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Kartenhaus

Jedes Leben hat einen Sinn. Du musst ihn nur finden. Es gibt den Sinn des Lebens, und sei er nur... BITTE KURZBESCHREIBUNG LESEN!
von

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Die Nacht

Ich wache auf. Es ist immer noch Nacht. Nicht einmal die Dämmerung hat begonnen. Ich stehe leise auf. Vorsichtig gehe ich zu dem geöffneten Fenster. Ich kann sehen, wie der Vollmond auf den Schnee scheint. Der Schnee glitzert wunderschön. Ein paar würden es romantisch finden. Die, die verliebt sind. Ich bin es nicht. Ich bin nicht verliebt. Ich weiß nicht, was Liebe ist. Bei dem Gedanken wird mir wehmütig um Herz.

Ich höre ein paar Menschen. Leicht drehe ich den Kopf und sehe, wie ein paar Männer den Weg entlang torkeln. Wahrscheinlich sind sie grade aus der Kneipe gekommen. Ich habe Alkohol bisher nicht angerührt. Ich nehme regelmäßig Schlaftabletten, damit ich überhaupt einigermaßen schlafen kann. Aber selbst wenn ich es nicht kann, und völlig übermüdet in die Schule gehe, wer würde sich dafür schon interessieren? Vielleicht Rin. Aber nicht Sesshoumaru. Mein Bruder interessiert sich nicht für mich. Er meint, ich wäre Schuld an Vaters Tod. Dabei habe ich andere Probleme als den Tod eines Mannes, den ich nie gekannt hatte. Es gibt eine andere Sache, die mich depressiv gemacht hatte. Der Tod meiner Mutter. Ich habe vor zwölf Jahren den Tod meiner Mutter mit angesehen. Sie wurde getötet, und das allein wegen mir. Deswegen war ich auch erst mit sieben in die Schule gekommen. Fünf Jahre alt war ich bei ihrem Tod gewesen. Doch Sesshoumaru hatte sich damals nicht um mich gekümmert. Niemand war für mich da gewesen.

Eine Schneeflocke landet auf meinem Gesicht. Es hat wieder zu schneien begonnen. Ich sehe hoch in den Nachthimmel. Es sind noch nicht viele. Aber es werden stetig mehr. Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen. Wenn es nicht schneien würde, hätte ich vielleicht Angst. Zwar mag ich die Nacht sehr, aber auch SIE wurde nachts getötet, ebenfalls im Winter. Das ist nur logisch, da ich am ersten Tag des neuen Jahres das Licht der Welt erblickt hatte. Und zugleich verfinstert sich meine Miene. Einmal mehr wünsche ich mir, niemals geboren worden zu sein. Dann würde Mutter vielleicht noch leben.

Ich lehne mich auf die Fensterbank und sehe auf die Erde. Es sieht so schön aus, aber das auch nur, wenn es Nacht ist. Tagsüber treten so viele auf den Schnee, sodass er vollkommen platt ist. Aber in der Nacht… Da ist niemand auf den Strasse und alle liegen in ihren Betten.

Ich wünsche mir so sehr einen Menschen, der mich als „Mensch“ akzeptiert. Aber bisher habe ich noch niemanden gefunden. Vielleicht gibt es ja keinen. Ich habe nie richtige Freunde gehabt.

Die kühle Nachtluft weht mir die Haare ins Gesicht. Ich genieße das; ich bin gerne nachts auf. Weil es da niemanden gibt, der mich schikaniert. Eigentlich könnte Rin – unser Dienstmädchen – das Essen machen, aber Sesshoumaru besteht darauf, dass ich das mache. Und wenn ich auch nur eine Sekunde zu spät komme, muss ich ihm immer Geld bezahlen.

Nachts habe ich oft solche Gedanken. Ich werfe einen Blick auf meinen Wecker. Halb fünf. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie die Sonne aufgeht. Heute, wenn Sesshoumaru aufwachte, würden wir umziehen. In den Ort, den ich nie wieder sehen wollte. Wir ziehen zurück nach Tokyo. Dort ist meine Mutter gestorben.

Ich sitze auf meinem Bett. Die Sonnenstrahlen widerspiegeln sich auf dem Schnee. Es sieht schön aus. Ich lächle und lege mich noch einmal auf mein Kissen. Ich träume von nichts. Nur von endloser Dunkelheit.

Der Unfall

Ich starre aus dem Fenster. Die ganze Zeit schon. Die Häuser verwischen vor meinen Augen; ich nehme sie gar nicht richtig wahr. In dem Glas sehe ich meine Augen, glanzlos; stumpf. Ich sitze hinten auf der Rückbank, eingequetscht zwischen Kisten. Meine Beine sind schon vor einer Stunde eingeschlafen.

Ich sehe kurz nach vorne. Rin plappert immer noch fröhlich auf Sesshoumaru ein. Manchmal erwidert er auch etwas, und dann lachen beide. Mir entgleitet ein leiser Seufzer. Rin dreht sich zu mir um. „Ist alles in Ordnung, Inu Yasha-sama?“, will sie wissen. Ich nicke nur. Rin hat die erstaunliche Fähigkeit, jeden in ein Gespräch zu verwickeln, wenn man den Mund öffnete. Und auf Reden habe ich jetzt überhaupt keine Lust. Ich will mit mir alleine sein, wie ich es immer bin.

Inzwischen scheint das Hausmädchen verstanden zu haben, dass sie von mir keine Antwort mehr bekommt. Also dreht sie sich um und redet weiter mit Sesshoumaru. Aus den Augenwinkeln beobachte ich meinen Halbbruder. Sein Gesichtsausdruck wirkt ein bisschen gequält. Aber das wird er Rin nie sagen, dass ihr unaufhörliches Geplapper nervt. Ich habe es vor einiger Zeit vermutet und ihn gefragt. Er hat es mir rot bestätigt. Sesshoumaru, mein unnahbarer Halbbruder, ist in unser Hausmädchen, Rin, verliebt.

Ich seufze erneut. Er hat es gut. Irgendwann wird er ihr es sagen, sie wird sagen, was sie fühlt – das gleiche – und sie werden zusammen sein. Ich glaube nicht, dass das bei mir je so sein wird. Ich bin zu verschlossen, um zu lieben. Und ich bin zu depressiv, um geliebt zu werden. Wer soll mich auch lieben, wenn ich mich selbst nicht liebe? Wenn ich mich hasse, mehr als alles andere der Welt? Wieder entgleitet mir ein Seufzer.

Rin dreht sich um. „Inu Yasha-sama, egal, was Sie sagen, Sie haben doch was! Sonst würden Sie nicht pausenlos seufzen! Was ist los? Ich weiß, dass Sie nicht gerne reden, aber ich mach mir Sorgen! Seit dem Tod Ihrer Mutter sehen Sie aus wie drei Tage Regenwetter! Gut, es ist schlimm, dass sie tot ist, aber es ist zwölf Jahre her! Sollten Sie nicht mal wieder am Leben teilnehmen?“ Ich sehe weiter aus dem Fenster und singe leise eine Strophe aus dem Lied „Bring Me To Life“ von Evanescence.
 

„Frozen inside without your touch

without your love, darling

only you are the life among the death“
 

Rin sieht mich ratlos an. Ich sehe sie aus den Augenwinkeln an und übersetzte das eben Gesungene.
 

„Gefroren im Inneren ohne deine Berührung

ohne deine Liebe, Liebling

allein du bist das Leben zwischen dem Tod“
 

„Spiel dich nicht so auf! Nur weil du ein Bastard halbenglischer Herkunft bist!“, faucht Sesshoumaru. Er macht sich nie Mühe, seinen Hass mir gegenüber zu verbergen. Er schlägt mich vor Leuten zusammen, er demütigt mich, wo er nur kann. Wenn er mal zu viel trinkt, kommt er in mein Zimmer und schlägt mich erst wach und dann bewusstlos. Und wenn ich dann am nächsten Morgen kein Frühstück gemacht habe, schlägt er mich noch einmal. Es macht ihm Spaß, zu sehen, wie ich leide. Es scheint eine Augenweide für ihn zu sein. Und Rin weiß nichts davon. Sesshoumaru würde mich umbringen, wenn sie davon erfahren würde.

„Mann, bin ich froh, wenn ich dich endlich los bin. Niemand mehr, der mich nervt!“, schnaubt Sesshoumaru. „Aber, Sesshoumaru-sama, er ist Ihr Bruder! Ihr einziges Familienmitglied!“, protestiert Rin. „Halbbruder, bitte sehr. Und falsch, ich habe noch meine Mutter“, sagt Sesshoumaru kühl. Ich sehe, wie seine Hände sich um das Lenkrand krampfen. Er will mich schlagen, das weiß ich. Er würde es auch tun, wenn es ein besserer Ort und Rin nicht dabei wäre. Aber so hat er Angst, Rin könnte aufgrund dessen kündigen.

„Es ist alles in Ordnung“, murmle ich leise. Ich kann Rins bohrenden Blick auf mir spüren. Mit so einer Antwort gibt sie sich nicht zufrieden. „Das glaube ich nicht“, sagt sie. „Man kann sehen, dass es Ihnen schlecht geht. Was ist passiert? Hatten Sie wieder einen Alptraum?“ Langsam, kaum wahrnehmbar, schüttle ich den Kopf. „Ich habe kaum geschlafen.“ Das ist keine Lüge. Ich hatte vielleicht sechs Stunden geschlafen, wenn überhaupt. „Aber Sie haben doch Ihre Tabletten genommen, oder?“, fragt Rin. Sesshoumaru schnaubte. „Dieser Nichtsnutz. Ist zu nichts zu gebrauchen und kostet auch noch mein schwer verdientes Geld.“ Lügner! , schreit alles in mir. Er lügt. Er nimmt immer wieder Geld von mir. Er hasst mich. Noch nie hat er mich gelobt. Nicht einmal für gute Noten. Wenn ich nicht gut bin, gibt’s Hausarrest. Nicht, dass das was ausmachen würde. Ich habe keine Freunde, mit denen ich was unternehmen könnte.

Ich wende meinen Blick wieder zum Fenster. Rin starrt mich weiter an. Ihr Blick ist mir unangenehm. Ich hasse es, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Mir ist es am liebsten, wenn ich in der Menge verschwinden kann.

Dann passiert es. Sesshoumaru dreht sich zu mir nach hinten um. Rin quietscht: „Achtung!!!!“ Er sieht wieder nach vorn. Zu spät. Das Auto kracht in einen Lastwagen hinein. Kisten fallen auf mich, ich weiß gar nicht richtig, was los ist. Rin schreit, Sesshoumaru flucht. Dann schlägt irgendwas das Fenster auf und Scherben schneiden in mein Gesicht. Ich fliege mich überschlagend aus dem Fenster. Aus den Augenwinkeln erkenne ich, dass Rin das Bewusstsein verloren hat und Sesshoumaru mit ihr auf die andere Seite herausspringt. „Verschwinde da, Junge!“, brüllt jemand. Erst weiß ich nicht, wen er meint, bis mir klar wird, dass er MICH meint. Und ich weiß auch, warum er das gebrüllt hat. Der LKW droht auf mich zu kippen. Mit einem gekonnten Sprung springe ich zur Seite, allerdings zur falschen. Ich springe direkt einen steilen Hang herunter, dessen Fuß bei Steinen ist. Ich überschlage mich; versuche verzweifelt, mich festzuhalten. Aber es klappt nicht. Ich schlage mir die Stirn auf und noch bevor ich auf die Steine aufkomme, wird es dunkel um mich herum.

Krankenhaus der dunklen Erinnerungen

Ein Fünfjähriger Junge sang leise vor sich hin und schwang das selbst gemalte Bild in seiner Hand im Takt der Melodie. Er hoffte, dass es seiner Mutter gefiel.

Er hüpfte die Treppen hinauf und das Lächeln auf seinem Gesicht wich einfach nicht. Heute war sein Geburtstag. Zufällig kam er an einem Fenster vorbei und sah den unberührten Schnee. Vorsichtig trat er an das Fenster ran und sah hinaus. Wenn es Tag würde, dann würde er mit seinen Freunden im Schnee spielen. Er lachte leise. Er hätte länger gelacht, hätte er gewusst, dass er nach dieser Nacht nie wieder lachen würde.

Er hüpfte weiter und stand schließlich vor dem Schlafzimmer seiner Mutter. Sie und sein Vater würden erst zusammen in einem Zimmer schlafen, wenn sie geheiratet hätten. Der Junge machte sich nie Mühe, anzuklopfen, er ging einfach hinein. Dann wünschte er sich, er hätte es nie getan. Er wünschte, er wäre nie geboren worden.

Der Anblick, der sich ihm bot, war einfach schrecklich. Auf ihrem Bett lag seine Mutter. Und vor ihrem Bett stand ein Mann, ein Fremder. Er hatte das Schwert in der Hand, das seine Mutter von ihrem Vater bekommen hatte. Und die Klinge war voller Blut. Und seiner Mutter war die Kehle aufgeschlitzt worden. Das Blut breitete sich auf dem ganzen Kopfkissen aus, seine Mutter atmete noch rasselnd. Dann kam wieder Bewegung in seinen Körper. Er ließ das Bild einfach fallen und stürmte auf den Mann zu.

Sicher, das war eine Verzweiflungstat, aber die einzige, die er begehen konnte. Der Mann riss das Schwert hoch und schlitzte dem Jungen den rechten Arm von der Schulter bis zum Handgelenk auf. Er schrie auf und krümmte sich. „Hör zu, Bastardssohn! Das habe ich nur gemacht, um dich endlich einmal gebrochen am Boden zu sehen!!“ Dann ließ der Fremde das blutige Schwert fallen und sprang aus dem Fenster. Der Junge stürmte dorthin und sah ihn grade noch hinter einer Ecke verschwinden. Er überlegte, ihm hinterherzulaufen, als er das klägliche Stöhnen seiner Mutter vernahm. Der Junge tapste auf seine sterbende Mutter zu. Sein eigenes Blut tropfte in einem Rhythmus auf den Boden. Plitsch, plitsch. Immer und immer wieder. Seine Mutter lächelte ihn an.

Sie berührte seine Wange. „Es… es tut mir so… leid… mein Schatz… bitte vergib mir…“, röchelte sie. Der Junge wusste, dass sie sterben würde. Aber er lief nicht, um seinen Vater zu holen. Was hätte es genützt? So musste er wenigstens nicht den Tod seiner Liebsten mit ansehen. „Bitte… versprich mir etwas…“ Er kam näher an sie heran.

„Mein Sohn… Inu Yasha bitte versprich mir… dass du dich nicht aufgibst und dass du mich… mich nie vergisst… versprichst du mir das?“ Er nickte. Seine Kehle war staubtrocken. Sie lächelte. „Danke… Inu Yasha… ich… ich liebe dich…“ Sie griff nach seiner Hand, eine Sekunde lang. Dann erschlaffte sie. „Ich liebe dich auch. Ja, das verspreche ich dir…“

Dann ging er zu dem Telefon, das im Flur stand. Er wollte seinen Vater auf keinen Fall aufwecken. Er durfte ihren Leichnam nicht sehen. Das würde er nicht durchstehen. Ein paar Mal tutete es, bis eine Stimme sagte: „Hallo, hier das Krankenhaus in Tokyo?“

„Kommen Sie bitte hierher.“

„Wieso? Was ist denn passiert?“

„Meine Mutter ist grade ermordet worden.“ Stille. Der Mann am anderen Ende der Leitung schwieg. „Wo… wo wohnst du denn?“, fragte er stockend.

„Wissen Sie, wo die Villa Taishou ist?“

„Ja.“

„Kommen Sie hierher.“

„Was ist mit deinem Vater? Wo ist er? Bist du allein? Wie heißt du eigentlich?“

„Mein Vater schläft. Ich will nicht, dass er ihre Leiche sieht. Wann sind Sie hier?“ Die Frage nach seinem Namen ignorierte er einfach.

„In fünf Minuten.“ Er legte auf.

Auch der Junge legte langsam auf. Leise schlich er zu der Tür zum Schlafzimmer seines Vaters. Von drinnen ertönte Schnarchen. Sein Bruder war nicht da, er war bei seiner Mutter. Leise schleichend ging er die Treppe herunter.

Als er vor der Tür stand, fing es an zu schneien. Das unberührte Weiß des Schnees erinnerte ihn an das Kopfkissen seiner Mutter. Und die Stelle, wo er stand, färbte sich durch sein Blut langsam rot. IHR Blut auf IHREM Kopfkissen.

Der Krankenwagen war ein wenig zu spät. Der Junge stand zehn Minuten im Schnee. Das Geräusch des Blaulichts schien ihm sehr laut und er befürchtete, dass sein Vater dadurch wach werden könnte. Ein Mann kam auf ihn zu. „Hast du bei uns…“ Aber der Junge unterbrach ihn. „Könnten Sie das Blaulicht ausmachen?“

„Was?“

„Mein Vater könnte dadurch wach werden. Das will ich nicht. Er wird meine Mutter sehen wollen. Das will ich nicht. Bitte.“ Der Mann gab dem Fahrer einen Wink, der das Blaulicht dann wieder ausschaltete. Dann sagte ein anderer Mann mit weißem Kittel: „Du bist ja verletzt!“ Der Junge schwieg. Der Mann, mit dem er zuerst gesprochen hatte, wollte etwas sagen, aber der Junge wedelte ab. Er schüttelte den Kopf. „Das ist jetzt nicht so wichtig.“

Als sie im Zimmer seiner Mutter ankamen, stieß der Mann einen gedämpften Laut aus. Wie benommen tapste der Junge auf den toten Leib seiner Mutter zu. Ihre Haut war kalt. Von dem geöffnetem Fenster wehte leichter Wind herein, der das schwarze Haar des Jungen fliegen ließ. Die beiden Männer stießen zu ihm. „Weißt du, was sie getötet hat?“, fragte der jüngere der beiden. „Ein Schwert hat ihr die Kehle durchgeschnitten.“

„Hast du ihren Tod mit angesehen?“

„Nein. Aber… ich habe ihren Mörder gesehen.“

„Dann müssen wir zur Polizei.“

„Nein. Erst ins Krankenhaus. Bitte.“ Das letzte Wort war kein Wunsch. Es war ein Flehen. Die beiden Ärzte sahen sich an. Dann nickten sie einander zu. „Gut, von uns aus. Aber dann wird die Polizei dorthin kommen, ist dir das Recht?“ Der Junge zuckte mit den Schultern. „Es ist mir egal.“ Die beiden Männer holten Trage plus Träger und legten ein Tuch über die tote Frau. Fast wie im Trauerzug gingen sie die Treppen herunter. Vor der Schlafzimmertür seines Vaters blieb er stehen. „Willst du ihn nicht aufwecken?“, fragte der jüngere Arzt. Der Junge schüttelte den Kopf. „Ich werde ihn nicht wach bekommen.“ Das war eine Lüge. Sein Vater schlief selten tief und fest, nur wenn er etwas getrunken hatte. Und das hatte er nicht. „Ich rufe ihn vom Krankenhaus an.“

Als sie wieder aus der Villa raus gingen, war der Schneefall dichter geworden. Der Junge sah in den Himmel hoch. „It isn’t fair, you know. You’ve leave me alone. Why? Am I so unimportant? Are you happy to be with your familiy now? Don’t you miss me? Have you really loved me? If is yes, why left you me alone on this world?”

Die Männer sahen ihn erstaunt an. „Gehst du etwa schon zur Schule?“ Der Junge schüttelte den Kopf. „Meine Mutter ist… war Engländerin.“ Er schloss die Augen und genoss den Schnee auf seiner Haut.

Die Fahrt verlief schweigend. Aber der Junge spürt immer wieder besorgte Blicke auf seinem Arm ruhen. Vielleicht war es für sie unverständlich, wie man bei so einer Wunde noch bei Bewusstsein sein konnte. Nun, der Schmerz über den Tod seiner Mutter dämpfte jedes andere Gefühl. Auch wenn er diesen seelischen Schmerz nicht zeigte.

Im Krankenhaus angekommen, ging er gleich zum Telefon und rief Zuhause an. Bevor er den Mund öffnen konnte, rief sein Vater: „Bist du das, Inu Yasha?!“

„Ja“, krächzte der.

„Wo bist du? Warum ist Mamas Bett voller Blut? WAS IST PASSIERT???“

„Bitte… bleib Zuhause. Ich will nicht, dass du herkommst.“

„WAS IST PASSIERT??“, wiederholte Herr Taishou noch einmal.

„Mutter ist ermordet worden.“

Stille. Etwas anders hatte der Fünfjährige auch nicht erwartet. „Ich bitte dich, du DARFST nicht herkommen! Bitte, das ist mein einziger Wunsch.“ Weitere Stille. Dann ertönte nur noch Tuten aus der Leitung. Herr Taishou würde herkommen, nichts konnte ihn davon abhalten. Er herrschte die Ärzte an: „Bringen Sie meine Mutter sofort in den Leichensaal! Oder irgendwohin, wo nur ihre Familienmitglieder hindürfen.“ „Damit dein Vater sie nicht sieht? Aber er wird doch ihr Mann sein.“ Der Junge schüttelte den Kopf. „Nein. Sie haben in drei Wochen heiraten wollen. Ich bin hier in Japan ihr einziges Familienmitglied.“ Die Ärzte nickten und gingen mit seiner Mutter davon.

Keine zehn Minuten später stand Herr Taishou auf der Matte. Er musste geflogen sein. Der Junge war in der Eingangshalle stehen geblieben. „Inu Yasha!! Wo ist Mama? Wo ist sie?!!“, schrie er. Eine Krankenschwester rief: „Bitte mäßigen Sie Ihren Ton! Dies hier ist ein Krankenhaus!“ Der Vater des Jungen fauchte: „Was kümmert mich das? Meine Frau ist grade gestorben!“ „Nein“, flüsterte der Junge leise. „Was?“, fragte die Schwester. „Sie waren nicht verheiratet. Warum lügst du, Vater? Willst du zu ihr? Was brächte das noch? Sie ist tot, und das kannst auch du nicht mehr ändern.“

„ICH WILL ZU IHR!!!“, schrie Herr Taishou nun schon zum X-ten Mal. „Tut mir Leid, Herr Taishou, aber nur Familienmitglieder dürfen zu ihr. Und sie waren noch nicht verheiratet“, sagte der Arzt. „Das heißt also, nur Inu Yasha darf zu ihr?“ „Heißt Ihr Sohn so, ja? Nur er darf zu ihr. Außer, er erlaubt es. Aber er hat den ausdrücklichen Wunsch geäußert, dass Sie seine Mutter nicht sehen. Er scheint zu befürchten, dass Sie das nervlich nicht durchstehen.“ Herr Taishou grummelte. „Vater“, murmelte eine Stimme von der Tür aus. „Inu Yasha! Du wirst mir jetzt sofort erlauben, zu ihr zu gehen, verstanden?!“ Der Junge senkte den Kopf. „Nein“, flüsterte er. „Ich will nicht, dass du zu ihr gehst.“ Herr Taishou verlor die Beherrschung und schlug seinem Sohn hart ins Gesicht. Der Junge kam mit dem Hinterkopf am Türrahmen auf. „Lassen Sie das, um Gottes willen!! Ihr Sohn ist doch ebenfalls verwundet worden!!“, schrie der junge Arzt auf. Herr Taishou sah erst seine Faust, dann seinen Sohn fassungslos an. „Verzeih mir bitte, Inu Yasha.“ Der Junge rappelte sich auf und flüsterte: „Das hier… ist die Nacht, die alles verändern wird. Die Nacht des roten Schnees.“
 

Ruckartig öffne ich meine Augen. Ich hatte einen Alptraum vom Tod meiner Mutter von vor über 12 Jahren. Ich sehe mich um. Ich spüre einen Verband um meine Stirn. Nur brüchig erinnere ich mich an das, was geschehen ist. Und dann drängen sich mir neue Fragen auf, wo die Frage des Standpunktes geklärt wurde. Wo sind Rin und Sesshoumaru? Geht es ihnen gut? Wie viel Zeit ist vergangen? Bin ich schwer verletzt? Eins ist klar, die Fragen kann ich mir nicht selbst beantworten. Dazu brauche ich jemand anderen, vielleicht den Arzt, der mich behandelt hat. Und vielleicht weiß der ja auch, wo Rin und Sesshoumaru sind. Und als wäre das ein Zeichen gewesen, öffnet sich die Tür mit einem leisen Klicken. Herein tritt der Arzt, der damals vor 12 Jahren der jüngere der beiden Ärzte gewesen war.

„Inu Yasha! Du bist aufgewacht! Wie fühlst du dich?“, fragt er. „Ich habe ein wenig Schädelbrummen, Dr. Tendo“, antworte ich leise. „Ganz normal.“ Dr. Tendo lächelt. Aber ich lächele nicht zurück. „Wo sind Rin und Sesshoumaru?“, will ich wissen. „Rin ist noch hier im Krankenhaus, aber wird heute noch entlassen. Und Sesshoumaru ist mit ein paar Schwellungen und Prellungen davongekommen. Übrigens war er es, der den Krankenwagen gerufen hat. Sei froh, dass ihr nicht alleine dort wart. Er hätte dich wohl ganz zufällig „vergessen“. Geht es dir gut bei ihm?“, beendet Dr. Tendo seinen Redeschwall. Ich schüttle den Kopf. Natürlich hätte er mich vergessen. Am liebsten würde er mich tot sehen. Aber ich darf mich nicht umbringen. Suizid wäre auch eine Art von Selbstaufgabe. Und das kann ich nicht. Es wäre ein Verrat an meiner Mutter. Und an meinem Vater. Als man ihm das Licht ausgeblasen hatte, hatte er mir fast das gleiche Versprechen abgewürgt. Sesshoumaru war damals nicht da gewesen und hatte das als Vorwand genutzt, mir Vaters Tod in die Schuhe zu schieben. Von da an waren seine Hasstiraden sichtbar geworden.

„Was ist eigentlich passiert?“, frage ich, da ich das nicht sehr aktiv mitbekommen hatte. „Nun, Sesshoumaru hatte sich zu dir umgedreht – wo er „zu dir“ ganz besonders betont hat – und so nicht gesehen, was vor ihm war. So seid ihr in den LKW rein gefahren und wurdet aus dem Auto herausgeschleudert, soll heißen, du. Sesshoumaru hat sich und Rin ja retten können. Dann hat der LKW-Fahrer gesagt, dass du vor dem Wagen gewarnt wurdest und weg gesprungen bist und dann den Hang heruntergefallen bist. Du warst bewusstlos, als wir dich in den Steinen gefunden haben und du hattest eine Menge Blut verloren. Das ist jetzt… hm, einen Tag her.“ Na klasse, Sesshoumaru würde mir den Kopf abreißen! Dass wir nur wegen mir zu spät zu unserer neuen Villa kamen! Ich stöhnte leise auf. Das würde wieder Schläge geben, hundertprozentig.

„Er schlägt dich, nicht wahr? Geht er manchmal auch mit etwas Spitzem auf dich los?“, fragt Dr. Tendo. Ich starre aus dem Fenster und bejahe leise. „Warum wehrst du dich nicht?“ So ein Mist, warum ist das keine Ja oder Nein Frage? „Was hätte das für einen Sinn? Er würde mir nur noch mehr wehtun.“ Der Arzt tritt an das Bett heran und setzt sich auf den Stuhl, der daneben steht. „Wird dich jemand besuchen kommen?“ Über die Antwort denke ich gar nicht nach. „Nein. Rin, vielleicht. Wenn Sesshoumaru sie lässt.“

„Weißt du, was das für ein Raum ist?“, fragt Dr. Tendo leise. Ich schüttele den Kopf, obwohl ich es mir schon denken kann. „In diesen Raum haben wir deine Mutter gebracht. Und vor dieser Tür hast du dem Tag deiner Geburt einen Namen gegeben.“ Meine Augen trüben sich. „Der Tag des roten Schnees…“ Ich spüre, dass der Arzt nickt.

Ich liege da. Den Blick starr aus dem Fenster gerichtet. In meinem Kopf schwirren nur diese Worte: „Mein Sohn… Inu Yasha bitte versprich mir… dass du dich nicht aufgibst und dass du mich… mich nie vergisst… versprichst du mir das?“ Mich nicht aufgeben? Ich habe mich der zeitwilligen Depression hingegeben. Ist das nicht auch eine Art der Selbstaufgabe? Ja. Aber was soll ich tun? Ich würde es nicht aushalten, wenn ich richtig leben sollte. Ich bin kein Teil des Lebens mehr. Auch ich bin vor zwölf Jahren gestorben. Zusammen mit ihr, zusammen mit der Frau, die den Namen Izayoui trug. Zusammen mit meiner Mutter bin ich gestorben. So sind wir wenigstens zusammen. Aber das auch nicht rein seelisch. Mein Körper wird noch eine Weile auf dieser Erde bleiben. Aber mehr als ein Wiedersehen mit ihr wünsche ich mir, von hier fort zu gehen. Fort von den Erinnerungen dieses Ortes. An meinem Arm ist immer noch eine Narbe zu sehen. Die Narbe der Vergangenheit. Die Erinnerung an mein Ziel.

Mein Ziel ist es, den Mörder meiner Mutter zu finden. Den zu finden, der mich damit hatte in die Knie zwingen wollen. Ich hatte der Polizei damals nicht gesagt, wie er aussieht. ICH will ihn finden. Was nützt mir ein Ziel, wenn es ein anderer erfüllt? Doch bevor ich den Mörder finden kann, muss ich erst aus diesem Krankenhaus raus. Und dann… was dann kommen würde, weiß ich nicht. Aber ich würde es sehen. Aber eins weiß ich. Der Weg, den ich gehe, endet im Nichts.

Wenn der erste Regen fällt...

Mein Kopf dröhnt auch drei Tage später noch. Ich will hier weg, aber als ich aufgestanden bin, ist mir schrecklich schlecht geworden. Das wird was geben, wenn ich nach Hause komme! Sesshoumaru würde mich umbringen! Wahrscheinlich muss ich in der neuen Schule gleich zum Spitzenreiter werden. Sesshoumaru wird das verlangen. Seit auch Vater das Zeitliche gesegnet hat, will er, dass ich in der Schule immer vorne mitschwimme. Mir ist es egal, was aus der Zukunft wird. Vor allem, da ich nie richtig leben werde.

Ich höre das Klicken der Tür. „Für andere eine erfreuliche Nachricht, für dich eher das Gegenteil. Du sollst nach Hause, Inu Yasha“, sagt Dr. Tendo. Ich blicke ihn nur aus den Augenwinkeln an. Sagen tue ich nichts, ich stehe einfach auf. „Soll ich dir ein Taxi rufen?“, fragt Dr. Tendo. Stumm schüttele ich den Kopf. Ich stelle mich in den Türrahmen und sehe mir den Raum an. „Ist alles in Ordnung? Du torkelst so.“ Da ist es wieder. SEIN Gesicht. Das Gesicht, das meine Mutter umgebracht hat. Ich kann es nicht verdrängen. Nirgends, vor allem nicht an diesem Ort. Ich schließe die Augen und wende mich um. „Nein“, murmle ich schwer verständlich. „Es geht schon so.“ Ich spüre Dr. Tendos besorgten Blick auf mir aber umdrehen tue ich mich nicht.

Ich gehe langsam die Treppen herunter, ich weiß noch, dass Vater hier herauf gehechtet ist. Warum lässt mich die Vergangenheit nicht los? Warum liegt sie über mir wie ein Schatten? Ich drehe den Kopf und sehe auf die Parkanlage vor dem Krankenhaus. Ich sehe Kinder, die spielen, alte Leute auf den Bänken sitzen und ihren Enkeln zuschauen und verliebte Pärchen, die Händchen halten. Eins haben sie gemeinsam. Sie alle sind glücklich.

Ich stolpere über irgendwas, was auf der Treppe liegt, und bewältige den Rest der Treppe schneller, als mir lieb ist. Es gibt einen dumpfen Schlag, als ich lande. Sofort ist das Nest der Krankenschwestern in heller Aufregung und umschwirrt mich. Sie plappern irgendwas, was ich nicht wahrnehme. Dann ertönen schwere Schritte. Irgendein neunmalkluger Arzt berührt die Platzwunde auf meiner Stirn. Auch er plappert etwas, darauf wird das Geschnatter der Schwestern nur noch lauter. Ich stütze mich auf den Unterarmen ab und springe auf die Beine. Der Arzt ruft irgendwas das wie „Hinlegen!“ klingt, aber ich achte nicht darauf. Die Krankenschwestern laufen wie aufgescheuchte Hühner um mich herum. Ich drehe mich um und laufe aus dem Gebäude, ich will einfach nur weg hier. Weg von dem Geplapper, weg von der Sorge, weg von der Erinnerung, einfach weg von allem. Ich will dahin, wo die Sonne niemals aufgeht. Einfach nur ins Nichts. Ist das denn so schwer?

Scheinbar. Nicht nur, dass die Passanten versuchen, mich aufzuhalten, auch ist ein Krankenwagen hinter mir her. „Inu Yasha!!“, schreit eine Stimme, die ich als Dr. Tendos identifiziere. Aber ich will ihn nicht sehen. Die Nacht des roten Schnees. Warum erinnert mich alles daran? Warum kann ich nicht wie andere sein? Warum kann ich niemandem mein Herz öffnen? Ich will jemanden haben, der mich versteht. Der weiß, wie ich fühle. Der mich vielleicht trösten kann.

„Achtung!! Da ist eine Katze!!“, ruft jemand. Zu spät. Ich verheddere mich mit dem Fellknäuel und lande schon wieder auf dem Boden. Die Katze miaut schrill auf und schlägt mir ihre Krallen über das Gesicht. Auch wenn mein Kopf protestiert, stehe ich auf und renne weiter. Ich will nicht zurück. Vor zwölf Jahren habe ich ein ganzes Jahr dort verbracht! Reicht das denn nicht?

„Los, haltet ihn fest!!!“, schreit jemand durch ein Megaphon. Sofort spüre ich, wie sich zwei Arme um meinen Körper schlingen. „Jetzt bleibst du hier, Freundchen“, sagt er in mein Ohr. „Viel Spaß beim Zahnarzt!“, rufe ich und schlage ihm in den Mund. Wie erwartet lässt er mich los und ich laufe weiter. Dummerweise hat das mich meinen Vorsprung gekostet. Und mir würde bald die Puste ausgehen. Ich muss irgendeine Abzweigung finden! Nur wo?

„Bleib doch stehen! Es hat doch sowieso keinen Zweck!“ Ich drehe mich kurz um. Unweit von mir ist ein Fluss. Da kommt mir eine Idee. Ich renne zum Flussufer. „Inu Yasha!! Komm sofort hierher, hast du verstanden?!“ Ja, aber er hat nicht gefragt, ob ich das auch mache. Also weiter im Text.

Ich hole Luft und springe kopfüber in den Fluss. Unter Wasser schwimme ich ein paar Meter, bevor ich wieder auftauche. Warum machen diese Leute wegen einer Platzwunde einen solchen Aufstand. Sicher, ich könnte einfach mit ihnen zurückgehen, aber ich will nicht. Ich will nicht wieder in diesem Raum sein. Weg, weg von allem, das ist mein Wunsch.

Der Krankenwagen hält quietschend vor dem Flussufer und sie steigen aus. Sie rufen irgendwas und winken mir zu, dann höre ich ein Tuten. Ich sehe hoch und sehe ein Schiff. Ich hole nicht richtig Luft, ich tauche einfach unter. Ich tauche fast auf den Grund. Trotzdem schabt der Kiel über meinen Rücken. Unter Wasser gebe ich eine Art Stöhnen von mir. Noch bevor das Schiff zur Hälfte über mir weg ist, geht mir die Luft aus. Ich schlage die Hände vor den Mund und winde mich. Aber es hilft nicht. Ich fange an zu atmen und zu allem Übel schlägt mir das Ruder noch gegen den Körper. Dann verliere ich die Besinnung. Sinke dahin, wo die Sonne niemals aufgeht.

Jemand drückt mir im Sekundentakt die Hand aufs Herz. Ich blinzle und dann spucke ich das geschluckte Wasser wieder aus. Als das erledigt ist, atme ich schwer. Meine Umgebung nehme ich gar nicht wahr. „Es hat doch nichts genutzt, hm?“, fragt jemand. Ich blinzle noch einmal und nehme die Menschen um mich herum wahr. Das Doktorenteam aus dem Krankenwagen. Mein Fluchtversuch ist ja gründlich in die Hose gegangen. Aber so einfach aufgeben kommt nicht in die Tüte! Ich versuche, aufzuspringen, aber die Bewegung tut mir weh. „Du tust dir nur selbst weh. Ein guter Sportsmann muss auch verlieren können, das weißt du doch.“ Ich lasse mich auf den Rücken fallen und sehe den dunklen, bewölkten Himmel an. Und schon tropfen die ersten Regentropfen auf mein Gesicht. „Oh nein, jetzt fängt es auch noch an zu gießen! Hat mal einer eine Decke für Inu Yasha?“ Ich höre ihn gar nicht. Regentropfen.
 

Regentropfen an der Fensterscheibe. Der Junge sah auf. Die Schwester neben ihm sah erfreut aus über seine Regung und fragte ihn etwas. Aber darauf reagierte er nicht. Die Krankenschwester ließ den Kopf hängen. Sie murmelte etwas. Leise stieg der Junge aus dem Bett und tapste zu dem geschlossenen Fenster. Er sah die dunklen Wolken. Die dunklen Wolken des Regens. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, eine Sekunde lang. Dann wurde seine Miene wieder ausdruckslos. Die Regentropfen hatten ihn an die Finger seiner Mutter auf dem Glastisch erinnert, wenn er mal wieder etwas angestellt hatte. Jetzt war ihr Gesicht ganz dicht in seinen Gedanken und los wurde er es nicht. In dem letzten halben Jahr hatte er viel nachgedacht. Über die Nacht des roten Schnees. Über den Tod seiner Mutter. Über ihren Mörder. Über sein Ziel. Aber teilgenommen am Leben hatte er nicht. Er hatte sich aufgegeben, den Wunsch seiner Mutter missachtet. Doch das hatte nicht in seiner Absicht gelegen. Es war einfach so gekommen. Erst vor ein paar Tagen war auch sein Vater gestorben. Nun war nur noch sein Bruder da. Sein verhasster Bruder.

Der Junge öffnete das Fenster. Zugleich spürte er die Regentropfen auf seiner Haut. Der Regen war schön kühl, genau wie der Wind, der ihm ins Gesicht blies. Er hatte das Versprechen gegenüber seien Eltern gebrochen. Aber jetzt war es nicht mehr zu ändern. Er musste dieses Leben leben, nicht um seinetwillen, sondern um den Willen seiner Eltern. Das war er ihnen noch schuldig, konnte er das Versprechen schon nicht einhalten.

Der Wind ließ seine Haare fliegen. Sein Gesicht war nass, aber das interessierte ihn nicht. Die Regentropfen hatten ihn endlich mal aus seinem Bett hervorgelockt. Dann blitzte es. Der Donner setzte kurz danach ein. Er war laut.

Die Krankenschwester versuchte, ihn vom Fenster wegzureißen und das Fenster zu schließen, aber der Junge klammerte sich an der Fensterbank fest. Die Schwester zog und zerrte wie eine Bekloppte, gab schließlich auf, um einen Doktor zu holen, der stärker war. Sie verstand sowieso nicht, wie ein Fünfjähriger stärker war als eine 25-jährige.

Das Gewitter kam immer näher. Der Junge konnte die Blitze sehen. Sie waren wunderschön. Als hätte jemand sie in den Himmel gemalt. Und der Donner kribbelte in seinen Adern.

Der Doktor und die Schwester versuchten es nun schon mit vereinten Kräften, aber der Junge rührte sich keinen Millimeter vom Fleck. Es schien, als hätte man seine Füße in Beton gegossen und in den Boden eingelassen. Schließlich gaben sie es auf und setzten sich auf zwei Stühle im Raum. Ihnen war sichtlich die Luft ausgegangen.

Dann trat der Junge vom Fenster zurück und schloss es. Er konnte sie hören. Die Regentropfen. Regentropfen an der Fensterscheibe.

...und das letzte Blut getrocknet ist

...und das letzte Blut getrocknet ist
 


 


 

Ich stehe vor der Tür. Es regnet. Meine Kleidung klebt auf meiner Haut, aber darum kümmere ich mich nicht. Es interessiert mich nicht. Ich hatte nicht zurück ins Krankenhaus gemusst. Am Flussufer hatten sie mir meinen Kopf und Rücken verbunden. Dann waren sie fort gefahren. Hatten mich allein gelassen.

Und jetzt… Jetzt stehe ich vor meiner Haustür. Bewegen tue ich mich nicht. Ich weiß, dass Rin Einkaufen ist. Sesshoumaru ist Zuhause. Wenn ich hineingehe, tut er mir weh. Aber auch, wenn ich mit Rin reingehe, wird er mich schlagen. Er wird einfach in mein Zimmer kommen. Ich werde mich nicht wehern. Ich habe es noch nie getan. Habe es einfach akzeptiert. Ich mache noch einen Schritt. Taishou, steht auf der Klingel. Leicht streifen meine Finger darüber. Ich kann das Klingen gedämpft hören. Bald werden Schritte deutlich. Sesshoumaru reißt die Tür auf. Er beäugt mich. „Du lebst noch?“, fragt er in hasserfülltem Ton. Ich nicke nur. Wenn es sich umgehen lässt, rede ich nicht mit meinem Bruder.

Er reißt mich in die Wohnung und wirft mich zu Boden. Sagen tut er nichts. Er starrt mich nur hasserfüllt an. Ich sehe zu ihm auf. Gleichgültig, ich weiß, was geschehen wird. Er packt meinen Hals und hebt mich hoch. Mein Nackenknochen knackt. Er tötet mich nur nicht, weil es Rin auffallen würde. Einen anderen Grund gibt es nicht.

Sesshoumaru schleudert mich gegen die Wand. Der kleine Tisch fällt um und die Vase zerbricht. Das Wasser breitet sich auf dem Boden aus. „Sieh, was du angerichtet hast!“, keift mein Bruder. Meine Antwort besteht aus Schweigen. Sesshoumaru knurrt. Er hasst es, wenn ich nicht auf ihn reagiere. Das weiß ich. Und genau deshalb tue ich es. Langsam stehe ich auf. Sesshoumaru tritt ein paar Schritte auf mich zu. Er schlägt mich so ins Gesicht, dass ich mit dem Kopf auf die Treppen fliege. Meine Platzwunde reißt wieder auf. Der Verband tränkt sich mit Blut. Mich interessiert das nicht. Ich bleibe auf den Stufen liegen. Ich weiß, dass er kommen wird. Warum also soll ich aufstehen? Und dann steht er über mir. Seine Augen strahlen seinen unglaublichen Hass auf mich aus. Dann geht er weg. Ich weiß, wohin er geht. Er will in die Küche. Er will ein Messer holen. Das hat er schon oft gemacht. Reagiert habe ich nie. Ich habe es gesehen, mehr nicht. An meinem ganzen Körper habe ich kleine, fast unsichtbare Narben. Die Narben des Hasses.

Ich drehe den Kopf zur Tür. Er kommt heraus. Das Messer hat er in der Hand. Ich mache die Augen einfach zu. Ich spüre ihn. Den Schmerz. Und das Blut. Das Blut, das aus meinem Körper fließt. Ich wehre mich nicht. Der Schmerz beweist mir, dass ich noch lebe. Sonst würde ich mich als „tot“ fühlen.

Ich spüre, wie Sesshoumaru mein Hemd öffnet. Dann hebt er meinen rechten Arm. Ich kann sein Grinsen fühlen, als ich kurz zusammenzucke. Er nimmt das Messer. Ich öffne meine Augen. Ich sehe seine irr flackernden Augen. Er setzt das Messer an meiner Schulter an. Es schneidet leicht in meine Haut. Sesshoumaru stößt es in mein Fleisch und zieht meine Narbe nach. Er weiß, dass ich dort immer die größten Schmerzen habe. Wie auch jetzt. Ich ziehe scharf die Luft zwischen die Zähne ein. Schreien will ich nicht.

„Na, tut das weh?“, fragt Sesshoumaru flüsternd. Seine Stimme strotzt nur so vor Böswilligkeit. Ich antworte nicht. Er kennt die Antwort. Obwohl ich es nicht will, rinnt mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Ich spüre ihre Nässe auf meiner Haut. „Oh, unser Kleiner weint! Das tut mir ja Leid!“ Er fängt an zu lachen. Er weiß, dass er gewonnen hat. Er hat immer gewonnen. Mit einem schnellen Ruck, der mir große Schmerzen bereitet, zieht er das Messer aus meinem Fleisch. Die Treppenstufe färbt sich rot. Sesshoumaru schlitzt mir noch die Wange auf. Das macht er immer. Dann geht er in die Küche. Ich bleibe einfach liegen.

Später stehe ich auf. Die Treppen sind rot. Rot und feucht. Feucht von meinem Blut. Langsam gehe ich hoch. Meine Schritte sind leise. Man hört sie nicht. Dann bin ich bei der Tür, die in mein Zimmer führt. Ich öffne sie. Darin stehen nur ein Bett, ein Tisch und ein Schrank. Mehr nicht. Mehr brauche ich nicht. Ich lasse mich auf mein Bett fallen. Es riecht nach Waschmittel. Nach dem Waschmittel, das Rin immer benutzt.

Dann kommt er. Der Schmerz. Der Schmerz der unzähligen kleinen Schnittwunden. So ist es immer. Der Schmerz kommt immer dann, wenn ich alleine bin. Wenn alles vorbei ist. Es tut weh. Die Bettdecke färbt sich rot. Rot von meinem Blut. „Versprich mir… dass du nicht aufgibst…“ Nicht aufgeben? Ich habe schon aufgegeben. Seit deinem Tod. Seitdem bin ich nicht mehr der, der ich einst war. Ich habe mich aufgegeben. Mehr kann ich nicht aufgegeben. Mehr habe ich nicht. Das andere hast du mit dir in den Tod genommen. „I’m dying again.“ Ja. Ich sterbe wieder. Ich sterbe jeden Tag. Bei jedem Lachen. Immer wenn ich sehe, dass andere „glücklich“ seien können…

Ich bin aufgestanden. Der Blutfluss ist versiegt. Ich sehe hinaus auf den Sonnenuntergang. Ich sehe den roten Himmel. Rot wie Blut. Ich berühre leicht die Fensterscheibe. Vorsichtig stoße ich es auf. Ich spüre den Wind. Er ist angenehm auf meiner Haut. Und die Wärme der untergehenden Sonne. Ich höre ein Zwitschern. Es ist ganz in meiner Nähe. Auf der Fensterbank sitzt ein Vogel, der mich ansieht. Ich lächle. Er singt eine Melodie, fliegt auf meinen Finger. Leise flüstere ich: „Fly. Fly against your freedom.“ Der Vogel zwitschert noch einmal. Dann fliegt er fort. In seine Freiheit. Ich will auch ein Vogel sein. Fort fliegen von hier. Dann lächle ich noch mal. Ich würde fortgehen. Nicht fliegen, aber ich würde nicht für ewig hier sein. Irgendwann würde ich frei sein, auf eine ganz besondere Art und Weise… Irgendwann…

Es ist Nacht. Ich stehe immer noch am Fenster. Rin hat angeklopft, aber ich hatte nicht geantwortet. Ich will niemanden sehen. Vor allem nicht sie. Rin würde fragen, woher das Blut kommt. Was hätte ich ihr sagen sollen?

Ich lehne mich an die Fensterscheibe. Die Straßenlaternen geben den Betrunkenen auf ihrem Weg nach Hause ein wenig Licht. Ich kann sehen, wie sie torkeln. Ihre Frauen würden sauer werden. Schimpfen und ihm dann wieder verzeihen. Weil sie sie lieben. Liebe. Ein seltsames Wort. Ein Wort, das ich nicht kennen gelernt habe. Ich weiß, was Hass ist. Ich weiß, wie sich Schmerz anfühlt. Und ich weiß, was Einsamkeit ist. Ich schließe die Augen.

„All that I’m living for is my promise“, flüstere ich. Ich lebe nur für das Versprechen, das ich dir gegeben habe. Für mehr nicht. Oder… doch. Für meinen Weg ins Nichts. Auch für ihn lebe ich. Als ich die Augen öffne, sehe ich eine Sternschnuppe. Ein weißer Strahl am Himmel. Wo kommen Sternschnuppen her? Was bedeuten sie? Gibt es wirklich einen „Gott“…? Auf keine dieser Fragen gibt es eine Antwort. Keine Antwort, der ich Glauben schenken kann.

Ich glaube nicht an Gott. Ich glaube nicht daran, dass „Wünsche“ wahr werden können. Ich glaube nicht an die wahre Liebe. Ich glaube nur an Bestimmung. Zufälle gibt es nicht. Alles ist vorherbestimmt. Auch mein Weg ins Nichts. All dieser Schmerz. All das ist vorherbestimmt. All das muss so kommen. Weil es richtig ist. Es gibt keine Alternative. Die Menschen glauben, sie hätten eine Wahl. Aber am Ende kommt es, wie es kommen muss. Sonst zerbricht die Welt. Das weiß ich. Wenn man den Tod verhindert, muss ein anderer sterben. Ich hatte die Ehre noch nicht. Wir alle sterben nur anstelle eines anderen. So schließt sich alles in einem Kreis. Einen Kreis, den niemand verließen, nicht der größte Elefant, nicht der kleinste Floh.

Dann höre ich einen Schrei. Ich sehe, wie ein Mann erschossen wird. Er ist gestorben. Gestorben für einen anderen Menschen. Hier hat sich der Kreis des Lebens also geschlossenen. Ich sehe hoch in den Himmel. Der Mond strahlt auf mein Gesicht. Sein Licht. Sein kaltes, kühles Licht. Das kalte Licht, das den Tod umgibt.

Schicksalshafte Begegnungen

Es klopft. Blinzelnd öffne ich meine Augen. Mein erster Blick fällt auf meinen Wecker. Es ist Punkt genau sieben Uhr. Ich brauche eine halbe Stunde, um zur Schule zu kommen. Eine viertel Stunde ist Frühstück angesagt. Die einzige Mahlzeit, die wir alle gemeinsam einnehmen. Die Schlimmste des Tages. „Inu Yasha-sama, sind Sie wach?“, ruft Rin durch die Tür. Ich erhebe mich aus dem Bett. Ein kleiner Schmerz durchfährt meinen Arm. Meine Narbe tat immer noch weh. „Inu Yasha-sama! Sind Sie wach?“, fragt Rin noch einmal. Ich schlurfe zur Tür und klopfe einmal daran. Ich bin nicht sehr gesprächig, deshalb haben wir das so geregelt. Ich höre, dass Rins Schritte sich entfernen. Ich durchforste die Kartons nach etwas, was ich als Verband benutzen kann. Wenn ich meinen Arm nicht verband, würde Rin erkennen, dass meine Narbe aufgegangen war. Außerdem ist es so besser, wenn meine neuen Mitschüler mich danach fragen würden, konnte ich sagen, ich hätte mich geschnitten. Die Uniform geht glücklicherweise bis zu den Handgelenken, da würden sie mir das abkaufen. Ich habe ein weißes Tuch gefunden. Lang genug ist es. Ich wickle meinen Arm ein. Dann krame ich die Uniform aus einem der drei Kartons und ziehe sie an. Schließlich gehe ich zur Tür raus und die Treppe herunter. Unten, in der Küche, wartet mein täglicher Peiniger.

Rin sieht auf und lacht mich an. Das tut sie jeden Morgen. Auch Sesshoumaru blickt auf, schenkt mir einen Blick, der jeden Tag bösartiger zu werden scheint. Meine Antwort besteht aus Schweigen. „Da bist du ja endlich“, grummelt Sesshoumaru. Das Frühstück verläuft schweigend, wie jeden Morgen.

Eine Viertelstunde später schließt sich die Haustür. Ich atme auf. Langsam gehe ich auf dem Bürgersteig entlang. Um mich herum sind viele, die die gleiche Uniform wie ich tragen oder halt die für Mädchen. Und keiner ist allein. Keiner, bis auf mich. Aber so etwas bin ich gewöhnt. Wenn ich daran denke, dass ich heute im Mittelpunkt des Interesses stehen werde, wird mir schon schlecht. Vor mir schließt sich die Bahnschranke. Ich bleibe stehen und warte auf die Bahn. Ich hoffe, dass sie bald kommt. Jemand tritt neben mich. Er legt mir seine Hand auf die Schulter. Instinktiv drehe ich den Kopf. Der Junge hat die gleiche Uniform wie ich, sein schwarzes Haar hat er zu einem Zopf zusammengebunden. Seine Augen sind hellblau. „Dich kenne ich nicht“, sagt er. „Wer bist du? Und woher kommst du?“ Er starrt mich eindringlich an. Ich höre, dass die Bahn kommt. Ich antworte nicht. Die Bahn ist vorbei, und die Schranke hebt sich. Ich will weitergehen, aber der Junge weicht nicht von meiner Seite. Kaum haben wir die Schienen passiert, hält er mich wieder fest. Diesmal stellt er sich direkt vor mich. „Antworte mir!“, knurrt er. Ich schüttele den Kopf. In seinen hellblauen Augen blitzt Zorn auf. Widersetzt sich ihm sonst niemand? Er schlägt mich ins Gesicht, so, dass ich auf den Boden falle. Ein paar Passanten bleiben stehen. Sein Schlag war verglichen mit Sesshoumarus sanft. Ich erhebe mich. „Antworte mir!“, wiederholt der Junge. „Dann sage mir erst deinen Namen“, verlangte ich. Der Junge knurrte: „Ich heiße Kouga Hibiki.“ Ich nicke und antworte ihm nun. „Mein Name ist Inu Yasha Taishou.“ Kouga schnaubt. Er tritt auf mich zu und knurrt: „Ich dulde niemanden, der beliebter ist als ich. Also sorg dafür, dass du dich schön unbeliebt machst.“ Dann geht er wieder. Ich warte ein paar Minuten, dann gehe auch ich weiter.

Jetzt stehe ich vor dem Schultor. Ein paar Schüler hatten mich seltsam angesehen, vielleicht hatten sie nach einem Zeichen der Schwäche gesucht nach Kougas Schlag? Na ja, egal. Jetzt muss ich das Büro des Rektors finden.

Ich irre durch die Gänge der Schule, bis mich ein Lehrer abfängt. „Wieso bist du nicht in deiner Klasse?“, donnert er mit seiner lauten Stimme. „Ich bin neu hier“, erwidere ich leise. „Ich suche das Büro des Direktors.“ „Ach so.“ Seine Gesichtzüge werden milder. „Komm. Ich führe dich hin.“ Ohne auf meine Antwort zu warten, dreht er sich um und geht los. Was bleibt mir anderes übrig, als hinter ihm herzulaufen?

Schließlich bleiben wir vor einer Tür stehen, auf der in Großbuchstaben DIREKTOR steht. Der Lehrer klopft an. Öffnen tut er erst, als von innen ein „Herein“ erklingt. Der Lehrer öffnet und lässt mich vorgehen. Der Direktor lächelt mich milde an. Dann steht Erstaunen auf seinem Gesicht. „Was ist mit deinem Gesicht passiert?“ Instinktiv berühre ich meine Wange. „Ich habe eine äußerst nette Bekanntschaft mit einem Jungen namens Kouga gemacht“, sage ich und der Rektor fängt an zu lachen. „Hach ja, Kouga. Der Schläger der Schule. Das nennt man wohl Ironie des Schicksals, da du in seine Klasse kommst. Ich hoffe, du bist mir nicht zu böse, Inu Yasha.“ Ich nicke. „Sie wussten ja nichts davon.“ Der Direktor schien ein fröhlicher Mensch zu sein, denn er lacht wieder. Auch meine Mundwinkel zucken leicht nach oben. „Bring ihn in seine Klasse. Sie wartet sicher schon sehnsüchtig auf euch“, sagt er zu dem Lehrer. Der nickt und bittet mich, ihm zu folgen. Also los, ab in die Höhle des Löwen. Auf zu Kouga.

Der Lehrer reißt die Schiebetür auf und brüllt: „Ruhe und auf die Plätze!“ Sofort wird das Scharren der Stühle laut. Er tritt in die Klasse und ich gehe hinter ihm her. Es herrscht Stille, ich weiß alle Blicke auf mir ruhen. Als der Lehrer stehen bleibt, tue ich es ebenfalls und drehe mich der Klasse zu. Noch bevor ich ihn entdecke, schreit Kouga: „Der Stumme!“ Ich wende den Kopf nach links und sehe ihn an. Nennt er mich so, weil ich ihm nicht sofort auf seine Frage geantwortet habe? „Hibiki, setz dich wieder hin!“, herrscht der Lehrer ihn an. Kouga setzt sich grummelnd wieder auf seinen Stuhl. „So“, die Stimme des Lehrers ist wieder ruhiger geworden. „ Das hier ist unser neuer Mitschüler Inu Yasha Taishou. Er ist erst gestern mit seinem Bruder aus Kyoto hergezogen. Ich hoffe, dass ihr ihn freundlich aufnehmt. Habt ihr Fragen an unseren neuen Schüler?“ Ein paar Hände heben sich. „Ja, Hishuki?“ „Warum bist du nur mit seinem Bruder hergekommen?“, fragt der Junge. Bevor ich antworte, sehe ich ihn genau an. Sein schwarzbraunes Haar ist zu einem kleinen Zopf zusammengebunden, am rechten Ohr hat er einen Ohrring und am linken zwei. „Meine Eltern sind tot.“ Ein kurzer Moment der Stille folgt. Dann sagt der Lehrer: „Ja, Taijion?“ Ein Mädchen mit langen, brauen Haaren fragt: „Wie alt bist du?“ „Ich bin 17.“ Kouga lacht. „Bist du etwa sitzen geblieben, Stummbolzen?“ „Nein. Ich bin erst mit sieben eingeschult worden. Das Jahr zwischen dem Tod meiner Mutter und meinem sechsten Geburtstag habe ich im Krankenhaus verbracht. Danach hat man mir ein Jahr Frieden gewährt, wo ich aufgeholt habe, was ich verpasst habe.“ Wieder folgt Stille. Eine Hand hebt sich zögerlich. „Ja?“, sagt der Lehrer. „Dein Akzent ist seltsam, etwas anders. Aus welchem Land kommst du oder deine Eltern?“ „Ich bin hier in Japan geboren worden. Mein Vater hat ebenfalls hier das Licht der Welt erblickt. Meine Mutter ist in England geboren worden und kam mit 20 hierher.“ „Ah, der Stumme ist also halbenglisch?“, kommt es von Kouga. Ich weiß, dass er alles gegen mich verwenden wird. Aber Aufziehungen wegen meiner Herkunft bin ich schon gewohnt. Meine alten Mitschüler haben es auch gemacht, und Sesshoumaru tat das Gleiche. „If you think that I’m weak, then I will show you with who you will fight“, murmle ich. Der Lehrer sieht mich erstaunt an. „Wie alt warst du, als deine Mutter gestorben ist?“, fragt er mich nun. „Gerade fünf Jahre alt geworden“, antworte ich, den Blick weiter geradeaus gerichtet. Alle starrten mich an. Selbst Kouga hat es die Sprache verschlagen. „Gibt es noch weitere Fragen?“, fragt der Lehrer in die Runde. Stille. „Das heißt wohl nein“, erkannte der Lehrer. Er wandte sich zu mir. „Setz dich bitte neben Kagome Higurashi. Das ist das Mädchen, das da hinten allein sitzt.“ Er deutet auf ein Mädchen, das mir leicht zulächelt. Ich setzte mich in Bewegung.

Ich setze mich neben sie. Ich spüre den wütenden Blick Kougas auf mir ruhen. „Hallo, ich bin Kagome“, begrüßt sie mich. Sie lächelt mich warmherzig an. Ich kann nicht anders als zurückzulächeln. „Mein Name ist Inu Yasha“, antworte ich. Vorsichtig nehme ich ihre ausgestreckte Hand. Der Rest der Stunde verläuft langweilig.

Nach der Stunde zeigt Kagome mir die Schule. Sie scheint ein nettes Mädchen zu sein. Ihr Lächeln scheint wie fest gemeißelt.

Aber nach der Schule wartet Kouga am Tor auf mich. „Na, macht es Spaß, von Kagome umsorgt zu werden?“, keifte er. „Lass mich durch. Ich muss nach Hause“, erwidere ich. „Ach, willst du deinem Brüderchen erzählen, was der böse, böse Kouga dir angetan hat?“ Er grinst. „Nein, du Narr. Wenn ich zu spät komme, bringt er mich um.“ Kouga lacht laut auf. „Ja, klar, immer doch! Such dir einen Dümmeren!“ „Das dürfte sich als schwer gestalten.“ Kougas Miene verfinstert sich und er schlägt mir ins Gesicht. Doch diesmal bleibe ich stehen. Und nicht nur das, ich schlage auch zurück. Bei Sesshoumaru lasse ich es geschehen, weil ich noch ein paar Jahre mit ihm auskommen muss. Diesen Kouga werde ich nach dem Abschluss nie wieder sehen. Außerdem will ich meine Drohung wahr machen. „Was hast du eben eigentlich auf Englisch gesagt?“ „ Falls du denkst, dass ich schwach bin, werde ich dir zeigen, mit wem du kämpfen wirst.“ Kouga knurrte, lässt mich aber unbehelligt passieren. „Das war nicht unsere letzte Begegnung“, zischt er mir hinterher. „Nein“, antworte ich vergnügt. „Bis morgen, Kouga.“ Dann beeile ich mich, nach Hause zu kommen.

Natürlich war ich nicht schnell genug. Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass ich nach der Zeitplanung von Sesshoumaru vor fünf Minuten hätte da sein müssen. Mittags um diese Zeit hat Rin Mittagspause. Für 15 Minuten ist Sesshoumaru immer hier, um sich sein Mittagessen mit ins Büro zu nehmen. Ich öffne die Haustür, wieder einmal mit der irrsinnigen Hoffnung, er könnte schon wieder weg sein. Sesshoumaru steht vor der Tür und fragt grollend: „Wo bist du gewesen?“ Ich zucke zurück in den Türrahmen, aber die Tür ist schon wieder zu. „Ich wurde aufgehalten“, stotterte ich mühsam. „Das sagst du immer. Glaubst du wirklich, es würde wahrer?“ Zeit für eine Erwiderung suche ich gar nicht, ich schließe einfach die Augen. Ich spüre nur diesen Schmerz. Mehr nicht.

Ich liege auf meinem Bett. Mein Körper hat überall blaue Flecken. Meine Narbe pocht ein wenig. Glücklicherweise hat mich niemand auf den Verband angesprochen. Sesshoumaru ist fort. Ohne Rin ist es still. Irgendwie… VIEL zu still. Dann klingelt das Telefon. Unwillig stehe ich auf und torkle zu dem Telefon. Wegen des Schmerzes kann ich meine Bewegungen noch nicht so gut koordinieren. „Ja?“, frage ich.

„Inu Yasha?“, fragt eine weibliche Stimme.

„Wer ist da?“

„Ich bin es, Kagome!“

„Was ist denn?“

„Ich wollte dich fragen, ob wir uns in der Eisdiele treffen könnten!“

„Wieso? Sind deine Freundinnen alle ausgebucht?“ Kagome lachte. „Nein! Zwei meiner Freunde sind sogar da. Wir möchten dich näher kennen lernen, Inu Yasha.“ Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Rin kann ich einen Zettel schreiben. Und Sesshoumaru kommt in acht Stunden zurück. Ja, es geht. „Okay. Ich bin in einer halben Stunde da.“ Dann lege ich auf. Ich schäle mich aus der Uniform. Es schmerzt ein wenig. Aus meinem inzwischen eingeräumten Schrank krame ich eine Jeans hervor und ein rotes T-Shirt. Es liegt eng auf meiner Haut, aber etwas anderes habe ich im Moment nicht. Na ja, los geht’s. Jammern kann ich heute Nacht noch. Ich kritzle eine Nachricht für Rin, die ich auf den Küchentisch lege. Dann schnappe ich mir meinen Schlüssel und schließe die Tür.

Eine halbe Stunde später stehe ich vor der Eisdiele, meine Augen suchen nach Kagome. Dann sehe ich ein heftig winkendes Mädchen. Es ist Kagome. Ich bewege mich in Richtung des Tisches.

„Schön, dass du kommen konntest!“, begrüßt mich Kagome. Ich nicke. „Das hier sind Miroku und Sango“, stellt sie die beiden Anderen vor. Sie lächeln mich an, kaum habe ich mich hingesetzt. „Nimm es Kouga nicht übel!“, sagt Miroku. „Er will der Beliebteste der Schule sein. Jeden Neuen, der nach etwas aussieht, will er unter seine Fittiche nehmen.“ Sango zuckt mit den Schultern. Unsere Eisbestellung ist im Anmarsch.

Nach dem Eis gehen Miroku und Sango zusammen nach Hause, Kagome klebt an mir. „Wir können ein wenig zusammengehen.“ Ich sehe auf meine Uhr. Fünf Uhr. In fünf Stunden kommt mein Alptraum nach Hause. Ich seufze. „Was ist?“, fragt Kagome. „In fünf Stunden kommt mein Bruder nach Hause.“ Sie gibt ein leises „Oh“ von sich.

Dann stehen wir vor meiner Haustür. „Bis morgen“, sag Kagome lächelnd. „Ja. Bis morgen“, erwidere ich, leicht lächelnd. Kagome wendet sich um und geht langsam weg.

Später liege ich wieder auf meinem Bett. Ich denke an den vergangen Tag. Er war ganz schön, wenn man den Teil mit Kouga herausschnitt. Vor allem der Teil mit Kagome. Seltsam, das sie mich gleich am ersten Tag besser kennen lernen wollte! Na ja. Mal sehen, was morgen passieren würde. Ich lösche das Licht und kuschle ich in mein Bett. Ich falle in einen tiefen Schlaf. Ein wirklich erholsamer Schlaf, und das ausnahmsweise ohne Schlaftabletten.

Kagomes Brief

Als Dank für das Bild, das Momo-chan für diese FF gezeichnet hat, gibt es das nächste Kapitel. En paar hab ich noch... wenn mir jemand in den Hintern tritt, kommen da in nächster Zeit auch.
 


 

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Heute passiert das, was wirklich selten ist: Rin ist krank. Nicht nur, dass ich voll verschlafen habe und zu spät zur Schule komme, nein, ich bin auch noch mit Sesshoumaru allein. Das kann ja der schönste Tag meines Lebens werden. Ich seufze und grapsche mir noch grade so meine Schlüssel, bevor ich zur Schule flitze.
 

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Endlich dort angekommen, brauche ich erst eine Verschnaufpause. Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass vor zwanzig Minuten die zweite Stunde angefangen hat. Was ist die noch mal? Ach ja. Das Lieblingsfach aller Schüler. Mathe. Und das, wo ich doch so ein begnadeter Mathematiker bin. Ob das dieses Jahr besser werden würde als vier? Das gibt immer Zoff, wenn ich mit einer Vier in Mathe nach Hause kam. Sesshoumaru will immer, dass ich der Klassenbeste bin. Aber wozu soll ich es sein? Ich würde niemals irgendeinen Job annehmen, ganz einfach, weil ich jetzt schon weiß, wohin mein Weg führt.

Jetzt stehe ich vor der Klassentür. Kouga wird sich bestimmt lustig machen. Ich seufze noch einmal und dann klopfe ich an. Vorbei schleichen hat keinen Sinn, da der Lehrer sehen kann, wenn sich die Tür öffnet. Ich öffne die Schiebetür und der Lehrer sagt: „Oh, Inu Yasha! Beehrst du uns auch mit deiner Anwesenheit? Warum kommst du erst jetzt?“ Eigentlich verbeugt man sich jetzt in so einer Situation, aber ich tue es nicht. „Ich habe leider verschlafen. Und unser Haus ist etwas von der Schule entfernt, so dass es noch später gekommen bin.“ Ich steuere auf meinen Platz neben Kagome zu, die mich mit einem warmen Lächeln empfängt. „Nun, wie ist die Lösung dieser Gleichung?“ Der Lehrer tippt mit dem Lehrstock oder wie das Ding heißt an die Tafel. „Was ist x, Inu Yasha?“ Er fragt bewusst mich, da er genau weiß, dass ich es nicht wissen kann. Ich gebe ein „Äh…“ von mir und spüre, wie Kouga grinst. Ich konzentriere mich auf die Rechnung, glücklicherweise, ich kenne sie, und kann sie relativ schnell lösen. „X ist gleich 365.“ Der Lehrer starrt mich an, als hätte ich gesagt, dass alle Schüler Mathe lieben würden. Auch der Rest der Klasse starrt mich an, besonders Kougas Verwunderung genieße ich. Als ich mich in der Klasse umsehe, berührt Kagome meine Hand. Sie versucht, mir einen Zettel in den Handballen zu schieben. Ich öffne die Hand und umschließe den Zettel. Ich würde ihn in der Pause lesen.

Der Rest der Stunde verläuft…wie könnte es anders sein? ... langweilig. In der Pause setzte ich mich auf eine Bank und hole den Zettel hervor, der schon etwas zerknittert ist. In meiner Hosentasche ist wohl doch nicht soviel Platz wie ich gedacht hatte. Egal, lesen kann man es noch.
 

Hey Inu Yasha,
 

oder darf ich dich Inu nennen???? Na ja, ich möchte dich fragen, ob du vielleicht mit zu mir nach Hause kommst?? Meine Familie nicht da und vielleicht könntest du mir in Mathe helfen… Da bin ich eine Niete drin… =) Bitte antworte mir!! Ich würde mich freuen, wenn du mit zu mir kommen würdest. =)
 

Deine Kagome
 

Ich starre auf diesen Zettel. Was will sie? Erst mal verarbeiten, dann nachdenken. Sie möchte, dass ich mit zu ihr gehe? Nun, vermissen würde mich zu Hause niemand… Rin schläft und das würde sie auch noch eine Weile tun. Also, was spricht dagegen? Nichts, eigentlich. Nur, dass ich mich komisch dabei fühle. Warum will sie mich kennen lernen, wo wir uns doch grade mal zwei Tage kennen? Ob ich ihr sympathisch bin? Oder ist sie immer so? Das sind Fragen, die ich mir nicht beantworten kann. Ich könnte einfach zu ihr gehen. Schaden würde es nicht. Und, wer weiß, vielleicht kommt so eine Freundschaft zwischen uns zustande. Ich lächle. Es wäre schön. Endlich jemanden, dem ich mich anvertrauen kann! Kagome scheint nicht so, als ob sie Geheimnisse weitererzählen würde. Ich denke, dass man ihr vertrauen kann. Ich stoße ein zufriedenes Seufzen von mir und stehe auf um Kagome zu suchen.

Sie findet mich zuerst. Frauen sind beim Finden irgendwie erfolgreicher als Männer. Sie ruft: „Inu Yasha!!“ Ich drehe mich zu ihr um. „Kagome“, antworte ich. Rufen ist nicht nötig, denn sie steht schon vor mir. „Und? Kommst du zu mir??“ Ihre Augen haben einen schönen Glanz. Ich lächle und sage: „Also, ich sehe nichts, was dagegen spricht…“ „Dann sieh mich an! Ich spreche dagegen!“, keift Kouga, ich habe seine Stimme sofort erkannt. „Sei still, Kouga-kun! Ich habe ihn gefragt, also halt deine Klappe!“ Ich sehe zu Kagome herunter. Dieses Mädchen ist wirklich mutig. „Pah!“, gibt Kouga von sich. Er stürmt auf mich zu und schlägt mir ins Gesicht. Ich beobachte das aus den Augenwinkeln. Sein Schlag tut nicht weh, es ist mehr schon ein Streicheln. Kouga kann noch so einiges von Sesshoumaru lernen…

Ich höre, wie Kagome scharf die Luft zwischen den Zähnen einzieht. „Kouga-kun! Wie kannst du nur so etwas tun?? Er hat dir doch gar nichts getan!“, protestiert sie. Ich freue mich, dass sie mich verteidigt. Mir wird sogar ein wenig warm ums Herz. Sie kennt mich nicht und dennoch möchte sie meine Freundin sein… Aber vielleicht ist sie zu jedem so, das lässt meine gute Laune wieder sinken, beträchtlich sinken. Bei mir gibt es nur zwei Phasen, der Rest existiert nicht. Entweder Himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Der meiste Fall ist der zweite. Es gibt nichts, worüber ich mich freuen könnte. Ob Kagome das ändern kann? Kann ich mich irgendwann auf die Begegnung mit ihr freuen?

„Es ist in Ordnung, Kagome“, sage ich mit seltsamer Ruhe. „In Ordnung?“, kreischt sie. „Er hat dich geschlagen und du findest das in ORDNUNG????“ Ich wedele mit den Händen, etwas anderes fällt mir nicht ein. „Äh… ähm… natürlich nicht… aber… äh… es hat nicht wehgetan!“ Kagome starrt mich an, mit unbewegter Mine. „Fühlst du nie Schmerz?“, fragt sie. Kouga lacht, aber nicht über ihre Worte. Sie haben sich nicht wie ein Scherz angehört. „Es gibt Schmerz, der größer ist als ein Schlag“, sage ich zweideutig. Ich will ihr nicht sagen, dass mein Bruder mich schlägt und ich will ihr nicht sagen, dass ich Depressionen habe. Das sind sehr gute Punkte, um eine Freundschaft aufzubauen. Ich seufze. „Sicher gibt es das, aber ein Schlag ins Gesicht tut doch auch weh“, protestiert sie kleinlaut. Ich lächle. Sie scheint gern Recht zu behalten. „Natürlich tut es weh“, sage ich, um ihren Stolz nicht zu verletzten. „Aber ich fühle diesen anderen Schmerz…öfter als einen Schlag ins Gesicht.“ Das ist nicht ganz wahr, aber auch nicht ganz falsch. Ich will sie erst besser kennen lernen, bevor ich ihr mein größtes Geheimnis offenbare. Wenn sie es nicht weiß, kann sie mir damit nicht wehtun. „Der Stumme spürt Schmerz? Dann bist du kein richtiger Mann, Kerl! Jungs spüren keinen Schmerz!“, behauptet Kouga leichthin. Ich glaube, ich darf mir erlauben zu sagen, dass ich nicht ganz hilflos bin. Ich habe vor ungefähr zwei Jahren einen Kampfkurs besucht und als Bester abgeschnitten. Das Turnier der Besten habe ich gewonnen, in aller Bescheidenheit. Ich balle die Hand zur Faust, hole aus und schlage Kouga mitten ins Gesicht. Der fliegt von der Wucht des Schlages davon und landet auf dem Boden. Kouga reibt sich das Kinn und grummelt: „Sag mal, aus was bestehen deine Knochen? Aus Eisen?“ Ich lächle verschmitzt und antworte: „Nein, sie sind nicht aus Eisen. Aber ich gewann einst ein Turnier der besten Kämpfer und das scheint sich bis heute gehalten zu haben.“ Kouga springt auf. „Willst du Krieg??“, brüllt er. „Nein. Aber du willst ihn, wie es aussieht.“ Das habe ich ruhig gesagt. Ich frage mich, wo ich diese Ruhe für ihn herbekomme. „Kommst du jetzt mit zu mir?“, meldet sich Kagome wieder zu Wort. Ich sehe zu ihr runter und lächle. „Jetzt gibt es nichts mehr, was dagegen spricht.“ Nebeneinander gehen wir vom Schulhof. Um mein Herz ist so eine seltsame Wärme. Eine Wärme, die ich bisher noch nicht gespürt habe. Eine angenehme Wärme. Ich muss einfach wieder lächeln.

Himmelhoch jauchzend...

Den gesamten Heimweg zu Kagome redet sie unablässig. Sie plappert von ihrer Familie und sie sagt mir, dass ihr Vater vor vier Jahren das Zeitliche gesegnet hat. Dabei bekommen ihre sonst so fröhlichen Augen einen traurigen Zug. Ich ringe mit mir. Soll ich oder soll ich nicht? Schließlich gewinnt die Sehnsucht nach Wärme gegen die Angst, ausgenutzt zu werden. Vorsichtig schließe ich das Mädchen in meinen Arm. Ich spüre, dass sie weint und das will ich nicht. „Bitte weine nicht“, flüstere ich leise. „Aber ich vermisse ihn so“, schnieft das Mädchen. Sie drückt ihr Gesicht in meine Brust. Ich möchte nicht, dass sie traurig ist aber ich weiß auch nicht, wie ich sie beruhigen kann. Ich will ihr nicht erzählen, wie es mir ging, als meine Mutter in die ewigen Jaggründe eingegangen ist. So weit vertraue ich ihr nicht, obwohl sie es zu tun scheint. Vielleicht ist es am Besten, wenn ich sie einfach nur stumm im Arm halte. Mir wird seltsam warm dabei.

Nach ungefähr fünf Minuten hört Kagomes Schluchzen und Schniefen dann völlig auf. Aber aus meiner Umarmung will sie sich anscheinend nicht lösen. Zugegeben, mir ist ihre Nähe auch mehr als angenehm. Von mir aus könnten wir für immer hier so stehen bleiben. Hat mein Herz jemals schon so schnell geklopft? Wann war mir das letzte Mal so warm? Die Frage nach der Wärme kann ich beantworten. Vor über zwölf Jahren war mir das letzte Mal so warm. Bei meiner Mutter. Ich drücke Kagome fester an mich.

Erst nehme ich ihre Hände gar nicht auf meinem Rücken wahr. Dann aber spüre ich sie. Sie erwidert meine Umarmung! Leise flüstert sie: „Können wir so bleiben?“ Mir wird ganz heiß. Das Blut pocht in meinen Wangen. Sie will wirklich, dass unsere Umarmung erhalten bleibt? Ich finde ihre Nähe ebenfalls wunderbar. Aber da sie mich eigentlich nach Nachhilfe gefragt hatte… „Kagome…es gefällt mir gar nicht, das zu sagen, aber… eigentlich wollten wir doch zu dir nach Hause; ich sollte dir bei Mathe helfen…“, bringe ich stotternd hervor. Lange Zeit schweigt sie. Ihr Gesicht hat sie in meine Brust gepresst. Was macht man in so einer Situation? Was soll man sagen und vor allem, TUN…?

„Stimmt…“, haucht sie und löst sich langsam, sehr langsam aus der Umarmung. Irgendwie bewegt sie sich im Schneckentempo. Sie sieht zu mir hoch und haucht mir einen Kuss auf die Wange. Nur mit Müh und Not kann ich meinen Mund dazu bewegen, geschlossen zu bleiben. „Danke“, haucht sie mit einem Lächeln auf den Lippen. „Danke, dass du mich in den Arm genommen hast.“ Sie nimmt mich an der Hand, worüber ich auch froh bin, denn selber wäre ich wohl zu keiner Bewegung fähig gewesen. Ich glaube, dass dies hier der schönste Tag meines ganzen bisherigen Lebens werden würde.

Der Rest des Weges verläuft in Schweigen, das keiner von uns durchbrechen will. Dann stehen wir vor einer langen Treppe. Am Ende steht ein Torii. „Du wohnst in einem Schrein?“, frage ich, und sei es nur, um diese verdammte Stille zu durchbrechen! Kagome lächelt. „Ja. Das da ist der Higurashi-Schrein. Dort leben meine Familie und ich. Und hier…hier ist auch Vater gestorben…“ Bevor sie wieder anfangen kann zu weinen, drücke ich sie wieder an mich. „Wenn du willst, dass ich bleibe, dann erwähnst du deinen Vater besser nicht.“ Das Mädchen nickt nur.
 

Als wir die Treppe hochgehen, ist mir das schon ein wenig peinlich. Ich habe einen Arm um Kagome gelegt und sie hat den Kopf an meine Brust gelehnt. „Ich will nicht laufen“, sagt sie. Ich bleibe stehen. „Heißt das etwa, dass ich dich tragen soll??“ Sie sieht mich an. „Das wäre schön.“ Sie haucht mir noch einen Kuss auf die Wange. Gut, sie hat gewonnen. Ich nehme sie also auf den Arm und gehe weiter. „Mich hat noch nie jemand auf den Armen getragen“, verrät das Mädchen mir. „Dann bin ich mit Freuden der Erste“, erwidere ich – und das meine ich auch so. Wenn mein Körper machen würde, was mein Herz tut, dann wären wir irgendwo in den Wolken.

Letzte Stufe; dann stehe ich auf dem Gelände der Familie Higurashi. Eigentlich könnte ich Kagome jetzt herunterlassen, aber das will ich nicht. Ich behalte sie auf dem Arm, und sie scheint damit keine Probleme zu haben. Ich trage sie bis zur Haustür und als ich sie da absetzen MUSS, fühle ich erst die Stärke, die ich bis eben noch verspürt habe. Kagome lächelt mir zu und schließt dann die Tür auf.

Das Mädchen streift ihre Schuhe ab und pfeffert sie in eine Ecke. Auch ich versuche, schnell aus meinen Tretern zu schlüpfen, aber irgendwie funktioniert das nicht. Irgendetwas scheint sich verhakt zu haben und ich fliege voll auf den Boden. „Oh, hast du dir wehgetan?“, fragt Kagome besorgt. „Es gibt Situationen“, nuschle ich, „wo ich mich besser gefühlt habe.“ Kagome lacht kurz und reicht mir dann die Hand, um mir aufzuhelfen. „Oh, du blutest!“, stellt sie erschrocken fest. Ich blinzle und fasse mir an die Stirn. Tatsächlich, da ist Blut. Meine Platzwunde muss wieder aufgegangen sein. Das Mädchen krallt sich meinen Arm und zerrt den dazugehörigen Körper – der perplex ist – mit sich in die Küche. Dort knallt sie mich auf einen Stuhl und ist dann wieder weg, um den Verbandskasten zu holen. Kaum habe ich wieder einen klaren Kopf ist sie auch schon wieder da. „Äh…Bist du etwa geflogen?“, frage ich verdattert. Sie kichert. „Vielleicht“, erwidert sie. Sie schenkt mir ein warmes Lächeln. Augenblicklich schießt mir wieder das Blut in die Wangen.

Sanft wickelt sie den Verband um meinen Kopf. Wenn ich hoch schaue, dann sehe ich auf ihre Brust. Nicht, dass ich nicht schon rot genug gewesen wäre, aber als sie den Verband zubinden will, will sie sehen, was sie zubindet. Sie schiebt den Kopf über den meinen und wo ist mein Gesicht? In ihrer Brust. Ich bin mir absolut sicher, dass ich in meinem gesamten Leben noch nicht SO rot gewesen bin.

„So, fertig“, gibt sie bekannt und entfernt sich wieder von mir. Jetzt wage ich es auch wieder, zu atmen. „Alles in Ordnung? Du siehst aus, als hättest du nicht genug Luft bekommen“, sagt Kagome. Ich öffne den Mund und will ihr widersprechen, aber raus aus meinen Mund kommt nur unverständliches Krächzen. Ihr Gesicht bildet ein Fragezeichen. Ich wedele mit der Hand, weil es im Moment das Einzige ist, was ich vollständig auf die Reihe bekomme. Das Mädchen kichert wieder. Und wieder berühren ihre Lippen meine Wange. Die fangen auch gleich an zu pochen.

„So…ähm…dann hol mal deine Mathesachen…“, stottere ich. „Ich muss dir was gestehen“, sagt sie. „Was denn?“, will ich wissen. „Das mit Mathe war nur ein Vorwand, damit du mich mit nach Hause begleitest…“, gesteht sie. Meine Antwort besteht aus Schweigen. Das ich die Matheaufgabe gelöst habe, war nur ein Vorwand gewesen? Sie hatte also gewollt, dass ich einfach nur mit zu ihr nach Hause kam? Mein Herz pocht gegen meine Brust, ach Quatsch, es hämmert gegen meine Brust.

„U…und was machen wir jetzt…?“, bringe ich irgendwann hervor. „Weiß nicht…wir könnten… wir könnten ein Spiel spielen…“, schlägt sie das Erstbeste hervor, was ihr einfällt. „Spielen? Ein Spiel spielen? Bist du noch zu retten? Meinst du wirklich, mit 17 steht mir der Sinn noch nach Spielen?“ Jetzt sieht sie ganz klein auf dem Stuhl aus. „Meinte ja nur…“, stottert sie. Ich unfähiger Volltrottel! Warum muss ich mir immer alles kaputt machen? Also, Inu, an die Arbeit. Bieg das mal wieder schön grade.

„Äh…ich…es tut mir Leid, wenn ich dich beleidigt habe, Kagome…Aber…ich habe noch nie gerne gespielt, also…Verzeih mir.“ Kagome lächelt. „Ist schon in Ordnung. Ich hätte das Gleiche gesagt. Natürlich verzeihe ich dir.“ Sie steht auf. „Komm. Ich möchte dir mein Zimmer zeigen.“ Ebenfalls stehe ich auf und gehe ihr hinterher. Warum nur schlägt mein Herz heute so laut? Ob es an Kagome liegt…?

Das Mädchen öffnet eine Tür. „Das ist mein Zimmer“, sagt sie, aber ich glaube, das hätte ich auch ohne Erklärung gewusst. Vor dem Bett stand eine Kiste und darauf saß ein großer Plüschteddy. Allein daran konnte man schließen, dass dies hier das Zimmer eines Mädchens war. Das Zimmer eines Jungen wäre sicherlich sehr viel unordentlicher. Nicht, dass ich das aus eigener Erfahrung wüsste.

„Es…ist schön“, sage ich, um überhaupt irgendetwas zu sagen. „Ich freue mich, wenn es dir gefällt.“ Sie hat sich auf ihr Bett gesetzt und klopft nun auf die Stelle neben sich. „Komm, setz dich zu mir“, fordert sie mich auf. Ich erfülle ihr die Bitte sehr gern. Kaum habe ich mich hingesetzt, herrscht Schweigen zwischen uns.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Irgendein Thema muss her! Und dann, ohne Vorwarnung, lehnt Kagome sich an mich. Ich erstarre zur Salzsäule. Ihre Arme schlingen sich um meinen Arm und sie fragt mich: „Gefällt dir das nicht?“ Ich öffne den Mund, aber es scheint mir irgendwie die Sprache verschlagen zu haben. „D…doch, es ist…nur so, dass das noch keiner vor dir gemacht hat…“, stottere ich dann vor. „Ach so“, sagt sie nur und rückt näher an mich. Mein Herz hämmert wieder. Dann ziehe ich sie vorsichtig auf meinen Schoß. Kaum ist sie dort, drückt sie ihr Gesicht in meine Brust. So verharren wir und, ehrlich gesagt, mir gefällt das. Am liebsten würde ich für immer so sitzen bleiben.

Aber dann, um acht Uhr schließlich, lasse ich sie doch los, auch wenn es mir nicht gefällt. Das Essen will gemacht werden. Außerdem sind noch Hausaufgaben zu erledigen. Das muss alles geschafft sein, bevor Sesshoumaru nach Hause kommt…

Kagome sieht mich traurig an. „Musst du schon gehen?“, fragt sie niedergeschlagen. „Ja“, murmle ich mit herabhängenden Schultern. „Aber wir sehen uns ja morgen wieder. Und ich freue mich darauf“, sage ich mit einem Lächeln. Das Mädchen erwidert dieses Lächeln. „Ich bringe dich noch zur Tür. Nicht, dass du wieder hinfällst“, sagt sie mit einem Zwinkern. Als wir zur Tür gehen, tastet ihre Hand nach der meinen. Ich umschließe ihre und vor der Tür sehen wir uns an. Meine Wangen haben ihr Rot nie abgelegt und um ihre legt sich grade ein seichter Schimmer Rot. „Äh…nun ja… Ich fand den Tag schön…“, stottere ich verlegen. „Damit ich ihn schön finde, fehlt noch etwas“, erwidert sie. „Was denn?“, frage ich neugierig. „Schließ die Augen, dann zeige ich es dir.“ Wie befohlen mache ich die Augen zu und warte. Aber ich höre nichts, Stattdessen spüre ich etwas. Auf meinen Lippen. Ich reiße die Augen auf. Tatsächlich. Ihre Lippen… Das ist unglaublich! Ich kann das einfach nicht begreifen. Sie küsst mich! Ihre Lippen berühren die meinen! Das ist zu schön, um wahr zu sein. Aber auch wenn es nur eine Illusion sein sollte, ich sollte sie in vollen Zügen genießen. Langsam schließe ich die Augen wieder. Ich drücke sie fester an mich. Ich kann nicht anders; ich öffne leicht meinen Mund und streiche über ihre Lippen. Das Mädchen gewährt mir Einlass, ohne zweimal darüber nachzudenken. Ich erkunde ihre Mundhöhle und als ich schließlich ihre heiß ersehnte Zunge finde, geht ein Kribbeln durch meinen Körper. Ich will nicht, dass diese Berührung jemals aufhört. Aber nach viel zu kurzen Momenten lösten wir uns voneinander. Ich stammle etwas, was „Wiedersehen!“ heißen könnte, und entferne mich schnellen Schrittes.

Als ich das Ende der Treppe erreicht habe, strahle ich über das ganze Gesicht. Meine Füße scheinen den Boden gar nicht zu berühren. Noch nie habe ich mich so wunderbar gefühlt. Das war eindeutig der allerschönste Tag meines gesamten Lebens. Ich hätte wissen müssen, dass bei mir alles schlecht endet, auch die schönen Dinge. Warum bin ich nur so naiv?

...zu Tode betrübt

A/N: Ich werde gemein in diesem Kapitel. Ich gebe trotz allem zu bedenken, dass ich noch SEHR viel jünger war, als ich das geschrieben habe, die sdistische Ader ist heutzutage nicht mehr ganz so sehr ausgeprägt...~

Wie lange her? Ich glaube, ich war 14...
 


 

...zu Tode betrübt
 

Meine Füße berühren den Boden kaum. Das Lächeln in meinen Zügen scheint fest gemeißelt zu sein. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so wunderbar gefühlt. Ich fühle mich, als würde ich schweben. Ich entdecke ganz neue Seiten an mir. Früher habe ich niemandem geholfen, doch jetzt bringe ich sogar alte Frauen über die Strasse! Ich fühle mich herrlich beschwingt, ist das vielleicht „Glück“…? Wenn ja, dann ist es eine Droge, von der ich nicht genug bekomme. Hoffentlich steht dieser Kuss morgen nicht zwischen uns, die Droge „Glück“ nur so kurz zu bekommen, ist nicht schön… Und noch etwas ist nicht schön. Warum denke ich Naivling eigentlich nie an den, der mich so sehr hasst?

Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Bis Sesshoumaru nach Hause kommen würde, ist noch genug Zeit für meine verhassten Hausaufgaben und das Abendessen. Sesshoumaru kontrolliert meine Hausaufgaben stets, und wenn ich etwas falsch gemacht habe, zerreißt er das Papier und ich kann alles noch mal neu machen. Glücklicherweise haben wir heute nichts Schweres auf, hierbei wird mir wohl kein Fehler unterlaufen. Und für das Abendessen reicht irgendwas, was schnell gemacht ist. Als ich wieder an Kagome und ihre Lippen – den Kuss – denke, wird mir ganz warm ums Herz. Noch nie habe ich mich so wunderbar gefühlt.

Am liebsten würde ich anfangen zu singen, aber das ist mir dann doch ein wenig zu peinlich. Von hier kann ich unsere Villa schon sehen. Hoffentlich hat Rin sich keine Sorgen gemacht… Vielleicht hätte ich anrufen sollen, aber sie ist krank; ich hätte sie nur aus ihrem Bett geholt.

Ich krame in meiner Schultasche nach dem Haustürschlüssel. Irgendwo unter den ganzen Büchern muss er doch sein! Da! Gefunden. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und drehe ihn um. Das Schloss klickt und die Tür öffnet sich. Ich gehe hinein, ziehe den Schlüssel ab und schließe die Tür wieder. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und diesmal verheddere ich mich nicht. Ich pfeffere sie in die Ecke und richte mich auf…

…und sehe ihn. Ihn, Sesshoumaru. Mein Herz scheint auszusetzen. Er starrt hasserfüllt auf mich herab. Links von ihm lehnt ein Schwert an der Wand; griffbereit. Was hat er vor?? Will er mich…etwa…? Nein! Das würde er nicht tun! Oder?

„Was hast du vor?“, hauche ich brüchig. „Ich tue das, was ich schon längst hätte tun sollen“, knurrt er voller Hass in der Stimme. „Du kannst mich nicht töten! Was ist mit Rin?“ Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Das kann er nicht tun! „Rin“, beginnt er, „wird denken, du wärest bei einem Attentat umgekommen. Sie schläft tief und fest. Ich werde alle Spuren deines Todes beseitigen. Dein Tod wird ein tragischer Unfall werden, und wenn ich mich geschockt gebe, dann wird man mich nicht verdächtigen.“ Ich starre ihn aus aufgerissenen Augen an. Er wird es tun! Er will mich wirklich umbringen!!

Sesshoumaru geht langsam zur Wand und nimmt das Schwert. Er zieht es mit einem leisen Scharren aus der Scheide. Er sieht sein Gesicht in dem blanken Stahl, den er mit meinem Blut tränken will. Ich will nicht! Ich will noch nicht sterben! Nein! Aber was soll ich tun?

„Warum?“, hauche ich. „Was treibt dich so plötzlich dazu, mich zu töten?“ Sesshoumaru schenkt mir einen hasserfüllten Blick. Immer schon hat er mich so angesehen, nur noch nie mit solcher Intensität. Er scheint fest entschlossen. Er will mich töten. Und ich…Was habe ich ihm groß entgegenzusetzen?

Sesshoumaru richtet mir das Schwert an die Kehle. Die Schwertspitze schwebt gefährlich nah an meinem Kehlkopf. Ich habe den Kopf in den Nacken gelehnt, aber auf Dauer wird mir das nicht helfen. Ich brauche eine Waffe! Irgendwas, egal was…Irgendwas, was gegen ein Schwert nicht zerbricht!

Mein Atem geht in langsamen Stößen. Sesshoumarus Gesicht hat sich zu einer hasserfüllten Grimasse verzogen. Hat er diesen Hass vielleicht all die Jahre unterdrückt? Ich weiß es nicht. Im Grunde ist es mir auch egal, ich will nur weg von hier. Warum nur, warum? Warum muss ich ausgerechnet jetzt in so einer Zwickmühle feststecken? Ich muss fort. Und doch kann ich es nicht. Ich muss fort von ihm, von Sesshoumaru. Und gleichzeitig kann ich nicht weg. Kagome. Was soll ich jetzt nur tun?!

„Suche nicht nach einem Ausweg, es gibt ihn nämlich nicht“, zischt Sesshoumaru. Er hat Recht. Warum habe ich Idiot bloß die Tür zugemacht?? Damit habe ich mein Todesurteil unterzeichnet. Sicher, ich könnte aus dem Fenster springen, aber bevor ich die Strasse erreicht hätte, würde Sesshoumaru mich kriegen. Er würde auf mich schießen; ich weiß nicht, woher wir ihn haben, aber wir besitzen einen Revolver, eine Pistole. Was soll ich nur tun?!

Ich darf nicht sterben. Jetzt noch nicht. Aber was habe ich groß mitzureden? Egal, was ich tue, Sesshoumaru wird mich trotzdem töten. Ich muss hier raus; ich muss hier weg. Bloß wohin? Würde er mich nicht finden, egal, wo ich mich verstecke?

Er verachtet mich. Er hasst mich. Er will mich tot sehen. Er liebt mich nicht. Er hat mich nie geliebt. Er hat mich von Anfang an gehasst. Er will, dass ich sterbe. Er hasst mich. Er verflucht mich. Er will mich töten.

„Stirb!!“, brüllt Sesshoumaru und stößt mit dem Schwert zu. Meine Augen weiten sich vor Schreck. Ich stoße meine Füße gegen seine Beine; allerdings ist sein Stand relativ fest, doch er wankt und stößt das Schwert so nicht durch meine Kehle, sondern nur durch meine Schulter. Den Schwertgriff lässt er allerdings nicht los.

Sesshoumaru zieht die Klinge des Schwertes aus meiner Schulter und jetzt erkenne ich auch, was das für ein Schwert ist. Dieses Schwert war das Mordinstrument, das meine Mutter getötet hat. Welch Ironie. Aber ich will nicht! Ich will nicht sterben!! Aber… Was soll ich tun?! Wenn ich nicht fliehen kann, tötet er mich. Das ist sicher. Bloß… Warum verspürt er diesen Drang, den er immer schon gehabt hat, nun so deutlich? Warum will er mich ausgerechnet jetzt töten? Verdammt, warum??

Sesshoumaru schwingt das Schwert. Ich lasse mich nach hinten fallen, allerdings streift die Klinge schmerzhaft meine Brust. Ich keuche auf. Ich kann Sesshoumarus bösartiges Lachen hören. Zur Hölle mit ihm! Soll er sterben, so wie er es mit mir vorhat! Dieser verdammte Bastard!!

Ich rolle mich auf den Bauch und er schlägt das Schwert über meinen Rücken. Wieder entringt sich meiner Kehle ein kleines Keuchen. Ich springe auf und umfasse die Türklinke. Inzwischen schlägt er mir das Schwert immer und immer wieder über den Rücken. Ich ignoriere den aufkommenden Schmerz. Raus hier, weg hier!! , das sind meine Gedanken. Ich will nur weg hier.

Geschafft. Ich reiße die Tür auf und stürme hinaus. Blind stürme ich zur Strasse. Der Schmerz verschleiert meinen Blick. Doch das ist mir egal. Nur weg hier. Irgendwo hin, wo Sesshoumaru mich nicht finden kann. Doch wo ist dieser Ort? Da, wo die Sonne niemals aufgeht. Aber jetzt will ich meinen Weg ins Nichts noch nicht antreten. Jetzt noch nicht.

Ich renne den Bürgersteig entlang. Ich weiß nicht, ob Sesshoumaru mir folgt. Doch es ist mir ehrlich gesagt auch egal. Ab und an rutsche ich auf meinem Blut aus, doch ich rappele mich immer wieder auf. Ich weiß nicht, wohin ich renne. Aber auch das ist mir egal. Weg! Weg! An mehr denke ich nicht.

Ich spüre Blut über meine Stirn laufen. Irgendwie muss meine Platzwunde aufgegangen sein. Wie, das interessiert mich im Moment nicht. Sie ist auf, und nur das zählt. Ich stürme weiter. Doch wohin? Irgendwann werde ich nicht mehr können. Bis dahin muss ich einen sicheren Ort gefunden haben. Meinetwegen laufe ich auch bis nach Kyoto, ganz gleich, wie weit das noch ist. Natürlich ist mir klar, dass es bis dorthin viel zu weit ist. Dann halt woanders hin… Zu einem Ort, den Sesshoumaru nicht kennt… Kagome? Nein, ich kann nicht zu ihr. Würde sie das Blut sehen, würde sie fragen, woher es kommt. Ich will es ihr nicht sagen! Ich kann es nicht. Nein. Ich will noch mehr von der Droge Glück.

Ich sehe hoch, nach vorn. Dort steht eine Ampel. Ich bremse scharf ab und sehe mich um. Wo bin ich? Diesen Ort kann ich nicht identifizieren. Ich spüre alle Blicke auf mir ruhen. Doch das nehme ich nur am Rande wahr.

Wohin jetzt? Schnell, bevor er hier ist. Doch wohin soll ich laufen? Verdammt, wohin??!

Mein Brustkorb hebt und senkt sich unregelmäßig. Meine Augen flackern irr. Mein Blick wandert über Häuser und Menschen. Letztere starren mich an. Keiner sagt etwas, niemand geht über die Strasse, obwohl die Ampel grün ist. Ich stürme los, über die Strasse. Doch ich rutsche wieder aus. Ich höre das Brummen eines Motors. Ich sehe auf und sehe ein rotes Auto auf mich zurasen. Ich weiß, wer dahinter sitzt. Doch woher hat er so schnell dieses Auto? Gestohlen? Ich weiß es nicht.

Zwar täuscht er vor, anzuhalten, aber das nur für seine Tarnung. Meine Augen weiten sich und dann rammt das Auto mich. Ich werde in die Luft geschleudert und höre das Auto gegen eine Laterne krachen. Als ich in der Luft die Augen öffne, sehe ich einen Vogel über mir. Er scheint mich anzusehen. Ist das nicht der Vogel…? Doch bevor ich diesen Gedanken zu Ende führen kann, geht es wieder abwärts.

Ich sehe den Boden näher kommen. Ich schließe die Augen. Dann sterbe ich halt doch. Wer interessiert sich dafür...?

Ich knalle auf den Boden, der Schmerz fährt durch meine Schläfen in meinen Körper. Ich spüre, wie das Blut aus der Platzwunde fließt. Werde ich jetzt sterben? Ich weiß es nicht. Ich öffne noch einmal meine Augen einen Spalt breit und ich sehe jemanden. Ein Mädchen. Ich kenne sie. Kagome. Dann schließe ich die Augen wieder.

Ins Nichts... Der Weg führt ins Nichts...



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Kommentare zu dieser Fanfic (24)
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Von:  Dynonychus
2013-06-21T01:31:54+00:00 21.06.2013 03:31
irgendwie is es schon ein wenig schade hier aufzuhören^^ immerhin steckt da sooo viel potenzial noch drin..und wenn der schnösel schön langsam krepieren würde, würde dass hier sicher alle freuen, ich meine sowas sadistisches muss man ja praktisch "vernichten"^^

hoffentlich gehts irgendwann noch weiter^^

Sg Dyno
Antwort von:  Irrwisch
21.06.2013 17:11
Huch... xD Jemand hat sich hierher verirrt... ui xD Und ja, aufhören ist immer schade. Ich muss aber gestehen, dass ich den Faden verloren habe und es ja nun auch schon recht alt ist o.O Vielleicht sollte ich diese Idee irgendwann mal wieder aufgreifen und besser verarbeiten ;)
Von:  _Momo-chan_
2011-09-17T23:10:11+00:00 18.09.2011 01:10
Nein Mann! Inu gehört nicht ins Nichts! T___T
Er hat etwas Glück verdient...
Aber shcön dass es endlich weiter geht XD
Ich finde Inu sollte bei Kagome einziehen oder so...
Von:  Naraku-chan
2011-09-17T09:15:01+00:00 17.09.2011 11:15
armes inuuuuuuuu T_________________T
Von:  _Momo-chan_
2010-08-26T21:20:45+00:00 26.08.2010 23:20
waaaah T^T
Das ist so süß und gleichzeitig so traurig. Jetzt passiert sicher gleich was ganz shclimmes ;_;
er sollte bei kago einziehen >D
Von: abgemeldet
2010-08-26T21:00:19+00:00 26.08.2010 23:00
Wunderbares Kapitel!
Es hat sich schön und flüssig lesen lassen.
Ich hoffe ebenfals, dass InuYasha rechtzeitig nachhause kommt und dann noch alles erledigen kann.
Aber dies liegt alles in deiner Hand ;)

Mach schnell weiter, denn ich bin wahnsinnig gespannt...
ich muss wissen wie es zwischen Kagome und InuYasha weitergeht.
Und ob Sesshoumaru etwas bemerkt.

Halt die Ohren steif!
Blossom
Von:  Naraku-chan
2010-08-26T13:27:59+00:00 26.08.2010 15:27
und ich dachte schon in diesem kapitel als ich anfing zu lesen würde NIX deprimierendes drin vorkommen O.O aber dann der letzte Satz... hach! das Kapi hat seinen Stil NICHT verloren XD
ich fands toll >3
Ui, hoffentlich schafft Inu es die Sachen vor Sessi zu erledigen, sonst tut er ihm wieder weh >.< Sadist <_< also sessi mein ich ò.óP *Hackebeil zück* LASS-INU-JA-IN-RUHE-SONST-GIBBET-KLOPPE! Mwaha~
Von: abgemeldet
2010-07-27T19:33:26+00:00 27.07.2010 21:33
halli halloo.
deine ff gefällt mir echt gut.
du bringst inuyashas gefühle sehr gut rüber.
ich bin gespannt darauf wie es weitergeht.
Vorallem hoffe ich das die ganze Sizuatione sich für InuYasha verändert, denn sowas hat er nicht nach den ganzen Schicksalsschlägen verdient.

Könntest du mich per ENS benachrichtigen, wenn du das nächste Kapitel veröffentlichst?

Lieben Gruß
L-B
Von: abgemeldet
2010-07-04T17:34:54+00:00 04.07.2010 19:34
hallöchen,

habe mir gerade deine fanfic durchgelesen...

der arme inu...wenn er wirklich auch so vie kraft hat, sollte er vielleicht mal versuchen sich gegen seinen vruder zu wehren?

dass rin aber noch nie mitbekommen hat, dass inu solche blauen flecken und wunde hat...odr dass sie es nicht merkt wie sessi mit seinem bruder umspringt?

kagome lässt sich auch hier nichts sagen...
das ist gut so und ich glaube auch, dass sie inuyasha aus deinen depressionen helfen kann...
miroku und sango werden sicher auch ihren teil dazu beitragen;)

bin mal gespannt wie es weiter geht...
kannst du mir vielleicht eine ens schicken, sobald es weiter geht??

grüßle
Marti:)
Von:  _Momo-chan_
2010-05-07T15:05:09+00:00 07.05.2010 17:05
Kagome benutzt ganz shcön viele smilys XD und koga ist total kindisch -.-

Dass Rin krank ist, ist aber wohl das eigentliche Problem. Sie ist ja sozusagen der einzige Schutz für Inu Yasha. Wenn er so gut kämpfen kann sollte er das aber auch mal vor seinem Bruder zeigen, oder ist Sess so dermaßen stark?

Wuhu! ich wurde erwähnt. Harhar XD *der größenwahn steigt*
ich freue mich auf die nächsten kapitel. hoffentlich gibt es dann auch ein richtiges ende ;_;
Von:  Shaytan
2010-05-06T21:43:03+00:00 06.05.2010 23:43
... ich kann einfach nichts dazu sagen... es ist so traurig...


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