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Hysterische Wortausdünstungen

Zeit für ein Antitranspirant.
von

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Lew

Atemloses Kichern.

"Und-- und du weißt wirklich, wo wir gerade--"

"Vertrau mir, Kleines. Mir gehört diese Bude."

Gut. Kleines war vielleicht der falsche Name gewesen. Nicht, dass Lew sich in diesem Augenblick darum geschert hätte, aber auf seiner Augenhöhe befanden sich bereits ihre komplett abrasierten und mühevoll neu aufgezeichneten Augenbrauen, in ihrer Schminke durch das Glitzern der runden, feuchten Stirn darüber etwas verlaufen.

Im halbkalten Licht, reflektiert von starrweißen Wänden, hatte ihre Bräune einen ungewöhnlichen Rotton, ihre mühevoll blondierten Haare wirkten matter und ihre falschen Wimpern echter, als blaue Augen mit Centstückpupillen mit ihnen klimperten. Aufgeblasene, perlmuttglänzende Lippen zogen sich mit einem dreckigen Kichern in die Breite. Brüchige Fingernägel strichen seine Jacke hinauf, Daumenspitzen hoben sie an. Es war nicht mal mehr ein Kampf; es gab ein kurzes, verschwommenes Verlieren im schlierigen Himmel, in dem sich ein schwarzes Loch aufgetan hatte, und Lew entschied im Bruchteil einer hektischen Sekunde, dass das gefälligst - er war Künstler, er konnte das beurteilen - das schönste Wesen sein musste, das auf Erden wandelte, und er es verdammt noch mal über sein gesamtes Bett ziehen wollte. Der einzig praktische Ort hier, über dem zusätzlich noch ein Spiegel hing.

Sie stolperten durch den großen, spartanisch hohlen Raum; ihr Oberteil war unnatürlich kompliziert auszuziehen, wenn man in Betrachtung zog, dass sie es wohl gerade zu diesem Zweck überhaupt angezogen hatte. Möglicherweise lag das auch an seinen zittrigen Fingern, an seinen springenden Gedanken, die ihm kaum die Zeit ließen, alles in einem heftigen Zungengewusel herauszulassen. Ihm fehlte ein Ventil, ihnen fehlte ein Ventil, daher waren sie wohl auch gerade im Begriff, ein neues zu schaffen.

Verwirrte Finger zupften, zogen seine Sonnenbrille am Gestell herunter, aber er packte die Hand am Gelenk und entfernte sie unter leisem Tadel.

"Erst, wenn das Licht aus ist."

Plötzlich riss sie sich von ihm los.

"Also, wenn du Vanilla willst, hast du dich geschnitten!", querelte sie mit goldenem Kreischen, die Hände vor der Brust verschränkt, die kalte Schulter ihm zugeneigt.

"Das liegt nicht--", er trat näher, "-- das liegt nicht daran." Seine Hände schlichen sich an, krochen ihren Rücken hinauf. Mattblonde Haare wurden beiseite gestrichen, seine Nasenspitze fand ihren Nacken.

"Nicht am Vanilla." Er raunte bedeutsam.

"Das hat alles... mit dem Geheimnis zutun."

Nun war sie an der Reihe, zu stottern. Diese Masche funktionierte... nicht immer. Aber oft genug, wie er gerade sah.

"Ein-- ein Geheimnis? ... Welches Geheimnis?"

"Willst du es wirklich wissen?" Von hinten war ihr kompliziertes Oberteil weitaus weniger kompliziert, und da sie von der Erkenntnis, dass ihr von dieser großen, weiten Welt etwas verheimlicht wurde, zu Genüge abgelenkt war, nutzte er diese Gelegenheit. "Es könnte dich in... deiner Urteilsfähigkeit einschränken." Er wusste, dass er die Wahrheit sprach. "Und dieser Erfahrung viel wertvoller erscheinen lassen." Er wusste es immer noch, aber er war eigentlich auch nicht mehr zurechnungsfähig. Sie aber auch nicht.

Und sowie die Hüllen fielen, sagte sie Ja.

"Ich bin ein Albino."

Ungläubiges Schweigen; wieder riss sie sich los, ihre Brüste wogten in Empörung, als sie mit einem strengen Zug die Brille von seiner Nase zog.

Es dauerte keine drei Sekunden, bis er erkannte, dass er die Augen lieber zusammenkneifen sollte. Das Semilicht, das in dem Raum herrschte, war zu schwach, um ihm auf Anhieb Schmerzen zu bereiten, aber dennoch unangenehm genug für seinen zerstreut gedankenlosen Kopf, dass er in Erwägung zog, sogar Sex darüber zu vergessen.

Sie schnaubte.

"Du hast ja nicht einmal rote Augen. Verscheißern kann ich mich alleine!", brach sie dann aus, als flohen ihre Worte vor diesem Scharlatan.

"Jetzt-- jetzt hör mir doch mal zu. Mach das Licht aus, mach das Licht aus."

Er sah sie nicht, weil seine Augen zusammengekniffen waren, sah nicht ihren kritischen Blick, als sie sich erinnerte. Männer unter Stress neigen dazu, sich zu wiederholen, nicht?, dachte sie klar, als sie dieses leicht erbärmliche, aber wunderbar niedliche Wesen im Auge behielt. Dieser kaum wehrhaft, sondern eher unter vagen Schmerzen zu stehen scheinende junge Mann, die grauen Haare mit einem ungesunden Grünstich vermerkt, die Augen zusammengekniffen, insgesamt kaum größer als sie; dieser junge Mann erweckte eher Mitleid als unbändige Wollust, stellte sie in einem knapp bemessenen Moment der Nüchternheit fest. Und nun stand er unter Stress.

Etwas ungelenk stakste sie hinüber zu einer großen, verbogenen Glaslampe, suchte einen Moment deren Schalter und fand ihn schließlich am Boden, so dass sie drauftrat. Eigentlich konnte sie froh sein, dass Lew gerade nicht hingesehen hatte, denn dieser Anblick hätte ihn nicht gerade von ihrer Grazie überzeugt.

"Du müsstest mir schon ins Auge hineinleuchten", sagte er dann, die grauen Augen langsam öffnend, "damit du etwas Rotes siehst."

Wortlos schaltete sie das Licht wieder an.

"Argh!"

"'tschuldige! 'tschuldige!"

Der Lichtschalter am Boden erntete einen festen, erneut ziemlich ungrazilen Fußtritt, bevor sie eilig zu ihrem Gespielen zurückkehrte, ihn an den Schultern packte, worauf er etwas stockend reagierte. Zuvor hatte er sich ziemlich energisch mit den Händen über die Augen gewischt.

"'tschuldige! Tut mir Leid!" Offenbar unterlag sie einem Anfall von drogeninduzierter Hysterie. Oder auch nicht. Was auch immer sie gerade unterlag, es verschwamm recht schnell, als der kürzlich Erblindete ihr als Zeichen des Verzeihens einen kleinen Kuss gab, der zuerst zu einer Reihe kleiner Küsse wurde, bevor er durch einen relativ großen verdrängt wurde.

Lews lüsterne Hände waren längst mit ihrem BH beschäftigt.

"Ich kann dich immer noch riechen", zischte er, "und ich kenne meine Bude selbst blind." Kaum war das gesagt, schob er sie - die Augen immer noch geschlossen - in eine Richtung, bevor er einen kleinen, sternübersäten Kontrollblick riskierte und sie schließlich rückwärts auf seine Matratze stieß, fast noch in derselben Bewegung folgend über sie kletterte.

"Bist du jetzt blind?", fragte sie tatsächlich ein wenig erschrocken.

Nonchalant warf Lew ihren BH über seine Schulter.

"Ich habe noch nie besonders gut sehen können", gestand er, stimmlich nur noch halb bei der Sache, weil seine Augen zwar recht schlecht, dafür seine anderen Sinne umso besser funktionierten. Und eine halbnackte Frau auf seinem Bett meldeten. "Aber blind... blind bin ich nicht."

Eine erste Antwort äußerte sie relativ unartikuliert. Offenbar hatte Lew beim egoistischen Erkunden etwas getan, das ihr Wohlwollen auf ihn zog. Gut, Erkundungen mit den Lippen taten dies häufiger, aber sie sind auch mit weitaus mehr Tastzellen besetzt als die Fingerkuppen.

"G... Gehört das zum Albinismus?"

Diesmal ließ sich Lew ein wenig Zeit mit der Antwort, da es noch nie zu seiner Spezialität gehört hatte, einhändig einen Hosenknopf aufzubekommen. Vor allem nicht, wenn er sich, bevor es ihm passierte, dass er einer Erektion erlag, wieder einmal in eine dieser pervers engen Emohosen gequetscht hatte. (Warum er das getan hatte, konnte er leider nicht mehr sagen, da der Nicht-Sex-Teil seines Hirns mit der Frage beschäftigt war, ob die Eupleridae den Herpestidae zuzuordnen waren und die diskutierenden Instanzen einander über dieser Frage mit Stühlen bewarfen.) Aber eine halbnackte Frau unter sich wirkte in diesem Fall echte Wunder. Auf beides, eigentlich.

"Ja...", etwas unsicher und-oder abgelenkt, dann noch einmal sicherer: "Ja, doch."

Unvermittelt schob sie seine Schulter mit dem Arm hoch, so dass er zur Seite kippte; kaum zwei Augenblicke später saß sie über ihm, brüchige Fingernägel zuerst auf Stoff, dann in Stoff, und dann auf Brust, während der Stoff wieder unbeachtet am Kopfende ein unbeachtetes Dasein fand.

"Siehst du meine Augen?" Als sie diese Frage stellte, streckte sie sich; ehrlich gesagt glotzte ihr Lew in diesem Moment auf die Brüste, etwas später jedoch wanderte sein Blick nach oben. Zu weit nach oben, so dass er im Spiegel etwas zerfahrene, für diese Tageszeit ungewöhnlich farbintensive Formen sah, gekrönt von einem mattblonden Mop.

"Mhm... kaum", flüsterte er und strich über ihre Schenkel, um ihren Rock hochzuschieben. Er war Künstler, er war Rebell. Und beim Sex vollständig nackt zu sein schien ihm in diesem Moment unerträglich konservativ.

Ihre Arme knickten ein und er spürte zwei steife Widerstände, als sich ihre Brüste gegen seinen Torso pressten. Ihr Kinn berührte seines fast, und für eine Sekunde sahen und atmeten sie einander im Zeitraffer an.

Dieser Umstand hätte wohl weitaus mehr Romantik in sich begriffen, hätte Lew es nicht normalerweise genervt, den warmen, frischen Kohlenstoffdioxid fremder Lebewesen einzuatmen. Zwar nervte es ihn in diesem Augenblick nicht, da er nicht darauf achtete, aber da er auch nicht auf die sonstige Situation achtete - es waren in ihrer mentalen Raserei über Eupleridae und Herpestidae keine Hirnkapazitäten frei - begriff er die Romantik nicht. Er hätte sie ohnehin ein bisschen zu britischer-Undergroundfilm-mäßig gefunden.

"Und jetzt?"

"Mhm. Schon." Er blinzelte langsam; diese beiden weiß gefüllten Löcher in ihrem Kopf waren ehrlich gesagt kaum zu übersehen.

"Welche Farbe haben sie?"

Langsam kamen doch ein paar graue Zellen auf die vorhin genannte Romantik zu sprechen, allerdings eher in einem "Entschuldige mal, was WILLST du eigentlich von mir?!"-Tonfall.

"Woher soll ich das wissen", raunte er halb humorvoll, in der Hoffnung, ein Liebkosen ihres Hinterns würde sie besänftigen, "es ist ziemlich dunkel hier drin." Es war eine gute Geste, um unauffällig drängend an ihrem Slip zu zupfen. Es war nicht so, als hätte sich der Druck in seinem Dampfkochtopfkopf plötzlich verflüchtigt; vielmehr war er derartig angestiegen, dass sich der Wasserdampf bereits wieder verflüssigte, und das bei mehreren hundert Grad Celsius.

"Gehört Farbenblindheit auch zum Albinismus?" Sie klang fast schon schnippisch.

"Eine gewisse, leider ja", seufzte Lew, als wäre er ein guter Lügner. Allerdings tat er nur so. Ihr Gewicht wurde langsam leichter, ihre Hände krochen zu seinen Schultern hinauf.

"Und die Angewohnheit, beim Sex so gesprächig zu sein?"

Nun starrte Lew sie an. In vollkommener, echter Gedankenlosigkeit. Stille über Eupleridae und Herpestidae, aus Anstand, und damit der Einschlag dessen, was noch kommen sollte, größer war.

... WAS?!

Zwei Finger in ihrer Unterwäsche. Schnell beschlich ihn das Gefühl, dass ein Teil seines Hirns gerade passioniert Aussterben spielte. Aber er sah weg. Nicht, weil er wollte, nicht nur. Sondern auch, weil er musste.

"Ich halt den Mund", summte er ergeben.

Immerhin wollte er besagten Sex dringend noch in dieser Nacht haben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Anemia
2012-10-03T08:11:31+00:00 03.10.2012 10:11
Und nochmal!

Besonders das dritte Kapitel fand ich sehr amüsant, obwohl ich, so gern ich deinen Schreibstil mag, ihn anfangs etwas anstrengend zu lesen empfand. Aber der Humor und Lew, der irgendwie schon ein armes Würstchen ist und beim Sex männeruntypisch viel quatscht, haben mich dann doch wieder in den Bann gezogen.

"Also, wenn du Vanilla willst, hast du dich geschnitten!"
Gut! Ich hoffe, die gute Frau hält ihr Wort! :D

"Vor allem nicht, wenn er sich, bevor es ihm passierte, dass er einer Erektion erlag, wieder einmal in eine dieser pervers engen Emohosen gequetscht hatte."
Ja, die Emohosen. Man kann nichts in ihnen verstecken, aber sie sehen an Männerbeinen gut aus. Finde ich. ;)

Eine Sache, die ich doch etwas merkwürdig fand:

"Und-- und du weißt wirklich, wo wir gerade--"
Ich finde, dass anstatt der Bindestriche Punkte angebrachter gewesen wären. An anderer Stelle hast du genau diese verwendet. Ich habe Bindestriche einfach noch nie in dieser Verwendungsweise gesehen, deswegen hab ich erstmal gestutzt. ;)

Gefällt mir, die Geschichte, und ich finde es schade, dass sie erst einen Kommentar hatte. Sollten viel mehr Leute lesen, aber ich denke, einige könnten mit dem Humor und dem Schreibstil nicht so viel anfangen, da er doch ziemlich speziell ist. Keineswegs negativ zu sehen! Man schreibt sowieso für sich und wenn jemand sein Zeug nicht zu schätzen weiß, soll er doch draußen Blumen pflücken gehen. Nichts leichter als das.

Mach nur weiter so!

lg Serpa,
noch immer vom Kommentarfieber gepackt.




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