Zum Inhalt der Seite

Vergib mir

Dritter Platz - erster FF Wettbewerb 2002
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

"Let the wind and ocean water

Wash across your hand

Wash away the thousand footsteps

Wash us all away

Like sand
 

Forgive me

For give me

But you are all I know

Forgive me for leaving"
 

Ariel (October Project)
 

Kurzes Vorwort:
 

Alle in dieser Geschichte vorkommenden Personen gehören nicht mir, sondern Izumi Todo und Shizue Takanashi. Ich habe sie mir nur sorgfältig ausgeborgt ^-^. Bitte nicht wundern, ich habe mich bewußt für die ursprünglichen Namen der Serie DoReMi entschieden, weil die Hauptperson erst in Staffel drei auftreten wird und diese ist bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt worden. Ich bin mir aber sicher, daß Doremi-Fans ganz leicht herausfinden werden, wer wer ist. Und wer noch kein Fan ist, einfach lesen. Hier geht es um ein sehr allgemeines Thema. Ihr müßt nicht zaubern oder auf einem Besen fliegen können. Ihr müßt einfach nur lesen.
 

In dieser Geschichte geht es um einen Abschied. Und um einen Neuanfang.
 

Vergib mir

(April Eagle)
 

"Die ist doof."

"Mit der wollen wir nicht spielen!"

"Die versteht nie die Regeln."

"Laß uns alleine Ball spielen."

"Genau!"

Die vier Jungs achteten nicht weiter auf das kleine Mädchen und rannten hinüber zum Sportplatz. Ihnen war es egal, ob sie sie damit verletzt hatten. Sie sahen die Tränen nicht, die in hellblauen Augen schimmerten. Sie sahen die sehnsuchtsvollen Blicke nicht, die sie ihnen hinter her warf. Genauso wenig wie sie sich jemals die Mühe gemacht hatten, durch ihre Fassade hindurch auf ihr wahres Wesen zu schauen. Verdammt! Sie war mehr als nur ein Waisenkind. Ja, es stimmte, sie war noch sehr klein, gerade mal vier Jahre alt. Sie konnte den Ball noch nicht so geschickt werfen wie die großen Jungs. Wer sie in der Mannschaft hatte, lief nun einmal Gefahr, zu verlieren. Aber sie gab sich doch so große Mühe! Wenn man es ihr nur einmal richtig zeigen, sich um sie bemühen würde, sie würde es allen zeigen. Ja, dann wäre sie die große Siegerin!

Verdammt!

Verdammt!

Verdammt!

Wieso nur wollte sie keiner haben?

Eine lange Zeit, fast schon eine Ewigkeit, stand sie so da und beobachtete die anderen beim Spielen. Sie hatten offensichtlich großen Spaß. Das Mädchen dagegen fühlte sich einsam und leer. Schließlich zupfte sie an ihren blonden Haaren und setzte sich zögernd auf die nahegelegene Parkbank. Von hier aus konnte sie die Jungs noch immer beobachten und vielleicht, ja vielleicht würden sie sich doch noch für sie entscheiden und sie mit zu ihrem Spiel auffordern. Es wäre so schön. Ja, so schön...

Es kostete sie ein wenig Mühe, aber endlich schaffte sie es, ihr Buch aus der Tasche zu ziehen. Es war ein altes, abgegriffenes Buch. Ein Märchenbuch. Ihr größter Schatz. Sie konnte noch nicht lesen, aber sehr wohl die bunten Bilder betrachten. Bilder über wunderschöne Prinzessinnen. Über böse Tyrannen. Über mutige Prinzen. Und über intelligente Hexen. Ihre Erzieherin hatte ihr einmal gesagt, daß Hexen schlimm und hinterhältig wären, aber sie fand, daß die meisten Hexen lieb und nett auf den Bildern aussahen. Und schlau. Schließlich mußte man doch schlau sein, um einen Besen zu beherrschen und mit seiner schwarzen Katze zu reden, oder? Ach, sie hätte ja so gerne eine schwarze Katze. Oder einen Hamster. Oder wenigstens ein kleines Haustier, das ihr gehören würde. Das sie lieben würde. Auch wenn sie klein und ungeschickt war...

"Hallo, Kleines."

Sie blinzelte verwirrt, bevor sie aufblickte. Vor ihr stand eine ältere Frau. Blonde Haare umrahmten ein gütiges Gesicht. Sie leuchteten golden im hellen Licht der Mittagssonne. Ihre Kleidung war dunkel, aber gerade das brachte ihre roten Augen so zum Strahlen. Ein freundliches, nein, ein liebevolles Lächeln lag auf ihren Lippen. So hatte sie bisher noch niemand angelächelt.

"Hallo..." erwiderte das Mädchen schüchtern und wollte rasch ihr Buch wegräumen. Bevor sie noch gefragt wurde, ob sie denn schon lesen könne. Denn darauf hätte sie mit nein antworten müssen. Aber sie vergaß sofort ihr Buch und sogar die gemeinen Jungs, als ihr ein Keks unter die Nase gehalten wurde. Er roch lecker. Viel leckerer als die Kekse, die sie manchmal im Heim erhielten.

"K... keks..." murmelte sie und blickte fragend zu der älteren Frau empor. Deren Lächeln vertiefte sich sogar noch etwas.

"Ja, ein Keks. Nimm ihn ruhig." Vorsichtig setzte sie sich neben das Mädchen und konnte dem Verlange nicht länger standhalten, dem Mädchen sanft über den Kopf zu streicheln. Es zuckte leicht zusammen, rannte aber nicht fort. Nicht wie all die anderen Kinder, denen sie bisher schon begegnet war. Sie nannte sie nicht schlechte Namen und hatte Angst vor ihr. Nein, im Gegenteil, sie schien ihr sogar zu vertrauen.

Die ältere Frau freute sich, als das Mädchen hingebungsvoll den Keks aß und dabei natürlich krümelte. In dem Moment wußte sie, daß dieses junge Geschöpft etwas Besonderes war. Und daß sie zu ihr gehörte.

"Wie ist dein Name, Kleines?"

"Mo..." sie schien selbst darüber zu stolpern. "Momoko." Stolz strahlte sie die ältere Frau an. Stolz, daß sie ihren Namen hatte aussprechen können. Und vor allen Dingen stolz, daß es ein so schöner war.

"Der gefällt mir, Momo-chan."

Momo-chan.

Noch nie hatte ihr jemand einen so liebevollen Spitznamen gegeben. Momoko nahm noch einen Keks entgegen und rückte ein wenig näher zu der seltsamen, aber netten Frau mit dem gütigen Lächeln.

Ja, hier war sie sicher.

Das spürte das kleine Mädchen instinktiv.

Denn hier wurde sie geliebt.
 

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
 

"Sind die Plätzchen denn endlich mal fertig?" Ein Schatten huschte quer durch die Bäckerei. Es war ein gemütliches Haus, das schon viel gesehen hatte. Mal als Magic Shop, mal als Blumenladen. Nun füllten es köstliche Gerüche. Kuchen entstanden hier unter fleißigen Händen. Genauso wie Bonbons, Torten und eben besagte Plätzchen. Der Teig gedieh prächtig in dem großen, bunten Ofen. Überhaupt war die komplette Einrichtung sehr bunt gestaltet. Nun ja, so sah eben ein Laden aus, der hauptsächlich von jungen Mädchen geführt wurde. Um genauer zu sein, von fünf fleißigen, zumeist fröhlichen jungen Mädchen. Und ihrer Lehrerin. Nein, dies war nicht eine einfache Lehrerin, wie man sie aus der Schule her kannte. Diese Lehrerin hatte keine Brille. Auch schaute sie nicht streng, wenn man einen Fehler in Mathematik machte. Überhaupt unterrichtete sie keine Mathematik. Auch keine Grammatik. Bei ihr brauchte man keine Vokabeln zu pauken. Man brauchte nur gute Nerven und ein dickes Fell zu haben. Denn diese Lehrerin war eine Hexe. Und die fünf Mädchen waren ihre Hexenschülerinnen.

"Wie lange dauert das denn noch? Ich habe HUNGER!!!"

Ja, so war eben diese besagte Hexe. Nun, Hexe? Wohl eher ein Hexenfrosch...

"Gut Ding braucht lange Zeit!" sagte eines der Mädchen in leicht gebrochenen Japanisch und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Im Moment war sie die einzige der fünf Hexenschülerinnen, die anwesend waren. Die anderen waren noch in der Schule. Sie hatten sich bereit erklärt, bei einer Theateraufführung für den Tag der offenen Tür mitzuwirken und probten nun. Auch wenn sich Doremi, eines der Mädchen, fürchterlich ärgerte, daß sie nicht die Hauptrolle bekommen hatte und statt dessen einen Schmetterling spielen durfte. Einen dummen, kleinen, unwichtigen Schmetterling sagte sie immer. Und daß sie mit dieser Rolle das unglücklichste Mädchen der ganzen Welt sei. Dennoch war sie eifrig bei der Sache. Sicherlich würde die Aufführung trotz einiger Schwächen ein voller Erfolg werden. Welche Eltern sahen ihren Nachwuchs nicht gerne bei einer Theateraufführung?

Ja, welche Eltern...

Das Mädchen seufzte unterdrückt und schüttelte energisch ihren Kopf, als sich ein kleines, grünes Wesen ihr näherte. Dieses grüne Etwas war Majorika, ihre Hexenschülerin. Nun, zumindest hatte die Königin, das Oberhaupt aller Hexen, bestimmt, daß sie ab jetzt bei dieser schrecklichen Person bleiben und für ihren Abschluß zur richtigen Hexe lernen solle.

"Momoko! Ich verhungere gleich, wenn ich nicht etwas zu Essen bekomme! Ich habe schließlich den ganzen Tag schwer in der Hexenwelt gearbeitet!"

Das Mädchen trat noch näher an den Ofen heran und ihre Zöpfe wippten auf ihren Schultern.

"Nein! Wenn du die Ofentür jetzt öffnest, fällt alles in sich zusammen und dann war die Arbeit eines ganzen Nachmittages für den Hund."

"Das heißt >für die Katze<. Genauso wie es >Gut Ding will gut Weile haben< heißt." Zischte das grüne Etwas und schwebte auf einer Schaufel zu dem Mädchen. Momoko ballte nur ihre Fäuste. Sie haßte es, wenn sie jemand so herablassend ansah oder mit ihr sprach, als sei sie dumm. Nur, weil sie erst seit wenigen Wochen in Japan wohnte. Verdammt, sie war in Amerika aufgewachsen, beherrschte die fremde, so komplizierte Sprache eben noch nicht so gut. Majorika nutzte jede Gelegenheit, um sie mit ihrem Unwissen auf zu ziehen! Momoko hatte noch nie eine solch kalte, kratzbürstige Hexenlehrerin erlebt. Nein, sie war anders aufgewachsen. Mit viel Liebe wurden ihr die Gesetze der Hexen und die verschiedenen Zaubersprüche beigebracht. Mit Liebe, nicht mit Strafen, bösen Blicken und herabwürdigenden Worten.

Majomonroe...

Momoko schluckte und spürte die altbekannten Tränen in sich aufsteigen. Aber sie würde jetzt nicht weinen. Nein, nicht vor dieser schrecklichen Person. Verdammt, es war doch nicht ihr Fehler, daß Majorika jetzt ein Hexenfrosch war! Es war doch nicht ihre Schuld, daß die anderen Mädchen jetzt zu richtigen Hexen ausgebildet werden mußten, damit die Hexenlehrerin ihre menschliche Gestalt wieder erhielt und nicht länger als grüner Schleimhaufen, wie Momoko sie heimlich bezeichnete, denn anders verhielt sie sich ihr gegenüber ja nicht, herumlaufen mußte! Und es war ganz bestimmt nicht ihre Entscheidung gewesen, hier her zu kommen, um noch einmal die erste Gradsprüfung zu machen. Majorika brauchte ihre dummen Magical Balls nicht an sie zu verschwenden! Auch wenn die Königin es so wollte, Momoko würde sich nicht länger so behandeln lassen. Sie war in Liebe und Verständnis erzogen worden. Diese Behandlung tat einfach zu weh!

"Wie auch immer das heißt, es ist mir funzegal! Du rührst die Plätzchen nicht an! Außerdem sind die nicht für dich, sondern für unsere Kunden!" tapfer stellte sie sich zwei funkelnden Augen in einer grünen Gestalt entgegen. Sie konnte kaum glauben, daß sie dieses Aussehen einmal niedlich empfunden hatte. Als ihre frühere Lehrmeisterin auch so ausgesehen hatte. Und doch ganz anders... ihre Augen hatten sie nie so gierig, so berechnend angestarrt.

Majomonroe. Warum kannst du jetzt nicht hier sein? Warum kannst du mich nicht wieder mit nach Amerika nehmen? Fort von diesem Ungetüm!

"Das heißt schnurzegal! Und ich habe Hunger! Weil ich Magical Balls brauche, arbeite ich jetzt zusätzlich bei der Königin. Das macht eben hungrig. Also her damit!" Der Hexenfrosch flog näher an den Ofen. Majorika war wirklich hungrig. Die halbe Nacht hatte sie nicht geschlafen, weil Dela sie wieder daran erinnert hatte, wie hoch ihre Schulden tatsächlich waren. Als sie endlich doch eingeschlafen war, hörte sie den Wecker nicht, kam zu spät zur ihrer Arbeit und hatte weder Zeit für ein ordentliches Frühstück noch für ein befriedigendes Mittag. Ihr Bauch tat weh und sie konnte nicht bis zum Abendbrot warten. Wann immer es das auch geben mochte. Doremi und die anderen würden gewiß noch Stunden in der Schule vergeuden. Für ein Theaterstück, das Majorika nie sehen würde, obwohl sie ihre Schützlinge gerne mal als Schmetterlinge, Blumen und Prinzessinnen erlebt hätte. Aber das würde sie nie jemanden sagen, es glaubte ihr ja sowieso niemand.

"Nein!" Momoko schrie auf, aber es war bereits zu spät. Majorika hatte die Ofentür im Flug weit aufgerissen und schaufelte sich heiße Plätzchen auf die grünen Hände. Auch wenn es brannte, es war doch besser, als ihren knurrenden Magen noch länger zu erdulden. In dem Moment gab es einen lauten Knall und als Momoko ihre blauen Augen wieder öffnete, sah sie, daß die restlichen Plätzchen in sich zusammen gefallen waren.

"Nein..." Sie drehte sich um und schubste die Schaufel so toll an, daß der Hexenfrosch beinahe runter gefallen wäre. "Warum hast du das gemacht? Das war die Arbeit von über vier Stunden! Alle vier Bleche sind im Topf! Die kann ich jetzt wegwerfen und von Neuem anfangen."

"Das heißt >im Eimer<, nicht im Topf." Mampfte Majorika mit vollem Mund und verschluckte sich, als sie die Tränen plötzlich in blauen Augen schimmern sah. Gut, Doremi weinte häufig. Oder besser, heulte häufig. Und sagte dabei, daß sie das unglücklichste Mädchen der ganzen Welt sei. Meistens, weil sie ein Junge nicht mochte. Oder weil ihr die Plätzchen angebrannt waren. Oder weil sie eine Fünf in Mathematik geschrieben hatte. Aber es war nie etwas Ernstes. Momoko dagegen sah anders aus. Sie sah wütend aus. Richtig zornig. Und traurig. So traurig, wie Majorika sie noch nie gesehen hatte. In all den Wochen nicht.

"Es ist mir sonstwie egal, wie das im Japanischen heißt. Du hast einfach meine Arbeit mißachtet und alles kaputt gemacht! Du bist eine gierige und furchtbar schreckliche Person! Du gehörst auf den Müll!"

Momokos Japanischkenntnisse waren wirklich noch nicht sehr gut, dafür hatte sie zu lange in Amerika gelebt. Aber Majorika brauchte kein Hellseher zu sein, was sie mit dem verworrenen, letzten Satz gemeint hatte.

"Wie wagst du es, mit mir zu reden! Ich bin deine Hexenlehrerin. So spricht man nicht mit seiner Meisterin!"

Verdammt, ich tue so viel für die Mädchen. Und das ist jetzt der Dank?

Majorika schluckte ein zweites Plätzchen runter, aber plötzlich schmeckte es ihr nicht mehr. Wie Stein lag es ihr im Magen, während Tränen über bleiche Wangen rannen.

"Du bist nicht meine Meisterin! Du bist nicht meine Majo-mommy! Du bist einfach nur ignorant! Jeden mußt du voll schimpfen!" Momoko wischte sich mit den Händen über das Gesicht. Plötzlich sah sie klein und zerbrechlich aus. Und furchtbar allein. "Ich hasse dich, du blöde Hexe!" Mit diesen Worten riß sich das Mädchen die Schürze vom Kleid und stürzte aus dem Laden. Die Tür knallte laut, als sie ins Schloß fiel.

"Bitte?" Majorika schaute dem Mädchen ganz entsetzt nach und die Plätzchen in ihren Händen wogen auf einmal doppelt so schwer. "Bitte?!?" Normalerweise war sie stolz, wenn sie jemand Hexe nannte. Das war sie schließlich auch. Eine waschechte, mächtige Hexe. Nicht der kleine Hexenfrosch, den sie notgedrungen mimen mußte. Aber Momoko hatte es anders gemeint, als Majorika das hatte hören wollen. Das wußte sie auch.

Die Hexenlehrerin wendete ihre Schaufel und runzelte ihre grüne Stirn. Dann verschloß sie die Ladentür, ergriff ihren kleinen Umhang und den Hexenhut und öffnete die Schranktür. Um in die Hexenwelt zu gehen und der Königin ein paar Fragen zu stellen, die ihr schon lange auf der Seele brannten.

Wer ist Majo-mommy?

Denn das sie damit nicht gemeint war, das wußte sie nur zu gut.
 

***
 

"Für welches Tor entscheiden Sie sich, Kamigama-san. Für Tor A, für Tor B oder für Tor C?"

Momoko hielt schluchzend die Fernbedienung in ihren zitternden Händen. Ihre Pflegeeltern waren nicht zu Hause, also konnte sie ungestört fern sehen. Das, was sie immer tat, wenn sie traurig war. Es brachte sie auf andere Gedanken. Es lenkte sie so wunderbar ab. Aber trösten, nein, das konnte es nicht. Das hatte es noch nie gekonnt. Es war nur ein Ersatz. Ein Ersatz für etwas, das sie für immer verloren hatte. Für immer...

Die Kandidatin entschied sich für Tor B und gewann eine Waschmaschine. Tränen tropften auf Momokos Finger, als sie den Sender wechselte.

"Lassie bellt so nervös, Pops. Ich denke, sie will uns sagen, wo Jimmy ist."

Tränengefüllte Augen betrachteten den aufgeregten Jungen einige Sekunden lang, dann zappte sie weiter durch die Kanäle. Japan besaß fast so viele Fernsehkanäle wie Amerika. Und genauso dumme Werbesendungen.

"Ich schwöre es, mit diesem Lippenstift sieht man fünf Jahre jünger aus und..."

Ich will nicht aussehen wie ein Kleinkind.

Momoko biß sich auf die Unterlippe und versuchte, ein verzweifeltes Schluchzen zu unterdrücken.

Dann wäre ich noch klein. Dann wäre ich noch in Amerika. Dann wäre ich noch zusammen mit Majomonroe. Meiner Majo-mommy...

Verzweifelt drückte sie verschiedene Tasten und sah kurz darauf zwei Männer auf dem Bildschirm. Sie trugen Trenchcoats und schauten sehr verdächtig wie zwei FBI-Agenten aus. Oder aber zwei Killer von der Mafia. Irgendwie sahen die Typen alle gleich aus.

"Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Warum Sie nichts sehen, sehen Sie gleich."

Momoko wechselte den Kanal. Es war ihr egal, was die beiden Agenten oder Killer sahen oder nicht und warum. Vielleicht war es diese komische Serie, die über Außerirdische berichtete. Das Mädchen interessierte sich nicht dafür. Was wollte sie mit dem Universum, wenn ihre eigene, kleine Welt vor wenigen Wochen zusammengebrochen war.

Majo-mommy...

Mehr und mehr Tränen rannen über ihre Wangen und auch ihr grimmiger Gesichtsausdruck konnte nichts daran ändern. Sie haßte es, weinen zu müssen. Tränen änderten nichts. Tausende hatte sie vergossen. An dem hölzernen Bett. Vor der leblosen Gestalt unter sonst so warmen, so kuscheligen Decken. So manchen Morgen hatte sie dort verbracht. In sanften Armen vor sich hin schlummernd. Sich immer wieder dieselben Märchen erzählen lassend. Ja, ihre Majo-mommy hatte sie geliebt. Wie eine eigene Tochter. Sie war nicht so gemein gewesen wie Majorika. Majomonroe hatte sich um sie gekümmert, als sie niemand haben wollte. Nein, sie war diejenige gewesen, die sie haben wollte. Sie hatte ihr Selbstwertgefühl gegeben. Und so vieles mehr. Majorika dagegen zeigte ihr nur immer wieder, wie ungesehen sie war. Ein fünftes Maul, das es zu stopfen gab. Doremi sollte eine Hexe werden, nur sie konnte Majorika ihre wahre Gestalt wieder geben. Momoko dagegen hatte nicht diese Macht, dementsprechend wurde sie auch behandelt.

Ich hasse diese fürchterliche Person!

"Bitte, Stuart, ich liebe dich! Geh' nicht zu Susan. Sie ist hinterhältig. Bitte, Stuart. Verlaß mich nicht!"

Momoko schaute kurz die flehende Frau an, die einen dümmlich dreinschauenden Jüngling anbetete. Dann schaltete sie weiter. Nun flimmerten Animefiguren über den Bildschirm, aber sie nahm sie kaum wahr. Statt dessen sah sie wieder den kleinen Hexenfrosch unter den großen Decken liegen. Schwach hatte ihre Hexenlehrerin, die mehr ihre Mutter als ihre Meisterin gewesen war, gewirkt. Schwach und plötzlich so alt. So alt, wie sie sie nie zuvor gesehen hatte. Ja, Momoko hatte auch gefleht. Gebettelt, daß sie sie nicht verlassen solle. Daß sie sie liebe. Daß sie alles tun, all ihre Kraft als Hexe brauchen würde, um sie bei sich zu behalten. Aber es hatte nichts genützt. Ihr Hexenstein war zerbrochen und ihre Majo-mommy war von ihr gegangen. Für immer.

Verdammt!

Wieso?

Ich habe dich doch noch gebraucht! Ich bin doch gerade erst elf Jahre alt! Du konntest mich doch nicht schon jetzt verlassen! Kinder brauchen doch ihre Eltern! Ich habe dich gebraucht! Ich brauche dich doch noch immer! Majo-mommy... warum... warum nur...

Verzweifelt schluchzte Momoko auf und warf die Fernbedienung wütend in die Ecke. Während sich Animehelden heimlich verwandelten, schlüpfte das Mädchen in ihre Schuhe und rannte zur Tür hinaus. Das Haus ihrer neuen Pflegeeltern, die sich zwar gut um sie kümmerten, aber bei weitem nicht Majomonroe ersetzen konnten, lag direkt am Meer. Nur fünf Schritte und sie stand an den mächtigen Wellen. Meist beruhigte sie der Anblick des Stetigen, des Ewigen. Heute jedoch nicht. Sie war zu aufgewühlt, zu traurig. Niemand hatte sie gefragt, ob sie nach Japan wollte. Niemand hatte sie gefragt, ob sie überhaupt noch eine Hexe werden wollte. Und niemand, wirklich niemand hatte sie gefragt, ob sie Majorika als ihre neue Hexenlehrerin akzeptieren wollte.

Ich will hier weg.

Momoko hob ihren Kopf und sah hinauf in den Abendhimmel. Die untergehende Sonne hatte die Wolken in ein sanftes Orange getaucht. Friedlich sah die Welt aus. So anders als die Welt in Momokos Herzen.

Ich will zurück nach Amerika. Ich will zurück zu dir.

Majo-mommy!

Warum?

Das Mädchen ballte ihre Fäuste und lief noch ein paar Schritte weiter. Bis kühles Salzwasser ihre Hausschuhe durchtränkte und sie leicht zittern ließ.

Du warst alles, was ich hatte. Alles, was ich kannte. Alles, was ich je gebraucht habe! Ich liebe dich! Verdammt, komm zurück! Komm zurück und nimm mich wieder in deinen Arm! Komm zurück und zeige mir, daß ich nicht unnütz bin auf dieser Welt! Erzähle mir wieder deine spannenden Geschichten, deine leicht verdrehten Märchen! Berichte mir wieder von all den Hexen und der Königin! Sei einfach wieder für mich da! So wie du es fast mein ganzes Leben gewesen bist! Bitte! Majo-mommy! Bitte!

Momoko schüttelte ihren Kopf und einige Tränen benetzten ihre Ohren. Sie hatte schon so oft danach gebettelt, jeden Abend zu all möglichen Göttern für ein Wunder gebetet. Aber nichts geschah. Majomonroe kam nicht zurück. Statt dessen wurde sie zu dieser schrecklichen Majorika geschickt. Zu diesen fremden Pflegeeltern. In ein Leben, das sie so nicht leben wollte. Nicht ohne ihre Majo-mommy.

"Warum?" es war ein Flüstern, das rasch zu einem Schrei anschwoll. Es klang fast nicht mehr wie die Stimme eines jungen Mädchens. Statt dessen klang es wie die eines Tieres. Eines verwundeten Tieres. Tief verletzt. Im Herzen.

"Warum hast du mich verlassen?!?"
 

***
 

Die Tür schwang von allein auf. Majorika wäre beinahe von ihrer Schaufel gefallen, denn sie war lange Wartezeiten bei der Königin gewöhnt. Normalerweise mußte man sich bei der Sekretärinnenhexe anmelden und wenn man Glück hatte, empfing einen die Königin einige Zeit später. Meist handelte es sich dabei um Stunden.

"Komm herein, Majorika. Ich habe dich bereits erwartet."

Der Hexenfrosch runzelte die Stirn und flog dann in den prächtigen Saal des großen Palastes. Aber heute hatte Majorika keine Zeit, sich die kunstvolle Architektur anzuschauen oder bewundernd auf all die Gemälde von früheren Königinnen zu starren. In Tagträumen versunken, daß sie dort auch einmal ein Bild von sich sehen wollte. Irgendwann einmal. Am besten innerhalb der nächsten hundert, zweihundert Jahre.

"Ich habe doch nichts falsch gemacht, oder?" Majorika hüstelte leicht, denn sie hatte während ihrer Arbeitszeit heimlich einige wichtige Telefonate mit Kunden für ihre Torten in der Menschenwelt gehalten. Das war verboten, aber abends war sie einfach zu müde und die meisten Kunden nicht mehr erreichbar. Schließlich lag die Verantwortung der Bäckerei bei ihr, auch wenn die Mädchen fleißig halfen.

"Nein. Deine Arbeit ist immer ausgezeichnet." Die Königin lächelte sie an. Zumindest ließ ihre helle Stimme darauf schließen, daß sie hinter dem Schleier, der immer ihr Gesicht verbarg, lächelte. Majorika wußte nicht, warum sie das tat, aber sie ahnte, daß die Königin bestimmt eine schöne Frau war. Ihr Baby, Hana, war schließlich auch hübsch. Wenn auch manchmal nervend...

"Nun gut." Majorika konzentrierte sich wieder auf das Gespräch und flog ein wenig näher an den Thron heran. "Es geht um meine neue Hexenschülerin. Um diese Momoko."

"Ich weiß." Sagte die Königin und nun klang ihre Stimme ganz kummervoll. "Ich wollte schon eher mit dir über sie reden, aber erst waren die Hexenfrösche aus ihrer Stadt entkommen, dann hatte sich der Osterhase die Hinterläufe gebrochen und dann der große Wasserbruch in der Hexenwüste... es war einfach zu viel los gewesen." Die Königin zuckte ihre Schultern.

"Momoko ist ein sehr fleißiges Mädchen. Sie ist nett zu den anderen, besonders zu Doremi. Aber zu mir ist sie überhaupt nicht nett. Heute erst sagte sie, daß ich auf den Müll gehen sollte." Majorika verzog ihr Gesicht, als sie die Runzeln auf der Stirn der Königin förmlich spürte. "Na ja, sie war wütend und kann ja nicht so gut Japanisch. Sie nannte mich eine Hexe, in der negativen Art und Weise, versteht sich und überhaupt benimmt sie sich sehr frech und aufmüpfig mir gegenüber. Ich bin ihre Hexenschülerin, aber von mir nimmt sie keine Ratschläge entgegen. Sie will nicht einmal vor mir zaubern, sondern schickt immer die anderen vor. Nie höre ich von ihr mal ein nettes Wort. Immer guckt sie mich böse an und meckert an mir herum. An den Mädchen nie, aber an mir. Ich finde das einfach..."

Traurig. Schade. Schlimm. Enttäuschend. Niederschmetternd. Verletzend.

"... unverschämt!"

Majorika rutschte unbehaglich auf ihrer Schaufel hin und her.

"Ich verstehe das Mädchen einfach nicht, Königin. Sie meinte sogar, sie würde mich hassen und sie erwähnte eine Majo-mommy. Aber ich bin mir sicher, daß ich das gewiß nicht bin!"

Eigentlich schade...

"Du hättest schon eher etwas von dieser Geschichte erfahren sollen." Die Königin seufzte und erhob sich aus ihren Thron. Langsam ging sie zum Fenster hinüber, um in den königlichen Hofgarten herab zu schauen. "Diese Majo-mommy heißt in Wirklichkeit Majomonroe. Oder besser gesagt, sie hieß so." Die Königin holte tief Luft. "Sie war eine gütige, alte Hexe, die in Amerika lebte. Ab und an meldete sie sich bei uns, kam mal auf einen Plausch und einen guten Kaffee vorbei. Sie war im Ruhestand und las gerne Bücher. Sie besaß eine halbe Bibliothek in ihrem Haus." Die Königin schaute einem Vogel nach, der zwitschernd durch die Lüfte flog. "Sie wollte eigentlich keine Schülerin mehr ausbilden. Doch vor sieben Jahren traf sie ein kleines Mädchen. Ein Waisenkind, das niemanden auf der Welt hatte und nicht wußte, wie man mit anderen Kindern umging. Erst war es Mitleid und später so etwas wie Mutterliebe, das sie die Kleine aufnehmen ließen. Sie sprach mit mir darüber, als sie das Mädchen schon längst adoptiert hatte. Was hätte ich da machen sollen? Für eine Schülerin war sie zu alt, aber nicht für eine Tochter. Also ließ ich sie gewährend und warnte sie, sich nicht enttarnen zu lassen. Eine ganze Zeit ging es gut. Die Kleine wuchs heran und wurde ein aufgewecktes, glückliches Kind. Auch Majomonroe war so glücklich, wie ich sie selten zuvor gesehen hatte." Die Königin zuckte hilflos ihre Schultern und Majorika mußte unwillkürlich schlucken. "Dennoch passierte es eines Tages. Das kleine Mädchen sah Majomonroe als Hexe und die Gute verwandelte sich prompt in einen Hexenfrosch. Fortan lehrte sie dem Mädchen die Kunst der Hexerei. Aber es war einfach zu viel für sie gewesen. Sie war doch schon sehr alt gewesen. Sehr alt."

"War?" flüsterte Majorika unbehaglich.

"Ja. An dem Tag, als das kleine Mädchen die erste Gradsprüfung bestand, starb Majomonroe. Die Anstrengungen der Ausbildung waren einfach zu viel für sie gewesen. Sie war doch schon 1500 Jahre alt gewesen." Die Königin holte tief Luft. Es klang ein wenig wie ein Schluchzen. Majorika stürzte beinahe vor Schreck mit ihrer Schaufel ab. Sie hatte ihre große, starke Königin noch nie schluchzen gehört. Natürlich war durch den Schleier nichts zu erkennen.

"Dieses kleine Mädchen ist Momoko, auf die du jetzt acht gibst. Es ist ganz normal, daß sie dich so hart behandelt, Majorika. Sie vergleicht dich mit ihrer früheren Hexenlehrerin, die mehr ihre Familie denn ihre Meisterin gewesen ist. Du bist anders als Majomonroe. Natürlich bist du anders. Du bist eine ganz andere Person. Momoko braucht einfach ihre Zeit, um das zu begreifen und dich zu akzeptieren. Gib ihr einfach ein wenig mehr Zeit und hab' viel Verständnis, Majorika. Das Mädchen hat gerade alles verloren. Es ist mühsam, sich in einem neuen Leben zurecht zu finden."

"Das stimmt schon, aber wenn ich jemand Hexe nennt und mir ins Gesicht schreit, daß er mich haßt... das ist nicht so einfach! Schon gar nicht für mich!"

"Vielleicht solltest du das nächste Mal nicht die halbfertigen Plätzchen essen."

"..." Majorika grinste ertappt und seufzte dann tief. Bedrückt starrte sie auf ihre Schaufel.

Sie wird mich nie akzeptieren.

Ich bin doch niemand, den man in seiner Familie haben will.

Sie wird mich auf ewig zum Wahnsinn treiben.

"Vielleicht sollte sie sich eine andere Lehrerin suchen.." murmelte der Hexenfrosch leise und scharrte mit den grünen Füßen.

"Nein. Bei dir und den Mädchen ist sie gut aufgehoben." Die Königin kam wieder zum Thron zurück und legte einen Umschlag auf die Schaufel. "Gib ihr das. Dann wird es bestimmt einfacher werden."

Majorika starrte auf den Brief herab und runzelte die Stirn.

"Was ist das?"

"Etwas, das den Abschied ein wenig vereinfachen werden sollte. Genauso wie es den Neuanfang ein wenig versüßt."

Mit diesen Worten war eine völlig verwirrte Majorika entlassen.
 

***
 

Kaltes Meerwasser rann über ihre Füße. Über ihre Hände. Über ihre Knie. Momoko stand inmitten der Wellen und starrte zum Himmel empor. Die Sonne war mittlerweile verschwunden, der Mond aufgegangen. Hunderte, nein, tausende von Sternen glitzerten wie Diamanten am weiten Firmament.

Majo-mommy.

Ich will nicht allein sein. Bitte komm zurück.

Bitte...

Momoko fror, aber es war ihr egal. Sie wollte nicht länger fern sehen, auch wollte sie nicht zurück ins Haus gehen. Die Pflegeeltern würden nicht vor Mitternacht heimkehren und allein in dem riesigen Haus, das würde sie heute abend nicht ertragen können. Ihre Elfe konnte da einfach keinen Ersatz schaffen.

"Momoko?"

Sie erschrak, als sie die Stimme hinter sich hörte. Wild fuhr sie herum und ihre blauen Augen weiteten sich, als sie die grüne Gestalt dort schweben sah. Beinahe wäre sie durch die Wellen auf den Hexenfrosch zugestürzt und hatte diesen stürmisch umarmt, als sie im letzten Moment erkannte, daß Majorika vor ihr auf ihrer Schaufel flog.

Momoko schluchzte leise auf und das Leuchten in ihren Augen erlosch augenblicklich.

"Was willst du?" fragte sie wirsch und ging sofort in eine ablehnende Haltung über. Majorika ignorierte dies und flog zu ihr hinüber.

"Du wirst dich erkälten, Mädchen." Sagte sie und schnippte in ihre grünen Finger. Plötzlich lag eine weiche Wolljacke um Momokos frierende Schultern. Das Mädchen wollte sie sofort abstreifen, aber Majorikas Magie war eine stärkere und s blieb die Jacke dort, wo sie war. "Lies das, bevor du mich wieder auf den Müll wünschst." Majorika würde ihr später erklären, daß man jemanden in die Hölle wünschte, aber eine Mülldeponie konnte auch sehr unangenehm sein. Und stinkig. Da gab der Hexenfrosch dem zitternden Mädchen recht.

"Wie...?" Momoko blickte skeptisch von Majorika zum Brief und wieder zurück.

"Einfach lesen. Ist keine Briefbombe. So tief sinke ich nicht." Der Hexenfrosch flog zurück zum Strand und winkte mit den grünen Ärmchen. "Komm zurück zum Sand, Mädchen. Da ist's wenigstens ein klein wenig wärmer." Majorika sah sich kurz um und stellte fest, daß es wohl mal wieder alles an ihr lag. Die Pflegeeltern schienen nicht da zu sein und Momoko war mit elf noch zu jung, um sich gut genug um sich selbst zu kümmern. Zumindest würde Majorika sie nicht mit Streichhölzern und einem Ofen allein lassen. In der Bäckerei war wenigstens immer jemand dabei und die Öfen dort arbeiteten mit Magie. Nicht mit Gas.

Momoko schaute noch immer mißtrauisch, dann öffnete sie jedoch den Brief. Beinahe hätte sie aufgeschrien, als sie die vertraute Schrift sah. Die üblichen Schnörkel einer Person, die das Schreiben schon vor sehr langer Zeit gelernt hatte. Der Brief beinhaltete keine japanischen Schriftzeichen. Er war auf Englisch geschrieben.
 

> Meine liebste Momo-chan,

es ist nun an der Zeit , daß ich diese Welt verlassen muß. Ich bin einfach zu alt und Deine Ausbildung zu einer richtigen Hexe hat mich sehr viel Kraft gekostet. Mehr Kraft, als ich eigentlich besessen habe. Aber ich bereue nichts, meine Momo-chan. Die Zeit mit, mag sie auch noch so kurz gewesen sein, war die schönste meines gesamten Hexenlebens. Ich habe wohl 1500 Jahre gelebt, nur, um Dich kennen und lieben zu lernen. Ich bin sehr stolz auf Dich. Du bist eine ausgezeichnete Hexe und die beste Tochter, die ich mir jemals habe wünschen können.

Nur eines bereue ich aus tiefstem Herzen: Daß ich Dich verlassen muß. Schon jetzt. So zeitig. Zu zeitig. Und daß ich Dir damit sehr weh tun muß.

Aber ich bin mir sicher, daß Du bald neue Freunde und eine neue Familie finden wirst, meine Momo-chan. Du bist ein Mädchen, das man nur lieben kann.

Bitte vergib mir, daß ich Dich verlassen mußte. Ich wollte es nicht. Nicht so zeitig. Aber das ist wohl der Gang der Dinge, den niemand verändern kann. Nicht einmal unsere mächtige Königin.

Ich liebe Dich und werde Dich ewig lieben, Momo-chan.

Deine Majo-mommy.

PS: Danke für diesen Namen. Er hat mir sehr viel bedeutet. <
 

Verdammt...

Momoko brach in den Wellen weinend zusammen. Sie bemerkte nicht, wie sie eine fremde Macht aus dem eisigen Wasser hob. Sie nahm nicht wahr, wie sie in das Haus, auf ihr Zimmer gebracht wurde. Wie sie aus ihren eisigen Kleidern geholt und in ihren warmen Pyjama gesteckt wurde. Wie man eine warme, flauschige Decke um sie wickelte. Sie kam erst wieder zu sich aus ihrer Welt der Verzweiflung, als ihr jemand eine warme Tasse in die Hand drückte. Es roch nach Honig. Als sie die Tränen, noch immer schluchzend, aus ihren Augen wischte, sah sie die Milch vor sich. Und einen kleinen, grünen Hexenfrosch, der sie über den Tassenrand hinweg nachdenklich anblickte.

"Die Königin hat mir von Majomonroe erzählt." Sagte Majorika schließlich und ihre Stimme klang rauher als sonst. Sofort rannen wieder Tränen über Momokos Wangen und der Hexenfrosch schnippte dieses Mal Taschentücher her.

"Es tut mir wirklich leid, Mädchen." Majorika schluckte, denn sie haßte es, jemand anderen weinen zu sehen. Erst recht einen ihrer Hexenschülerinnen, oder einfach nur Mädchen, wie sie sie liebevoll nannte. Außer Doremi, aber diese weinte nicht, sie heulte. Und das meist auch nur so lange, bis man ihr ein Bonbon gab oder ihr ach so riesiges Problem in einer Sekunde löste.

"Ich will deine Majomonroe auch nicht ersetzen. Du hast recht, ich bin eine fürchterliche Hexenlehrerin, aber ich muß so hart sein, sonst schafft Doremi den ersten Hexengrad nie. Ich werde nie sein wie deine Majo-mommy, das möchte ich auch nicht. Aber es wäre sehr hilfreich, wenn du mich wenigstens als Majorika ansehen und eines Tages auch..." mögen "... akzeptieren könntest." Der Hexenfrosch hüstelte und wurde leicht rot um die Nasenspitze. "Das mit den Plätzchen tut mir leid. Aber sag's nicht Doremi, sonst ist mein Ruf ruiniert und sie hört nie mehr auf mich. Ich werde das nächste Mal einfach warten, bis sie fertig sind, okay?"

Momoko nickte und schluchzte erneut auf.

Ich war so wütend auf meine Majo-mommy, auf mich und die ganze Welt, sie hatte meine Wut nicht verdient. Meistens zumindest nicht.

Sie wußte, daß es lange dauern würde. Verdammt lange, aber vielleicht würde es ihr eines Tages gelingen, diesen Hexenfrosch als ihre Hexenlehrerin zu akzeptieren. Doremi und die anderen waren schließlich immer lieb zu ihr. Und daß ihre Majo-mommy sie verlassen hatte, dafür konnten sie nichts. Genauso wenig wie Majorika. Genauso wenig wie Majomonroe.

Genauso wenig wie sie selbst.

Momoko schneuzte hingebungsvoll in ihre Taschentuch und wischte sich die Tränen weg. Es tat verdammt weh, aber sie hatte mit dem Brief erst erkannt, daß niemand daran schuld hatte, daß ihre Majo-mommy von ihr gegangen war. Niemand, nur die Zeit. Aber, wer konnte schon die Zeit verurteilen.

"Fangen wir noch einmal von vorne an, okay?" Momoko versuchte ein Lächeln, aber es tat weh. Noch. Eines Tages würde es das nicht mehr. Irgendwann. "Hallo, ich bin Momoko." Sie streckte ihre Hand aus, so wie das in Amerika üblich war und ergriff die von Majorika. Diese verbeugte sich auf japanische Art leicht und drückte die eisigen Finger.

Wir kriegen das schon hin. Irgendwie.

"Freut mich, dich kennen zu lernen, Mädchen."
 

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
 

Der Mond schien durch das halb geöffnete Fenster in das Zimmer. Poster von fernen Ländern schmückten die Wände, der Schreibtisch war mit Heftern überfüllt. Ruhig war es in dem Zimmer. Beinahe friedlich. Wie es das eben üblich war in der Mitte der Nacht.

Dann jedoch war das Zimmer für wenige Momente mit einem gleißenden Licht erfüllt. Eine Gestalt schwebte plötzlich in der Mitte des Raumes. Sie war durchsichtig und kaum wahrnehmbar. Jedenfalls nicht für das Mädchen, das in dem weichen Bett lag, einen Teddy fest umschlungen hielt und tief schlief. Tränen lagen noch immer auf den blassen Wangen.

Die Gestalt verfestigte sich noch ein wenig und nun konnte man eine alte Frau erkennen. Wallendes, blondes Haar umgab ihren Kopf und ein gütiges Lächeln lag auf ihrem Mund. Geräuschlos schwebte sie zu dem Mädchen hinüber und wischte mit einer sanften Geste die Tränen fort.

>So lange du mich in deinem Herzen behältst, werde ich immer bei dir sein.<

Die Stimme war kaum lauter als das Säuseln der Blätter, die vor dem Fenster vom Nachtwind leicht bewegt wurden. Zärtliche Hände zogen eine flauschige Decke über des Mädchens Schultern und klopften sie vorsichtig fest. Behutsame Finger fuhren liebevoll durch die blonden Haare des Mädchens und im Schlaf streckte Momoko ihre Finger aus und ergriff die Hand der schwebenden Gestalt. Hielt sie fest. Wie sie das früher so oft getan hatte.

>So lange du an mich denkst, werde ich dich nie verlassen.<

Momoko seufzte leise, dann ließ sie die Hand los. Lächelnd schlief sie weiter, träumte einen wunderbaren Traum. Von einem lieben Menschen, der immer über sie wachen würde. Ihr ganzes Leben lang.
 

***
 

Finis
 

Diese Geschichte nahm an dem Animexx-Wettbewerb Januar 2002 teil. Eine Voraussetzung dafür war gewesen, daß sie nicht länger als 10 Seiten wird. Deshalb werden jetzt vielleicht einige verwundert aufgesehen haben, die meine "Mamut-Werke" kennen ^-^. Die englische sowie die japanische Sprache habe ich aus Verständnisgründen gleich ins Deutsche übersetzt. Ich hoffe, das ist allen Lesern recht so ^-^.
 

Ich habe mit dieser Geschichte immerhin den dritten Platz belegt und bin ganz stolz drauf ^-^. Über jeden Kommentar würde ich mich freuen (ich nehme auch konstruktive Kritik an, denn nur so kann man sich weiter entwickeln!). Meine Adresse ist: aprileagle@freenet.de.
 

Diese Geschichte habe ich eigentlich für zwei Personen geschrieben.

Die erste Person ist nun schon seit vier Jahren nun tot. Es heißt, die Zeit heilt alle Wunden. Aber dennoch vermisse ich sie mit jedem Tag, der vergeht, mehr. Dennoch werde ich mein ganzes Leben lang dankbar sein, daß ich die Ehre hatte, sie kennen und lieben zu lernen.

Die zweite Person hat diese Geschichte verhöhnt. Sie wird wohl nie wissen, wie sehr sie mir damit weh getan hat.
 

Auf jeden Fall bedanke ich mich bei allen fürs Lesen.

Danke!

April Eagle
 

04. Januar 2002



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (10)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  CharleyQueens
2013-04-27T20:26:01+00:00 27.04.2013 22:26
Hey Ho ^^
Oh, eine DoReMi-FF. Ich bin ein sehr großer Fan von dieser Serie und habe deine FF mit Freuden verschlungen.

Ich konnte Momoko am Anfang sehr gut verstehen, vor allem weil es mir auch so ging als kleines Kind.
Außerdem, auch wenn man kein Fan der Serie ist oder sie nicht kennt, versteht man doch schnell worum es geht.
Wie du Majorika und Majomonroe (im weiteren Verlauf des Kommentars verzichte ich auf das "Majo") dargestellt und miteinander verglichen ist dir auch gelungen. Dass Monroe so mütterlich zu Momoko war und diese nun mit Rikas Strenge nicht klarkommt, finde ich verständlich und nachvollziehbar.
Auch Momokos Trauer über den Verlust von Monroe und ihre Wut auf Rika hast du dem Leser gut und einfach vermittelt und die Kleine tut mir wirklich Leid. Dass sie ihre Lehrerinnen miteinander vergleicht, ist wirklich passend gewählt.
Auch, dass Rika sich ja eigentlich immer Sorgen um die Mädchen macht und bloß so streng tut, hast du, indem sie zur Königin gegangen ist, gut dargestellt. Übrigens finde ich die Idee ja drollig, dass sie selbst mal Königin werden will. Man merkt beim Lesen, dass sie sich auch Sorgen um ihre neue Schülerin Momoko macht und sich mit ihr verstehen will.
Hach, der Brief war wirklich toll geschrieben. In wenigen Worten hast du Monroes Gefühle wundervoll beschrieben. Und die Versöhnung zwischen Rika und Momoko war auch toll. Ich bin froh, dass die Kleine ihr eine Chance geben wird. Und auch dass der Geist von Monroe sie nachts besucht, hat mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

So, bei so viel Lob habe ich jedoch noch ein kleines bisschen Kritik anzubringen und will dich im Folgenden auf einige Fehler aufmerksam machen, die mir während des Lesens aufgefallen sind.

>Dieses grüne Etwas war Majorika, ihre Hexenschülerin.
Es heißt Hexenlehrerin ^^ Dieser Fehler ist dir übrigens noch einmal passiert
>tapfer stellte sie sich zwei funkelnden Augen in einer grünen Gestalt entgegen
Flüchtigkeitsfehler, "Tapfer" wird großgeschrieben, da es ja am Satzanfang steht.
>Statt dessen sah sie wieder den kleinen Hexenfrosch unter den großen Decken liegen
Stattdessen - Zusammengeschrieben ^^
>Das stimmt schon, aber wenn ich jemand Hexe nennt und mir ins Gesicht schreit, daß er mich haßt
Hier hast du ein "m" vor "ich" vergessen ... also Mich ^^
>Das Mädchen wollte sie sofort abstreifen, aber Majorikas Magie war eine stärkere und s blieb die Jacke dort, wo sie war
Und hier fehlt ein O bei dem S. ^^

Aber ansonsten habe ich nichts zu meckern und es hat mir wirklich gefallen, deine FF zu lesen.
Liebe Schreibziehergrüße, Lilim ^^
Von:  lemontree
2009-03-09T13:17:35+00:00 09.03.2009 14:17
ich bin jetz ned so der Doremi fan aber ich fand die story echt schön
vor allem weil ich auch vor kurzem einen sehr sehr wichtigen menschen verloren hab
leider bin ich nicht gut im schreiben um so meine gefühle ausdrücken zu können es ist aber schon ein DJ geplant
aber um auf die story zurückzukommen also die idee sehr schön
und auch schön bildlich geschrieben
Von:  Silver_Wolf
2009-02-09T10:50:40+00:00 09.02.2009 11:50
ist echt gut geworden und ein verdienter dritter platz ^^ *respeckt* ^^
hab immernoch pipi in den augen ^^
Von: abgemeldet
2008-09-30T20:28:09+00:00 30.09.2008 22:28
Ich hab die beiden ersten Staffeln hier und würde liebend gerne die anderen beiden sehen.
Umso mehr freut es mich, dass du eine FF über Momo geschrieben hast^^
Dein Stil gefällt mir sehr gut, aber mir ist ein Fehler aufgefallen, den du zweimal gemacht hast (ja, ich weiß, FF ist alt XD):

Du hast Majorka als die 'Hexenschülerin' der Mädchen bezeichnet.
Lehrerin passt eher, oder? ^_~

Gruß,
Caliena
Von: abgemeldet
2004-06-15T13:54:08+00:00 15.06.2004 15:54
Ahhh nein nein Shizue Takanashi nich!!! Die hat nur diesen komischen Manga gezeichnet o.O

Sonst ist die FF schöööön T_T
Von:  Jacky
2002-08-14T21:45:17+00:00 14.08.2002 23:45
Ich fand sie auch total super! Ehrlich! Konnte überhaupt nicht mehr aufhören deine FF zu lesen! ^^
Momoko ist auch sowas von süß!
Jetzt weiß ich auch mal mehr über sie! War ne tolle Idee von dir! ^^
Von:  -Mari-
2002-06-29T18:36:47+00:00 29.06.2002 20:36
*snief* ah darf ich sagen, dass mir deine geschichte am besten von allen doremi fanfics gefallen hat? so schööön traurig, und jetzt weiß ich mehr üba momo-chan -^^-
Von: abgemeldet
2002-04-14T13:18:53+00:00 14.04.2002 15:18
Wäh!!!!!!!!!!!!!! Da geht's ja zur Hälfte um mich! *heul* Meine liebe verstorbene 'Hexenmeisterin...Oh mann! Da wird man ja mit traurig! Kommpliment! das hast du echt gut hingegriegt! Einfach herzzereisend! Die arme Momoko! *wieder anfang zu heulen* WÄH!!!! *sniff* Echt schnuckelig...Die kleine Momoko...
Von: abgemeldet
2002-04-04T20:20:20+00:00 04.04.2002 22:20
Als ich den Anfang gelesen hab, sind mir fast Tränen gekommen... Was bin ich froh, kein Kind mehr zu sein ;_; Kam mir irgendwie bekannt vor...
Um so mehr hab ich mich für sie im Verlauf der Geschichte und vor allem am Ende gefreut.

Toll geschrieben, wie immer ^-^ (obwohl ich die Serie überhaupt nicht kenne ^-^' ) Aber dein Stil geht einfach ans Herz. Humor hast du auch gut mit hineingebracht.
Passt alles ^-^
Von: abgemeldet
2002-04-04T14:16:00+00:00 04.04.2002 16:16
wow! da darf ich wohl als erste einen kommentar schreiben *glücklich bin* :)

ich sag' nur eins: super! auch die länge bzw. kürze...na, es passte halt.
eigentlich habe ich mir doremi immer nur nebenbei angesehen, als zeitvertreib. ich dachte immer, ja, ganz nett, aber das wars auch schon.

ich will ja nicht zu viel loben, aber ich schätze, ich muss mir die serie noch mal genauer ansehen :) sie scheint einiges an potential zu besitzen!

bye
rei-chan

- do you understand, do you know what she means,
as time goes by and when you've seen what she'd seen
-you will-
"little fifteen" by depeche mode


Zurück