Zum Inhalt der Seite

Indian Tale

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Nacht im Dschungel

Er stand stocksteif. Das Mondlicht wirkte fahl und verwandelte tagsüber lebendige Bäume in bleiche Knochen. Er stand vor ihm, nicht weit entfernt und sah sie an.

Sein Herz lief schnell, wie ein gejagter Hase und er würde auch gejagt werden - sehr bald, dessen war er sich sicher.

Der Tiger senkte den mächtigen Kopf. Lauerstellung, war das nicht die Lauerstellung, bevor die gestreiften Raubkatzen auf ihre Beute lossprangen? Joshua wusste es nicht mehr, und verfluchte sich im stillen, den Geschichten und Artikeln, die ihm seine Arbeitskollegin vor seiner Reise gegeben hatte, nicht mehr Beachtung geschenkt zu haben.

Allerdings hätte es auch keinen Unterschied gemacht, wenn er es getan hätte. Er würde jetzt sterben, sterben in diesem Dschungel, wo keiner etwas von ihm wusste, wo er nur als Beute galt, sterben...

Dumpfes Grollen zerriss die Luft und ein Blitz folgte ihm. Joshua stieß einen Schrei aus und riss den Kopf in die Höhe. Über ihm war der Himmel dunkel und er begann seine Schleusen zu öffnen, als hätte er es eilig - der Monsun forderte seine alte Herrschaft ein.

Der Regen wurde zu einem dichten Schleier, nahm Joshua jede Sicht. Der junge Brite wusste nicht, ob das jetzt Segen oder Fluch war. Er konnte den Tiger nicht mehr genau erkennen, hoffte aber inbrünstig, dass es dem Raubtier nicht anders mit ihm ging.

Der Biologe in der Gruppe, hatte Joshua erzählt, dass Raubtiere bei regen die Witterung verlören. Das Wasser würde jegliche Gerüche verwaschen und den Katzen so die Orientierung nehmen.

Noch immer erstarrt stand der junge Brite mitten im Dschungel und wagte es nicht, sich zu bewegen. Seine Sinne waren hier fast gänzlich ausgeschaltete und ließen ihn kläglich im Stich.

Joshua hielt den Atem an und lauschte, aber alles, was er hörte, war der Regen. Die Bestie schien verschwunden zu sein, verscheucht von den Wassermassen.

Joshua gestatte es sich, wieder zu atmen und schob vorsichtig die Träger seines Wolfskin Rucksacks wieder nach oben. Er atmetet noch zwei - dreimal tief durch und machte einige Schritte nach vorn. Als nichts geschah, sah der junge Mann sich noch einmal um, schulterte den schweren Rucksack und ging weiter.

Ein Fauchen erklang, wie heißer Dampf und in diesem Moment schoss der orangefarbene Schatten aus seinem versteck.
 

Joshua schlug die Augen auf. Er war desorientiert; etwas stimmte nicht mit ihm. Aus Gewohnheit wollte er sich aufsetzen, aber als er sich bewegte, schoss rotes Feuer durch seine Schulter und er schrie auf.

Eine große Hand legte sich auf seine Brust und drückte ihn zurück auf den Rücken. Joshua blinzelte.

Die Gestalt, zu der die Hand gehörte, sah ihn ernst an. Der junge Engländer hatte sie zuerst für eine Frau gehalten, da langes schwarzes Haar fast ihr gesamtes Gesicht verdeckte, aber als er seinen Blick tiefer wandern ließ, wurde ihm sein Irrtum bewusst. Der Körper war eindeutig männlich - Joshua sah, dass nur eine braune Lederhose seinen "Gastgeber" bedeckte. Zwei schwarze Augen musterten ihn, allerdings mehr besorgt als neugierig. "Du darfst dich nicht bewegen. Dein Glück, dass die Kratzer nicht tief sind."

Joshua blinzelte noch einmal. Die Stimme war tief und rau, fast ein wenig kratzend. Es brauchte ein Weile, bis der benommene Mann den Sinn der Worte verstand.

Er sah an sich herab und blickte auf ein Stück gelbes Tuch, dass ihm als verband um den nackten Brustkorb geschlungen worden war. Er runzelte die Stirn. "Was genau ist passiert? Ich kann mich nur an den Regen erinnern und an..."

Zum Ende hin war Joshua immer leiser geworden, bis er schließlich ganz verstummte. Sein Gegenüber nickte knapp und legte seine Hand auf die eigenen Schulter, an die Stelle, an der Joshua die Striemen fühlte.

"Er hat dich von der Seite angefallen, aber nur gestreift. Ich sagte, du hattest Glück und das stimmt Einem Tiger auf der Jagd, kann man als Mensch nur selten etwas entgegensetzen."

Der Fremde stand auf und drehte sich um. Er ging auf ein Feuer zu, dass sich in der Mitte des Raumes befand. Joshua schluckte und korrigierte sich in Gedanken selbst. kein Raum. Vielmehr eine Höhle, die sich in den Felsen schmiegte. Sie war flach, aber erstreckte sich weit nach hinten.

Das Feuer erhellte nicht einmal die Hälfte des Gebäudes. Im Gegenteil; die wenigen Flammen warfen nur flackernde Schatten an die Felswände, die dadurch lebendig schienen. Bilder zuckten hin und her und Joshua fürchtete schon Fieber zu haben. Es schien für ihn, als würden die Zeichnungen sich tatsächlich vom Felsen lösen und jeden Moment um ihn herumtanzen. Er rieb sich über die Augen und versuchte, genaueres zu erkennen. Aber mehr als vierbeinige Gestalten waren in dem unruhigen Zwielicht nicht zu erkennen.

Der fremde kam zurück, in seiner Hand eine Tonschüssel. "Hunger?"

Joshua sah erst ihn und dann den Inhalt der Schüssel an, nickte. Der hochgewachsenen Mann stellte den Napf neben dem Lager aus Decken und - wie Joshua überrascht feststellte - Fellen ab und kniete sich hin.

Geschickt stützte er den Engländer, damit der sich mit einem Minimum an Schmerzen und genug Flüchen aufsetzen konnte. Als er endlich mit dem Rücken gegen die Felswand lehnte, zitterte Joshua. Er fühlte sich schwach. "War ich lange bewusstlos?"

Sein Gegenüber lächelte kurz. "Einen Tag - aber du hattest Fieber. Daher die Schwäche."

Joshua nickte und fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen. Fast sofort wurde ihm eine weitere Schüssel gereicht, diesmal mit klarem Wasser getränkt. "Langsam trinken", mahnte ihn die tiefe Stimme.

Einen Augenblick lang, fragte er sich, woher der Inder so gut Englisch kannte, aber dann wurde der Durst wesentlich drängender und er setzte die Schale an die Lippen. Hastig trank er und hustete die Hälfte, gleich wieder aus. Der Fremde lächelte und reichte Joshua ein Tuch. "Ist mein Englisch so schlecht geworden, Inghiliz?"

Der verletzte Mann hustete weiter und wischte die Sauerei von seinem Kinn. "'Tschuldigung", nuschelte er. "Aber ich war..."

Er atmete tief durch. Der Geruch der Suppe in dem Napf war sehr einladend - und prompt meldete sich Joshuas Magen. Die zweite Schale wurde ihm gereicht, aber bevor er sie an die Lippen setzte, sah er seinen Gastgeber an. "Ich bin ihnen sehr dankbar für das alles. Sobald ich wieder in der Nähe eines Telefons bin und meine Universität verständigt habe, kann ich mich bei ihnen angemessen revangieren, Mister..."

Der dunkle Mann schüttelte nur den Kopf. "Das besprechen wir alles später, Engländer. Jetzt iss erst was du brauchst um wieder zu Kraft zu kommen. Und dann reden wir."
 

Nach der Mahlzeit ging es Joshua wesentlich besser. Er fuhr sich mit der hand über den Mund und leckte sich wieder über die Lippen.

Das war gut gewesen und genau das, was er gebraucht hatte. Jetzt saß er satt und bequem zurechtgebettet auf seinem Krankenlager und sah dem Fremden dabei zu, wie er die Schalen auswusch. "Sie haben mir immer noch nicht ihren Namen verraten."

Der Mann stellte die Schalen in eine kleine Felsnische und drehte sich dann wieder zum Bett um. "Aznat", sagte er und ließ sich geschmeidig neben Joshua nieder. Der nickte. "Mein Name ist Joshua Jenkins." Er fuhr sich mit der hand über die verletzte Schulter. "das Angebot mit der Universität war übrigens ernst gemeint gewesen - ich möchte keine Umstände machen."

Der Mann namens Aznat schien fast zu lächeln. Jedenfalls sah Joshua ein deutliches amüsiertes Blitzen in den dunklen Augen. "Ich hatte das fast vergessen", sagte er und lächelte diesmal wirklich. "So höflich und immer darauf bedacht, keine Schulden zu machen."

Dann nickte er und deutete mit dem Kinn über Joshua hinweg zum Eingang der Felsbehausung, durch die man jetzt in eine absolut sternenklare Nacht sehen konnte. Der Monsun hatte sich für eine weile zurückgezogen, um neue Kräfte zu sammeln und bald mit noch stärkeren Regengüssen zurückzukehren.

"Dort draußen ist es mehr als nur gefährlich, allein herum zu gehen. Hat dir das in der Stadt niemand gesagt?"

Joshua rümpfte die Nase. "Ich bin gerade hier, weil es gefährlich ist. Das ist meine Arbeit."

Aznat legte den Kopf schief. "Arbeit?"

Der Engländer nickte. "Ich wurde herbeordert wegen der Tigervorfälle in letzter zeit."

Über Aznats Gesicht huschte ein Schatten. "Bis nach England ist die Nachricht also schon gedrungen?"

"Ja - wir wurden von einem Mittler unserer Partneruniversität in Kalkutta bestellt. Ich...ich bin Spezialität für Raubkatzen, vor allem Tiger. Der Bengal Tiger, der hier in den Wäldern lebt interessiert mich besonders und daher wurde ich ausgesucht..."

Joshua Stimme wurde nachdenklich als er sich an die chaotische Mitteilung erinnerte. Dekan Bradburry hatte ihn zu sich gerufen und Joshua war bereitwillig losgegangen.

Das Büro war immer wieder eine Herausforderung für den jungen Dozenten gewesen. Der Empfangsraum war ordentlich und im typisch britischen Stil gehalten, der an alte Zeiten erinnern sollte. Dunkle Holztäfelung, schwere Vorhänge vor den hohen Fenstern, Möbel und Schreibtisch im viktorianischen Stil.

Und wie anders dann das Schreibbüro des Dekans...

Joshua hatte schmunzeln müssen, als er sich vorbeugte und durch die offene Tür in das Arbeitszimmer seines Vorgesetzten schaute. Das reinste Chaos.

Früher war er einmal zufällig anwesend gewesen, als die neue Haushälterin einen Versuch gewagt hatte, nach dem Empfangsraum auch noch das Schreibbüro sauber zu machen. Dekan Bradburry war daraufhin wie eine Furie dazwischen gesprungen und hatte die verwirrte Frau wieder hinausgeschoben. Dabei hatte er wieder und wieder betont, dass dieser Raum Tabu wäre.

"Dekan Bradburry?"

Eine kleine Gestalt tauchte hinter einem Stapel Bücher, Holzmasken und seltsamen Waffen auf.

"Dekan Bradburry!", wiederholte Joshua, diesmal allerdings lauter.

Ein wenig verwundert nahm die gestalt hinter dem Haufen ihre Brille ab, putzte sie und strahlte, nachdem sie durch klare Sicht Joshua erkannte. "Mr. Jenkins! Schön, dass sie da sind. Was führt sie denn zu mir? Sie wissen, ich freue mich immer über ihren Besuch, aber heute ist es etwas stressig, wegen der Auswahl des ausführenden Expeditionsmitglieds und..."

Joshua konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Es gab seinem gutgeschnittenen Gesicht einen sehr jungenhaften Ausdruck, der über sein wahres Alter hinwegtäuschte.

"Ich weiß, Dekan. Deswegen hatten sie mich doch herbeordert - erinnern sie sich nicht?"

Abermals nahm der Dekan seine Brille ab um sie zu putzen und kam dabei um den Schreibtisch herum. Da er extrem kurzsichtig war, lief er prompt gegen die Ecke des Tisches und stieß einen fluchenden Schmerzenschrei aus.

Joshua musste einen Hustanfall vortäuschen, damit der Dekan ihn nicht lachen hören konnte. Doch das war gar nicht nötig. Dekan Bradburry war viel zu sehr damit beschäftigt, durch die Papierhaufen auf seinem Schreibtisch zu wühlen. Einige der bekritzelten und bedruckten Blätter fielen dabei zu Boden. Joshua bückte sich, um sie aufzuheben und wollte sie gerade zurücklegen, als der Dekan ein triumphierendes "Hah!", ausstieß und den Arm hochriss. Leider war ihm dabei Joshuas Kopf im Weg.

"Auh..."

Der kleinere Mann wedelte mit einer grünen Aktenmappe, während Joshua sich mit der freien Hand über die schmerzende Stirn rieb.

"Na, Gott sei dank, hab ich's noch gefunden!", strahlte der Dekan. Der junge Mann wirkte nicht mehr so fröhlich, mehr noch, als sein Chef fortfuhr: "Ich hätte fast das Ticket weggeworfen. Sie haben doch schon alle Impfungen gemacht? Das Wetter in Indien kann einem Mitteleuropäer leicht einige Bazillen schenken."

"Impfungen? Bis...bis wann?", brachte Joshua stotternd hervor.

"Na heute!"

"Was?!"

Dekan Bradburry nickte. "Das Memo hätte sie vor Wochen schon erreichen müssen."

Joshuas Blick fiel auf einen kleinen Zettel, der an der grünen Mappe hing. Ein gelbes Post- it. Er zog es ab und las es. Darauf stand: "Memo: Jenkins über Impfungen und Teilnahme an Forschungsgruppe unterrichten."



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2005-06-27T20:42:37+00:00 27.06.2005 22:42
Du schreibst... du schreibst... einfach wahnsinnig toll! Das liest sich wie ein guter Roman! Ich finds toll!^^
Liebe Grüße,
Nanashi.


Zurück