Zum Inhalt der Seite

Khirgaahn

Geschichte eines Magiers
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Verpflichtungen

Khirgaahn
 

2.Kapitel: Verpflichtungen
 

Am nächsten Morgen erwachte Tradon kurz nach Sonnenaufgang. Zunächst dachte er noch einmal über die Ereignisse des letzten Abends nach, wobei er zu dem Schluss kam, dass ihm wohl keine andere Möglichkeit bliebe als sich einen Schüler zu suchen. Er stand auf und verließ die Akademie durch das zerstörte Haupttor. Von dem Wächter der vergangenen Nacht war am Morgen keine Spur mehr zu entdecken. Somit war das erste Lebewesen, dem Tradon begegnete Pien-Kahr. Nachdem Tradon sie am Abend vor der Akademie zurückgelassen hatte, hatte sich der Drache an Ort und Stelle auf der Straße niedergelassen, um zu schlafen.

Nun jedoch schlief sie keineswegs. Und sie war auch nicht allein. Neben ihr stand ein Mann auf der Strasse. Er hatte seine Hand auf ihren Kopf gelegt und tätschelte sie. Das war schon außergewöhnlich genug, doch Tradon fiel noch etwas seltsames an dem Mann auf. Er trug einen langen dunkelgrünen Umhang um die Schultern und ein ebenso grünes Lederband um den völlig kahlen Kopf gebunden. Für Tradons Augen jedoch leuchteten beide Stücke so stark rot, dass die Person darin nur außerhalb des Stoffes erkennbar war. Das jedoch war insofern ungewöhnlich, als dass es sich hierzu um stark magisch aufgeladenen Stoff handeln musste. Welchem Zweck der Zauber diente konnte Tradon jedoch nicht feststellen, da er nicht einmal Strukturen im magischen Muster unterscheiden konnte, so stark leuchtete der Stoff. Er machte einige Schritt auf den Fremden zu, bevor er ihn ansprach:

"Was tut Ihr da?"

Der Fremde lies die Hand vom Kopf des Drachen gleiten und drehte sich blitzschnell zu Tradon um. Seine Augen blitzten auf. Schnell musterte er ihn von oben bis unten, wobei sein Blick etwas länger bei Tradons Augenbinde hängen blieb, als ob er sich von deren Echtheit überzeugen wollte. Dann sprach er, wobei seine Stimme einen einschmeichelnden Tonfall anklingen lies:

"Nichts, Herr. Ich habe nur den Drache bewundert. Ein wunderbares Tier. Gehört er Euch?"

"So könnte man wohl sagen. Ihr hattet großes Glück, dass sie wohl noch Müde ist. Sonst hätte sie Euch vermutlich nicht nur den Arm gekostet. Es sei denn Ihr..."

Tradon sprach nicht zu Ende, sondern blickte den Fremden misstrauisch an. Dieser fasste sich nun wieder und sagte:

"Nun will ich Euch nicht länger aufhalten, Herr. Und auch ich habe noch wichtige Geschäfte, denen ich nachgehen muss. Gehabt euch wohl, Herr."

Damit drehte er sich um und verschwand mit einem Satz in einer Seitengasse. Tradon regierte schnell und war mit ein paar Schritten ebenfalls vor der Seitengasse. Er sah hinein und konnte gerade noch erkennen, wie das leuchtende Ende des Umhangs am anderen Ende der Gasse um eine Ecke flog.

Tradon hielt inne. Er starrte noch kurz auf die Stelle, an der der Umhang um die Ecke gebogen war und drehte sich dann zu Pien-Kahr um.

Der Drache lag immer noch mitten auf der Strasse und beobachtete Tradon aufmerksam.

Dieser legte ihm ebenso die Hand auf den Kopf, wie der Fremde es zuvor getan hatte und tätschelte den Drache leicht. Dann sagte er:

"Ich danke dir nun für deine Dienste, Pien-Kahr. Kehre zurück ins Wirtshaus hoch droben auf dem Pass, zu deinem Herrn!"

Pien-Kahr fauchte etwas und erhob sich dann. Sie breitete genau wie am Abend zuvor ihre riesigen Schwingen aus und erhob sich mit ein, zwei Flügelschläge kreischend in die Luft. Kurz drauf verschwand sie hinter den Häusern, auch wenn Tradon ihre magische Präsenz noch deutlich erkennen konnte. Er schaute ihr noch einige Augenblicke nach, bis er sie in Richtung Berge aus den Augen verlor.

Tradon drehte sich um und machte sich auf in Richtung des größten Marktplatzes der Stadt, um dort auf die Suche nach einem geeigneten Schüler zu gehen.

Mittlerweile erwachte die Stadt langsam zum Leben.

Je näher er dem Platz kam, desto mehr Leute liefen geschäftig um Tradon herum. Er passierte einige von Ochsen und Pferden gezogene Fuhrwerke. Doch niemand nahm Notiz von ihm.

Als er nun gemächlich über den Marktplatz lief, dachte Tradon sich:

>>Hmm, wohin soll ich zuerst gehen? Eigentlich will ich keine Schüler aufnehmen, aber es hilft ja alles nichts. Es muss sein.

Aber wo suchen?

Selbst wenn es nur für die Dauer des Turniers sein sollte, muss ich jemanden Geeignetes finden. Nur wo?<<

Plötzlich wurde Tradon von etwas aus seinen Gedanken gerissen, dass seine Aufmerksamkeit erforderte.

Neben ihm war ein Junge aus der Menschenmenge aufgetaucht, der gerade im Begriff stand nach dem silbernen Schwertgriff an Tradons Gürtel zu greifen. Allem Anschein nach ein Taschendieb.

>>Diese Stadt macht ihrem Namen alle Ehre. Und sie hat sich kein Stück verändert<<, dachte Tradon sich.

Die Situation erinnerte ihn stark an den vergangenen Abend im Wirtshaus. Und genau wie am Abend zuvor sagte er zu dem Jungen:

"Ich an deiner Stelle würde das nicht tun."

Diesmal fügte er jedoch noch hinzu:

"Der Letzte der das gemacht hat, hatte keine Gelegenheit mehr es zu bereuen."

Doch im Gegensatz zu Fann am Abend zuvor, hielt der Junge in der Bewegung inne, schaute zu Tradon hoch und zog dann schnell seine Hand zurück. Eigentlich hätte er jetzt wegrennen müssen, wusste der Junge, doch sein Erstaunen über diesen Blinden war zu groß. Außerdem war er der Meinung, den Anderen jederzeit in der Menge abhängen zu können.

Also richtete er sich vor Tradon auf, der sich inzwischen umgedreht hatte und ihn musterte, und sagte zu ihm:

"Wie konntet Ihr wissen was ich tat?"

Tradon lächelte etwas:

"Unterschätze Niemanden. Beurteile andere nicht nur nach ihrem Äußeren. Ein Solches Urteil kann leicht getrübt werden."

Der Junge sah Tradon verwirrt an:

"Was redet Ihr da? Was soll dieses Geschwätz?"

Tradon sah den Junge an. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Junge. Aber er konnte nicht sagen, was es war. Was er sagen konnte war, dass der Junge ihm gefiel. Er erinnerte ihn an sich selbst, bevor sein Meister ihn vor 16 Jahren aufgenommen hatte.

"Wie ist dein Name, Junge?" , fragte Tradon ihn.

Wieder sah der Junge Tradon verwirrt an, antwortete jedoch:

"Ba... Balnir."

Tradon horchte erstaunt auf.

>>Balnir? Das könnte erklären, was der Junge an sich hat. Auf jeden Fall ist er interessant. <<

"Warum bestiehlst du andere Leute? Ich gehe davon aus, dass du es nicht speziell auf mich abgesehen hast, oder, Balnir? Was ist mit deinen Eltern, wissen die, was du hier tust?"

Balnir schluckte und erwiderte:

"Ich habe keine Eltern."

Tradon nickte.

"Lebst du auf der Straße? Wie alt bist du denn?"

"Ich bin siebzehn Jahre alt und ich kann auf mich selbst aufpassen."

>>Siebzehn. So, so. Ja, sein Wille ist bereits stark ausgeprägt, aber noch nicht vollends gefestigt. Er ist perfekt. Und ich möchte wissen, was es für eine Besonderheit mit ihm auf sich hat.<<

"Du weißt, was Magie ist, oder Junge?"

Balnir horchte auf.

"Ja. Magie ist die Macht alles zu tun, was man möchte. Magier können immer machen was sie wollen."

"Nun, ganz so einfach ist es nicht, Balnir. Ich bin ein Magier, was vorerst auch die Frage nach meinen Augen beantwortet. Und, ich muss dir sagen, dass du mir gefällst. Möchtest du nicht mein Schüler werden und die Kunst der Magie erlernen?"

Balnir sah Tradon misstrauisch an und sagte vorsichtig:

"Was meint Ihr damit? Soll das heißen Magie kann man erlernen? Und warum macht Ihr mir solch ein Angebot?"

Wieder nickte Tradon, und antwortete:

"Ja, man kann lernen Magie zu wirken. Eigentlich könnte jeder es lernen. Nur haben manche eine größere Begabung dafür als andere. Ich glaube, dass du eine solche Begabung in dir trägst, deshalb würde ich dich gerne lehren. Außerdem erinnerst du mich an mich selbst vor 16 Jahren. Auch ich lebte damals wie du auf den Strassen dieser Stadt, bevor mich mein Meister bei sich aufnahm und ausbildete.

Und da ist noch etwas. Es könnte auch nur ein Zufall sein, aber dein Name..."

Tradon hielt inne und Balnir rief:

"Was ist mit meinem Name?"

"Nun, dein Name, ... Balnir bedeutet in einer anderen Sprache soviel wie "schlafendes Blut". Das könnte ein Hinweis sein, auf etwas was in dir ruht und darauf wartet hervorzukommen. Eine große Begabung vielleicht. Wenn das der Fall ist wärst du zu wahrlich Großem fähig."

Balnir sah Tradon ungläubig an. Dann senkte er seinen Kopf und sah auf den Boden unter ihren Füssen.

Nach einigen Augenblicken Stille, fing er an zu murmeln:

"...schlafendes Blut, schlafendes Blut..."

Immer wieder wiederholte er diese beiden Worte, als ob er nicht glauben konnte, was Tradon gesagt hatte.

Plötzlich brach er ab und hob den Kopf wieder. Er sah Tradon ins Gesicht. Hätte Tradon Augen gehabt, hätte Balnir ihm direkt in diese hineingestarrt, so jedoch fiel sein Blick auf das schwarze Lederband in Tradons Gesicht.

"Ihr meint das also wirklich ernst, Magier?"

fragte er mit harter Stimme.

"Todernst, Junge. Tod....ernst."

Balnir hielt noch einmal inne, und nickte nachdenklich.

"Nun gut, Herr. Was soll ich tun?"

"Also nimmst du mein Angebot an?" fragte Tradon.

"Ja, ich nehme es an. Von nun ab bin ich Euer ergebener Schüler."

Balnir machte eine gekünstelte Verneigung vor Tradon und lachte. Der ernste Ausdruck in seinem Gesicht und seiner Stimme waren wieder verschwunden, als ob nie etwas gewesen wäre.

Tradon sah ihn mit leicht gerunzelter Stirn an und überlegte, ob es vielleicht doch falsch gewesen wäre Balnir zu seinem Schüler zu machen. Doch das würde sich zu gegebener Zeit zeigen.

Er drehte sich um und fing an sich seinen Weg durch die Menschenmenge auf dem Marktplatz zu bahnen. Balnir folgte ihm und rief ihm zu:

"Wohin gehen wir, Meister?"

Tradon antwortete ihm, ohne sich umzusehen:

"Warst du schon mal im königlichen Palast?"

"Ihr wollt in den Palast?"

Balnir starrte Tradon mit offenem Mund an.

"Ja, ich habe dort etwas zu erledigen. Folge mir einfach, Junge."

Nach einigen hundert Metern erreichten sie den Rand des Platzes, wo die Massen etwas weniger dicht gedrängt waren und sie schneller voran kamen. Af einmal jedoch blieb Tradon abrupt stehen. Er drehte sich nach rechts. Sie standen direkt vor einem riesengroßen Portal. Die beiden schweren dunklen Holzflügel, die jeweils an die zehn Meter hoch waren, standen offen. Dazwischen drängte sich eine enorme Menschenmenge ins Innere des gigantischen Gebäudes. Aus dem Inneren des Gebäudes vernahm Tradon einen melodischen Singsang.

"Was habt Ihr, Herr?", fragte Balnir, der verwirrt war, dass sie hier angehalten hatten.

"Was ist das für ein riesiges Gebäude, Junge?"

Tradon schien ebenfalls verwirrt zu sein.

"Das? Das ist der Tempel der Götter. Ich dachte Ihr kennt Euch hier aus, Herr."

"Hab ich dergleichen behauptet? Ich sagte nur, dass ich früher hier gelebt habe. Wie lange steht dieser Tempel dort schon?"

Balnir dachte nach.

"Nun ja, eigentlich ist er noch relativ neu. Der Hohepriester hat ihn zu Ehren der Götter vor einiger Zeit bauen Lassen. Ich glaube es war vor nahezu eineinhalb Jahren, das er vollendet wurde."

"Hohepriester?"

"Ja. Hohepriester Kiro-sa."

>>Hohepriester. Interessant. Höchst interessant...<<, dachte Tradon ohne Balnir zu antworten.

Dann sagte er:

"Wir gehen hinein. Los, aber bleib dicht bei mir."

Sie betraten den Tempel, doch aufgrund der gewaltigen Menschenmenge, die sich darin drängte, kamen sie nicht weit. Ein Stück neben dem Eingangsportal blieben sie stehen und Tradon sah sich um.

Der Tempel bestand aus eine gewölbten halbrunden Halle. Den meisten Platz der Halle nahm ein im Boden abgesenkter Bereich ein. Hinter dem großen Hauptportal, durch das die beiden den Tempel betreten hatten, befand sich eine breite Rampe die etwa eineinhalb Meter hinunter führte. An der Außenwand des Tempels führte ein drei Meter breiter Weg um das Becken herum, der mit metallenen Geländern von diesem abgegrenzt war. Tradon und Balnir standen am Rand des Weges und sahen über die schier endlose Menge der Gläubigen hinweg, die sich im Becken vor ihnen drängte. Genau gegenüber des Hauptportals befand sich eine gerade Wand, die die Rundung des Tempels unterbrach. Die Wand ragte fünf Meter über das Becken auf und bildete damit einen Vorsprung. In der Mitte des Vorsprungs befand sich ein Podest, das noch einmal zwei Meter aufragte.

Dort auf dem Podest sah Tradon ihn stehen. Hohepriester Kiro-sa. Er erkannte ihn wieder. Zwar waren bereits ein paar Jahre vergangen, seit ihrer letzten Begegnung, aber niemals würde Tradon diesen Mann vergessen.

Der gesamte Vorsprung war mit hunderten von Fackeln an den Wänden darüber hell erleuchtet. Die Halle selbst hingegen lag fast vollkommen im Dunkeln. Kiro-sa war, soweit Tradon es beurteilen konnte, das einzige Lebewesen auf dem Vorsprung. Gesäumt wurde er von acht Statuen, je vier auf jeder Seite, die jeweils zwanzig Meter hoch empor ragten.

Sie stellten die höchsten der Götter dar. Wesen, mit annähernd menschlichem Unterleibern und gefiederten Köpfen und Oberkörpern. Sie hatten Schnäbel wie Raubvögel. Und aus ihrem Rücken, unsichtbar für die Menge in der Halle, wuchsen majestätische gefiederte Schwingen, die wohl die Hälfte der Höhe der Statuen ausmachten.

Außerdem war jeder von ihnen mit Zeichen dargestellt, die es möglich machten sie zu identifizieren.

Die ganze Zeit, während der Tradon sich im Tempel umgesehen hatte, war ein monotoner Singsang von der Menge zu hören gewesen. Nun jedoch erhob sich Kiro-sa, der bisher auf dem Vorsprung gekniet hatte und breitete die Arme aus. Sofort brach das Singen ab, und es wurde totenstill im Tempel. Viele der Menschen um Tradon und Balnir herum hielten den Atem an und warteten gespannt auf Kiro-sas Worte. Dieser fing schließlich an zu sprechen, und seine Stimme hallte laut und klar von den Wänden des Tempels wider:

"Nun, Gläubige! Lasst uns gemeinsam das Wort an die Götter richten, auf dass Sie unsere Bitten erhören mögen!"

Nach einem kurzen Augenblick stimmte die gesamte versammelte Menge, wie aus einem Mund ein Gebet an. Aus tausenden Kehlen dröhnten Tradon die Worte monoton, fast mechanisch entgegen:
 


 

ke-sa soh vanrik
 

ke-sa gaahn ker soh

ri ke-sa gaahn-vu vanker

se ke-sa-wa mat-vu khir
 

ke-wa dak nan

ke-wa lor laimon
 

ke-wa lai la-un

co ke-wa-sa lai ke-sa sasz

se ke-wa kisuk pinlog tiarun
 

ke-sa tam ke-wa mat

se ke-sa ila vansah nakgahlog
 


 

Das Gebet war zu Ende und sofort verstummten all die tausenden Stimmen um Tradon und Balnir herum.

Balnir sah sich erstaunt um. Natürlich hatte er kein Wort von dem, was gerade gesagt worden war verstanden. Dann fiel sein Blick auf Tradon, der immer noch neben ihm stand, aber nun blass aussah und ganz leicht zu zittern schien.

"Meister...", sagte er leise zu ihm.

Tradon schien wie aus einem dunklen Traum zu erwachen und drehte den Kopf zu Balnir. Dann sagte er leise, fast flüsternd:

"Los Junge, wir gehen. Schnell! Folg mir!"

Tradon drehte sich um, bahnte sich so gut es ging einen Weg durch die Menschenmassen um sie herum und verließ mit Balnir den Tempel.

Draußen hielt er nicht inne, sondern packte Balnir am Arm.

"Komm!", raunte er ihm zu.

Erst als sie ein paar hundert Meter vom Tempel entfernt waren, lehnte sich Tradon erschöpft an eine Hauswand und atmete schwer. Balnir sah ihn verständnislos und leicht besorgt an.

"Meister, was ist mit Euch?"

Erneut sah Tradon ihn schweigend an.

"Später, Junge. Nun komm. Wir gehen zum Palast."

Den Rest des Weges ging Balnir still neben Tradon her. Nach einigen Minuten erreichten sie den Eingang des Palastes. Sie durchschritten einen großen Torbogen und betraten den Vorplatz des Palastes. Neben dem Weg, der zum Hauptgebäude führte, lagen einige Wiesen, die eine weitläufige Parkanlage bildeten. Gesäumt war der Weg von einigen hochaufragenden Eichen. Je fünf rechts und links des Weges. Voll belaubt mochten sie einen erhabenen Anblick darbieten und den Weg überschatten, doch nun lagen sie kahl und still im Ostwind.

Balnir sah sich ehrfürchtig um, bewunderte die Bäume und bestaunte dann den vor ihnen aufragenden Palastbau.

Als sie jedoch das innere Tor des Palastes erreichten wurden sie von zwei königlichen Wachen zurückgehalten. Einer der Wachmänner, ein hochgewachsener Kerl mit langen Armen sprach sie an:

"Heh! Ihr da! Was wollt ihr hier?"

"Wir wollen in den Palast", sagte Tradon freundlich aber bestimmt.

Der andere Wachmann, der genau wie sein Kumpane die königliche Rüstung in grün-blau mit dem Wappen von Unkur, dem einäugigen Drachenkopf, trug, lachte auf. Sein Begleiter schien weniger belustigt und sagte argwöhnisch:

"Das konnte ich mir auch so denken. Doch was wollt ihr im Palast?"

"Wir kommen wegen einer Audienz beim König."

"Ha! Da könnte ja jeder daherkommen. Und so, wie ihr ausseht, würden wir euch nicht einmal hereinlassen, wenn der König euch erwarten würde."

Er deutete mit seiner langen Hellebarde auf Balnirs heruntergekommene, zerlumpte Kleidung.

Tradon sah Balnir an, dann nickte er.

"Balnir. Er hat recht, in dieser Kleidung kannst du nicht in den Palast. Weißt du wo die magische Akademie ist?"

Balnir nickte.

"Ja, aber ich..."

"Gut. Geh dorthin. Frage nach Meister Samahtas. Sage ihm, dass ich dich geschickt habe. Dass du mein neuer Schüler bist. Und dass er dich beim Akademieleiter eintragen und dir eine Lehrlingsrobe geben soll. Dann wartest du dort auf mich. Hast du das alles verstanden?"

Wieder nickte Balnir.

"Gut, dann geh!"

Balnir zögerte. Tradon, der sich bereits wieder den Wächtern zuwenden wollte sah ihn erneut an und fragte ihn dann:

"Ist noch etwas?"

"Nun ja, Herr. Ich soll diesem Samahtas..."

"Meister Samahtas", verbesserte Tradon ihn.

"...diesem Meister Samahtas sagen, dass Ihr mich geschickt habt. Aber ich kenne nicht einmal Euren Name, Herr."

"Mein Name? Du hast recht, ich habe ihn dir noch nicht mitgeteilt. Nun denn, Ich heiße Tradon. Tradon Kligaahn. Merk es dir. Und nun geh und tu, was ich dir aufgetragen habe."

Balnir drehte sich um und lief den Schlossweg wieder hinunter. Dann verschwand er durch den großen Torbogen in der Mauer rund um das Schloss, durch den sie gekommen waren. Im selben Augenblick ertönte eine Stimme hinter Tradon, aus Richtung der beiden Wachmänner.

"Sagtet Ihr, Tradon Kligaahn, Fremder? Wer seid Ihr, dass Ihr Euch auch nur mit einem dieser Name brüstet? Los, dreht Euch um, damit ich Euer Gesicht sehen kann, bevor ich Euch in den Kerker werfen lasse!"

Tradon horchte auf. Langsam drehte er sich wieder dem Tor zu. Inzwischen war ein dritter Mann zu den beiden Wachen gestoßen. Allerdings trug er eine andere Rüstung. Seine war deutlich prunkvoller und ehrfurchtgebietender. Auch hatte er keine Hellebarde, sondern ein schweres Langschwert hing an seiner Seite. Er trug keinen Helm, sodass Tradon sein Gesicht sehen konnte. Er hatte ergraute Haare und seine buschigen Augenbrauen waren fast so dicht, wie der kurzgeschnittene Vollbart, der sich über sein Kinn von einem Ohr zum anderen zog. Sein Gesicht war alt und verwittert. Mehrere Narben, stille Zeugen der Kämpfe, die er bereits gesehen haben mochte, teilten sich den Platz in seinem Gesicht mit einigen tiefen Falten. Zwischen all dem schimmerte Tradon ein Paar stahlblaue Augen an.

"Xatos!", rief Tradon erfreut, als er ihn erkannte.

"Also bist du es doch, Tradon. Du hast lange auf dich warten lassen.", antwortete Xatos.

"Ja. Es ist eine Weile her, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben, alter Freund. Fünf Jahre um genau zu sein."

"Wahrlich. Viel ist passiert seit damals."

Tradon ging auf Xatos zu und die beiden Männer umarmten sich freundschaftlich.

"Komm mit in den Palast, Tradon. Dann kannst du mir berichten, wie es dir ergangen ist."

Diesmal hielten die Wachen Tradon nicht auf, als er an Xatos' Seite den Palast betrat. Im Innern des Palastes folgten sie zuerst einem langen Gang. Am Ende des Ganges war eine gewaltige Tür zu sehen, die, wie Tradon wusste, in die große Haupthalle, der Thronsaal des Palastes, führte.

Bevor sie diese allerdings erreichten, führte Xatos Tradon durch einer der vielen kleineren Türen, die zu beiden Seiten vom Gang abzweigten. Sie betraten einen weiteren Gang, der in einer zweiten Türe endete und ansonsten völlig kahl war.

Während sie den Gang entlang schritten, fing Xatos an zu sprechen:

"Wir erreichen gleich meine persönlichen Gemächer."

In diesem Moment betraten sie eine kleine Kammer, in der allerlei Rüst- und Schuhwerk aufbereitet lagen. Als nächstes folgte ein Raum, in dem ein einfacher Tisch und einige Stühle an einem Kamin in der Ecke gruppiert waren. Eine große Karte, die Unkur, Pahnalon und die jeweils angrenzenden Gebiete zeigte, lag ausgebreitet in der Mitte des Tisches. Wild auf dem Tisch verstreut lagen einige teilweise geöffnete, teilweise zusammengerollte Schriftrollen und Briefe.

Auf der Karte konnte Tradon einige kleine holzgeschnitzte Krieger sehen, die wohl bestimmte Truppen und Armeen repräsentierten. Der größte Teil von Ihnen stand entlang der pahnalonischen Grenze, die Unkur gegenüber lag und Pahnalon von der großen Nordwüste trennte.

Tradon wusste, dass Krieg herrschte.

Xatos bemerkte sein Interesse für die Karte:

"Die Zeiten sind nicht einfach, mein Freund. Sicherlich hast du bereits vom Krieg erfahren. Schließlich musst du ja durch Naknar und Pahnalon gekommen sein, auf deinem Weg hierher, oder?"

"Nun ja. Ich hörte manches auf meinem Weg. Auch, dass Unkur noch nicht öffentlich an Pahnalons Seite in den Krieg eingetreten ist. Allerdings fürchte ich, dass sich das bald ändern könnte. Ich bringe eine Botschaft von König Namodas von Pahnalon für den König. Mein Freund, so gerne ich mich mit dir hier nieder setzten und über die letzten fünf Jahre reden würde, ich muss zuerst diese Nachricht überbringen. Vielleicht findet sich danach ein kurzer Augenblick Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen."

Xatos sah ihn an.

"Du hast recht. Das ist wichtiger als unser Wiedersehen. Komm, ich bringe dich in den Thronsaal."

Sie folgten dem Weg, den sie gekommen waren, zurück, bis sie wieder im großen Hauptgang waren, der zum Thronsaal führte.

Als sie in den Hauptgang einbogen, fiel Xatos Blick auf den silbrigen Schwertgriff an Tradons Gürtel.

"Was zum...?", brachte er ungläubig hervor.

"Ist das etwa...?"

Tradon sah ihn an, folgte seinem Blick und nickte dann langsam.

"Nein. Also habe ich mich zuvor beim Tor nicht verhört, als du sagtest dein Name sei Tradon Kligaahn? Du hast es wirklich geschafft... Das göttliche Schwert... Ich kann es nicht glauben..."

Xatos stammelte einige weitere verwunderte Satzfetzen vor sich hin, bevor er sich wieder fasste und sagte:

"Also wirklich, Tradon. Du bist mir vielleicht einer. Aber erwarte nicht, dass ich mich ab sofort vor dir verbeuge und dich Meister nenne. Auch, wenn es deinem Rang entsprechend eigentlich angemessen wäre."

"Natürlich nicht, Xatos. Du weißt genauso gut wie ich, dass ich auf solcherlei Dinge keinen Wert lege. Und erst Recht nicht unter Freunden. Doch nun, lass uns später noch einmal darüber sprechen. Wir sind da."

Sie hatten das große Tor des Thronsaals am Ende des Ganges erreicht.

Xatos sah noch einmal zu Tradon und zeigte dann zum Tor.

"Gut. Lass mich zuerst hineingehen. Ich werde dich beim König ankündigen."

Mit diesen Worten zog Xatos den rechten Torflügel ein Stück auf und verschwand in dem Spalt, der sich bildete. Tradon musste nicht lange warten, bis die beiden Torflügel lautlos von innen geöffnet wurden und ihm entgegen schwangen. Vor ihm erstreckte sich die gewaltige Halle des Thronsaals. Ein breiter Teppich führte von acht Säulen gesäumt hin zum Thron des Königs von Unkur, der etwas erhöht auf einem Podest stand, zu dem ein paar Stufen hinaufführten. Tradon durchschritt das große Tor, das sogleich von zwei links- und rechtsseitig postierten Wachmännern hinter ihm geschlossen wurde.

Tradon blieb stehen und sah sich im Raum um.

Er sah Xatos vor den Stufen, die zum Thron hinauf führten, stehen und mit dem König sprechen. Links neben dem Podest des Königs standen einige Tische, die, ähnlich dem in Xatos' Gemach, mit Karten und Schriftrollen gefüllt waren. Ein alter Mann, dessen Bart ihm bis zur Hüfte hinunter hing, stand dort mit einem zweiten, wesentlich jüngeren Mann zusammen, der ein Brett mit einem Pergament und eine Feder in der Hand hielt, mit der er eifrig schrieb. Einige leere Stühle waren bei den Tischen gruppiert. Der Rest des Saals war weitestgehend leer. An den Wänden hingen einige Fackelhalter und Gemälde von Männern in Rüstungen, geschmückt mit dem Wappen Unkurs.

Tradon setzte sich wieder in Bewegung. Langsam und bedächtig schritt er auf den König zu. Der König selbst stand vor seinem Thron auf dem Podest.

Es handelte sich um einen jungen Mann. Er war wohl einen Kopf kleiner als Tradon und sah diesen nun aus schmalen, dunklen Augen misstrauisch an. Er hatte lange, glatte, tiefschwarze Haare, die ihm über die Schulter fielen, und dort einen Kontrast zu seinem grün-blauen Mantel bildeten. Bei Tradons Anblick nahm seine Miene einen feindseligen Ausdruck an.

Xatos drehte sich zu Tradon um.

Sein Blick ermahnte Tradon zur Vorsicht, doch noch ehe er ihm etwas zuraunen konnte, war Tradon wenige Schritte vor dem Podest stehen geblieben und begann zu sprechen:

"Dann sind die Dinge, die ich hörte, wahr! Funatos ist tot, und Ihr, Timnor, seid ihm auf den Thron gefolgt! Ich vermute, Ihr wart nicht allzu traurig über den Tod Eures Bruders?"

"Schweig, Magier!" antwortet Timnor ihm zischend.

Xatos sah Tradon entsetzt an, bevor er sich zum König umwandte:

"Mein König. Dies ist Tradon Kligaahn. Angesehener Magier, Mitglied der Akademie von Rarahndis. Meister der Klingen und demnach Bewahrer der göttlichen Ordnung. Er ist hier, um Euch eine Nachricht von König Namodas von Pahnalon zu bringen."

"Eine Nachricht? Warum kann Namodas keinen Boten schicken? Warum gibt er eine wichtige Nachricht einem... Magier?"

Timnor sah Xatos an. Tradon beachtete er gar nicht. Dennoch erhob dieser erneut das Wort:

"Namodas vertraut mir. Und nun Schluss mit diesen Kindereien. Ich liefere hiermit die Nachricht ab. Ihr solltet also alle, für deren Ohren vertrauliche Dinge nicht bestimmt sind aus dem Raum schicken, Timnor!"

"Wie meinst du das, Magier? Willst du die Nachricht vorlesen? Ich werde das nicht dulden. Du bist hier derjenige, für dessen Ohren eine solche Nachricht nicht bestimmt ist."

Timnor funkelte ihn wütend an. Sowohl er, als auch Xatos erwarteten, dass Tradon einen Brief oder etwas Ähnliches aus seinem Mantel hervor bringen würde. Tradon jedoch, trat noch einen Schritt in Richtung des Königs.

Dann erhob er seine Stimme. Doch sie klang seltsam verändert. Sie hatte nicht mehr den bisher kalten Ausdruck, den sie zuvor gegenüber Timnor angenommen hatte. Auch klang sie ein gutes Stück älter. Freundlich aber bestimmt, laut und fest begann Tradon die Nachricht aus Pahnalon vorzutragen:
 

"Seid uns gegrüsst, König Timnor III. von Unkur.

Wir bedauern sehr, dass wir es nicht geschafft haben, bei eurer Krönung anwesend zu sein. Genauso, wie wir es bedauern dem Abschied Eures geschätzten Bruders nicht beizuwohnen fähig gewesen sind.

Wie Ihr jedoch wisst, befindet sich das pahnalonische Volk zur Zeit im Krieg mit den widerwärtigen Ausgeburten der Wüste. Niemand wünscht den Friede mehr als wir und doch, solange die Bedrohung unserer Untertanen durch diese Monster besteht, werden wir, wird Pahnalon alles tun, um den Krieg zu gewinnen.
 

Es ist uns wichtig Euch, König Timnor, an die Partnerschaft, ja die Brüderlichkeit unserer beider Reiche, unsere gemeinsame, jahrhunderte alte Geschichte zu erinnern. Des weiteren ist Euch bestimmt bekannt, dass Euer hochehrenwerter Bruder im Begriff stand, eure Unterstützung an Pahnalon, euren Beitrag zum Sieg, euren Schritt zum Schutz unserer Bruderreiche, vereint im Glauben vereint im Geist. Dass er im Begriff stand die zur Unterstützung unseres Krieges abgesandten Soldatenkontingente zu vervielfachen. Ihr, Timnor, Herrscher des unkurianischen Volkes, könnt Unkur in eine Zeit des Dankes, der Anerkennung und der Ehre und, nicht zuletzt, in eine Zeit des Reichtums, führen. Nach unserem, gemeinsam unausweichlichen Sieg.
 

An dieser Stelle haben wir Euch noch ein weiteres Angebot darzulegen. Um die Verbindung unserer Reiche in diesen schwere Zeiten, die uns umgeben und zu verschlingen drohen, zu stärken, bitten wir Euch, der Heirat unseres Sohnes, Prinz Mirnaros mit Eurer Nichte Prinzessin Sahnatia von Unkur, der schönsten Frucht eures wunderbaren Landes, zuzustimmen.
 

Pahnalon und Unkur. In der Geschichte getrennt, in der Glorie unserer Zukunft vereint.

Wir erwarten einen Eurer Boten, der uns Eure Entscheidungen mitteilt, als bald als möglich.

Bedenkt Euch, und tut dies wohl.

Trefft Eure Wahl.
 

Namodas, königlicher Herrscher von Pahnalon."
 

Tradon hatte geendigt. Nun stand er da und sah in Richtung des Königs. Xatos sah ihn ungläubig an.

Timnor, der inzwischen auf seinem Thron platz genommen hatte, runzelte die Stirn.

"Nun, Timnor, König von Unkur. Ich habe die Botschaft überbracht. Alles Weitere liegt bei Euch."

Damit drehte sich Tradon um und machte sich mit großen Schritten in Richtung des Portals auf, durch das er den Saal betreten hatte. Doch in diesem Moment erschallte eine junge, helle Frauenstimme durch den Raum:

"Tradon!!! Bist du es wirklich? Oh, Tradon, mein Geliebter!"

Er blieb stehen und wandte sich erneut um, auch wenn er genau wusste wer das gerufen hatte.

Auf der rechten Seite neben dem Thron hatte sich eine Türe geöffnet und eine junge Frau stand dort in einem langen, seidig grünen Gewand. Ihre dunkelblonden Haare hingen ihr über den Rücken bis zur Hüfte hinunter und zwei kurze eingeflochtene Bänder umrahmten ihr schmales Gesicht. Sie war etwas größer als Timnor und reichte damit beinahe an Tradon heran.

"Sahnatia", sagte Tradon langsam und bedacht.

"Welch Freude Euch wohl behalten anzutreffen. Und Ihr habt nichts von eurer Schönheit eingebüsst."

Sahnatia bedachte ihn mit einem Lächeln und eilte auf ihn zu. Als sie ihn erreicht hatte breitete sie die Arme aus und fiel Tradon um den Hals.

"Sahnatia", erschallte Timnors Stimme hinter ihr aus Richtung Thron.

"Unser...", Timnor zögerte, "...Gast, wollte gerade gehen. Xatos wird ihn nach draußen begleiten. Du solltest ihn nicht länger aufhalten."

Sahnatia drehte den Kopf zu Timnor, ohne Tradon loszulassen und sah ihn verärgert an. Timnor jedoch warf ihr einen scharfen, missgünstigen Blick zu, woraufhin Sahnatia sich mit einem Seufzen von Tradon löste. Dann sagte sie leise zu Tradon:

"Ich wusste es, dass du zurückkehren würdest um mich abzuholen, Geliebter. Mein Onkel kann uns nicht von unserer gemeinsamen Zukunft abhalten. Wir sind füreinander bestimmt.

Doch solltest du den Palast nun verlassen. Er scheint gerade schlecht bei Laune zu sein. Der Krieg... nun, du verstehst. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis Unkur und Panahlon siegreich aus den Kämpfen hervorgehen, und dann ist die Zeit reif für unsere Vereinigung, Geliebter. Ich warte auf dich und zähle die Nächte bis wir uns wiedersehen."

Tradon öffnete den Mund um etwas zu erwidern, überlegte es sich dann jedoch anders und schloss ihn wieder. Sahnatia, machte einen höflichen Knicks vor ihrem Onkel und entfernt sich dann wieder aus dem Thronsaal, jedoch nicht, ohne sich an der Türe noch einmal zu Tradon umzudrehen und ihn anzulächeln.

Xatos sah Tradon finster an. Tradon drehte sich um, ohne Timnor noch eines letzten Blickes zu würdigen und verlies den Thronsaal zusammen mit Xatos.

Im langen Hauptgang zwischen dem Eingang des Palastes und dem Thronsaal war niemand außer ihnen beiden, also blieben sie dort stehen um sich kurz zu unterhalten, bevor Tradon den Palast wieder verlassen würde.

Xatos fing als erster an zu sprechen:

"Nun, Tradon, alter Freund. Diese Nachrichten gefallen mir gar nicht. Der Gedanke, dass Unkur in den Krieg zieht behagt mir nicht. Doch wenn es soweit kommt... Nun, vielleicht war dies unser letztes Treffen, Tradon."

Tradon sah ihn etwas überrascht an:

"Was meinst du? Muss denn die Palastwache mit in den Krieg ziehen?"

"Nein, die Palastwache nicht, natürlich nicht. Aber nicht nur du hast in den letzten fünf Jahren etwas erreicht."

Er deutete auf das Abzeichen an seiner Brustpanzerung, das dass unkurianische Wappen darstellte.

"Timnor hat mich vom Anführer der Palastwache zum obersten General der unkurianischen Legionen ernennt. Dementsprechend werde ich natürlich mit unseren Truppen in den Krieg ziehen. Und dieser Gedanke behagt mir nicht. Mein Leben ist unwichtig, und ich werde es mit Freude für mein Königreich opfern, aber viele gute, junge Männer sind in der Armee. Wenn dieser Krieg nicht so schnell und einfach zu gewinnen ist, wie Namodas von Pahnalon denkt, dann...."

Er brach ab und schwieg. Tradon sah ihn ebenso betrübt an.

"Was hältst du von Namodas Vorschlag, die Prinzessin mit seinem Sohn Mirnaros zu vermählen?", fragte Xatos dann, um das Thema zu wechseln.

Tradon jedoch antwortete:

"Du sprichst vermutlich von der von mir überbrachten Nachricht, oder? Du musst wissen, ich kenne ihren Inhalt nicht."

Xatos keuchte überrascht auf:

"Wie das, Freund? Wie ist das möglich? Du hast doch...", er brach ab.

"Magie?"

Tradon nickte und Xatos seufzte.

"Nun gut, Wie schon gesagt, hat Namodas Timnor angeboten Seinen Sohn Mirnaros mit Prinzessin Sahnatia zu verheiraten um die Verbindung unserer beider Länder zu stärken. Wie denkst du darüber?"

"Ich muss dir sagen, Xatos, dass geht mich nichts an. Das ist Sache der Könige und deren Entscheidung."

"Aber..."

"Nichts aber, ich habe gelernt, mich nicht in Angelegenheiten einzumischen, die mich nichts angehen. Es wäre mir eigentlich sogar lieber gewesen, du hättest mir das gerade nie erzählt."

Xatos sah ihn schweigend an. Dann senke er seine Blick betrübt zu Boden.

"Du musst wissen, Xatos, ich habe momentan andere Sorgen als den Krieg."

Xatos hob de Kopf wieder:

"Was ist passiert?"

"Mein Lehrmeister der Magie, Sariano vom goldenen Berg, erinnerst du dich an ihn?"

Xatos nickte.

"Er ist tot."

"Oh,...das...."

"Viel wichtiger aber ist, dass mein Meister der oberste Anführer aller Magier war, den wir Khirgaahn nennen, was soviel wie Meister der Magie bedeutet. Sein Tod hat einigen Aufruhr unter den Magiern verursacht, wie du dir vielleicht denken kannst. In knapp zwei Mondläufen wird es deshalb ein Turnier der Magier in der Arena des Palastes der magischen Ordnung hier in Rarahndis geben, bei dem der nächste Khirgaahn gefunden werden soll. Außerdem habe ich seit heute einen neuen Schüler, den du zuvor draußen vor dem Tor bereits gesehen hast. Ich kann es mir also momentan nicht leisten, mir den Kopf über Politik zu zerbrechen. "

Beide schwiegen. Nah einem Augenblick der Stille begleitete Xatos Tradon weiter zum Tor. Dort blieben sie noch einmal kurz stehen und umarmten sich, wie sie es bereits bei ihrer Begrüssung zuvor getan hatten.

Dann sagte Xatos:

"Nun denn, mein Freund. Es war schön dich nach so langer Zeit wieder zu sehen. Und ich bete zu den Göttern, dass es nicht unser letztes Treffen war."

"Götter sagst du? Da fällt mir etwas wichtiges ein. Ich war im Tempel der Götter, bevor ich hierher kam."

"Du warst im Tempel?"

Xatos war sichtlich überrascht.

"Ja. Und ich habe ihn gesehen. Kiro-sa."

"Oh..."

"Und ich muss dich warnen, Xatos. Weil du mein Freund bist. Kiro-sa hat einen gewaltigen Einfluss auf das Volk. Der Tempel war völlig überfüllt, und du weißt vermutlich wie groß er ist. Und sie haben gebetet..."

Tradon wurde ruhig und brach ab. Er starrte gedankenverloren an die Wand. Dann sprach er leise, fast flüsternd weiter:

"Sie haben gebetet, Xatos, gebetet. Zu den Göttern. In der alten Sprache... Ich bin mir sicher, dass keiner der Gläubigen im Tempel und nur wenige der Priester den Sinn ihrer Worte kannten. Und doch beteten sie es alle auswendig, und wie aus einem Munde. Und ihr Wille..."

Wieder war Tradon noch leiser geworden, sodass Xatos Mühe hatte ihn zu verstehen. Dann brach Tradon ab und sah Xatos wieder an.

"Nun gut, das sind Angelegenheiten eines Magiers. Nur soviel: Sei gewarnt. Kiro-sa beherrscht das Volk. Sie tun, was er ihnen im Namen der Götter aufträgt, davon bin ich überzeugt."

"Glaubst du, er könnte das Volk gegen uns aufbringen? Glaubst du, er will den König stürzen?"

"Nein. Ich weiß nicht, was er vorhat und ich will auch keine Vermutungen darüber anstellen. Ich will dich nur warnen. Kiro-sa hat Macht. Und egal was er vorhat, wer sich ihm dabei in den Weg stellt, legt sich mit dieser Macht an."

Tradon drehte sich zum Tor und drückte es auf. Dann drehte er sich ein letztes Mal zu Xatos um, der ihn besorgt ansah.

"Leb wohl, Xatos, mein Freund. Leb wohl."

Dann durchschritt er das Tor und verlies den Palast.
 

Etwa fünfzehn Minuten später hatte Tradon sich wieder durch die Menschenmenge auf dem Marktplatz bis zur Akademie vorgekämpft. Er betrat die Akademie wie am Abend zuvor durch den Haupteingang und machte sich auf den Weg zu Samahtas' Gemach. Gerade, als er jedoch vom Hauptgang in den Weg zu den Gemächern der höheren Magier einbiegen wollte, kam ihm jemand entgegen und er blieb stehen. Sein Gegenüber war ein junger Mann mit blonden kurzgeschnittenen Haaren, der neben einer ledernen Hose und einem Leinenhemd einen auffälligen, wallenden Umhang aus tiefblauem, glänzendem Stoff um die Schultern trug. Als er Tradon sah entfaltete sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. Auch Tradon begann zu lächeln und sagte:

"Na?"

Daraufhin brach der andere in schallendes Gelächter aus. Nachdem er sich wieder etwas gefasst hatte, sagte er:

"Das sieht dir ähnlich Tradon. Nach fünf Jahren tauchst du plötzlich wieder hier auf und das einzige was dir einfällt ist: "Na?"

"Nun ja, Sorell. Ich gebe zu, dass es vielleicht nicht gerade passend war, aber du kennst mich ja."

"Das wohl, Tradon, mein Freund. Nun sag, wie ist es dir ergangen? Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Hast du viel gesehen? Viel erlebt? Warst du in fremden Ländern jenseits von Naknar?"

Sorells Augen leuchteten und er sah Tradon gespannt an. Tradon lachte nun seinerseits.

"Du hast nicht verändert, Sorell. Brennst du noch immer darauf, auszuziehen um große Abenteuer zu erleben?"

"Natürlich, und doch hat sich mir nie die Gelegenheit geboten. Das Schicksal hat dich in die Welt ziehen lassen, der du eigentlich nie ein Freund solcher Abenteuer warst, und mich, der ich es mir immer gewünscht habe, nie gehen lassen."

"Wie du weißt, sind die Wege des Schicksals unergründlich. Wer weiß, ob wir heute hier ständen, wenn du an meiner Statt ausgezogen wärst."

"Ja, die Wege des Schicksals... Nun, du willst sicher zu meinem Meister? Ich habe ihn kurz zuvor mit einem fremden Jungen in der Bibliothek gesehen. Komm."

Sie machten sich auf den Weg zu Bibliothek. Sorell führte Tradon durch einige kleinere Gänge und Türen. Unterdessen begann er wieder zu sprechen:

"Du bist wegen dem Tod deines Meisters und dem Turnier zurückgekommen, oder? Wirst du denn teilnehmen? Eigentlich ist es auch egal, ob du teilnimmst. Ich werde mitmachen und ich werde auf jeden Fall gewinnen. Und dann bin ich, Sorell, der nächste Khirgaahn."

Sorell grinste siegessicher vor sich hin.

"Meinst du wirklich? Um deine Frage zu beantworten, ja, ich nehme am Turnier teil. Auch wenn es mir eigentlich nicht wichtig ist, Khirgaahn zu werden. Aber ich muss verhindern, dass Mahnine diesen Posten einnehmen kann."

"Mahnine? Hmmm... Ich habe gehört, dass sie Rarahndis am heutigen Abend erreichen soll. Sie war anscheinend einige Tage unterwegs."

Tradon blieb abrupt stehen und starrte Sorell an.

"Sie kommt hierher? Heute noch?"

Sorell nickte.

"Ja."

Tradon sagte nichts mehr und ging weiter den Gang entlang, bis sie vor der Türe zur Bibliothek standen und Sorell diese öffnete.

Die Bibliothek war riesig. Lange Reihen von dicken, teilweise verstaubten Büchern mit meist schweren Ledereinbänden, die in verschiedensten Sprachen beschriftet oder mit dunklen Zeichen und Runen versehen waren, füllten große Regale, die bis zur fünf Meter hohen Decke reichten. Es gab einen kleinen Bereich, in dem keine Regale standen. Dort fanden sich zwei breit Tische, um die einige Dutzend Stühle gruppiert waren. Neben ein paar anderen Magiern, die in irgendwelchen aufgeschlagenen Büchern lasen oder sich Notizen machten, saßen dort auch Samahtas und Balnir über ein Buch gebeugt. Als Tradon und Sorell näher kamen, sah Samahtes auf.

"Ahh, Tradon. Ich habe gerade versucht deinem Schüler anhand dieser Abbildungen", er zeigte auf das Buch, "etwas über Willenskraft und das Wirken von Magie beizubringen. Ich denke, er ist nicht unbegabt. Du hast eine gute Wahl getroffen, ihn auszubilden."

Sorell blieb mit offenem Mund stehen, und sah zuerst Samahtas, dann Balnir und schließlich Tradon ungläubig an.

"Tradon? Du... er...", er deutete in Balnirs Richtung, der die beiden inzwischen aufmerksam beobachtete, "du hast einen Schüler?", brachte er schließlich stockend hervor.

"Ja. Und ich verstehe deine Reaktion. Doch wie dein Meister bereits bemerkte, er ist begabt. In ihm steckt etwas, was ich noch nicht beschreiben kann. Außerdem ist dies meine einzige Möglichkeit am Turnier teilzunehmen."

Nun erhob wieder Samahtas das Wort, der den beiden und besonders Sorell belustigt zugesehen hatte:

"Ich habe ihn bereits bei Bantolo als deinen Schüler eingetragen und dich für das Turnier angemeldet. Und ich glaube Bantolo war froh, dass du nicht selber gekommen bist, um dich anzumelden. Aber sag, Tradon, was hast du nun vor? Bis zum Turnier sind es noch fast zwei Mondläufe. Was wirst du in dieser Zeit tun?"

"Ich hatte eigentlich vor noch ein oder zwei Tage hier zu verbringen und die Stadt dann in Richtung Süden zu verlassen, um meinen Geist und meinen Willen in der Einsamkeit der Wälder auf das Turnier vorzubereiten."

Samahtas nickte nachdenklich.

"Aber da ich nun gehört habe, dass Mahnine noch heute hier ankommen wird, habe ich einen Grund mehr, die Stadt schnellstmöglich zu verlassen. Ich werde deshalb bereits heute Nachmittag mit Balnir den Weg nach Süden einschlagen."

Samahtas sah ihn freundlich an:

"Du bleibst also wenigstens zum Mittagessen, wie schön."

Nun stand Balnir auf. Er trug inzwischen eine lange, graue Robe, die ihn als Schüler der Akademie auszeichnete.

"Meister? Wer ist diese Mahnine? Und warum verlassen wir ihretwegen die Akademie?"

"Ich wäre sowieso nicht hier geblieben, ihre Ankunft beschleunigt nur meine Abreise. Alles weitere erkläre ich dir ein anderes Mal."
 

Nach dem Essen machten sich Tradon und Balnir bereit zum Aufbruch. Sorell war gekommen um sie zu verabschieden. Freundschaftlich umarmte er Tradon. Dann sagte Sorell:

"Viel Glück, mein Freund. Wir sehen uns zum Turnier wieder."

"Danke, Sorell. Ich wünsche dir viel Erfolg bei deinem Training."

Damit drehte sich Tradon um und verlies zusammen mit Balnir die Akademie. Als die beiden jedoch auf halben Wege zum Tor den Vorhof der Akademie überquerten hörten sie plötzlich eine Stimme hinter sich. Sie klang zugleich überrascht und besorgt, verärgert und belustigt.

"Tradon."

Tradon und Balnir blieben stehen und drehten sich um. Auf einem Balkon über dem Eingang der Akademie stand ein junges Mädchen. Sie war kleiner als Balnir und sah auch jünger aus als er. Doch trotz ihres jugendlichen Aussehens hatte sie etwas in ihrem Blick als sie die Beiden musterte, das Balnir erstarren lies. Sie trug ein langes Kleid aus schwarzer Seide, dessen weite Ärmel ihr bis über die Hände reichten. Ihre dunkelroten Haare trug sie glatt anliegend bis kurz unter dem Kinn.

Langsam hob sie den rechten Arm wobei der Ärmel ihres Kleides nach unten rutschte und den Blick auf einen weißen Handschuh freigab.

"Wir sehen uns in zwei Monaten, Tradon."

Bei diesen Worten umspielte ein feines Lächeln ihre Mundwinkel und sie bewegte ihre Finger leicht hin und her um ihm zuzuwinken. Während sie das tat sah Balnir, eine kleine Flamme von Fingerspitze zu Fingerspitze springen, ohne jedoch den Handschuh zu schwärzen oder zu versengen.

Tradon drehte sich wortlos um und setzte seinen Weg fort. Balinir folgte ihm ebenfalls ohne sich umzusehen, doch als sie das Tor der Akademie durchschritten, glaubte er hinter sich ein schwaches Lachen zu hören. Kaum mehr als ein flüstern im Wind. Er wandte sich noch einmal um und sah zum Balkon, doch das Mädchen war verschwunden.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Impurity
2006-04-26T18:59:59+00:00 26.04.2006 20:59
Juchu danke das du mir bescheid gesagt hast sonst würde ich immmernoch auf eine Fortsetzung warten...
Also die Geschichte wird immer spannender gefällt mir schreib schnell weiter.
Talim
Von:  Tradon
2006-04-23T13:47:49+00:00 23.04.2006 15:47
Freut mich, das es dir gefällt

zu deinen Fragen (wie beim Leserbriefe beantworten hier...)
wer Mahnine genau ist und in welcher beziehung sie ganz genau zu Tradon steht wird momentan noch nicht verraten, da sie und ihr eBeziehung zu Tradon eine zentrale Rolle in der Story spielen wird und ich hier nicht zu viel verraten will... :)
Von:  Castrada
2006-04-23T13:14:12+00:00 23.04.2006 15:14
Wurde ja auch Zeit, das du endlich mal weiterschreibst,
gefällt mir eigentlich ganz gut.

Aber eine Frage, was hat es mit dieser Meahinne oder wie die Frau heißt auf sich und in welcher Verbindung steht sie zu Trahon?


Zurück