachen kaum noch halten konnte. „Was, um alles in der Welt ...“
 

„Zack? Hier ist kein Zack. Ich bin, äh, Kcaz. Genau. Lieferjunge von der großartigen Pizzeria „Midgar Speciale“. Ich bringe die mächtig große Pizza für die mächtig große Feier in diesem Büro.“
 

„Kcaz, wie? Ein Teil deines angeklebten Schnurrbartes ist gerade abgefallen.“
 

„Ist Teil vom Service!“ `Kcaz´ zwinkerte vergnügt. „Ich mache immer einen kleinen Scherz bei der Lieferung!“
 

Gleichzeitig schob er die Pizza auf den diesmal nicht ganz so vollen Schreibtisch und rückte die viel zu große Kochmütze einigermaßen zurecht. Sephiroth bedachte ihn mit einem halbherzigen Todesfunkeln.
 

„Gehört das wirklich unglaublich schlechte Verstellen der Stimme ebenfalls zum Service?“
 

`Kcaz´ grinste nur noch breiter.
 

„Alles inklusive!“ Dann aber stemmte er die Hände in die Hüften, rollte mit den Augen und verkündete mit normaler Stimme: „Na schön, gut, ich bin´s. Du hättest wenigsten so tun können, als ob du mich nicht erkennst, alter Spielverderber! Also ... helft ihr mir jetzt, diese unglaublich große und mit ziemlicher Sicherheit superleckere Pizza zu essen? Ansonsten müsst ihr mich morgen auf der Krankenstation besuchen! Wegen anhaltender Magenverstimmung.“
 

„Weshalb“, erkundigte sich Sephiroth betont misstrauisch, „bringst du uns Pizza?“
 

„Was? Haben wir etwa nichts zu feiern?“ Er kniff verschwörerisch ein Auge zu. „Ich merke so was immer! Und ich freu mich tierisch, dass ihr beiden endlich zur Vernunft gekommen seid! Außerdem hatte Cuttie noch keine Willkommensparty! Und jetzt ... “, er klappte schwungvoll den Pappdeckel auf, „tadaaa!“
 

Sephiroth erstarrte. In seinem bisherigen Leben war ihm schon viel begegnet. Gutes, schlechtes, kurioses ... Aber noch niemals herzförmiger Pizzabelag. Es dauerte einen Augenblick, ehe sich der General wieder gefasst hatte.
 

„Gehe ich recht in der Annahme“, sagte er schließlich, „dass du diese Pizza selbst gemacht hast?“
 

„Ja, Sir!“, strahlte Zack. „Ich habe selbst die Zutaten gekauft, selbst in HQ gebracht, selbst die Verpackungen entfernt, selbst das Messer aus der Schublade geholt, selbst ...“
 

„Schon gut, schon gut!“ Dann fiel ihm auf, dass etwas nicht stimmte. Wenn es sich bei dieser Pizza um eine Eigenkreation handelte, die noch dazu warm und frisch geliefert wurde ... „Zack? Du hast keinen Backofen in deinem Appartement.“
 

„Richtig! Ich hatte auch kein passendes Messer. Deshalb“, sein Gesicht war die Unschuld selbst, „musste ich die Pizza komplett in deinem Appartement machen.“
 

„Großartig. Ich hoffe, du hast die Küche aufgeräumt.“
 

„Mmmh ... Nein. Sonst wäre doch die Pizza kalt geworden.“
 

Sephiroth verzichtete auf den Hinweis, dass eine Säuberung auch während des Backvorgangs hätte stattfinden können – war ihm doch nur zu klar, wie 1st Class SOLDIER Zackary Fair diese Zeit verbracht hatte: Vor dem Backofen hockend, den Blick unverwandt auf die in dessen Inneren stattfindenden Ereignisse gerichtet, ähnlich einer lauernden Katze vor einem Mauseloch.
 

„Keine Sorge, man kann den Fußboden und die Arbeitsfläche noch sehen. Jedenfalls stellenweise. Bitte sehr!“
 

„Ich finde die Idee klasse“, lachte Cutter und nahm ein Pizzastück entgegen.
 

„Damit steht es 2:1 für `Pizza ist cool´. Verloren, Seph!“
 

„Woher hast du eigentlich diese geniale Kochmütze?“, erkundigte sich Cutter.
 

„Aus der ShinRa Kantine!“
 

„Geborgt, wie ich hoffe“, schaltete sich Sephiroth ein.
 

„Natürlich! Ich habe sogar versprochen, sie zurückzubringen, aber irgendwie wollte der Koch mir wohl nicht ganz glauben, ich musste verflixt schnell rennen.“
 

Sephiroth stöhnte leise. Also doch geklaut ...
 

„Gib mir ein Stück Pizza damit ich kauen muss, statt dich zurechtzuweisen!“
 

Dem kam Zack breit grinsend nach, und dann hörte man lange Zeit nichts außer Kaugeräuschen. Als der letzte Krümel Pizza verschwunden war, nahm der 1st den Karton wieder an sich und verschwand gut gelaunt, um die Mütze dem rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Sephiroth sah ihm kopfschüttelnd nach und hatte im Geiste schon die Schlagzeile der morgigen ShinRa News vor sich: `Fröhlicher SOLDIER von wütendem Koch mit Messer erstochen´. Dem General blieb nur, sich auf die flinken Reflexe des Kochmützenklauers bzw. -ausleihers zu verlassen.
 

„Der wird sich hoffentlich niemals ändern“, murmelte Cutter schmunzelnd. „Ich hab ihn so lieb!“
 

Es gab viele Dinge, die Sephiroth nicht die geringsten Verständnisprobleme bereiteten – aber das hier war, auch wenn es schon ein paar Tage alt war, immer noch zu neu, zu unbekannt, und er war sich nicht permanent sicher, alles richtig zu verstehen. Außerdem waren Missverständnisse der Nährboden für Fehler. Um sicherzugehen half nur eines: Recherche. Trotzdem klang sein: „Ihn auch?“ deutlich verblüffter, als geplant. Cutter musste unwillkürlich lachen.
 

„Ja. Aber anders als dich. Es ist ... wie der Unterschied zwischen dem ersten Sonnenstrahl nach einem langen dunklen Winter und dem ersten echten Sonnentag. Du bist intensiver. Verstehst du? Und gleichzeitig noch so viel mehr. Freund, große, große Liebe, Beschützer, mentaler Fokus, Komplize ...“
 

Sephiroth hörte aufmerksam und ohne eine Miene zu verziehen, zu. Er begriff den Unterschied, konstatierte aber trotzdem, nachdem seine verliebte Phoenix zu einem Ende gekommen war, staubtrocken:
 

„Ich vermisse die Bezeichnung `kommandierender Offizier´.“
 

„Die war nicht dabei?“, fragte Cutter völlig unschuldig. „Na so was.“
 

„Hm. Cutter? Warum ausgerechnet `Liebe´?“
 

Diesmal war es Cutter, die einen Moment lang schwieg.
 

„Vielleicht“, sagte sie dann langsam, „weil du alles andere schon kennst?“
 

Weil ich alles andere schon kenne, dachte Sephiroth. Gleichzeitig betrachtete er die Begründung routiniert eingehend von allen Seiten auf der Suche nach einem Schwachpunkt. Aber es schien keinen zu geben. Was absurd war! Alles hatte irgendwo eine schwache Stelle, an der man ansetzen konnte, um es zu zerstören oder umzuformen oder ...
 

Zerstören und umformen, dachte der General bitter. Unter anderem dafür wurde ich erschaffen. Aber dieses hier möchte ich im Grunde nur schützend in der Hand halten. Genau so, wie es jetzt ist. Und ich möchte es verstehen. Damit ich es noch besser beschützen kann. Aber ich weiß: Um etwas vollständig beschützen zu können, muss man es irgendwo einsperren ...
 

Trotz aller Unerfahrenheit war ihm völlig klar, dass er diesen Schritt niemals würde gehen können. Dafür kannte er das Gefühl, eingesperrt zu sein und die damit verbundenen Qualen selbst viel zu gut. Es musste noch einen anderen Weg geben, und je länger Sephiroth darüber nachdachte, je bewusster wurde ihm, diesen anderen Weg längst zu gehen. Vorsichtig, und mit kleinen Schritten. Aber er war in Bewegung. Und nicht alleine. Immer noch schweigend sah er zu Cutter hinüber, und sie erwiderte seinen Blick wie es der Himmel tat, oder der Ozean, oder der Horizont ...
 

„Du bist gerade mit deinen Gedanken endlos weit weg“, hörte der General sie leise fragen, „oder?“
 

„Ich denke nach, ja. Ich ...“ Aber dann schüttelte er den Kopf. „Es ist nicht wichtig. Du hast morgen deine erste offizielle Mission. Dir ist hoffentlich bewusst, wie schwierig es ab diesem Punkt für dich wird.“
 

Cutter nickte so ernsthaft wie möglich. Ihr war klar: Auch, wenn sich ihr jetzt ganz neue Wege offenbarten und sie problemlos in der Lage gewesen wäre, sie zu gehen ... sie würde sich nach wie vor dem Befehl des sie kommandierenden Offiziers unterordnen müssen, sofern dieser nicht auf ihre Vorschläge einging – ein Szenario, das mit absoluter Sicherheit früher oder später eintreten würde. Die unausgesprochen im Raum hängende Frage lautete: Wie würde sie darauf reagieren?
 

Eine Antwort ließ sich nur in den bevorstehenden Missionen finden. Sephiroth hatte, um seine Leute auf die ihnen in Form des Death Walkers bevorstehende Herausforderung vorzubereiten, eine Schulung, die sich ausschließlich Cutters Fähigkeiten widmete, durchgeführt – aber ob dies ausreichte? Der Spannungsfaktor war und blieb ungebrochen. Vor dem General ließ sich Cutter wieder vom Schreibtisch gleiten.
 

„Ich sollte dich nicht länger von der Arbeit abhalten, so gerne ich es auch würde.“
 

Ein Teil von Sephiroths Selbst hätte nur zu gerne protestiert – aber noch war der sich nun wieder Distanz wünschende Teil dominanter. Und so bestand die Antwort aus einem knappen Nicken. Cutter verabschiedete sich, wandte sich um ... und da waren sie wieder. Zwei einander gegenüberliegende, glühende Punkte in Höhe der Schulterblätter, winzig – aber zweifelsfrei existent. Keine Glühwürmchen. Definitiv nicht. Aber was dann? Sephiroth öffnete den Mund, wollte Cutter zurückrufen, sie danach fragen ...
 

Dann ließ er es sein. Manche Geheimnisse offenbarten sich von selbst. Sie brachen aus der schützenden Schale, sobald sie genug Mut angesammelt hatten sich weiter zu entwickeln, und dieser Zeitpunkt ließ sich nicht erzwingen. Er musste einfach `richtig´ sein. Dieses Geheimnis schien noch von allen Seiten beschützt zu werden, aber Sephiroth wusste: Eines Tages würde die Schale erste Risse aufweisen. Und sein Instinkt sagte ihm ganz deutlich, dass er einer der Ersten –und vielleicht sogar der Einzige - sein würde, der das geschlüpfte Ergebnis zu Gesicht bekam.
 

Vorerst allerdings geschah nichts derartiges. Cutters gab ihr offizielles Debut ohne Probleme, und diesem folgten etliche weitere Missionen, deren Berichte von Sephiroth mit erhöhter Aufmerksamkeit gelesen wurden. Sein ehemaliger Ghost Walker sprühte immer noch vor Begeisterung, aber die neuen Fähigkeiten machten sich auch hier bemerkbar. Früher hätte Cutter niemals einen Befehl in Frage gestellt. Jetzt aber sah sie die Welt mit anderen Augen, konnte neue Möglichkeiten eröffnen und erkannte, wann ihre eigenen Ideen besser waren als die erhaltene Anweisung.
 

Manche der kommandierenden Offiziere nahmen ihren Rat an. Andere hingegen schienen großen Gefallen daran zu haben, die Vorschläge gezielt zu ignorieren. Sich in diesem Moment unterzuordnen fiel Cutter endlos schwer, aber sie riss sich zusammen und befolgte ihre Befehle, auch, wenn sie laut einigen Offizieren dabei wirkte wie eine brennende Zündschnur von ungewisser Länge.
 

Andere Dinge hingegen hatten sich nicht im Geringsten verändert. So fiel es ihr immer noch schwer, sich längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren oder, wenn sie sich ärgerte, überhaupt zu konzentrieren – ein Zustand, der jetzt bei mit der Luna Lance durchgeführte Verwandlungen nicht selten zu verblüffenden Ergebnissen führte. Dazu gehörten eine gigantische Sahnetorte, quietschbunte Luftschlangen, ein Fluss, dessen Wasser sich schlagartig in Lava verwandelte, und ähnliche uneingeplante Dinge mehr.
 

Die sie kommandierenden Offiziere lernten schnell, dass man in Cutters Begleitung mit allen nur erdenklichen Überraschungen rechnen musste, diese aber niemals von bösartiger Natur waren, obwohl die junge Frau problemlos dazu in der Lage gewesen wäre. Dennoch fiel es den meisten Menschen schwer, Cutter ernst zu nehmen, galt sie allgemein doch als zu freundlich und verspielt.
 

Sephiroth ließ seine Freundin gewähren. Er wusste, wie wichtig ihr die Missionen waren, und dass Cutters Interesse an einem erfolgreichen Abschluss ebenso groß war, wie das der anderen Teilnehmer. Sie ging nur andere Wege. Abgesehen davon war sie der Garant für Alternativen zu der so oft von ShinRa ausgeübten Brutalität. Und so war es um sie herum immer ein wenig ... heller, wenn auch nur auf mentaler Ebene und nur für Personen, die dieses Licht sehen wollten.
 

Die meisten wollten nicht. Und so blieben Sephiroth und Zack ihre beiden einzigen Freunde. Cutter störte das nicht weiter. Der jetzige Zustand, speziell der den General betreffend, war mehr, als sie jemals zuvor gehabt hatte, und nichts auf der Welt konnte sie davon abhalten, seine Nähe zu suchen. Und so sehr der General jede einzelne Sekunde genoss, es war, wie er sich irgendwann eingestehen musste, nicht mehr genug. Er wollte mehr Zeit. Mehr Nähe. Aber obwohl er wusste, dass es Cutter ebenso ging, er sah vorerst keine akzeptable Möglichkeit, diesen Zustand zu ändern.

Glücklicherweise eröffnete sich eine entsprechende Chance völlig unerwartet, und Sephiroth nutzte sie, obwohl er wusste, wie viel sie über seine Gefühle verraten würde. Die Reaktion war für Cutter absolut typisch. Eben war sie noch friedlich neben ihm hergegangen – jetzt bremste sie ab, verhielt einen Augenblick in völliger Bewegungslosigkeit ... und sprintete hinter ihrem Freund her.
 

„Du meinst das absolut ernst?“, erkundigte sie sich schließlich. „Ich kann deinen Internetlaptop benutzen? In deinem Appartement?“
 

„Absolut“, antwortete der General ohne von den `Alibipapieren´ in seinen Händen aufzusehen.

„Du brauchst bloß meinen Türcode herauszufinden.“
 

Gleichzeitig musste er daran denken, wie typisch dieses Verhalten für ihn war. Es war ihm nach wie vor unmöglich, etwas einfach nur zu gewähren. Eine gewisse Gegenleistung war unerlässlich.

Es besaß Ähnlichkeit mit einem Sicherheitsnetz. Und bewies, wie ausbaufähig sein Können im Bezug auf Vertrauen und Menschen, die er mochte, immer noch war.
 

Cutter aber, daran hatte er keine Zweifel, würde den Code knacken! Und so begab sich der General an diesem Tag früher als gewohnt in sein Appartement, sagte ihm sein Instinkt doch ganz klar, dass die ersten Versuche schon heute Abend stattfinden würden. Er wartete, in einem der bequemen Sessel sitzend und lesend – innerlich jedoch höchst gespannt und auf jedes Geräusch im Flur lauschend.
 

Als ein dreifacher, leiser Piepton den ersten missglückten Versuch verkündete, legte Sephiroth das Buch weg und sah zur Tür hinüber. Einige Sekunden vergingen, dann verriet das Gerät einen zweiten Fehlschlag. Die diesem Geräusch folgende Stille dauerte fast eine Minute. Aber dann piepste die Sicherheitselektronik nur einmal. Sephiroth gestattete sich ein Schmunzeln und beobachtete, wie sich die Tür vorsichtig öffnete, Cutter das Appartement betrat, die Tür hinter sich schloss und zu seinem Sessel hinübertappte. Als ihre Stimme erklang, war die darin liegende Verblüffung nicht zu überhören.
 

„Mein Geburtstag ist dein Türcode?“
 

„Schon seit deines Verschwindens vor 4 Jahren.“
 

„Ehrlich?“, murmelte Cutter und lief unwillkürlich hellrot an. „Wow.“ Und dann, um sich aus der Verlegenheit zu retten: „Ich, ähm, ich hole den Laptop her, ja?“
 

Auf Sephiroths nicken hin setzte sie sich in Bewegung und verglich dabei verstohlen den sich ihr jetzt bietenden Anblick des Appartements mit ihren Erinnerungen. Im Wesentlichen hatte es sich nicht verändert. Noch immer gelangte man von der Eingangstür aus direkt in den großen Wohnbereich, in dem sich der Esstisch mit Stühlen, die schwarzen Ledersessel und gleichfarbige Ledercouch, sowie etliche Schränke befanden. Volle Bücherregale prägten wie früher das Bild - allerdings wirkten diese jetzt relativ unsortiert und so viel lebendiger. Es gab mehre dem gefliesten Boden seinen Krankenhauscharakter nehmende Teppiche, eine Musikanlage mit einem ganzen Haufen CD´s, und unter dem großen Flachbildfernseher ein Regal mit DVD´s, sowie zwei neue Bilder an einer der Wände. Eines von ihnen zeigte den sternenklaren Nachthimmel, das andere eines der seltsamen Fabelwesen, Phoenix genannt, das sich gerade aus einem Aschehaufen erhob.
 

Er hat sich verändert, dachte Cutter. Ganz vorsichtig. Und nur für Eingeweihte ersichtlich. Für alle anderen ist er derselbe geblieben. Ob außer ihm selbst, Zack und mir noch jemand dieses Appartement betreten darf? Ich kann es mir nicht vorstellen ... Und dann diese beiden Bilder. Das eine ist seine Line, klar. Und das andere? Es passt nicht zu ihm. Ist es vielleicht ein Code? Sie hängen genau nebeneinander, also haben sie wohl etwas miteinander zu tun ... Vielleicht sollte ich bei Gelegenheit mal fragen.
 

Sie nahm den Laptop an sich, kehrte zu Sephiroth zurück, und schon bald war außer dem leisen Klicken von über eine Tastatur huschenden Fingern und dem Rascheln von Buchseiten nichts mehr zu hören. Irgendwann hob sich der Blick des Generals über das Buch hinweg und zu der ihm gegenüber sitzenden Cutter. Und einmal mehr wurde dem General klar, wie unaufdringlich sich sein Gast in seine Nähe und dieses Appartement einfügte. Als habe all das hier ebenso geduldig auf sie gewartet, wie er selbst. Und doch war es immer noch nicht genug.
 

Warum ist es nicht genug?! Sie hat den Code zu meinem Appartement. Und wird ihn nutzen, ich bin ganz sicher! Wir werden mehr Zeit miteinander verbringen können. Weshalb bin ich immer noch so ... unzufrieden?
 

Er versuchte, seine Gefühle zu analysieren, und war so in Gedanken versunken, dass er kaum bemerkte, wie Cutter aufstand und den kleinen, an den Wohnbereich angeschlossenen Flur, der zum Badezimmer führte, ansteuerte. Eine Tür schloss sich leise klickend. Und nur wenige Minuten später erklang der Schrei. Es war ein lauter Schrei, der sich durch namenloses Entsetzen und tiefverwurzelte Furcht auszeichnete und dessen Ende in Form eines leisen Wimmerns klang wie: `Ich möchte weglaufen, trau mich aber nicht ... Hilfe?´
 

Der General ließ seine Gedanken fallen und wandte den Kopf. Seine Phoenix rannte niemals vor etwas davon - warum wollte sie es gerade jetzt tun? Und, viel interessanter, wieso tat sie es nicht? Eine echte Gefahr schloss er aus ... Also warum ein solcher Schrei?
 

Neugierig erhob sich Sephiroth und steuerte das Badezimmer an. Er hatte höflich klopfen und sich nach dem Grund für den Schrei erkundigen wollen. Aber dazu kam es nicht. Die Tür wurde aufgerissen als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war. Heraus stürmte Cutter, in totaler Panik und dem Schub nach zu urteilen der festen Ansicht, leben oder sterben hinge allein von der Schnelligkeit ihrer Flucht ab.
 

Selbige wurde durch den Aufprall jäh beendet. Und was andere vergeblich versucht hatten, was allgemein für unmöglich galt und – rein theoretisch – nicht umsetzbar war ... Cutter gelang es. Sie holte den großen General Crescent von den Beinen. Dass sie dabei das Gleichgewicht verlor und ebenfalls stürzte, nahm sie kaum wahr. Erst die plötzliche Wärme eines anderen Körpers ließ die schwache Erkenntnis aufkeimen, etwas ... jemand ... völlig Unbeteiligten in die Situation mitgerissen zu haben.
 

Sephiroth waren (zu seinem eigenen Leidwesen) einige Punkte nur zu klar. Erstens hatte er den Geschehnissen nicht die benötigte Aufmerksamkeit zugestanden. Zweitens war er zu entspannt gewesen. Und drittens hatte ihn nur die Wand hinter seinem Rücken – die Wand, nicht seine Reflexe! – davon abgehalten, der Länge nach auf den Boden aufzuschlagen.
 

`Der Punkt geht an dich!´, wollte er seiner Unfallgegnerin mitteilen - nicht vorwurfsvoll, sondern sachlich. Aber er tat es nicht. Cutter so unerwartet in seiner nächsten Nähe zu haben, diese Wärme zu spüren ... und wann hatten sich seine Arme um ihren Körper geschlossen? Er wusste nicht, wann. Nur, dass es so war. Und, dass sich seine eben noch so stark empfundene Unzufriedenheit innerhalb weniger Sekundenbruchteile auflöste.
 

Ah, dachte der General. Das also war es ... Ich wollte dir wieder so nahe sein, wie in deinem Quartier.
 

Eben sah die junge Frau auf, begegnete seinem Blick – und die Panik in ihrem eigenen erlosch. Gleichzeitig spürte Sephiroth in ihr genau dieselben Empfindungen aufsteigen, wie in sich selbst. Es fühlte sich an wie ein sanftes Streicheln, das etwas vorantrieb. Eine Bewegung. Die Bewegung. Aufeinander zu.
 

Es war der erste Kuss nach jener Nacht, in der sie in beidseitigem Einverständnis beschlossen hatten, mehr füreinander zu sein, als jemals zuvor. Entsprechend schüchtern und fragend fühlte sich die Berührung an. Aber schon im zweiten Kuss war die Antwort enthalten. Und der dritte zog sich hin, scheinbar endlos, und wenn sich Sephiroths Augen dabei halb schlossen, dann nur, weil es ihm unmöglich war, etwas dagegen zu tun. Es geschah ganz von selbst, und er war überrascht, wie sehr sich die Intensität des Kusses und das Gefühl, jemand anderen im Arm zu halten, dadurch änderte.
 

Cutters Augen blieben während der ganzen Zeit geschlossen. Gefühl, keine Kontrolle. Vertrauen, kein Zwang. Und als sich ihre Augen letztendlich wieder öffneten, war ihr Blick verschwommen, schien aber dennoch von Innen heraus zu leuchten.
 

„Ich glaube“, wisperte sie, „das mit der Recherche im Internet wird heute nichts mehr.“
 

„Disziplin, Cutter“, versuchte Sephiroth halbherzig die Prioritäten zu verändern. Aber die junge Frau in seinen Armen schüttelte den Kopf, flüsterte: „Jetzt nicht“ und lehnte sich abermals nach vorne, den Kontakt suchend ... und findend.
 

Jemandem so nahe zu sein, aus freiem Willen und in dem sicheren Bewusstsein, den anderen dadurch auf keine Art und Weise zu verletzen ... Es schien unmöglich. Und wäre, wenn es sich bei diesem `anderen´ nicht um Cutter gehandelt hätte, auch genau das gewesen. Aber es war Cutter. Und so war nichts unmöglich. Jedenfalls momentan. Dennoch konnte Sephiroth sich irgendwann einen bewusst offensichtlichen Blick ins Badezimmer nicht verkneifen. Aber alles sah ruhig und friedlich aus ...
 

„Spinne!“, lautete die Antwort auf seine ungestellte Frage. „Pechschwarze, faustgroße, achtbeinige, achtäugige, haarige Spinne!“ Die junge Frau schüttelte sich heftig. „So eine große hab´ ich noch nie gesehen! Ich dachte, sie frisst mich.“
 

Das würde ich nicht zulassen, dachte Sephiroth unwillkürlich. Laut aber sagte er nur:
 

„Sehen wir nach.“
 

„Nur, wenn du vorgehst.“ Sie sah zur Couch hinüber. „Soll ich Masamune holen?“
 

„Ich glaube nicht“, die Erheiterung in seiner Stimme war unüberhörbar, „dass wir mein Schwert dazu brauchen.“
 

„Doch, ganz bestimmt!“
 

Sephiroth schüttelte amüsiert den Kopf, woraufhin Cutter die Hand ausstreckte und behutsam einige der verrutschten silbernen Haarsträhnen an ihren ursprünglichen Platz zurückstreichelte. Es war so schön hier ... Wie nur konnte dieser Zustand noch ein wenig beibehalten werden?
 

„Du wolltest mir erzählen, wie du zu diesem Schwert gekommen bist.“
 

Sephiroth, der die Taktik natürlich sofort durchschaute, zögerte, lauschte in sich hinein auf der Suche nach Ablehnung oder Zustimmung – und dann rief er die Erinnerung zu sich. Schmunzelte sachte, lehnte den Kopf an die Wand hinter sich und begann mit einer Stimme, die tief in der Vergangenheit weilte, zu erzählen.
 

„Masamune war ... ein Mythos. Eine Legende. Ein Schwert, das in astraler Form im Lebensstrom treiben sollte, auf der Suche nach einem neuen Meister, der Person, die ihm eine neue Form geben und seine gigantischen Kräfte kontrollieren und nutzen konnte, ohne daran zu zerbrechen. Kein Schwertkämpfer auf ganz Gaia hat diese Geschichte nicht mindestens schon einmal gehört und sich vorgestellt, er – oder sie – könne dieser `jemand´ sein. Es gab viele Personen die versucht haben, Masamunes Geist in irgendeinem Schwert einzufangen, und noch mehr, die ein Schwert fanden und für Masamune hielten, weil es sich durch irgendeine Besonderheit auszeichnete. Aber sie hatten alle keinen Erfolg.“
 

Er machte eine kurze Pause. Selbst für eine redegewandte Person wie ihn war es schwierig, diese Geschichte zu erzählen ohne gewisse Punkte zu berühren, die mit den eigentlichen Vorgängen zwar in Verbindung standen, aber nicht direkt etwas mit ihnen zu tun hatten. Cutter musste nicht zwangsläufig wissen, dass er im Labor geboren und aufgewachsen war. Oder dass Hojo irgendwann begonnen hatte, ihn als `misslungenes Experiment´ zu bezeichnen, ohne jemals die Gründe zu erwähnen, und hinsichtlich des kleinen Jungen jenen Blick an den Tag legte, mit dem er nutzlose Dinge zu entsorgen pflegte. (Irgendetwas musste nicht zum angestrebten Ergebnis geführt haben, und Sephiroth hatte bis zum heutigen Tag nicht herausgefunden, worum es sich hätte handeln können.) Aber um genau darum ging es jetzt nicht.
 

„Damals war Rufus Vater noch der Präsident der Electric Power Company. Er und Hojo kamen zu dem Entschluss, dass ich vielleicht, unter gewissen Bedingungen, Teil von SOLDIER werden könnte, aber sie glaubten nicht, dass ich es sonderlich weit bringen würde.“ (Hier begann Cutter vergnügt zu kichern, sagte aber nichts. Sephiroths schmunzeln verstärkte sich ein wenig.) „Ich war noch ein Teenager, aber nicht wie die anderen. Meine Ausbilder hatten Anweisung, mich wie einen Erwachsenen zu behandeln. Und das taten sie. Ich war gezwungen, extrem schnell zu lernen – und tat es. Speziell im Schwertkampf. Ich habe Unmengen von entsprechenden Büchern gelesen, und so zum ersten mal von Masamune erfahren. Aber für mich war es nur eine alberne Geschichte. Ein Märchen. Ich lebte in der Realität, und war schon nach kürzester Zeit so gut, dass man beschloss, mein Selbstbewusstsein zurechtzustutzen. Und wie tut man das für gewöhnlich bei einem Kämpfer?“
 

„Man bringt ihn in eine Situation, in der er einfach unterliegen muss?“
 

„Sehr richtig. Ich war geschickt und schnell, aber noch nicht einmal annähernd so gut wie heute, und mit diesem Monster, das sie mir im Simulatorraum auf den Hals hetzten, schlicht und ergreifend überfordert. Es ließ sich von meinen Attacken nicht eine Sekunde irritieren, meine Treffer richteten nichts aus, und ehe ich wusste wie mir geschah, hatte es mir mehrere Knochen gebrochen.“
 

Cutter verzog mitfühlend das Gesicht.
 

„Vermutlich“, fuhr Sephiroth fort, „hätte es irgendjemand im Kontrollzentrum verschwinden lassen, bevor es mich hätte töten können. Aber dann gab es einen Kurzschluss, und die Sache geriet außer Kontrolle.“
 

Cutter schloss die Augen, ließ die dunkle Stimme Bilder direkt in ihren Kopf transportieren. Und sie sah es vor sich, als sei sie selbst dabei gewesen. Das brüllende Monster direkt vor einem Teenager mit silbernen Haaren, der sich trotz seiner schweren Verletzungen noch auf den Beinen hielt, das abgebrochene Schwert in der linken Hand und innerlich förmlich verbrennend vor Wut über die drohende Niederlage. Die nächste Attacke des Monsters. Das aus der Hand des Jungen fallende Schwert. Und dann, völlig unvermittelt, der Riss in Raum und Zeit. Pure Energie, die sich in die Hand des Teenagers schmiegte wie etwas, das endlich Nachhause zurückgekommen war, umhüllt von züngelnden Energieverästelungen innerhalb einer Sekunde Form annahm und sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder mit einem Willen synchronisierte.
 

„Ich wusste nicht sofort, dass es Masamune war. Es war eine Waffe. Nur das zählte. Ein paar Sekunden später war das Monster erledigt. Der Simulatorraum übrigens ebenfalls. Man hat Wochen gebraucht, um ihn wieder zu reparieren. Ich aber war gänzlich unerwartet im Besitz eines der legendärsten Schwerter der Welt.“
 

Cutter öffnete die Augen wieder.
 

„Warst du erschrocken?“
 

„Es hat sich mehr wie ein `Na endlich!´ angefühlt. Als ob wir uns nur wiedersehen würden. Aber leicht hat Masamune es mir nicht gemacht. Über 99 % allen Wissens über diese Waffe ist ...“,

er hielt inne, suchte nach Worten und entschied sich schließlich augenrollend für ein verächtliches: „... völliger Schwachsinn. Es ist nur eine Handvoll Wahrheit übriggeblieben. Unter anderem, dass Masamune einen eigenen Willen hat. Es will beherrscht werden ohne sich zu unterwerfen. Nur so kann es seine ganze Kraft entfalten. Außerdem war es vom Äußeren her noch nicht ganz so charismatisch, wie heute. Wir haben uns parallel zueinander weiter entwickelt. Unsere Formen gefestigt. Heute kenne ich alle Geheimnisse und alle Kräfte dieses Schwertes. Und doch weiß ich: Wenn mein Wille eines Tages nachlassen sollte, wird es mich wieder verlassen und sich einen neuen Herrn suchen. Aber bis es soweit ist, sind wir Eins.“
 

Cutter schwieg einen Augenblick, dachte über das Gehörte nach und schließlich ...
 

„Ihr passt zueinander. Vielleicht klingt das jetzt total blöd, aber ich glaube, Masamune wird nie wieder einen besseren Besitzer haben, als dich.“
 

Ihre Worte beschworen tief in Sephiroth ein seltsames Gefühl herauf. Es war so selten und fremd, dass der General einen Moment brauchte, um es zu definieren. Verlegenheit ... Und der Wunsch, wieder ein wenig mehr Distanz zwischen sich und das so warme Lebewesen in seinen Armen zu bringen.
 

„Sehen wir uns deine Spinne an?“
 

„Nur, wenn du vorgehst!“
 

Sie kamen wieder auf die Beine, und Cutter ging augenblicklich hinter ihrem Freund in Deckung, krallte die Hände in sein Hemd und murrte:
 

„Ich hasse Spinnen! Ich sehe ein, dass es Tiere geben muss, die all das Ungeziefer fressen – aber hätte die Natur sie nicht ein bisschen niedlicher ausstatten können? Mit lustigen Punkten irgendwo? Oder Streifen? Die Biester haben acht Augen. Acht! Und genauso viele Beine! Und sie können sich lautlos von oben auf einen abseilen und einen beißen, oder zu Tode erschrecken, oder ... oder ... Ich hasse Spinnen!“
 

Sephiroth schnaubte immer noch sehr erheitert, betrat furchtlos das Badezimmer, sah sich suchend um - und entdeckte den ungebetenen Gast. Er (oder sie) saß friedlich im unteren Bereich einer Wand und lauerte auf Beute, die wesentlich kleiner war als Cutter. Der General warf einen mahnenden Blick über die Schulter.
 

„Ich gebe zu, es handelt sich um ein ausgesprochen gut entwickeltes Exemplar, aber mit ein wenig Selbstdisziplin könntest du deine diesbezüglich Furcht überwinden.“
 

„Ich habe sonst vor nichts Angst!“, protestierte die sich immer noch hinter ihm versteckende Cutter. „Vor einer Sache darf ich schreiend weglaufen, ganz bestimmt!“
 

Sephiroth hätte eine ernsthafte Diskussion beginnen können. Aber wenn er ehrlich war musste er zugeben, dass auch er `Spinnen´ fürchtete. Nur, dass seine einen weißen Laborkittel trugen. Und so öffnete er das Fenster, scheuchte das Tier nach draußen und schloss das Fenster wieder. Cutter schüttelte sich heftig.
 

„Brrrr ... Was für ein widerliches Vieh!“ Und dann: „Sephy?“
 

Sephiroth verzog keine Miene. Die Abänderung seines Namens vor einigen Tagen war also doch kein Zufall gewesen. Aber wie sollte er jetzt darauf reagieren? Letztendlich hatte er es sich gestattet, sich an Zacks `Seph´ zu gewöhnen. Aber `Sephy´?! Das klang nicht mal respektlos. Sondern einfach nur ... niedlich! Und wenn er etwas zweifelsfrei nicht war, dann das! Aber wohnten Namen nicht immer auch gewisse Bedeutungen inne? Und waren nicht manche dieser Bedeutungen ausschließlich Eingeweihten bekannt?
 

Vielleicht hilft mir diese Name, nicht zu vergessen, dass ich, manche Punkte betreffend, mehr und anders sein kann als bisher. Außerdem glaube ich nicht, dass Cutter ihn jemals in der Öffentlichkeit benutzen wird. Es wird etwas sein, das nur uns gehört ...
 

Und so wandte er nur als Zeichen seiner Zustimmung und uneingeschränkten Aufmerksamkeit leicht den Kopf in ihre Richtung.
 

„Tut mir leid“, fuhr Cutter fort, „dass ich dich umgerannt habe.“
 

Sephiroth schmunzelte.
 

„Mir nicht.“
 

„Dann darf ich dich öfter umrennen?“
 

„Nur, wenn wir allein sind.“
 

„Ich schätze“, lachte Cutter, „das lässt sich einrichten.“
 

Und vielleicht, fügte sie in Gedanken hinzu, darf ich dich irgendwann sogar küssen, ohne dich vorher umzuwerfen.
 

Sie kehrten zu Couch, Sesseln, Buch und Laptop zurück, und dann wurde es abermals äußerst ruhig in dem großen Appartement. Bis Cutter den Deckel des Gerätes irgendwann sichtbar zufrieden zuklappte. Wenige Sekunden später gelang es ihr nicht ganz, ein gähnen zu unterdrücken. Gleichzeitig aber schüttelte sie heftig den Kopf.
 

„Das war nur ein Versehen. Ehrlich, ich bin hellwach!“
 

„Tatsächlich?“
 

„Hmhm. Absolut ... und total ... wach.“
 

Sephiroth beobachtete seine mit ihrer Müdigkeit kämpfende Freundin einige Sekunden lang schweigend. Aber letztendlich ...
 

„Cutter, geh ins Bett.“
 

„Will nicht. Weil ... mein Bett steht in meinem Quartier – was nicht hier ist – und du wirst bestimmt nicht mitkommen. Oder mich in deinem Bett schlafen lassen. Oder?“
 

Sephiroth schmunzelte.
 

„Nein. Gute Nacht, Cutter.“
 

„Na schön. `Gute Nacht, Cutter.´“ Sie erhob sich, streifte die Schuhe über, hielt inne und sah zu ihm hinüber. So gerne sie ihn zum Abschied noch einmal gedrückt hätte, sie wusste, dass es für heute genug Berührungen gewesen waren. „Gute Nacht, Sephy. Bis morgen.“ Sie öffnete die Tür, huschte nach draußen und zog die Tür hinter sich zu. Etwa drei Sekunden blieb alles still. Dann piepte es leise, und die Tür öffnete sich ein weiteres Mal. Cutter schob den Kopf durch den Spalt und grinste in Sephiroths Richtung. „Ich hab jetzt deinen Türcode. Ich komme wieder!“
 

„Versprochen?“
 

„Versprochen!“
 

Die Tür schloss sich abermals, und diesmal blieb sie geschlossen. Sephiroth wartete noch ein paar Minuten – dann schüttelte er Entspannung und Friedfertigkeit ab und griff, wie um dies zu verdeutlichen, nach Masamune. Jetzt, wo fast alle Menschen in Midgar schliefen, hatte er noch eine Solomission zu absolvieren.
 

Schon wenige Minuten später bewegte er sich weit vom ShinRa HQ entfernt über die Dächer vorwärts, so unauffällig und lautlos wie jeder, dessen Ziel es war Dinge herauszufinden, die nicht herausgefunden werden wollten. Es gab keinen Befehl, keine Mitwisser, keine Aufpasser. Nur seinen Instinkt. Und seine Neugier! Irgendwann erreichte er sein Ziel und verhielt dort, verborgen im tiefsten Schatten, und beobachtete die Vorgänge hinter einem immer noch hell erleuchteten Fenster. Furcht schien nach wie vor kein Thema für den Mann in dem trügerisch kleinen Büro zu sein.
 

Dabei, dachte Sephiroth, haben die Turks erst vorgestern zwei seiner Autos mitsamt Fahrern in die Luft gejagt. Er weiß, dass wir auf ihn aufmerksam geworden sind. Trotzdem verhält er sich bemerkenswert uninteressiert. Was auf seine Homepageangaben zurückzuführen dürfte. Und auf seinem Schreibtisch liegt bereits wieder ein ganzer Stapel neuer Aufträge. Die Grenze zwischen `mutig´ und `dumm´ ist so dünn, dass man eine Überquerung manchmal kaum wahrnimmt ...
 

Der General verbrachte einige Zeit mit der Observation des Mannes in dem kleinen Büro, ehe er sich auf den Rückweg zum ShinRa HQ machte. Ob die Turks wohl schon wussten, wie wenig erfolgreich ihre Zurechtweisung gewesen war? Wie lange Rufus Shinra noch warten würde, bis er sie zum gezielten Töten dieses Mannes ausschickte? Und ob sie erfolgreich sein würden? Bei den vorliegenden Informationen? Nicht, dass Sephiroth diesen auch nur eine Sekunde lang geglaubt hätte – aber die Situation war dennoch höchst interessant. Zu interessant, um sie aus den Augen zu verlieren. Allerdings mussten parallel dazu auch andere Dinge stattfinden.
 

Die morgige Mission in Midgar zum Beispiel. An der, unter der Führung des Generals, auch Cutter teilnehmen würde, und so sehr er ein erfolgreiches Ende des Einsatzes in den Vordergrund stellte, so nahm er doch auch Freude über die zusätzliche Zeit mit ihr wahr – auch, wenn es mit Sicherheit nicht so wie heute Abend werden würde. Der heutige Abend ... Niemals zuvor hatte Sephiroth etwas Ähnliches erlebt. Cutter zu küssen ... von ihr geküsst zu werden ... Ein Gefühl, als würde man fliegen. Ob es sich immer so anfühlte? Und ob es sich wiederholen ließ? Vielleicht sogar ein wenig länger? Wenn ...
 

Diesmal glich das Einsetzen der Kopfschmerzen mehreren heftigen Detonationen, ließen den General flüchtig zusammenzucken ... aber nur eine Sekunde später gewann er die Kontrolle zurück. Atmete tief durch. Lauschte in sich hinein. Aber jetzt war wieder alles still. Er schüttelte den Kopf, murmelte: „Ich brauche mehr Schlaf!“, und betrat sein Appartement.
 

Missionen besaßen stets zwei Enden: Ein offizielles im ShinRa HQ und ein inoffizielles, das für gewöhnlich griff, sobald die eigentliche Arbeit erledigt war. Selbiges erlebte Sephiroth gerade einmal mehr mit, und da es gerade wirklich nichts zu tun gab, suchte er mit dem Blick nach seiner Phoenix. Sie hatte sich gut geschlagen – jetzt allerdings war sie spurlos (und ohne Genehmigung) verschwunden.
 

Der General gestattete sich ein leises Seufzen, sandte den Ruf aus, folgte dessen Echo und fand sein Ziel einige Schritte von der eigentlichen Truppe entfernt in einer Sackgasse, den Rücken zu ihm gewandt und überdeutlich nicht gefasst auf einen dezenten Hinweis bezüglich seiner Präsenz.
 

„Wie lautet die offizielle Bezeichnung für das gerade von dir ausgeübte Verhalten?“
 

Cutter zuckte erschrocken zusammen, wandte den Kopf und antwortete verlegen:
 

„Unerlaubtes Entfernen von der Truppe.“ Dann aber, wesentlich selbstsicherer und grinsend: „Weißt du, Sir, Katzen kriegen ein Glöckchen umgehängt, damit sie sich nicht unbemerkt anschleichen können.“
 

„Und ungehorsame Death Walker einen scharfen Verweis. Der hiermit erfolgt ist. Was tust du hier?“
 

„Einer Line nachgehen.“
 

Sie trat zur Seite. Sephiroth reicht ein einziger Blick auf die bisher versperrte Ansicht um zu wissen, was er vor sich hatte. Aber wusste Cutter das auch?
 

„Es sieht aus“, antwortete sie auf seine Frage, „wie eine verplombte Leitung. Irgendjemand hat sich von der Makoenergie gelöst, aber das macht überhaupt keinen Sinn, weil es keinerlei Ersatz gibt. Es sei denn, man steht generell auf Kälte und rohes Essen.“
 

„Sehr richtig. Würdest du sagen, hierbei handelt es sich um das Werk eines Profis?“
 

„Sieht ziemlich professionell aus, ja.“
 

„Und es hat eine eigene Line?“
 

Cutter nickte. Innerlich hätte sich Sephiroth ohrfeigen können, hatte er die Lines doch einmal mehr unterschätzt. Aber jetzt ...
 

„Gerüchten zufolge ist das nicht die einzige verplombte Leitung innerhalb Midgars. Ich möchte, dass du sie zählst.“
 

„Ok. Mh, Moment! Nur zählen? Oder willst du auch wissen, wohin die Leitung führt?“
 

Sephiroth sagte kein Wort. Er sah Cutter nur an. Bis diese leise sagte:
 

„Zählen kann ich sie. Aber ich werde dir nicht sagen, wohin sie führen. Denn wenn ich das mache, hat ShinRa eine Todesliste, und dann werden garantiert viele, viele Menschen sterben.“
 

„Cutter“, die Stimme des Generals klang fast sanft, „wenn ich dir befehle, mir eine solche Todesliste anzufertigen, erwarte ich eine exakte Ausführung meiner Anweisung. Habe ich etwas Derartiges von dir verlangt?“
 

„Nein, aber . . .“
 

„Zähl die Lines, bring mir das Ergebnis ins Büro, und jetzt geh zurück zur Truppe!“
 

Cutter wusste, wie wenig Spaß Sephiroth bei seinen Befehlen verstand und setzte sich widerspruchslos, aber erleichtert in Bewegung. Der General blieb allein mit der verplombten Leitung zurück und betrachtete diese finster. Schon sehr bald würde er eine genaue Zahl haben, nicht länger bloß Vermutungen und Befürchtungen.
 

Seinem Befehl wurde entsprochen. Die gelieferte Zahl übertraf seine Erwartungen, war aber geringer als seine Befürchtungen.
 

„Verrätst du mir, was ich dir gerade verraten habe?“, erkundigte sich Cutter leise. Wie üblich saß sie auf dem Rand des Schreibtisches, baumelte aber diesmal nicht mit den Beinen. Vielmehr strahlte sie Nachdenklichkeit aus. Und ein wenig Angst. Gerade Klarheit geschaffen zu haben, ohne genau zu wissen, worüber ... Sephiroth konnte es nachvollziehen.
 

„Bist du über die aktuellen Gerüchte innerhalb Midgars auf dem Laufenden?“
 

„Nein. Habe mich nie für so was interessiert.“
 

„Du solltest damit anfangen. Und ganz besonders gut zuhören, wenn ein bestimmter Name fällt. Er lautet: Hiwako Destin.“
 

„Hiwako Destin“, wiederholte Cutter, dachte einen Augenblick lang nach und schüttelte schließlich den Kopf. „Nie gehört. Wer ist das?“
 

„Jemand der ernsthaft glaubt, ShinRa nicht nur Steine, sondern ganze Gebirgszüge in den Weg stellen zu können.“ Er zog einen Gegenstand aus einer der Schreibtischschubladen und reichte ihn zu Cutter hinüber. „Weißt du, was das ist?“
 

Die junge Frau griff danach. Das Objekt sah aus wie eine rechteckige, dünne Platte, schwarz, verspiegelt, sehr leicht und glänzend. Aber nicht einmal die entsprechende Line gab Aufschluss über den letztendlichen Zweck.
 

„Halt es ins Sonnenlicht“, wies Sephiroth an. Cutter tat genau das.
 

„Es wird warm“, sagte sie irgendwann verblüfft. „Und wie!“
 

„Was würdest du sagen, wenn ich dir sage, dass diese Plättchen an allen nur erdenklichen Orten in ganz Midgar versteckt und in der Lage sind, Sonnenlicht zu speichern und in Energie umzuwandeln, die kostengünstiger und leichter zu beschaffen ist als Makoenergie?“
 

„Ich würde `Was?!´ sagen. Und dann `Wow!´. Und `Ernsthaft?´ Und `Dann steckt hinter jeder verplombten Makoleitung jemand, der seine Energie schon auf diese Art und Weise bezieht?´“
 

„Hinter jeder Einzelnen.“
 

Cutter schwieg einen Augenblick. Es war schon seltsam, wie die weitergeleitete Zahl auf einmal eine Bühne bekam, auf der sie agieren konnte.
 

„Und ich verrate dir noch etwas“, fuhr Sephiroth fort. „Die Midgar betreffenden Makoverbrauchszahlen sind gesunken.“
 

Cutter bedachte ihn mit einem verblüfften Blick, dann sah sie wieder zu dem schlagartig gar nicht mehr so harmlos aussehenden Plättchen in ihrer Hand. Dieses kleine Ding war in der Lage ...?!
 

„Ich glaube, Rufus wird alt“, sagte sie schließlich staubtrocken. Sephiroth stieß einen amüsierten Laut aus.
 

„Rufus wusste bis vor kurzem nichts hiervon. Ich hingegen beobachte diese Sache schon seit Wochen. Was du da in den Händen hältst, nennt sich `Solarplatte´ oder auch `Sonnenkollektor´. Der Name der Firma, die sie anbringt, lautet `Solar Solution´. Und Hiwako ist der Chef höchstpersönlich.“
 

„Warum hat Rufus ihn nicht längst erschießen lassen? Oder es selbst getan? Darin ist er doch so unglaublich gut. Speziell, wenn es sich bei seinen Opfern um unbewaffnete Personen wie Mütter mit kleinen Kindern handelt. Oder Teenager.“
 

In den letzten beiden Sätzen klang unüberhörbare Gehässigkeit mit.
 

„Zu Frage 1: Weil er sich momentan etwas zu langweilen scheint und spielen möchte, weshalb er die Turks bisher lediglich einen Warnschuss hat abgeben lassen. Und zu Frage 2: Weil er sich nur selbst die Hände schmutzig macht, wenn es nicht anders geht. Im übrigen möchte ich dir raten, deinen Arbeitgeber nicht zu unterschätzen. Er ist äußerst mächtig – auch, wenn er eine Line besitzt. Und, verlass dich drauf, Rufus Shinra ist in der Lage, alles töten! Einige Leute, unter ihnen auch Hiwako Destin, sind der festen Ansicht, er sei dabei, diesen Planeten zu Tode zu quälen.“
 

„Die Makoreaktoren“, sagte Cutter leise und Sephiroth nickte. „Und dieser Hiwako glaubt, er kann das stoppen. Obwohl er weiß, dass ShinRa auf ihn aufmerksam geworden ist. Was macht ihn da so sicher?“
 

Die Antwort des Generals kam mit völliger Gelassenheit.
 

„Er kann nicht sterben.“
 

Was?!“
 

„Jedenfalls glaubt er das. Den Angaben auf seiner Homepage zufolge hat er bereits mehrere Unfälle hinter sich, die absolut tödlich hätten verlaufen müssen. Aber er hat sie alle überlebt. Im Klartext: Dieser Mann hält sich für den vom Planeten ausgewählten Retter, der ShinRa vernichten soll.“
 

Cutter schwieg einen Moment und kommentierte schließlich:
 

„An Selbstvertrauen scheint es ihm jedenfalls nicht zu mangeln.“
 

„An Dummheit, ganz offensichtlich, ebenfalls nicht.“
 

„Da gibt es noch etwas, das ich nicht verstehe. Du sagst, die ganze Stadt sei voll von diesen Reflektoren und den verplombten Leitungen. Aber wie konnten die unbemerkt angebracht werden?“
 

„Wir waren eine Weile ... abgelenkt.“
 

Cutter runzelte die Stirn. Was hätte die ständig durch die Stadt patrouillierenden Truppen ShinRa´s derartig ablenken können? Es musste eine ziemlich große Sache gewesen sein, etwas, das SOLDIER und Army gleichermaßen beschäftigte, etwas wie ...
 

„Wutai?“
 

„Hiwako und Lord Godo sind Halbgeschwister. Sie haben diesen Plan gemeinsam ausgearbeitet. Der eine lenkt unsere Aufmerksamkeit und den Hauptteil der Truppen auf Wutai, und der andere nistet sich in Midgar ein, wirbt heimlich für sein Unternehmen, gewinnt Kunden, platziert die Sonnenkollektoren, verplombt die Leitungen ... Alles vor unseren Augen und von uns völlig unbemerkt. Bis die Makoverbrauchszahlen fielen.“
 

„Oh weia!“, flüsterte Cutter, aber mehr amüsiert als schockiert.
 

„Und jetzt befinden wir uns in einer wenig vorteilhaften Lage, denn Midgar bietet ca. 10 Millionen guter Verstecke für diese in allen nur erdenklichen Größen existierenden Kollektoren. Oder besser ...“ er lehnte sich völlig entspannt zurück und lächelte der jungen, jetzt wieder auf der Kante seines Schreibtisches sitzenden Frau zu, „wir befanden uns in dieser Situation.“
 

Cutter deutete auf die Bürotür.
 

„Mir fällt gerade ein, dass ich was furchtbar Wichtiges zu erledigen . . .“
 

„Hier geblieben!“ Er lehnte sich wieder nach vorne und sah zu Cutter auf. „Warum glaubst du, erzähle ich dir all das, und was denkst du, möchte ich von dir?“
 

„Damit ich informiert bin? Und ich hoffe, du willst nichts.“
 

„`Ja´ zum Ersten, `Nein´ zum Zweiten. Cutter, ich möchte vor allen Dingen, dass du dich weiterhin völlig unwissend gibst, denn manche der dir genannten Details sind ausschließlich mir bekannt.“ Gleichzeitig musste er innerlich über sich selbst den Kopf schütteln.
 

Ich habe keine Probleme, ihre diese höchst sensiblen Informationen anzuvertrauen, war aber nicht in der Lage, ihr einfach so den Code zu meinem Appartement zu geben. Wirklich, ich habe eine seltsame Art, ihr mein Vertrauen mitzuteilen.
 

„Dazu kommt: Wir hatten seit über 3 Jahren keinen Blue Wanderer mehr in unseren Reihen, und so hilfreich eure Fähigkeiten waren, Menschen neigen zu Vergesslichkeit bezüglich Dingen, die nicht von ihnen gesehen werden können oder mit denen sie nicht in anderer Form regelmäßig konfrontiert werden. Und dazu gehören auch die Lines. Aber Rufus Shinra hat sie nicht vergessen. Und er ist dabei, sich ein sehr genaues Bild deiner Fähigkeiten zu machen. Wenn er genug weiß und alles andere versagt oder zu versagen droht, wird er dich rufen lassen und mit deinen Fähigkeiten seinen Willen durchsetzen. Gnadenlos!“
 

„Ich weiß“, sagte Cutter leise. „Aber ist es nicht absurd? Jemandem zu gehorchen, der viel schwächer ist als man selbst?“
 

„Rufus Shinra ist nicht schwach. Er verfügt über Kräfte und Methoden, die einen Menschen im Handumdrehen gefügig machen können. Gib dich nicht der Illusion hin, stärker als dieser Mann zu sein.“
 

„Aber er hat eine Line! Ich kann ...“
 

Der General hatte mit einem ähnlichen Wortwechsel früher oder später gerechnet, und ihm war völlig klar gewesen, für eine der beiden Seiten Partei ergreifen zu müssen. Natürlich besaß Rufus Shinra eine Line, die manipuliert werden konnte. Aber dieser Mann hütete zusammen mit Hojo alle Geheimnisse bezüglich Sephiroths Existenz! Und würde sie nur lebend preisgeben können.

Was, so sehr sich Sephiroth auch innerlich sträubte, bedeutete, dass er Rufus (bis er ihn irgendwie zum Reden bringen konnte) beschützen würde. Vor allen Gefahren! Auch vor Cutter. Und so schüttelte er den Kopf.
 

„Death Walker Cutter Tzimmek, du wirst dich von Rufus Shinra´s Line fern halten! Das ist ein Befehl!“
 

„Ja, Sir“, murmelte Cutter in eine Mischung aus Entrüstung, Enttäuschung und Verständnislosigkeit. So klar die Situation für ihre Augen war, ihr kommandierender Offizier schien das anders zu sehen.
 

Aber er, dachte die junge Frau, kennt Rufus Shinra schon viel länger als ich. Er weiß mehr. Vielleicht sehe ich die Dinge doch etwas zu einfach ... Ich sollte ihm einfach vertrauen. Und tun, was er sagt.
 

Und so nickte sie, trat ans Fenster und hielt den Kollektor abermals ins Licht der Sonne. Die erwachende Wärme in ihrer Hand erinnerte sie unwillkürlich an den gestrigen Abend. Diese Nähe zwischen Sephiroth und ihr war so unerwartet gekommen. Fast unschuldig. Und alles wegen dieser verflixten Spinne! Aber es war schön gewesen. Etwas, worin man förmlich hätte versinken können, für immer, und ohne Reue. Ob es sich wiederholen ließ?
 

Sie warf einen fast vorsichtigen Blick über die Schulter. Sephiroth hatte sich in den vor ihm liegenden Antrag vertieft. Aber das war nicht wichtig. Nur, dass er da war, direkt vor ihr, und dass sie allein waren ... Cutter setzte sich ohne nachzudenken wie magisch angezogen in Bewegung, beugte sich ohne jegliche böse Absicht nach vorne, auf der Suche nach dem Gefühl des gestrigen Abends ... Der Kontakt bestand erst für einen Sekundenbruchteil, als die Reaktion erfolgte. Und es war nicht die erwartete.
 

Die Hand des Generals glich dem weit geöffneten Maul einer nach vorne schnellenden Schlange. Sie benötigte nur die Dauer eines Wimpernschlages, um Cutters Nacken mit brutaler Härte zu umschließen und zuzudrücken, jegliche Bewegung unterbindend. Und Cutter erstarrte in grenzenloser, urplötzlicher Anspannung, gefangen in dem sicheren Bewusstsein, dass die nächste falsche Bewegung ihre letzte sein würde.
 

Für etliche endlos scheinende Sekunden bewegte keiner der beiden einen Muskel. Und dann, einem Urinstinkt folgend, entspannte sich Cutter und begann wieder zu atmen, ruhig und gleichmäßig, völlige Friedfertigkeit demonstrierend. Es dauerte noch einige Sekunden. Aber dann löste sich die Hand von ihrem Nacken – allerdings auf eine Art und Weise, welche die Bereitschaft, sofort wieder zuzupacken, überdeutlich verriet.
 

Es war eine Chance. Die durch langsames Aufrichten und behutsames Zurückweichen genutzt wurde. Dennoch folgte der zu gleichen Teilen wachsame wie eisige Blick des Generals jeder Bewegung – auch als Cutter begann, sich den schmerzenden Nacken zu reiben. Dennoch war sie nicht weit zurückgewichen. Und als sie sprach, haftete ihrer Stimme nichts Vorwurfsvolles an. Nur Nachdenklichkeit.
 

„Weißt du, für einen Moment habe ich gedacht du brichst mir das Genick.“
 

„Für einen Moment“, antwortete Sephiroth auf dieselbe Art und Weise, „hatte ich das auch vor.“
 

Und dann bekam das Eis in seinem Blick einen deutlich sichtbaren Sprung und schmolz. Der normale Augenausdruck kam zurück. Und mit ihm etwas, das undeutbar blieb, bis die dunkle Stimme wieder erklang.
 

„Genau das meinte ich, als ich sagte, eines Tages würde ich vielleicht wieder versuchen, dich zu töten, und dass du in meiner Nähe nicht sicher seiest.“
 

Aber zu seiner Überraschung schüttelte Cutter heftig den Kopf.
 

„Das hier war ganz allein meine Schuld! Ich hätte dich nicht so überfallen dürfen, noch dazu von hinten. Ich muss für einen Moment völlig wahnsinnig gewesen sein. Ich meine, du bist . . .“
 

„Ein Killer. Der es noch nicht geschafft hat, seinen Reflexen beizubringen, dass für dich andere Regeln gelten.“
 

„ ... nicht gewohnt an diese Sachen“, vollendete Cutter ihren Satz sanft. „Genauso wenig wie ich.“ Und dann, völlig unerwartet grinsend: „Wir müssen noch viel übereinander lernen.“
 

Sephiroth sah zu ihr hinüber. Niemals zuvor war er in einer ähnlichen Situation gewesen, aber er wusste: Jede andere an Cutters Stelle wäre aus seinem Büro geflüchtet, sofern er sie nicht schon vorher bei einem Befreiungsversuch ihrerseits getötet hätte. Aber Cutter hatte sich schon wieder etwas näher zu ihm geschoben. Und zeigte dabei nicht den Hauch von Furcht.
 

„Also!“, sagte sie eben munter. „Keine Überfälle mehr von hinten.“
 

„Bessere Reflexkontrolle.“
 

Es sollte so beherrscht klingen wie immer. Aber etwas in seiner Stimme flackerte. Und bevor er die Hoffnung, es möge unbemerkt geblieben sein, in einem Gedanken zusammenfassen konnte, erklang abermals Cutters Stimme. Leise. Aber dennoch sicher. Wie der sich in die Felswand grabende Sicherheitshaken eines Bergsteigers.
 

„Wir schaffen das, Sephy! Irgendwann können wir einander ganz genau einschätzen, und dann wird so etwas nicht mehr passieren.“
 

Sephiroth wusste nicht, woher. Aber er fand die Kraft, zu nicken. Wenige Sekunden später klingelte das Telefon und Cutter, die wusste dass ca. 99,9999999 % der hier ankommenden Informationen nicht für ihre Ohren bestimmt waren, bedeutete, dass es Zeit zum Verschwinden war und verließ den Raum.
 

Das Gespräch war weder wichtig, noch dauerte es lange, und so legte der General das Telefon schon bald wieder zur Seite und ließ den Kopf auf die am Rand der Schreibtischplatte liegenden Arme sinken. Schloss die Augen.
 

Phoenix, dachte er, weshalb kannst du so sein? So vertrauensvoll. Du siehst Dinge in mir, die ich selbst nicht sehe. Trotzdem, wenn ich an gestern Abend denke ... Sie scheinen da zu sein. Aber ich habe das Gefühl, als würden sie überlagert und blockiert durch so viel ... Vergangenheit und Gegenwart. Und ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, mich von ihr zu befreien ...
 

Auf dem Flur, mitten im dichtesten Gedränge, war Cutter einfach stehen geblieben. Ihr war völlig klar, wie knapp sie gerade in Sephiroths Büro mit dem Leben davongekommen war. Trotzdem empfand sie weder Wut, noch Angst. Nur den Wunsch, ihn nicht noch einmal in eine seinen sonstigen Handlungen so zu wiedersprechende Lage zu bringen. Selbstdisziplin war mit Sicherheit ein guter Anfang – aber bestimmt nur ein Schritt auf einem Weg von unbestimmter Länge. Also ... was noch?
 

„Üben“, murmelte die junge Frau. „Üben, üben und nochmals üben.“
 

Aber wie? Etliche Minuten vergingen in angestrengten Überlegungen, und dann, mit der Klarheit eines Blitzschlages in finsterster Nacht, wusste sie es. Die Idee zauberte ein breites Grinsen auf ihr Gesicht – und setzte sie augenblicklich in Bewegung, direkt in ihr Quartier, wo sie unverzüglich nach Papier und Stift griff und zu schreiben begann. Es dauerte einige Zeit. Aber irgendwann war der DIN A 4 Zettel beidseitig beschriftet. ShinRa´s einziger Death Walker, der seinem Namen aktuell überhaupt keine Ehre machte (und das einmal mehr mit voller Absicht) ließ sich zurücksinken, betrachtete zufrieden das Ergebnis ihrer Arbeit und schmunzelte. Sephy konnte sich auf etwas gefasst machen!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Aruna
2010-08-29T07:53:59+00:00 29.08.2010 09:53
Eine riesige Sahnetorte. Zack hätte sich darüber gefreut :)
Das war so ein schönes Kapitel (mal wieder). Ich find es so süß, wie unwissend du Sephiroth in emotionalen Dingen darstellst. Naiv wie ein kleines Kind. Ich musste lachen, als Cutter meinte, dass sie Zack lieb hat und Sephiroth ganz verblüfft gefragt hat: „Ihn auch?“ So süß. Aber gleichzeitig auch ganz schön traurig. Dass er absolut gar nichts über Liebesdinge weiß. Der Arme. Und wieder einmal möchte ich Hojo treten. Aber wer will das nicht?
Es hat mich ganz besonders gefreut, dass die arme Spinne weiterleben durfte :)
Ich freu mich schon auf nächsten Samstag.
lg Aruna



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