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Die Kronen des Kriegers

Die Vorgeschichte zu den Ereignissen in der Zeit der Echidna
von

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Die Nacht des Kampfes

Es war sehr spät in der Nacht. Der sichelförmige Mond war längst wieder verschwunden, und nur die Sterne beschienen die schlafende Stadt der Echidna.

In den Straßen des Viertels rührte sich nichts, abgesehen von den Nachtwächtern, die soeben, pünktlich zur Mitte der Nacht, die Schicht übernommen hatten und müde und verschlafen durch die Straßen wankten. Der Schein ihrer Laternen zeigte kein Lebewesen irgendeiner Art auf den Straßen.

Doch kaum waren sie verschwunden, kaum waren sie weit genug entfernt, um zu sehen, was sich vor dem Haus abspielte, tauchten einige schwarze Gestalten auf. Sie erschienen wie aus dem Nichts. Sie kamen nicht die Straße entlang, sie sprangen nicht über die Mauer aus dem Palastgarten, sie erschienen einfach, ohne dass erkennbar war, woher sie kamen. Sie schienen fast aus der Dunkelheit der Nacht zu kommen, fast aus dem Schatten zu entstehen.

Nach und nach erschienen zehn dieser Schattengestalten. Der erste kletterte am Zaun hoch wie an einer Strickleiter, sprang auf der anderen Seite wieder hinab und öffnete das Tor. Blitzschnell huschten die Schattengestalten hinein, und dann, als der letzte durch das Tor gegangen war, verschloss der erste es wieder und legte auch den Riegel wieder vor. Es sah so aus, als sei das Tor nie geöffnet worden.

Als die Nachtwächter wieder am Tor vorbei kamen, schien alles so zu sein, wie sie es verlassen hatten.
 

Der Nachtwind schob die Wolke beiseite, die vor dem vollen Mond stand, und enthüllte die Umgebung um die Echidna.

Sie stand auf einer Wiese vor einem großen Altar, direkt vor ihr. Die Basis des Altars war kreisrund. Sieben Säulen stützten das steinerne Dach, das eine erhöhte Plattform beschirmte, sieben Säulen stützten den steinernen Ring, der um die Basis herumführte, und sieben spitze Säulen standen in gerader Linie von der ersten über die zweite Säule und deuteten ebenfalls einen Kreis an.

Eine Treppe führte zur Plattform hinauf.

Sie ging die Treppe hinauf. Es war nicht einmal ihre Entscheidung, das zu tun. Ihre Beine stiegen einfach die Treppe hinauf, Schritt für Schritt, Stufe für Stufe, und sie war nur die Beobachterin der Szene.

Oben auf der Plattform stand in einer siebeneckigen Fassung, die mit verschiedenen Zeichen, die sie in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, verziert war, ein Kristall, der fast ebenso groß war wie sie und ein dunkelgrünes Leuchten abgab. Der Kristall war vollkommen regelmäßig achteckig und endete oben auf einer glatten Fläche, die sie allerdings nicht erkennen konnte. Sie trat näher hin und blickte auf den Emerald, auf ihr Spiegelbild, das sie auf der grünen Seite gegen das Licht gerade so erkennen konnte.

Urplötzlich wurde die Seite, auf die sie starrte, glasklar, wie eine Wasseroberfläche, und ließ sie hineinblicken. Als sie nun versuchte, etwas darin zu erkennen, hatte sie das Gefühl, als versuche sie, in die tiefsten Geheimnisse, in die dunkelsten Ecken einer ihr unbekannten Seele zu schauen. Ein Schauer überlief sie, und für einen Moment war sie sich unsicher, ob sie wirklich hinein sehen wollte, aber dann siegte die Neugier.

Hinter und um ihr Spiegelbild herum herrschte Dunkelheit, so vollkommen wie ein wolkenverhangener Nachthimmel in einer mondlosen Nacht. Dann, ganz langsam, verformten sich die Konturen des Bildes, ganz langsam verfremdete sich ihr Spiegelbild, bis sie nicht mehr sich selbst sah.

Sie sah statt dessen ein Wesen, dessen Körper aus Wasser zu bestehen schien. Das Wasser war so klar wie frisches Quellwasser, und keine Welle ging über den Körper des Wesens. Seine Hände waren unverhältnismäßig groß. Sie waren fast so lang wie sein Oberschenkel, und Finger waren nicht zu sehen, abgesehen vom Daumen. Obwohl es aus Wasser bestand, musste das Wesen in diesen Händen ziemlich viel Kraft haben.

Das Gleiche war es mit den Füßen. Sie waren fast so lag wie seine Unterschenkel und besaßen keine Zehen, aber trotzdem hatte das Wesen in den Beinen und Füßen vermutlich eine ganze Menge Kraft.

Aber das erstaunlichste war der Kopf. Das Wesen besaß keinerlei Gesichtszüge irgendeiner Art. Es hatte keine Ohren, keinen Mund und keine Nase, dafür aber zwei große Augen, die zusammen über fast die ganze Kopfbreite gingen und zwischen sich nur einen fingerbreiten Spalt freiließen. Der Kopf war nur so breit wie eine Hand des Wesens, dafür aber auch so lang wie eine seiner Hände vom Gelenk bis zur äußersten Spitze der Masse, die es anstatt der Finger besaß.

Dieses Wesen blickte ihr aus der Dunkelheit entgegen, mit ruhigem Blick, und sie meinte, eine Stimme in ihrem Kopf hören zu können... eine Stimme, die klang, als würde sie unter Wasser gesprochen, die aber trotzdem, durch den blubbernden Klang hindurch, klar verständlich blieb... und ihrer eigenen Stimme sehr stark ähnelte...

"Pass auf... was du tust... wofür du kämpfst... was du dir wünschst...

Und... WACH AUF!"
 

Selina öffnete die Augen und sah sich um. Sie merkte, dass ihr Herz raste, und versuchte instinktiv, lautes Atmen zu unterdrücken. Bevor sie irgendetwas erkennen konnte in der nahezu totalen Dunkelheit, die sie umgab, hörte sie die Tür zum Zimmer, in dem sie mit Malinche lag, knarren, auf die unverwechselbare Weise, und konnte, gegen den ganz leicht erhellten Hof, einen Schemen erkennen, der ins Zimmer huschte und die Tür mit demselben Knarren wieder hinter sich schloss. Einen Moment meinte sie, eine Reflexion des Lichtes auf einer Klinge erkannt zu haben.

Sie griff nach den Waffen, die sie von Huascar erhalten hatte und die griffbereit neben ihrem Bett, ein Sack, gefüllt mit Stroh, lagen, und zog so leise wie möglich ein Messer. Ihre Augen hatten sich jetzt an die Dunkelheit gewöhnt, und auch wenn nur wenig Licht ins Zimmer kam, von den Sternen durch den Spalt unter der Tür und zwischen den Strohhalmen, die ineinander verflochten den Hauptteil der Tür ausmachten, so reichte es doch aus, um einen noch dunkleren Schemen zu erkennen, der neben ihr stand und etwas hob.

Sie schaltete schnell. Sie hatte eine Waffe gesehen, als der Unbekannte das Zimmer betreten hatte. Sie sah, wie er neben ihr stand und mit eben dieser Waffe zum Schlag ausholte.

Mit einer blitzschnellen Bewegung schlug sie dorthin, wo sie sein Bein vermutete. Für einen ganz kurzen Moment spürte sie einen geringen Widerstand - auch wenn das Messer durch Haut, Fleisch und Knochen schnitt, als seien sie nicht vorhanden, so war doch ein kleiner Widerstand spürbar, und sie wusste, dass sie getroffen haben musste. Und wirklich kippte der Unbekannte zu dieser Seite weg, offensichtlich überrascht von ihrem Gegenangriff. Sofort war Selina bei ihm und schlug mit dem Messer erneut zu. Weil sie gegen den dunklen Schemen auf dem ebenso dunklen Boden kein gutes Ziel hatte, hieb sie einfach nach seiner Bauchdecke, spürte, dass sie traf, und zog das Messer nach oben, in Richtung des Kopfes. Sie spürte, dass Blut aus der Leiche auf sie spritzte, griff nach ihrem zweiten Messer und stand auf. Sie blickte kurz auf den Schemen hinunter, und auch wenn es dunkel war, konnte sie erkennen, dass ihr Gegner kein Echidna gewesen war. Überhaupt konnte sie nicht erkennen, welcher Rasse er angehörte. Alles an ihm war schwarz: sein kugelförmiger Kopf, seine Arme, seine Beine, sein Körper überhaupt - nur sein Blut nicht. Es schimmerte rötlich im schwachen Licht.

Ihre Schwester schlief noch. Seltsamerweise hatte ihr Gegner keinen Laut von sich gegeben, wie sie es eigentlich erwartet hatte.

Selina nahm sich ein paar Sekunden Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Dieser Unbekannte war völlig ungestört in das Zimmer von ihr und Malinche eingedrungen. Niemand hatte ihn bemerkt, niemand hatte sie gewarnt. Das war kein Zufall gewesen, kein Irrtum - das war ein geplanter Anschlag. Und wenn das stimmte, dann mussten noch mehr Gegner im Haus sein, weil niemand allein alle Bewohner eines Hauses umbringen konnte und sich schon gar nicht allein hineinwagte, um jemanden gezielt umzubringen - und dann...

Selina schluckte, als sie den Gedanken zu Ende dachte. Dann waren vermutlich nur noch sie und Malinche am Leben.

Dann wollte sie wenigstens ihre Leben retten.

Sie ging zu ihrem Bett hinüber und stieß ihr einen Finger zwischen die Rippen. Das war schon immer ein sicheres Mittel gewesen, ihre Schwester zu wecken, und auch diesmal klappte es tadellos. Malinche fuhr hoch, wie von der Tarantel gestochen, und wollte sie wütend anfahren, aber Selina legte ihr schnell einen Finger auf die Lippen. "Hör mir zu", flüsterte sie. "Hier war gerade jemand drin und hat versucht, mich umzubringen. Ich vermute, dass noch mehr von seiner Sorte im Haus sind. Bleib hier drin, und wenn irgendjemand in diesen Raum kommt, bring ihn um. Sonst bist du die nächste."

Malinche schüttelte den Kopf, wie Selina fühlte. "Was meinst du damit?", fragte sie verwirrt.

"Ich meine, dass irgendjemand gerade versucht hat, mich zu töten", zischte Selina zurück. Sie war deutlich nervöser, als sie bereit war, sich einzugestehen, was man an ihrer zitternden Stimme merkte. "Dieser Jemand ist hier rein gekommen, ohne dass uns irgendjemand gewarnt hat - entweder weil man ihn nicht bemerkt hat, oder," und an dieser Stelle schwieg sie kurz, "oder die, die uns hätten warnen können, sind bereits tot. Und dann sind wohl noch mehr im Haus."

"Was meinst du mit ,es sind noch mehr im Haus'?", flüsterte ihre kleine Schwester ängstlich. "Meinst du etwa, dass du nicht das einzige Opfer bist?"

Selina umarmte ihre Schwester kurz, und für einen Moment überlegte sie, ob sie sie anlügen sollte, ob sie vortäuschen sollte, dass alles in Ordnung war... aber ihre Schwester musste es ja doch herausfinden. Also konnte sie auch gleich die Wahrheit sagen. "Genau das befürchte ich", antwortete sie leise. "Ich fürchte... außer uns beiden ist in diesem Haus niemand mehr am Leben." Malinche schluckte schwer, aber bevor sie etwas erwidern konnte, sprach Selina weiter. "Ich werde die verbliebenen Mörder suchen und sie töten. Du bleibst hier, und wenn irgendjemand hier hinein kommt, nimmst du die Waffe dieses Eindringlings" - dabei wies sie auf ihren toten Gegner - "und bringst ihn um."

"Und was, wenn du hier rein willst?", fragte Malinche unsicher.

"Du wirst doch meine Stimme erkennen", meinte Selina und band sich die Messerscheiden, in die sie ihre Waffen zurückgesteckt hatte, um die Hüfte. "Wenn ich hier rein will, werde ich mich vorher melden. Denk dir meinetwegen eine Frage aus, die du mir stellst und die ein Außenstehender nicht beantworten kann, wenn du meiner Stimme nicht traust."

Damit stand sie auf, schlich zur Tür hinüber und öffnete sie gerade so weit, dass sie durch den entstandenen Spalt hindurchsehen konnte.

Der Innenhof war zwar nur schwach beleuchtet, aber deutlich heller als ihr Zimmer, sodass sie einen guten Blick auf den Raum hatte. Andere schwarze Schatten waren nicht zu erkennen.

Vorsichtig öffnete sie die Tür so weit, dass sie hindurchschlüpfen konnte, zog sie wieder hinter sich zu und sah sich erneut um, aber erneut konnte sie keine Gegner erkennen. Statt dessen hatte sie jetzt einen guten Blick auf den kleinen Teich in der Mitte des Raumes, der normalerweise für kühle Luft sorgte - aber jetzt war die Luft kalt und abweisend, wie Nachtluft eben war, und es stank fürchterlich nach Blut. Das Wasser des Teichs spiegelte keine Sterne, die am klaren Nachthimmel zu sehen waren. Seine Oberfläche war spiegelglatt, aber trotzdem spiegelte er nichts.

Selina ging näher hin. Ihre Schritte platschten in der Blutlache, die sich hier im Raum angesammelt hatte, als das Blut der anderen Hausbewohner in diesen Raum geflossen war, und hier und da konnte sie eine Leiche in der Blutlache liegen sehen. Sie kämpfte die Übelkeit nieder, die in ihr hochstieg, und blieb am Rand des Teiches stehen.

Und sofort erkannte sie, warum er nicht spiegelte, und stolperte einige Schritte zurück. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Das Wasser war schwarz vom Blut der Leichen, die darin lagen und nicht untergingen, weil der Teich nicht tief genug war. Und die Leichen, die dort lagen, deren Blut in den Teich floss, waren ihre Eltern, mit aufgeschlitzten Kehlen, die Arme und Beine in unnatürlichen Winkeln abgespreizt, die leeren Augen zum Himmel gerichtet.

Selina schüttelte hektisch den Kopf und versuchte, dieses grauenhafte Bild aus ihrem Kopf zu bekommen. Ihr Herz raste, und sie merkte, dass sie schwitzte und unverhältnismäßig schnell atmete. Mit Mühe und Not konnte sie die Übelkeit, die immer deutlicher und stärker in ihr hochstieg, unterdrücken, und währenddessen kamen zwei Fragen in ihr hoch.

Wer konnte so etwas tun?

Und warum?

Hinter sich hörte sie ein leises Kratzen, ganz so, als hätte jemand eine Waffe gezogen. Instinktiv zog sie ihre Waffen, fuhr herum und stach zu - und traf. Tatsächlich hatte einer der Schatten hinter ihr gelauert, gerade seine Waffe gezogen und anscheinend vorgehabt, sie hinterrücks zu ermorden. Ohne einen Laut - schon wieder! - fiel er hintenüber und blieb reglos liegen.

Jetzt hörte Selina weitere Bewegungen. Schritte auf dem Blutteppich, hinter ihr, neben ihr, aber alles am Rand des Raumes. Sie drehte sich langsam um, sah sich dabei einmal komplett um, und entdeckte, dass sie umzingelt war. Einige Gegner waren aus dem Schatten ein den Ecken des Raumes gekommen, andere hingegen erhoben sich aus ihrer Tarnung, als sie eine Leiche gespielt hatten. Insgesamt zählte Selina noch acht Gegner, die sie in einem Kreis umgaben. Und jeder von ihnen hielt ein langes, dünnes Schwert in der Hand.

Blitzschnell drehte sie ihre Waffen in den Händen um, sodass die Klingen wieder unten aus der Hand kamen, und hob sie in eine Verteidigungsstellung. Gerade noch rechtzeitig, denn schon kamen zwei ihrer Gegner schnell auf sie zu, von zwei Seiten. Der Gegner von links war etwas schneller und wollte sie von oben nach unten aufschlitzen, traf dabei allerdings nur ihr Messer, das sie gerade rechtzeitig in Position gebracht hatte. Der Klang, als die Waffen aufeinander schlugen, war ganz anders, als sie ihn von den Holzwaffen gewohnt war, aber das ignorierte sie, so gut sie konnte, und duckte sich blitzschnell unter dem Horizontalschlag des zweiten Gegners weg. Dadurch bekam ihr erster Gegner das Schwert für den Vertikalschlag wieder frei, aber als seine Waffe nach unten sauste, traf sie nur die Waffe seines Mitkämpfers, die die Echidna mit einer ihrer Waffen gestoppt hatte. Für einen Moment waren beide unschlüssig, was sie nun tun sollten, und diesen Moment nutzte Selina, die unter ihren Waffen kniete, um beiden jeweils ein Messer durchs Standbein zu stoßen, es wieder herauszuziehen und sich unter den Waffen wegzurollen, die beide nach unten fielen, als ihre Gegner einknickten und umfielen. Dann, noch bevor sie sich wieder gefasst hatten, war Selina über ihnen. Zwei simultan ausgeführte Hiebe, während sie sich bückte - und beide Gegner lagen mit offenen Kehlen da und rührten sich nicht mehr.

Als sie sich jetzt umsah, merkte sie, dass sie wirklich umzingelt war. Die sechs verbliebenen Gegner hatten den Kreis enger gezogen - immer noch nicht eng genug, dass sie in ihrer Reichweite war, aber noch deutlich enger, als er zuvor gewesen war. Dann, wie auf ein Zeichen, stürmte einer ihrer sechs Gegner vor und schlug auf Kopfhöhe horizontal nach ihr. Sie duckte sich unter diesem Angriff hinweg, kam aber nicht zu einem Gegenangriff, als er mit einem Vertikalschlag nachsetzte und sie sich zurückdrehen musste - genau auf einen weiteren Gegner zu, der schon die Waffe hob. Aber er war nicht schnell genug, als Selina auf ihn zusprang und ihm ein Messer mit der linken Hand in den Hals hieb, obwohl sie damit kurz ihren Gegner im Rücken zu ignorieren schien. Und tatsächlich kam er mit einigen wenigen Schritten sehr schnell an sie heran - und bremste dann plötzlich ab, als Selina mit ihrem zweiten Messer blind nach hinten, aber trotzdem auf der richtigen Höhe und an der richtigen Stelle, zustieß. Er blieb Zentimeter vor der Messerschneide stehen, die sich ansonsten in seinen Hals gebohrt hätte. Das war aber nicht weit genug entfernt, denn Selina fuhr jetzt herum und zog ihm ihr anderes Messer durch die Kehle, ohne dass er eine Chance gehabt hätte, seine Waffe zu heben, um den Hieb abzuwehren. Dann stieß sie ihn in Richtung der zwei Gegner zu ihrer Linken, die von ihrem Widerstand ganz offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt worden waren und keine Bewegung machten, um ihrem toten Freund auszuweichen. Der Körper prallte gegen sie, riss sie um und noch ein Stückchen mit über den Boden.

Gerade noch rechtzeitig bemerkte sie, dass ihre Gegner von rechts sie gleichzeitig angreifen wollten. Einer von ihnen war bereits mitten in einem Schlag von oben begriffen, und gerade noch rechtzeitig konnte sie eines der Messer heben, um den Angriff von ihrem Kopf wegzulenken. Statt dessen glitt das Schwert von der Klinge nach rechts ab und schnitt ihr ein Stück der Haut an der rechten Schulter weg. Den Schmerz ignorierte sie aber einfach. Sie hatte bei Übungsunfällen schon schwerere Verletzungen erlitten, da war ein bisschen abgeschnittene Haut einfach gar nichts. Sie zog den Arm blitzschnell zurück, drehte dabei das Messer wieder um und stach nach vorne zu, genau in den Hals ihres Gegners, konnte dann allerdings den Angriff ihres Gegners, der horizontal nach ihrem Hals schlug, nur ganz knapp parieren, als sie gerade noch rechtzeitig ihr anderes Messer hoch bekam. Erneut schlugen zwei Waffen klirrend zusammen, und erneut wollte die Waffe ihres Gegners abgleiten, aber Selina hielt mit ihrem zweiten Messer dagegen, und als ihr Gegner zu einem weiteren Schlag ausholte, sprang sie schnell vor und stieß ihm ein Messer in den Hals. Als sie jedoch Ausschau nach ihren zwei verbliebenen Gegnern hielt, konnte sie sie nicht mehr entdecken. Sie schienen einfach verschwunden zu sein.

Und als sie auf ihre toten Gegner hinabblickte, verschwanden auch sie. Sie lösten sich einfach in Luft auf und verschwanden wie Nebel im Sonnenlicht, noch während die Echidna sie betrachtete.

Verblüfft bückte Selina sich und fasste dorthin, wo eben noch ihr letztes Opfer gelegen hatte. Vielleicht hatte sie sich im schwachen Sternenlicht ja getäuscht, obwohl sie sehr gute Augen hatte und selbst bei diesem schwachen Licht ihre Gegner hatte auseinanderhalten und ihre Waffen hatte erkennen können, aber als sie nun dort herumtastete, wo ihr letzter Gegner gelegen hatte, merkte sie nur, dass er wirklich nicht mehr da war. Wie ein Geist war er verschwunden, als wäre er nie da gewesen, und nur das Blut ihrer Gegner, das noch an ihren Messern klebte, deutete darauf hin, dass sie noch vor wenigen Minuten um ihr Leben gekämpft hatte.

Jetzt, nach dem Kampf, kehrte plötzlich die Nervosität zurück - zusammen mit der Angst, die sie während des Kampfes verdrängt hatte. Urplötzlich fing ihr Herz an zu rasen, urplötzlich atmete sie schneller als zuvor und begann am ganzen Körper zu zittern, als ihr ein furchtbarer Gedanke kam.

Nur noch das Blut ihrer Gegner an ihren Waffen und auf ihrer Kleidung deutete auf den Kampf hin...

Und das ganze Haus war voller Blut... Alle Bewohner des Hauses waren tot, und ihr Blut bedeckte fast den ganzen Innenhof...

Bevor sie diesen Gedanken zu Ende denken konnte, hörte sie ein lautes Krachen, als der Riegel am Tor im Zaun brach, hörte Schritte auf dem Kiesweg zur Tür, und sah, wie die Tür langsam aufschwang und die Laterne eines Nachtwächters in den Raum hineingehalten wurde.

Zitternd hob sie ihre Waffen zurück in Kampfhaltung. Es ging nicht anders... wenn die Nachtwächter sie hier, mit blutigen Waffen, inmitten dieses Blutbads, finden würden, dann müssten sie sie für eine Mörderin halten... Sie kannte die Strafe für Mord... Und sie wollte ihr entgehen...

Aber warum zitterte sie dann so bei dem Gedanken, sich auf die Nachtwächter zu stürzen und ihnen mit einigen schnellen Hieben die Kehle durchzuschneiden oder das Herz zu durchstoßen, so wie sie es bei den schwarzen Gestalten getan hatte? Warum zögerte sie, die Wächter ohne Vorwarnung anzugreifen und ihnen die Bauchdecke aufzuschlitzen, so, wie sie es in dieser Nacht schon einmal getan hatte?

Die Tür schwang etwas weiter auf. Noch hatte der Wächter, der hinter der Tür stand, sie nicht gesehen... Noch hatte sie die Chance, sich zu verstecken und ihn und nötigenfalls auch seine Begleiter aus dem Hinterhalt anzufallen und zu töten...

Sie verstärkte den Griff um die Messer, um das Zittern zu unterdrücken, das sie durchlief. Worauf wartete sie? Warum griff sie die Wächter nicht einfach an?

Als die Tür noch weiter aufschwang und sie in das Gesicht des Nachtwächters blickte, wusste sie, warum. Er war kaum älter als sie, und sein Gesicht zeigte genau denselben Ekel, den sie empfunden hatte, als sie das Blutbad gesehen hatte. Er zitterte genauso wie sie, als er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ - und als sein Blick an ihr haften blieb, zuckte er für einen Moment zusammen, als hätte ihn ein Peitschenhieb getroffen. Angst zeichnete sich deutlich auf seinem Gesicht ab, als er langsam seine rechte Hand zum Schwert führte, das an seiner Hüfte hing. "Keine Bewegung", sagte er mit vor Angst zitternder Stimme, und Selina meinte zu hören, dass er gegen die Übelkeit ankämpfte, die auch sie bei diesem Blutbad empfunden hatte.

Sie wusste, dass sie ihn nicht würde töten können. Er war unschuldig, so unschuldig wie sie, und sie wusste, was sie wahrscheinlich erwartete - aber sie konnte ihn nicht töten. Sie konnte nicht einfach so ein junges, hoffnungsvolles Leben zerstören. Sie konnte nicht einfach sein Leben wegwerfen, nur um ihres zu retten. Sie konnte deutlich sehen und spüren, was er empfand. Er war nicht hier, weil er hier sein wollte - er war hier, weil er hier sein musste, und sie hatte kein Recht, ihn dafür büßen zu lassen. Sie hatte kein Recht, ihn zu töten. Sie war keine Mörderin.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kunoichi
2006-05-20T12:41:19+00:00 20.05.2006 14:41
Wow! Der Kampf ist sehr gut beschrieben! Bisher ist das das spannenste Kapitel! Ich frage mich, wie Selina sich aus dieser misslichen Lage befreien will, wenn sie den Wächter nicht töten kann. Man wird ihr sicherlich nicht glauben.*seufz* Ich bin gespannt was passiert! Aber schon grauenvoll... wie wird wohl ihre kleine Schwester reagieren, wenn sie das Blutbad und ihre Eltern sieht?
Ach, und ich kann es nochmal wiederholen: Mehr Absätze! xD
Von:  Geist
2006-02-15T17:31:14+00:00 15.02.2006 18:31
Kein Kommetar!? Dabei war das doch bis jetzt eines der spannensten Kapitel überhaupt.
Der ganze Kampf war einfach geil. Mir ist die Luft weggeblieben (und das will was heißen ^__~)
Jede einzelheit des Kampfes hast du so ausführlich und giut beschrieben das ich das Kapitel mehrmals lesen musste um alles in meinem Kof zu Visualisieren.
Am ende war ich einfach nur baff.
Woher nimmst du bloß diese Ideen!? Was inspiriert dich dazu soetwas so gut zu schreiben!?
Da kamen wirklich Gefühle rüber.
Woah.........ich hab ne weile gebraucht um mich zu beruhigen (X3)

Oh man.......ich bin froh das Selina und ihre Sis es geschafft haben nicht gekillt zu werden.
(Amen)
Naja aber ohne Selina kanns heir ja schlecht weida gehen oder!?
(XD)

Nyo ich hab jetzt nichts mehr zu sagen.

~Sharie~


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