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Almost lost

von

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4. Kapitel
 

[Vergangenheit]
 

Nach zwei Wochen hatte er sich tatsächlich durchgerungen, seinen blonden Freund und auch Eugen mal nach Hause einzuladen (natürlich nur, weil sein Vater nicht da war, offiziell war er auf Geschäftsreise – vermutlich aber nur in einem anderen Bett.)

Sebastian versuchte vergebens ihm und Eugen die einfachsten Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung beizubringen.

Was hatte er noch dazu gesagt? Stochhastik … er drückte sich gelegentlich sehr seltsam aus. Sowieso war er der Meinung, dass diese Aufgaben für die 9. Klasse viel zu schwer waren.

Und mit dieser Ansicht stand er nicht allein.

Sie waren jedenfalls zu Dritt in Markus´ Zimmer und taten alles, nur keine Mathematik. Eugen spielte mit Markus´ Gitarre (die dieser das letzte Mal mit 12 angerührt hatte), allerdings bekam er inzwischen schon ein paar ganz brauchbare Akkorde zustande. Sebastian starrte auf sein Heft, ohne die Aufgaben noch einmal zu fokussieren, und Markus spielte gelangweilt mit jedem erdenklichen Utensil, das ihm zwischen die Finger geriet.
 

Er beobachtete amüsiert wie Sebastian nach der Flasche Kirschsaft angelte, (er trank das Zeug mit einer solchen Freude, als wäre es Alkohol – oder als würde er Daheim nur Wasser bekommen – was vermutlich auch noch stimmte.) Seine Verrenkungen waren herrlich anzusehen, er schaffte es dann aber doch sie zu greifen, ohne vom Stuhl zu fallen. Allerdings, gerade, als er sie aufgeschraubt und zum Trinken angesetzt hatte, sprang Eugen von Bett auf und rief lauthals:

Das ist es!

Sebastian erschrak sich so sehr, dass er elegant den Saft über sich verschüttete, womit er ungewollt zur Erheiterung beitrug. Beiden, Markus und Eugen, liefen Tränen aus den Augen, so sehr mussten sie lachen.

Dieser verhielt sich allerdings sehr seltsam. Dass er es nicht witzig finden würde, sondern sich eher ärgerte, war verständlich, aber er wurde regelrecht bleich vor Schreck.

„Oh Gott, entschuldige, ich wollte nicht… Das tut mir leid, ich hab nicht aufgepasst, ich… hab bestimmt den Teppich ruiniert…!“ Markus wurde nur langsam wieder ruhiger, weil er Sebastians Ernsthaftigkeit nicht nachvollziehen konnte (und es für einen dieser seltsamen Scherze hielt, die ihn ausmachten).

Aber der kleine Streber kam regelrecht ins Stocken vor lauter Entschuldigungen, dass er sich genötigt fühlte ihn wieder zu beruhigen.

„Keine Sorge, Mann, du hast den Teppich doch gar nicht getroffen, sondern nur dein Hemd… na ja und deine Hose.“, er grinste wieder.

„Leute, dass sieht aus wie aus so einem Gruselfilm. Wirkt wie ein riesiger Blutfleck auf dem weißen Hemd, voll krass!“, meldete sich Eugen zu Wort.

Dem konnte Markus nicht unbedingt beipflichten, es war viel zu violett für Blut, aber KRASS waren eigentlich schon alleine seine Sachen gewesen.

Ein weißes Hemd – das ihn garantiert zwei Nummern zu groß war – und eine widerliche, braune Stoffhose, ohne jegliche Form.

Markus verstand Sebastians Kleiderstil noch nie so wirklich. Langsam tat ihm der Blondschopf jedoch Leid. „Meine Mutter kennt, glaube ich, einen Trick gegen solche Flecken.“, rief er Sebastian gutmütig zu. Sie ist ja nur Hausfrau und Mutter, da sollte sie das verdammt noch mal auch! Aber eigentlich nicht mal das, Mario ist hier schon mit 17 abgehauen…, fügte er in Gedanken hinzu, sagte aber schließlich laut: „Ich kann dir solange was von mir geben.“
 

Der Blondschopf zögerte anfangs seine Sachen vor Eugen und Markus auszuziehen. Sie amüsierten sich über diese Eigenheit, drehten sich dann aber, immer noch lachend, um. Sebastian hatte Markus´ Kleidung so schnell angezogen, dass keiner der beiden Jungs einen Blick auf seinen von blauen Flecken und Kratzern übersäten Oberkörper, oder seine zerschlagenen Beine hätten werfen können.

Sein Herz schlug schnell und unheimlich laut, vor Aufregung. Nervös suchte er seine Brille auf dem Tisch, als sich Markus, gefolgt von seinem Freund, wieder umdrehte. Sebastian fummelte an den Bügeln seiner Brille – hinter seinem Rücken – herum, setzte sie aber nicht auf, weil er sonst nichts mehr in den Händen gehalten hätte, und weil er seine Handgelenke vor den Blicken der Jungs schützen wollte.

Markus´ T-Shirt war schwarz und sehr eng anliegend, zudem hatte er eine Jeans von ihm bekommen, die keinen Bund hatte! Er fühlte sich immer noch nackt und selbst die Tatsache, dass es Markus´ Sachen waren, trösteten ihn nicht darüber hinweg.

„Mensch, Kleiner, …“, brach Eugen die Stille. „Du siehst in seinen Sachen ja echt heiß aus!“ Markus erwiderte nichts. Und der kleine Streber setzte ein unglückliches Lächeln auf.

„Solltest echt öfter so was tragen!“, in Eugens Stimme klang Ehrlichkeit mit.
 

Auch wenn der brünette Knabe kein Wort darüber verlor, hieß das nicht, dass er dazu nichts zu sagen gehabt hätte. Heiß war gar kein Ausdruck! Er sah einfach nur geil aus! Eine plötzliche Hitze durchlief ihn, und er musste sich zwingen die Augen abzuwenden.

Ab diesem Zeitpunkt hatte er nichts eiliger, als beide, Eugen und Sebastian, los zu werden. Nach einer halben Stunde gingen sie dann auch.

Den ganzen Abend dachte er an ihn. An seine blauen Augen, die immer etwas Nachdenkliches und Verschlossenes an sich hatten. An seinen flachen Bauch oder an seine durchtrainierten Radfahrer-Beine. Irgendwann kam er zu dem Schluss, dass er nun völlig durchgedreht war. Und es fühlte sich nicht einmal schlecht an.

Nur einen Tag später ging er mit ihm und Jens einkaufen (letzterer hatte es auch dringen nötig!), er vermied es mit Sebastian allein zu sein, und ärgerte sich darüber, dass er das nötig hatte. (Aber Zeitweilen funktionierte es …).
 

***
 

Es war vielleicht vier, fünf Wochen später, als es passierte. Viele Schüler waren frisch gestärkt durch ein verlängertes Wochenende, sogar Markus war guter Dinge, er hatte es geschafft vier Tage lang Sebastian nicht zu sehen, anzurufen oder sonst irgendeinen Kontakt mit ihm zu suchen. Er fing sogar langsam an ihn nicht mehr so sehr zu vermissen. Es hatte einige Zeit gedauert, bis er eingesehen hatte, dass er sich doch irgendwie in diesen blonden kleinen Streber verliebt hatte. Das bedeutete jedoch nicht, dass er das so einfach hinnehmen wollte! Nicht, dass er sich Sorgen um seinen Ruf gemacht hätte – welcher Ruf? – aber das war sogar für ihn ein bisschen zu gruselig. Seine Mutter – mit der er (G**t behüte!) beinahe darüber gesprochen hätte, weil ihm sonst keiner einfiel – hätte ihm gesagt, dass ein 14 jähriger nur verwirrt und neugierig sei, dass er nicht wisse, was er wolle, …. So etwas eben. Und damit hatte sie sicherlich sogar mal Recht!

Zudem hätte ein solches Bekenntnis garantiert zum Abbruch ihrer Freundschaft geführt. Er versuchte immer wieder den Gedanken zu verdrängen, der ihm schließlich die Erkenntnis gebracht hatte, dass er schlichtweg verliebt war, und sich deshalb irgendwie reflexartig auf Abstand begab. Er hatte Angst, die Grenze zwischen freundschaftlicher Nähe und was-auch-immer nicht mehr zu finden, wenn Sebastian ihm zu Nahe kam.

Jetzt, da die Schule wieder losging, glaubte Markus, dem irgendwie gewachsen zu sein. Sebastian schien es sogar gut mit ihm zu meinen, denn er hatte wieder seine üblichen, langweiligen Streberklamotten an, nicht dass, was er für ihn ausgesucht hatte (und es für ihn noch schwieriger machte ihn nicht gierig anzusehen).

Er war so sehr damit beschäftigt Sebastian auszublenden, dass er nicht mitbekam wie bleich und krank er aussah.

Als der Blondschopf ihn in der Pause ansprach, versuchte er beschäftigt zu wirken und befasste sich nicht wirklich mit ihm. Er trank seine Limonade und fummelte an einigen Konzepten für ein Musikstück, dass er nie zu spielen gedachte, aber es genügte als Ausrede. Markus konnte nicht wissen, wie viel Mut sein Freund aufbringen musste, mit ihm zu sprechen.

„Hast du heut Nachmittag ein bisschen Zeit?“, fragte er nervös.

Markus vermied es ihn anzublicken. „Tja, weißt du, ich… ich hab wieder zu spielen angefangen, und ich hab heute Probe… Wie wäre es denn ein anderes Mal? Entschuldige, es geht echt nicht…“, redete er sich heraus. Sebastian nickte traurig. „Ich brauch wirklich Hilfe.“, flüsterte er tapfer.

Markus sah ihn nun doch an. „Oh, tja, also worum geht es denn?“, druckste er herum.

Sebastian holte tief Luft und versuchte sich zu sammeln, aber er konnte es nicht, da Markus wieder in seinen Zetteln kramte und ihm kaum Beachtung schenkte.

„Ach schon gut. Dann ein anderes Mal.“, er formulierte diese Worte irgendwie tonlos und wandte sich schließlich ab. Markus sah ihn nicht mehr an, als er ging.
 

Sebastian ging in der Pause nach Hause. Er sagte, er fühle sich nicht gut – was überdies ja auch stimmte. Seiner Lehrerin entging seine Blässe nicht, sie hätte ihn aber lieber gleich zu einem Arzt schicken wollen. Nur mit viel Zureden schaffte er es dann doch sich loszueisen.

Er wusste dass seine Mutter – mal wieder – nicht zu Hause sein würde und Lutz oder Bernd oder wie er hieß, seit dem letzten Streit irgendwie verschwunden war. Gut so.

Mit einer beinahe erschreckenden Seelenruhe trat Sebastian in die noch immer verwüstete Wohnung. Er schloss die Tür hinter sich und legte die Sicherungskette davor. Wie auf Automatik gestellt, schob er den kleinen Schuhschrank vor die Tür und ging ins Bad. Er zögerte nicht, als er die Schranktüren der Spiegeltoilette öffnete und gezielt Acht, Neun, Zehn Tablettenschachteln und Tropfen herausnahm. In Wohnzimmer angekommen stellte er sie alle penibel in einer Reihe auf (Ordnung war etwas, dass er beim Psychologen als irgend so eine Grundregel betrachten sollte.)

Sein Blick war leer und hilflos, als er in der Küche ein großes Glas Wasser füllte und ins Wohnzimmer zurückkehrte. Er mischte die Tropfen, mit einer Engelsgeduld, darin. Dann nahm er sich die Tabletten vor. Einige lösten sich in dem Glas auf, aber nicht alle. Seine Mixtur hatte inzwischen eine leichte Orange-Braune Färbung und ein weißer, klumpiger Absatz hatte sich auf den Boden gesetzt. Er holte sich einen Löffel aus der Küche und rührte langsam um.

Der Gedanke an einen Abschiedsbrief blitzte kurz vor seinem inneren Auge auf. Aber für wen hätte er den schon schreiben sollen? Er beschloss nicht länger darüber nachzudenken. Wieder war er sehr geduldig, als er die Tabletten, die sich nicht aufgelöst hatten, mit dem Löffel herausfischte und ohne Flüssigkeit einnahm. Nur hin und wieder nahm er einen kleinen Schluck von seiner Mixtur, die noch relativ flüssig war. Ohne es zu wollen verzog sich sein Gesicht mit Abscheu, mit jedem Schluck. Er würgte einige Male, schluckte es aber jedes Mal hart hinunter. Es war nicht nur bitter, es war widerlich.
 

Eine ganze Zeit wartete er, ohne den Rest seiner Mixtur hinunterzuwürgen. Sein Blick blieb starr auf der Tischplatte hängen. Sebastian versuchte jedes Bild, jede Erinnerung zu verdrängen, aber sie suchten ihn nur umso stärker heim. Wie plastisch erschien ihm das Gesicht seiner Mutter, wie sie unter Tränen versuchte zu lächeln. Er hatte immer geglaubt, er hasste sie, für alles, was sie getan hatte. Aber… als Bernd sie verprügelte stellte er sich dazwischen, griff den zwei Köpfe größeren Mann an, ohne auch nur zu zögern. Er bereute es nicht, auch wenn sie ihm nachher nur mit Vorhaltungen begegnete, als sie seine blauen Flecken versorgte. Mit erschreckender Gewissenhaftigkeit hatte Bernd ihn nur an Stellen verletzt, die sich abdecken ließen. Vorzugsweise Beine und Oberkörper, aber nie im Gesicht.

Das war nicht das schlimmste. Sie sagte, sie könne ihn nicht rauswerfen, dass sie jemanden brauchte, dass sie es alleine nicht schaffte.

Aber er schaffte es doch auch. Weil er es musste.

Nein, dass ist nicht wahr, immerhin sitz´ ich hier, dachte er. Bereit jeden Schmerz zu ertragen, bereit zu sterben... Wie lächerlich ist das?

Ohne Zutun blitzte Markus´ Gesicht auf. Aber es war flach, nicht so lebendig, wie die vorangegangenen. Nein, er brauchte auch ihn nicht.
 

Das erste Mal erbrach er sich auf dem Tisch. Seine Kehle brannte wie ein Inferno, selbst seine Lunge schmerzte und er bekam kaum Luft. Seine Augen füllten sich mit Tränen der Entrüstung. Er wischte sie beiseite und nahm einen weiteren tiefen Schluck seiner Mixtur. Er hustete und erbrach sich wieder. Diesmal mischte sich Blut unter das Erbrochene.

Mit viel Anstrengung hievte sich Sebastian auf. Bunte Sterne explodierten hinter seinen Augen, die wie das weiße Rauschen eines Fernsehers zuckten. Seine Beine sackten unter ihm zusammen und er konnte sich gerade noch an einem Stuhl festhalten. Er stieß sich erneut nach oben und schwankte zu seinem Glas zurück. Er würgte wieder, trank aber dennoch daraus. Einige Flüssigkeit rann an seinen Wangen hinab, aber er kippte das Glas trotzdem über seinem Mund aus und nahm so viel auf, wie er konnte. Der zähe, weiße Absatz klebte an seinen Lippen und seinen Zähnen und schmeckte wie bitterer Staub. Als er es schaffte auf die Beine zu kommen, um wer-weiß-wohin zu stolpern, verdichteten sich die bunten Punkte. Er schwankte und fühlte sich schwach und haltlos. Blutiger Speichel lief aus seinem Mund und färbte den weißen Schaum der Tabletten rot. Er bemerkte nicht mehr, wie er zu Boden fiel und sich den Kopf am Tisch rammte.
 

Ein Rauschen war ringsum. In weiter Ferne, aber dennoch dröhnend. Wie ein Schwarm Fliegen, nur nicht ganz so hoch. Er starrte in ein grelles Licht, wie durch einen Tunnel. Erst nach endlosen Sekunden wurde ihm klar, dass es das Deckenlicht des Wohnzimmers war. Seine Glieder gehorchten ihm nicht. Aber er wollte sich auch nicht bewegen.

Er konnte sein rechtes Auge kaum öffnen, es war verklebt, aber er konnte sich nicht erinnern durch was. Er würgte wieder und drehte sich mühselig zur Seite. Noch einmal erbrach er sich. Keine Gedanken… Er versuchte jedes Bild zu verdrängen und es mit einem schwarzen Nichts zu ersetzen.

„H…Hilfe…“, raunte er schwach und unter Tränen. „Oh…Gott, Hilfe…“, er wusste nicht, ob er das wirklich gesagt hatte. Aber was änderte es schon? Er riss sich panisch sein Hemd auf. Das Atmen fiel ihm schwer.

„Ich will dass es aufhört …! Bitte…“

Nun war er sich sicher, dass sich seine Lippen nicht bewegt hatten. Seine Glieder waren so schwer, als wären sie festgebunden. Sein Kopf hämmerte mit einem dumpfen, steten Schmerz. Er nahm seine Umgebung nur noch verschwommen und verzerrt wahr.

„Ich will nicht sterben…“, er wollte es nicht, aber dieser Gedanke bemächtigte sich seiner. Wie lächerlich. Es änderte gar nichts.

Nur minder wurde ihm bewusst, dass er mit seinem Gesicht in seinem eigenen Erbrochenem lag, aber er hatte keine Kraft sich zu rühren. Resigniert schloss er das linke Auge, das einzige, das noch offen war, und ließ sich von dem Schwindelgefühl mitreißen.

Leere.
 

Schatten huschten über sein Gesicht. Stimmengewirr stieß an seine Halbtauben Ohren. Alles Schwankte. Der erste und eine zeitlang einzige Gedanke der sich in ihm manifestierte war der:

Ich lebe.

Weiße und gelbe Lichter strahlten in sein Bewusstsein. Er fühlte, wie er geschüttelt wurde. Kälte kroch in seine Glieder. Überall waren verzerrte Geräusche, ihm war so kalt, dass er zitterte. Sein Körper schien unter Strom zu stehen, alles kribbelte unangenehm.

Doch plötzlich wurde sein Kopf ganz leicht und wieder schwanden ihm die Sinne.
 

Als er erneut erwachte, spürte er einen Klumpen in seinem Magen. Ein lähmendes Gefühl der Schwäche legte sich auf ihm nieder. Seine Schläfen pulsierten unter lauten Schlägen. Es war schwer für Sebastian die Augen zu öffnen. Vor allem sein rechtes Auge brannte.

Verwirrt schaute er sich um.

Er lag auf einem weichen Untergrund, vermutlich einem Bett, vermutlich in einem Krankenhaus. Grelles Licht strahlte von links durch die Fenster. Verschwommen konnte er die Umrisse eines Menschen erkennen, die sich davor abzeichneten. Die Person trat näher an ihn heran und nun konnte er sehen, dass es seine Mutter war. Ihre Augen waren rot und verheult. Beinahe liebevoll, aber doch irgendwie ungeschickt, streichelte sie über seine Stirn.

Eine andere Person betrat den Raum. Er konnte hören, dass sie etwas sagte, aber er verstand den Sinn nicht. Langsam wandte er den Kopf zur Seite. Eine Ärztin stellte sich vor sein Bett und leuchtete mit einer kleinen Lampe in seine Augen. Das Licht schmerzte in seiner Helligkeit und Sebastian wurde plötzlich klar, dass jedes Licht im Moment wehtat. Schwach versuchte er sich ihr zu entziehen.

„Frau Zimmer könnte ich sie jetzt bitte in meinem Büro sprechen? Sie müssen noch einige Formulare ausfüllen… und außerdem…“, sie sah zu Sebastian, der ihren Blick als seltsam besorgt deutete. „… ist da noch etwas anderes.“, fügte sie gedämpft hinzu. „Es geht ihm soweit ganz gut, er ist ja jetzt wach.“, nun nahm ihre Stimme wieder einen professionelleren Ausdruck an.

Seine Mutter nickte, löste sich aber nur schwer von Sebastians Seite. „Ich komme gleich wieder, mein Liebling….“, hauchte sie ihm zu. Dann verließ sie den Raum und ließ ihn allein mit seinen Gedanken zurück.
 

Auf dem Flur, nicht weit vom Büro der Doktorin, an dessen Namen sich Ingrid nicht erinnerte, sah sie den brünetten Knaben, mit dem sie geschlagene 26 Stunden verbracht hatte. Er war die ganze Zeit bei Sebastian gewesen, hatte sich nicht einmal von den Pflegern rauswerfen lassen, als die Besuchszeit bereits beendet war. Aber selbst, wenn besagte Doktorin keine „Ausnahme“ gemacht hätte, wäre er wohl nicht gegangen. Wenn er stirbt, will ich nicht zu Hause gewesen sein! Schlafen kann ich da doch sowieso nicht!, hatte er sich energisch verteidigt. Schließlich hatten sie seine und auch Ingrids Anwesenheit stillschweigend akzeptiert. Sie waren total unterbesetzt und hatten wohl keine Ausdauer mehr, um sich um solch ein – doch eher belangloseres – Problem zu kümmern. Ingrid wunderte sich sehr über ihn. Sie hatte viel geweint, denn anfangs sah es wirklich nicht gut aus, aber er saß nur da und starrte Löcher in die Luft. Zwar fiel ihr auf, dass auch er häufig mit den Tränen rang, aber er kämpfte sie immer wieder erbittert nieder, so als würde sein Leben davon abhängen. Sehr merkwürdig.

Und immer wieder fragte sie sich, was sie nur falsch gemacht hatte. Es drang ihr nur minder ins Bewusstsein, dass sie den Menschen, der ihm vermutlich am meisten bedeutet haben musste, nicht einmal kannte, keinen Nachnamen oder sonst irgendetwas.

Ich weiß ja nicht einmal mehr wer mein Sohn eigentlich ist, hatte sie gedacht, aber dieses, wie so vieles andere, immer wieder beiseite geschoben.

Nun ging sie langsam zu dem Jungen, der sie irgendwie ignorierte, nachdem sie ihn angerufen, und einige Details erklärt hatte. Die Nummer hatte sie in Sebastians Portemonnaie gefunden, als sie seine Krankenkarte heraussuchte. Sie stand separat auf einem Zettel, zwischen dem Bibliotheksausweis und eben dieser Karte, nur mit dem vermerk: Markus. Sie wusste selbst nicht so genau, warum sie ihn anrief, sie wollte wohl einfach nicht allein sein. Bernd hatte Sebastian zwar gefunden und er hatte sogar einen Krankenwagen gerufen, aber er war bereits verschwunden, als sie eintrafen. Er hatte die Tür eingetreten, weil er wohl glaubte, sie sei drinnen und wollte nur nicht mit ihm sprechen. Als Ingrid jedoch nach Hause kam, rollten sie ihren Sohn auf einer Trage in einen Krankenwagen. Noch Stundenlang war sie kreidebleich und kaum ansprechbar!

Markus bemerkte sie erst sehr spät. Er sah elend und übermüdet aus, er hatte sich einen Kaffe am Automaten geholt und starrte, den Plastikbecher umklammert, aus einem Fenster. Sie wagte es zögernd, ihm eine Hand auf sine Schulter zu legen.

„Er ist jetzt wach…“, hatte sie kaum hörbar geflüstert. „Ich muss… aber noch was ausfüllen…“, ergänzte sie noch, er ging jedoch sofort in Richtung Krankenzimmer, ohne ihr weiterhin zuzuhören.
 

Obwohl Markus sofort losgestürmt war, blieb er vor dem Zimmer stehen. Er zögerte fast eine geschlagene Minute, ehe er die Tür öffnete und langsam zu seinem blonden Freund ans Bett trat. Er scheint immer noch zu schlafen, stellte er enttäuscht fest. Sein Gesicht sah schrecklich aus, trotz der geschlossenen Augen, konnte er die Nachtschwarzen Augenringe erkennen. Er hatte eine Platzwunde am Kopf, die mit wenigen Stichen genäht wurde, aber das war nicht das grausigste an seiner Erscheinung. Alles in allem wirkte er… ausgemergelt. Sicherlich hatten sie seinen Magen ausgepumpt, aber das schien nicht der einzige Grund zu sein. Irgendwie wirkte er auf Markus wie tot, oder zumindest fast tot. Nun, dass war er ja auch. Eine Welle brach über ihn herein, angefüllt mit den unterschiedlichsten Gefühlen; Trauer, Liebe, Dankbarkeit, Hass, Hilflosigkeit, und… sengender Wut. Er ließ sich auf einem Stuhl neben dem Bett sinken und legte den Kopf an die Bettseite, ohne ihn dabei zu berühren und damit zu wecken. Er brauchte diesmal unglaublich viel Willenskraft um nicht zu weinen. Er war so müde. Fast wäre er eingeschlafen, als Sebastian sich plötzlich rührte und Markus schwach ansah. Dieser starrte zurück, eine seltsame Härte mischte sich in seinen Blick. Sie sahen sich eine ganze Weile an, bis Markus fähig war, etwas zu sagen.

„Ich… Ich hasse dich!“, Markus spukte ihm die Worte förmlich entgegen. Schon im selben Augenblick wurde ihm klar, dass es das denkbar schlechteste war, was er sagen konnte. Beschissener Egoist!, schoss es Markus durch den Kopf. Er fixierte seinen Freund wütend, dann drehte er sich um und ging schnellen Schrittes zur Tür.

„Ich… kann dir… nicht nachlaufen…“, raunte Sebastian schwach. „ …also geh bitte nicht weg…“

Markus blieb abrupt an der Tür stehen, hielt sich jedoch unterstützend am Rahmen fest. Verzweifelt versuchte er sich zu beruhigen, schaute an die Decke, blinzelte, um die Tränen zu unterdrücken. Sie liefen trotzdem.

„Mark… bitte.“, hauchte Sebastian.

Markus wischte sich über seine Augen und drehte sich langsam um. Nur um haltlos mit dem Rücken an der Tür gelehnt zu Boden zu sinken. Er presste beide Hände über den Mund, um nicht zu schluchzen.

„Wieso machst du das nur?“, hauchte er aufgelöst. Sebastian sah ihn nur an, aber erwiderte nichts.

Schließlich erhob sich Markus und stürmte hastig raus.
 


 

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Anm.: Sorry für die Verspätung... es geht aber wirklich sehr bald weiter. ^^



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Misuzu
2008-02-28T14:31:47+00:00 28.02.2008 15:31
*schnief*
oh man ... wie traurig >.<
ich könnt grad echt losheulen!
is das gemein >.<
armer Sebstian *ihn in den Arm nehm*

los! schrieb schnell weiter... , damit der Arme ncih so lange leiden muss

lg
misu ♥


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