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Strange Relationship

From a different point of view
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Das grüne Tagebuch

Alex betrat das stille Zimmer seines Bruders. Es war chaotisch, wie immer, aber auf dem Bett lagen drei Bücher der Reihe nach in verschiedenen Farben. Sie waren für ihn bestimmt, sonst hätte Chris sie nicht so da liegen gelassen. Das blaue und das rote Tagebuch kannte er schon. Oder zumindest wusste er ungefähr, was drinstand. In dem Blauen würde er die grausamen Details der Taten seines Vaters und seines Onkels erfahren und einige weitere traumatische Ereignisse aus Chris´ Kindheit. Er wusste jetzt schon, dass die Lektüre dieses Tagebuchs ihn verbittert, deprimiert und wütend auf sich selbst zurücklassen würde. In dem roten Buch dagegen befanden sich die guten Erlebnisse, wie zum Beispiel Chris´ erste richtige Beziehung, ausgerechnet zu Alex´ damaligem besten Kumpel Raphael, und möglicherweise einige Episoden aus der Sicht von Romain, sowie weitere Bettgeschichten. Das würde er definitiv niemals intensiv lesen. So sehr es ihn auch interessierte, was sein Bruder sich damals bei alledem gedacht hatte; das war einfach zu intim. Sicher, sie waren Brüder und auch Geliebte, aber soviel musste er nicht wissen... Nein, was ihn momentan am meisten anzog war dieses mysteriöse grüne Tagebuch, unter dem er sich absolut nichts vorstellen konnte. Er schlug die erste Seite auf und direkt sprang ihm sein eigener Name ins Auge. Chris hatte ihm eine Botschaft hinterlassen:

Dieses Buch ist nur für dich gedacht, Alex, mein geliebter Bruder. Als ich von zu Hause wegging fing ich an, meine Erlebnisse aufzuschreiben, damit ich dir nachher davon erzählen konnte. Na ja, es kam nie wirklich dazu und dieses Buch wurde zu einer Art Selbsttherapie. Leider war ich schon immer ziemlich nachlässig, deshalb steht hier noch längst nicht alles drin. Ich hoffe, wenn du meine Bücher liest, wirst du mich trotzdem besser verstehen. Möglicherweise ist das Meiste hierdrin sowieso uninteressant für dich und im Nachhinein auch für mich aber ich hab es alles aufgeschrieben, damit die Seiten voll werden und damit es nicht so aussieht als ob mein Leben leer und langweilig war, denn das war es nicht. Es war alles in allem eine Mischung aus Vergangenheitstrauma, Zukunftsangst und Verzweiflung im Hier und Jetzt. Und hunderte gescheitere Beziehungen und Dummheiten meinerseits, die den Weg säumen. Aber das weißt du ja... Jedenfalls wünsche ich dir viel Erfolg beim Lesen meiner verworrenen, kranken Gedanken, die sich ehrlich gesagt auch öfters mal um dich drehen. Bis dann. In Liebe, Chris.

Alex sah von der handgeschriebenen Seite auf. Chris hatte das also für ihn geschrieben. Aber warum hatte er nie davon erzählt? Und wenn er es für Blödsinn hielt, warum hatte er es hierhin gelegt? Vielleicht wollte er seinem Bruder nichts mehr verschweigen. Er blätterte ein bisschen in dem Buch. Die Einträge waren anscheinend ziemlich durcheinander. Die meisten hatten kein Datum und die, die eins hatten waren absolut nicht geordnet. Chris hatte wohl jedes Mal einfach so eine Seite aufgeschlagen und angefangen zu schreiben. Außerdem konnte man am Schriftbild erkennen, in welchem Zustand er gewesen sein musste als er das schrieb. Einige Seiten waren in gleichmäßiger Schönschrift mit Tinte beschriftet, andere vollgekrakelt mit kaum lesbaren Kuli-Hieroglyphen. Es gab auch Zeichnungen, die meistens im Text versteckt waren. Sie waren mehr oder weniger gut. Mit ein bisschen Übung hätte Chris vielleicht ein so guter Zeichner wie Rico werden können. Ach ja, Rico... Gerade als Alex wehmütig an seinen Freund dachte, las er seinen Namen auf einer der ordentlicheren Seiten.
 

Ich kann es nicht fassen! Heute habe ich doch tatsächlich endlich meinen Bruder wiedergesehen und wir haben uns nicht gestritten. Vielleicht lag das an seinem Bekannten, Freund oder was auch immer, den er dabei hatte. Sein Name ist Rico. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht sein richtiger Name ist, aber es passt absolut zu ihm. Rico ist ein mittelgroßer, verdammt gut aussehender Halb-Spanier, der offensichtlich ein Herz aus Gold hat und das auch ausgiebig einsetzt. Er hat Alex erstmal überredet, sich überhaupt mit mir zu treffen und ist dann auch noch mit ihm gefahren, weil er allein nicht zu mir kommen wollte. Wie cool ist das denn?! Es ist komisch: Seit ich diesem Mann begegnet bin, muss ich andauernd an ihn denken, obwohl wir uns nur kurz unterhalten haben. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder... Ich wüsste zu gern, was hinter diesem todtraurigen Ausdruck in seinen Augen steckt. Seine Augen sind übrigens wunderschön. Sie haben sich in meinen Gedanken festgesetzt, kommen mir immer wieder in den Sinn und rauben mir den Schlaf. Was ist das bloß? Normalerweise glaube ich ja nicht an die Liebe auf den ersten...

An dieser Stelle riss der Tagebucheintrag ab und ging auch auf der nächsten Seite nicht weiter. Alex suchte das ganze Buch nach einer Seite ab, die mit dem Wort „Blick“ begann, während seine Gedanken rasten. Chris hatte sich doch nicht etwa wirklich auf den ersten Blick in Rico verliebt? Er war doch nach ihrer ersten Begegnung noch mit Kelly zusammen gewesen und mit diesem Mistkerl, den er für seine große Liebe gehalten hatte. Bestimmt hatte es da auch noch Andere gegeben, aber das waren die Einzigen, von denen er wusste. Das würde ja bedeuten, dass er Kelly nur ausgenutzt hatte, um an Rico ranzukommen. Nein, das konnte nicht sein. So war Chris nie gewesen. Wenn er es vermeiden konnte, hätte er nie mit den Gefühlen anderer Leute gespielt. Aber das würde bestimmt alles irgendwo in diesem Tagebuch stehen. Er fand die Fortsetzung des ersten Eintrags nicht. Anscheinend waren einige Seiten rausgerissen worden. Aber er stolperte über einen Text, der von Chris´ erster Begegnung mit Kelly handelte.
 

... weiß auch nicht, wie ich sie beschreiben soll. Kelly June ist einfach... mitreißend. Sie ist einer der emotionalsten Menschen, die ich kenne und wenn diese ganzen Emotionen erstmal rauskommen kann man gar nicht anders: Man muss mit ihr lachen oder weinen oder ausrasten. Wenn sie gut gelaunt ist, springt sie in der Gegend rum und bringt alle Leute zum Lachen; am liebsten indem sie sich selber lächerlich macht. Sie ist ein totaler Scherzkeks. Aber wenn sie schlecht gelaunt ist, schließt sie sich anscheinend in ihrem Zimmer ein und spricht den ganzen Tag kein Wort. Sie erinnert mich ein bisschen an mich selbst. Sie hat auch Narben auf der Seele... Im Gegensatz zu den meisten Menschen versucht sie gar nicht so verzweifelt, die zu verstecken. Ich glaube das tut sie, damit ihre Mitmenschen wissen, wo sie dran sind. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie noch viel mehr erlebt hat als sie sagt. Sie stand immer außen vor und wurde verachtet. Kein Wunder, dass sie so geworden ist. Kelly vertraut keinem so ganz. Sie behält immer noch die halbe Wahrheit für sich damit sie nicht so ausgeliefert ist. Es ist ihr bestimmt oft passiert, dass sie jemand vertraut hat und dann enttäuscht wurde. Das hat Rico mir so halbwegs erzählt, als er mich vor ihr „gewarnt“ hat. Anscheinend ist ihm aufgefallen, wie gut wir uns direkt verstanden haben. Und anscheinend ist er auch der Einzige, dem Kelly fast komplett vertraut. Das kann ich verstehen. Ich vertraue ihm ja auch, obwohl ich ihn kaum kenne. Ich würde ihm sogar von meiner Kindheit erzählen, wenn er mich danach fragen würde...

Wie es aussah hatte Chris Kelly direkt durchschaut und verstanden gehabt. Alex erinnerte sich, wie lange er dafür gebraucht hatte. Auch als er sie schon ein Jahr lang kannte war er immer noch nicht in der Lage mit allen ihren Launen umzugehen. Chris dagegen musste ihr nur ins Gesicht sehen und wusste direkt, wie er mit ihr reden musste. Zwischen den Beiden stimmte einfach die Chemie. Und jetzt verstand er auch, warum das so gewesen war. Sie waren sich unglaublich ähnlich gewesen. Sie mussten nicht miteinander sprechen, um sich zu verstehen. Außerdem waren sie beide in den Augen der Gesellschaft nicht normal und kaum jemand schaffte es, sie zu akzeptieren, wie sie waren. Aber sie akzeptierten sich gegenseitig und das brachte sie schließlich zusammen. So hatte es nach außen hin jedenfalls ausgesehen. Aber trotzdem wäre das mit den Beiden nie gut gegangen. Alex stellte sich mit Schrecken vor, was passiert wäre, wenn sie sich mal gestritten hätten. Wahrscheinlich hätten sie sich im Affekt gegenseitig getötet. Oder Selbstmord begangen. Oder sie hätten sich wieder versöhnt und trotzdem wäre es nie wieder so geworden wie vorher. Denn Kelly und Chris waren zwei Menschen, die nie ganz vergeben und vergessen konnten. Irgendwann wäre es ihnen gegangen wie Rico und die ganzen negativen Gefühle wären wieder rausgekommen. Und dann wäre zwischen den Beiden der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Im Endeffekt waren sie dann doch zu gleich und zu stur füreinander gewesen. Alex erinnerte sich aber auch mit Verwunderung an den Tag als Chris mit Kelly Schluss gemacht hatte. Er hatte sie angerufen und ihr alles logisch und ehrlich dargelegt. Und sie war nicht ausgetickt oder in Tränen ausgebrochen. Sie war ruhig geblieben und hatte ihn voll und ganz verstanden. An diesem Tag wurden sie beide ihren Rollen nicht gerecht und das war wahrscheinlich der Grund dafür, warum sie dennoch gute Freunde geblieben waren. Das war nicht unbedingt logisch und wohl auch nicht grade normal aber es war typisch für die Beiden. Doch wenn sie länger zusammen gewesen wären, wäre möglicherweise alles ganz anders gekommen. Es hätte vielleicht zum selben Ende geführt aber der Weg dahin wäre ein anderer gewesen. Als er diesen Gedanken gedacht hatte blieb Alex an einer Seite hängen, die ihn interessierte.
 

Jetzt bin ich doch tatsächlich mit Rico zusammen. Es ist als wäre ein Wunder geschehen. Schon vor langer Zeit hat er mein Herz erobert, aber ich habe versucht dieses Gefühl zu verdrängen, weil ich mir sowieso keine Chancen bei ihm ausrechnete und dann... Dann steht er auf einmal da und rettet mir das Leben als ob es selbstverständlich wäre. Er hat mich körperlich gerettet, indem er mich aus diesem Verließ befreite und er hat mich seelisch gerettet, indem er mich nicht wegschickte oder zurückließ. Nein, er nahm mich mit und kümmerte sich um mich. Auch nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt hatte schickte er mich nicht weg. Und dieses Gefühl, das ich versucht hatte zu vergessen, war auf einmal wieder da und wurde immer stärker. Und eigentlich wollte ich mit meinen Annäherungsversuchen nur ausprobieren was er von der ganzen Sache hält. Es hätte mir schon gereicht, wenn er Sex mit mir gehabt hätte. Von ihm hätte ich mich gerne ausnutzen gelassen, nur um bei ihm zu sein. Aber er erwidert das alles sogar und dann sagt er mir einfach so, dass er mich liebt und es ist auch noch die Wahrheit. Ich glaube, er weiß gar nicht, dass er mich zum glücklichsten Menschen auf der Welt macht. Ich war schon überglücklich ihn nur als normalen Freund zu haben und wunderte mich, dass sich ein so toller Mensch wie er überhaupt mit einem wie mir abgibt. Und jetzt liebt er mich sogar. Ich bin so von Glück erfüllt, dass ich es gar nicht in Worte fassen kann. Es fühlt sich an, als ob das alles so sein sollte; als ob es vorherbestimmt gewesen wäre. Ich will, dass er mich ewig in seinen Armen hält und mich küsst. Ich will ewig bei ihm sein... Endlich weiß ich wie es sich anfühlt: Ich bin mit jemand zusammen und trotzdem bin ich frei. Das muss es sein. Das muss die wahre Liebe sein, nach der ich so verzweifelt gesucht habe.

Alex konnte nicht weiterlesen. Diese Zeilen trieben ihm die Tränen in die Augen, die er an diesem Tag wohl noch öfters brauchen würde. Aufgewühlt und todtraurig stand er auf, verließ das stille Zimmer wieder und machte sich auf den Weg zur Beerdigung...
 

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Das war also das letzte Kapitel meiner Lieblings-FF. Nach fast einem Jahr Schreibarbeit bin ich jetzt fertig. Das ist ein komisches Gefühl... So müssen sich Mütter fühlen, wenn ihre Kinder ausziehen XD



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  feuerregen
2008-07-02T14:42:49+00:00 02.07.2008 16:42
das ende... *schnief*
es wirkt so, als wären rico und chris zusammen gestorben, liege ich richtig?
*hoff hoff*
das wäre schöööön! ^^
*ignoriert die tatsache, dass alex allein zurückbleibt*
*liebt tragische tode*

so....
das war jetzt sehr konstruktiv! <.<
ich bin auf jeden fall gespannt auf das hauptprojekt!
würdest du mir eine ens schicken, wenn du es hochlädst?
ich krieg das sonst nicht mit! ^^"

lg, feuerregen


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