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Strange Relationship

From a different point of view
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Road Trip: Leg 8 – Last but not least

Sie fühlten sich alle ziemlich komisch, als sie wieder erwachten. Keiner von ihnen wusste so genau, wie er mit der Situation umgehen sollte. „Ihr wollt sicher wissen, wieso...“, meinte Rico, nachdem sie eine Weile nur rumgesessen hatten. Die beiden Anderen murmelten zustimmend und sahen in verschiedene Ecken des Zimmers. „Die Leute, die ich umgebracht hab“, begann Rico unsicher „Sie waren böse Menschen. Eigentlich hätten sie was viel Schlimmeres verdient... aber das hab ich irgendwie nicht gebracht. Sie zu erschießen war schon schlimm genug...“ Er sah seine Freunde, die ihn sprachlos musterten, nicht an. „Wer waren die Menschen? Warum hast du sie erschossen?“, fragte Alex schließlich. „Na ja, die drei Letzten sollten euch bekannt sein. Ich... ich hab mich an ihnen gerächt, für das was sie Chris angetan haben... Und die drei Anderen: Einer von denen hat mir das hier verpasst“, antwortete er, hielt kurz inne und strich über die Brandnarbe am Schlüsselbein, dann fuhr er fort, „Er hat außerdem meiner Familie und mir so einiges angetan. Der Zweite hat reihenweise Frauen vergewaltigt, unter Anderem meine damalige Freundin, die sich kurz danach von einer Brücke in den Rhein gestürzt hat. Er kam ins Gefängnis, wurde aber aus irgendeinem Grund wieder freigelassen... Und der Dritte war ein sehr brutaler Lehrer. Er hat die Schüler verprügelt bis sie nicht mehr konnten und vor ihm auf dem Boden um Gnade gefleht haben. Er wurde von der Schulbehörde geschützt, von wegen schwere Kindheit, drogenabhängige Mutter und so. Kann ja alles sein, trotzdem sollte man den Kerl nicht mehr auf unschuldige Kinder loslassen... Und dann hab ich mit eurem Onkel weitergemacht. Was der getan hat ist uns Allen bekannt. Und die zwei Kerle aus Prag hatten es auch nicht besser verdient. Ich hab sie umgebracht, den Safe aufgemacht und dann hab ich das Geld an die armen Jungs verteilt, die da in den Zimmern eingesperrt waren und sie nach Hause zu ihren Eltern geschickt... Wenn sie mich kriegen... Ihr wisst von nichts, okay?“ Besorgt sah er von einem zum anderen. „Rico... Das hört sich vielleicht blöd an, aber warum fängst du erst jetzt damit an? Warum hast du die ganzen Kerle nicht schon früher erschossen?“, fragte Chris verwirrt. „Der Killer steckt in jedem von uns. Meiner kam raus als ich erfahren hab, dass ich sowieso sterbe. Ich hab ja nichts mehr zu verlieren und muss auch nicht mehr so lange mit meinem Gewissen leben. Es war die perfekte Gelegenheit mal auf der Welt ein bisschen aufzuräumen. Wenn ich es nicht gemacht hätte, wäre früher oder später jemand anders gekommen, der sich dadurch wahrscheinlich in riesige Schwierigkeiten gebracht hätte. Ich wollte bloß Gerechtigkeit... Hasst ihr mich jetzt? Ich könnt´s verstehen“, sagte Rico und sah sie ängstlich an. „Ich hab dir doch schonmal gesagt, dass wir dich lieben, egal was du getan hast. Und ich für meinen Teil kann das alles voll und ganz nachvollziehen... und ich möchte dir dafür danken, dass du dich für mich gerächt hast“, meinte Chris ernst. „Ja, ich kann es auch verstehen. Es ist ja nicht so, dass du durch die Gegend läufst und wahllos Leute abknallst. Du erschießt nur die, die es verdient haben. Obwohl man natürlich daran zweifeln könnte, ob erschießen der richtige Weg ist“, sagte Alex. „Na ja, vielleicht nicht so ganz der Richtige. Aber die Polizei und so hat ja nichts gemacht, da musste ich das selbst in die Hand nehmen. Irgendwer muss doch so Leute beseitigen“ Alex grinste belustigt. „Nein, Mann. Das hab ich doch gar nicht gemeint“, sagte er, „Ich meine nur, du hättest dir da nicht selbst die Hände dreckig machen müssen und dich in Gefahr bringen. Wofür gibt es schließlich sowas wie Auftragskiller?“ Jetzt musste auch Rico wieder lachen. „Nein, Auftragskiller kann ich mir nicht leisten. Außerdem ist es doch so: Wenn man will, dass was erledigt wird, macht man es am Besten selbst. Und so konnte ich ihnen wenigstens noch persönlich die Meinung sagen, bevor sie gestorben sind“, meinte er und lehnte sich wieder zurück. Er war froh, dass die Sache geklärt war. „Sag mal, nur so aus Interesse, werden es noch mehr? Hast du so eine Art Todesliste?“, fragte Chris neugierig. Er kam sich vor wie in einem Film. Rico zögerte einen Moment. „Ja, so eine hab ich tatsächlich. Aber keiner darf sie sehen und ihr solltet mir auch keine Fragen mehr zu dem Thema stellen. Sonst werdet ihr zu sehr mit reingezogen. Ihr wisst jetzt alles, was ihr wissen müsst“, sagte er in endgültigem Ton. Sie gaben sich tatsächlich mit seiner Antwort zufrieden.
 

Kurze Zeit später waren die Straßen soweit geräumt, dass sie weiterfahren konnten. Sie hielten sich wieder westwärts und erreichten bald die Grenze zu Deutschland. Ihr Ziel war Nordfrankreich und die Atlantikküste, also durchquerten sie das Land ziemlich schnell. In Luxembourg legten sie einen sehr nötigen Tankstopp ein und hielten gegen Mitternacht kurz hinter der französischen Grenze an. Es war unmöglich zu dieser Uhrzeit noch einen überdachten Schlafplatz zu finden und so mussten sie zum ersten Mal auf ihrer Reise gezwungenermaßen im Auto übernachten. Sie waren so müde, dass ihnen das nicht wirklich etwas ausmachte. Schon nach wenigen Stunden weckte der vorbei rauschende Verkehr der Autobahn sie. Zum ersten Mal seit Tagen schien die Sonne warm auf sie herab, was Wunder auf ihre Stimmung wirkte. Sie machten sich (halbwegs in Eile) auf den Weg, denn sie wollten am liebsten noch an diesem Tag den Atlantik erreichen. Und tatsächlich kam nach einer ziemlich ereignislosen Tagesfahrt das Meer in Sicht. Sobald sie ein Hotel gefunden und alles geregelt hatten, gingen sie an den Strand. Vor allem Rico war sehr ausgelassen, kletterte gut gelaunt auf einen Felsen in der Brandung und stand so lange dort, bis er komplett nass war. „Rico und Wasser; das ist echt eine Freundschaft für´s Leben“, meinte Chris, der seinerseits immer noch Angst vor dem Meer hatte. „Was soll man auch anderes erwarten? Er hat schließlich sein Leben am Wasser verbracht“, sagte sein Bruder. Er hatte Recht: Rico war am Mittelmeer geboren, hatte acht Jahre lang dort gelebt und den Rest seiner Kindheit in Köln verbracht, das zwar nicht am Meer aber am Rhein liegt. Danach hatte er eine Zeit lang wieder in Spanien gelebt und jetzt wohnte er in Südfrankreich auch in einer Stadt am Meer. Einmal hatte er Alex im betrunkenen Zustand erzählt, er hätte gerne eine Seebestattung. Wenn man so darüber nachdachte konnte er das durchaus ernst gemeint haben. Zum ersten Mal seit längerer Zeit wurde Alex wieder schmerzhaft bewusst, dass diese Angelegenheit in der nahen Zukunft lag. Wenn man Rico so sah konnte man kaum glauben, dass er ein sterbender Mann war. Am Anfang ihrer Reise hatte er sehr krank ausgesehen aber nach und nach war es ihm besser gegangen. Er war zwar immer noch schrecklich dünn aber das konnte ja genauso gut an seiner Drogenabhängigkeit liegen, die schließlich Anfang und Ende dieses ganzen Leids darstellte. Vielleicht war er auch gar nicht krank; vielleicht hatten die Ärzte einen Fehler gemacht. Oder möglicherweise war nicht sein Körper sondern seine Psyche der Grund für das alles. Alex versuchte sich nicht in diese verzweifelten Hoffnungen reinzusteigern. Und er versuchte sich selbst davon abzuhalten, seinem Bruder von diesen Gedanken zu erzählen, denn für den hätte das schreckliche Folgen. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als eine klatschnasse Hand in sein T-Shirt fuhr und ein grinsender Rico interessiert beobachtete, wie er überrascht aufschrie und einen Satz nach vorne machte. „Was ist los mit dir? Du schläfst ja im Stehen“, meinte der Ältere und strahlte ihn an. Alex gab nur irgendein verwirrtes Gemurmel von sich, sehr zu seiner Belustigung. „Wie wär´s, wenn wir schwimmen gehen? Wir sollten natürlich vorher unsere Sachen holen sonst müssen wir klatschnass durch die Stadt laufen“, fuhr er fort und seine Freunde stimmten ihm zu. Es war möglicherweise noch etwas zu kalt zum Schwimmen, aber Rico und Alex waren ziemlich abgehärtet, was das betraf. „Geht ihr allein schwimmen. Ich guck mir in der Zwischenzeit die Stadt an“, meinte Chris, als sie im Hotelzimmer standen. „Vergiss es. Du wirst jetzt endlich schwimmen lernen. Das hätten wir dir schon viel früher beibringen sollen“, entgegnete sein Freund. Alle Proteste waren zwecklos und so gingen sie wieder zum Strand. Sie ließen Chris noch eine Zeit lang in Ruhe, damit er sich mental vorbereiten konnte. Als der Jüngste so da saß und ihnen beim Schwimmen zusah wurde ihm bewusst, dass er gar nicht mehr so viel Angst hatte. In der Gegenwart der Beiden verlor er aus irgendeinem Grund immer seine Ängste und konnte gegen seine Feigheit ankämpfen. Er war in der Lage gewesen auf den Eiffel-Turm zu steigen, trotz seiner angeborenen Höhenangst. Und er war wieder in das Haus in Prag gegangen, obwohl ihm allein der Gedanke daran vorher schon Panik verursacht hatte. Vielleicht konnte er jetzt sogar schwimmen lernen. Aber seine Angst vor dem Meer ging noch tiefer. Es war ein fest verankertes Kindheitstrauma, das ihn normalerweise immer zur Flucht trieb, wenn er vor tiefem Wasser stand. Im Alter von vier Jahren war er am Mittelmeer in Urlaub gewesen. Das Ferienhaus lag direkt am Strand und wenn Flut war kam das Wasser bis unter die Terrasse. Chris hatte sich mal wieder mit seinem Vater angelegt und wollte vor seinen Schlägen flüchten. Es regnete in Strömen und der Wasserspiegel war derart angestiegen, dass Meer und Terrasse nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Der Junge rannte nach draußen und sprang voller Panik ohne zu überlegen in die grünen Fluten. Er versank aufgrund seiner Klamotten und weil er sich vor lauter Kälte nicht bewegen konnte. Der Sturm hatte haufenweise Sachen angespült und er verhedderte sich in irgendetwas, sodass er unter Wasser gehalten wurde. //Wasser rauscht in meinem Kopf und um mich herum. Ich sehe nichts; es ist dunkel. Über mir ein kleiner Lichtfleck; der Himmel. Ich muss atmen. Ich brauche Luft. Aber etwas hält mich fest. Egal wie ich mich wehre, es hält mich fest. Es wird immer dunkler und leuchtende Punkte tanzen vor meinen Augen. Gibt es unter Wasser Glühwürmchen? Egal, ich muss hier raus. Ich muss endlich hier raus. Ich lasse mich auch freiwillig schlagen, ich will bloß wieder hier raus. Bitte, ich will nicht ertrinken!// Wenn sein Bruder ihn nicht rausgeholt hätte, wäre Chris an diesem Tag gestorben. Vielleicht wäre das besser gewesen. Aber Alex hätte ihn niemals sterben gelassen; er hatte sich sogar selbst in Gefahr gebracht, um den Kleinen zu retten und war ihm nachgesprungen, in das stürmische Meer hinein. Zum Glück war er damals schon ein guter Schwimmer gewesen und konnte ihn befreien. Seitdem hatte Chris panische Angst vor dem offenen Meer und vor jeder Form von Wasser, das tiefer als einen Meter war. Aber es hatte sich immerhin gebessert. Damals, an seinem ersten Abend bei Rico war er freiwillig und fast ohne Angst auf diesen Felsen gestiegen und hatte die Beine über dem Meer baumeln gelassen. Aber an Neujahr hatte sich die Szene aus seiner Kindheit fast detailgetreu wiederholt. Es fiel ihm erst jetzt auf, als er drüber nachdachte. Es war genauso abgelaufen: Aus Angst vor einem größeren Übel war er blindlings ins Meer gesprungen und Alex hatte ihn rausgezogen. Also musste er ja theoretisch keine Angst vor dem Wasser haben, wenn sein Bruder dabei war. Und Rico war ja auch noch da. Seine Gedanken wurden genau im richtigen Moment unterbrochen als eine Hand vor seinem Gesicht herumwedelte und jemand seinen Namen rief. „Kommst du mit?... Oder hast du zu viel Angst?... Du musst nicht, wenn du nicht willst“, meinte Alex, der vor ihm hockte und ihm in die Augen sah. „Doch, ich will aber. Es wird Zeit, dass ich es überwinde. Und wenn ihr da seid, hab ich keine Angst“, antwortete sein kleiner Bruder strahlend. „Wir versprechen dir, dass wir dich nicht enttäuschen... oder quälen... oder untertauchen“, sagte Rico grinsend. Und er hielt sein Versprechen auch. Chris musste zugeben, dass schwimmen lernen mehr Spaß machte als er geglaubt hatte. Zuerst hatte er sich noch wie verrückt an Rico geklammert aber nach und nach wurde es besser. Trotzdem war er ein hoffnungsloser Fall. Nachdem sie ihn zum tausendsten Mal hochgezogen hatten beschlossen sie einstimmig, es aufzugeben; zumindest für diesen Tag. Der Abend dämmerte schon und sie froren bis auf die Knochen, als sie im Hotel ankamen. Chris und Rico teilten sich ein Zimmer. Sie gingen zusammen duschen und fielen danach praktisch sofort ins Bett. Rico war so todmüde, dass er augenblicklich einschlief. Sein Freund beobachtete ihn eine Zeit lang. Er sah im Schlaf unglaublich friedlich aus, als ob keine einzige Sorge seine Seele quälte. Ein kleines zufriedenes Lächeln lag auf seinem Gesicht; offensichtlich hatte er gerade einen schönen Traum. Chris fiel auf, dass er gar nicht mehr so schlimm aussah wie am Anfang ihrer Reise. Man konnte nicht leugnen, dass er älter geworden war aber die Spuren der Krankheit waren nicht mehr so gravierend. Sein Körper hatte anscheinend ein bisschen von seiner alten Kraft wiedergefunden, genauso wie seine Seele. Tatsächlich ging es ziemlich bergauf mit ihm, seit er in Prag diesen Zusammenbruch erlitten hatte. Seitdem war seine Seele wieder befreiter und er musste nicht mehr die ganze Zeit so kämpfen, damit niemand seine Schwäche bemerkte. Das war alles Alex´ Verdienst; ohne ihn wäre Rico vielleicht längst komplett an seiner Verzweiflung zerbrochen. Chris machte sich immer noch Vorwürfe, dass er seine psychischen Probleme nie bemerkt hatte. Er hatte geglaubt, die ganzen Veränderungen hätten etwas mit seiner Krankheit zu tun. Vielleicht lag es auch daran, dass er Rico gar nicht so gut kannte. Er vertraute ihm blind und liebte ihn von ganzem Herzen. Schon als sie sich zum ersten Mal begegnet waren konnte er ihn einfach nicht mehr vergessen. Aber was wusste er wirklich über ihn? Seine Vergangenheit war ein großes Mysterium, in dem Chris nie so ganz durchgeblickt hatte, wahrscheinlich weil er sich nie getraut hatte, ihn danach zu fragen. Alex hatte mal erwähnt, dass vor allem seine Kindheit Rico´s Schwachpunkt war und Chris wollte nicht, dass er sich daran erinnerte, nur weil er neugierig war. Das eine Mal wo er ihn gefragt hatte, war zu keinem guten Ende gekommen. Ein weiteres Rätsel waren seine genauen Familienverhältnisse. Zum Beispiel Kelly June: Sie war mit ihm verwandt und gleichzeitig war sie seine Adoptivtochter. Dann gab es da noch einen Jungen namens Paddy, zu dem Rico anscheinend auch ein sehr inniges Verhältnis hatte. Ob er nun ein Verwandter, ein Kindheitsfreund oder ein weiterer Geliebter war, konnte Chris nicht so genau sagen. Außerdem hatte Rico mal eine Zwillingsschwester gehabt. Ihr Name war Lucia und sie war sehr früh gestorben. Das war aber auch alles, was Chris über sie wusste. Er würde ihn niemals fragen... Andererseits wollte er endlich etwas über ihn wissen. Er beschloss, einfach Alex zu fragen, der würde ihm bestimmt alles erzählen. Was ihn eigentlich am brennendsten interessierte war der Ursprung dieser ganzen Narben. Als er Rico kennen lernte, hatte er die meisten davon noch nicht, zumindest die auf dem Rücken, die aussahen als ob sie von einer Peitsche stammten. Die seltsame Verbrennung am Schlüsselbein war damals schon da gewesen und hatte ihm Rätsel aufgegeben. Er war sich ziemlich sicher, dass etwas absolut grausames dahintersteckte. Hinter Rico´s Depressionen steckten bestimmt auch viel mehr Grausamkeiten als Chris auch nur ahnte. Der Schlafende bewegte sich leicht und sein Arm drehte sich, sodass sein Beobachter noch mehr Narben hatte, über die er nachdenken konnte. Chris zog die Linien auf der leicht gebräunten Haut mit der Fingerspitze nach. Er liebte jede einzelne davon, egal wo sie herkamen. Genauso wie er Rico liebte und bewunderte. „Chris... Was zum Teufel machst du da?“ Rico war aufgewacht und blinzelte verschlafen in seine Richtung. „Du hast die schönsten Narben der Welt“, flüsterte der Angesprochene und küsste den Unterarm des Anderen. „Lass das... bitte“, murmelte der Größere und zog ihn in eine Umarmung, damit er aufhörte. „Entschuldige“, sagte Chris noch, aber Rico war schon wieder eingeschlafen. Anscheinend schämte er sich doch mehr für die Spuren auf seiner Haut als man meinen würde. Chris versuchte nicht mehr darüber nachzudenken und auch zu schlafen. Aber es gelang ihm nicht wirklich. Jetzt, da er so halb auf Rico lag fiel ihm auf, dass das Herz des Älteren sehr unregelmäßig schlug und ab und zu ein Schauer über seinen Körper lief. Chris machte sich Sorgen. So gesund wie er wieder aussah war sein Freund wohl doch nicht. Was war, wenn er plötzlich zusammenbrach? Oder wenn er morgen früh nicht mehr aufwachte? Chris hoffte, dass das nicht passierte. Er hatte sich mittlerweile damit abgefunden, dass er ihn bald verlieren würde aber der Gedanke, dass das heute oder morgen sein könnte war einfach zu viel für ihn. „Kannst du nicht schlafen?“, fragte eine leise Stimme und ließ ihn zusammenzucken. „Nein, nicht wirklich. Und du?“, erwiderte Chris genauso leise. „Deine Schlaflosigkeit hat mich geweckt. Muss Telepathie sein, oder so“, antwortete sein Freund und man konnte hören, dass er lächelte. Eine Sekunde später lag Chris auf dem Rücken, Rico kniete über ihm und küsste ihn voller Verlangen. „Du musst dich nicht so einsam fühlen... Du hast doch mich“, flüsterte er grinsend und ließ seine Hände über den schmalen Körper unter sich wandern. „Uah, stop!“, sagte Chris entschlossen, „Schlaf weiter. Du... du musst dich ausruhen... Der Tag war schon anstrengend genug. Bitte, du willst doch nicht...“ Einen Moment lang wollte er `krank werden´ sagen, riss sich aber zusammen. Es kostete ihn insgesamt sowieso viel Überwindung Rico abzuweisen aber es war zu seinem Besten. Er durfte sich nicht so viel anstrengen. Tatsächlich ließ er von ihm ab und sah ihn ernst an. „Bist du jetzt beleidigt?“, fragte Chris mit einem schlechten Gewissen. „Nein, bin ich nicht... Ich weiß, was du denkst. Du machst dir Sorgen... Chris, weißt du warum ich hier bin?“, fragte Rico todernst und mit einem hintergründigen Blick. „Na ja, also... wegen... du wolltest mit allem abschließen... oder nicht... Ich weiß nicht“, stotterte der Untere nervös. Er wurde immer nervös, wenn Rico ihn so ansah. „Ich bin hier, weil ich noch ein bisschen leben wollte, bevor ich sterbe. Ich wollte mich noch ein letztes Mal als lebendiger Mensch fühlen... Ich dachte, du verstehst das. Zu Hause war mir ständig bewusst, dass ich sterbe. Alle haben mich so angesehen... so mitleidig. Aber du und Alex, ihr seid immer mit mir umgegangen als wäre ich gesund... Ich will einfach nur leben, verstehst du? Ist mir egal, wie anstrengend das ist. Und ich sehe in deinen Augen, dass du es eigentlich auch willst“ Er hatte Recht, aber Chris war dennoch am zweifeln. „Natürlich will ich, aber... Bist du dir sicher, dass wir das Richtige tun? Vielleicht wäre es besser für dich, wenn du dich ausruhst“ Zu seiner Überraschung musste Rico lachen. „Jetzt mal ernsthaft: Seit wann tust du das Richtige?“, fragte er und Chris musste ihm schon wieder zustimmen. „Hast ja Recht... Du kannst einen verdammt gut umstimmen“, meinte er und küsste seinen Freund als Bestätigung. Dieser kicherte leise und sie verschwanden unter der Decke.
 

Von der Weiterfahrt am nächsten Tag bekamen die Beiden nicht viel mit. Sie schliefen fast die ganze Zeit auf der Rückbank und erwachten erst in der Abenddämmerung als ein orientierungsloser Alex sie weckte. Ohne, dass sie es gemerkt hatten waren sie in Spanien angekommen und beschlossen einstimmig in einem Hotel auf der Grenze zu übernachten. Todmüde wie sie immer noch waren schliefen sie weiter, denn etwas Anderes hatten sie nicht zu tun. Am nächsten Tag waren sie endlich alle ausgeschlafen und die Reise ging weiter. Rico navigierte sie bis zum Haus seiner Mutter an der Mittelmeerküste, knapp außerhalb von Barcelona. Im Gegensatz zu seinem Vater war sie tatsächlich die Besitzerin dieses Hauses, das von beachtlicher Größe und Schönheit war und über einen Panoramablick auf das Meer verfügte. Ricos Mutter Paula war nur mit einem Wort zu beschreiben: cool. Sie war Event-Managerin von Beruf und hatte vor einigen Jahren ihre eigene Firma gegründet. Außerdem war sie noch ziemlich jung, hatte einen sehr eigenwilligen Stil und hörte gute Musik. Sie war durchgedreht und lustig, wie Rico oft. Tatsächlich hätte sie genauso gut seine große Schwester sein können, denn sie war nur knapp 19 Jahre älter als er. Doch Ricos richtige Schwester Blanca, die seit kurzem bei ihrer Mutter wohnte, war die Krönung der ganzen verrückten Familie: zwei Jahre jünger als Rico, frisch geschieden und Sängerin einer halbwegs erfolgreichen Rockband. Sie konnte keine zwei Minuten stillsitzen und tanzte immer anstatt zu gehen. Ihre Freizügigkeit in Verbindung mit ihrer Schusseligkeit brachte sie und ihre Mitmenschen immer in peinliche Situationen. So hatte sie auch an diesem Tag mal wieder fast nackt im Meer gebadet und betrat nur mit einem Handtuch bekleidet das Wohnzimmer. Mit einem skeptischen Blick musterte sie die unbekannten Gäste und stolperte dabei über den Saum des Tuchs, das sich sofort Richtung Boden verabschiedete. So stand sie da in einer sehr knappen Badehose und alle konnten ihre zahlreichen Piercings, diverse Tätowierungen und ihre beneidenswerte Figur bewundern. Sie sah so gut aus, dass sogar Rico nicht anders konnte als sie anzustarren. Aber anstatt rot zu werden und typisch mädchenhaft das Handtuch wieder hochzureißen fand sie innerhalb von Sekunden ihre Fassung wieder, strich ihre gefärbten Haare aus dem Gesicht und sagte: „Aber hallo, wer seid ihr zwei Hübschen denn?“, wobei sie besonders Alex mit einem positiv überraschten Blick bedachte. In der Zwischenzeit hatte Rico es geschafft sich wieder einzukriegen, ging nun peinlich berührt auf seine kleine Schwester zu und legte das Handtuch wieder über ihre Schultern. Er schob sie aus dem Raum, redete auf Spanisch auf sie ein und sie lachte sich halb tot. „Das ist normal. Sie ist immer so“, sagte Paula grinsend zu den beiden Brüdern, die sich fassungslos ansahen. „Du solltest aufpassen. Du bist genau ihr Typ“, fuhr sie an Alex gewandt fort. Rico betrat kopfschüttelnd das Zimmer wieder. „Verdammt, sie ist so peinlich“, meinte er. Kurze Zeit später kam auch Blanca erneut durch die Tür. Sie war mittlerweile angezogen und hatte ihre strohblonden Haare zusammengebunden. Auch mit Klamotten war sie sehr ansehnlich und man konnte praktisch an ihrem Stil ablesen, was ihr Beruf war. Sie saßen alle ziemlich lange im Wohnzimmer und redeten über Gott und die Welt. Es war schon Nachmittag als der neue Freund von Ricos Mutter zu ihnen stieß und die ganze Truppe sich auf den Weg in ein nahegelegenes Restaurant machte. Sie verschwanden bald wieder von dort, denn das Lokal war vollkommen überfüllt und sie fielen auf wie Totengräber auf einer Hochzeit. Wieder im Haus angekommen begaben sie sich mit viel Alkohol auf den Balkon und blieben dort bis weit nach Mitternacht sitzen. Mit steigendem Alkoholkonsum wurden sie alle immer sorgloser. Paula und ihr Freund waren schon bald im Schlafzimmer verschwunden. Chris und Rico waren mit sich selbst beschäftigt und wollten auch bald ins Haus gehen und Blanca flirtete hemmungslos mit Alex, der nicht grade abgeneigt war. Normalerweise ließ er sich im betrunkenen Zustand eher mit Männern ein aber diese Frau war nunmal nicht normal und sie machte ihn vollkommen wahnsinnig. Gerade als sie sich nach drinnen absetzen wollten, riss Ricos Stimme sie wieder aus ihrer Zweisamkeit. „Hey, Alex. Ich dachte, du betrügst deine Frau nur mit Männern und nicht auch noch mit den Schwestern dieser Männer“, sagte er und der Angesprochene kam zur Besinnung. „Er hat ja Recht... Tut mir leid“, murmelte er und wandte sich Rico zu, um mit diesem und Chris ins Haus zu gehen. „Rico! Das ist gemein... Du kriegst sie beide und ich darf keinen haben“, rief Blanca ihnen hinterher und ließ sich schmollend wieder auf dem Balkon nieder. Die drei Männer gingen in die obere Etage und Rico sah am Fenster raus. Als seine Schwester nach fünf Minuten immer noch da saß und schon eine halbe Flasche Wein geleert hatte ging er nach unten, um mit ihr zu reden oder sie ins Bett zu bringen; was auch immer am besten half.
 

Er blieb für den Rest der Nacht verschwunden und kehrte erst am frühen Morgen des nächsten Tages zurück. Chris erwartete ihn halbwegs wach im Schlafzimmer. „Wo warst du?“, fragte er heiser. „Du weißt, wo ich war“, antwortete Rico, stellte seine Tasche mit einem *klonk* auf dem Boden ab und verschwand Richtung Badezimmer. Ja, Chris wusste, wo er gewesen war. Er hatte weiter seine Todesliste abgearbeitet und in der Tasche befand sich seine Waffe. Der Jüngere machte sich schon Sorgen, dass er eines Tages erwischt wurde. Aber vielleicht war er ja jetzt fertig mit Töten. Chris hätte es zu gern gewusst aber er würde nicht fragen. Die Frage erübrigte sich als Rico nach einiger Zeit zurückkam und in seine Augen sah. „Du willst es wissen, oder?“, fragte er ernst. Chris nickte nervös und hoffte, dass er ihn nicht wieder beleidigt hatte oder ihm zu nahe trat mit seiner Neugier. „Es stehen noch zwei Namen auf der Liste“, sagte Rico ehrlich, „Und du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde nicht erwischt“ Zu seiner Überraschung setzte Chris ein trotziges Gesicht auf und erwiderte seinen Blick. „Und wenn dann hau ich dich persönlich aus der Sache raus. Niemand nimmt dich mir mehr weg; auch nicht die Polizei“, sagte er entschlossen und verfolgte wie sich Ricos Gesichtsausdruck von Überraschung zu Stolz und dann zu etwas Undefinierbarem verwandelte. „So kenn´ ich dich ja gar nicht... so stark und kämpferisch“, sagte er leise und es schien fast als würde ihm diese neue Seite an Chris nicht wirklich gefallen. „Magst du es nicht, wenn ich so bin?“, fragte der Junge sofort. Er wollte keine Missverständnisse zwischen ihnen riskieren. „Doch, grundsätzlich schon. Aber ich will nicht, dass du wieder in irgendwas reingerätst“, antwortete sein Freund. „Ach so... haha, wie süß von dir“ Chris fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Ihr Gespräch hatte Alex geweckt, der verpeilt von einem zum anderen sah. Später machten sie sich auf den Weg nach Hause. Sie hatten alle Orte besucht, die sie hatten besuchen wollen, viel Spaß gehabt und Einiges in Ordnung gebracht. Die drei Männer waren sich jetzt noch näher als vorher und sie hatten diese Reise praktisch als Entschädigung dafür gesehen, dass sie in ihrem normalen Leben nur eingeschränkt zusammen sein konnten. Insofern war der Ausflug ein voller Erfolg gewesen. Als sie wieder in Sichtweite ihrer Heimatstadt kamen bat Rico Alex, mal kurz anzuhalten. Er zog ein Päckchen aus seiner Tasche und stieg mit Chris aus dem Auto, um allein mit ihm zu reden. Alex beobachtete, wie sein Freund das Paket an den Kleineren weitergab, eindringlich mit ihm sprach und ihn schließlich sehr lange küsste. Er hätte zu gern gewusst, was die beiden sprachen und was in dem Paket war. Und die Tatsache, dass Rico ab diesem Zeitpunkt seinem Lebensende überaus optimistisch entgegensah, gab ihm auch Rätsel auf...

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Endlich fertig! Die Verspätung tut mir leid aber ich hatte mit einigen Problemen zu kämpfen...

Das hier ist das vorletzte Kapitel, aber es ist nicht das endgültige Ende. Das kommt dann in der eigentlichen Story.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  feuerregen
2008-07-02T13:40:00+00:00 02.07.2008 15:40
eigentliche story?
klär mich auf! ^^"
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okay, ich hab mich selbst aufgeklärt! xD
*hat kurzbeschreibung gelesen*


Ein stilistisch und sprachlich schönes Kapitel, wie ich finde! ^^
irgendwie mag ich die Vorstelung eines eiskalt abdrückenden Ricos... *schauder*
ich würd ihn zeichnen, wenn ich nicht so ewig viel noch zu zeichnen hätte! xD
irgendwann mach ich es noch mal! *nod* ganz sicher! *nod nod*


lg, feuerregen


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