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Demon Slayer One-Shots

von

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Rendezvous nach Dienstschluss [Muzan x Kokushibo]

Schnaubend betrachtete Muzan die Kerbe in seinem hochwertigen und äußerst mächtigen Schreibtisch, die er – zu seinem Bedauern – eigenständig zugefügt hatte. Dennoch warf er einen finsteren Blick in die Richtung seines goldenen Brieföffners, welcher ganz unschuldig genau dort lag, wo er ihn nach seiner wutentbrannten Reaktion hingelegt hatte. Er betrachtete seinen eingravierten Namen am dickeren Ende und nachdem es kurz so wirkte – selbst für ihn – dass die Ruhe ihn nun umgab, so benötigte es nur einen einzigen Namen, um diese mit Wut auszutauschen.

 

Ubuyashiki.

 

Pff! Muzan griff ein weiteres Mal nach seinem Brieföffner – welcher nichts für irgendwas konnte – nur um ihn gegen die nächste Wand zu schleudern. Als würde er dies schon hunderte Mal gemacht haben, blieb der Brieföffner am spitzen Ende in einem Bild stecken, welches seinen Feind zeigte.

Und dann öffnete sich die massive Holztür, welche in sein Büro führte und offenbarte ein mehr als nur bekanntes Gesicht.

 

Kokushibo's Kopf drehte sich monoton in die Richtung des Brieföffners, welcher nicht einmal mehr bebte, nach dem Aufkommen in der Wand.

 

„Soll ich das Bild demnächst austauschen?“, fragte Kokushibo, während er sich leichtfüßiger, als für seine große und kräftige Statur normal, zum Brieföffner bewegte.

Diesen zog er dann mit ein wenig Kraftaufwand hervor, nur um unter das Bild zu schauen und zu kontrollieren dass der Schutz dahinter noch instand war. Es war leichter gewesen, einen Schutz anzubringen, der wie ein Polster für die Wand diente, als die Stellen zu verstecken oder jedes Mal jemanden zu rufen, der dies wieder beheben würde.

 

„Nein!“

 

Muzan's Stimme dröhnte lauter als normal durch das große Büro. Selbst wenn er unglaublich wütend war, passierte es nur äußerst selten, dass er seine Stimme wirklich stark erhob. Er benötigte kein Gebrüll, um eine gewisse Bedrohlichkeit in der Stimme zu offenbaren.

Dennoch bemühte er sich nun darum, tief durchzuatmen und seinen inneren Zorn wieder zu bändigen, an welchem Kokushibo nun wirklich keine Schuld trug.

Glücklicherweise nahm Kokushibo ihm das auch nicht wirklich übel, stattdessen kam er mit seiner altbekannten Ruhe in seine Richtung und legte den Brieföffner fein säuberlich wieder an Ort und Stelle – perfekt aufgerichtet, wie Muzan es am liebsten hatte.

 

„Es ist schon spät, Kibutsuji-sama“, merkte Kokushibo schließlich an. „Vielleicht wäre es an der Zeit, sich für den heutigen Tag zurückzuziehen und zur Ruhe zu kommen.“

 

Es gab mit Sicherheit nicht viele Personen, die es wagen würden, so etwas zu Muzan zu sagen. Noch weniger Personen würde Muzan das einfach so erlauben – schließlich wusste er selbst immer noch am besten, was gut für ihn war.

Natürlich könnte er Kokushibo vorwerfen, dass er nur auf seinen eigenen Feierabend gierte, welcher durch Muzan nicht selten unnötig in die Länge gezogen wurde. Nicht aufgrund ihrer ehrlichen Arbeit, sondern anderer Aufgaben, die Muzan nur zu gerne verteilte, sobald er einen weiteren Plan ausgetüftelt hatte.

Doch nachdem sein Letzter mal wieder gescheitert war, fehlte ihm derzeit eine weitere Idee. Wenn er sich ausreichend Zeit geben würde, würde ihm in den nächsten Stunden sicherlich etwas einfallen. Doch auch Muzan selbst war sich bewusst, dass Müdigkeit – selbst nur schwach ausgeprägt – und dieser frisch aufgekochte Zorn in seinem Inneren keine gute Grundlage dafür war, neue Pläne zu schmieden.

 

„Na gut“, antwortete er also, nach wie vor unzufrieden, jedoch wieder ruhiger.

 

Muzan trat von seinem Tisch weg, um seinen Sessel in den perfekten Winkel zu rücken, ehe er sich zur Tür bewegte. Dort, wo Kokushibo bereits seinen Mantel in den Händen geöffnet hielt, damit sich Muzan wie gewohnt beim Anziehen helfen lassen konnte. Es war natürlich komplett unnötig, denn ein Mann wie er es war, würde es auch ohne jeglicher Hilfe schaffen, seinen Mantel anzuziehen. Gleichzeitig war es auch ein Zeichen von Vertrauen und vielleicht auch Zuneigung.

Er konnte deutlich wahrnehmen, wie Kokushibo den Mantel auf seinen Schultern mehr als notwendig zurecht zupfte und den Kragen ordentlicher faltete, als es jemals jemand anderes tun könnte – oder würde. Solange bis der Mantel wirklich perfekt saß und Muzan selbst als absoluter Perfektionist nichts bemängeln konnte.

 

Für einen kurzen Augenblick war er also wirklich zufrieden und dachte nicht mehr an seinen Erzfeind.

 

„Lass uns gehen“, sagte Muzan anschließend und öffnete die Tür, obwohl er förmlich spüren konnte, wie griesgrämig Kokushibo deshalb gucken würde.

 

Die Beziehung zu seinem Sekretär war besonders. Es herrschte stetig ein gegenseitiger Respekt und mit niemandem würde Muzan so offen über seine Pläne sprechen, wie er es mit Kokushibo tat. Für die meisten Personen galt Kokushibo eher als Bodyguard, denn als Sekretär – und auch wenn Kokushibo ihn wohl mit seinem Leben verteidigen würde, war er wirklich nicht sein Bodyguard.

 

Er war wirklich nur sein Sekretär.

 

Dennoch fuhr er ihn auch nur zu gerne von A nach B, selbst dann, wenn Muzan nicht darum bat oder es befahl. Kokushibo hielt ihm stets jede Tür auf, behielt ihre Umgebung ganz genau im Auge und hatte dennoch irgendwie nur Augen für ihn.

Muzan würde lügen, wenn er sagen würde, dass ihm dies nicht gefiel – dennoch würde er nichts davon jemals laut aussprechen.

 

Als Kokushibo ihm die Beifahrertür seines Autos aufhielt, war Muzan schon bewusst, dass sein Sekretär das Fahren übernehmen wollte. Nichts, wogegen er etwas zu sagen hatte. Deshalb ließ er sich in einer eleganten Bewegung auf den Sitz nieder, schnallte sich an, während die Tür zuschlug und zückte sein Handy, um – vielleicht etwas griesgrämig – auf sämtlichen Websites unterwegs zu sein, die seinen kurz vergessenen Zorn, neu entfachen könnten.

 

„Kibutsuji-sama“, sprach Kokushibo ihn mit einer Tonlage an, die fast schon belehrend klingen würde.

 

Wenn es nicht der dauerhaft monotone Kokushibo wäre ...

 

Muzan atmete zischend zwischen den Zähnen aus, als er einen finsteren Blick auf seinen Fahrer richtete: „Was?“

 

„Wohin soll ich Sie fahren?“

 

„Nach Hause natürlich!“

 

Ihm war klar, dass Kokushibo nicht wirklich diese Frage hatte stellen wollen. Es war nur eine Art Weckruf für Muzan gewesen – und es hatte funktioniert, wie er demütig zugeben musste.

Zumindest fuhr Kokushibo direkt los, statt etwas anderes auszusprechen oder zu fragen. Muzan schob das Handy zurück in die Tasche seines Mantels, bevor er einen Blick zum Fenster hinauswandern ließ.

 

„... du fährst falsch“, teilte er seinem Fahrer nach kurzer Beobachtung direkt mit.

 

„Ich muss einen Umweg fahren, wegen einer Baustelle.“

 

Muzan runzelte die Stirn, als er seinen Blick nun vom Fenster weg, in die Richtung seines Sekretärs wandern ließ. Natürlich gab es keinerlei Veränderung in dessen Gesichtszügen, Körperhaltung oder dem allgemeinen Verhalten. Dies war nur keine Versicherung dafür, dass er die Wahrheit sagte; Kokushibo war schon so viele Jahre an seiner Seite, dass er gut darin war, nicht deutlich zu zeigen, was er dachte.

Auch wenn Muzan sehr oft hinterfragte, was sein Sekretär dachte oder welche Meinung er hatte, würde Kokushibo ihm diese niemals ungefragt unter die Nase reiben.

 

„Ist das so?“, hinterfragte Muzan noch einmal.

 

„Ja, Sir.“

 

Er unterdrückte einen schweren Seufzer und sah einfach wieder aus dem Fenster heraus. Nur um zu bemerken, dass sie sich gefühlt immer weiter von seinem Penthouse Apartment entfernten, statt ansatzweise in die Nähe davonzukommen. Selbst bei einem Umweg sollte das doch nicht so extrem erfolgen.

Also war sich Muzan ziemlich sicher, dass Kokushibo gelogen hatte und irgendwas plante. Unzufrieden verschränkte er die Arme vor der Brust.

 

„Wo bringst du mich hin?“

 

„Ich werde dich an niemanden ausliefern, Kibutsuji-sama“, versprach Kokushibo.

 

Aber wenn dieser ihn schon darüber belog, einen Umweg fahren zu müssen, wie sollte Muzan ihm dann diese Worte glauben?

 

„Da sind wir auch schon.“

 

Mit gerunzelter Stirn sah er nach draußen, um noch unzufriedener festzustellen, dass sie sich vor einem Restaurant befanden. Es war ihm nicht unbekannt, dennoch fühlte er sich nicht gewillt, auszusteigen.

Auch nicht als Kokushibo die Autotür bei ihm öffnete.

 

„Was tun wir hier?“, hinterfragte Muzan lauernd, ohne sich auch nur abzuschnallen.

 

„Das ist eine Überraschung.“

 

„Ich verachte Überraschungen.“

 

„Dies ist mir natürlich bewusst“, erwiderte Kokushibo, geduldig und monoton, wie es wohl sonst niemand sein könnte. „Aber es wird dir gefallen.“

 

„Das bezweifle ich doch stark.“

 

Niemals würde er Gefallen an einer Überraschung finden, außer es hätte mit dem aufgespießten Kopf von Ubuyashiki zu tun und da dies ein Restaurant war ....

 

„Bitte steig aus. Die Leute werden sonst nur aufmerksam auf uns.“

 

Leider wusste Kokushibo ganz genau, mit welchen Worten er Muzan erreichen konnte. Ihm war kaum etwas wichtiger, als sein perfektes und charismatisches Erscheinungsbild nach draußen und wie ein schmollendes Kind im Auto zu sitzen, würde dieses nicht unterstützen.

Muzan verharrte noch einen Augenblick an Ort und Stelle, ehe er leise knurrte, jedoch seinen Gurt löste und ausstieg. Kaum hatte er dies getan, bemühte er sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, während Kokushibo das Auto abschloss und vorausging. Nur um ihm die Tür aufzuhalten.

 

„Oh, guten Abend Kibutsuji-sama. Wir haben bereits alles für Sie vorbereitet.“

 

Glücklicherweise war Muzan darin trainiert seine Verwirrung oder jegliche andere Emotion zu kontrollieren, ansonsten würde man ihm nur zu deutlich seine Verwirrung ansehen.

 

„Guten Abend“, erwiderte er die Begrüßung mit einer höflichen, kleinen Verbeugung. „Was anderes habe ich von Ihnen nicht erwartet.“

 

Auch wenn er nicht wirklich wusste, was scheinbar auf seinen Namen vorbereitet worden war. Sein Blick fiel daher direkt wieder auf Kokushibo.

 

„Sollten Sie dennoch etwas benötigen, können Sie oben einfach die Klingel betätigen, die wir bereitgelegt haben.“

 

Oben?

 

„Vielen Dank für all Ihre Bemühungen. Wir werden uns melden, sollte dies der Fall sein.“

 

Muzan wusste wirklich nicht was hier vor sich ging, aber zukünftig sollte er vielleicht Kokushibo die Macht entziehen, Termine für ihn oder in seinem Namen zu machen – oder solche Reservierungen. Wobei Kokushibo so etwas wohl genauso gut auf seinem Namen machen könnte.

 

Sie wurden nicht zu einem Tisch gebracht, wie es sonst der Fall wäre, stattdessen lief Kokushibo einfach los, nachdem er seine Finger für einen kurzen Augenblick über Muzan's Handrücken hatte streichen lassen. Damit lag die ungeteilte Aufmerksamkeit des Politikers auf seinen Sekretär und innerlich seufzend, setzte er sich nun auch in Bewegung, um Kokushibo zu folgen. Das Restaurant an und für sich war ihm gut bekannt, es ging über zwei Etagen, die obere war vollkommen verglast. Die Einrichtung war stilvoll gewählt – wäre dies nicht so, würden sie hier nicht hin und wieder zu Besuch sein. Ihr Weg führte sie jedoch nicht zu den Treppen, welche sie zur zweiten Etage bringen würde – stattdessen zielte Kokushibo auf den Fahrstuhl.

 

„Du hast also etwas auf meinen Namen reserviert?“, fragte Muzan indessen nach, während er die blinkende Taste des Fahrstuhls beobachtete.

 

„Mit deinem Namen ist es immer wesentlich einfacher“, antwortete Kokushibo, mit etwas, dass man fast ein kleines Lächeln nennen könnte.

 

Was definitiv ein Trugschluss sein musste – denn Kokushibo lächelte nicht wegen einer solch simplen Angelegenheit.

Muzan betrat den Fahrstuhl, nachdem Kokushibo darin gestanden hatte, und beobachtete ganz genau, wie sein Sekretär den Knopf betätigte, der sie auf das Dach bringen würde. Was im Normalfall kein Bereich war, den Gäste aufsuchen sollten – im Normalfall war der Fahrstuhl allgemein kein Bereich für Gäste. Lediglich jenen, die es benötigten, um in die zweite Etage zu kommen, wurde dies erlaubt.

 

Was hatte Kokushibo dem Restaurant also aufgetischt?

 

Im Grunde erklärte sich dies bereits, als sich die Tür des Fahrstuhls nun öffnete und er auf das Dach trat. Im Allgemeinen ein hübscher Bereich, der meistens für Feierlichkeiten bereitgehalten wurde. Es gab bepflanzte Bereiche und am Rande standen Tische, die zur Seite geräumt wurden, da sie nicht in Benutzung sein würden.

Wichtig war also nur das, was sehr mittig aufgebaut wurden, war. Ein Weg aus blutroten Rosenblättern ebnete den Weg zu einem Tisch für zwei Personen, welcher umgeben war von ein paar Laternen, die ein warmes Kerzenlicht verströmten. Ein kleiner Wagen stand am Rande, auf welchem sich abgedeckte Tabletts befanden, so wie eine Flasche Wein, die Muzan natürlich bekannt war.

 

„... nein“, meinte er prompt und wollte sich augenblicklich umdrehen.

 

Tief im Inneren war ihm bereits bewusst gewesen, dass genau dort Kokushibo bereitstehen würde, um ihn von einer schnellen Flucht abzuhalten.

 

„Alles Gute zum Geburtstag, Muzan.“

 

Er verzog sofort das Gesicht, während gleichzeitig eine angenehme Gänsehaut über seinen Körper lief. Es war lächerlich, dass diese Reaktion nur wegen Kokushibo aufkam, der seinen Vornamen aussprach.

 

„Ich habe dir schon vor zehn Jahren gesagt, dass ich keinen Geburtstag feier.“

 

„Zu deinem Unglück bist du jedoch mit mir verheiratet und ich werde keine Gelegenheit auslassen, um deine Anwesenheit zu feiern.“

 

Wie konnte Muzan nur immer wieder vergessen, dass hinter Kokushibo's ernster und monotoner Miene ein seltsamer Romantiker versteckt war? Natürlich nur zu besonderen Tagen und Situationen – worüber er auch froh war. Er könnte nicht täglich damit umgehen.

 

„Genügt es nicht, so etwas zum Hochzeitstag aufzuziehen?“

 

„Definitiv nicht.“

 

Kokushibo's schwere Hände legten sich auf seine Schultern, drehten ihn wieder in die Richtung des Tisches und schoben ihn vor sich her, zu eben jenem. Natürlich half er ihm aus dem Mantel heraus, ehe Kokushibo auch den Stuhl zurückzog und wieder heranschob. So, dass Muzan schon bald am Tisch saß und beobachten musste, wie Kokushibo eben dort das Essen auftischte.

 

„Du weißt, dass das Restaurant dafür Kellner hat, richtig?“

 

„Ich wollte lieber, dass wir unter uns sind“, antwortete Kokushibo völlig entspannt.

 

Es gab vermutlich keinen Menschen, der mit ihm so entspannt umgehen konnte, wie sein Sekretär.

 

Und Ehemann.

 

„Warum sind wir dann nicht einfach nach Hause gefahren?“, fragte Muzan dennoch kritisch nach.

 

„Weil nur du kochen kannst und zu seinem Geburtstag würde ich das sicherlich nicht zulassen.“

 

Kokushibo's Kochkünste waren wirklich ein Graus und nichts, womit sich Muzan gerne herumschlug. Jeder Versuch Kokushibo das Kochen beizubringen, endete darin das Muzan an allem zweifelte, woran er jemals geglaubt hatte.

Er beobachtete ganz genau, wie Kokushibo die Abdeckungen abhob und hübsch garnierte Teller offenbarte. Sobald diese Abdeckungen ordentlich weggeräumt wurden, wurde der Wein geöffnet, welcher stets eine Erinnerung an den Antrag sein würde. Der Antrag, welcher Muzan vermutlich vor Überraschung aus allen Wolken fielen ließ. Für ihn war niemals so deutlich gewesen, dass es wirklich etwas Emotionales zwischen ihnen gegeben hatte.

 

„Ich bin sicher, du hättest andere Möglichkeiten gefunden, mich zu Hause zu erfreuen und zu zeigen, wie glücklich du über meine Anwesenheit bist“, merkte Muzan an, während er darauf wartete, dass Kokushibo sich nun endlich zu ihm setzte.

 

Und das tat dieser schließlich auch.

 

„Nachdem wir in Ruhe gegessen haben, kann ich dich Zuhause auch weiterhin mit all meinem Glück überschütten.“

Geocaching im Herbstwald [Tanjiro x Senjuro]

„Ich dachte, er unterrichtet Geschichte ... wieso zur Hölle; müssen wir jetzt dieses Geocaching machen?“, jammerte Zenitsu. „Und dann auch noch ... in diesem unheimlichen Wald!“

 

Obwohl sich sein blondhaariger Freund an seinen Arm klammerte, trug Tanjiro weiterhin ein entspanntes, fröhliches Lächeln auf den Lippen, während er Zenitsu im Grunde mit sich zog, welcher sonst wohl an Ort und Stelle verbleiben würde. Da er dieses ängstliche Verhalten gewohnt war, welches schon fast in Panik überging, war es für ihn keine so große Sache. Es war auch deshalb entspannter, weil Inosuke nicht in der Nähe war, um Zenitsu zu ärgern – stattdessen suchte ihr Mitschüler im Wald nach ...

Nun, Pilzen angeblich, aber Tanjiro war sich sicher, dass er eigentlich nach einem geeigneten Gegner für einen Kampf suchte. Hoffentlich würde er nicht wirklich auf ein Tier treffen, welches er dann versuchen wollte anzugreifen. Glücklicherweise konnte Tanjiro darauf vertrauen, dass ihr Lehrer alles im Blick behalten würde!

 

„Dann kommt mal alle zusammen!“

 

Selbst ohne zu brüllen, war die Stimme von Rengoku-sensei immer äußerst laut. Ein jeder wurde direkt darauf aufmerksam, das auffällige Aussehen war natürlich noch ein Punkt, welcher dazu führte, dass man direkt zu ihm fand. Tanjiro liebte es im sonnigen Gemüt ihres Lehrers zu baden – es war fast schon wie ein Zauber, der sich über sie legte. Ihre Klasse war durchaus dafür bekannt Chaos zu verbreiten, doch unter der Führung von Rengoku-sensei war davon absolut nicht zu erkennen.

Es gab noch ein paar kleine Unterhaltungen, aber sie fanden sich alle vor ihren Lehrer versammelt ein. Der flammende Blick von eben jenem wanderte über sie hinweg, zählte die Köpfe, die er zu Gesicht bekam und seufzte leise.

 

„Hashibira-kun! Bitte komm von dem Baum herunter!“

 

„Hehehehe!“, die tiefe Stimme von Inosuke lachte sie förmlich alle aus. „Du hast mich also entdeckt!“

 

„Das habe ich in der Tat, also geselle dich doch bitte zu uns am Boden!“

 

Es gab ein Kreischen von einigen Mädchen, als Inosuke sich im Grunde in ihre Masse fallen ließ, um irgendwie geschickt auf beiden Beinen zu landen. Ein großspuriges Grinsen dekorierte sein Gesicht.

 

„Und knöpfe bitte dein Hemd zu, es ist kalt“, wies Rengoku-sensei außerdem noch an.

 

„Kälte? Ich fühle keine Kälte!“

 

Tanjiro hörte, wie Zenitsu an seiner Seite schnaubte: „Mach endlich dein Hemd zu, du Idiot!“

 

„Wer nennt mich einen Idioten!?“

 

Bevor dieser Streit eskalieren konnte – was definitiv passieren würde – klatschte Rengoku-sensei laut in die Hände, wodurch jede Aufmerksamkeit auch wieder auf ihm lag. Selbst die von Inosuke, obwohl dieser nach wie vor angriffslustig war.

 

„Ich werde mich gleich noch um Hashibira-kun kümmern, aber lasst mich euch nun erstmal alles aushändigen, damit der Rest loslegen kann“, verkündete ihr Lehrer immer noch gut gelaunt, wo manche schon mit den Nerven am Ende wären. „Wisst ihr alle noch, was wir hier machen?“

 

„Geocaching!“, antwortete Tanjiro sofort motiviert.

 

„Ganz genau Kamado-kun!“, strahlte Rengoku-sensei ihnen entgegen. „Hier sind die GPS-Geräte, jedes Team wird von mir eines ausgehändigt bekommen. Dann bekommt jedes Team noch ein Klemmbrett, mit einem Blatt Papier! Ihr habt eine Auswahl von verschiedenen Koordinaten, mit denen ihr zu einem Ort kommt, dort findet ihr einen Hinweis oder eine Frage und wenn ihr alles beantwortet und richtig gelesen habt ... erhaltet ihr die Koordinaten, welche euch zum endgültigen Ziel bringen werdet! Dort werde ich auf euch warten. Solltet ihr irgendwelche Probleme haben, so steht auch meine Handynummer auf den Zetteln und ihr könnt mich ganz einfach informieren!“

 

„Was, wenn wir den Zettel verlieren?“, warf Zenitsu panisch ein.

 

„... dann legt ein Feuer und ich werde euch anhand des aufkommenden Rauchs mit Leichtigkeit auffinden können!“

Anhand des Zitterns, welches Zenitsu ergriff, ging Tanjiro davon aus, dass diese Antwort alles andere als zufriedenstellend war.

„Oder speichert meine Nummer einfach gleich ab und so habt ihr sie direkt im Handy! Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es keine Probleme geben wird!“

 

Tanjiro war sich da nicht ganz so sicher, immerhin kannte er seine Mitschüler nur zu gut, aber es brachte nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.

 

„Da es mir ohnehin unmöglich ist, aufzupassen, dass ihr das Internet nicht benutzt, ist es euch erlaubt, damit die Fragen zu beantworten und an die korrekten Daten zu gelangen. Ihr könnt euch eure Pausen eigenständig einplanen, so wie ihr sie braucht – denkt aber bitte daran, dass wir alle, wenn möglich den Wald verlassen wollen, bevor die Sonne untergeht, also keine Trödelei!“

 

„Tanjiro! Lass uns ein Team bilden!“, flehte Zenitsu bereits.

 

„Ah-ah! Ich werde die Teams bilden!“, plapperte Rengoku-sensei dazwischen, während er einen Zettel hervorzog und herumwedelte. „Agatsuma-kun! Du bist im Team mit Hashibira-kun!“

 

Tanjiro konnte prompt sehen, wie jegliche Hoffnung von Zenitsu wich und nur ein blasses Gesicht übrig blieb. Insofern auch Rengoku-sensei dies bemerkte, so ließ er es unkommentiert und teilte lieber die restliche Klasse in weitere 2er-Teams ein. Tanjiro versuchte seinem Freund ein aufmunterndes Lächeln zu schenken.

 

„Zumindest Inosuke, es hätte auch schlimmer sein können!“, meinte er aufrichtig.

 

Auch wenn Zenitsu und Inosuke gerne mal in Streitereien gerieten, so waren sie doch alle Freunde und kamen miteinander aus. Also glaubte Tanjiro wirklich, dass es gut gehen würde.

 

„Kamado-kun!“

 

„Ja, Rengoku-sensei?“

 

„Du bildest ein Team mit Senjuro“, um seine Worte zu unterstützen, schob ihr Lehrer den angesprochenen Schüler in die Richtung von Tanjiro.

 

Er konnte prompt die großen, verschreckten Augen sehen, die so ähnlich zu denen von Rengoku-sensei waren – und doch völlig anders.

 

„Sehr gerne“, erwiderte Tanjiro gutmütig, während er Senjuro entgegenlächelte und innerlich komplett panisch wurde.

 

Er hoffte lediglich, man sah es ihm nicht an.

 

Senjuro war der Jüngste in ihrer Klasse und hinzukommend war er Rengoku-sensei's jüngerer Bruder. Um das zu bemerken, brauchte man nicht den vollen Namen zu wissen – schon am Aussehen war eine Verwandtschaft mehr als offensichtlich. Das Haar und auch die Augen hatten dieselben Farben. Vielleicht wirkte das blond bei Rengoku-sensei's Haar etwas strahlender oder die roten Enden an dem Haar von Senjuro einen Hauch dunkler – doch diese vermeintlichen Unterschiede waren minimal und eher eine optische Täuschung, als wirklich ein Unterschied.

Doch während sie sich vom Aussehen her kaum mehr ähneln konnten, so waren sich charakterlich doch sehr verschieden.

 

„Dann sind hier eure Klemmbretter mit den Zetteln und die GPS-Geräte. Passt gut aufeinander auf und habt ganz viel Spaß!“ Rengoku-sensei trug sein so vertrautes Lächeln auf den Lippen, als er sie alle ansah, dann blieb sein Blick plötzlich auf Tanjiro liegen. „... aber auch nicht zu viel Spaß!“ Tanjiro war sicher, dass er ganz blass wurde bei dieser Aussage. „Immerhin müsste ich das Tomioka-sensei erklären und ihr wisst, dass er etwas gegen Spaß einzuwenden!“

 

Rengoku-sensei zwinkerte ihnen noch einmal allen zu, ehe er sich bereits abwandte und vermutlich zum Treffpunkt ging, wo dieser Schultag ein Ende finden würde.

Tanjiro war nach wie vor am ganzen Körper angespannt, obwohl Rengoku-sensei ihn nicht einmal mehr ansah – niemanden von ihnen ansah. Er bemerkte am Rande, wie sich die Teams auf den Weg machten, um loszukommen. Ein zaghaftes Ziehen an seinem Ärmel ließ ihn prompt stramm stehen, als hätte ihn ein Blitz getroffen, ehe er Senjuro ansah, welcher an sein Ärmel gezogen hatte.

 

„Uhm ... wollen wir dann auch los?“, fragte Senjuro, während er ein wenig besorgt wirkte.

 

Seine Stirn runzelte sich zart, seine Augenbrauen gingen leicht nach unten und seine runden Augen wirkten ein wenig betrübt.

 

„Aber ja doch!“, antwortete Tanjiro sofort wieder lächelnd. „Lass uns, ähm... genau dort entlang!“

 

„In ... Ordnung?“

 

Mit steifen Gliedmaßen bewegte sich Tanjiro vermutlich seltsam mechanisch und selbst er wusste, wie unnatürlich er sich gerade bewegte. Sie entfernten sich langsam vom Rest ihrer Klasse, während Senjuro sich um die ersten Koordinaten kümmerte. Tanjiro war ganz froh darüber, dass Senjuro gut klarkam, aber vermutlich hatte er einen kleinen Bonus, da Rengoku-sensei sein großer Bruder war.

 

Er konnte sich gut vorstellen, wie ihr Lehrer von nichts anderem gesprochen hatte als diesem geplanten Ausflug.

 

Seine Nervosität stieg prompt wieder an, obwohl er bemüht war, sich abzulenken. Doch egal wie sehr er sich versuchte auf die Umgebung zu konzentrieren – nichts davon war wirklich ablenkend genug. Seinem besorgten Verstand war es egal, wie hübsch der herbstliche Wald dank all seiner Farben aussah.

 

„Er weiß es, oder?“

 

„Hm?“, Senjuro sah blinzelnd zu ihm hoch, offensichtlich nicht sicher, worauf Tanjiro hinaus wollte.

 

„Dein Bruder ... Rengoku-sensei ... weiß er es?“

 

„Nein ... Ich meine, ich denke nicht? Ich habe nicht mit ihm darüber gesprochen, also ... es gibt keinen Grund dafür, dass er es wissen sollte.“

 

Tanjiro fühlte sich davon nicht so beruhigt, wie er es sich vorgestellt hatte. Denn dieser Blick vorhin und die Worte, die gefühlt an ihn gerichtet zu sein schienen ... War das wirklich nur ein Zufall gewesen?

 

„Außerdem glaube ich nach wie vor, dass du dir keine Sorgen machen müsstest Tanjiro“, merkte Senjuro an, während er jedoch auf das GPS-Gerät schaute, was auch gut so war. Immerhin wollten sie sich nicht verlaufen oder dafür sorgen, dass alle auf sie warteten. „Kyojuro mag dich doch.“

 

„... bisher schon.“

 

„Seit wann bist du so pessimistisch?“

 

Tanjiro war nie jemand, der den Kopf in den Sand steckte, aber alles hieran war völlig neu für ihn. Nachdem Senjuro in ihre Klasse versetzt wurde, hatte sich sofort eine tiefe Freundschaft entwickelt. Eine Freundschaft, die dann in nur wenigen Monaten zu wesentlich mehr wurde. Bis er dies verstanden hatte, hatte es einige Gespräche mit Nezuko gebraucht – natürlich so verschleiernd wie nur möglich, denn zu dem Zeitpunkt hatte er seine Gefühle niemandem offenbaren wollen.

Auch jetzt noch gab es lediglich Nezuko, die etwas wusste und sicherlich einige Personen, die etwas vermuteten. Vielleicht war dies auch bei Rengoku-sensei der Fall – er wusste nichts, aber er vermutete.

 

Wenn sie ihren Lehrer beschreiben müssten, dann wären die ersten Worte wohl motiviert, laut, empathisch und außerordentlich hilfsbereit. Man würde nicht direkt wie bei Kocho-sensei von Intelligenz sprechen oder wie bei Himejima-sensei von einer außerordentlichen Weisheit. Dennoch war Rengoku-sensei unglaublich klug und Tanjiro hatte das stets mitbekommen, wenn er eine Frage nach dem Unterricht gestellt oder um etwas Nachhilfe zu einem Thema gebeten hatte. Mit Sicherheit war Rengoku-sensei auch ein guter Beobachter und vielleicht hatte es Anzeichen gegeben, denen sich selbst Tanjiro nicht so bewusst war?

 

„Ich bin lediglich besorgt“, erwiderte Tanjiro.

 

Er würde Rengoku-sensei durchaus als eine Art Vorbild von sich nennen, aber was, wenn dieser beginnen würde ihn zu verachten, weil er sich an dessen kleinen Bruder ... vergriff?

 

„Dafür gibt es aber keinen Grund. Du machst dir grundlos Sorgen“, merkte Senjuro weiterhin an. „Kyojuro weiß, dass du ein guter Mensch bist.“

 

„Aber was, wenn er glaubt, ich nutze dich aus?“

 

„Wieso sollte er das glauben?“

 

„Weil du sein kleiner Bruder bist!“

 

„Ich bin ziemlich sicher, dass dir das keinerlei Vorteile gibt oder geben würde.“

 

Womit Senjuro theoretisch auch richtig lag. Nur war seine Angst ein wenig größer als sein rationales Denken. Vielleicht lag es daran, dass er selbst ein großer Bruder war und ganz genau wusste, wie man als ein solcher tickte.

Zenitsu war sein bester Freund, aber zu sehen, wie er seine kleine Schwester anhimmelte, war äußerst seltsam. Und wenn er dessen Lehrer wäre ... Tanjiro wusste nicht, ob er das irgendwie nutzen würde.

Extra Aufgaben, Nachsitzen wegen Kleinigkeiten und sondergleichen. Wäre das gerechtfertigt? Absolut nicht. Würde er dennoch darüber nachdenken? Auf jeden Fall.

Rengoku-sensei war ein ehrenhafter Mensch, aber sicherlich würde auch er diese Gedanken haben, richtig?

 

„Jetzt entspann dich, Tanjiro“, seufzte Senjuro. „Du solltest dir eher Sorgen um meinen Vater machen, als um meinen großen Bruder.“

 

Tanjiro blieb augenblicklich stehen, als Senjuro diesen Gedanken äußerte – glücklicherweise waren sie am ersten Ziel angekommen und so fiel sein ruckartiges stehen bleiben nicht weiter auf.

 

„Dein Vater ...“, wiederholte Tanjiro langsam.

 

Er wusste nicht viel über Shinjuro Rengoku. Senjuro wich diesem Thema bevorzugt aus und seinen Lehrer würde er niemals danach fragen. Was er bisher wusste, war jedoch, dass Rengoku-sensei wohl mehr ein Vater gewesen war, als ihr wahrer Vater. Mittlerweile befand sich dieser jedoch auf einem guten Weg. Zumindest sagte Senjuro das, wenn er sich mal wieder frühzeitig verabschiedete, um seinen Vater im Krankenhaus zu besuchen. Nach seinen Befragungen war ihm klar gewesen, dass es keine rein-körperliche Verletzung war, er wagte es aber nicht Senjuro mit weiteren Fragen zu löchern.

Tanjiro mochte nicht, wie Senjuro traurig zu werden schien, wenn man das Thema ansprach, auch wenn es besser zu werden schien.

 

„Okay, wir können weiter.“

 

„Huh!“, machte Tanjiro überrascht. „Du- bist schon fertig?“

 

„Ich habe die ersten vier Zahlen, ja“, antwortete Senjuro glucksend. „Kyojuro ist mein großer Bruder, ich muss mir andauernd etwas von seinem historischen Wissen anhören und Museen mit ihm besuchen – diese Fragen werden keine Schwierigkeit sein. Lass uns weitergehen.“

 

Tanjiro blinzelte ein wenig, aber er folgte Senjuro weiter und versuchte all seine Sorgen zumindest ein wenig von sich zu schieben. Er wollte keine Last sein, sondern eine Hilfe! Deshalb griff er nun beherzt nach dem GPS-Gerät, welches sie zu dem nächsten Ort bringen würde, an welchem weitere Fragen auf sie warteten. Kurz darauf griff er dann auch nach der inzwischen freien Hand von Senjuro, um ihre Finger etwas zittrig ineinander zu verschränken. Sein Herz klopfte für einige Sekunden unglaublich schnell, bevor es langsam zu seiner Ruhe zurückfand.

Dann konnte er auch zu Senjuro rüber sehen, dessen Gesicht inzwischen knallrot angelaufen war. Es war beruhigend zu wissen, dass nicht nur Tanjiro verlegen wegen solch kleiner Gestiken wurde.

 

„Wie viele Zahlen brauchen wir insgesamt?“, fragte Tanjiro fast zur Ablenkung nach, während ihm die warme Hand immer noch sehr bewusst war. Gefühlt schien Senjuro viel wärmer zu sein als ihre Mitmenschen. Vielleicht lag es an dem flammenartigen Haar? ... oder es war lediglich eine Einbildung von Tanjiro.

 

„Oh- ich- uhm ... Dreizehn Zahlen insgesamt. Die ersten vier haben wir, dann bekommen wir sicherlich beim nächsten auch nochmal vier und dann fünf Zahlen. Zumindest haben wir nur drei Koordinaten angegeben bekommen, wo wir die Fragezettel finden“, antwortete Senjuro, die Stimme ein wenig angespannter – bebender.

 

„Das muss wirklich viel Arbeit gewesen sein, oder? Wenn er für jedes Team verschiedene Standorte ausgesucht hat und so ...“

 

Senjuro atmete tief durch: „Kyojuro hat manchmal zu viel Energie und Motivation.“

 

„Definitiv“, gluckste Tanjiro, glücklicherweise schon entspannter.

Die Sorge blieb, aber zumindest jetzt würde man sie wohl kaum entdecken und wenn Rengoku-sensei wirklich etwas wissen oder ahnen sollte ...

 

... dann sollte Tanjiro es wohl eher willkommen heißen, als völlig verschreckt zu sein!

Happy Hug-a-Shark-day [Akaza x Kyojuro]

„Auf gar keinen Fall!“

 

„Komm schon, du siehst süß darin aus!“

 

Niemals!“

 

Akaza hatte bereits ein ganz rotes Gesicht aufgrund seiner Wut, welche nur wegen eines Idioten regelrecht aufblühte. Er hätte von Anfang an wissen sollen, dass dies der dümmste Gedanke war – aber als er zugestimmt hatte, herzukommen, hatte er nur auf seine Ruhe gehofft.

Vor ihm konnte man Dôma vorfinden. Sein Mitschüler und angeblich bester Freund. Dem würde Akaza noch in seinem Grab widersprechen, denn niemals würde er Dôma als irgendwas akzeptieren, was nicht völlig neutral zu bedenken war. Mitschüler war wirklich ausreichend!

Natürlich war es dennoch offensichtlich, dass er hier stand und den Bitten von Dôma nachgekommen war, obwohl er nicht einmal verstand, weshalb Dôma Interesse an dieser ganzen Aktion hatte! Akaza war sich sogar ziemlich sicher, dass sein idiotischer Mitschüler absolut kein Interesse hier ran hatte!

 

Dennoch standen sie nun hier. Akaza war mit Dôma gefühlt Stunden unterwegs gewesen – obwohl es vermutlich nicht ganz so lange war – und eigentlich genoss er es hier zu sein. Die Shonan-Küsten waren wunderschön und ein angenehmer Ort für einen Spaziergang, die Füße ins Wasser zu halten und den kühlen Luftzug zu genießen.

Leider waren die Temperaturen alles andere als ansprechend, was sollte man im Dezember auch schon erwarten!? Deshalb würde Akaza normalerweise nicht auf die Idee kommen, mit Dôma im Dezember an den Strand zu gehen – auch wenn es zumindest relativ leer war.

 

Eigentlich ging es aber um etwas anderes und wann immer Akaza seinen Mitschüler ansah, musste er das Gesicht verziehen.

 

Happy Hug-a-Shark-day!

 

Wer kam bitteschön auf diese dämliche Aktion und warum zog man sie im Dezember durch!? An sich war das nicht ganz so schlimm, Dôma trug dieses dämliche T-Shirt und hatte diesen noch dämlicheren Stand aufgebaut – oder eher dabei geholfen und die anderen vieles machen lassen. Es ging um Aufklärungsarbeit und darum Umarmungen zu verschenken, um dem Namen von diesem Feiertag gerecht zu werden.

Jemand wie Dôma, der ganz allgemein sehr touchy war – sehr zu Akaza's Missfallen – hatte sehr viel Spaß daran. Akaza hatte nicht gewusst, wozu er überhaupt kommen sollte, er hatte gedacht, dies diente nur, um Dôma zu bespaßen, weil dieser sich schnell langweilte.

Dabei gab es hier ausreichend viele Personen, mit denen sich Dôma beschäftigen konnte. Nun, dies war Akaza jetzt auch klar, denn immerhin wurde etwas anderes von ihm verlangte.

 

„Ich habe mit diesem Unsinn hier doch überhaupt nichts zu tun! Das ist dein Kram!“

 

„Akaza-dono~!“, jammerte Dôma weiterhin. „Es gibt sonst niemanden, der das Kostüm anziehen könnte! Biiiiitte!“

 

„Pff.... Nein!“

 

Akaza verschränkte stur die Arme vor der Brust und wandte sich ein wenig ab. Als ob es niemand anderen gab, Dôma hatte sicherlich nur falsche Versprechungen gemacht und Akaza musste darunter leiden! Aber genau deshalb würde er seinen Mitschüler auch nie als mehr ansehen. Ein Freund würde ihm nicht so eine Falle stellen!

 

„Tu es für die Haie!“

 

„Mir sind Haie völlig egal!“

 

„Das ist die falsche Einstellung, Akaza-dono. Du solltest für die Haie auf diesem Planeten da sein.“

 

„Warum interessierst du dich überhaupt dafür!? Normalerweise interessiert dich nichts, außer dass deine Frisur perfekt sitzt!“

 

„Das ist ganz schön gemein von dir!“

 

Dôma's Schmollen hatte absolut keine Wirkung auf Akaza, immerhin kannte er diese Nervensäge schon viel zu lange. Und dennoch endete es genau so, wie Dôma es wohl geplant hatte und Akaza konnte nicht sagen, wieso es genau so endete.

 

Er versteckte sein missmutiges Gesicht nicht, während er das Kostüm eines Hais trug, indem es zumindest wohlig warm war. Auch wenn das seinen inneren Hass auf diese Situation absolut nicht tilgte.

 

„Du siehst zuckersüß aus, Akaza!“, Dôma klatschte begeistert in die Hände, als er das Kostüm noch zu Recht zupfte.

 

Akaza konnte wohl froh darüber sein, dass dieses Kostüm zumindest eine Öffnung für sein Gesicht hatte und nicht rundherum zu war. Seine Arme hatte er in die Flossen des Kostüms stecken können, die vermutlich nur dazu da waren, damit er andere umarmen konnte.

 

„Ich werde dich hierfür umbringen“, zischte Akaza aggressiv.

 

Er würde es am liebsten jetzt gleich tun, doch glücklicherweise konnte er sich zurückhalten.

 

Lachend winkte Dôma seine Todesdrohung einfach ab: „Ich freue mich schon darauf! Aber jetzt sei ein guter Hai und schicke ein paar Leute zu unserem Stand, mach Fotos und verteilte ganz viele Umarmungen!“

 

Jap, er würde Dôma definitiv umbringen!

 

„Und vergiss nicht, diese Flyer zu verteilen!“

 

Und so fand sich Akaza nun also wieder. Er war als ein grauer Hai verkleidet, hielt Flyer in der einen Hand – alias Flosse – und sah dabei zu, wie Menschen an ihm vorbeiliefen. Oberhalb des Strandes war wesentlich mehr los, auch weil der Markt langsam eröffnete und die meisten für ihre Einkäufe hier waren.

Akaza hatte nie für irgendwas Werbung gemacht und er war auch nie eine Art Maskottchen gewesen – hinzukommend war er nicht der größte Fan davon, seine Mitmenschen anzulabern, geschweige denn zu umarmen.

Als er sich umdrehte und zu dem Stand zurücksah, an welchem Dôma sich zurückgezogen hatte, wurde er konfrontiert mit diesen dummen regenbogenfarbenen Augen, einem Lächeln und winkenden Händen.

 

Urks ... Er hatte wirklich keine Lust darauf.

 

„Mama! Mama! Da ist ein großer Hai! Ich will ein Foto mit ihm machen!“

 

Akaza seufzte schwer, jetzt ging es also los ... Er zwang sich zu einem Lächeln, als er sich umdrehte und ein kleines Mädchen entdeckte, welches mit ausgestreckten Arm auf ihn zeigte und gleichzeitig an der Hand ihrer Mutter zog.

 

Happy Hug-a-Shark-day!“, rief er lächelnd aus, während er die Arme ausbreitete. „Es gibt keinen Grund dafür, Haie als eine Gefahr anzusehen. Stattdessen sollten wir sie viel mehr mit Respekt begegnen und schützen, damit sie auch noch in vielen Jahrzehnten unsere Meere beheimaten!“

 

Akaza hoffte wirklich, dass er dies nicht den restlichen Tag tun musste ...

 

Aber es war nicht ganz so schrecklich, wie er gedacht hatte. Die meisten Personen gingen einfach an ihm vorbei – aber das war ihm am Ende lieber als irgendwelche Grüppchen, die Bilder mit ihm machen wollten und gehässig kicherten. Akaza würde auch lieber etwas anderes unternehmen.

Zukünftig sollte er einfach alles verneinen!

Das sollte ganz allgemein seine Devise sein ...

 

„Du machst das großartig, Akaza-dono!“

 

Schnaubend warf er seinem Mitschüler einen finsteren Blick zu, als er zu dessen Stand zurückkam, um etwas zu trinken. In seinen Augen lief diese Aktion nicht sehr erfolgreich ab, selbst wenn viele für die Fotos kamen, nahmen nur wenige Flyer mit und noch weniger kamen zum Stand, an welchem Dôma doch eigentlich stand, um Informationen zu verteilen.

Was das anbelangte, war es wohl wirklich kein Wunder, dass Dôma dort stand und nichts machte. Vermutlich hatte er die ganze Sache nur deshalb vorbereitet und angenommen, um Akaza zu quälen ...

 

Als er sich umdrehte, um nicht weiterhin in das eklige Lächeln sehen zu müssen, geriet ein großer Schluck Wasser in seine Luftröhre. Hüstelnd hielt er sich die Hand vor den Mund, ehe seine aufgerissenen Augen wieder aufsahen und-

 

„Alles gut, Akaza?“, fragte Dôma irritiert.

 

„Da ist Kyojuro!“

 

„Huh?“

 

„Und ich sehe aus wie ein gottverdammter Hai! Er darf mich nicht so sehen!“

 

Was machte Kyojuro überhaupt hier?! Ob er in der Nähe wohnte? Akaza hatte so viele Fragen, aber wichtig war gerade nur eins – er musste sich verstecken!

 

„Oh, du meinst den Kapitän vom Kendo-Club“, bemerkte nun auch Dôma, wovon Akaza die ganze Zeit sprach. „Und er hat sogar ein kleineres Ich dabei. Ob er weiß, wie man sich klonen kann?“

 

„Das ist sein jüngerer Bruder, du Idiot!“, zischte Akaza. „Und jetzt halt die Klappe und hilf mir gefälligst aus diesem Kostüm heraus!“

 

„Was? Nein! Du kannst es nicht schon ausziehen!“, erwiderte Dôma wieder jammernd.

 

„Auf gar keinen Fall werde ich mich so vo-“

 

„Hallo! Rengoku-san! Hiiiier!“

 

„Was tust du da!?“, entsetzt packte Akaza nach Dôma's hässlichen T-Shirt, um diesen durchzuschütteln.

 

„Er kommt rüber, Akaza-dono. Du solltest jetzt besser lächeln.“

 

Akaza war sich sicher, dass er jede Farbe im Gesicht verlor – dabei war er schon so ein blasser Mensch. Noch bleicher wurde er davon, wie er Schritte wirklich näher kommen hörte, bis sie stehen blieb. Seine Finger verkrampften sich weiterhin in Dôma's Kleidung, auch wenn dieser sich abwandte, als wäre nichts dabei.

 

„Schön dich zu sehen Rengoku-san! Weißt du, was heute für ein Tag ist?“

 

„Uhm ... Sonntag?“

 

Akaza bekam eine Gänsehaut. Das war eindeutig seine Stimme. Er musste sich zusammenreißen, um kein Wimmern über die Lippen zu bringen.

 

„Das ist natürlich richtig, aber wichtiger als das – es ist Hug-a-Shark-day!“, verkündete Dôma, während er Akaza's Hände nun doch endlich aus seinem Shirt löste, vielleicht auch, damit Kyojuro die Aufschrift darauf ordentlich lesen konnte. „Das heißt, es ist deine Gelegenheit, um einen Hai zu umarmen!“

 

Kyojuro lachte ein wenig, Akaza konnte spüren wie warm ihm jetzt in diesem Kostüm wurde.

 

„Aber da es wirklich wichtig ist, die echten Haie zu respektieren und nicht zu umarmen, haben wir hier unseren ganz eigenen!“

 

Er würde Dôma umbringen!

 

„Also kannst du einfach diesen hier umarmen!“

 

Und zwar so schnell wie möglich!

 

Doch jetzt konnte er nichts dagegen tun, Dôma drehte ihn komplett in die Richtung von Kyojuro, sodass er diesen nun endlich wieder ansehen konnte. Und da war dieses wunderschöne Gesicht mit dem strahlendsten Lächeln, dass er jemals bei jemanden gesehen hatte. Kyojuro strahlte immer wie die Sonne, ließ sein Herz ganz warm werden und verursachte ein Kribbeln in seinen Fingerspitzen.

 

„Oh, du bist es Akaza“, sprach Kyojuro dann aus.

 

Womit die geringe Hoffnung darauf, unerkannt zu bleiben, endgültig gestorben war.

 

„Hallo ... Kyojuro“, presste er hervor, ohne zu stammeln.

 

„Ich wusste nicht, dass du bei so einer Organisation dabei bist. Verkleidest du dich häufiger als Hai?“

 

„N-nein“, er warf einen bösen Blick in Dôma's Richtung, welcher aber dabei war Kyojuro's kleinen Bruder mit Flyern, Informationen und Pin's auszustatten. „Ich helfe nur aus, weil Dôma darum gebeten hat.“

 

„Wie freundlich von dir!“, erwiderte Kyojuro freudestrahlend.

 

Wenn Kyojuro wissen würde, dass Akaza darüber nachdachte, wie er Dôma töten konnte, würde dieser wohl nicht so von ihm denken. Doch er badete lieber in diesem glückseligen Lächeln, als die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen.

 

„Was, ähm ... tust du hier eigentlich? Wohnst du zufällig in der Gegend?“

 

Akaza war stets bemüht darum, die Aufmerksamkeit seines Mitschülers auf sich zu ziehen. Seitdem er gesehen hatte, wie Kyojuro dem Kendo-Club zum Sieg in den Meisterschaften verholfen hatte, war er Hals über Kopf verknallt gewesen. Es fing damit an, dass er gegen Kyojuro kämpfen wollte und endete darin, dass er so viel mehr mit ihm machen wollte. Leider schien Kyojuro keinerlei Signale zu erkennen oder Akaza war einfach nur unglaublich schlecht darin, Signale zu versenden.

 

Ihre Bekanntschaft war genau das geblieben – ganz egal was Akaza versuchte, es schien als würde Kyojuro auf Abstand bleiben wollte. Ein Gedanke, der sein Herz brechen ließ.

 

„Oh, nein. Wir kommen einfach nur für ein paar Einkäufe gerne hier zum Markt und manchmal helfe ich aus“, antwortete Kyojuro.

 

„Du hilfst- wo hilfst du denn aus?“

 

Kyojuro neigte ein wenig den Kopf, eine Gestik, die er immerzu machte während einer freundlichen Unterhaltung: „Bei einer älteren Dame, die Gemüse aus eigenem Anbau verkauft. Ich helfe ihr hin und wieder auch dabei, die Ernte zu bewältigen. Sie verkauft nicht viel, aber das, was sie verkauft, ist für die Spardose sozusagen. Dafür helfe ich gerne!“

 

Natürlich tat er das. Kyojuro war einfach ein herzensguter Mensch!

 

„Wie freundlich von dir“, erwiderte Akaza leise und mit einem kleinen Lächeln. „Vielleicht ... komme ich ja mal vorbei.“

 

„Mach das gerne! Ich werde dich so gut wie möglich beraten!“

 

Was musste Akaza nur tun oder sagen, damit Kyojuro ein wenig mehr von ihm wollte!? Ob er direkter sein sollte? Aber was, wenn Kyojuro ihn ablehnte? Argh ... Akaza machte sich normalerweise nicht so viele Gedanken, aber normalerweise war er nicht ernsthaft an jemandem interessiert.

 

Das alles war Fluch und Segen zugleich!

 

„Aniue, willst du auch so einen Pin?“

 

Akaza's Augen richteten sich sofort auf das kleinere Ebenbild von Kyojuro. Er hatte den kleinen Bruder bereits mal kennengelernt, als er zufällig in dieselbe Richtung gemusst hatte wie Kyojuro und gesehen hatte, wie dieser seinen kleinen Bruder abholte. Vielleicht hatte er sich noch mehr verliebt, als er gesehen hatte, wie unglaublich süß Kyojuro mit seinem Bruder umgesprungen war.

Normalerweise wäre das ein gigantischer Abtörner, für ihn, aber bei Kyojuro? Alles, was er bislang als uncharmant angesehen hatte, wurde bei ihm in ein anderes Licht gerückt. Vermutlich lag es einfach nur an Kyojuro.

 

Kyojuro. Kyojuro. Kyojuro ...!

 

„Ja gerne doch“, lächelnd ließ sich Kyojuro den Pin an die Kleidung stecken, auf diesem ein grinsender Hai zu sehen war, mit der neongelben Aufschrift Hug-a-Shark-day! Zumindest das sah auch bei Kyojuro noch sehr lächerlich aus.

 

„Hallo Senjuro“, begrüßte er den jüngeren Rengoku.

 

„Oh! Soyama-kun!“, fiepste der Junge eindeutig überrascht. „Das bist ja du!“

 

Akaza hatte fast vergessen, dass er dieses dämliche Kostüm trug.

 

„Ja ... ich bin es“, gestand er, sobald er sich von dieser Erkenntnis wieder erholt hatte.

So wie Senjuro aussah, hatte Dôma sein Bestes gegeben, um den Jungen mit lauter Zeug wegzuschicken. Auch er trug einen dieser dämlichen Pin's.

 

„Hey! Der Tag heißt nicht Hug-a-Shark-day, damit ihr euch nur unterhaltet. Ich will eine richtige Umarmung sehen!“, brüllte Dôma dazwischen.

 

Oh, er hasste diesen Idioten wirklich und sollte ihn unbedingt töten. Damit würde er der Welt gewiss einen Gefallen tun.

 

Senjuro kicherte ein wenig verlegen, aber tatsächlich rückte er als Erstes an ihn heran, während er zaghaft die Arme ausbreitete. Den kleinen Bruder seines Schwarms zu umarmen war auf jeden Fall besser als ein Haufen fremder Personen. Der Junge übte nur einen sanften Druck aus – nicht der Rede wert – und löste sich dann auch wieder, nachdem Dôma das Handy aus Kyojuro's Händen genommen und ein Foto gemacht hatte.

 

Damit könnte diese Situation – welche sowohl schrecklich als auch wundervoll war – nun endlich ihr Ende finden. Doch es wäre ja nicht Dôma, wenn er es dabei belassen würde.

 

„Jetzt bist du dran!“, meinte dieser daher rasch, während er auf Kyojuro zeigte. „Los! Umarmen!“

 

„Dôma-“, zischte Akaza bereits, während er mehr denn je anfing zu schwitzen.

 

„Umarmen! Umarmen! Oder bist du etwa dafür, dass Haie ausgerottet werden sollten!?“

 

„Äh- uhm ... nein, natürlich nicht“, antwortete Kyojuro mit einem verlegenen Auflachen, während er Senjuro wieder alles reichte, was dieser von Dôma bekommen hatte.

 

Und dann kam er näher.

 

Akaza war sicher, dass er kurz davor war, einfach in Ohnmacht zu fallen – ganz egal wie lächerlich das auch war. Unbeholfen versuchte er seinen Körper dazu zu bewegen, irgendwas zu machen, außer mit halb geöffneten Armen dazustehen, als wäre er versteinert worden.

Dann spürte er aber auch schon die Arme von Kyojuro um sich und er verfluchte dieses scheußliche Kostüm, denn dank dieser konnte er eindeutig nicht all das spüren, was er so gerne spüren würde. Er bekam so nur andeutungsweise mit, wie warm Kyojuro war – vielleicht war er wärmer als andere Menschen oder wärmer als Akaza selbst zumindest. Natürlich spürte er ein wenig von der Kraft, aber es war nicht ansatzweise damit zu vergleichen, was er während eines Kampfes zu spüren bekam.

 

„Und jetzt lächeln!“, befahl Dôma ihnen.

 

Akaza war sich sicher, dass sein Lächeln alles andere als vorzeigbar war, so angespannt wie er sich gerade fühlte. Dennoch schoss Dôma eine handvoll von Fotos – wesentlich mehr als bei Senjuro – aber schließlich war er fertig.

 

„Alles klar, ich bin fertig!“

 

Jetzt hatte er sich so daran gewöhnt, dass er es sofort vermisste, als Kyojuro sich von ihm löste. Immerhin hatte er sich zumindest ein wenig anlehnen können ... Doch jetzt lösten sich die Arme von Kyojuro von ihm und es wohl nun an der Zeit war, sich zu trennen.

Akaza wusste nicht, wie froh oder traurig er darüber sein sollte, aber er löste seine Arme natürlich, die ohnehin recht nutzlos bei dieser Umarmung gewesen waren. Sie waren eher steif wie bei einer Puppe gewesen.

Doch inzwischen hatten sie sich voneinander getrennt, und Kyojuro war kurz davor, mit seinem Bruder zu verschwinden.

 

„Kyojuro!“ Akaza hatte selbst nicht damit gerechnet, seine Stimme zu hören, aber sein Mitschüler hielt wirklich inne.

 

„Was ist denn, Akaza?“, erwiderte er fragend.

 

Und dann sah er in diesen flammenden Augen, das perfekte Lächeln und ... bekam weiche Knie.

 

„... bis morgen in der Schule.“

 

Obwohl er versuchte wegzusehen, erkannte er doch, dass Kyojuro irgendwas anderes erwartet zu haben schien, aber wenn dies wirklich der Wahrheit entsprach ... dann, sprach Kyojuro es nicht aus. Stattdessen behielt er sein perfektes Lächeln aufrecht,

 

„Ja, bis morgen, Akaza.“

 

Auch als die Brüder sich abwandten und ihres Weges gingen, starrte Akaza ihnen nach und winkte mit einer Flosse, als würden sie das wirklich sehen. Nur um einen Moment später aufzustampfen und einen kleinen Schrei herauszulassen, welchen er mit seinen Händen in den Flossen abdämpfte, um niemanden zu verschrecken.

Was er vermutlich dennoch tat.

 

„Ohhh, armer kleiner Akaza-dono“, flötete Dôma und tätschelte den Haikopf, wie bei einem Kind.

 

An dieser Aktion war absolut nichts Tröstendes. „Halt ja die Klappe!“

 

„Ist ja gut“, beschwichtigend hob Dôma seine Hände, trug dabei aber weiterhin ein freches Lächeln auf den Lippen. „Bevor du mich verfluchst oder gleich versuchst mal wieder zu schlagen, wirf mal einen Blick auf dein Handy.“

 

Akaza würde lieber einfach nur zuschlagen, aber er konnte dem wohl ausnahmsweise entgegenkommen. Grummelnd kramte er also sein Handy hervor und konnte bereits auf dem Display erkennen, wie er eine neue Nachricht erhalten hatte.

 

Ein Foto.

 

Misstrauisch öffnete Akaza die Nachricht – welche wenig überraschend von Dôma stammte –, um sich das Bild anzusehen. Er kannte Dôma lange genug, um Schreckliches erwarten zu dürfen, doch zum vielleicht ersten Mal in ihrem Leben, zeigte sich sein nerviger Mitschüler fast schon hilfreich.

 

„Ich habe ein Bild mit meinem Handy geschossen, ist es nicht hübsch? Ach, du siehst so verloren darauf aus“, neckte Dôma ihn dennoch.

 

Aber dieses Mal ignorierte Akaza die Neckerei geflissentlich, genauso wie die pink-glitzernden Worte, welche Dôma dem Foto hinzugefügt hatte.

 

Happy Hug-a-Shark-day!

Schneestille [Kyojuro x Nezuko]

Der Winter erinnerte Tanjiro stets an den Tod seiner Familie.

 

Wenn der Schnee wieder so hoch war, dass seine Uniform an den Waden durchnässte und ein Vorwärtskommen schwieriger wurde, hatte er ein schweres Gefühl auf den Schultern und eine Angst im Brustkorb.

Er wusste, dass es vorbei war, doch hin und wieder verlor er sich in der schneeweißen Melancholie.

 

Vielleicht wurde diese Melancholie auch dadurch ausgelöst, dass er gerade alleine unterwegs war. Normalerweise war zumindest Nezuko bei ihm, natürlich in der Kiste auf seinem Rücken, aber nichtsdestotrotz wäre sie sonst bei ihm. Nach der Sache am Mugen Train hatte seine Schwester wieder ein wenig Schlaf zur Erholung gebraucht – und mit ihr, auch Rengoku-san!

 

Auch jetzt noch befürchtete Tanjiro stets, dass er eine Nachricht erhalten würde, welche den Tod der Flammensäule verkündete. Wenn auch mit der Erinnerung, dass Kocho-san gut darüber gesprochen hatte, dass es ihm gut gehen würde, blieb die Besorgnis erhalten. Als er zuletzt im Schmetterlingsanwesen gewesen war, hatte Rengoku-san immer noch im Koma gelegen und seine Schwester hatte tief und fest geschlafen. Normalerweise hätte er sie wohl dennoch mit sich genommen, aber so tief und fest im Schlaf war es doch schwer, sie in die Kiste zu bekommen. Daher war er froh darüber gewesen, dass man mit ihrer Anwesenheit dort einverstanden war.

Natürlich wusste er nicht, wie viel Oyakata-sama mit dieser Entscheidung zu tun hatte, aber er vertraute Kocho-san natürlich!

 

Er hätte eigentlich schon am Vortag wieder ankommen sollen, doch ein wahrer Schneesturm hatte ihn aufgehalten und zugeschneit. Glücklicherweise hatte es schnell genug abgenommen und dafür herrschte jetzt eine totale Stille. Der Schnee war immer noch hoch genug, aber bislang schien es nicht so, als würde es wieder anfangen zu schneien. Nun, sobald er im Schmetterlingsanwesen angekommen wäre, könnte es ihm vorerst egal sein.

 

Als er das Anwesen bereits von weiten erkennen konnte, überkam ihn Erleichterung und radierte die restliche Melancholie aus. Er versuchte sich etwas schneller zu bewegen, auch wenn der Schnee es ihm schwer machte, genauso wie seine Füße, die sich eiskalt und taub anfühlten.

Mit jedem Schritt kam er dem Anwesen näher, bis er wirklich ankam und sich schon viel geschützter vor Wind und Wetter fühlte. Er begrüßte Sumi, Kiyo und Naho und blieb auch einen Moment bei ihnen stehen, statt einfach vorbeizulaufen.

 

„Nezuko ist aufgewacht, Tanjiro!“

„Und Rengoku-sama ebenfalls!“

„Sie sind beide aufgewacht!“

 

Wenn die drei Mädchen nicht genau diese Sachen an- und ausgesprochen hätten, dann wäre er sicherlich für ein Gespräch dageblieben. Hoffentlich nahm das Trio es ihm nicht übel, dass er jetzt aber förmlich davon stürmte.

„Ich komme später nochmal zu euch!“, rief er sich über die Schulter, während er sich weiter entfernte.

 

Sein Gesicht brannte, weil die angenehme Wärme auf seine kalten Wangen trafen, seine Finger kribbelten und seine Füße waren immer noch taub. Dennoch steuerte er direkt das Zimmer an, in welchem Nezuko geschlafen hatte.

Doch irritiert musste er wahrnehmen, dass sie nicht in ihrem Zimmer war. Tanjiro sah sich um, während er auch begann, seine durchnässte und voll beschneite Kleidung ablegte. Es wäre besser für seine Gesundheit schnell etwas Trockenes anzuziehen.

 

„Nezuko?“, fragte er in den Raum. „Nezuko!“

 

Ob sie sich versteckte? Auch wenn keine Sonne schien, weil sie bereits untergegangen war, aber auch so nicht durch den bewölkten Himmel schaffte. Als er die Schränke öffnete, hatte er bereits die Hoffnung seine Schwester zu sehen, aber sie war nicht aufzufinden. Schnell begann Tanjiro sich umzuziehen, verhedderte sich etwas in den Ärmeln und Hosenbeinen, aber schließlich trug er die weiße Kleidung des Anwesens und stolperte nun weiter durch eben jenes.

Besorgnis kroch in ihm hoch, aber er war sich sicher, dass man Nezuko nicht herausgeschmissen hatte. Schon gar nicht, wenn er sich in Erinnerung rief, wie glücklich Sumi, Kiyo und Naho gewesen waren!

 

„Kamado-kun!“

 

Tanjiro blieb abrupt stehen, als er die besonders laute Stimme vernahm, welche sein Herz kurz still stehen und dann schnell weiterschlagen ließ.

 

Sie sind beide aufgewacht!

 

Sofort drehte er sich in die Richtung, aus welcher die Stimme gekommen war, die Tür zu einem Zimmer war halb aufgeschoben und offenbarte die immer noch verletzte Flammensäule. Dennoch wirkte er lebensfroh und munter, seine Haut hatte wieder Farbe und seine Lippen waren zu einem Lächeln geformt. Das linke Auge war verdeckt von einem dicken Verband, der auch ein wenig vom Haar zurückdrängte.

 

„Rengoku-san“, erwiderte Tanjiro glücklich, als er die Tür weiter aufschob und eintrat.

 

Und dann wurde er überrascht.

 

„Nezuko!“

 

Seine burgunderfarbenen Augen klebten sofort an seiner kleinen Schwester, welche es sich im Bett der Flammensäule bequem gemacht hatte. Sie lag auf der dicken Decke, vermutlich auf den Beinen des Hashira und schien sich dort auch sehr wohl zu fühlen.

Träge öffnete sie ihre Augen, als hätte sie gerade wieder tief und fest geschlafen und hob ihren Kopf ein wenig, um zu ihm zu sehen.

 

„Hmmhmm!“, murmelte sie und richtete sich mit erhobenen Fäusten auf.

 

„Sie hat mir etwas Gesellschaft geleistet, seitdem ich aufgewacht bin“, erklärte Rengoku-san immer noch lächelnd und tätschelte sanft den Kopf des Mädchens.

 

Tanjiro konnte ganz genau erkennen, wie sie über das ganze Gesicht strahlte und sich an die Hand der Flammensäule schmiegte. Irgendetwas darin ließ sich Tanjiro fehl am Platz, ja befremdlich fühlen. Vielleicht war es einfach die Tatsache, dass niemand außer ihm, Nezuko so den Kopf tätschelte und kraulte?

 

Zumindest ... bisher.

 

„Wie lange seid ihr denn schon wach?“, fragte er nach, ohne diesem Gefühl nachzugehen.

 

„Oh, hm“, Kyojuro neigte nachdenklich den Kopf und senkte seine Hand wieder. „Vier Tage, denke ich, sind es jetzt. Als ich aufgewacht bin, war Nezuko bereits bei mir. Kocho-san meinte, dass sie sich wohl jedes Mal hineingeschlichen hat, sobald die Sonne untergegangen war.“

 

Tanjiro näherte dem Bett, um am Fußende Platz zu nehmen: „Ich verstehe ...“

 

„Ja. Sie meinte auch, es könnte ein Beschützerinstinkt sein.“

 

„Oh“, Tanjiro riss die Augen auf und sah zu seiner Schwester herunter, welche auf dem Bett kniete und missmutig nach der Hand von Kyojuro fischte, um sich diese wieder auf den Kopf abzulegen. „Das ist natürlich gut möglich.“

Ohne Nezuko wäre Kyojuro vielleicht tot. Sie war im Kampf zwischen Kyojuro und dem hochrangigen Dämon im richtigen Moment aufgetaucht, hatte sie Faust so gut es ging abgefangen, welche sich in Kyojuro's Oberkörper gebohrt hatte. Das alles hätte wirklich anders enden können, wenn Nezuko nicht aufgetaucht wäre und vielleicht hatte das wirklich einen Beschützerinstinkt animiert?

„Wie geht es dir denn jetzt im Moment?“, fragte er nun nach wie vor besorgt nach.

 

„Ich bin in Ordnung“, antwortete Kyojuro sofort lächelnd. „In wenigen Tagen werde ich das Bett wieder endgültig verlassen können und wieder auf eine Mission gehen!“

 

„Ah? Wirklich?“, hakte Tanjiro nach.

 

Er wagte dies sehr anzuzweifeln, doch nicht nur er, wie es schien. Nezuko's Brummen und Grummeln wurde lauter und sie schüttelte auch den Kopf, während sie etwas böse guckte. In dieser Form wirkte es jedoch absolut nicht bedrohlich. Blinzelnd sah er zu seiner Schwester, welche ihren fast bösen Blick auf Kyojuro gerichtet hielt.

 

„Wenn es nach mir geht, zumindest schon. Offenbar haben sich aber Kocho-san und Nezuko zusammengeschlossen und gegen mich verschwört!“, verriet die Säule. Auflachend

 

„Dann solltest du wirklich darauf hören. Kocho-san wird sicherlich am besten einschätzen können, wie viel Ruhe du brauchst, Rengoku-san!“, befürwortete Tanjiro indessen auch.

 

„Drei gegen einen ...“, erwiderte Kyojuro. „Da wird es immer schwerer, mich durchzusetzen!“

 

„Hmmmhmpf!“

 

Kyojuro ächzte auf, als sich Nezuko fast schon gegen ihn warf und dazu zwang, wieder mehr nach hinten zu sacken.

 

Tanjiro konnte nichts dagegen tun. Dieser Anblick blieb einfach seltsam, wie sich Nezuko an die Flammensäule drückte und im Grunde auf dessen Schoß setzte ... Ob es lediglich daran lag, dass so etwas bislang nie passiert war?

 

„Macht sie ... das häufiger?“, fragte er zaghaft nach.

 

Kyojuro hatte einen Arm um Nezuko gelegt, ehe er zu Tanjiro zurücksah: „Nicht wirklich“, antwortete er dann schulterzuckend. „Aber sie verbringt ihre Zeit ganz allgemein nur noch bei mir im Bett. Keine Sorge, es stört mich nicht. Sie ist so klein und zierlich, und das Bett dagegen ist recht groß. Meistens legt sie sich eigentlich nur über meine Beine, wie vorhin als du hereingekommen bist.“

 

Warum fühlte sich das für Tanjiro beunruhigend und beruhigend zugleich an?

 

„Und wenn ich mal die Erlaubnis bekomme, mich zu bewegen, dann begleitet sie mich auch immer. Zumindest wenn wir sicher sein können, dass keine Sonne an die Orte kommt. Sie ist wirklich eine große Hilfe, vor allem dabei, dass ich mich nicht zu Tote langweile!“

 

„Es ist schön, dass ihr euch so gut versteht!“, meinte Tanjiro lächelnd.

 

Das war es ja auch wirklich. Kyojuro war eine Person, zu der Tanjiro aufsehen konnte – mutig und immer für andere da. Vielleicht war es auch das, was Nezuko anzog?

 

„Das empfinde ich genau so!“, erwiderte Kyojuro lächelnd. „Sie ist wirklich wundervoll! Ich kann sehr gut verstehen, warum du all das für sie tun willst. Nun, sie erinnert mich tatsächlich auch an meinen jüngeren Bruder.“

 

Das Lächeln der Säule wurde sanfter und Tanjiro fühlte sich nicht mehr so seltsam in Bezug darauf, wie sehr sich Nezuko scheinbar an die Säule kuschelte.

 

„Dein Bruder ist sicherlich ganz wundervoll, Rengoku-san!“

 

„Ja, das ist er! Er wird sicherlich auch wieder zu Besuch kommen, dann könnt ihr ihn auch bestimmt mal kennenlernen.“

 

„Das würden wir sehr gerne. Zumindest, wenn wir dann da sind.“

 

„Richtig, richtig... Wie ist es dir während deiner Mission ergangen, Kamado-kun? Du siehst auf jeden Fall unverletzt aus!“

 

Tanjiro lächelte und nickte: „Ja, mir geht es gut. Es war glücklicherweise eine leichte Mission und niemand wurde verletzt.“

 

„Großartig!“, brüllte Kyojuro beinahe, ehe er zu Nezuko heruntersah. „Hast du gehört, Nezuko? Dein Bruder hat seine Mission erfolgreich bewältigt und niemand wurde verletzt. Er wird zu einem wundervollen Hashira heranwachsen!“

 

Nezuko löste sich etwas, um richtig zu Kyojuro aufsehen zu können, ehe sich ihre Züge zu einem Strahlen verzogen und sie rasch nickte. Dann streckte sie sich hoch und stieß ihren Kopf gegen den von Kyojuro – Stirn an Stirn. Anschließend drückte sie sich wieder einfach gegen dessen Oberkörper und schloss scheinbar zufrieden die Augen.

 

Tanjiro fasste sich selbst an die Stirn, während er Kyojuro etwas glucksen hörte. „Macht sie das häufiger?“

 

„Ab und an. Beim ersten Mal hat sie mich fast wieder direkt ins Koma fallen lassen“, lachte die Flammensäule. „Kocho-san fand das gar nicht lustig, aber das war nur einmal passiert und seither ist sie wesentlich vorsichtiger und sanfter ... Und verkuschelt. Ist sie im Normalfall immer so verkuschelt?“

 

„Oh- ähm ... Ja, zumindest mir gegenüber.“

 

Wenn Zenitsu das sehen würde, würde er wohl in die Luft gehen.

 

„Nun, mir macht es nichts aus“, sagte Kyojuro ganz entspannt.

 

Vermutlich sieht er sie wie eine Schwester, Tanjiro lächelte entspannt. Auch wenn sie ihm etwas zu sehr auf die Pelle rückt, für eine Schwester.

 

„Zu meiner nächsten Mission werde ich sie definitiv wieder mitnehmen, Rengoku-san.“

 

„Hmpfpff!“, machte Nezuko enttäuscht, während sie sich förmlich noch mehr an die Flammensäule drückte.

 

„Natürlich. Das ist sicherlich wichtig für euch beide. Gemeinsam werdet ihr unaufhaltsam sein!“

 

Tanjiro nickte ein wenig, er fühlte sich wohler damit, wenn Nezuko einfach bei ihm war. Doch jetzt gab es einen weiteren Grund; seine kleine Schwester sollte einem erwachsenen Mann sicherlich nicht so auf die Pelle rücken. Selbst wenn es Kyojuro nichts auszumachen schien.

 

War es an der Zeit für ein ernstes Gespräch zwischen einem großen Bruder und seiner kleinen Schwester? Dabei hatte er nicht geglaubt, dass es so wie es jetzt war, dazu kommen würde, dass mal so ein Gespräch geführt werden müsste!

 

„Alles in Ordnung, Kamado-kun?“

 

„Hm?“

 

„Du scheinst etwas in Gedanken zu sein. Ist irgendwas passiert?“

 

Tanjiro trug sein Lächeln weiterhin auf dem Gesicht, als er zu Nezuko sah, welche ihr Gesicht im Grunde an Kyojuro's Hemd rieb und völlig glückselig wirkte – wie ein Kätzchen.

 

„Es ist alles in Ordnung, ich bin nur etwas müde, Rengoku-san!“

 

Sicherlich würde eine neue Mission nicht lange auf sich warten lassen, solange es draußen so still war und kein neuer Schneesturm sie überraschen würde ... Also hoffte Tanjro definitiv auf Schneestille.

Rodelspaß [Senjuro x Nezuko]

Mit einer Augenklappe unterwegs zu sein, war für Kyojuro nach wie vor etwas ungewohnt. Seitdem er sich jedoch auch außerhalb vom Bett bewegen durfte, lernte er immer besser damit umzugehen. Er war noch nicht bereit um in den Kampf zu ziehen, aber sobald er auch endlich wieder richtig trainieren durfte, würde er das immer besser lernen.

Im Moment genoss er es einfach, ein wenig spazieren zu dürfen. Natürlich immer noch mit einer Begleitung an seiner Seite, doch seitdem er nach Hause gereist war, war dies wirklich kein Problem mehr. Senjuro war die meiste Zeit bei ihm, wenn er nicht aufgrund von Einkäufen oder anderer Erledigungen unterwegs war. Wenn dies der Fall war, war es oftmals sehr still im Anwesen seiner Familie.

 

Dennoch sah sein Vater hin und wieder nach ihm. Meistens dann, wenn er glaubte, dass Kyojuro tief und fest schlief.

 

Natürlich war dies nicht großartig oder das Beste, was ein Vater tun konnte, aber es war ein Hinweis darauf, dass sich etwas verändert. Genauso wie Senjuro mitbekam, dass er kaum noch Sakeflaschen wegräumen musste und das Zimmer ihres Vaters nicht mehr stark danach roch. Kyojuro gab sich mit kleinen Schritten zufrieden. Es gab für ihn kaum etwas Besseres, als sein Vater, der anfing auf sich zu achten.

 

Doch seit einigen Stunden war ihr Zuhause nicht mehr ganz so still. Die Kamado-Geschwister waren zu Besuch gekommen. Kyojuro hatte lachend bemerkt, wie Nezuko sofort zu ihm ins Bett gekrochen kam und sich ankuschelte, obwohl Tanjiro ein wenig verlegen aufgrund dessen gewirkt hatte. Dabei hatte er sich daran gewöhnt, dass die Dämonin bei ihm im Bett lag und das war in Ordnung.

 

Senjuro's Anwesenheit schien jedoch für Irritation oder auch Begeisterung bei Nezuko zu wirken.

 

Sein Bruder war mit einem Tablett aufgetaucht, auf welchem sich Tee und Tassen für sie alle befanden. Die Augen von Nezuko schienen an seinem kleinen Bruder zu kleben. Kyojuro konnte sich gut vorstellen, dass dies mitunter an ihrer äußerlichen Ähnlichkeit lag. Vielleicht irritierte dies ja die Dämonin? Andererseits schätzte Kyojuro Dämonen im Allgemeinen so ein, dass sie durch Gerüche oder sehr Unterschiede erkennen konnte, wer vor ihr war.

 

Solange es nicht negativ war, war es Kyojuro einerlei.

 

Nezuko blieb bei ihm im Bett sitzen, während sie alle gemeinsam ihren Tee tranken und sich ruhig miteinander unterhielten. Nun, auch wenn Kyojuro selten ruhig sprechen konnte. Er war immer ein wenig laut bei seinen Erzählungen, ganz egal, ob es um seine Gesundheit ging oder um irgendwelche Missionen.

 

„Leider sind all die Bücher über Atemtechniken, die wir besitzen, nicht im besten Zustand“, merkte er soeben nachdenklich an. „Ich könnte aber versuchen, sie wieder halbwegs herzustellen, vielleicht mit der Hilfe meines Vaters oder mit der von Senjuro.“

 

Er hatte auch die Schriften über die Flammenatmung erneuern müssen, damit er dazu fähig war, sie zu erlernen. Sein Vater hatte immerhin abgelehnt, ihn damals zu trainieren. Aber die Bücher wieder lesbar zu machen war alles andere als einfach gewesen, und noch immer fehlten ihm ein paar der Atemtechniken, die er nie gelernt oder gesehen hatte. Glücklicherweise war Kyojuro stets sehr optimistisch und glaubte daran, auch diese noch zu erlernen!

 

„Nur wenn es nicht zu viele Mühen macht, Rengoku-san!“

 

„Ach“, lächelnd winkte Kyojuro ab. „Ich bin ohnehin noch ein wenig ans Bett gefesselt. Kocho-san ist noch nicht zufrieden damit, wie es mir körperlich geht, und möchte sogar Gespräche führen, um sicherzugehen, dass ich psychisch noch dazu fähig bin, wieder in den Kampf zu ziehen!“

 

„Oha? Ich wusste gar nicht, dass Kocho-san für so etwas zuständig ist“, blinzelte Tanjiro ihm entgegen.

 

Kyojuro hob die Schultern: „Nun, sie hilft bei allen gesundheitlichen Problemen und dabei gehört das alles dazu. Meistens müssen solche Gespräche nicht geführt werden, weil Dämonenjäger entweder sterben oder leben. Bei mir war es irgendwie ... mehr von Ersterem!“, lachte er auf.

Er hatte nicht das Gefühl, diese Nahtoderfahrung hatte ihn verändert, aber wenn Shinobu sich nochmal absichern wollte, dann war dies für ihn auch in Ordnung. Sicherlich fühlte sich auch Senjuro damit besser, welcher ebenso besorgt um ihn war. Kyojuro würde lügen, wenn er behauptete, dass es nicht ein wenig schön war, dass sich so viele Personen um ihn sorgten.

„Aber ich bin sicher, dass ich bald wieder Dämonen bekämpfen kann! Vielleicht werden wir ja auch wieder gemeinsame Missionen haben, junger Kamado!“

 

„Ja- ich ... das wäre großartig!“

 

„Sehr schön! Jetzt lasst uns spazieren gehen!“

 

Seitdem Kyojuro die Erlaubnis bekommen hatte spazieren zu gehen und sich allgemein zu bewegen, nutzte er dies nur zu gerne aus. Den ganzen Tag im Bett zu liegen war einfach nicht sein Ding, schon gar nicht seitdem es ihm nun wieder besser ging. Er war voller Energie, auch wenn ihn diese auch schnell wieder verließ.

Daher waren Pausen definitiv wichtig, aber da sie sich auf dem Gelände vom Haus seiner Familie aufhalten würden, gäbe es immer Orte um sich auszuruhen.

 

„Aniue ...“, seufzte Senjuro etwas, aber vermutlich wusste er, dass man Kyojuro nicht immer zu im Bett behalten konnte. „Dann zieh dich aber warm an. Es hat letzte Nacht extrem viel geschneit. Oh nein! Ich habe nicht einmal die Wege frei geschippt!“

 

„Das ist doch kein Problem“, winkte Kyojuro entspannt ab.

 

Tanjiro nickte glücklicherweise ebenfalls: „Richtig! Ich kann dir dabei helfen, dann geht es sowieso viel schneller!“ Sein Blick ging anschließend aber etwas traurig in die Richtung seiner Schwester. „Aber Nezuko muss wohl drinnen warten ...“

 

„Meinst du?“, fragte Kyojuro nach, der sich bereits aus den Decken befreite. „Soweit wir wissen, ist doch das Sonnenlicht gefährlich für Dämonen, richtig? Und der ganze Himmel ist bedeckt, dass kein einziger Sonnenstrahl herauskommt – vielleicht kann sie sich also frei bewegen?“

 

Nezuko sah aufmerksam zwischen ihnen allen Hin und Her, auch wenn sie sich nicht mitteilen konnte. Ihre Augen klebten letztendlich also wieder an Tanjiro, welcher nachdenklich den Kopf neigte.

 

„Das könnte stimmen, Rengoku-san.“

 

Was natürlich beunruhigend sein konnte. Immerhin würde dies bedeuten, dass sich alle Dämonen bei solch einem Wetter frei bewegen könnten, und das wäre alles andere als schön. Auch wenn es jetzt gerade zu ihrem Vorteil war.

 

„Sie könnte ja nur einmal die Hand ausstrecken und wenn es doch ... na ja ... nicht gut für sie ist, wird sie es vermutlich bemerken, aber nur mit einer minimalen Verletzung!“

 

Tanjiro wirkte nicht ganz überzeugt, aber vermutlich würde er es Nezuko dennoch vorschlagen. Kyojuro zog sich erst einmal ins Badezimmer zurück, damit er sich ordentlich ankleiden konnte, mit gefütterter Kleidung, wie von Senjuro gewünscht oder eher angewiesen. Alles dauerte ein wenig länger, weil er sich nach wie vor nicht so gut bewegen konnte wie vorher.

Das Loch in seinem Oberkörper war zwar dabei gut zu verheilen, aber es war immer noch eine sehr schlimme Verletzung gewesen, welche Zeit brauchte, um zu heilen und ihn während dieser Zeit durchaus daran hinderte, sich zu viel oder zu schnell zu bewegen. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt – daran, sich langsamer bewegen zu müssen, aber mehr als das ... nun, dass hin und wieder ein ziepender Schmerz ihn daran erinnerte, weshalb er sich langsamer bewegen sollte.

 

Dennoch schaffte er es schließlich sich anzukleiden und als er aus dem Badezimmer kam, waren die Türen weit geöffnet, die zum Garten hinausführten. So schnell es ihm möglich war, zog er sich noch eben ein Paar Stiefel an und wickelte sich in ein Tuch, welches vor allem seinen Hals schützen würde. Anschließend rückte er die Augenklappe zurecht, ehe er nach draußen kam. Glücklicherweise brauchte er auch nicht mehr seinen Gehstock, sondern kam ohne diesem gut zurecht.

Als er jetzt nach draußen trat, entdeckte er schnell Tanjiro und Senjuro, welche zumindest ein wenig den Schnee weg schippten. Sodass die Wege freigelegt wurden, ging sein Blick weiter und so entdeckte er auch prompt Nezuko, welcher sich durch den Schnee rollte – offensichtlich ohne ein Problem mit Sonne, die nicht da war. Da hatten sie wohl Glück mit dem bedeckten Himmel.

 

Lächelnd trat auch Kyojuro von der Engawa in den Schnee, der ihm bis über die Knöchel ging. Es dauerte nicht lange, bis Nezuko an seine Seite gerannt kam, sie bewegte sich trotz des hohen Schnees leichtfüßig und schnell, es störte sie vermutlich nicht weiter. Er tätschelte sanft ihren Haarschopf, während Tanjiro dabei war, den direkten Weg zur Engawa energiegeladen aufzuräumen und frei zu schippen, sodass sich vor allem Kyojuro etwas besser fortbewegen konnte.

Die zwei Jungen schafften es sehr schnell, die Wege so weit wie möglich freizuräumen, dass man sich halbwegs gut bewegen konnte, was es auch Kyojuro leichter machte.

 

„Oh, wie wäre es, wenn wir den Schlitten holen, Senjuro? Dann können wir zu dem Hügel in der Nähe gehen“, schlug Kyojuro nun vor. „Auch wenn ich dieses Mal wohl nicht mit rodeln kann ...“

 

„Aber Aniue ... Dafür bin ich doch bereits viel zu alt!“

 

Kyojuro blinzelte ein wenig, ungläubig, was er da gerade zu hören bekam. Zu alt!

„Was soll denn das heißen? Man ist nie zu alt für Spaß!“

Und wenn doch, dann definitiv nicht Senjuro! Sein kleiner Bruder war doch erst süße 14 Jahre alt!

 

Senjuro seufzte so, als würde Kyojuro ihn nicht verstehen. Was eindeutig lächerlich war!

 

„Also Nezuko würde sicherlich Spaß daran haben“, warf Tanjiro lächelnd ein. „Als wir ... also, früher waren wir gerne alle zusammen rodeln.“

 

„Dann ist es beschlossen!“

 

Kyojuro war sich sicher, dass auch Senjuro Spaß daran haben würde, auch wenn dieser ein wiederholtes Mal seufzte. Schließlich ging Senjuro ihren Schlitten holen, während sie bereits an das Tor gingen, welches zu dem Weg außerhalb des Anwesens führen würde. Er warf einen Blick zurück, aber von seinem Vater war zumindest nichts zu sehen. Er hatte sich jedoch schon frühzeitig zurückgezogen, weil Besuch erwartet wurde. Kyojuro nahm es ihm nicht übel, immerhin hatte er bereits die Bemühungen bemerkt, die sich ihr Vater machte.

 

Es dauerte schließlich nicht lange, bis Senjuro mit dem Schlitten auftauchte, den er hinter sich her durch den Schnee zog.

Kyojuro konnte förmlich sehen, wie sich Nezuko's Augen fröhlich weiteten, als sie mit zarten, schnellen Schritten auf seinen Bruder zuging, um sich den Schlitten anzusehen. Kurz darauf platzierte sie sich mit beinahe jubelnden-fröhlichen Geräuschen auf eben jenen Schlitten und streckte die Arme glücklich nach oben aus.

 

„Siehst du! Es war eine großartige Idee!“, triumphierte Kyojuro grinsend, als er seinem Bruder den Kopf tätschelte.

 

„Ich kann sie ziehen, wenn es auf Dauer zu schwer wird, Senjuro“, bot nun Tanjiro an.

 

Der junge Kamado war es gewohnt, seine jüngere Schwester auf dem Rücken zu tragen, daher wäre es nicht weiter schwer, sie jetzt auch hinter sich herzuziehen.

Senjuro ging einen Schritt und zog Nezuko versuchsweise mit sich, ehe er wieder zu Tanjiro blickte.

 

„Es wird gehen, aber ich sage etwas, wenn es doch zu schwer wird.“

 

Mit einem weiteren Nicken von Tanjiro, konnten sie dann auch losgehen. Dadurch, dass Kyojuro sich allgemein langsamer fortbewegte, war ihr Tempo ohnehin gedrosselt und für Senjuro wohl sehr leicht zu verfolgen. Hin und wieder hörte man Nezuko irgendwas hinter dem Bambus in ihrem Mund brummen, aber es klang alles immerzu fröhlich. Der Himmel blieb bedeckt, aber zur Not hatte Tanjiro auch die Box bei sich, damit sich Nezuko schnell darin verstecken könnte.

Es war natürlich ein durch und durch ungewöhnlicher Ausflug, aber Kyojuro empfand dies definitiv nicht als negativ.

 

Er genoss allen voran die frische Luft und die Bewegung, die er endlich bekam – und das auch noch in angenehmer Gesellschaft!

 

Der Hügel war nicht weit entfernt, sodass sie ihn bald schon erreichten – ein Riese, bedeckt von Schnee. Kyojuro hatte es immer geliebt, mit Senjuro herzukommen, wenn die Wintermonate angebrochen waren und der Schnee sich wie heute auch ansammelte. Er hatte sich niemals zu alt dafür gefühlt und dass er jetzt zum vermutlich ersten Mal nicht rodeln konnte ...

 

Es war schon ein wenig traurig!

 

Kyojuro dachte darüber nach, ob es nicht doch möglich wäre, seine Verletzungen waren ja schon gut verheilt und er könnte sich sicherlich auf einen Schlitten setzen und rodeln! Nur musste er das wohl alleine machen, denn Senjuro schien dafür zu alt zu sein.

 

Was auch immer das bedeuten sollte ...

 

Als er jedoch sah, wie Nezuko vom Schlitten aufstand und nach Senjuro griff, blinzelte er für einen Moment irritiert. Sein kleiner Bruder wurde plötzlich auf den Schlitten geschoben, um sich hinzusetzen. Vermutlich aufgrund von Verwirrung, blieb dieser auch sitzen, als nun Nezuko nach dem Strick griff, den sie nutzten, um den Schlitten hinter sich herzuziehen.

Was sie dann auch direkt machte.

Senjuro fiepste kurz, seine Hände hielten sich indessen schnell am Schlitten fest, während er von der Dämonin den Berg hochgezogen wurde, als wäre dies absolut kein Kraftakt.

 

Kyojuro kicherte bei diesem Anblick und trug auch weiterhin ein Grinsen auf den Lippen. Zumindest Nezuko schien eine wahre Freude hierfür bei sich zu tragen und kein Problem damit zu haben, die Personen in ihrem Umkreis damit anzustecken.

 

Oder ihnen keine andere Wahl zu lassen.

 

„Willst du nicht mit zu ihnen hoch?“, fragte Kyojuro an Tanjiro gewandt, welcher an seiner Seite stehen blieb.

 

„Oh, nein“, schüttelte dieser direkt den Kopf. „Auf dem Schlitten ist ohnehin Platz für maximal zwei Personen. Außerdem möchte ich lieber sichergehen, dass es dir auch wirklich gut geht, Rengoku-san!“

 

Für einen Moment blinzelte er, ehe er amüsiert schnaubte: „Ach, mir geht es wirklich gut!“

 

Dennoch tätschelte er sanft Tanjiro's Kopf, wie zum Dank. Als er seine Hand wieder senkte und seinen Blick wieder dem Hügel hinauf widmete, konnte er sehen, wie Nezuko nun den Schlitten so drehte, dass dieser den Hügel heruntergleiten würde.

Er wusste nicht genau, was dort oben vonstattenging, aber offenbar versuchte Senjuro zu verstehen, was Nezuko von ihm wünschte, welche sich wiederum vor Senjuro auf den Schlitten setzen wollte. Ob die Kommunikation funktionierte oder nicht – Kyojuro wusste selbst, wie komplex es manchmal sein konnte – Nezuko saß schließlich vor Senjuro und mit ein paar Beinbewegungen, die sie nach vorne schoben ... schlitterten sie schließlich mit dem Schlitten nach unten.

 

Kyojuro konnte ein piepsiges Geräusch von Tanjiro wahrnehmen und warf einen irritierten Blick in die Richtung von dem jungen Dämonenjäger. Das Lächeln auf dessen Zügen wirkte etwas angespannter als normal. Es war eine recht offensichtliche Veränderung, auch wenn Kyojuro überzeugt davon war, jede noch so kleine bemerken zu können, so machte es ihm ein fehlendes Auge sicherlich nicht einfacher.

 

Der Schlitten kam ein paar Meter von ihnen entfernt zum Stillstand und Nezuko sprang keine Sekunde mit glücklich erhobenen Armen auf. Senjuro's Versuch abzusteigen wurde direkt untersagt, als sie ihn direkt wieder zurückschubste. Von weitem sah es so aus, als würde sie kaum Kraft anwenden, dennoch plumpste Senjuro wie ein nasser Sack zurück und hatte kaum Zeit sich ordentlich aufzusetzen und festzuhalten, als Tanjiro's jüngere Schwester bereits am Strick zog, um den Schlitten wieder den Hügel hinaufzuziehen.

 

„Ohhh ... Nezuko scheint sehr viel Spaß zu haben!“, merkte Kyojuro glucksend an.

 

Es war ungewohnt, den Vornamen der Dämonen anzuwenden, es war jedoch einfacher so und irgendwie auch ... normaler. Es war stets Nezuko gewesen oder auch eine kleine Dämonin. Den Nachnamen verwendete er wirklich nur für Tanjiro.

 

„Hmhm, sieht ganz danach aus“, erwiderte Tanjiro mit einem beinahe gezwungenen Lächeln.

 

„Und Senjuro hat sicherlich auch Spaß, auch wenn er derzeit noch etwas verwirrt zu sein scheint!“, fügte Kyojuro nochmal hinzu.

 

Vielleicht sorgte sich Tanjiro ja darum, dass Nezuko zu grob wäre oder dergleichen?

 

„Hmhm.“

 

... oder auch nicht.

 

„Wie alt ist Nezuko noch gleich?“

 

„Oh, sie ... ist 14. Ich meine, wenn sie überhaupt weiter altert? Als sie ... also, sie war damals 12 Jahre alt.“

 

Kyojuro nickte ein wenig: „Nun, sie kann ihr Aussehen ja ein wenig anpassen, richtig? Ich würde daher schon sagen, dass sie altert, auch wenn es uns vielleicht nicht auffallen mag. Senjuro ist übrigens auch 14 Jahre alt! Ich habe ihn nie viel mit anderen Kindern zusammen gesehen, die Gegend ist nicht sonderlich dafür bekannt.“

Wobei es wohl vielmehr auch an ihrem Vater lag. Da lud man ungern Personen zu sich ein und hatte mit anderen Dingen zu tun. Kyojuro hätte wohl die Stellung seines Vaters besser übernehmen sollen, aber auch er war jung gewesen. Hinzukommend war es für Kyojuro speziell immer sehr einfach gewesen, mit Menschen in Kontakt zu treten, Senjuro war da ein wenig zurückhaltender.

„Nun, daher freut es mich zu sehen, dass er mit Nezuko sehr gut zurechtzukommen scheint!“

 

Lächelnd beobachtete Kyojuro wie die beiden erneut den Hügel herunterrodelten, begleitet von Nezuko's begeisterten fiepsen und Senjuro, der versuchte den Strick zu halten, damit sie nicht vom Schlitten fielen.

Dieses Mal war es tatsächlich Senjuro der sich frühzeitig erhob und Nezuko andeutete sitzen zu bleiben, um sie hochzuziehen. Kyojuro schmunzelte ein wenig, weil das nicht ansatzweise so einfach aussah, wie es bei Nezuko zu sein schien. Es lag sicherlich an ihrer dämonischen Stärke, aber körperliche Stärke war natürlich nicht alles! Außerdem konnte Kyojuro es nur süß nennen, wie Nezuko immer wieder die Arme in die Luft streckte und motivierende Geräusche von sich gab.

Auch wenn es von der Entfernung nicht leicht zu vernehmen war, es war ... süß!

 

„Solange wie ich noch nicht auf eine Mission darf, seid ihr bei uns herzlich willkommen Kamado-kun!“, merkte Kyojuro nun lächelnd an, während er sanft Tanjiro's Schulter klopfte.

 

Auch wenn das sanfte Klopfen wohl etwas stärker war als gedacht, zumindest konnte er Tanjiro kurzzeitig ächzen hören.

 

„Das ist sehr freundlich, Rengoku-san!“

 

„Aber nicht doch. Vielleicht freunden sich Senjuro und Nezuko ja richtig an. Das wäre doch schön, oder?“

 

„Oh, ähm ... ja, das wäre es wirklich!“

 

Da war wieder dieses verkrampfte Gesicht und Worte, die lauter ausgesprochen wurden als normal. Kyojuro konnte laut reden oder schreien und es wäre nicht auffällig, aber bei Tanjiro? Es fiel auf. Seiner bisher vorliegenden Informationen nach ging es dabei um Senjuro und Nezuko oder zumindest eine der beiden Personen.

 

„Wuhuuu!“

 

Sein Kopf drehte sich wieder in die Richtung ihrer jüngeren Geschwister bei diesem Geräusch, welches ihm bekannt vorkam. Offensichtlich hatte Senjuro inzwischen auch sein 'Ich bin zu alt dafür'-Gesicht abgelegt und fand wieder Spaß am Rodeln. Glucksend beobachtete er, wie sowohl Nezuko als auch Senjuro die Arme in die Luft streckten, was dazu führte, dass der Schlitten am Ende einfach umfiel, gemeinsam mit den beiden darauf sitzenden Personen, die prompt in den Schnee plumpsten.

 

Vielleicht war Kyojuro ein wenig verliebt in diesen Anblick; von Senjuro der wirklich glücklich strahlte, mit Schnee im Haar und an der Kleidung und Nezuko, die ihm extra noch mehr Schnee auf den Kopf setzte und ebenfalls welches an sich hängen hatte.

Es war friedlich, ließ sein Herz ein wenig aufgehen und er hoffte einfach, dass sie noch weiterer dieser Augenblicke sammeln könnten.

Auch wenn er nach wie vor nicht Tanjiro's Reaktionen verstand, die von einem verkrampften Gesichtsausdruck bis hin zu nervösen Lachen übergingen.

 

Senjuro erhob sich schließlich wieder aus dem Schnee und half Nezuko dabei aufzustehen. Nachdem er den Schlitten wieder ordentlich platziert hatte, bot er der Dämonin wieder den Platz zum Sitzen an. Dieses Mal jedoch nahm keiner den Platz ein. Stattdessen griff Nezuko beherzt nach der freien Hand von Senjuro, damit sie gemeinsam den Hügel erklimmen konnten, während sie den Schlitten hochzogen.

 

Dann hörte Kyojuro ein ganz seltsames, ersticktes Geräusch von Tanjiro. Zum ersten Mal konnte er aber vielleicht erkennen, was die Ursache dafür war.

 

Die Fürsorge eines großen Bruders beim Anblick seines jüngeren Geschwisterchens im Kontakt mit jemanden, woraus sich eventuell etwas ... entwickeln könnte?

Mit der Fackel in der Hand [Kanao x Aoi]

Aoi war Kocho-san wirklich dankbar für alles, was sie bisher für sie getan hatte. Allein dafür, dass sie im Schmetterlingsanwesen leben und aushelfen durfte, war für sie wie ein Segen damals gewesen. Sie half wirklich gerne aus, kümmerte sich um die Verletzten – sei es um ihre körperlichen Blessuren oder auch ihre psychischen Leiden. Aoi hatte gelernt, wie man umging, wenn jemand verstarb, selbst nach den besten Bemühungen. Sie hatte auch gelernt, dass schwerer als den Tod einer Person anzukündigen, manchmal ein Gespräch über fehlende Körperteile war.

Junge Menschen, die ihre Arme verloren, ein Bein oder die Fähigkeit ohne Hilfe einer anderen Person zu leben.

Sie hatten überlebt, aber zu welchem Preis?

 

Aoi versuchte zu helfen, wo es ihr möglich war – und sie war froh darüber, dass der Alltag eher von Tod und Leben beeinflusst wurde, als von schweren Verletzungen, die nicht mehr zu heilen waren.

 

Doch trotz all ihrer Dankbarkeit gegenüber Kocho-san und dem, was sie alles gelernt hatte, seitdem sie die Abschlussprüfung überlebt hatte ... warum musste sie in den Wald?

 

Natürlich war ihr klar, warum gerade sie in den Wald gehen musste. So wie es stets zu wenig Dämonenjäger gab, gab es auch stets zu wenig Kakushi, vor allem in der nahen Umgebung. Auch wenn sie mittlerweile bereits Zugang zu moderner Medizin hatten, waren Heilkräuter manchmal das Beste. Normalerweise übernahm es Kocho-san diese aufzutreiben oder sie gab den Kakushi Anweisungen, sie mitzubringen. Gerade war beides nicht möglich und sie hatten wirklich nicht mehr viel vorrätig. Es gab derzeit keine Personen mit schweren Verletzungen, also war ihre Abwesenheit für den Moment nicht so schwerwiegend.

 

Sumi, Kiyo und Naho konnten sich gut um die Anwesenden kümmern, die zum Großteil doch nur da waren, um etwas Ruhe zu bekommen. Was sie definitiv auch verdient hatten, Aoi wollte nicht dagegen reden. Im Grunde ging es ihr gerade auch nur darum, dass sie in einem Wald sein musste – dabei war der Ort wirklich nicht gemütlich.

 

Die nähere Umgebung des Schmetterlingsanwesens lag in der Verantwortung von Kocho-san und dadurch patrouillierte sie ziemlich oft. Es war fast unmöglich, einem Dämon zu begegnen, und das war durchaus beruhigend – aber eine kleine Chance blieb immer. Dämonen kamen und gingen schneller, als man schauen konnte. Aoi war unbewaffnet – wie jeder an ihrer Stelle wohl wäre – und ... nun, sie war zumindest nicht allein.

 

„Ahhh!“, kreischte sie, als die dicke Wurzel eines Baumes – verborgen in der Dunkelheit – ihr ein Bein stellte.

 

Sie streckte die Hände aus, um ihren Sturz abzufangen, doch sie berührte den schlammigen Boden nicht einmal ansatzweise. Stattdessen wurden sie fast schon etwas in der Luft gehalten.

Verwundert öffnete sie ihre Augen wieder, während sie an ihrem Hemdchen zurückgezogen wurde, damit sie wieder fest auf beiden Füßen stehen konnte. Mit leicht geröteten Wangen – vor Schreck, Wut und Verlegenheit – sah sie zu ihrer Begleitung.

 

„Tsuyuri ...“

 

Ihre Augen trafen auf das sanfte Lächeln der Dämonenjägerin. Als Tsuguko von Kocho-san war es nur logisch, dass sie ebenfalls häufig im Wald patrouillierte. Aoi war dankbar dafür, dass sie an ihrer Seite war.

 

„Vorsicht“, flüsterte sie leise.

 

Es war fast schon leise genug, damit Aoi es kaum verstand, doch in all ihrer gemeinsamen Zeit, hatte sie gelernt zu lauschen. Nicht nur auf alles, was Tsuyuri sagte, sondern ganz allgemein auf ihre Umgebung. Mit einem kleinen Lächeln nickte sie ihrer Freundin zu, auch wenn sich Aoi nie komplett sicher sein konnte, ob auch Kanao sie als Freundinnen ansah. Zumindest ging sie davon aus, dass es ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen gab und vielleicht war das schon mehr, als Aoi erwarten konnte?

 

Sie beobachtete schließlich, wie Kanao etwas vor sie ging und eine Fackel vor sich hielt. Eine Laterne wäre sicherer und angebrachter, und wenn Aoi nicht total unfähig und tollpatschig wäre, dann würden sie eine Laterne auch noch besitzen. Stattdessen hatten ihre zitternden Hände einfach losgelassen, als sie ein verdächtiges Geräusch vernommen hatte.

Glücklicherweise machte Kanao aus solchen Dingen nie ein Thema, sie lächelte stets behutsam, tätschelte vielleicht ihren Arm und hatte dann auch schon eine neue Idee im Kopf. Wie diese Fackel schließlich.

 

Aoi wusste natürlich, dass sie nicht total unfähig war; mit Sicherheit würde sie auch allein gut zurechtkommen, aber sie ließ sich vielleicht etwas leichter aus der Ruhe bringen und verteufelte sich anschließend selbst. Es war einfach angenehmer für sie, wenn sie nicht allein in diesen gruseligen Wald gehen musste und als Kanao an ihre Seite gestellt wurde, hatte sie ihre Erleichterung kaum verbergen können.

 

Mit der Fackel in der Hand wirkte Kanao wie eine Anführerin.

 

Sie ging langsam voraus, immer darauf achtend, dass Aoi an ihrer Seite blieb – und wenn es vielleicht doch nicht so war, dann fühlte es sich für Aoi zumindest danach an.

Aoi trug einen Korb, der nicht schwer war, aber voller verschiedener Pflanzen und Kräuter, welche sie gemeinsam gesammelt hatten. Sie befanden sich bereits auf dem Rückweg. In der Dunkelheit sah fast alles gleich aus, selbst wenn sie diesen Weg schon hunderte Male gelaufen waren.

Der dunkle Wald erinnerte Aoi auch an die Aufnahmeprüfung. Obwohl sie dafür trainiert hatte und wusste, worauf sie sich da einließ, war die Realität anders erschreckend gewesen. Im Grunde war es wie ein Wunder, dass sie überlebt hatte – vor allem im Hinblick auf Tomioka-sama.

Kanao war ohne einen Kratzer aus der Prüfung herausgekommen, aber dies war vermutlich nicht so überraschend.

 

Immerhin wurde sie von Kocho-san trainiert und schien ein besonderes Talent zu besitzen, welches so vielen anderen Personen fehlte.

Deshalb fühlte sich Aoi aber auch sehr sicher in ihrer Nähe.

 

„Musst du wieder auf eine Mission, sobald wir daheim sind?“, fragte Aoi nun nach.

 

Es war nicht immer einfach, mit Kanao zu sprechen, aber gerade, wenn sie unter sich waren, schien es so, als würde sie etwas ... auftauen? Aoi würde niemals behaupten, sie wäre gesprächig, aber sie antwortete hin und wieder. Es kam natürlich auch darauf an, welche Fragen man stellte.

 

Dieses Mal erntete Aoi als Antwort nur ein Kopfschütteln.

 

„Dann können wir morgen ja wieder gemeinsam das Frühstück vorbereiten und auch das Mittagessen kochen“, merkte sie lächelnd an.

 

Natürlich genoss sie es auch, diese Aufgaben, mit den drei Mädchen, als Unterstützung zu machen, doch es war etwas anders mit Kanao. Vermutlich, weil sie vom Alter her sehr nahe beieinander waren. Das ergab schon eine Verbundenheit.

Außerdem hatte Aoi immer schon eine Schwester haben wollen und als sie Kanao kennengelernt hatte, hatte es einfach Klick für sie gemacht! In ihren Augen war es auch eine Zeit lang so gewesen – sie waren wie Schwestern. Dennoch hatte es stets einen Unterschied gegeben.

Es war bei ihnen anders gewesen, als beispielsweise zwischen Kocho-san und Kanao. Aoi hatte sich nie wirkliche Gedanken darüber gemacht, aber irgendwann dachte man eben doch darüber nach.

 

Mittlerweile war sie darauf gekommen, dass sie wohl eher wie Freundinnen waren – Kindheitsfreundinnen, von denen man immer Geschichten hörte. Eine Freundschaft für die Ewigkeit eben.

 

Aoi hatte nicht viele Vergleichsmöglichkeiten. Kocho-san war selbst für sie eher wie eine Schwester als eine Freundin oder Vorgesetzte. Sie wusste also, dass es mit Kanao anders war, aber in welche Richtung das Ganze ging, war ihr erst bewusst geworden, als weitere Personen in ihr Leben getreten waren.

 

Männliche Personen.

 

Genau genommen das Trio von dieser Spinnenberg-Mission.

Der nervige Agatsuma-kun, welcher kurz davor gewesen war ebenfalls zu einer Spinne zu werden.

Der laute Hashibira-kun, welcher stets voller Energie und Motivation zu sein schien – und der absolut kein Feingefühl besaß!

Und dann gab es noch Kamado-kun, welcher vermutlich als Einziger des Trios halbwegs normal unterwegs war und wusste, wie man mit seinen Mitmenschen umsprang. Manchmal war er wie ein Engel auf Erden. Vielleicht auch zu engelsgleich.

 

Irgendwie hatte Aoi sie alle mögen gelernt, vor allem, nachdem Uzui-san sie zu einer Mission hatte mitnehmen wollen und sich alle für sie eingesetzt hatten.

 

Kamado-kun war der liebenswürdigste von allen, als dieser also angefangen hatte, mehr mit Kanao trainieren zu wollen und sich mit ihr zu unterhalten ... Nun, es war logisch für Aoi gewesen, zu glauben, dass diese Gefühle in ihr, welche hochkochten, damit zu tun hatten, dass sie irgendwas für diesen Jungen empfand.

Was gleichermaßen gruselig, als auch einschüchternd gewesen war.

Sie hatten dann relativ schnell bemerkt, dass es nicht so war, aber das hatte ihre Emotionen eher verstärkt als abgeschwächt.

 

Denn mehr als der Einsatz der drei Jungen, die sich für sie eingesetzt hatten, hatte sie der Einsatz von Kanao imponiert. Die Kanao, welche Aoi jahrelang kennengelernt hatte, war eine Person, die sich nicht so einfach eingemischt hätte, ohne eine klare Anweisung.

 

Oder ihrer Münze als Unterstützung.

 

Sie wusste natürlich nicht, was Kanao dazu gebracht hatte – vielleicht ein tieferes Gespräch mit Kocho-san oder ein Erlebnis während einer Mission, die noch nicht weit zurücklag?

 

„Tsuyuri?“, sprach sie schließlich lächelnd an und nahm ihr leises 'Hm' zur Kenntnis, welches sie dazu brachte weiter zu reden. „Ich wollte mich nochmal bedenken. Für diese Sache mit Uzui-sama.“

 

Aoi respektierte alle Säulen, aber auch sie bevorzugte einige mehr, als andere. Rengoku-sama war wundervoll freundlich gewesen – wenn auch oft sehr laut und direkt. Normalerweise war auch Uzui-sama ein guter Mann, die Sorge um seine Frauen hatte ihn vermutlich etwas seltsam agieren lassen.

Zumindest hoffte Aoi, dass dies seine Gründe für dieses mehr als nur unhöfliche und forsche Verhalten war!

 

Sie hoffte noch mehr, als sie sah, wie Kanao sich ihr zuwandte. Dabei trug die junge Dämonenjägerin ein Lächeln auf den Lippen, welches sowohl süß war – als auch ... furchterregend?

 

„Shinobu wird ein ernstes Gespräch mit Uzui-sama führen“, antwortete Kanao schließlich, ihre Stimme immer noch leise und ruhig, aber mit einem kleinen Beben in ihr. „Ich habe sie bereits darüber informiert, was geschehen ist.“

 

Aoi blinzelte ein wenig, als sie von dem Gefühl übermannt wurde, wirklich dazu zugehören. Natürlich verbrachte sie schon ein wenig Zeit im Schmetterlingsanwesen, aber auch wenn sie sich familiär gefühlt hatte, hätte sie nie gewagt, dies offen auszusprechen oder wirklich zu denken. Vielleicht war es auch jetzt zu früh, aber der Gedanke daran, dass Kocho-san sich für sie mit Uzui-sama unterhalten wollte, erwärmte ihr Herz.

 

„Das ... wäre nicht nötig gewesen, Tsuyuri. Ich meine, es ist ja alles nochmal gut gegangen.“

 

„Und zukünftig wird es nicht noch einmal vorkommen.“

 

Aoi wusste nicht, ob dies zu 100 % stimmen würde, aber sie glaubte fest daran, dass alle sich Mühe geben würden, damit dies nicht passierte. Auch wenn das nicht alle Säulen aufhalten würde, könnte sie sich sicher sein, einen gewissen Rückhalt zu besitzen.

 

„Danke Tsuyuri“, lächelte Aoi noch einmal etwas mehr.

 

„Du kannst auch ... also ...“, plötzlich wirkte Kanao fast etwas schüchtern, während sie nun wieder voraussah und die Fackel unsicher in der Hand hielt. „Kanao ... ist für mich auch in Ordnung.“

 

Für den ersten Moment verwirrt, blinzelte Aoi über die getroffene Aussage. Erst nach ein paar weiteren Sekunden kam ihr in den Sinn, was die etwas errötende Kanao gemeint hatte.

 

„Oh-oh ... Es ist in Ordnung ... wenn ich dich mit Kanao anspreche?“, fragte Aoi nochmal sicherheitshalber nach. Kanao nickte rasch und das genügte ihr als Antwort, immerhin war Kanao nie die Gesprächigste gewesen. „Dann ... sprich mich ruhig auch mit Aoi an!“

 

Es war eigentlich lächerlich, dass sie bisher noch nicht diesen Schritt gegangen waren. Immerhin kannten sie sich schon lange und gut genug, um sich beim Vornamen anzusprechen.

Dass Kanao dies jetzt ansprach, gab Aoi aber auch das Gefühl, dass diese Freundschaft wirklich echt war. Es war nicht nur Aoi, welche sie anerkannte – es war auch Kanao.

 

Und vielleicht ließ es Aoi's Herz etwas schneller schlagen, dieses plötzliche Bewusstsein. Ein warmes, angenehmes Gefühl breitete sich aus und ließ sie glücklich vor sich hin lächeln.

 

Perfekt abgerundet wurde es davon, dass sie nun endlich den düsteren Wald verließen und das Schmetterlingsanwesen beleuchtet auftauchte. Obwohl die Fackel jetzt nicht mehr unbedingt notwendig war, behielt Kanao sie in der Hand, bis sie das Anwesen wirklich erreicht hatten und das warme Licht sie umfing.

Gräber im Schnee [Kyojuro x Shinobu]

Wie viel Zeit war vergangen?
 

 

Shinobu konnte es nicht genau benennen, doch es fühlte sich an wie eine Ewigkeit und gleichzeitig so, als hätte sie ihn gestern noch gesehen.

Die Grabstätten waren ein selten besuchter Ort ihrerseits. Zum Jahres- und Geburtstag ihrer Schwester kehrte sie stets hierher zurück, doch abseits dessen hatte sie sich davon abgesägt, trauernd am Grab nach Hilfe zu suchen. Wie lächerlich, dass sie nun fast erneut damit anfing.
 

 

Ihr entkam ein schweres Seufzen aufgrund dieses Gedankens, bislang war sie ganz froh darüber, zumindest noch niemandem hier begegnet zu sein. Es glich einem Wunder, lag aber vermutlich daran, dass sie alle viel zu tun hatten. Auch sie hatte mehr als genug zu tun und dennoch flüchtete sie sich hierher, was nur noch mehr Zeit kosten würde. Dabei war jede Minute schon zu viel, es wirkte so, als würde ein großes Finale auf sie alle zukommen.

Als würde sie endlich ein gewünschtes Finale entdecken können, auch wenn es noch ein wenig fern war.
 

 

Sie hatte immer schon geplant, den Dämon zu finden, der seine Schwester umgebracht hatte, damit sie diesen auf ihre eigene Weise töten könnte, und genau diesem Plan ging sie immer noch nach. Ein anderer Teil von ihm, wie ein frisch blutendes Herz, nagte aber daran, einen ganz anderen Dämon aufzusuchen.
 

 

Shinobu schüttelte ein wenig den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden, die sich rein emotional leiten ließen. Doch wann war ihre Rache nicht emotionale gewesen? Sie hatte sich jetzt nur ein wenig erweitert. Sie konnte jedoch nicht jeden dieser mächtigen Dämonen töten, also fixierte sie sich auf genau den Plan, den sie bislang verfolgt hatte. Auch wenn es zeitgleich ein bitteres Lächeln auf ihr Gesicht zauberte, vor allem dann, wenn sie vor dem Grab einer anderen Person stand.
 

 

„Auch dein Tod wird gerächt werden, Rengoku-san“, murmelte sie leise vor sich hin.
 

 

Sie streckte ihre Hand aus, fuhr mit den Fingerkuppen den eingravierten Namen ihres Kumpanen nach und spürte prompt, wie ihr Herz verkrampfte, ihre Augen erhitzten und ihr perfekt trainiertes Lächeln ins Schwanken geriet. Shinobu versuchte den Schnee vom Grab zu fegen, obwohl sich ihre Hand dadurch schnell eiskalt und fast wie abgestorben anfühlte.
 

 

Rache und Zorn war nie, was ich mit meinem Tod auslösen wollte. Lass dich nicht von diesen Emotionen zerfressen.“
 

 

Sie konnte Kyojuro's Stimme in ihrem Kopf sprechen hören, als würde er neben ihr stehen und sie unterstützen wollen. Shinobu kannte alle Hashira's ganz gut, weil sie durch ihre Schwester und die Arbeit im Schmetterlingsanwesen stetigen Kontakt hatte. Abseits dessen hatte sie miterlebt, wie Kyojuro den Platz seines Vaters eingenommen hatte.

Diese warme Energie, die einer Sonne gleichende Strahlen hatte, hatte sie von Anfang an ein wenig eingefangen. Ein Effekt, der vermutlich nicht nur sie getroffen hatte – Tengen war von Anfang an begeistert gewesen und sicherlich hatte er auch auf die anderen einen Einfluss gehabt.
 

 

Es war normal, sich auf die anderen zu verlassen und sich auch mit ihnen anzufreunden oder ähnliche Gefühle aufzubauen. Zumindest war es für Shinobu normal, auch wenn ihr klar war, dass nicht jeder es genauso handhabte. Was das anbelangte, fragte sie sich oftmals, was Kyojuro so anders machte.

Selbst ihre Miesepeter Obanai und Sanemi hatten den Flammenhashira nicht lange von sich halten können. Sie würden es vermutlich nicht ganz so offen zugeben, doch auch sie hatten Kyojuro ins Herz geschlossen.
 

 

Vermutlich aufgrund seiner ganz natürlichen Freundlichkeit und seiner ebenso natürlichen Leidenschaft für diese ganze Angelegenheit. Seine Fragen kamen von Herzen, genauso wie seine Aussagen. Alles an ihm war stets ehrlich gewesen oder hatte zumindest so gewirkt.
 

 

Shinobu wusste, dass sie nur wenig von dem, was sie sagte, ehrlich meinte. Außer ihr wusste es noch Tanjiro, welcher dies irgendwie … gerochen hatte. Sie vermied es, zu viel darüber nachzudenken. Da arbeitete sie jahrelang an einer guten Maske, die perfekt auf ihrem Gesicht saß, und diese wurde von einem Jungen niedergerissen, der den seltsamen Gedanken hatte, seine Schwester zu heilen.
 

 

Doch so seltsam war es wohl doch nicht.
 

 

Und Kyojuro hatte daran geglaubt, dass dies zu schaffen wäre. Allein dieser Gedanke brachte Shinobu prompt wieder dazu, schwer zu seufzen. Als ob so ein Heilmittel einfach herzustellen wäre, dabei drückte die Last sie beinahe in den Boden. Ihr ehrliches Vorhaben war die Ermordung eines Dämons und nicht die Heilung – auch wenn Nezuko Kamado noch nie jemanden verletzt hatte.
 

 

Es schien, als würde eine Wärme sie ergreifen. Als würden sich warme Hände auf ihre zierlichen Schultern legen und eine Hitze verströmen, welche sie dazu zwang, sich zu entspannen. Sie löste ihre Hand von Kyojuro's eingravierten Namen und tastete nach einer Schulter – doch natürlich fehlte hier jegliche Berührung, welche ihr Geist versuchte vorzuspielen.

Sie stellte sich Kyojuro vor, wie er hinter ihr stehen und versuchen würde, ihr Mut zu machen, sie zu bestärken und mit unsinnigem Lob zu überschütten. Ein kleiner Teil von ihm zerbrach an diesen Gedanken nur noch mehr, weil nichts davon jemals echt gewesen war.
 

 

Es hätte echt werden können.

Nur mit etwas mehr Zeit.

Mit einer passenden Gelegenheit.
 

 

Kyojuro hätte die Person sein können, welche sie von der Rache löste. Wer, wenn nicht Kyojuro? Doch die Chance war vertan.
 

 

„Kocho-san?“
 

 

Shinobu zuckte ein wenig zusammen, als sie plötzlich ihren Namen vernahm und drehte den Kopf, ohne vorher ihr einstudiertes Lächeln auf das Gesicht zu bringen. Ihre Augen weiteten sich, als sie das bekannte Haar vor sich sah. Goldblond mit roten Enden. Ihr Herz schlug kurzzeitig schneller, bevor sie erkannte, dass es sich nicht um Kyojuro handelte, der hier vor ihr stand.

 

„Senjuro“, erwiderte sie leise, versuchte jedes hoffnungsvolle Beben in ihrer Stimme zu zerstören, während sie sich aufrichtete.

Selbst dann war sie kaum größer als Senjuro, welcher einen Strauß aus Blumen in den Armen hielt. Prachtvoll und wunderschön – genauso wie Kyojuro selbst.

„Es ist schön, dich wiederzusehen. Wie ist es dir so weit ergangen?“
 

 

Wie viel von diesem Lächeln auf den Zügen dieses Jungen waren gespielt? Einer Maske gleich? Da Shinobu von sich selbst wusste, fiel es ihr stets schwer, die Ehrlichkeit anderer Personen einfach so hinzunehmen. Vor allem dann, wenn jemand vor ihm stand, der einen tragischen Verlust erlitten hatte.
 

 

„Oh, es … mir geht es gut“, mutig antwortete Senjuro weiterhin mit einem Lächeln. Dieses wurde jedoch ein wenig trüber, als er den Kopf zu den Blumen senkte, die er immer noch hielt. „Ich meine … es ist immer noch schwer … aber ich versuche weiterzumachen. Das hätte Aniue sich gewünscht.“
 

 

„Ja“, stimmte Shinobu mit ruhiger Stimme zu. „Das hätte er sich wohl. Das sind sehr hübsche Blumen.“
 

 

„Ich habe den Strauß extra zusammenstellen lassen“, verkündete Senjuro ein wenig stolz. „Es gibt sie in so vielen, schönen Farben – ich muss dann immer an Kyojuro denken … und die Sonnenblume war immer seine liebste Blume, also habe ich auch eine davon einbinden lassen.“
 

 

„Ich verstehe“, nickte sie langsam und drehte den Kopf zum Grab des ehemaligen Flammenhashira's.

Die Liebe, welche man diesem Mann schenkte, konnte man bereits anhand der zahlreichen Blumen erkennen, die dort niedergelegt wurden. Dabei sollte keiner so viel Zeit dafür haben. Doch jetzt, wo es auf ein Ende zuging, … vielleicht war es da nochmal umso wichtiger, seine Zuneigung zu hinterlassen.

„Die Blumen passen wirklich fantastisch zu deinem Bruder.“
 

 

„Sind die Gloxinien von dir?“ Shinobu blinzelte für einen Moment irritiert, ehe sie nickte. „Ich habe bemerkt, dass sie jemand immer wieder herbringt, aber bisher hat jeder, den ich gefragt habe, verneint.“
 

 

Wie viele Personen kamen bitteschön hierher – und wie oft kam Senjuro bitte hierher?
 

 

„Du solltest wirklich nicht zu viel Zeit hier verbringen“, meinte sie mit so viel Leichtigkeit und Trost in der Stimme, wie nur möglich war.
 

 

Senjuro neigte den Kopf ein wenig: „… Du auch nicht.“
 

 

Sie konnte erkennen, wie er verlegen errötete, vermutlich weil er eben selten so offen und direkt zu jemandem sprach, den er respektierte. So erinnerte er sie mehr und mehr an Kyojuro.
 

 

„Damit liegst du wohl richtig“, erwiderte Shinobu ohne jeglichen Zorn in der Stimme. Wie könnte sie auch auf jemanden wie Senjuro wütend sein? „Ich versuche wohl einfach … nachzuholen, was ich verpasst habe.“
 

 

„Das kann ich verstehen. Es fühlt sich so an, als würde unser … mein Vater dasselbe versuchen. Nur ohne die Blumen.“
 

 

Shinobu hatte Shinjuro Rengoku nie richtig kennengelernt. Sie hatte nur miterlebt, dass er mit einem nicht zu ignorierenden Geruch von Sake zu dem einen oder anderen Gespräch mit Oyakata-sama aufgetaucht war. Er war nie zu den Untersuchungen gekommen, die für jeden Hashira normal waren, um für ihre gesundheitliche Sicherheit zu sorgen.

Da Kyojuro recht früh den Posten als Flammenhashira übernommen hatte, war es nicht notwendig gewesen, sich über Shinjuro Sorgen zu machen. Plötzlich gab es da Kyojuro, um den man sich eher Sorgen machen musste, weil er immer alles gab und dennoch zu wenige Pausen machte.
 

 

„Kennst du die Blumensprache, Kocho-san?“
 

 

„Hm? Nicht von allen Blumen, nein. Beschäftigst du dich gerne damit?“
 

 

„Na ja … nicht wirklich, aber … ich wollte die perfekten Blumen auswählen und habe dabei ein paar Dinge nachgelesen. Auch um zu sehen, was die Blumen bedeuten, die hier sonst so abgelegt wurden.“
 

 

Shinobu musste ein wenig schmunzeln, sie war sich sicher, dass nicht jeder nachforschte, was Blumen für eine Bedeutung hatten.
 

 

„Und, treffen alle Bedeutungen irgendwie auf etwas zu, was zu Kyojuro passt?“
 

 

Senjuro zuckte etwas mit den Schultern: „Die meisten Blumen sind Trauerblumen und stehen dafür. Manche stehen für Reinkarnation und … nun, Ähnliches. Es gibt nichts, wirklich etwas Außergewöhnliches.“

Es war wohl der sicherste Weg, schätzte Shinobu. Vor allem für Personen, die nicht wirklich viel davon verstehen. Sie beobachtete, wie Senjuro ihren Strauß am Grab drapierte. Löwenmäulchen und eine große Sonnenblume; einfach perfekt aufeinander abgestimmt und in genauso guter Harmonie, wenn man an Kyojuro dachte.

„Aber“, der jüngste Rengoku zog ihre Aufmerksamkeit wieder komplett auf sich. „Ich denke, dass du dich gut mit der Blumensprache auskennst, immerhin ist es irgendwie deine Aufgabe, Pflanzen zu verstehen, nicht wahr? Wegen Heilmittel und Giften und allem …“
 

 

Shinobu neigte den Kopf, spürte, wie sie eine unerwartete Nervosität im Körper empfand: „Vielleicht weiß ich mehr als andere Personen, ja.“
 

 

„Die Gloxinie steht für Liebe, die nicht erfüllt werden kann.“
 

 

Obwohl Senjuro's Stimme immer noch ruhig war, fast schon leise, fühlte es sich an, als würde er diese Worte brüllen. Shinobu's Ohren klingelten und ihr Herz schlug unregelmäßig, als wäre sie in einem Kampf verwickelt.
 

 

„Das ist korrekt“, ihre Stimme zitterte leicht und sie verfluchte sich sogleich selbst dafür.
 

 

„Ich denke, dass mein Bruder-“
 

 

„Halt“, redete Shinobu bestimmend, aber nicht laut dazwischen. „Lass uns nicht darüber reden, was Rengoku-san gefühlt oder gedacht haben könnte. Er kann sich dazu nicht mehr äußern und ich … War einfach zu spät dran.“
 

 

Sie hob ihre Schultern, als wäre es nur eine beiläufige Last und nichts, was sie manchmal niedergedrückt hielt. Vielleicht bemerkte Senjuro ihr emotionales Dilemma – er schien ein feinfühliger, empathischer Mensch zu sein – oder er gehorchte einfach nur Shinobu's Worten. So oder so, er presste die Lippen aufeinander, nickte aber tapfer, während er sich aufrichtete.
 

 

„Kommst du noch kurz mit zum Schmetterlingsanwesen? Sumi, Kiyo und Naho freuen sich doch stets dich zu treffen.“
 

 

„Ja, gerne. Es freut mich auch immer euch alle zu besuchen. Vater wird mich vermutlich nicht vor morgen erwarten.“
 

 

Shinobu nickte wieder, mit einem Lächeln auf den Lippen, während sie geduldig wartete. Als Senjuro ebenfalls soweit war, wandte sie ihren Blick nochmal auf das Grab von Kyojuro zu. Dort, wo ihre sorgfältig ausgewählten Blumen an der Seite von Senjuro's Strauß standen. Immer noch von Schnee bedeckt, als würde dieser das Grab für sich vereinnahmen. Oder war es wie ein Zeichen von Kyojuro, dass er da war – in Form einer schneeweißen Schicht über das ganze Land?
 

 

Vielleicht, dachte sie ein wenig bitter. Werden wir uns bald wieder sehen, Kyojuro. Ich kann es einfach nicht loslassen.
 

 

Und war der weitere Tod eines geliebten Menschen nicht Grund genug, ihm folgen zu wollen? Wieso sollte sie dabei nicht alles tun, um zumindest einen der mächtigen Dämonen mit sich zu zerren?

Zimtgeruch [Kyojuro x Tanjiro]

Heimlichtuerisch wagte Tanjiro einen Blick um die Ecke, während er ein Päckchen an sich drückte und schon jetzt Schnappatmung bekam. Mit einem kleinen – vielleicht verliebten – Lächeln beobachtete er zwei Schülerinnen. Auch sie hielten jeweils ein Päckchen in ihren Händen und waren dabei, an ihre auserwählte Person weiterzugeben.
 

 

Leider handelte es sich dabei auch um eben jene Person, welche auch Tanjiro für sich auserwählt hatte.
 

 

Verwunderlich war es nicht, dass auch Schüler sich dazu entschlossen, dieser Person ein Geschenk zu geben. Kyojuro Rengoku war unter den Schülern äußerst beliebt. Als Lehrer, welcher stets ein offenes Ohr für alle hatte und mit seiner Motivation im Nu dafür sorgte, dass sich die Blicke auf ihn richteten, war er durchaus etwas Besonderes.

Schon zu seiner eigenen Schulzeit hatte Tanjiro dies miterlebt, damals hatte Kyojuro als Referendar angefangen zu unterrichten und trotz seiner Unerfahrenheit, hatte er die Herzen aller sehr schnell erreicht. Auch Tanjiro war äußerst beeindruckt gewesen. Schon damals hatte er eine etwas andere Beziehung zu Kyojuro aufgebaut.
 

 

Es hatte etwas Familiäres an sich, wann immer er mit ihm gesprochen hatte.
 

 

Tanjiro hatte auch gelernt, dass hinter Kyojuro mehr steckte als sein sonniges Gemüt, strahlendes Lächeln und Motivationsreden, die er allzu gerne schwang. Auch ernste Gespräche zu führen stellte kein Problem dar, selbst wenn man mit vermeintlich kleineren Problemen auftauchte, wurde man stets ernst genommen. Wenn Kyojuro jemanden ansah, dann fühlte man sich wie die wichtigste Person auf dem Planeten – wie die einzige Person, deren Worte gerade Aufmerksamkeit verdienten.
 

 

Er hatte mit Kyojuro über alles gesprochen. Über seine erste Verliebtheit, über seine Angst, dass Nezuko etwas zustoßen könnte und später auch über die Krankheit seines Vaters. Alle Themen, die Tanjiro niemals leicht gefallen waren, anzusprechen, aber gegenüber seinem damaligen Lehrer hatte es sich nicht so beschämend angefühlt. Manchmal bekam er gute Ratschläge oder weise Worte, und andere Male bekam er einfach nur ein wenig Trost und ein offenes Ohr.
 

 

Vermutlich hatte er damals schon angefangen, für seinen Lehrer zu schwärmen, so wie einige andere Schüler auch – etwas, das bis heute anzuhalten schien, wenn man bedachte, wie Kyojuro auch jetzt noch Geschenke bekam.

Tanjiro hatte seinem Lehrer meistens etwas Gebackenes von der Bäckerei seiner Familie mitgebracht und dadurch das strahlendste Lächeln bekommen, was man jemals hätte sehen können.

Die Bäckerei seiner Familie war eigentlich der Ort gewesen, an welchen er sich selbst gesehen hatte. Immerhin war er der älteste Sohn und sollte damit die Tradition anführen.
 

 

Doch nach einem ernsten Gespräch mit Kyojuro und einem noch ernsteren Gespräch mit seinen Eltern, war er hier geendet.
 

 

Natürlich hatte er sich bei dieser Wahl inspirieren lassen. Kyojuro hatte ihn auf eine Weise beeindruckt und emotional getroffen, dass er ihm unbedingt nacheifern wollte und sich ebenfalls für das Lehramt entschieden hatte. Wann immer er jedoch Zeit hatte, half er weiterhin in der Bäckerei aus.
 

 

Er sog die Luft scharf ein, als er nun endlich bemerkte, wie die zwei Schülerinnen sich von Kyojuro verabschiedeten. Das war seine Chance, dabei hatte er noch gar nicht darüber nachgedacht, wie er das angehen sollte!
 

 

„Kamado!“
 

 

Tanjiro sprang fast schon in die Luft, als sein Nachname so laut ausgesprochen wurde: „W-w-was?“, fiepste er und drehte sich prompt um. Nur um daraufhin Tomioka-sensei zu sehen.
 

 

„Die Ohrringe! Wie oft muss ich es dir dennoch sagen?“
 

 

„Aber Tomioka-sensei!“, Tanjiro war kurz davor zu jammern. „Ich arbeite doch mittlerweile hier.“
 

 

„Gleiche Regeln für alle, Kamado-kun!“
 

 

Es war seltsam, seine Lehrer nicht mehr als seine Lehrer anzusehen. Das Studium dauerte nicht lange genug, um dieses Verhältnis zu vergessen, vor allem bei Lehrern wie Tomioka-sensei oder auch Kyojuro. Wie sollte man sie vergessen?
 

 

„Aber sie haben einen emotionalen Wert für mich“, versuchte Tanjiro – wie damals auch schon – zu begründen.
 

 

„Das hat meine Pfeife auch!“
 

 

„Aber- Du darfst deine Pfeife tragen …?“
 

 

„Ja, weil es kein Verbot gegen sie gibt und ich Sport unterrichte.“
 

 

„Tomioka-sensei, komm schon“, seufzte Tanjiro ein wenig.
 

 

„Tomioka! Kamado!“
 

 

Dieses Mal machte Tanjiro wirklich einen Hüpfer in die Luft, ehe er sich etwas drehte und nun Kyojuro erkannte, welcher wohl zu ihnen gekommen war. Mit Giyuu zu diskutieren war selten etwas, das geheim blieb …
 

 

„R-rengoku-sensei!“, fiepste Tanjiro ein wenig.
 

 

Nervös versuchte er, das Päckchen in seinen Händen zu verbergen – obwohl er fast schon sicher war, dass die gierigen Augen seines ehemaligen Lehrers darauf klebten.
 

 

„Ich bin doch nicht mehr dein Lehrer Kamado, du musst mich also nicht mehr so ansprechen!“

Kyojuro hatte immer eine sehr laute Stimme und er trug im Normalfall auch stets ein Strahlen im Gesicht, welches jede Regenwolke verziehen lassen konnte. Tanjiro spürte direkt wieder, wie sein Herz Hüpfer machte und fast schon anfing zu singen. Er versuchte Ruhe zu bewahren, aber mit seinem fröhlichen Herzen war es nicht sonderlich einfach …

„Worüber habt ihr gesprochen?“, fragte Kyojuro indessen einfach nach.
 

 

„Er trägt nach wie vor seine Ohrringe!“, meinte Giyuu sofort empört, als würde Tanjiro ihn damit persönlich beleidigen wollen.
 

 

„Aber ich arbeite doch jetzt hier und die Ohrringe haben einen emotionalen Wert für mich“, versuchte Tanjiro wie die hunderte Male zuvor zu argumentieren.
 

 

Giyuu's zorniger Blick war im Grunde Antwort genug, aber Kyojuro mischte sich prompt ein. Lachend legte dieser einen Arm um den Sportlehrer, dessen Zorn zumindest ein wenig abzuflachen schien, während er die Augen verdrehte.
 

 

„Komm schon, Tomioka! Willst du mich nun etwa auch dazu verdonnern, mein Haar zu färben?“, sprach Kyojuro einfach an. „Ich empfinde es als großartig, unseren Schülern und auch Kollegen mehr Freiheit zu lassen! Sie können sich damit von anderen hervorheben und ihre Interessen und Vorlieben zeigen, ohne dass es zu auffällig sein muss!“
 

 

„Es gibt Regeln und an die müssen wir uns halten“, warf Giyuu natürlich stur ein. „Und du kannst dich glücklich schätzen, dass ich deine Haare nicht kritisiere.“
 

 

„Oh, also magst du mich“, grinste Kyojuro.
 

 

„Vergiss es – färbe sofort dein Haar!“
 

 

Kyojuro lachte nur auf und tätschelte Giyuu's Kopf, wie er es auch gerne mal bei seinen Schülern tat.
 

 

„Gehen wir zusammen Mittag essen, Kamado?“
 

 

Tanjiro stand sofort kerzengerade da, als er zusätzlich nickte: „Ja! Natürlich Rengoku-sensei!“
 

 

Kyojuro ließ von Giyuu ab, um stattdessen an Tanjiro's Seite zu treten, damit sie zur Mensa gehen konnten. Auch wenn sie genauso gut im Lehrerzimmer sitzen und essen konnten, war Kyojuro einer der wenigen Lehrer, die auch gerne mal in der Mensa speisten – auch, um seinen Schülern noch mehr Chancen zu geben, zu ihm zusprechen. Das war etwas, was Tanjiro ebenfalls stets imponiert hatte …
 

 

„Hey! Ignoriert mich nicht!“
 

 

Tanjiro warf seinem ehemaligen Sportlehrer ein entschuldigendes Lächeln über die Schulter zu, aber gerade war das gemeinsame Mittagessen mit Kyojuro wichtiger als eine Diskussion mit Giyuu.
 

 

Die Mensa war natürlich bereits gut gefüllt, die Pause ging schon einige Minuten. Dies bedeutete jedoch auch, dass sie nicht lange anstehen mussten, um sich ihr Essen zu besorgen. Eigentlich hatte Tanjiro immer etwas dabei, damit er sich hier nichts holen musste, aber hin und wieder genehmigte er sich auch etwas Mensa-Essen.

Auch wenn dieses sicherlich nicht so lecker war, wie das, was er selbst kochte.

 

 

„Ich frage mich, ob Tomioka dich sein restliches Leben verfolgen will, bis du die Ohrringe mal herausnimmst“, meinte Kyojuro amüsiert, während er sein Tablett in den Händen hielt und auf ihn wartete.
 

 

„Ich hätte wohl an einer anderen Schule anfangen sollen“, merkte Tanjiro verlegen an.
 

 

Aber für ihn war immer schon klar gewesen, dass er an seine alte Schule zurückkehren würde. Immerhin unterrichtete Kyojuro hier, er war ein Vorbild für ihn und das bis heute noch. Vielleicht hob er Kyojuro etwas zu sehr in den Himmel – aber war das nicht normal, wenn man jemanden vor sich hatte, der wie ein Idol wirkte?

Und er nie einen Grund gegeben hatte, dies nicht zu tun?
 

 

„Was trägst du da eigentlich die ganze Zeit mit dir herum?“
 

 

„Huh?“
 

 

Aus seinen Gedanken gerissen, blinzelte Tanjiro. Er hatte nicht einmal bemerkt, wie sie sich an einen freien Tisch gesetzt hatten, manchmal verlor er sich zu sehr.
 

 

„Oh- also …“, verlegen sah er zu dem Päckchen herunter, welches er irgendwie geschafft hatte, die ganze Zeit an sich zu drücken.
 

 

Ob Kyojuro sein Tablett getragen hatte? Er traute es dem Geschichtslehrer wirklich zu!
 

 

Zumindest für den Moment entkam er einer Antwort, denn wie es so oft war, traten ein paar Schülerinnen an ihren Tisch. Tanjiro war es gewohnt, dass sie selten Ruhe in der Mensa hatten, zumindest nicht durchgängig. Kyojuro gab jedoch auch keinen Anlass dazu, sich nicht nähern zu wollen.
 

 

„Uhm … Rengoku-sensei?“
 

 

„Oh!“, machte Kyojuro sofort und wandte seine Aufmerksamkeit den beiden Mädchen zu, die an ihrem Tisch standen. „Hallo Suzuki-kun und Itou-kun! Ist alles in Ordnung?“
 

 

Tnajiro versuchte natürlich selbst wieder etwas ruhiger zu werden, aber dass die jungen Mädchen ebenfalls mit ihrer Nervosität zu tun hatten, war da wirklich nicht hilfreich.
 

 

„Also … wir … uns geht es gut“, antwortete die Schülerin, während sie ihre Brille auf der Nase zurechtschob und zu ihrer Freundin blickte.
 

 

„Ja, genau“, nickte diese zustimmend. „Aber wir … haben etwas gehört, wissen Sie.“
 

 

„Oh? Was denn? Hat jemand anderes ein Problem?“
 

 

Tanjiro fragte sich, ob Kyojuro wirklich nicht wusste, worauf das hinauslaufen würde oder ob er nur so tat und es überspielte. Mittlerweile traute er dem Mann wirklich alles zu.
 

 

„Nein, nein!“, wurde direkt beruhigend ausgesprochen, ehe sich die Hände beider Schülerinnen ausstreckten, um jeweils ein Päckchen vor die Nase ihres Geschichtslehrers zu halten. „A-alles … Gute zum … Geburtstag, Rengoku-sensei!“
 

 

Bei dem Blinzeln, welches er zu sehen bekam, zweifelte Tanjiro doch wieder daran, dass Kyojuro nicht überrascht von allem wurde.
 

 

„Das war doch nicht nötig“, meinte Kyojuro schließlich lächelnd, während er sich von seinem Platz erhob und die zwei hübsch verpackten Päckchen entgegennahm. „Ich danke euch von ganzem Herzen! Ich bin sicher, es wird mir gefallen.“
 

 

„Gerne doch!“, fiepste es unisono von den Mädchen, welche sich immer noch etwas zitternd zurückzogen.
 

 

Tanjiro lächelte ein wenig, beeindruckt von dem Mut der zwei Schülerinnen, der ihm nach wie vor fehlte. Als Schüler hatte er nie daran gedacht, Kyojuro Geschenke zu unterbreiten. Erst nach seinem Abschluss hatte er auch angefangen, Kyojuro hin und wieder etwas zu schenken, und dennoch war er bis heute stets nervös.
 

 

„Was für zwei freundliche Mädchen!“, meinte Kyojuro, als er sich wieder setzte und die kleinen Päckchen zur Seite legte, wo auch jene lagen, die er vorher auf dem Flur bekommen hatte.
 

 

Sofort landete auch Tanjiro's Blick darauf, ehe er zurück zu seinem ehemaligen Lehrer sah und diesem entgegenlächelte: „Scheint so … hast du schon … viele Geschenke heute bekommen?“
 

 

Er fragte sich, was in diesen Geschenken so drinnen war. Ob alle etwas für Kyojuro backten oder versuchte man sich auf andere Vorlieben und Hobbys zu konzentrieren, die der Geschichtslehrer hatte? Es war wohl alles vorstellbar und ließ ihn bedenken, ob sein Geschenk überhaupt gut genug war.

Konkurrierte er jetzt gedanklich mit Schülern, die ihren Lehrer einfach genauso mochten, wie Tanjiro es damals auch getan hatte?
 

 

„Ein paar schon. Ich werde sie daheim öffnen. Es ist schön, dass so viele Personen an mich denken! Dabei kann ich mich gar nicht daran erinnern, jemals meinen Geburtstag so vielen Klassen verraten zu haben …“
 

 

„Oh? Wie seltsam“, erwiderte Tanjiro lächelnd. Kyojuro unterschätzte eindeutig seine Schülerschaft – und das Internet.
 

 

„Nun, jetzt lass uns aber erst einmal essen!“
 

 

Wenn Kyojuro enttäuscht darüber war, dass Tanjiro ihn noch nicht beglückwünscht hatte, so zeigte dieser es nicht. Vielleicht rechnete der Geschichtslehrer aber auch mit einer großen Überraschungsparty im Lehrerzimmer?

Tanjiro mochte all seine Kollegen hier, auch wenn manche etwas reizbar waren wie Shinazugawa-sensei oder auch Tomioka-sensei; obwohl sich ihre Reizbarkeit dennoch anders zeigte. Auf jeden Fall wollte er Kyojuro das Geschenk lieber etwas Privater geben. Auch wenn es keinen wirklichen Grund dafür gab, außer … Tanjiro lief sofort rot an, als er auch nur daran dachte, Kyojuro eine Frage zu stellen, die vielleicht ihr Verhältnis zueinander verändern – zerstören – könnte.
 

 

„Du bist heute wirklich sehr nachdenklich, Kamado! Geht es dir etwa nicht gut?“, sprach Kyojuro ihn zwischen zwei großen Bissen seines Currys an, welches er im Grunde schon fast aufgegessen hatte. „Geht es deiner Familie gut?“
 

 

„Ja! Es ist alles in Ordnung!“, brüllte Tanjiro beinahe durch die Mensa, zumindest die Personen in ihrer Nähe bekamen das mit und er spürte prompt so einige Blicke auf sich gerichtet.

Was natürlich dafür sorgte, dass er gleich noch röter anlief.
 

 

Und Kyojuro lachte ein wenig über ihn: „Sicher? Du wirkst irgendwie nervös, das bereitet mir ein wenig Sorgen! Ich habe hiernach eine Freistunde, wir könnten uns also einfach ein wenig unterhalten, wenn du magst.“
 

 

Kyojuro's Hilfsbereitschaft war nach wie vor etwas, was Tanjiro nur verliebt wahrnehmen konnte. Es war eine wirklich wunderschöne Eigenschaft von dem Geschichtslehrer. Er rieb sich ein wenig über die noch warme Wange, nickte aber doch zaghaft.
 

 

„Ja … gerne.“
 

 

Durch seine Zusage war ihm vermutlich versichert, dass Kyojuro ihm über das gemeinsame Essen Zeit gab, einfach seinen Gedanken nachzuhängen und Tanjiro versuchte einfach nur dafür zu sorgen, dass er sich entspannte. Es war lächerlich so aufgeregt zu sein, immerhin würde es vermutlich einfach mit dem Geschenk anfangen und enden. Tanjiro würde sicherlich nicht viel mehr über die Lippen bekommen.
 

 

Leider – oder auch glücklicherweise? - war Kyojuro ein wirklich zügiger Esser und auch Tanjiro konnte das nicht in weitere Stunden hinauszögern, weil sie auch nicht den ganzen Tag Zeit hatten. Früher oder später müssten sie beide wieder in den Unterricht, wenn auch nicht mehr als Schüler.

Und schneller als Tanjiro schauen konnte, klingelte es bereits zum Unterricht, was hieß, dass sie jetzt auch ihre Freistunde hätten und in der Mensa mit wenigen anderen zurückblieben, die ebenfalls eine Freistunde hatten. Hinzukommend hatte Tanjiro nun auch endlich sein Curry aufgegessen. Statt darauf anzusprechen, blieb Kyojuro aber respektvoll ruhig und wartete offensichtlich darauf, dass dies Tanjiro selbst auffiel.
 

 

Jetzt war es ihm aufgefallen …
 

 

„Wir können gehen“, schlug Tanjiro vor, während er hoffte, dass seine Stimme nicht zu sehr zitterte.
 

 

In Anbetracht von Kyojuro's besorgten Gesichtsausdruck missfiel ihm das ein wenig. Statt etwas zu sagen, nickt sein ehemaliger Lehrer jedoch lächelnd und erhob sich. Sie brachten ihre Tabletts weg und machten sich dann direkt auf den Weg zum Büro, welches Kyojuro hier besaß. Dies war kein Luxus, welchen jeder Lehrer bekam, doch da Kyojuro – wenn auch eher inoffiziell – als Vertrauenslehrer galt, war dies wohl nur nachvollziehbar. Zumindest hatte Tanjiro nie mitbekommen, dass es aufgrund dieser Tatsache irgendwelchen Ärger gab.
 

 

Tanjiro kannte den Weg zu Kyojuro's Büro natürlich nur zu gut, es war ein Ort, den er als Schüler oftmals aufgesucht hatte, aber auch jetzt, wo er als Referendar diese Schule besuchte.

Sobald sein ehemaliger Lehrer die Tür aufgeschlossen hatte, betraten sie das aufgeräumte Büro gemeinsam. Das einzige Chaos hier bestand aus Büchern, die auf dem Boden gestapelt wurden. Die meisten mit einem historischen Thema.

Er drückte das Päckchen wieder fest an sich und eigentlich dürfte Kyojuro dieses auch schon bemerkt haben. Immerhin hielt er es die ganze Zeit an sich gedrückt fest und auch wenn es klein war, war es nicht total unauffällig oder winzig genug, um es zu übersehen. Auch wenn niemand wissen konnte, für wen es war, war es wohl sehr naheliegend, dass Kyojuro die Person sein könnte, welcher dieses Geschenk gebührte.
 

 

„Also Kamado“, Kyojuro setzte sich auf seinen Schreibtisch, ignorierte den sicherlich bequemen Sessel dahinter und deutete auf die Stühle vor sich. „Was liegt dir auf dem Herzen?“
 

 

„Ach … es ist nichts … also …“, er neigte den Kopf etwas unsicher, während er dennoch auf einem freien Stuhl Platz nahm, nur um kurz darauf wieder aufzustehen und das Päckchen gegen die muskulöse Brust zu drücken. „Das ist für dich!“

Kyojuro sah ihn so starr an, wie Tanjiro es schon als Schüler hin und wieder nervös gemacht hatte. Als würde der Geschichtslehrer nicht blinzeln müssen und stattdessen jedem ganz tief in die Seele sehen können.

„Für deinen Geburtstag“, fügte Tanjiro nun also nervös hinzu, während er immer noch das Päckchen gegen Kyojuro drückte.
 

 

„… Aber deshalb bist du doch nicht so nervös und verloren in Gedanken, oder?“ Kyojuro legte seine Hand inzwischen über die von Tanjiro, um zu signalisieren, dass er das Päckchen hielt.
 

 

Deshalb zog Tanjiro auch ganz schnell seine Hände weg: „Na ja …“ Seine Nervosität hing durchaus damit zusammen. Der naheliegende Grund entkam ihm noch nicht, und er war froh darüber, dass Kyojuro anfing, das Päckchen zu öffnen.

 

 

Tanjiro überlegte jedes Jahr aufs Neue, was er Kyojuro kaufen sollte, nur damit es doch immer wieder dasselbe wurde, weil er wusste, was seinen ehemaligen Lehrer ein Strahlen entlocken würde.
 

 

„Ohhhh! Ich kann es schon riechen!“, lachte Kyojuro auf und öffnete die kleine Box, die zuvor von Geschenkpapier umhüllt war. „Zimtkekse! Oh! Ich liebe sie!“
 

 

„Weiß ich doch“, gluckste Tanjiro, dieses Strahlen zu sehen erwärmte sein Herz und gab seinem Körper etwas Entspannung.
 

 

Auch, als Kyojuro wenig später die Wangen voll mit den Keksen gestopft hatte. Neben der seltsamen Vorliebe für Süßkartoffeln hatten es auch die Zimtkekse geschafft, einen Platz in Kyojuro's Herz zu finden. Seitdem sie das herausgefunden hatte, verschenkte Tanjiro, wann immer es einen Anlass dazu gab, ebendiese Zimtkekse. Sie war nicht schwer herzustellen, auch wenn es vielleicht ungewöhnlich war, im Mai etwas mit Zimt zu backen. Es war nichts, was Tanjiro davon abhielt, wenn er dafür sehen konnte, wie glücklich Kyojuro damit zu sein schien.
 

 

„Die sind so lecker!“, schwärmte Kyojuro direkt weiter. „Hast du sie wieder selbst gebacken, Kamado? Du bist einfach ein großartiger Bäcker!“
 

 

„Natürlich habe ich das“, antwortete er sofort etwas stolz. „Ich würde niemand Anderen das Geburtstagsgeschenk für dich backen lassen!“
 

 

„Du machst mir immer eines der besten Geschenke, Kamado.“
 

 

Tanjiro könnte beleidigt davon sein, dass es nicht das beste Geschenk war, aber Kyojuro bekam vermutlich von allerlei Leuten Geschenke. Außerdem kannte Tanjiro auch den kleinen Bruder von seinem ehemaligen Lehrer und vermutlich wäre es egal, was dieser verschenkte; es wäre für Kyojuro immer das Beste.
 

 

Dies war nur eine Sache mehr, die er an Kyojuro mögen – lieben – gelernt hatte.
 

 

„Uhm … Kyojuro?“

Es war nicht das erste Mal, dass er seinen ehemaligen Lehrer beim Vornamen war, es blieb jedoch eine der wenigen Ausnahmefälle, weil es so persönlich und fast intim war … vielleicht hatte er es deshalb auch immer vermieden. Doch es sorgte im jetzigen Moment dafür, dass Kyojuro mit vollem Mund zu ihm hochsah und sogar etwas verwundert wirkte.

„Ich würde gerne … gehst du mit mir aus?“
 

 

„Huh?“, machte Kyojuro, vermutlich auch weil er mit seinem vollen Mund unmöglich etwas Klareres von sich hätte geben können.
 

 

„Auf ein Date, meine ich. Du … mit mir.“
 

 

Sein Herz hämmerte so hart und schnell gegen seine Brust, dass Tanjiro befürchtete, gleich umzufallen. Er hatte es wirklich gesagt – gefragt. Zumindest schüttelte Kyojuro nicht wild den Kopf, rastete aus oder sprang aus dem Fenster – da sie im Erdgeschoss waren, wäre dies kein Problem, aber es war dennoch schön, dass es nicht geschah.

Tanjiro konnte förmlich hören, wie Kyojuro den zimtigen Keksteig herunterschluckte, während der Geruch nach wie vor in der Luft lag.
 

 

„Aber … ich bin wesentlich älter als du.“
 

 

„Es sind fünf Jahre“, harkte Tanjiro ein, bevor Kyojuro mehr darüber reden konnte. „Das ist nicht wesentlich älter, es ist ein recht kleiner Unterschied. Und es hat auch sicherlich nichts damit zu tun, dass ich mal dein Schüler war! Ich meine, das ist nun auch schon ein wenig her! Das sind ernste Gefühle von meiner Seite aus, das kann ich dir versichern!“

Tanjiro hatte schließlich nicht erst heute früh beschlossen, dass er wohl verliebt war; dies waren Gefühle und Gedanken, die er eine ganze Weile schon mit sich herumschleppte. Immerhin hatte er sich auch nicht auf etwas einlassen wollen, was vielleicht nur mit einer Schwärmerei zu tun hatte, die nicht ernst zu nehmen war. Doch er war sich mittlerweile sehr sicher, dass … es war komplett ernst und ehrlich!

„Aber fühl dich bitte zu nichts genötigt. Ich werde auch ein … Nein von dir überstehen können.“
 

 

Kyojuro starrte ihn wieder an, aber dieses Mal nicht ganz so starr. Nein, er wirkte sogar ein wenig nervös. Das musste das erste Mal sein, dass sein ehemaliger Lehrer so wirkte.
 

 

„Nun …“, hüstelte Kyojuro schließlich. „Gegen … ein Date ist ja nichts einzuwenden.“
 

 

„Wirklich?“, rief Tanjiro mit großen Augen und einem Strahlen aus. „Ich werde sofort alles planen, Kyojuro! Und dann sage ich dir Bescheid! Ich kann dir auch noch mehr Zimtkekse backen!“
 

 

Als er Kyojuro ein wenig lachen hörte, blinzelte er ein wenig und befreite sich aus der euphorischen Freude, um stattdessen wieder ein wenig rot anzulaufen. Dennoch empfand er ein glückseliges Gefühl, in sich wummern – jetzt müsste nur ihre Verabredung nicht völlig schieflaufen.

Ein Karton voller Kätzchen [Kyojuro x Mitsuri]

Mitsuri hatte gar keine andere Wahl gehabt.

 

Wenn sich ihr jemand offenbarte, der Hilfe benötigte, dann musste sie helfen. Das hatte man ihr Zuhause beigebracht, aber auch ihr ehemaliger Mentor hatte stets davon gesprochen. Wenn man stärker war als andere, dann musste man diese Stärke nutzen, um zu helfen. Das war für sie auch niemals ein Problem, selbst dann, wenn man ihr nicht immer freundlich oder höflich begegnete, gab sie stets ihr Bestes, um zu unterstützen. Gleichzeitig hatte sie – auch dank ihres ehemaligen Mentors – gelernt, dass man sich nicht jede Respektlosigkeit gefallen lassen musste.

Vorurteile waren eine Sache, tatkräftige Beleidigungen oder nicht erwünschte Berührungen, waren etwas völlig anderes.

 

Sie fühlte sich im Allgemeinen sicherer, auch wenn die Unsicherheit sie dennoch manches Mal einfangen konnte.

 

Dieses Mal ging es nicht darum, dass sie Menschen helfen musste.

 

Es kam selten vor, dass sie als Hashira mal etwas mehr Zeit hatte und nicht direkt von A nach B reisen musste, um Dämonen zu bekämpfen oder noch junge Dämonenjäger unterstützen. Wenn sie diese Zeit hatte, dann verbrachte sie diese sehr gerne mal anders!

 

Für den heutigen Tag hatte sie geplant, ein neues Lokal auszutesten. Dafür wollte sie sich auf den Weg zum Schmetterlingsanwesen machen, wo man am ehesten andere Hashira's traf. Mitsuri hatte kein Problem damit, alleine essen zu gehen, aber den größten Spaß hatte man gemeinsam!

Sie hoffte ein wenig auf Kyojuro, da sie einen ähnlichen Appetit hatten und es immer ein kleines Wettessen zwischen ihnen gab – aber am Ende wäre sie über jeden glücklich, der mit ihr gehen würde.

Ihr erst sehr geradliniger Weg wurde jedoch durchbrochen von einem Karton, der einsam und alleine am Rand stand, bereits durchweicht war von Schnee und ganz allgemein in keinem guten Zustand war.

 

Normalerweise hätte sie diesen Karton vermutlich einfach ignoriert oder mit sich genommen, um es wegzuschmeißen – an einen Ort, wo es auch hingeschmissen werden sollte!

Doch es gab ein Geräusch, das eindeutig dafür sprach, dem Karton mehr Beachtung zu schenken.

 

Ein Miauen.

 

Nun, nicht nur eines. Sofort riss sie den Karton oben auf und bekam ziemlich große Augen.

 

„Ahhhh!“, quiekte sie. „Was seid ihr denn für süße Kleinen?“

 

Fünf Kätzchen tollten im Karton herum oder starrten sie mit ihren großen Augen an – mehr benötigte es nicht, um sie zu verzaubern! Obwohl es so oder so nichts benötigt hätte, denn Kätzchen würden sie immer bezaubern – ganz egal wie oder warum!

 

„Wie kann euch nur jemand hier abstellen? Ihr armen Kleinen.“

 

Und prompt hatten sich ihre Pläne zumindest ein wenig verändert. Sie ging inzwischen nicht mehr zum Schmetterlingsanwesen, um jemanden zu finden, mit dem sie essen gehen konnte – sie ging dorthin, um einen Ort für ihre Kätzchen zu finden.

Während sie also den Karton so vor sich trug, kam sie nicht daran vorbei, immer wieder ein paar Geräusche von sich zu geben.

Eine Mischung aus Quietschen und Fiepsen und zwischendurch auch ordentliche Worte.

 

„Ahh, wie soll ich euch nur alle nennen? Es gibt so viele schöne Namen, die zu euch passen würden, aber alles wäre perfekt“, plapperte sie immer wieder vor sich hin.

 

Der Marsch zum Schmetterlingsanwesen war schließlich schnell bewältigt und sie konnte bald schon auf das Anwesen treten. Der Geruch frischer Blumen lag in der Luft und Schmetterlinge tänzelten in ihr – ein wunderschöner Augenblick, für ein wunderschönes Anwesen. Ein Anwesen, dass Dreh- und Angelpunkt für das gesamte Corps war. Ein sicherer Ort für alle, die gerade Schutz benötigten oder mal etwas freie Zeit bekamen.

 

„Kanroji-san! Was hast du denn dort bei dir?“

 

Mitsuri entrann ein promptes Fiepsen, als sie den Blick hob und ein bekanntes Gesicht vor sich erkennen konnte.

„Rengoku-san!“, mit dem Karton im Arm, verkleinerte sie den Abstand zur Engawa, auf welcher es sich Kyojuro bequem gemacht hatte. „Hast du etwa auch ein wenig Freizeit heute?“

 

„Das ist richtig!“, rief ihr ehemaliger Meister aus. „Ich komme gerade von einer erfolgreichen Mission zurück. Glücklicherweise wurde ich nicht von irgendwas getroffen, das heißt, ich kann wieder los, sobald es eine neue Mission für mich gibt!“

 

Ah, Kyojuro war stets so motiviert, es war schön zu sehen, zu hören und zu erleben! Es motivierte Mitsuri sogleich ebenfalls dazu, gleich wieder auf eine Mission gehen zu wollen. Doch das Maunzen, welches aus dem Karton wieder zu ihr drang, erinnerte sie an etwas, was vielleicht nicht wichtiger war als Menschenleben, aber dennoch beachtet werden sollte!

 

„Sieh mal Rengoku-san!“, meinte sie nun also und kam noch etwas näher. „Auf dem Weg hierher, bin ich auf diesen Karton gestoßen! Irgendjemand hat diese Kätzchen einfach ausgesetzt!“

 

„Oh, wirklich!“, rief Kyojuro aus, als er jetzt von der Engawa aufstand, damit er in den Karton hineinsehen konnte.

 

Mitsuri bewunderte ein wenig, dass Kyojuro größer war als sie, obwohl fast jeder Hashira sie in der Größe schlug. Zu ihrem ehemaligen Mentor aufzusehen, war dennoch nochmal etwas ganz Besonderes, und ihr nervöses Herz begann schneller gegen ihre Brust zu schlagen.

 

„Ja!“, verkündete Mitsuri jetzt aber. „Ich bin so froh, dass ich gerade diesen Weg gegangen bin und ich sie gehört und gesehen habe! Sieh doch nur, wie süß sie sind!“

 

„Sie sind ganz bezaubernd!“, stimmte Kyojuro nickend zu.

 

Mitsuri konnte erkennen, wie sich ein wundervolles Lächeln auf den Lippen des Flammenhashira ausbreitete. Durch ihre gemeinsame Zeit damals hatte sie einige Facetten von Kyojuro kennengelernt, auch wenn man meinen mochte, dass er gar nicht so viele besaß. Doch es gab minimale Unterschiede – nicht jedes Lächeln war gleich.

Es gab ein Lächeln, welches nur seinem Bruder galt.

Ein Lächeln, für seine Mutter, wenn er an ihren Schrein ging.

Eines, wenn er über seinen Vater sprach.

Es gab gefühlt für jede Person, die er besser kannte, ein einzigartiges Lächeln, auch wenn es nur sehr kleine Unterschiede waren.

 

Dieses Mal, war es ein sehr sanftes Lächeln, liebevoll und zärtlich – es ließ ihr Herz erneut schneller schlagen.

 

„Jedoch glaube ich nicht, dass Kocho-san begeistert davon wäre, hier Kätzchen vorzufinden.“

 

„Huh?“, irritiert riss Mitsuri die Augen auf, als sie wieder ihre Gedanken auf die Kätzchen lenkte. Mit gerunzelter Stirn sah sie zurück in den Karton. „Glaubst du? Aber sie sind doch so süß, wie könnte sie jemand ablehnen?“

 

Kyojuro schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln: „Theoretisch wäre dies ein perfektes Gebiet. Sie könnten viel im Garten oder im Umkreis toben. Aber gerade jetzt werden sie wohl etwas mehr Aufmerksamkeit benötigen.“

 

„Die Mädchen wären aber begeistert! Ist Kocho-san denn gerade da? Dann könnte ich sie ja fragen!“

 

„Sie ist vorhin ins Büro gegangen, also lass uns dort nach ihr sehen.“

 

Mitsuri nickte sofort motiviert. Shinobu könnte niemals verneinen, wenn sie all die süßen Kätzchen sehen würde! Deshalb folgte sie ihrem ehemaligen Mentor auch sofort. Auch wenn Shinobu manchmal etwas abweisend wirken konnte, so würde sie die Insektenhashira definitiv als eine Freundin ansehen. Vielleicht lag dies auch daran, dass sie die einzigen Frauen unter den Hashira's waren. Sie waren wohl von Grund auf verschieden, aber sie verstanden sich dennoch unheimlich gut und das genoss sie auch stets.

 

Zu Kyojuro hatte sie aber nochmal eine intensivere Verbindung, sicherlich auch aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Immerhin war es etwas Besonderes, jemanden als Mentor zu haben – auch wenn Kyojuro zeitweise ein schrecklicher Mentor sein konnte. Selbst Mitsuri konnte bei all seiner Motivation niemals mithalten, vor allem wenn es ums Training ging, welches es geschafft hatte sie immer wieder auszupowern. Ob sie mittlerweile besser mithalten könnte?

 

Wollte sie überhaupt mithalten können?

 

Sie behielt den Karton an sich gedrückt, als Kyojuro an einer Tür anklopfte und darauf wartete Shinobu zu hören, welche sie auch direkt hineinbat.

 

 

„Rengoku-san, geht es dir etwa doch nicht gut?“
 

 

Die melodische Stimme flog förmlich durch den Raum, genauso wie der bekannte Geruch von Wisteria.
 

 

„Kocho-san!“, fiepste Mitsuri und drängte sich hinter Kyojuro vorbei, welcher deshalb nur etwas auflachte. „Sieh nur, ich habe einen Karton mit Kätzchen gefunden!“
 

 

Sie sah eine deutliche Verwunderung im Gesicht von Shinobu. Sicherlich hatte sie nicht mit ihr gerechnet und dann auch schon gar nicht mit der Aussage, mit welcher sie die ruhigen Räumlichkeiten gestürmt hatte.

Doch die Insektenhashira erholte sich schnell von dieser Überraschung und trug bald schon ihr bekanntes Lächeln wieder.
 

 

„Kanroji-san, ich habe dich gar nicht erwartet“, erwiderte sie als Erstes. „Und dann auch noch mit Kätzchen.“
 

 

Mitsuri bemerkte sofort, dass sie nicht sonderlich begeistert wirkte, trotz ihres Lächelns. Sie warf einen unsicheren Blick hinter sich auf Kyojuro. Entweder bemerkte er davon nichts oder er zeigte es zumindest nicht.
 

 

„Ja, sie sind so süß!“, meinte sie nun einfach, ein wenig zurückhaltend dennoch. „Ich dachte mir, sie wären hier wundervoll aufgehoben, oder? Die Mädchen würden sich bestimmt freuen, sie könnten draußen herumtoben und hätten ein freies Leben!“
 

 

„Ah, das ist leider nicht möglich“, Shinobu klatschte in die Hände und kniff die Augen bei ihrem Lächeln zu.
 

 

Mitsuri blinzelte betrübt: „Aber warum denn nicht?“
 

 

Dann nieste Shinobu plötzlich. Kyojuro machte ein neben ihr ein 'Uh'-Geräusch, vermutlich ebenso überrascht wie Mitsuri davon.
 

 

Shinobu seufzte etwas und machte einen Schritt zurück, obwohl sie bereits recht weit weg stand: „Nun, diese Fellknäuel verursachen bei mir genau solche Reaktionen.“
 

 

„Oh, deshalb hast du also nur einen Goldfisch als Haustier?“
 

 

„Du hast einen Goldfisch als Haustier? Wie interessant!“, meinte Kyojuro sofort neugierig.
 

 

Darauf ging ihre Insektenhashira nicht ein, sie nickte dennoch einmal: „Wie auch immer. Ihr müsst wohl einen anderen Ort finden, an dem ihr die Kleinen unterbringen könnt.“
 

 

„Ah ... wie schade. Ich dachte schon, es wäre perfekt hier!“, seufzte Mitsuri.
 

 

Das richtige Geräusch, um Kyojuro's Fürsorge zu aktivieren: „Ach, das bekommen wir schon hin, Kanroji-san! Lass uns gleich aufbrechen und ins Dorf heruntergehen!“
 

 

Mitsuri richtete ihren Blick sofort wieder auf Kyojuro, welcher sich bereits mit wehenden Haori umgedreht hatte, um den Weg einzuschlagen, den er vorgeschlagen hatte.

„Du hast recht!“, stimmte sie ihm sofort zu und lief keine zwei Sekunden später an seiner Seite.
 

 

Das war gar nicht mal so einfach.
 

 

Kyojuro war immer sehr schnell unterwegs. Während es bei ihm völlig normal wirkte, war sich Mitsuri ziemlich sicher, dass sie komplett gestresst aussehen musste. Dies war noch ein Grund dafür, wie schwer es doch war, bei ihm mithalten zu können. Vermutlich war es auch ein Grund dafür, dass er nie einen Tsuguko unter sich hatte – abgesehen von Mitsuri, welche dann ihre eigene Atemtechnik entwickelt hatte. Dennoch hatte sie unheimlich viel von Kyojuro gelernt – sie konnte dadurch durchaus nachvollziehen, warum bereits anderer an ihrer Stelle aufgegeben hatten.
 

 

Aufgeben war nie eine Option für sie gewesen, das war ihr zugutegekommen.
 

 

„Ich hoffe, wir können dort unten jemanden finden“, meinte sie. „Oh, warum bringen wir sie eigentlich nicht zu dir, Rengoku-san? Ich bin sicher, Senjuro würde sich darüber sehr freuen!“
 

 

Sie hätten ja durchaus Futter und Wasser besorgen können, bevor sie aufbrechen würden. Glücklicherweise war das Dorf, in welchem Kyojuro aufgewachsen war, auch nicht so immens weit entfernt, es wäre also durchaus machbar.
 

 

„Das ist keine gute Idee“, lachte Kyojuro auf. „Unser Vater hat Haustiere immer verboten. Er hat es nie begründet, aber ich denke nicht, dass sich seine Meinung verändert hat. Es würde also nur Ärger bedeuten, die Kätzchen dorthin zu bringen.“
 

 

„Ich... habe euren Vater noch nie angetroffen“, sprach Mitsuri zaghaft an.
 

 

Kyojuro nickte ein wenig: „Ja, er verlässt sein Zimmer eigentlich nie. Nur wenn er... na ja, seine Einkäufe erledigt.“
 

 

„... er muss eure Mutter wirklich sehr geliebt haben“, brachte sie schwer über die Lippen.
 

 

Liebe war ein wundervolles Gefühl und es gab nichts, was Mitsuri wohl mehr verehrte. Dennoch kannte sie aufgrund von der einen oder anderen Erzählung, dass sich diese Liebe verändert hatte. Sicherlich war sie noch da, aber der Verlust eben jener Liebe hatte dafür gesorgt, dass vieles mehr in die Schatten geraten war.

Dies war noch ein Grund dafür, weshalb sie Kyojuro ein wenig verehrte. Er war eine so starke Persönlichkeit, trug stets ein Lächeln auf den Lippen und half alles und jedem, ganz egal ob ein Freund oder ein Fremder.
 

 

Doch manchmal fragte sie sich, wann ihr ehemaliger Mentor auch mal zuließ, aufgefangen zu werden.
 

 

Mitsuri würde ihn auffangen. Sicherlich könnte sie keine guten Ratschläge geben, doch ihre Umarmungen wurden stets gelobt! Mit ihnen könnte sie sicherlich auch eine Hilfe sein.
 

 

„Das hat er“, antwortete Kyojuro. „Wir haben sie alle geliebt.“
 

 

Nach allem, was Kyojuro ihr bereits erzählt hatte, zweifelte Mitsuri keineswegs daran. Sie hatte das Haus nicht viel betreten dürfen, doch sie kannte den errichteten Schrein und auch die Küche – sie kannte auch die herrschende Anspannung, wenn sie im Haus unterwegs war. Glücklicherweise war nie etwas geschehen – und trotz allem war sie stets neugierig darauf gewesen, den Mann kennenzulernen, welcher vorher der Flammenhashira gewesen war. Mehr als das, der Vater von einem so wundervollen Menschen wie Kyojuro und dessen kleinen Bruder Senjuro, den sie auch sofort ins Herz geschlossen hatte.
 

 

„Wie geht es denn Senjuro so weit?“, fragte sie nach, auch um das Thema ein wenig zu wechseln.
 

 

„Ich hoffe, gut! So gut, wie er es mir immer sagt oder schreibt!“, erwiderte Kyojuro sofort. „Zumindest scheint er wohlauf zu sein, gesundheitlich, meine ich. Er erzählte mir zuletzt davon, ein Tagebuch unseres Vaters gefunden zu haben. Wir sind uns noch nicht sicher, ob wir es lesen sollten.“
 

 

Mitsuri konnte ganz genau den Schalk in Kyojuro's sonnigem Gesicht erkennen.
 

 

„Ich meine; es könnten interessante Sachen darin stehen. Über die Flammenatmung!“, redete ihr ehemaliger Mentor weiter. „Es scheint zumindest etwas älter zu sein, vermutlich hat er schon lange nichts mehr hineingeschrieben.“
 

 

„Dennoch ist es etwas sehr Privates“, warf Mitsuri schleunigst ein – Kyojuro gab nicht immer die Gelegenheit zu reden, weil er so viel plapperte. „Ihr solltet es lieber nicht ohne seiner Erlaubnis machen.“
 

 

Vermutlich würde es niemals eine Erlaubnis geben.

Besorgt warf sie einen Blick in den Karton, dank ihrer fast übermenschlichen Stärke bekam sie glücklicherweise keine Schmerzen aufgrund des stetigen Gewichts, welches sie hier trug. Auch wenn die Kätzchen mittlerweile zumindest ruhig hielten. Sie hatten sich aneinander gekuschelt, putzten sich oder schliefen bereits. Ob sie die Sicherheit spüren konnten, welche von Mitsuri und auch Kyojuro ausging?
 

 

„Das werden wir sicherlich auch nicht“, meinte Kyojuro.
 

 

Mitsuri wusste nicht, wie ehrlich diese Worte gemeint waren, doch im Allgemeinen hatte sich Kyojuro als eine sehr ehrliche Person ausgezeichnet, also glaubte sie es. So wie sie vermutlich alles glauben würde, was von ihm käme.
 

 

„Weißt du schon, zu wem wir gehen könnten? Wegen der Kätzchen?“, fragte Mitsuri, als sie das Dorf bereits am Ende des Weges erkennen konnte.
 

 

Es war fast schon lächerlich nahe am Schmetterlingsanwesen, aber dafür lag es auch auf Shinobu's Route und die Menschen dort wussten zum Teil über Dämonen Bescheid. Skeptiker gab es natürlich immer, aber es war wohl ein sehr sicherer Ort, weil es häufig von Dämonenjägern gekreuzt wurde.
 

 

„Hmm“, machte Kyojuro nachdenklich neben ihr. „Ich denke, die Kätzchen sollten am ehesten zusammenbleiben, oder? Sie sind sicherlich Geschwister. Vielleicht nehmen die Reisbauer sie auf? Dann hätten sie viel Freiraum um sich herum und sicherlich könnten sie ihnen auch Wasser bieten, sowie Futter.“
 

 

„Ich würde ihnen sogar Geld zukommen lassen!“, meinte Mitsuri sofort hingebungsvoll. „Ich will, dass es den Kleinen gut geht, ich hätte also kein Problem damit, etwas von meinem Geld abzugeben, damit sie auch wirklich genug bekommen!“

 

 

„Das ist so liebenswürdig von dir, Kanroji-san!“
 

 

Mitsuri fiepte leise, während sie spürte, dass ihre Wangen ganz warm wurden – und sicherlich rot angelaufen waren. Dabei sollte sie es wohl gewohnt sein, gerade von Kyojuro solche Dinge zu hören. Dieser sagte einfach, was ihm in den Sinn kam. Dennoch sorgte es für eine leichte Verlegenheit und Freude bei Mitsuri.
 

 

„D-das... ist doch selbstverständlich!“, erwiderte sie stolz.
 

 

„Ich bin sicher, dass die Reisbauer gerade bei so einem Angebot die Kätzchen wirklich aufnehmen werden. Und wir können sie dann besuchen, wann immer wir mal Zeit dafür haben!“
 

 

Mitsuri bekam sofort große Augen: „Ooohhh, das wäre so wundervoll!“
 

 

Dann könnten sie vielleicht miterleben, wie die Kätzchen größer wurden. Auch wenn sie nicht so oft Zeit hatten, mussten sie wohl auch so immer mal wieder zum Schmetterlingsanwesen – es war also immer auf dem Weg! Mitsuri müsste dann wohl aufpassen, sich davon nicht zu sehr ablenken zu lassen.

Im Moment erfreute sie dieser Gedanke aber dennoch und sie war schon ganz aufgeregte!
 

 

Die Felder der Reisbauer befanden sich natürlich am Rand des Dorfes, dort wo ausreichend Platz dafür war. Schon von weiten konnte man einige junge und auch ältere Männer, auf den Feldern umherstreifen sehen. Während Mitsuri trotz allem Fremden gegenüber eher etwas schüchtern war – wenn sie diese nicht gerade vor Gefahren retten musste – war Kyojuro gefühlt nie zurückhaltend. Ganz egal wo er war, man sprach ihn an – oder er sprach andere Personen an. Er stellte Fragen, begann Gespräche und tat nichts lieber als seine Mitmenschen aufzumuntern, wenn sie mal deprimiert wirkten.

Sein Gang war stets zielsicher und stark, als würde ihn nichts davon abbringen können seinen Pfad zu ändern. Es gab noch so viel mehr, was Mitsuri an ihrem ehemaligen Mentor beneidete – wofür sie ihn vermutlich auch ein wenig anhimmelte.
 

 

Sobald Kyojuro's Augen eine Person im Haus auffingen, in welchem die Besitzer des Feldes womöglich lebten. Dort drinnen dauerte es auch nicht lange, bis sie ein paar Personen entdeckten, manche von ihnen gönnten sich vermutlich eine Pause von der schweren Arbeit auf dem Feld, andere war vielleicht gerade dabei den Weg nach Hause anzugehen.
 

 

„Verzeihung!“
 

 

Mit festen Schritten ging Kyojuro auf eine Art Tresen zu, dem Geruch nach zu urteilen befand sich in der Nähe eine Küche – ob die Arbeiter hier frische Mahlzeiten bekamen? Es erinnerte Mitsuri zumindest sofort daran, dass ihr eigentlicher Plan ein ordentliches Mahl gewesen war. Ihr Magen fühlte sich so leer an!

Hoffentlich hätte Kyojuro hiernach noch Zeit, mit ihr essen zu gehen!
 

 

Der wackelnde Karton in ihren Armen ließ ihren Blick wieder hineinwandern, wo die Kätzchen ihr Nickerchen wohl erst einmal beendet hatten und nun leise maunzten und sich in dem engen Raum bewegten. Dass sie sich bewegen konnten, war nur dem verdankt, dass sie wirklich noch winzig waren. Vielleicht gerade alt genug, um ohne ihre Mutter leben zu können?
 

 

„... meine Genossin und ich würden auch gerne ein wenig Geld an Ihnen abtreten, damit sie sich gut um so Kleinen kümmern können. Wir wollen immerhin nicht dafür sorgen, dass sie ihnen die Haare vom Kopf fressen!“, bekam sie zwischendurch die Überredungskünste ihres ehemaligen Mentors mit.
 

 

Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass man die Kätzchen hier aufnehmen würde. Kyojuro war sehr überzeugend und vermutlich würde dessen reine Freundlichkeit auch genügen.
 

 

„Das sind also die Kleinen?“
 

 

Mitsuri hob ein weiteres Mal den Blick, um einer Dame entgegenzublicken, welche wie bezaubert von Kyojuro wirkte, so rot wie ihre Wangen waren, doch schließlich betrachtete sie die verschiedenen Kätzchen im Karton.
 

 

„Das sind sie!“, fiepste nun Mitsuri lächelnd.
 

 

„Gleich fünf von ihnen“, merkte die Dame noch etwas unsicher an.
 

 

„Sie scheinen Geschwister zu sein und ich bin sicher, sie werden Ihnen keinen Ärger bereiten!“, meinte sie. „Sie werden sicherlich auch gerne draußen herumtollen und nur zum Schlafen hereinkommen!“

Wobei dies wohl auf die Temperaturen ankam, aber wenn man draußen etwas für die Kätzchen baute, würden sie sich vielleicht auch dort einkuscheln?

„Es wäre wundervoll, wenn sie alle zusammenbleiben könnten, wo sie scheinbar schon ihre Mutter verloren haben.“
 

 

Die Dame seufzte schwer auf, sah die Kätzchen an, danach Mitsuri und zuletzt auch nochmal Kyojuro. Wer von ihnen ihre Skepsis auch immer brach, es dauerte nicht lange, bis sie zustimmte, die Kätzchen zu behalten. Während Kyojuro ein wenig Geld abgab – da Mitsuri derzeit nicht viel bei sich hatte, weil sie zu oft alles für Essen ausgab... - brachte sie die Kätzchen in ein kleines Zimmer, wo sie bald mit Decken versorgt wurden, so wie Wasser und etwas zu Essen.

Liebevoll beobachtete Mitsuri die kleinen Kätzchen beim Tollen, Einkuscheln oder Fressen. Sie konnte sehr schnell Kätzchen erkennen, die eher ruhiger waren, während andere wild herumtollten oder den Raum versuchten auszukundschaften. Mitsuri war schon ganz gespannt, wie sie sich entwickeln würden.
 

 

„Ich denke, sie werden sich hier wohlfühlen.“
 

 

Lächelnd drehte sie sich etwas, um Kyojuro anzusehen, welcher die Räumlichkeiten nun ebenfalls betrachtete.
 

 

„Das glaube ich auch. Und wir können miterleben, wie sie groß werden!“, fiepste Mitsuri ganz begeistert.
 

 

„Darauf freue ich mich bereits!“, erwiderte Kyojuro ebenso erfreut. „Vielleicht kann ich auch mal Senjuro herbringen, es würde ihn sicherlich auch erfreuen.“
 

 

Mitsuri nickte natürlich: „Vielleicht schaffen wir es ja mal zu dritt!“
 

 

Sie hatte auch Senjuro wirklich sehr lieb und Zeit mit den beiden Brüdern zu verbringen war immer ein wunderschönes Erlebnis. Doch diese Gedanken wurden verdrängt, als ihr Magen plötzlich anfing zu knurren und sie an ihren noch herrschenden Hunger erinnerte.
 

 

„Oh“, lachte Kyojuro auf, der es definitiv gehört hatte. „Du scheinst hungrig zu sein, Kanroji-san – wollen wir etwas essen gehen?“
 

 

Mitsuri sog die Luft tief ein, als Kyojuro ihr seine Hand entgegenstreckte, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Sie starrte die Hand an, als wäre sie etwas Heiliges, ehe sie fiepsend ihre Hand nach ihr ausstreckte. Die warmen, starken Finger umschlossen ihre zierliche Hand – sanft, aber durch das Ziehen fest genug, damit sie nicht wegrutschte.

So völlig fixiert auf ihre ineinander verbundenen Hände, erschrak sie sich doch prompt, als Kyojuro sie hochzog. Mit einem erschrockenen Geräusch kam sie auf die Beine, knallte aber sofort gegen Kyojuro, welcher sie glücklicherweise auf den Beinen hielt.

Mitsuri spürte sofort, wie ihre Wangen knallrot anliefen, bevor sie sich fiepsend von Kyojuros muskulösen Oberkörper wegdrückte und komplett löste. Verlegen strich sie den Stoff ihrer Uniform glatt und vermied den direkten Blickkontakt mit Kyojuro, welcher lediglich zu glucksen schien.
 

 

„Na komm, lass uns gehen. Ich habe gehört, ein neues Lokal hat hier aufgemacht!“
 

 

„J-ja! Das habe ich auch gehört!“, erwiderte Mitsuri sofort.
 

 

Es fühlte sich so an, als wäre sie wieder Kyojuro's Schülerin, so wie sie ihm hinterher stolperte. Sie warf nochmal einen Blick auf die Kätzchen, welche noch immer herumtobten oder mittlerweile wieder schliefen. Den Karton hatte sie umgekippt, damit die Kätzchen ein- und auskamen und da ihr allgemein bekannt war, dass Katzen Kartons liebten... gab es auch keinen Grund diesen wegzunehmen.
 

 

Sie hoffte wirklich, dass Kyojuro und sie einen guten Ort für die kleinen Kätzchen gefunden hätten, welche bislang nur einen Karton hatten.

Sternschnuppen um Mitternacht [Kyojuro x Akaza]

Er hatte vorgehabt, damit aufzuhören. Das hatte er wirklich. Aber er konnte einfach nicht. Es war wie ein Zwang. Eine Begierde. Ein inneres Verlangen.
 

 

Ein verträumtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er dank des großartigen Zooms seiner Kamera das Gefühl bekam, Kyojuro direkt gegenüberzustehen. Er konnte die süßen Grübchen sehen, die sich bildeten, wenn er lachte und wie seine Augen leuchteten.
 

 

Er schien so glücklich zu sein.
 

 

Akaza konnte nichts dagegen tun, dass er einen Stich im Brustkorb empfand. Eifersucht und Neid knabberten an ihm.
 

 

Dieses Lächeln sollte ihm gebühren.

Dieses Strahlen sollte ihm gebühren.
 

 

All diese Personen, welche sich Freunde nannten, hatten es absolut nicht verdient, Kyojuro's sonniges Gemüt zu erleben. Er sollte sie in den Boden stampfen, zurück an ihren Platz verweisen – weit weg von Kyojuro.

Sein Geliebter konnte einfach nicht sehen oder erkennen, dass er zu gut für alle war. Auch viel zu gut für Akaza selbst – er konnte wirklich nicht verstehen, was Kyojuro in ihm sah. Doch vom ersten Augenblick an war Akaza völlig verzaubert gewesen.
 

 

Als Kyojuro ihn angelächelt hatte, war es um ihn geschehen.
 

 

Akaza hatte sich nicht mehr lösen können – nicht lösen wollen – und obwohl er sich als ebenso nicht gut genug bewertete, tat er alles, um Kyojuro zu verehren. Genau wie dieser es verdient hatte.

Deshalb kam er nicht davon ab, sich diesem Zwang hinzugeben und so viele Fotos wie möglich von Kyojuro zu schießen, in allen Momenten, die das Leben so preisgab. Nachdem er auch dieses Mal mehrere Fotos gemacht hatte, senkte er die Kamera – ein einfaches und recht billiges Ding. Der Zoom war in seinen Augen großartig, aber er kannte auch nicht die Möglichkeiten einer größeren, teureren Kamera.
 

 

Irgendwann würde er dies miterleben können – Kyojuro verdiente nur die besten Fotos und er würde es irgendwann verwirklichen können!
 

 

Mit einem verliebten Lächeln betrachtete er die geschossenen Bilder auf dem Display der Kamera, natürlich hatte er ein paar Lieblinge, obwohl jedes Foto einfach wundervoll war. Solange Kyojuro zu sehen war, war dies wirklich so.

Jedes Foto, auf dem Kyojuro strahlte, war ein Lieblingsfoto von ihm – aber zeitgleich empfand er auch wahre Freude und Verliebtheit, wenn er sich die Bilder ansah, auf welchen Kyojuro schlief.
 

 

In seinem Bett, über seinen Schreibtisch gebeugt, auf dem Sofa, …
 

 

Kyojuro hatte einen wahnsinnig tiefen Schlaf. Glücklicherweise war Akaza da, um den jungen Mann zu beschützen! Niemals würde er zulassen, dass sich jemand mit bösen Absichten seinem Liebsten nähern würde – schon gar nicht im Schlaf. Natürlich war es auch immer ein wenig riskant, sich so zu nähern, doch Akaza nahm das Risiko auf sich.

Akaza zwang sich dazu, aufzuhören, die Bilder anzustarren und warf lieber wieder einen Blick dorthin, wo er Kyojuro gesehen hatte.
 

 

Jetzt war er aber weg – verdammt!
 

 

Akaza schnaubte genervt über sich selbst. Seine wenigen Momente, auf die Bilder zu starren, waren doch länger gewesen als gedacht. Er presste die Lippen aufeinander und versuchte vielleicht den auffälligen Haarschopf wiederzuentdecken, soweit entfernt konnte dieser doch nicht sein, oder?

Vorsichtig kam Akaza aus seinem Versteck hervor und schob seine kleine Kamera in seine weiten Taschen des Hoodie den er trug. Er machte ein paar vorsichtige Schritte mehr in die Öffentlichkeit – dort, wo man ihn sehen konnte – und sah sich weiterhin um.
 

 

Manchmal vergaß Akaza, wie schnell Kyojuro sich fortbewegen konnte. Kein Wunder, dass er ihn jetzt nicht mehr sehen konnte.

Er sollte wirklich darüber nachdenken, irgendwie an Kyojuro's Handy zu kommen. Dann könnte er ihm so eine GPS-App heimlich installieren, verstecken und mit seinem Handy verbinden. Dann würde er Kyojuro immer wiederfinden können!

Es wäre auch gut für Kyojuro, immerhin hatte dieser täglich mit Menschen zu tun, die nicht so einfach waren, vielleicht sogar gefährlich sein könnten!
 

 

Akaza würde ihn nur beschützen.
 

 

Doch um ihn beschützen zu können, musste er ihn definitiv erst einmal finden. Nur bisher fand sein scannender Blick absolut nichts, was an Kyojuro erinnerte. Er presste unzufrieden die Lippen aufeinander. An einem Sonntag war selbst Kyojuro nicht auf der Arbeit anzutreffen, also war es keine Option diesen Ort aufzusuchen. Ob er jetzt schon daheim wäre? Es wäre wohl zumindest besser dort zu warten, als ihn unsinnig zu suchen.

Mit einem leisen Seufzer machte sich Akaza also auf den Weg zum Haus seines selbsternannten Seelenverwandten.
 

 

Ein Haus, was seine besten Jahre schon lange hinter sich hatte.
 

 

Akaza kannte es natürlich in- und auswendig, er hatte sich jedes Detail davon angesehen und dafür gesorgt, dass es so sicher wie möglich war, ohne dass es auffiel. Er kannte Kyojuro's Bemühungen, das Haus im Schuss zu halten, aber das verlangte natürlich viel Geld und dieses bekam man nicht einfach so.

Es war für eine Person eindeutig zu groß, doch nach dem Tod von seinem Vater und dem Aufzug seines jüngeren Bruders war Kyojuro wirklich alleine in diesem einsamen Haus. Natürlich bekam er oft Besuch – ein Mensch wie Kyojuro wurde einfach von allen geliebt und verehrt. Jeder wollte sich in dessen Anwesenheit sonnen.
 

 

Akaza hasste es abgrundtief!
 

 

Er suchte sich eine gewohnte Stelle aus, an welcher er für die nächsten Stunden verharren würde. Seinen knurrenden Magen ignorierte Akaza, sowie einige andere Bedürfnisse, die jeder Mensch wohl hatte.

Akaza hatte es nie gelernt, für sich selbst zu sorgen.

Nachdem sein Vater sich erhängt hatte, aufgrund von Akaza's stibitzender Angewohnheit, war er auf sich alleine gestellt gewesen. Ein Waisenhaus war schlimmer gewesen als das nächste, also hatte er auf der Straße gelebt und von dem, was er hatte stehlen können.

Es war nie viel gewesen, trotz seines Talentes dafür.

Als er Kyojuro das erste Mal auf einem überfüllten Marktplatz gesehen hatte, war er sofort hin und weg gewesen. Ihn zu bestehlen, war nicht aufgrund des Selbsterhaltungstriebs passiert, er wollte einfach irgendwas besitzen, was ihn stets an diesen Mann erinnern würde.

Am Ende war es ein Schlüsselanhänger gewesen, den er anvisiert hatte, doch aus irgendwelchen Gründen hatte Kyojuro ihn bereits bemerkt, bevor er zur Tat hätte schreiten können. Warme Finger hatten seine Hände abgefangen – sanft und doch bestimmend – und er war einem Lächeln begegnet, welches Akaza noch nie zugeworfen bekommen hatte.
 

 

Er war es gewohnt, mit Hass, Abscheu und Wut konfrontiert zu werden – aber nicht mit Wärme, Freundlichkeit und einer Art Verständnis.
 

 

Kyojuro arbeitete als Sozialarbeiter, zum Teil ehrenamtlich, ansonsten für eine kleine Geschäftsstelle, mit einer Handvoll anderen Sozialarbeitern. Im Grunde half er Menschen, die Probleme hatten – ganz egal, worum es dabei ging oder wie alt man war. Akaza erfuhr schnell, dass dies aufgrund seiner eigenen Familiengeschichte eine Herzensangelegenheit für diesen Mann war. Es gäbe wohl kaum einen Menschen, der ihn nicht bewundern und für ihn schwärmen würde.
 

 

Zumindest war das Akaza's subjektive Ansicht.
 

 

Kyojuro war nicht die erste Person, die ihm Hilfe anbot – aber er war die erste Person, der es wirklich wichtig war, was Akaza sagte oder wollte. Er war die erste Person, von welcher er sich helfen ließ.

Dank Kyojuro besaß er eine eigene, kleine Wohnung, welche er mit seinem kümmerlichen Gehalt als Teilzeitkraft in einem Tierhandel bezahlen konnte. Glücklicherweise hatte er dadurch nach wie vor genug Zeit, um Kyojuro im Auge zu behalten.

Trotz dieser bereits großen Hilfe veränderte es natürlich nicht sein komplettes Leben. Sein wohl größtes Problem war das regelmäßige Essen und die Ordnung in seinen eigenen vier Wänden.
 

 

Vielleicht auch, weil er den Traum hegte, dass Kyojuro anbieten würde, dass er zu ihm ziehen könnte. Für Kyojuro würde er immer dafür sorgen, dass das gesamte Haus hübsch und ordentlich wäre. Er würde sich das Kochen aneignen, da er wusste, wie sehr Kyojuro es liebte zu essen. Akaza würde mit aller Liebe das wunderschöne, dicke Haar waschen, alle Verspannungen aus dem Körper kneten.
 

 

Er würde alles für Kyojuro machen!
 

 

„Akaza.“
 

 

Er riss die Augen auf, bekam augenblicklich eine Gänsehaut und drehte sich langsam um, als würde er seinen eigenen Sinnen nicht trauen.
 

 

„Wir haben darüber geredet …“

 

„Kyojuro!“, freudestrahlend zog sich Akaza die Kapuze vom Kopf. Energisch griff er nach den Händen, die Kyojuro eigentlich mit seinen verschränkten Armen zu schützen wollen schien. Dennoch ließ der wenig Ältere zu, dass Akaza sie nun sanft zwischen seinen kühlen Fingern hielt. „Dir geht es gut!“
 

 

„Natürlich tut es das“, erwiderte Kyojuro leise seufzend. „Akaza, wir haben darüber gesprochen. Du kannst nicht einfach bei meinem Zuhause auftauchen.“
 

 

„Aber ich musste sichergehen, dass es dir gut geht, Kyojuro“, flüsterte Akaza mit aufeinander gepressten Lippen. „Ich-“
 

 

Er brach bereits am Anfang von seinem Satz ab, als ihn ein wenig Schwindel überkam. Doch statt in den Dreck zu fallen – wie er es von früher kannte – wurde er gestützt und aufgefangen von warmen, starken Armen.
 

 

„Akaza“, sagte Kyojuro indessen leise. „Was ist los? Geht es dir nicht gut?“
 

 

Ehe Akaza verbal antworten konnte, übernahm es sein Körper – sein Bauch knurrte laut genug, damit es vermutlich die ganze Stadt hören konnte.
 

 

Kyojuro seufzte ein weiteres Mal. „Wann hast du zuletzt etwas gegessen?“
 

 

Akaza spürte, wie seine Lippen bebten bei dem Gedanken daran, dass er Kyojuro enttäuscht haben könnte, weil er wieder zu wenig auf sich Acht gab. Ein Fehler, der ihm immer und immer wieder passierte.
 

 

„Ich- ... ich weiß es nicht“, antwortete er so leise wie möglich, fast schon darauf hoffend, Kyojuro könnte es überhört haben.
 

 

Für einen Moment glaubte er das auch wirklich, denn Kyojuro gab kein Wort von sich, keine andere Reaktion, doch schließlich griff nun der Sozialarbeiter nach seinen Händen.
 

 

„... ich werde dir bei mir Zuhause etwas geben. Komm mit.“
 

 

Akaza sah mit leuchtenden Augen hoch, mal wieder bewies Kyojuro, was für ein gutes Herz er hatte. Lächelnd nickte er und folgte Kyojuro, sobald er wieder halbwegs fest auf den Beinen stand.

Eigentlich sollte er Kyojuro hierfür ein wenig schelten – er sollte nicht einfach jeden zu sich nach Hause einladen! Doch da es Akaza selbst zugutekam, sah er mal darüber hinweg, für diesen Moment.

Bald schon umfing ihn wohlige Wärme, als sie im Haus standen. Er hatte mal wieder nicht bemerkt, wie kalt es doch draußen war – vor allem ohne eine passende Jacke. Als wäre er noch nie hier gewesen – was eine komplette Lüge wäre – sah er sich in Kyojuro's heiligen vier Wänden um. Er betrachtete den Altar für seine Mutter, neben welchem auch ein für seinen schrecklichen Vater stand. Akaza konnte nicht verstehen, wieso man für so eine Person einen Altar aufbaute – aber wie immer war Kyojuro auch da, viel zu herzensgut.
 

 

„Wieso hast du keine Jacke an?“, fragte Kyojuro, während er voraus ins Haus ging.
 

 

Akaza beeilte sich damit, seine Schuhe loszuwerden, ehe er dem Sozialarbeiter sofort folgte und sich weiterhin umsah. Er kannte das Haus natürlich schon sehr gut, aber es war immer wieder wundervoll, sich hier umsehen zu können – es war einfach ein Teil von Kyojuro!
 

 

„Habe ich ... wohl vergessen“, antwortete er verspätet, ehe er ebenfalls in die Küche kam. „So kalt ist es auch nicht.“
 

 

„Deine Finger sind schon fast ganz blau, Akaza“, erwiderte Kyojuro daraufhin kritisch.
 

 

Blinzelnd sah Akaza zu seinen Händen herunter und tatsächlich konnte er eine leicht bläuliche Verfärbung wahrnehmen. „Du hast recht“, merkte Akaza unbekümmert an.
 

 

Kyojuro seufzte leise, während er etwas aus dem Kühlschrank herausholte und nebenbei Wasser aufkochen ließ. Die ganze Zeit über klebten Akaza's Augen auf den jungen Mann, sogen den Anblick tief in sich ein. Sein Blick schien etwas trüb zu werden, als er wieder in eine Welt eintauchte, in welcher genau diese Situation alltäglich wäre.

Akaza besaß eigene Schlüssel, er würde Kyojuro über seinen Tag ausfragen und selbst etwas erzählen, er würde mit ihm gemeinsam essen, sich zwischendurch einen Kuss stehlen, kleine Berührungen austauschen. Er würde mit Kyojuro gemeinsam ein heißes Bad nehmen, bevor sie sich dann auch zusammen unter den warmen Decken ihres Bettes kuscheln konnten und ...
 

 

„Akaza.“
 

 

Schnipsende Finger vor seinen Augen weckten ihn aus seiner Traumwelt auf und verwirrt betrachtete er diese, ehe er hoch zu Kyojuros Gesicht sah. Sofort fing er wieder an zu strahlen.
 

 

„Kyojuro!“, fiepste er und fast wieder nach der Hand, welche eben noch vor seinen Augen geschnipst hatte. „Du bist so warm und deine Haut ist so weich!“

 

Kyojuro war verlegen. Es war so süß wie eine leichte Röte in sein Gesicht kroch und er ungeschickt versuchte seine Hand zu lösen. Akaza gab nach, auch wenn er sie weiterhin festhalten wollte.

„Trink etwas Tee, das sollte dich schon aufwärmen“, meinte Kyojuro schließlich, während er ihm eine Tasse zuschob, die immer noch dampfte.
 

 

Lächelnd legte Akaza seine Hände um die relativ große Tasse, spürte direkt die Wärme, die seiner kalten Haut guttat. Er betrachtete die Flüssigkeit in der Tasse, roch ein wenig daran und nahm einen angenehm fruchtigen Duft wahr. Langsam hob er sie an und nahm einen vorsichtigen ersten Schluck.

Er verbrannte sich die Zunge, aber der kurzweilige Schmerz war ihm völlig einerlei.
 

 

Akaza trank Tee, den Kyojuro extra für ihn gekocht hatte.
 

 

„Ist Curry für dich in Ordnung?“
 

 

„Ich bin sicher, dass alles, was du kochst, großartig sein wird“, antwortete Akaza lächelnd.
 

 

Es war nicht nur ein Glauben oder Denken, er wusste es ganz genau. Immerhin hatte Kyojuro das Kochen größtenteils übernommen, nach dem Tod seiner Mutter. Senjuro hatte später mitgeholfen, doch bis es so weit war, hatte das Kyojuro gemacht. Er war also geübt darin und hatte einen ausgezeichneten Geschmack. Akaza war sich sicher, dass Kyojuro ihn so einfach nicht enttäuschen könnte.
 

 

„Dann werde ich etwas Curry von gestern für uns warm machen.“
 

 

„Wir essen zusammen?“, fragte Akaza fiepsend nach.
 

 

Das war ja fast wie in einem Traum!
 

 

„Natürlich, ich brauche auch etwas zu Essen, bevor ich dann ins Bett gehe.“
 

 

Ins Bett.
 

 

Ob es eine Chance gäbe, dass Kyojuro ihn bei sich bleiben ließ? Akaza bekam sofort große, hoffnungsvolle Augen, aber er sprach vorerst nicht. Stattdessen beobachtete er, wie Kyojuro zwei Schüsseln mit Reis und Curry schnell aufwärmte und dann eine Akaza zuschob und sich selbst bereitstellte. Sobald dann auch die Stäbchen zum Essen da lagen, griff Akaza etwas zaghaft nach diesen.
 

 

„Du musst wirklich lernen, besser auf dich zu achten, Akaza“, merkte Kyojuro an. „Gehst du zur Gruppentherapie, die wir gemeinsam herausgesucht haben?“
 

 

„... nein“, rümpfte Akaza ein wenig die Nase, wenn er an diese Gruppe dachte. „Es ist schrecklich dort. Ich lerne viel mehr über mich, wenn ich bei dir bin, Kyojuro!“
 

 

„Aber ich kann nicht immer für dich da sein, Akaza.“
 

 

„Das musst du auch nicht! Mir reichen fünf Minuten mit dir!“, erwiderte Akaza sofort.
 

 

„Akaza...“, seufzte Kyojuro.
 

 

Blinzelnd sah er den Sozialarbeiter an, ehe er sich auf die Unterlippe biss und erstmal einen kleinen Happen von dem Curry nahm. Ob er nervig oder anstrengend war? Dabei gab sich Akaza ganz viel Mühe! Es war nur hin und wieder schwer, sich zurückzuhalten und Kyojuro nicht aufzusuchen.

Es war einfach... sein Herz sehnte sich stets nach dem jungen Mann. Wie sollte er etwas dagegen unternehmen? Schon beim Gedanken daran, Kyojuro nie wiederzusehen, schien es zu zerbrechen.
 

 

„Heute... soll man ganz viele Sternschnuppen sehen können“, versuchte Akaza ungeschickt das Thema zu wechseln. „Hast du davon gehört? Wir könnten sie uns... gemeinsam ansehen. Vom Garten aus.“ Wie in einem Date!
 

 

Kyojuro bemerkte sicherlich, dass er das Thema wechseln wollte, der Sozialarbeiter war immerhin nicht nur unglaublich schön und gutherzig, er war auch sehr intelligent! Aber vielleicht empfand er auch viel mehr für Akaza und es fiel ihm dadurch schwer, ernst zu bleiben? Vielleicht hatte Akaza eine richtige Chance!
 

 

„Willst du dir etwas wünschen?“, fragte Kyojuro nach.
 

 

Akaza nickte wild: „Ja! Natürlich will ich das! Du könntest dir bestimmt auch etwas wünschen, Kyojuro.“
 

 

Kyojuro's langsames Nicken war für Akaza alles, was er brauchte. Sie würden sich wirklich gemeinsam Sternschnuppen ansehen! Vorerst konzentrierte er sich auf das Curry und seinen Tee. Es tat gut, beides in seinen Körper zu bekommen – Akaza vergaß stets, wie wichtig es war. Auch deshalb wäre es sicherlich gut, mit Kyojuro zusammenzukommen. Er würde auf ihn achten und vielleicht würde Akaza auch selbst auf sich achten. Immerhin wollte er dann für Kyojuro kochen und dann würde er automatisch für sich selbst kochen und davon essen.
 

 

Es wäre einfach perfekt!
 

 

„Wann soll man die Sternschnuppen denn sehen können?“, hinterfragte Kyojuro nun.
 

 

„Oh, um Mitternacht!“, Akaza's Blick fiel auf die Uhr am Ofen.
 

 

Wenn er darauf fixiert war, Kyojuro zu beobachten, vergaß er oftmals das Zeitgefühl. Als er jetzt die Uhr ansah, war er also überrascht. Als er Kyojuro fotografiert und beobachtet hatte, war noch helllichter Tag gewesen. Wieso war es jetzt schon mitten in der Nacht?
 

 

„Du bist heute ziemlich spät nach Hause gekommen!“, meinte Akaza fast etwas kritisch.
 

 

Wo war er gewesen?
 

 

„Ich hatte noch zu tun gehabt“, antwortete Kyojuro vage.
 

 

Wo war er gewesen!
 

 

„Verstehe...“, murmelte Akaza, er schluckte den Kloß voller Sorge und Eifersucht herunter. Sicherlich war das nichts. Er dürfte sich nicht zu viele Gedanken darum machen. Es hatte nichts zu bedeuten. „Wir könnten gleich nach draußen gehen? Lange dauert es ja nicht mehr.“
 

 

„Ist dir denn schon warm genug?“
 

 

„Natürlich!“
 

 

Nichts und niemand würde dafür sorgen, dass Akaza sich diese Sternschnuppen nicht mit Kyojuro ansehen könnte.
 

 

„Ich hole trotzdem noch eine Decke für dich.“
 

 

Solange sie gemeinsam herausgehen würden, wäre es Akaza egal. Er erhob sich schließlich auch, um seine Schuhe zu holen und mit ihnen in der Hand dort zu warten, wo sie direkt in den Garten hinauskommen würden.

Akaza fiepste leise, als Kyojuro ihm die Decke über die Schultern legte. Er wollte sich nach vorne beugen, gegen Kyojuros Brustkorb lehnen und die Arme fest um ihn schlingen, stattdessen hielt er sich zurück.

In seinen Augen war zwischen Kyojuro und ihm schon etwas, er war sein Geliebter, aber Kyojuro wusste das noch nicht. Akaza würde schon noch dafür sorgen, dass er es erfuhr. Bis es so weit war, würde er dafür sorgen, dass Kyojuro geschützt wurde von allerlei Arten von Menschen geschützt wurde, die es auf diesem Planeten gab.
 

 

Akaza griff nach den Enden der Decke, um sie über seine Schultern festzuhalten und zog sich schließlich auch seine Schuhe an, als er sah, wie Kyojuro selbiges machte, sobald er seine Jacke angezogen hatte. Danach schob er die Tür auf, welche in den Garten hinausführen würde, und trat als Erstes raus. So, dass Akaza einfach nur folgen konnte und dann auch wieder draußen stand. Dieses Mal fiel ihm durchaus auf, dass es recht kalt draußen war.
 

 

„Wir können uns dort drüben auf die Bank setzen“, merkte Kyojuro an, während er bereits vorausging.
 

 

Akaza betrachtete die hübsch angelegten Beete, natürlich sah er hier und da Unkraut, aber das machte es irgendwie nur noch perfekter! Kyojuro besorgte Sitzkissen, damit es nicht zu kühl unter ihnen auf der Bank wäre und sobald dieser unter ihm lag, setzte sich Akaza darauf und kuschelte sich noch etwas mehr in die Decke.
 

 

Sie duftete genauso wie Kyojuro.
 

 

Ob es eine Decke von diesem war? Sofort kuschelte er sich noch mehr in die Decke, ehe er zum Himmel hinauf sah. Sie hatten Glück, denn der Himmel war frei von Wolken und die Umgebung nicht hell genug, um das Leuchten der Sterne zu verdrängen. Über ihnen gab es den tiefblauen Nachthimmel, funkelnde Sterne überall und der hell leuchtende Mond. Es war perfekt, um Sternschnuppen beobachten zu können.
 

 

„Wirst du dir etwas wünschen, Kyojuro?“
 

 

„Natürlich werde ich das“, antwortete der Sozialarbeiter direkt ein wenig lächelnd. „Aber diesen Wunsch kann ich dir natürlich nicht erzählen. Sonst geht er nicht in Erfüllung!“
 

 

Akaza wollte es wissen.
 

 

Denn wenn er wusste, was sich Kyojuro wünschte, dann könnte er es in Erfüllung gehen lassen. Leider war ihm klar, dass eine Diskussion hierüber nichts bringen würde. Kyojuro würde seinen Wunsch nicht verraten und Akaza musste es akzeptieren.
 

 

„Dann verrate ich dir meinen Wunsch auch nicht“, meinte er dennoch ein wenig schmollend.
 

 

Und dann lachte Kyojuro. Es war kurz, aber es war glückselig und ehrlich. Am wichtigsten: es war nur für Akaza alleine. Denn hier waren sie, zu zweit auf einer Bank, im Garten, welches zu Kyojuro's Zuhause gehörte.
 

 

„Ah! Da war eine!“
 

 

Etwas widerwillig wandte Akaza den Blick von Kyojuro ab und sah zum Himmel hinauf. Natürlich sah er nicht jene Sternschnuppe, welche Kyojuro gesehen hatte, aber sicherlich würde er eine weitere finden können!
 

 

„Da!“, rief Akaza prompt aus, als er nun eine weitere Sternschnuppe über den Himmel ziehen ließ.
 

 

„Ja, sehr gut“, summte Kyojuro, das Lächeln konnte man förmlich heraushören und ließ Akaza Magen ein wenig kribbeln.
 

 

Ich wünsche mir, dass Kyojuro mich genauso lieben wird, wie ich ihn!

Permafrost [Giyuu x Shinobu]

„Ist das nicht eine wundervolle Fügung Tomioka-san?“, sprach Shinobu sanftmütig und zart. „Du und ich, gemeinsam auf einer Mission. Erneut!“
 

 

Auch wenn sie sich eine wesentlich bessere Umgebung hätte vorstellen können.
 

 

„Ich würde es nicht direkt als Mission betiteln“, erwiderte Giyuu, wie gewohnt, ohne eine offensichtliche Regung.
 

 

Manchmal war es wirklich langweilig mit Giyuu, aber Shinobu war darüber hinweg. Wobei sie sich nie wirklich darüber aufgeregt hatte, dazu kannte sie Giyuu vermutlich auch schon zu lange. Im Grunde galt das für sie beide, dadurch, dass sie sich schon so lange kannten – wusste auch Giyuu mehr über sie als andere Personen.

Es war vielleicht auch eine Sache des wollen's. Viele andere könnten auch hinter ihre Maske sehen, wenn sie es wirklich wollen würden.
 

 

Es würde Shinobu jedoch auch nicht wundern, wenn Giyuu gar nicht hatte hinter ihre Maske sehen wollen, sondern dies einfach zufällig passiert wäre …

Giyuu konnte manchmal auf eine ungeschickte Art sehr süß sein. Zumindest bei Shinobu hatte dies funktioniert, um ihre Aufmerksamkeit noch mehr auf ihn zu ziehen. Dafür ignorierte sie auch hin und wieder seine etwas stoische Art und Weise, welche viele andere Personen bereits in Rage versetzten. Das beste Beispiel war da immerzu Shinazugawa, welcher schneller explodierte, als man schauen konnte. Vielleicht könnte Shinobu das abschwächen, aber es war nicht ihre Entscheidung, irgendwelche Geheimnisse auszuplaudern.
 

 

Sie hielt die Füße still. Genau wie Giyuu es für sie tat. Auch wenn dieser das vielleicht nicht ganz wissend machte.
 

 

„Aber natürlich ist es eine Mission“, meinte Shinobu sofort bestimmend. „Wir sind gemeinsam unterwegs zu einem Ort, den wir erforschen sollen und eventuell treibt sich dort auch ein Dämon herum. Ist es für dich etwa nur dann eine Mission, wenn wir auch einen Dämon antreffen?“
 

 

Obwohl Giyuu ziemlich gut darin war ein monotones Gesicht zu ziehen, schaffte Shinobu es doch irgendwie ab und an etwas anderes hervorzulocken. Es war nur minimal, aber sie meinte zu sehen, wie Giyuu ein wenig seine Unterlippe vorschob, als wäre er kurz davor zu schmollen.
 

 

„Keine Angst, du wirst mir sicherlich zeigen können, was für ein mächtiger Wasserhashira du bist!“, flötete Shinobu schließlich noch zusätzlich.
 

 

Und das bewirkte etwas mehr Reaktion, Augen, die einen Hauch größer wurden und Wangen, die zu erröten schienen. Es war purer Zucker, Giyuu so zu sehen. In ihren Augen war es da kaum verwunderlich, dass sie es gerade genoss und immer wieder machte. Auch wenn es vor anderen Hashira's doch nochmal etwas zurückhaltender war. Sie könnte vermutlich genauso sein wie jetzt – aber es könnte für etwas zu viel Aufmerksamkeit sorgen.
 

 

Etwas, dass Shinobu lieber vermeiden wollte.
 

 

Sie war sich sicher, dass auch Giyuu durchaus froh darüber war.

„Glaubst du, es hat etwas mit einem Dämon zu tun?“, hinterfragte der Wasserhashira, vielleicht auch zur Ablenkung.
 

 

„Hm“, machte sie, durchaus ein wenig nachdenklich. „Es wäre nicht abwegig, denke ich? Wir haben bereits viele blutige Dämonenkünste kennenlernen dürfen, vielleicht gibt es auch eine, die langfristig anhält oder einen Dämon, der bereits länger an einem Ort unentdeckt leben konnte.“
 

 

Auch sie hatten ihre Augen nicht überall. Vor allem bei Gebieten, die weit ab von der größeren Zivilisation lagen, war es recht komplex. Auch die Kasugai-Krähen oder Kakushi konnten sich nicht zerteilen, um Informationen zu sammeln. Sie waren stets zu wenig, die für das Corps arbeiteten – dies war jedoch kein Geheimnis. Außer für die normalen Menschen, für die aber ohnehin alles recht unbekannt war, was mit Dämonen ansatzweise zu tun hatte.
 

 

„Es könnte aber auch ein Naturphänomen sein!“, fügte Shinobu nochmal lächelnd hinzu. „Es gibt sicherlich noch extrem viele Dinge, die wir nicht ganz erforscht haben, aber ich kenne mich wohl nicht sonderlich gut damit aus, um es zu bewerten.“
 

 

Auch wenn sie genau deshalb hier war.
 

 

Giyuu war unglaublich stark als Wasserhashira. Er benötigte nicht unbedingt ihre Hilfe – oder vielmehr gar nicht? Es gab jedoch Gebiete, in denen sie als Expertin galt, wenn es um Gifte beispielsweise ging. Doch manchmal schob man ihr Expertenwissen zu, welches sie gar nicht besaß. Vielleicht hätte sie dies normalerweise nochmal angesprochen, aber es war immer erfreulich, wenn ihre Mission mit Giyuu zu tun hatte. Es war einfach gemeinsame Zeit, die sie sonst nicht miteinander haben würden.
 

 

Auch wenn die Umgebung definitiv besser sein könnte.
 

 

Shinobu würde sich nicht als kälteempfindlich beschreiben, aber die Temperaturen nahmen immer mehr ab, umso näher sie ihrem Ziel gekommen waren. Während der Umschwung ihr zu Beginn nichts ausgemacht hatte – so fiel ihr nun immer mehr auf, dass sie fröstelte. Es war wohl naheliegen, dass bei der Untersuchung einer Stelle, die ewig gefroren zu sein schien, die Temperaturen recht gering waren. Das half jedoch nicht dabei aus, dass sie weniger fror – eher fror sie nur noch mehr.

Die Uniform des Corps war aus einem sehr guten Stoff, half bei Angriffen von schwächeren Dämonen und man schwitzte in ihr nicht so schnell, genauso wenig sollte man schnell frieren. Allein das war wohl ein Zeichen dafür, dass es recht kalt am Zielort war.
 

 

Selbst ihren Atem konnte sie bereits vor ihrem Gesicht sehen.
 

 

Das wäre doch eigentlich der perfekte Moment für Giyuu, um sich als Freund zu beweisen, oder?
 

 

Shinobu sah also wieder zu ihrer Begleitung: „Giyuu~“, benutzte sie direkt den Vornamen ihres Genossen, der eine sofortige Reaktion entlockte. Überraschung vor allem. „Mir ist wirklich kalt.“
 

 

Sie würde nicht den Fehler machen, vor anderen Giyuu so vertraut anzusprechen, aber sie waren unter sich – es wäre also kein Problem.
 

 

„Ich kann nichts an den Wetterbedingungen ändern.“
 

 

Shinobu war nicht wirklich überrascht von dieser Antwort. Sie seufzte tief und schüttelte ein wenig kichernd den Kopf, auch wenn sie immer noch zitterte.
 

 

„Das stimmt wohl, aber vielleicht hast du ja etwas bei dir, was mich warm hält?“, schlug sie nun vor.
 

 

Giyuu lugte zu ihr, vielleicht irritiert: „Habe ich nicht – Sh...Shinobu.“
 

 

Sie konnte diese weiterhin stoische Antwort ignorieren, weil sie dafür hören durfte, wie Giyuu verlegen ihren Vornamen aussprach. Dabei kannten sie sich lange genug, damit niemand sich beschämt fühlen müsste. Man konnte es wohl als kleinen Fortschritt ihrer Beziehung anerkennen.
 

 

„Wie wäre es mit deinem Haori?“, bot sie als Lösungsweg an.
 

 

„… Aber dann ist doch mir kalt“, antwortete Giyuu.
 

 

Und damit lag dieser ganz richtig. „Ach komm, ich dachte, euch Männern ist nicht so schnell kalt.“
 

 

„Ich bin sehr sicher, dass mir kalt werden würde, wenn ich dir meinen Haori überlassen würde“, erwiderte der Wasserhashira. „Aber im Dorf können wir uns sicherlich aufwärmen.“
 

 

Shinobu seufzte schwer, ganz offensichtlich musste sie mit ein wenig frieren auskommen. Vielleicht war das auch besser, als wenn Giyuu später noch erkältet wäre oder dergleichen. Für sie war das Thema nun abgeschlossen, doch ein paar Schritte später, spürte sie plötzlich einen Arm um ihre Schultern, welcher sie näher an ihren Kumpanen zog.
 

 

Ihr entrann ein unsicheres „Huh“ vor Überraschung, ehe ihr Blick zu Giyuu wanderte, welcher sein unverkennbares Gesicht trug. Ganz so, als hätte sich nichts verändert. Natürlich war es dennoch kalt und die Wärme, die Giyuu verströmte, bei Weitem nicht ausreichend, damit Shinobu gar nicht mehr fror, aber sie genoss es dennoch. Ein kleines Glucksen entrann ihr, doch sonst gab sie nichts von sich.

So Seite an Seite war das nebenher Laufen ein wenig schwieriger, aber Shinobu hatte das ein wenig lieber. Giyuu gab ebenfalls keine Beschwerden von sich, also konnten sie jetzt eng aneinander den restlichen Weg hinter sich bringen.
 

 

So erreichten sie dann also auch endlich das Dorf.

Shinobu hatte sich vorgestellt, dass dieses, sowie die nahe Umgebung, völlig im Eis stecken würden – immerhin war es wirklich kalt. Doch es gab weder Eis noch Schnee – es blieb kalt, aber mehr auch nicht.

Da Giyuu keine große Hilfe wäre, um eine Unterkunft zu finden, war es an Shinobu einen älteren Herren anzusprechen, welcher nach ewig-langen Erzählungen über sein schweres Leben, schließlich auf ein Haus deutete.

 

 

Ein Haus, welches angenehm temperiert war, als sie hineinkamen. Shinobu atmete erleichtert auf und spürte förmlich, wie alles an ihr auftaute, was bisher unglaublich gefroren hatte.

Da das Dorf wohl eher selten mal Besuch empfing, war es kein Problem für sie ein Zimmer zu bekommen. Sie zogen sich dorthin erst einmal zurück – fernab von neugierigen oder auch misstrauischen Blicken.
 

 

„Haaahh... so schön warm“, schwärmte sie sofort.
 

 

Sie machte es sich auf dem Futon bequem, welches groß genug für zwei Personen war. Es war nach wie vor eine Seltenheit, das Bett zu teilen – weil sie viel zu selten eine gemeinsame Mission hatten oder mal niemanden um sich herum, den sie kannte. Daher genoss Shinobu diese Momente stets, die sie gemeinsam verbringen konnten – nicht nur platonisch, sondern auch mehr in einer romantischen Ebene, welche sie begannen zaghaft zu erkunden.

Es war wohl keine Überraschung, dass sie beide alles andere als Erfahrung in diese Richtung mitbrachten. Shinobu's Interesse an Romantik war stets sehr gering ausgeprägt gewesen und selbiges konnte man vielleicht auch bei Giyuu behaupten?
 

 

Für Shinobu war das absolut keine Problematik, auch weil sie bei dem vorgehenden Tempo einander ziemlich ähnlich waren. Das erste Mal Händchen zu halten, war bereits ein großes Ereignis für sie gewesen, von dem ersten zaghaften Kuss ganz zu schweigen. Auch jetzt noch bekam sie dieses widerliche Gefühl von Schmetterlingen im Bauch, wenn sie daran dachte.

Sie war sich sicher, dass ihr Tempo bei allem für manche Personen etwas irritierend wirken könnte, doch für sie war es definitiv perfekt so, wie es war.
 

 

„Willst du heute noch zum Gebiet?“, fragte Giyuu, nachdem er ihr einen kurzen Moment der Entspannung geschenkt hatte.
 

 

Sie neigte den Kopf ein wenig: „Ich denke, das wäre schlau, wenn es mit einem Dämon zu tun haben sollte, könnten wir ihn sogleich auffinden und töten.“
 

 

„Das... war mein Gedanke“, antwortete Giyuu zustimmend.
 

 

„Hahh“, Shinobu ächzte ein wenig, als sie sich einmal ausstreckte. „Na schön, gib mir nur einen Moment, um mich auf die Kälte draußen vorzubereiten.“
 

 

Sie winkte dabei in die Richtung der Tür, um Giyuu zum Verstehen zu geben, dass sie dabei etwas Privatsphäre wünschte. Ihr Gefährte und Freund nickte einmal, fast schon respektvoll und trat anschließend vor die Tür ihres gemeinsamen Zimmers. Nach einem kurzen Ausharren, erhob Shinobu sich wieder vom Futon, um stattdessen ihrer kleinen Tasche zu widmen, die sie mit sich getragen hatte. Hauptsächlich ein paar Utensilien, die sie benötigte, um die meisten Gifte zu heilen, bevor es schwerwiegende Verletzungen verursachen konnte. In Vorbereitung auf einer kalten Umgebung, hatte sie aber noch ein Unterhemd und eine lange, enganliegende Hose eingepackt. Beides aus Baumwolle und trotz dass sie recht dünn wirkten, hielten sie stets warm.
 

 

Zumindest wärmer, als wenn sie diese nicht trug. Es wäre wohl schlau gewesen, sie bereits vor der Abreise anzuziehen. Zukünftig würde sie sich hoffentlich daran erinnern, schneller zu frieren, als sie zuerst angenommen hatte.

Für den Moment schob sie diesen Gedanken jedoch weg, stattdessen entkleidete sie sich fast vollständig, bis sie die dünne Baumwoll-Kleidung überziehen konnte. Schon jetzt fühlte es sich ein wenig besser an. Shinobu hoffte wirklich, dass dies für draußen ebenso gelten würde.

Sobald sie wieder vollständig bekleidet war, legte sie auch ihr Katana wieder ordentlich an und griff nach ihrer kleinen Tasche, um den Raum ebenfalls zu verlassen. Giyuu stand wie ein Beschützer vor der Tür und starrte den Gang herunter, als müsste er das sehr gut im Auge behalten.
 

 

„Dann lass uns aufbrechen“, sprach sie ihn mit zarter Stimme an, nachdem sie die Tür zu ihrem Zimmer zugezogen hatte.
 

 

Giyuu's Reaktion nach zu urteilen, hatte er sie bereits vorher bemerkt, aber von einem Hashira würde man auch nichts anderes erwarten. Also verließen sie das Gasthaus auf demselben Wege, wie sie dieses betreten hatten. Die Kälte erfasste sie auch sogleich wieder, sie fühlte sich mächtiger an als zuvor, was grundlegend daran liegen könnte, wie warm es im Gasthaus doch gewesen war.

Es benötigte einige Schritte, damit sich Shinobu etwas wärmer fühlte und die Außentemperaturen ihr nicht mehr ganz so viel anhaben konnten.
 

 

Es kam selten vor, dass sie ohne der Befragung gewisser Personen vorkamen, doch gerade mussten sie nur der Kälte folgen. Diese wurde aus einer bestimmten Richtung immer mächtiger. Zu Beginn war es nicht ganz so offensichtlich, aber umso mehr sie sich näherten, umso auffälliger wurde, wie kalt es doch war.

Bald schon sahen sie vereiste Äste von Bäumen oder die Blätter von Sträuchern. Es hatte etwas Magisches an sich zu sehen, wie einfach alles von Eis überwuchert wurde. Von der Gefahr eines etwaigen Dämons war nichts zu spüren. Sie befanden sich sicherlich schon mittendrin in dem Bereich, den sie auskundschaften sollten.
 

 

„Ah, irgendwie hoffe ich, dass das alles hier nichts mit einem Dämon zu tun hat“, meinte Shinobu, während sie sich umsah. „Es wirkt wunderschön auf mich, immer noch kalt, aber... schön.“
 

 

„Hm“, machte Giyuu ein wenig nachdenklich, während er seinen Blick nun ebenfalls schweifen ließ. „Ja, es ist wirklich ganz hübsch.“
 

 

Shinobu wünschte sich eine Mütze, die ihre Ohren schützen würde, als es gefühlt immer kälter wurde. Schließlich konnten sie eine große, fast freie Fläche auffinden. Auf den ersten Blick wirkte es wie eine einfache Lichtung, doch auf dem Zweiten konnte man einen zugefrorenen See erkennen.

Auch hier gab es keinen meterhohen Schnee, doch eine kleine Schicht hatte sich gerade um den See herum aufgebaut. Zu wenig um Schneemänner zu bauen, aber genug für einen hübschen Anblick. Fast schon magisch, mit dem leuchtenden Mond am dunklen Nachthimmel.
 

 

„Ich schätze von hier kommt diese Kälte“, merkte ihr Begleiter an, als sie sich näherten. „Sei aufmerksam und vorsichtig.“
 

 

„Ich mache das nicht zum ersten Mal“, erwiderte Shinobu amüsiert.
 

 

Dennoch kam sie Giyuu's Aussage nach, auch weil dies ganz logisch war. Niemand würde einfach drauflosrennen und sich in die nächste Gefahr stürzen, die es eventuell gab. Bisher blieb es weiterhin ruhig um sie herum, was beruhigend sein konnte – zugleich aber auch ein Zeichen dafür, dass eine Gefahr ganz nahe war. Sie kamen der Eisschicht näher und Shinobu ging neben ihr in die Hocke, um einen besseren Blick darauf zu haben.
 

 

„Es ist gar kein zugefrorener See“, redete sie sogleich. „Es scheint, als wäre es einfacher Boden, der gefroren ist. Vielleicht mit einer minimalen Wasserfläche über sich.“ Shinobu legte ihre Hand darauf und übte einen leichten Druck aus, doch weder zerbrach das Eis, noch gab es sonst irgendwie nach. „Minimal, aber immer noch breit genug, um nicht zu zerbrechen. Wobei es auch daran liegen könnte, dass es scheinbar permanent gefroren ist.“
 

 

Dieses Gebiet lag bereits eine Zeitlang unter Beobachtung der Kasugai-Krähen, doch bislang gab es nichts Auffälliges, bis auf, dass es zugefroren war und blieb.
 

 

„Vielleicht wirklich nur eine geologische Besonderheit?“

Shinobu sah zu Giyuu hoch, welcher ein wenig um die Fläche gelaufen war, ohne zu weit entfernt wegzugehen.

„Bisher wurden auch keine Menschen vermisst. Bei einem Dämon wäre dies grundsätzlich der Fall.“
 

 

Sie nickte zustimmend: „Es scheint auch nicht so, als gäbe es sonst in der Nähe irgendeine Art von Zivilisation.“
 

 

Also konnten sie eine andere Nahrungsquelle vermutlich ausschließen. Natürlich gäbe es noch die Option, dass auf Wanderer und Reisende gewartet wird. Personen, die nicht genau hier im Umkreis vermisst werden würden.

Shinobu erhob sich wieder und ließ ihren Blick über die eisige Fläche schweifen. Es war immer noch sehr kalt, aber ihr Körper gewöhnte sich daran. Natürlich sehnte sie sich weiterhin nach Wärme, doch in der Kälte zu verharren, war nicht mehr so eine Qual. Mit einem Summen ließ sie einen ersten Fuß auf die Eisfläche, bevor sie mit dem Zweiten nachkam und sich sanft über die dünne Schicht schob.

 

Was tust du da?“, fragte Giyuu sofort alarmiert nach. „Du solltest nicht darauf treten.“
 

 

„Entspann dich“, winkte sie sanft ab. „Ich will mir das nochmal etwas mittiger ansehen.“
 

 

„Was, wenn der Dämon genau dort auf dich wartet?“
 

 

„Dann liegt mein Leben in deinen Händen!“
 

 

Giyuu entglitt beinahe sein monotones Gesicht, was ein süßer Anblick war. Shinobu kicherte leise, während sie sich weiterhin mehr zur Mitte gleiten ließ. Glücklicherweise besaß sie einen guten Gleichgewichtssinn und kannte sich mit dem Laufen auf Eis aus. Sie sah weiter nach unten, doch die Eisfläche veränderte sich nicht, man konnte immer noch den grasigen Boden erahnen. Es schien kein plötzliches Loch zu geben, nichts, was auf etwas Gefährliches hinweisen könnte.
 

 

Sie hob also ihren Blick wieder, um Giyuu anzusehen: „Ich kann auch hier nichts Ungewöhnliches sehen.“ Dann bemerkte sie, dass ihr Blick ins Leere ging. Blinzelnd drehte sie den Kopf nach links und rechts. „Giyuu? Giyuu!“

Auch wenn der Wasserhashira ein ruhiger Mensch war, sah es diesem nicht ähnlich einfach wortlos zu verschwinden. Shinobu spürte den Anfang von Panik in sich aufkommen, dabei hatte sie sich nicht einmal komplett umgesehen oder einen Grund dafür, etwas Schlimmes zu ahnen.

Sie öffnete ihren Mund erneut, um nach ihrem Freund zu rufen, als etwas ihren Rücken traf: „Ahh!“, kreischte sie prompt auf, klatschte sich die Hände auf den Mund, drehte sich um und erkannte den Wasserhashira dort. Seine Gesichtszüge verrieten nichts, der Schneeball in seinen Händen dafür umso mehr. „Giyuu! Was soll das? Hast du mich gerade wirklich abgeworfen? Mit Schnee?“
 

 

Es war nicht leicht, sie aus der Ruhe zu bringen und ihre Maske bröckeln zu lassen, die sie aufgebaut hatte. Eine sanfte Stimme und reine Freundlichkeit sollte sie ausstrahlen, so wie ihre ältere Schwester es stets getan hatte.
 

 

Giyuu zuckte mit den Schultern und wagte es dann wirklich einen weiteren Schneeball nach ihr zu werfen. Dieses Mal konnte Shinobu natürlich ausweichen, weil sie den Schneeball ahnte. Bei der kleinen Menge Schnee war es nur noch lächerlicher, dass Giyuu diesen nach ihr warf!
 

 

„Okay – du hast es nicht anders gewollt“, meinte Shinobu. Ihre Maske saß wieder an Ort und Stelle, und ihre Stimme hielt sie sanft und fröhlich. „Mach dich darauf gefasst, Schnee zu essen!“
 

 

Geologische Testungen konnten noch warten – ihre Rache hatte Vorrang!

Ein Lied fürs Lichterfest [Hakuji x Koyuki]

Hakuji war erfreut und besorgt zugleich. Es war immer schön zu sehen, mit welch Energie Koyuki unterwegs sein konnte – und wie glücklich sie dabei war. Doch im Hinterkopf hatte er dennoch immerzu, wie sie krank und zerbrechlich im Bett lag und sich kaum bewegen konnte.

Er sah, dass es ihr besser ging und das war eine große Erleichterung für ihn. Dennoch herrschte die Angst wie eine große, dunkle Wolke über seinem Kopf – die Angst davor, dass es Koyuki wieder schlechter gehen könnte. Vielleicht sogar schlechter, als vorher?

 

Deshalb beharrte er dennoch immer wieder darauf, dass sie sich ausreichend Ruhe gab.

 

Doch ihren Wunsch konnte er nicht außer Acht lassen. Es war im Grunde das, was sie sich gemeinsam immerzu erträumt hatten. Natürlich kam es nicht überraschend, die Jahre, die Hakuji bei Koyuki und ihrem Vater verbracht hatte, gab es häufiger schon Feste. Die meisten davon waren traditionell und jedes Jahr erneut. Das Datum blieb meistens gleich oder unterschied sich nur um wenige Tage.

Es war jedoch das erste Fest, welches traditionell auch am Ende ein Feuerwerk im Angebot hatte. Natürlich war es auch immer schön gewesen, von dem Haus aus ein Feuerwerk zu sehen, doch heute wäre es etwas Besonderes.

 

Sie würden das Fest besuchen und sich dort einen perfekten Ort suchen, um das Feuerwerk gemeinsam genießen zu können. Es mochte nur ein minimaler Unterschied sein, doch Hakuji wusste, dass es für Koyuki so viel mehr wäre. Deshalb konnte Hakuji sie nicht davon abbringen, auch weil es scheinbar keinen Grund dafür gab.

 

„Sie ist voller Energie! Das habe ich so noch nie erlebt!“, lachte Keizo fröhlich auf.

 

Hakuji würde wohl niemals verstehen können, was dieser Mann in ihm gesehen hatte. Was ihn dazu gebracht hatte, ihn in sein Heim einzuladen und sogar seiner Tochter anzuvertrauen. Hakuji wusste nur zu gut, was für einen schlechten ersten Eindruck er hinterlassen hatte. Es hatte fast zwei Wochen gebraucht, damit die Schwellungen in seinem Gesicht, von seinen Prügeleien gegen Fremde und auch gegen Keizo, abgenommen hatten. Alles an ihm hatte nach Ärger geschrien und Menschen sich von ihm abwenden lassen.

Wenn es nicht die Verletzungen von Prügeleien waren, dann waren es die eindeutigen Male auf seiner Haut, die ihn als Dieb brandmarkten.

 

Instinktiv rieb er sich über die Ringe, welche seinen Unterarm zierten, als würden sie jucken. Auch heute noch sorgten diese Male für Ärger, wenn auch nicht mehr so häufig wie früher. Man kannte ihn, wusste, dass er zu den Soyama's gehörte und akzeptierte ihn mehr und mehr. Das Misstrauen nahm weiter ab und wenn mal wieder etwas gestohlen wurde, dann war er nicht mehr der erste Verdächtige. Er hatte mittlerweile wirklich das Gefühl, hier ankommen zu können – es ein Zuhause nennen zu können.

Ihm war bewusst, dass Koyuki seine Vergangenheit kannte, er hatte mit ihr so viel geteilt wie mit niemandem anderem. Dennoch wollte er nicht, dass sie mitbekommen könnte, wie er manches Mal noch wegen seiner Vergangenheit behandelt wurde.

 

„Ich hoffe, ihr werdet heute ganz viel Spaß haben“, die Hand von Keizo legte sich schwer und warm auf seine Schulter, während der Mann immer noch strahlte. Voller Vertrauen und väterlicher Zuneigung. „Aber übertreibt es nicht!“

 

„Natürlich nicht“, versprach Hakuji sofort. „Ich werde gut auf sie Acht geben.“

 

Er würde alles dafür tun, das Vertrauen dieses Mannes niemals zu verlieren. Noch weniger wollte er das von Koyuki verlieren. Es schien oftmals jedoch so, als wäre er der Einzige, der sich Sorgen darüber machte. Wenn er nicht gesehen hätte, wie Keizo mit den anderen Dojo-Inhabern umgehen konnte, würde er sich definitiv mehr Sorgen darum machen.

 

„Das weiß ich doch.“ Keizo klopfte ihm auf die Schulter. „Aber jetzt solltest du dich auch bereitmachen.“

 

„Ich bin schon bereit.“

 

Keizo schmunzelte ein wenig, als würde Hakuji einen seltsamen Witz erzählen – doch es war wie er es gesagt hatte. Er war schon bereit.

 

„Geh in dein Zimmer, ich habe dort etwas für dich hingelegt.“

 

Hakuji runzelte die Stirn, doch anstatt dies hinterfragen zu können, wandte sich Keizo ab. Er ging zu seiner aufgeregten Tochter, welche einen wunderschönen Kimono in den Händen hielt. Ihr Gesicht war ein wenig gerötet von der Aufregung und ihr hingen einzelne Haarsträhnen ins Gesicht – vermutlich auch eine Ursache von Stress.

Hakuji zögerte noch einmal, aber da er sicher sein konnte, dass Keizo bei seiner Tochter bleiben und ihr notfalls helfen würde, wandte er sich ab. Immerhin war er durchaus ein wenig neugierig zu erfahren, was Keizo ihm bereitgelegt hatte.

 

Als er die Shoji aufschob, um eben sein Zimmerteil zu betreten, welches eine Verbindung zu dem von Koyuki hatte, konnte er das Geschenk bereits erkennen. Hakuji seufzte schwer, als er ein Stück Stoff entdeckte und näherte sich ihm langsam. Da er es gewohnt war arm zu sein, kaum etwas zu besitzen und noch weniger darüber nachzudenken auszutauschen, was vielleicht kaputt war, vergaß er eben das so oft.

Dabei war das eine oder andere Loch in seinem jetzigen Yukata kaum zu übersehen – auch nicht für ihn. Solange ihm nicht kalt wurde dadurch oder er zu viel von sich zeigte, war es jedoch für ihn auszublenden. Koyuki sagte immer, dass es seinen Charme ausmachte, dass er manchmal wegen solcher Dinge etwas ungeschickt wirkte und gedanklich ungeordnet.

 

Er zog die Shoji hinter sich zu und trat an seinen Futon heran, wo ein Yukata zusammengelegt auf ihn wartete. Die dunkle Farbe des Stoffes passte vermutlich perfekt zu seinen Augen. Als er nach ihm griff, spürte er sogleich, wie weich und hochwertig eben dieser war, gefüttert, damit man gut durch eine etwas kältere Nacht kommen würde. Auch das war ein Thema, worüber er sich selten Gedanken machte, aber er hatte auch das Glück, einen starken, resistenten Körper zu besitzen. Ein Wunder, wenn er an seine Familie dachte.

Normalerweise würde er ein paar Stunden damit verbringen, Keizo zurechtzuweisen – niemand sollte Geld für ihn ausgeben oder sich zu viele Sorgen machen. Ihm war jedoch klar, dass er meistens gegen eine Wand meckerte und heute keine Zeit für dieses Geplänkel war.

 

Stattdessen zog er sich seinen jetzigen Yukata aus und dachte darüber nach, wo er ihn am besten hinlegen könnte, damit Keizo ihn nicht versuchte wegzuwerfen. Sein Schwiegervater war da leider viel zu voreilig.

Sobald er den Yukata halbwegs gut versteckt hatte, schlüpfte er in den Neuen. Es war ganz anders, diesen zu tragen. Das Futter war weich und schmiegte sich an seine Haut, und selbst den Obi zu binden, fühlte sich komplett anders an, als bei seinem vorherigen Yukata oder jedem, den er so besaß.

Vielleicht war er Keizo ja doch ein wenig dankbar für dieses Geschenk.

 

Auch wenn es nicht notwendig gewesen wäre.

 

Mit dem neuen Yukata am Körper, verließ er sein Zimmer wieder, um genau dort zu stehen wie zuvor auch. Im Eingangsbereich, abwartend, damit er seine wunderschöne Verlobte zum Fest begleiten könnte.

Er musste nicht lange warten, was an Keizo's Hilfe gelegen haben könnte. Als sich die Tür aufschob, richtete sich Hakuji's Blick natürlich sofort auf diese Stelle. Sein erster Blick wurde von Keizo aufgefangen, welcher ein stolzes, glückliches Lächeln auf den Lippen trug. Schließlich trat er in den Eingangsbereich und zur Seite, damit er Koyuki freigeben konnte.

 

Ihr tiefschwarzes Haar war wie gewohnt hochgesteckt, jedoch mit ein paar neuen, Hakuji fremden, Haarspangen befestigt. Es waren immer noch bekannte Schneeflocken, aber sie schienen zu leuchten, zu glitzern und passten perfekt ins Haar. Ihr Kimono war türkisfarben und überwuchert mit einer Vielzahl von Blumenmustern in sanften Pastelltönen.

Hakuji blinzelte einmal … zweimal und schaffte es dann, eine Hand in Koyuki's Richtung auszustrecken. Er lächelte sanftmütig, als er die zierlichen Finger spürte, die sich sofort in seine schoben, während Koyuki nun auch näher zu ihm kam.

 

„Du siehst-“ – „Du bist-“

 

Sie beide fiepsten leise auf, als sie zeitgleich anfingen zu sprechen und genauso abrupt aufhörten.

 

„Also-“ – „Also-“

 

Und schon wieder! Koyuki kicherte verlegen hinter einer vorgehaltenen Hand, während Hakuji selbst spürte, wie sich eine Röte auf seinen Wangen ausbreitete. Obwohl er Koyuki schon einige Jahre kannte und sie auch schon eine Weile verlobt waren, war es immer noch so einfach, ihn in Verlegenheit zu treiben.

 

„Ach ihr beiden!“ Keizo griff beherzt ein, indem er eine seiner Hände jeweils auf Hakuji's und auch auf Koyuki's Rücken ablegte und sie mit wenig Anstrengung näher aneinander schob. „Jetzt geht schon los, sonst verpasst ihr noch alles! Und passt gut aufeinander auf!“

 

Hakuji war dankbar für die Einmischung, um diese verlegene Situation aufzulösen. Er griff etwas fester nach Koyuki's Hand und nickte einmal.

 

„Und du willst und wirklich nicht begleiten, Otou-chan?“

 

Keizo winkte sofort ab: „Oh nein, ich werde mir heute einen ruhigen Abend erlauben! Ihr hingegen habt hoffentlich Spaß.“

 

Koyuki wirkte kurz noch etwas besorgt, aber schließlich strahlte sie wieder über das ganze Gesicht und nickte rasch: „Das werden wir! Komm Hakuji!“
 

 

Das Ziehen von Koyuki war nicht wirklich stark, aber Hakuji ließ zu, dass sie ihn so hinter sich zog und winkte Keizo nochmal so respektvoll wie möglich zu. Bei der Haustür zogen sie noch schnell ihre Schuhe an, doch dann gab es nichts mehr, was sie aufhielt.

Hakuji versuchte seine Besorgnis ein wenig abzulegen, während ihre Finger sich wieder ineinander verschränkten. Seite an Seite verließen sie das Anwesen vom Dojo, um in das nahegelegene Dorf zu kommen.

Schon auf dem Weg dorthin war alles wunderschön geschmückt. Die Laternen ebneten die Wege mit ihrem sachten Licht. So kamen sie ziemlich schnell beim Festplatz an.
 

 

Dieser war natürlich voller Menschen, alle in ihrer vermutlich schönsten Kleidung. Verschiedene Stände hatten sich hier positioniert und verkauften verschiedene Gegenstände. Einige davon, speziell für das Fest, andere waren eher kleine Speisen und Zeug, das man auch abseits vom Fest zu kaufen bekommen würde.

Anstatt nur die Hand seiner Verlobten zu halten, hatte Hakuji mittlerweile dafür gesorgt, dass Koyuki ihren Arm in seinen einharkte. So waren sie sich näher und das gab ihm ein wenig mehr das Gefühl von Sicherheit.
 

 

„Oh sieh nur dort, Hakuji! Und da!“
 

 

Koyuki's aufgeregte Stimme könnte bei den Kindern mitmischen, genauso wie ihre Gesten. Wie sie in alle Richtungen deutete und jede Kleinigkeit betrachtete, als wäre es ein kleines Wunder. Für Koyuki war es das vermutlich auch und Hakuji konnte es nachempfinden.
 

 

„Möchtest du es dir näher ansehen?“, fragte er nach, als Koyuki aufgeregt auf einen Stand deutete, welcher Laternen verkaufte. „Wir könnten ja eine für zu Hause mitnehmen.“
 

 

„Hah“, schnappte Koyuki nach Luft. „Ja! Ja, das wäre wundervoll!“
 

 

Hakuji schmunzelte ein wenig, während er seine Verlobte näher zum Stand führte. Glücklicherweise war auch trotz des Festes nicht so viel los, dass es schwer war, einen Überblick zu behalten. Das Dorf war nicht riesig und Besuch von außerhalb wohl auch nicht so groß, als dass der Platz plötzlich überfüllt enden könnte. Die längsten Schlangen fanden sich überall dort wieder, wo Essen angeboten wurde.

Sie hingegen fanden sich von Laternen umgeben wieder. Sie waren aus verschiedenen Materialien gebaut, manche recht simpel gehalten, waren andere hübsch verziert.

In einigen standen sogar schon Kerzen, vor allem um zu zeigen, wie die Wirkung sein sollte.
 

 

„Gefällt dir eine besonders gut?“, fragte er nun nach.
 

 

„Ahh, ich weiß nicht“, murmelte Koyuki, ehe sie die Stirn runzelte. „Vielleicht eine traditionelle Papierlaterne“, redete sie weiter. „Aber ich mag auch die aus Holz sehr gerne, sie strahlen Persönlichkeit aus.“ Hakuji konnte sich gut vorstellen, dass sie hier eine Weile noch stehen würden. „Welche findest du gut?“
 

 

Hakuji legte den Kopf schief, als er seinen Blick wieder über die verschiedenen Laternen schweifen ließ.

„Ich finde die mit den eingeschnitzten Schneeflocken hübsch“, antwortete er schließlich.

Wobei dies auch eine Verbindung zu Koyuki aufwies. Er wusste, dass seine Verlobte den Schnee liebte, genauso wie verschiedenen Haarschmuck in Form von Schneeflocken und ähnlichen Musterungen. Hakuji könnte wohl niemals einen Winter erleben, ohne an Koyuki dabei denken zu müssen.
 

 

„Dann nehmen wir die!“, meinte Koyuki jetzt entschieden.
 

 

„Sicher? Gefällt sie dir denn auch?“
 

 

„Sie ist perfekt! Genau wie du!“
 

 

Hakuji riss die Augen auf bei dieser direkten Antwort – und dem noch direkteren Kompliment. So wie Koyuki sich die freie Hand auf den Mund schlug und fiepste, war ihr das wohl herausgerutscht.
 

 

„Da...dann nehmen wir sie!“
 

 

Sein Herz schlug viel zu schnell, dabei war er es gewohnt, dass Koyuki manchmal einfach aussprach, was sie dachte, ganz egal, worum es dabei ging. Mit steifen Gliedmaßen rückte er näher an den Stand, um die auserwählte Laterne zu bezahlen und auch direkt gereicht zu bekommen. Glücklicherweise war der Griff an ihr weit genug, damit er es über sein Handgelenk streifen und tragen konnte.
 

 

„Wollen wir uns dann etwas Kleines zum Essen suchen?“, fragte Hakuji nach. „Es gibt hier sicherlich auch noch einen Stand mit Wunderkerzen, den könnten wir uns auch noch besorgen.“
 

 

„Das wäre wundervoll“, antwortete Koyuki wieder strahlend. „Was wollen wir denn essen? Am besten etwas, wofür wir nicht sitzen müssen, oder?“
 

 

Hakuji wusste, dass Koyuki am liebsten am laufenden Band unterwegs sein würde, seitdem es ihre Gesundheit ihr erlaubte. Dagegen war Hakuji dazu da, sie an regelmäßige Pausen zu erinnern.
 

 

„Ich denke, eine Pause zum Essen wäre nicht schlecht“, meinte er daher. „Worauf hast du denn so Lust? Dort drüben gibt es zum Beispiel Yakitori und-“
 

 

„Yakitori! Ja! Holen wir uns etwas davon!“
 

 

Hakuji blinzelte irritiert, als Koyuki bereits an ihm zog, damit sie zu dem Stand der Yakitori anbot kamen.

„Aber es gibt noch viel mehr im Angebot“, warf er ein, obwohl er sich weiterhin ziehen ließ.
 

 

„Yakitori klingt doch super und dann brauchen wir unbedingt Wunderkerzen!“
 

 

Natürlich könnte er diskutieren und versuchen, Koyuki dazu zu bringen, etwas mehr Ruhe zu bewahren, doch ihre Aufregung war so liebenswert und auch durchaus verständnisvoll. Es war das erste richtige Fest für Koyuki, und schon eine kleine Pause zum Essen war wohl beinahe zu viel verlangt.

Als sie in der Schlange weit genug vorne waren, bestellte Hakuji für sie beide jeweils einmal Yakitori auf verschiedene Weise, sodass sie dieses einmal mit einer speziellen Sauce essen konnten und der andere Spieß nur gesalzen wäre.

Da die meisten Personen im Laufen aßen, war es recht einfach für sie, eine freie Bank zu finden, die für das Fest aufgebaut wurde. Überall um sie herum gab es immer noch Laternen, die alles schmückten und beleuchteten.

Während sie in Ruhe ihre Spieße aufaßen, bemerkte Hakuji ein paar umherlaufende junge Frauen, die Zettel verteilten – vielleicht waren es ihre neugierigen Blicke oder die Tatsache, dass sie hier saßen und nicht schnell davonkamen, jedoch fielen sie auf. Eine der jungen Damen kam freudestrahlend zu ihnen gelaufen, streckte ihnen zwei Zettelchen entgegen und erzählte gleichzeitig davon, wie Musik einfach perfekt zu einem Fest passte und welche Bedeutung sie doch hatte. Während Hakuji nur teilweise zuhörte, konnte er bei Koyuki die Begeisterung erkennen, welche sie die ganze Zeit über schon trug.
 

 

Sie war so wunderschön und liebenswert; Hakuji wünschte sich, er könnte das manchmal etwas offener ausdrücken. So wie Koyuki vorhin war es vielleicht etwas zu direkt, aber besser so als gar nicht?
 

 

„Wir müssen unbedingt da mitmachen, Hakuji!“
 

 

„Hm?“, er blinzelte sich aus seinen Gedankenkreisen, als Koyuki's Stimme wieder zu ihm durchdrang. „Wobei?“
 

 

„Dem Singen!“, erwiderte Koyuki, während sie einen leichten Schmollmund auftrug. „Es scheint ein wundervolles Lied zu sein und ich will es hören und mitsingen!“
 

 

Hakuji sah zu dem Zettel herunter, den er aufgedrückt bekommen hatte und erkannte nun auch die Liedzeilen dahinter. Bekannt kam es ihm nicht vor, aber vermutlich war es uralt und traditionell.
 

 

„Sicher?“, fragte er indessen nach. „Vielleicht verjage ich sie alle mit meinem Gesang.“
 

 

„Unsinn, du hast eine wunderschöne Stimme, Hakuji!“
 

 

Koyuki klang dabei äußerst ernst, aber auch ohne diesem Ernst war schon entschieden, dass sie dorthin gehen würden. Als ob er jemals einen so leicht erfüllbaren Wunsch abweisen würde.
 

 

„Dann werden wir das wohl tun.“
 

 

„Super! Ich muss mir zumindest ein wenig was hiervon merken, damit ich nicht immer darauf starren muss“, redete Koyuki strahlend weiter. „Und vorher müssen wir aber noch die Wunderkerzen besorgen, oh! Oder wir besorgen sie vor dem Feuerwerk, dann können wir es anzünden, wenn das Feuerwerk losgeht.“
 

 

Solange Koyuki so glücklich wirkte, würde Hakuji wohl alles mitmachen. Selbst wenn es darum ging, ein Lied vor allerlei Leuten auf einem Lichterfest zu singen.

Spinnweben am Weihnachtsbaum [Muzan x Doma]

Manchmal war es selbst für Muzan außerordentlich irritierend, wenn er Dôma ansah und daran dachte, dass dieser sein Verlobter war. Sie könnte bereits verheiratet sein, aber so eine Hochzeit plante sich nicht von alleine und Dôma war hinzukommend außerordentlich anspruchsvoll. Muzan's anfängliche Versuche, irgendwie in die Planungen hineinzugrätschen, hatte er sich schnell abgewöhnt. Es war wesentlich einfacher und entspannter, Dôma in dieser Angelegenheit seinen Willen zu lassen und sich nicht weiter einzumischen.

Auch wenn es ihn dazu zwang, seinen Terminplaner auch für Dôma so offensichtlich wie möglich zu erweitern, damit dieser den perfekten Termin für die Hochzeit und die darauffolgenden Flitterwochen finden könnte. Da Muzan normalerweise alles ziemlich gut im Kopf hatte, war es eine Umgewöhnung gewesen, Termine und dergleichen aufzuschreiben – damit eben auch Dôma einen Überblick darüber hatte.
 

 

Er rechnete nicht damit, dass sie bald heiraten würden, aber das war schon in Ordnung. Zu seinem Unglück feierte Dôma ganz allgemein ziemlich gerne. Deshalb war sein großes Haus gefühlt ständig geschmückt. Es war völlig egal, ob es ein asiatischer Feiertag war oder nicht doch europäisch oder dergleichen; alles, was Dôma gefiel, wurde prompt mitgefeiert, auch wenn sie damit alleine in der Umgebung waren.

Nachdem es Muzan anfänglich stets überrascht hatte, so war es mittlerweile eher überraschend, wenn es mal keinen neuen Feiertag gab.
 

 

Mit Dôma, der bei ihm eingezogen war, hatte sich allgemein ein wenig verändert. Davon abgesehen, dass ein Gästezimmer zum begehbaren Kleiderschrank um formiert wurde, wirkte die Einrichtung nicht mehr nur elegant und kalt – sondern farbenfroh. Dôma hatte alle Arbeit geleistet, um Dekoration hereinzubringen, die fast gänzlich Muzan's Geschmack ignorierte.

Auch das Personal hatte sich daran gewöhnen müssen, dass Dôma hier eingezogen war – es gab wohl keinen Tag ohne spezieller Essenswünsche, gerade wenn irgendwas gefeiert werden musste. Dabei feierten sie größtenteils alleine, weshalb es keine aufwendige Dekoration benötigte und genauso wenig Snacks, die in spezielle Formen gebracht wurden.
 

 

Muzan fragte sich immer wieder, weshalb sich zwischen ihnen so etwas entwickelt hatte, aber im Grunde war es komplett seine Schuld.

Er hatte nach seinem besten Mann in puncto Folter opfern müssen und er hatte nach einem passenden Ersatz suchen müssen. Es war nie einfach, Ersatz zu finden, der auch wirklich zufriedenstellend arbeitete. Genau genommen tat Dôma das auch nicht, aber auf seine Art und Weise war er so viel besser als jeder andere, der in dieser Sparte für ihn gearbeitet hatte.

Nicht jeder war dazu angedacht, Folter betreiben zu können und dabei sogar erfolgreich zu sein. Dôma brachte ihm genau, dass ein – Erfolg, je nachdem was gefragt wurde. Er bekam die gewünschten Antworten und Deals und notfalls war Dôma auch gut darin, Leichen wegzuschaffen.
 

 

Wenn er etwas über Dôma gelernt hatte, dann dass man nicht dessen Feind werden wollte. Obwohl er ihm ewige Loyalität schwor und stets ein Dutzend Komplimente bereithielt, war sich Muzan sehr bewusst darüber, dass nichts davon für die Ewigkeit gelten musste. Genauso sah es auch mit Gefühlen aus, doch bisher schienen sie eine ernsthafte Beziehung zu führen. Selbst wenn Muzan nicht selten darüber nachdachte, Dôma einfach vor die Tür zu setzen, wenn dieser mal wieder übertrieb. Etwas, dass vor allem zur Vorweihnachtszeit häufig vorkam. Es war, als würde der restliche rationale Teil von Dôma's Gehirn sich auflösen, sobald die ersten Schokoweihnachtsmänner in den Regalen standen. Vielleicht sogar schon, sobald Halloween vorbei war.

Am schlimmsten wurde es immer dann, wenn sich ein weiterer Advent näherte.
 

 

So wie es heute der Fall war.
 

 

Deshalb stand Muzan vor der Haustür und suchte nach der notwendigen Kraft, die letzten Stunden vor der Schlafenszeit zu überstehen. An Tagen wie heute, war Dôma natürlich voller Energie, mehr als so schon der Fall wäre.

Verwundert bemerkte er, dass es zumindest keine laute Musik gab, die ihn empfing – wie positiv oder negativ das war, war fraglich. Muzan würde sich keine frühzeitigen Hoffnungen machen. Doch ewig konnte er auch nicht vor der Tür stehen. Also schob er den Schlüssel ins Schlüsselloch und schloss die Tür auf, um einzutreten.
 

 

„Da bist du ja!“, hörte er sofort die trällernde Stimme von Dôma.

Argwöhnisch stellte er fest, dass niemand da war, um seinen Mantel abzunehmen. Ob Dôma alle wieder veheizte? Darüber nachdenken konnte er nicht weiter, denn es dauerte nicht lange, bis sich die Arme seines Verlobten um ihn warfen und dessen Körper sich an ihn drückte.

„Ich dachte schon, du wärst vor der Tür festgefroren.“
 

 

Muzan könnte nachfragen, weshalb Dôma ihn nicht einfach aufgemacht hätte, wenn er ihn doch bemerkt hatte. Doch Dôma's Verhalten war häufiger fragwürdig.
 

 

„Wo sind Enmu und der Rest?“, fragte Muzan also stattdessen nach, während er versuchte sich den Mantel zu öffnen, obwohl Dôma sich weiterhin an ihn drückte.
 

 

„Ah, ich habe ihnen freigegeben“, erklärte dieser prompt. „Damit wir gaaaaanz für uns alleine sein können!“
 

 

Mit erhobener Augenbraue sah er zu Dôma, diese Antwort kam unerwartet. Immerhin waren sie immer für sich, wenn sie keine anderen Anweisungen gaben. Vielleicht hatte sich Dôma aber doch gestört gefühlt?

… unmöglich. Dôma war es doch, der immer wieder vorschlug, an öffentlicheren Orten gewisse Zärtlichkeiten auszutauschen, und Muzan musste es stets unterbinden. Er hatte kein Interesse daran, auch noch wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses ins Visier der Polizei zu geraten. Die hatten zeitweise sowieso ihren Blick viel zu stark auf ihn gerichtet.
 

 

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Verlobten, als dieser, mit mehr Berührungen als notwendig wäre, seinen Mantel von den Schultern schob und weghängte. Ungeduldig wartete er nur darauf, dass Muzan auch seine Schuhe loswurde, ehe sich die warmen Finger um seine eher kältere Haut legten und mit sich zog. Da er so etwas bereits gewohnt war, regte sich Muzan kaum darüber auf, sein Blick wanderte stets umher, doch tatsächlich gab es nichts auffällig Weihnachtliches.
 

 

„Rate, was ich heute getan habe!“, forderte Dôma ihn auf, bevor sie das große Hauptzimmer der unteren Etage betreten konnten.
 

 

„Ich weiß nicht“, erwiderte Muzan seufzend. „Sag es mir doch einfach.“
 

 

„Viel zu einfach!“, widersprach sein Verlobter spielerisch. „Komm schon! Ich gebe dir sogar einen Tipp!“
 

 

Muzan seufzte ein weiteres Mal auf.
 

 

„Es hat mit einem Baum zu tun!“
 

 

„… Du hast also wieder eine Kiefer reingeschleppt und geschmückt?“, fragte Muzan an.
 

 

Dôma strahlte über das Gesicht und klatschte in die Hände: „Korrekt! Wow! Du bist so gut im Raten, Muzan!“
 

 

„Dein Tipp war ziemlich offensichtlich“, erwiderte er.
 

 

Es zerstörte nicht das Strahlen seines Verlobten, es war ohnehin schwer dessen Euphorie zu durchbrechen. Das hatte Muzan oftmals ausprobiert, bevor sie zueinander gefunden hatten. Es war für ihn nach wie vor ein Rätsel, wie sich das hatte entwickeln können. Vor allem in Momenten wie diesen.
 

 

„Das mag vielleicht sein, aber du wirst niemals erraten, wie ich den Baum dieses Jahr geschmückt habe!“
 

 

Dôma trug die Fröhlichkeit und Aufregung eines kleinen Kindes vor sich hin. In Verbindung mit Schmuck für einen Baum war das absolut kein gutes Zeichen.
 

 

„Bekomme ich wieder einen Tipp?“, hinterfragte Muzan, während er darüber nachdachte, wie er eine eventuelle Katastrophe in seinem Wohnzimmer überleben sollte. Oder wie er Dôma verdeutlichte, dass alles wegmusste.
 

 

„Du hast Glück, denn ich will es dir einfach nur zeigen!“
 

 

„Oh, welch Glück“, antwortete Muzan monoton.
 

 

Dôma öffnete die Doppeltür, welche ins Wohnzimmer führte, und schob sie mit Schwung auf, damit Muzan sogleich alles sehen konnte. Und … nun, er sah ziemlich viel. Nur nichts von dem, was er erwartet hatte. Das letzte Weihnachten war voller Glitzer, blinkenden Lichterketten und anderen Dekorationen gewesen, die einfach nur übertrieben waren. Dieses Mal jedoch …
 

 

„Tadaaaa! Dieses Jahr wird unser Weihnachten komplett im Gotik-Look stehen!“
 

 

Muzan war sich ziemlich sicher, dass man es so nicht nennen würde, aber Dôma brauchte natürlich für alles einen Namen. Es würde ihn nicht wundern, wenn zahlreiche Bilder ihres Wohnzimmers bereits auf vielfältigen Social-Media-Seiten hochgeladen worden waren.
 

 

„Und wieso?“, hinterfragte er, statt anzudeuten, dass es im Grunde ihre Halloween-Dekoration war und nichts weiter.
 

 

„Huh? Ich dachte, es würde dir gefallen“, antwortete Dôma irritiert. „Du meckerst immer so viel über bunte Lichter und dergleichen, also dachte ich mir, dass wir es diesmal etwas düster halten!“

 

„Ich meckere doch nicht“, erwiderte Muzan. Vermutlich tat er das doch, nur eben auf seine sehr rationale, ruhige Art und Weise.
 

 

Dôma schnaubte, offensichtlich amüsiert: „Oh doch, das tust du. Gefällt es dir so, wie es jetzt ist, besser?“
 

 

„Nun, ich“, Muzan räusperte sich, während er seinen Blick wieder schweifen ließ. „Ich bekomme zumindest keine Kopfschmerzen oder das Bedürfnis danach, mir die Augen auszustechen.“ Er sah Dôma's Schmollmund und seufzte leise. „Ja, es gefällt mir besser.“
 

 

„Ich wusste es!“, fiepste Dôma, welcher nach seinen Händen griff und ihn näher zum Baum heranzog. „Sieh nur, ich habe solche Fake-Spinnweben besorgt! Und da ich keine langweilig-eintönige Lichterkette besorgen wollte, wurden es solche LED-Kerzen. Die haben zumindest Stil und passen perfekt in diesen Gotik-Look!“, erzählte Dôma. „Ich werde noch das ganze Haus schmücken, danach! Und auch den Vorgarten! Das wird großartig!“
 

 

Muzan könnte sich beschweren und dagegen reden, aber es wäre wohl einfacher zu akzeptieren und sich eher darüber zu freuen, dass Dôma Beschäftigung für sich gefunden hatte. Es war nie gut, wenn Dôma sich langweilte, vor allem für die Sicherheit von Muzan's Geschäft.
 

 

„Vergiss nur nicht deine Hauptaufgaben“, merkte er daher etwas belehrend an.
 

 

„Das würde ich nie“, strahlend drückte Dôma ihm einen Kuss auf die Wange. „Vielleicht sollten wir unsere Hochzeit auch nach diesem Thema aufbauen? Du siehst bestimmt großartig in so einem alten Frack aus“, summte dieser weiter. „Wobei du natürlich in allem total heiß aussiehst!“
 

 

Muzan rechnete damit, dass das Thema ihrer Hochzeit noch mehrmals wechseln würde. Ob sie überhaupt jemals dazu kämen zu heiraten?
 

 

„Ich habe nichts dagegen, zu dem Thema zu heiraten“, befürwortete Muzan dennoch.

Es würde eher seinen Vorstellungen entsprechen, als irgendwelche anderen Ideen, die er bereits von Dôma hatte hören dürfen.
 

 

„Dann werde ich morgen sofort mit der Planung anfangen!“, meinte Dôma sofort motiviert. „Jetzt lass uns erstmal essen gehen, du musst mir alles von deinem Tag erzählen!“
 

 

Muzan wusste, dass am Ende Dôma ihm erzählen würde, wie sein Tag verlaufen war. Sicherlich würde es darum gehen, wie er alles dekoriert hatte und wie komplex es gewesen war, diese Fake-Spinnweben an den Weihnachtsbaum zu bekommen, damit sie perfekt wirkten.

Herz aus Eis [Dôma x Shinobu]

Sie hasste es, wenn er sie anlächelte. Sie hasste es, wenn er andere anlächelte. Sie hasste es, wie perfekt er doch war. Sie hasste es, wie er ihr Herz schneller schlagen ließ.

 

Dôma Ashikaga war der wohl perfekteste Mensch, dem sie jemals begegnet war. Sein Lächeln saß immer makellos, als hätte er berechnet, wie hoch er die Mundwinkel ziehen müsste, in welche Richtung und wann er seine strahlenden Zähne zeigen sollte, um dieses Bild abzurunden. Genauso verzogen sich seine Augenbrauen im perfekten Winkel, seine Nase kräuselte sich ein wenig, auf seinen Wangen ergaben sich Grübchen.

 

Es war wortwörtlich bezaubernd.

 

Er war groß: nein, er war riesig! Schlank, aber trainiert – er machte den Anschein von einem Model. Mit diesem Körperbau, aber auch mit seinem glänzenden Haar, welches die Farbe des leuchtenden Mondes besaß und sein Gesicht mit kleinen Pauschbäckchen umrahmte.

 

Das wohl auffälligste an ihm waren seine Augen.

 

Wimpern, in der perfekten Länge umgaben sie, die Augen selbst ein wenig größer als bei den meisten jungen Männern, aber nicht creepy groß. Doch die Farbe … kein normales Braun, kein Blau und auch kein recht seltenes Grün – stattdessen waren es Regenbögen. Regenbogenfarbene Augen, in sanften Tönen gehalten. Nicht aufdringlich und doch das Erste, was man sehen würde, sobald man ihn erblickte.

 

Wann immer Shinobu ihn sah, sei es auf den Schulgängen, der Mensa oder wenn sie ein Fach zusammen hatten, suchte sie nach irgendeinem Makel. Etwas, das diesen so perfekten jungen Mann ruinierte. Menschlich erscheinen ließ. Doch ganz egal, wie oft sie ihn ansah, alles, was sie sah, war reine Perfektion.

Selbst wenn er nicht lächelte, dann trug sein Gesicht etwas Sanftes und Verträumtes bei sich. Er wirkte immer freundlich, mitfühlend, maximal etwas übertrieben. Als würde er sich zu sehr bemühen, obwohl es so leicht wirkte.

 

Shinobu war sich also sicher, dass Dôma Ashikaga einen Makel hatte. Sie musste ihn nur hervorbringen!

 

Kanae war der Meinung, dass sie sich irrte – aber auch, dass sie ein wenig zu besessen von alledem war. Vielleicht lag ihre ältere Schwester damit richtig. Seitdem Dôma im vergangenen Schuljahr als neuer Schüler an die Kimetsu Academy gekommen war, hatte sie ihn sich als Objekt herausgepickt. Zu Beginn war es ein kleiner Spaß gewesen, ein Experiment – wie lange würde es dauern, bis ihr ach-so-perfekter neuer Mitschüler seine Maske fallen lassen würde?

 

Doch umso häufiger ihre Pläne scheiterten, umso besessener wurde sie von ihm.

 

Es hatte nicht viel Zeit gekostet, damit Dôma die Beliebtheitsskala ihrer gesamten Schule erklommen hatte. Nicht dass dies sonderlich schwierig war, man musste lediglich gut aussehen, um schnell an der Spitze zu stehen. Etwas, indem wohl niemand so gut war wie Dôma selbst, er war perfekt ausbalanciert zwischen Außergewöhnlichen und dem Bekannten, welches ihn sicherlich auch blitzschnell zu einem Model machen würde. Oder eher einen Influencer.

Gefühlt jedes Mädchen himmelte ihn an, selbst die ein oder anderen Kerle taten dies – beide Geschlechter nicht nur aufgrund eines romantisches Interesse. Es war vielmehr, als würde sie zu ihm aufsehen.

 

Wunderschön, selbstbewusst, freundlich, intelligent.

 

Nicht frei von Fehlern, aber er stand förmlich über ihnen. Wie eine heilige Präsenz, die man kritisieren konnte, nur damit es im nächsten Moment genau das umsetzte, was man vorher noch als negativ empfunden hatte.

 

Shinobu war nicht frei von all diesen Einflüssen.

 

Ihre Augen klebten an ihm, selbst wenn sie sich andere Gründe dafür einfallen ließ als eine Schwärmerei. Sie war vielleicht zu gut darin, sich etwas vorzuspielen. Ganz egal, was sie tat – es war nicht möglich für sie, weiterzukommen. Daher war es ein Traum, als es in Biologie eine Partner-Arbeit geben sollte.

Die zusammenarbeitenden Pärchen wurde zufällig bestimmt.

Es konnte nicht nur Zufall sein, sondern musste mit Schicksal zu tun haben, als ihre Namen gemeinsam gezogen wurden.

 

„Du könntest gerne zu mir kommen“, schlug Dôma ihr mit seinem perfekten Lächeln vor. „Aber es macht mir auch nichts aus, zu dir zu kommen. Sag mir einfach, was dir lieber ist.“

 

Shinobu musste den Kopf ein wenig in den Nacken legen, um ihn ansehen zu können. Bei anderen Personen würde sie sich vielleicht bedroht fühlen, aber alles, was Dôma ausstrahlte, war so etwas wie Ruhe und Vertrauen. Es schien egal zu sein, wie gut oder schlecht man ihn kannte.

 

„Ah, lieber bei dir“, antwortete Shinobu lächelnd. „Bei mir Zuhause ist immer viel zu viel los.“

Außerdem war es der perfekte Moment, um zu sehen, wie Dôma lebte, gab es seltsame Räumlichkeiten oder dergleichen?

„Schreib mir deine Adresse einfach hierhin“, forderte sie sanftmütig und deutete auf einen Teil ihres Heftes, während sie Dôma zugleich auch einen Stift anbot. „Ich könnte heute ab 17 Uhr bei dir sein.“

 

Dôma beugte sich ein wenig über den Tisch, um in perfekt geschwungenen Linien seine Adresse niederzuschreiben.

„17 Uhr klingt gut, ich werde auf dich warten, Kocho-kun.“

 

„Ich freue mich schon“, erwiderte Shinobu, während sie Dôma ihr süßeste Lächeln schenkte, welches bislang immer genau das für sie getan hatte, was sie sich wünschte.

In diesem Falle war es nichts Bestimmtes, nur dass Dôma nichts ahnen sollte. Er sollte sie weiterhin für eine einfache Mitschülerin halten.

 

Sie winkte Dôma nach, als dieser sich nun abwandte und seines Weges ging. Dabei ignorierte sie ganz einfach die neidischen Blicke ihrer Mitschüler, um inzwischen ebenfalls ihr Zeug zusammenzupacken. Nach zwei weiteren Unterrichtseinheiten Japanisch konnte sie ihren nach Hause Weg einschlagen.

Shinobu hatte nachgesehen, wie sie zum Zuhause von Dôma kommen würde, es war kein Katzensprung, sondern durchaus schon etwas weiter weg. Doch mit dem Bus würde sie nahe genug herankommen, um den restlichen Weg entspannt laufen zu können.

Zuerst einmal musste sie nach Hause und einige Sachen zusammenpacken. Ihre Schwestern waren ebenfalls anzutreffen, doch vorerst störten sie ihre Unternehmungen nicht.

 

„Gehst du nochmal weg, Shinobu-chan?“

 

Sie musste sich natürlich nicht umdrehen, um zu wissen, dass ihre ältere Schwester zu ihr sprach. Ihre Stimme würde sie unter Tausenden wiedererkennen.

 

„Hmhm“, machte Shinobu ein wenig summend. „Es geht um ein Biologie-Projekt. Ich werde wohl erst sehr spät wiederkommen. Vielleicht bleibe ich auch über Nacht.“

 

„Ich verstehe, dann schreib mir nochmal eine Nachricht, je nachdem wie du dich entscheidest“, erwiderte Kanae mit ihrer ehrlichen Freundlichkeit. Manchmal hätte Shinobu gerne etwas davon. „Mit wem machst du das Projekt? Kanroji-kun?“

 

„Nein, die Paare für die Projekte wurden zufällig ausgelost“, antwortete sie. „Ich arbeite also dieses Mal mit Ashikaga-kun zusammen.“

 

„Ashikaga-kun?“

 

„Jap!“

 

„Ich verstehe.“

 

„Du machst dir schon wieder grundlos Sorgen, Onee-chan“, versuchte sie beruhigend zu klingen. „Wir werden nur unser Projekt besprechen und herrichten. Soweit wir eben kommen mögen.“

 

„Werden seine Eltern da sein?“

 

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“

 

Kanae seufzte schwer: „Schreib mir einfach zwischendurch mal.“

 

„Aber natürlich!“

 

Shinobu fragte sich, worum Kanae besorgt war – dass ihre kleine Schwester plötzlich schwanger zurückkommen würde, die Probleme eines Mädchens hatte, von welchem Nacktbilder kursierten – oder ob ihre Sorge nicht doch eher ihrem Mitschüler galt. Was es auch war; es ließ sie leise in sich hineinkichern.

 

„So, ich sollte alles haben. Wir sehen uns spätestens morgen wieder.“

 

Sie schenkte Kanae noch eine kurze Umarmung, winkte Kanao zu, welcher bereits an ihrem Klavier saß und vermutlich auf Kanae wartete, welche sie lehrte. Sobald sie in ihre Schuhe geschlüpft war, sowie ihrer Jacke angezogen hatte, machte sie sich auch schon direkt auf den Weg. Mit dem Bus war sie fast eine halbe Stunde unterwegs, aber da sie kein Fahrrad besaß und noch weniger einen Führerschein, war es für sie ganz natürlich, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Auch wenn sie wohl darauf bauen konnte, dass Kanae sie abends abholen würde, um irgendwelchen Gefahren vorzubeugen. Glücklicherweise verlief die Hinfahrt ganz ruhig und entspannt – immerhin benötigte es keine Dunkelheit, um auf Gefahren zu stoßen.

Wie von ihr eingeplant, fand sie sich kurz vor 17 Uhr bei der aufgeschriebenen Adresse ein. Das Haus wirkte von außen freundlich, etwas protziger, jedoch nicht auf negative Weise auffällig. Das Klingelschild wurde von Dôma's Nachnamen geschmückt, welcher aussah, als würde er noch nicht lange dran sein, dabei wohnte er doch bereits gut ein Jahr hier. Als sie die Klingel betätigte, dauerte es nicht lange, bis das große Tor vor ihr sich öffnete und sie einen Weg durch den hübschen Vorgarten führte. Als sie voraussah, konnte sie bereits ihren Mitschüler erkennen.

 

Dôma wartete an der Haustür mit einem Lächeln auf sie, öffnete die Tür ein wenig mehr, damit sie leicht hineintreten konnte.
 

 

„Hallo, Kocho-kun! Hast du gut hergefunden?“
 

 

„Das habe ich. Ein schöner Garten“, erwähnte Shinobu, während sie ihre Schuhe auszog und ordentlich zur Seite stellte.
 

 

„Ah, das ist er. Ich liebe es zu sehen, wie all die Blumen verschiedene Tierchen anlockt“, erzählte Dôma, während er die Haustür hinter ihr schloss. „Wie Schmetterlinge. Magst du Schmetterlinge? Du trägst ab und an Spangen von ihnen im Haar.“
 

 

Shinobu kam tatsächlich nicht umhin überrascht zu sein; bei der Menge an Schülern, war es unmöglich für sie gewesen, aufzufallen. Sich ihren Namen zu merken war eine Sache, aber das eine oder andere Accessoire?
 

 

„Ja“, antwortete sie lächelnd, um ihre Überraschung zu überspielen. „Tatsächlich sind Schmetterlinge die einzigen Insekten, die ich mag.“
 

 

Dôma nickte ein wenig, als würde er das ebenfalls so sehen, statt etwas dazu zu sagen, deutete er jedoch lächelnd auf ein Paar Hausschuhe. „Magst du welche davon haben? Sie sind für Gäste gedacht und werden natürlich regelmäßig gereinigt. Auch wenn ich tatsächlich eher selten Besuch hier empfange.“
 

 

„Sehr gerne“, nickte Shinobu und griff nach einem Paar, welches klein genug für ihre Füße wirkte, ganz schlicht in Schwarz gehalten. „Ich hätte tatsächlich gedacht, dass du hier häufiger Personen einlädst.“
 

 

„Was lässt dich das denken?“, hinterfragte Dôma, er neigte den Kopf – im perfekten Winkel – trug ein verspieltes Lächeln auf dem Gesicht.
 

 

„Huh? Du wirkst einfach sehr … gesellig.“ Beliebt war wohl der eigentlich passende Begriff.
 

 

„Bei so vielen freundlichen und spannenden Persönlichkeiten ist es unmöglich, nicht gesellig zu sein, oder?“, erwiderte Dôma, während er vorausging. „Ich bin einfach immer so neugierig zu erfahren, was Menschen so erlebt haben, was sie zu dem gemacht hat, was sie heute sind.“
 

 

„Das klingt äußerst tiefgründig“, lächelte Shinobu.
 

 

Tiefgründer, als man anhand erster Beobachtungen erwarten würde. Shinobu folgte Dôma natürlich, wodurch sie in den Hauptraum kamen. Alles wirkte auf eine Weise elegant, wurde jedoch verdrängt durch die zahlreichen, farbenfrohen Details. Doch obwohl so viel los zu sein schien, konnte sie keinerlei Fotos finden. Dabei war sie davon ausgegangen, dass jemand wie Dôma überall Bilder von sich haben würde – es vielleicht von seiner Familie vorgelebt bekam.
 

 

„Sind deine Eltern nicht da?“, fragte sie nach, während sie ihre Tasche neben das Sofa abstellte, auf welchem sie sich niederließ.
 

 

Dôma schüttelte den Kopf: „Nein, sie sind meistens auf Geschäftsreise, ehrlich gesagt. Möchtest du etwas Tee haben?“
 

 

„Gerne. Ist es in Ordnung, wenn ich mich schonmal ein wenig hier ausbreite?“
 

 

„Aber natürlich, ich werde gleich wieder bei dir sein.“
 

 

Shinobu sah ihrem Mitschüler lächelnd hinterher, bis dieser aus ihrem Blickfeld verschwand, vermutlich in der Küche. Sie packte den Kram aus, der für ein Projekt durchaus notwendig sein könnte. Die Tarnung für das alles. Ihr Blick wanderte weiterhin durch den Raum, versuchte alles in sich aufzunehmen, aber alles wirkte normal.
 

 

Und gleichzeitig auch völlig falsch.
 

 

Es war schwer, zu benennen, was sich falsch anfühlte. Ein kleiner Schreck durchfuhr sie, als ein Geräusch zu ihr durchkam, als würde etwas gegen die Rohre klopfen? Shinobu sah sich irritiert um, erhob sich bereits, um ihr Blickfeld zu erweitern, als Dôma wieder auftauchte – mit einem Tablett in den Händen.
 

 

„Ist alles in Ordnung?“ Sein Lächeln war scheinheilig.
 

 

Shinobu baute ihr eigenes Lächeln wieder auf: „Ja, ich dachte nur, etwas gehört zu haben. So etwas wie … ein Klopfen? Aber metallisch.“
 

 

„Oh?“, machte Dôma, während er das Tablett auf einer freien Stelle abstellte. „Ist das so? Vielleicht sind das die alten Rohre, wir warten darauf das sie kontrolliert werden.“
 

 

„Vermutlich“, antwortete sie nun und setzte sich wieder auf das Sofa.
 

 

„Ich habe Jasmin-Tee zubereitet. Ist das nach deinem Geschmack?“
 

 

Shinobu nickte direkt, der Tee war ihr grundsätzlich egal. Glücklicherweise war sie schon immer sehr geduldig. Sie beobachtete, wie Dôma etwas von der Teekanne in zwei Tassen füllte, um diese bereitzustellen, ehe er es sich jetzt ebenfalls auf dem Sofa bequem machte und dabei einen respektvollen Abstand behielt. Etwas, worüber die meisten Jungs in ihrem Alter keine Gedanken verschwendeten und wenn doch, dann schwitzten sie dabei wie ein Schwein und waren ganz rot.

So entspannt wie Dôma sich gab, fragte sich Shinobu, ob dieser einfach sehr selbstbewusst war, gut im Umgang mit Mädchen – oder einfach kein Interesse hatte. An Mädchen oder auch nur an sie.
 

 

„Du hast dir meinen Namen gemerkt“, sprach Shinobu irgendwann an, während sie alles zurechtlegte und dabei nicht einmal in die Richtung des Schulschwarm's blickte. „Das hat mich etwas überrascht.“
 

 

„Natürlich merke ich mir deinen Namen, Kocho-kun“, erwiderte Dôma, so wie seine Stimme klang, schien er zu lächeln. „Ich versuche mir jeden Namen zu merken. Hinzukommend seid ihr auch bei den meisten bekannt, als das hübsche Geschwister-Trio. Außerdem unterrichtet deine ältere Schwester auch einen meiner Kurse und ihr teilt eine gewisse Ähnlichkeit zueinander.“
 

 

Vermutlich hätte Shinobu darauf selbst kommen können. Es gab kein Interesse an ihr, sondern nur das allgemeine Wissen über das Geschwister-Trio, wo eine schöner als die andere war. Sie konnte kaum mehr zählen, wie viele Liebesbriefe sie schon erhalten hatte – entweder für sich oder mit der Bitte, es doch an Kanae weiterzureichen. Meistens verbrannte sie all das, sobald sie Zuhause war.

Es gab nichts, was sie mehr hasste, als wenn jemand ihre Geschwister anhimmelte und dann solche feigen Aktionen über sie versuchte! Sie selbst hatte ebenfalls kein Interesse an irgendjemanden. Genau genommen hatte sie bislang an niemanden Interesse gehabt.
 

 

Und dann war da Dôma aufgetaucht.
 

 

Es fühlte sich unsinnig an, Interesse an einem Mitschüler wie diesem zu haben. An jemanden, der von gefühlt jeder angehimmelt wurde, weil er so bezaubernd war. Doch Shinobu hielt sich nicht damit auf, Dôma's Äußeres anzuhimmeln, ihr Interesse wurde von etwas ganz anderem geweckt.

Von dem, was sie hinter diesem perfekten Lächeln erwartete.
 

 

„Das ist wohl nachvollziehbar“, antwortete Shinobu langsam.
 

 

Sie bemerkte, wie Dôma seinen Kopf neigte: „Ich hoffe doch, dass dies sich nicht wie eine Beleidigung für dich anfühlt? Ich denke, du bist auch ohne deine Schwestern eine vollständige Persönlichkeit.“
 

 

„Oh-“, Shinobu blinzelte irritiert, als sie ihren Kopf in die Richtung ihres Mitschülers drehte.
 

 

Urplötzlich wurde ihr klar, wie nahe Dôma heran gerutscht war – ohne, dass sie es vorher bemerkt hätte.
 

 

„Außerdem denke ich, dass du am schönsten bist.“
 

 

„Verglichen mit meinen Schwestern?“, lachte sie auf, mit einem irritierenden Gefühl im Körper.
 

 

„Nein. Von der ganzen Schule genau genommen, Shinobu.“
 

 

Sie errötete prompt, nur dass ihr nicht bewusst war, ob wegen des Kompliments oder wegen der plötzlichen Benutzung ihres Vornamens, was definitiv zu intim war.
 

 

„Und zu wie vielen anderen Mädchen sagst du so etwas?“, hinterfragte Shinobu hüstelnd, um sich selbst zu erden und nicht auf diesen schlechten Flirtversuch einzugehen. Sie war so etwas gewöhnt, aber normalerweise von Jungen, welche ihr Interesse niemals auf sich ziehen könnten oder würden.
 

 

Dôma trug weiterhin ein sanftes Lächeln auf den Lippen, nichts an ihm deutete daraufhin, als wäre er aufgeregt oder nervös: „Ich bin kein Aufreißer, Shinobu. Mein Interesse obliegt ganz dir und keinem anderen Mädchen.“
 

 

Für Shinobu klang das völlig verrückt. Jemand wie Dôma wollte ihr ernsthaft verkaufen, keinerlei Interesse an anderen Personen zu haben? Dabei war er stets umgeben von verschiedenen Persönlichkeiten. Natürlich fühlten sich die populären Teenager von ihm angezogen, genauso aber auch jene, die man normalerweise als Looser wahrnehmen würde. Dôma hatte etwas an sich, wodurch sich jeder in seiner Nähe wohlfühlte. Wohl und auch erwünscht.
 

 

„Dafür, dass ich dein komplettes Interesse anziehe, hast du bislang keine Andeutungen darauf gemacht“, merkte sie nun kritisch an. „Klingt nicht unbedingt nach einem ehrlichen Interesse.“
 

 

„Ich wollte dich keinesfalls bedrängen“, verteidigte sich Dôma. „Außerdem wusste ich deine Blicke nicht einzuordnen. Manchmal hatte ich das Gefühl, du wünschst mir den Tod.“
 

 

Er hatte die Blicke also bemerkt? „Ich würde niemals jemandem den Tod wünschen.“
 

 

„Dann solltest du an deinen Blicken arbeiten.“
 

 

Das sollte sie definitiv, wenn jemand sie so deutlich spürte. War das Dôma's Geheimnis? Er konnte solche Sachen schneller und stärker wahrnehmen? War sich seiner Umwelt stärker bewusst?

Sie öffnete ihren Mund, doch ehe ein Wort über ihre Lippen kommen konnte, hörte sie erneut dieses klopfende Geräusch gegen Rohre. Sie sah in die Richtung, aus welcher es zu kommen schien, ehe sie wieder skeptisch zu Dôma sah.
 

 

„Sicher, dass mit euren Rohren so weit alles in Ordnung ist?“
 

 

„Oh, natürlich nicht. Ich kenne mich damit gar nicht aus“, winkte Dôma unbesorgt, immer noch lächelnd, ab. „Ich denke jedoch nicht, dass wir uns Sorgen machen müssen.“
 

 

„Wir sollten dennoch unten mal nachsehen“, warf Shinobu neugierig ein. „Nicht, dass es bereits ein reines Chaos dort unten gibt und wir hier oben nichts davon bemerken? Ich kenne mich zumindest ein wenig damit aus.“
 

 

„Ist das so!“, rief Dôma aus. Immer noch lächelnd. „Woher kommt dieses Wissen?“
 

 

„Meine Schwester und ich leben alleine und mussten uns schon lange alleine durchschlagen. Da eignet man sich einiges an.“
 

 

„Was ist mit euren Eltern?“
 

 

„Lass uns unten nachsehen.“
 

 

Shinobu erhob sich. Als sie hergekommen war, hatte sie nicht in dem Sinn gehabt, dass Dôma ihr haufenweise Fragen stellen würde. Vielleicht könnte sie ja unten etwas erforschen oder entdecken, was ihre Neugierde bestätigte.
 

 

„Ganz, wie du willst. Vermutlich ist es wirklich besser, mal einen Blick darauf zu werfen“, befürwortete Dôma nun.
 

 

Shinobu ging bereits voraus, als sie hören konnte, wie etwas umfiel, weil Dôma scheinbar darüber gestolpert war.
 

 

„Ah! Es tut mir leid, Shinobu, ich bin bei deiner Tasche hängen geblieben!“ Sie drehte ihren Kopf und beobachtete, wie Dôma ihre Tasche wieder ordentlich hinstellte. „Glücklicherweise ist nichts herausgefallen!“
 

 

„Das kann passieren“, lächelte Shinobu entspannt.
 

 

Hoffentlich hatte Dôma nichts kaputt gemacht. Sie hatte ihn noch nie stolpern sehen, doch im Allgemeinen war das wohl rein menschlich. Shinobu ging so weit voraus, bis sie im Eingangsbereich stand und Dôma sie eingeholt hatte.
 

 

„Dort drüben geht es nach unten“, erklärte dieser ihr, während er indessen vorausging und eine Tür öffnete, die nach unten führte. Er betätigte sogleich den Lichtschalter. „Also, es sieht zumindest nicht nass aus!“
 

 

Für so eine minimale Information wirkte Dôma viel zu glücklich. Er ging voraus, die lange Treppe nach unten. Shinobu folgte ihm natürlich und hörte das Klopfen erneut. Es schien lauter zu werden, rhythmischer und schneller.
 

 

„Das klingt nicht nach alten Rohren.“
 

 

Es klang eher so, als würde jemand gegen die Rohre klopfen. Sofort gefror sie in ihren Bewegungen und ihr Blick lag prompt auf Dôma, welcher immer noch entspannt neben ihr stand.
 

 

„Findest du?“, hinterfragte dieser unschuldig. „Ich wüsste jedoch nicht, was es sonst sein sollte.“
 

 

Wie schnell würde sie nach oben kommen? Wäre es überhaupt schlau, einfach loszulaufen, ohne irgendeinen Beweis auf ihren Gedanken? Neugierde war der Katze tot, sagte man stets. Shinobu war neugierig, aber sie war nicht dumm. Andererseits war sie es gewesen, die unbedingt herunterkommen wollte.
 

 

Ohne ihrem Handy, ohne ihrer Tasche.
 

 

„Meinst du, es könnten Einbrecher sein?“, flüsterte sie nun. Vielleicht half es, das wehrlose Schulmädchen zu spielen. „Lass uns lieber wieder hochgehen, Dôma.“
 

 

Zaghaft griff sie nach einem Arm ihres Mitschülers, damit dieser mitkommen würde. Besser wäre es vielleicht, er blieb hier und sie würde alleine hochgehen, aber sie machte sich keine großen Hoffnungen.
 

 

„Oh, du hast mich beim Vornamen genannt“, lächelte Dôma ihr entgegen. „Ich denke im Übrigen nicht, dass es hier einen Einbrecher gibt. Lass uns einfach nach den Rohren sehen.“
 

 

„Nein“, zischte Shinobu. „Ich fühle mich hier unwohl. Dann gehe ich eben alleine nach oben!“
 

 

Sie sah für einen Augenblick Irritation in Dôma's Gesicht, dann hatte sie sich bereits abgewandt, um die Treppe anzupeilen, welche sie wieder hochbringen würde. Vielleicht doch ohne Dôma.
 

 

„Aber du wolltest doch nach den Rohren sehen, ich habe davon doch keine Ahnung, Shinobu!“, hörte sie Dôma reden.
 

 

Er klang dümmlich und naiv. Normalerweise würde es Shinobu die Augen verdrehen lassen, doch es war ungewöhnlich. Dôma hatte nie diese Tonlage benutzt – ganz egal, in welchen Situationen sie ihn beobachtet und belauscht hatte. Also stockte sie in ihrer Bewegung und wollte sich umdrehen.

Ehe sie dies tun konnte, spürte sie den warmen Körper einer anderen Person hinter sich – viel zu dicht. Doch auffälliger war ein kleiner Stich in ihrem Hals. Perfekt gesetzt. Sie riss ihre Augen auf, bevor sie endlich ihren Arm anhob und jenen von sich stieß, der ihr irgendwas injiziert hatte.
 

 

„Ah, ich hoffe, das ist kein Gift gewesen, Shinobu-chan!“

Sie hielt ihre Hand gegen die Stelle gedrückt, in welche gestochen worden war, und sah zu Dôma, welcher immer noch sehr nahe war. Mit einer Spritze in der Hand. Ihrer Spritze.

„Aber nein, ich denke nicht, dass du vorhattest, mich zu töten. Auch wenn ich nicht sicher bin, was du überhaupt vorhattest“, redete er weiter, sanft und weich.
 

 

Dabei bemerkte Shinobu, wie ihr immer schwindeliger wurde. Sie musste sich am Treppengeländer festhalten, damit sie nicht umfiel.
 

 

„Warum . . .“, fing sie an, doch ihre Zunge fühlte sich schwer an.
 

 

Dôma's Lippen zierten weiterhin ein Lächeln, wie das von einem Todesengel, der dich empfangen wollte. Es war das Letzte, was sie für diesen Moment sah, bevor das betäubende Mittel sie mehr und mehr umfing und zusammenklappen ließ.
 

 

~
 

 

„Hm, hm, hm.“
 

 

Als sich um sie herum alles begann zu festigen, war das Erste, was sie hörte, dieses fröhliche Summen. Die Stimme kam ihr bekannt vor. Daneben konnte sie das Wimmern anderer, fremder Personen hören, Schnappatmung, ächzen. Eine seltsame Geräuschkulisse, selbst für sie.
 

 

„Oh! Shinobu-chan! Wachst du etwa aus?“
 

 

„Hmpf.“ Sie kniff ihre Augen fest zusammen, bevor sie versuchte, diese zu öffnen.
 

 

„Da bin ich aber wirklich erleichtert. Du warst so lange bewusstlos, da habe ich mir ehrliche Sorgen um dich gemacht!“, atmete Dôma auf. „Vermutlich war die Dosis zu hoch, was? Du bist ja viel kleiner und zarter als ich.“

Shinobu schaffte es endlich ihre Augen zu öffnen, doch sie wusste schon so wer hier war. Dôma's Stimme war einfach unverkennbar. Nur die anderen Geräusche wusste sie nicht einzuordnen. Gerade war ihr aber alles ein wenig zu viel. Zu laut und zu hell.

„Du warst ziemlich gut vorbereitet, Shinobu-chan!“, redete Dôma weiter. „Ich frage mich wirklich, was du mit mir vorhattest. Zumindest bist du keine Enttäuschung, du bist genauso wundervoll und besonders, wie ich es mir vorgestellt habe!“
 

 

Sie versuchte mehr zu erkennen und schaffte es nach und nach auch. Das Licht war immer noch zu hell, doch sie konnte Dôma's große Gestalt erkennen, wie er an einem Tisch stand. Ein Tisch, voll mit ihrem Kram. Verschiedene Spritzen und andere Mittelchen, vielleicht war ihre Vorbereitung zu groß gewesen. Sie hatte jedoch nicht einschätzen können, wie lange eine Spritze Dôma außer Gefecht setzen würde – und wie oft sie es nutzen müsste.
 

 

Jetzt gab es natürlich noch die Frage, ob Dôma das alles von vorneherein erwartet hatte – oder ob beim Stolpern über ihrer Tasche irgendwas herausgefallen war, was seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
 

 

Da sich ihre Zunge noch viel zu schwer anfühlte, ließ sie ihren Blick weiter schweifen, um alles zu erfassen. Dadurch konnte sie nun auch erkennen, woher diese anderen Geräusche gekommen waren. Da waren zwei Personen, ein Mann und eine Frau, welche nicht den Luxus hatten, reden zu können, wenn sie wollten.
 

 

Oder schreien.
 

 

„Was- was auch immer du vorhast“, versuchte sie jetzt zu reden, ignoriere das Kratzen im Hals und das seltsame Gefühl in ihrem Mund. „Meine Schwestern werden nach mir suchen.“
 

 

„Hm? Oh, ja natürlich. Warum sollten sie auch nicht?“, erwiderte Dôma völlig entspannt, ohne weiter darauf einzugehen.
 

 

„Sie werden auch hier nach mir suchen!“
 

 

„Ich glaube nicht, dass du weißt, wo hier überhaupt ist, Shinobu-chan!“
 

 

Sie blinzelte irritiert, ehe sie begriff, worauf Dôma hinaus wollte. Ihr Blick wanderte sogleich umher und sofort kam ihr in den Sinn, dass es nicht nach einem Keller aussah. Eher wie eine sterile Kammer. Dass ihre Bewegungen eingeschränkt waren, hatte sie bereits bemerkt, auch wenn die Fesseln nicht sonderlich eng saßen. Es fühlte sich an, als würde Dôma sich damit über sie lustig machen wollen.
 

 

„Wo sind wir dann?“
 

 

Dôma winkte entspannt ab: „Das ist doch nicht so wichtig. Wichtig ist; wir sind unter uns!“ Shinobu's Blick wanderte sofort zu dem Paar, welches ebenfalls hier saß. „Na gut, noch nicht. Aber wir werden bald unter uns sein, versprochen! Oder-“, die Pause welche Dôma machte, schenkte ihm wieder all ihre Aufmerksamkeit.

Ihr Mitschüler stand vor ihr, stützte seine Hände auf ihren Unterarmen ab – er fühlte sich eiskalt an. Diese ganze Show passte absolut nicht zu dem warmen Lächeln auf den Lippen des jungen Mannes. Alles hier war ein Paradoxon.

„- du könntest mir helfen!“, beendete Dôma seine Pause schließlich. „Statt mich zu töten, könntest du mir helfen, die beiden hier zu . . .“
 

 

„Ich hatte nie vor, dich zu töten!“, unterbrach Shinobu ihn. „Ich wollte dich lediglich ausknocken.“
 

 

„Oh“, machte Dôma fast etwas enttäuscht, während er sich aufrichtete. „Dann hilft mir dein Zeug wohl nicht was?“
 

 

Vielleicht sollte Shinobu in panische Angst verfallen, aber so etwas half niemals jemanden weiter. „Weshalb hast du überhaupt vor, die beiden dort . . .“ Wollte er sie wirklich töten? Shinobu konnte das gerade noch nicht wirklich glauben, geschweige denn aussprechen.
 

 

„Zu töten? Oh, nur zum Spaß“, winkte ihr Mitschüler mit einem süßen Lächeln ab. Es war, als würde er ihre Masche kopieren, nur in einer viel krasseren Situation. „Außerdem bekomme ich ein wenig Geld dafür, aber eigentlich ist der Hauptgrund Spaß!“

 

„Ich wusste es“, murmelte sie leise vor sich hin.
 

 

„Huh?“
 

 

„Niemand kann ach-so-perfekt sein wie du, es war klar, dass es einen Haken an dir gibt!“
 

 

Auch wenn Shinobu nicht hiermit gerechnet hatte. Es war wie in irgendeinem schlechten Roman oder Teenie-Film. Nur noch die schlechte Romanze fehlte. Wobei . . ..
 

 

„Du findest also, dass ich perfekt bin? Wie süß!“, zwitscherte Dôma übertrieben, während er eine dieser Spritzen in den Händen hielt.
 

 

„Nicht mehr“, nahm Shinobu ihm gleich den Wind aus den Segeln. „Es ist ganz offensichtlich, dass du nicht ganz richtig tickst. Wer tötet Menschen aus Spaß?“
 

 

Dôma schürzte seine Lippen: „Was? Würde es dir besser gefallen, wenn ich dir eine traumatische Kindheit offenbare, welche mich dazu gezwungen hat, ein Mörder werden zu müssen, um einen Platz in der Gesellschaft einnehmen zu können?“
 

 

„Es würde mir definitiv besser gefallen, gar nicht in dieser Situation zu stecken.“
 

 

So wie ihr Mitschüler den Kopf schief legte, konnte man ihn fast nicht als bedrohlich einordnen. Ganz allgemein war dies so. Sie sah Dôma an, in seiner perfekt sitzenden Schuluniform, mit diesem hübschen Lächeln und diesen strahlenden Augen. Sie kannte natürlich all die Geschichten über charismatische Mörder, nun saß sie hier – vor einem weiteren Exemplar.
 

 

„Und ich dachte, es würde dir ganz gut gefallen. Immerhin scheinst du kein Problem damit zu haben, Leute zu betäuben“, schnalzte Dôma mit der Zunge. „Ich wette, wir könnten ein wahres Dream-Team werden! Auch wenn es wohl ein wenig Zeit kosten wird, aber wir werden uns schon aufeinander einspielen.“
 

 

Shinobu blinzelte ein wenig irritiert: „Aber . . . willst du mich nicht töten?“
 

 

„Hm? Nein“, antwortete Dôma, als wäre dies infrage zu stellen, komplett verrückt. „Wie könnte ich jemanden so wundervolles wie dich töten wollen? Nein, nein, nein.“ Er schüttelte den Kopf mit jeder Verneinung ein wenig mehr. „Du hast mir ein Gefühl gegeben, Shinobu-chan!“
 

 

Sie hatte sich vermutlich noch nie so dumm und verwirrt gefühlt, wie es jetzt der Fall war. Es musste an Dôma liegen. „Gefühl?“ Gefühle waren etwas völlig Normales und Alltägliches.
 

 

„Ganz genau!“, nickte Dôma ganz aufgeregt. „Ich dachte schon, mein Herz wäre wirklich aus Eis und vielleicht war es das auch, aber du hast es auftauen lassen.“
 

 

Shinobu hatte in ihrem Leben nie etwas Kitschigeres gehört. Vielleicht sollte sie sich daran gewöhnen, denn ganz offensichtlich war sie in die Fänge eines Verrückten geraten.
 

 

„Ein Herz aus Eis, hm?“, hinterfragte sie nochmal. „Ich bin nicht sicher, ob es sich wirklich auftauen lässt.“
 

 

Es schien jedoch ihre einzige Chance zu sein, wirklich lebend hier herauszukommen.

Tanz mit mir [Kokushibo x Dôma]

Zeit mit Dôma zu verbringen, war stets ein kleines Ärgernis.

 

Kokushibo sah dies nicht als einzige Person so. Wann immer sie als Upper Moons zusammengerufen wurden – was durchaus selten passierte – gab es irgendeinen Ärger. Meistens wurden sie wegen eines Ärgernisses zusammengerufen, doch Kokushibo meinte eine andere Art von Ärgernis.

Akaza und Dôma gerieten immer aneinander. Es war hauptsächlich die Schuld von Akaza, aber es blieb an Kokushibo hängen, sie auseinander zu bringen. Zumindest benahmen sie sich meistens so lange, dass Muzan nichts davon mitbekommen musste.

 

Vermutlich bekam ihr Meister dennoch alles mit und ignorierte dies absichtlich.

 

Glücklicherweise war diese Problematik am Ende doch immer relativ einfach zu unterbrechen, und es dauerte nicht lange, bis sie alle ihren eigenen Weg gehen würden. Manches Mal war er jedoch dazu gezwungen, länger zu bleiben. Vielleicht war es ein wenig gemein von ihm, seine Treffen mit Dôma als Zwang oder auch Ärgernis zu bezeichnen, doch dieser machte es ihm auch nicht leicht, anders darüber zu denken.

 

„Ich denke eine kleine Feier würde unserem Meister ziemlich gut gefallen!“, trällerte Dôma ihm entgegen, während er ihm hinterherlief.

 

Es wäre ziemlich einfach für Kokushibo zu verschwinden, Dôma würde niemals mithalten können. Man konnte also durchaus sagen, dass Kokushibo diese Kontaktaufnahme genehmigte.

 

„Muzan-sama wünscht sicherlich keine unsinnigen Feierlichkeiten“, antwortete er dennoch eisern. „Also denk nicht daran, irgendwelche Pläne in die Tat umzusetzen.“

 

„Aber wieso denn? Jeder liebt gute Festlichkeiten und Feiern! Vielleicht hat unser Meister ja bald Geburtstag!“

 

Kokushibo seufzte schwer, während er Dôma's Geplapper zuhörte. Glücklicherweise erreichten sie bald seine privaten Räumlichkeiten hier im Castle. Nakime hätte sie natürlich sehr leicht einfach herbringen können, doch Kokushibo vermied es ihre Kräfte in Anspruch zu nehmen, wenn es nicht notwendig war.

 

„Weißt du, wann er Geburtstag hat?“

 

„Nein“, antwortete Kokushibo, während er die Shoji-Tür grob zuschob. „Und nun unterlasse dieses unsinnige Geplapper!“

 

„Hm...pf“, grummelte Dôma unzufrieden, während er auch die Lippen schürzte und ihm auf die Pelle rückte. „Aber Kokushibo-sama“, gab er anschließend jammernd von sich.

 

Er könnte es als Beleidigung ansehen, dass Dôma eine noch respektvollere Anrede für jemanden nutzte, der unter Kokushibo's Rang stand, doch bei Dôma war das alles nichts als ein Spielchen.

 

„Kein aber Dôma.“

 

Dôma schürzte die Lippen nur noch mehr, während er seine langen Finger in die Kleidung von Kokushibo vergrub und an dieser zupfte. Die Unzufriedenheit in dessen Gesicht war dennoch ziemlich deutlich zu erkennen. Überraschend war es nicht. Dôma war in einem Kult aufgewachsen, dem es stets darum ging, Dôma anzubeten und dessen Worten loyal zu folgen. Es gab wohl nie jemanden, der Dôma etwas verboten oder untersagt hatte.

 

Daraus entwickelt hatte sich ein Dämon, der zu viel fraß und nichts ernst nehmen konnte.

 

Wenn die Menschheit doch nur wüsste, zu was für Wesen sie manche Kinder heranzogen. Immerhin wäre Dôma nicht der Dämon, der er jetzt war, wenn man ihn vorher anders großgezogen hätte. Er hatte sich komplett freiwillig verwandeln lassen, einen Weg, den auch Kokushibo gegangen war.

Nur, dass sie komplett verschiedene Gründe hatten.

 

„Na schön“, gab Dôma nun nach.

 

Kokushibo würde seine Vorsicht jedoch nicht fallen lassen, er hatte zu oft miterlebt, wie Dôma Pläne schmiedete und sie dann prompt umsetzte, wenn man ihn nicht im Blick hatte. Es war fast schon furchterregend, aber das machte einen Dämon aus, richtig? Nur musste Kokushibo bei vielen Dämonen nicht befürchten, dass diese ihm in den Rücken fallen würden und dabei erfolgreich sein könnten.

Dôma könnte, ohne mit der Wimper zu zucken, so ziemlich alles durchsetzen. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass Dôma keine Emotionen besaß, wie es bei Menschen oder auch Dämonen normal wäre. Obwohl ihm diese fehlten, war er jedoch perfekt darin, sie zu kopieren und alles so glaubhaft zu machen, wie es jemand mit Emotionen konnte.

Natürlich gab es Feinheiten, die sich unterschieden, aber eben jene musste man erst einmal finden.

 

Kokushibo war aufmerksam und alt, er hatte viel miterlebt, viel gesehen, viel gehört – nie war ihm jemand begegnet, der ansatzweise an Dôma erinnern könnte.

 

„Daaaann lass uns doch gemeinsam feiern, Kokushibo-sama!“

 

Argwöhnisch sah er zu dem blonden Dämon, welcher nicht viel kleiner war als er selbst. Das war durchaus ungewöhnlich, da Menschen gefühlt immer kleiner wurden, umso mehr Zeit verging. Dôma war nicht ansatzweise so alt wie Kokushibo, dennoch war er relativ groß.

Es schien, als hätte man Dôma mit all seinem Aussehen segnen wollen. Und dennoch saß der Geist eines Dämons in diesem Körper, statt des eines Engels.

 

„Wir haben keinen Grund zum Feiern, bis wir Muzan-sama, die blaue Spinnenlilie bringen konnten.“

 

„Jetzt sei doch nicht so engstirnig.“

 

Misstrauisch bemerkte Kokushibo die frechen Finger von Dôma, die sich – scheinbar heimlich – daran versuchten, seinen Uwa-Obi zu öffnen. Bis auf, dass sein Nagagi dadurch lockerer fallen würde, hätte es keine Auswirkung auf ihn. Dennoch griff Kokushibo nach den Händen, um sie wegzuschieben.

 

Was möchtest du feiern?“
 

 

„Oh, ich weiß nicht!“, lachte Dôma auf, der versuchte seine Hände geschickt aus seinem eisernen Griff zu winden. „Wann hast du denn Geburtstag, Kokushibo-sama?“ Er gab ihm kaum eine Chance zu antworten. „Ah, lass mich raten. Du weißt es nicht oder es ist irrelevant geworden, seitdem du ein Dämon geworden bist?“
 

 

„Wann hast du denn Geburtstag?“, hinterfragte Kokushibo lediglich, ohne auf die neckischen Anmerkungen einzugehen.
 

 

Dôma grinste über das ganze Gesicht: „Ich? Natürlich jeden Tag, den ich als meinen Geburtstag auserkoren will!“
 

 

Warum hatte Kokushibo nicht mit so einer Antwort gerechnet?
 

 

„Wie wäre es, wenn wir einen Geburtstag für dich aussuchen? Ich schlage natürlich heute vor, dann können wir ihn gleich feiern!“, redete Dôma weiter.
 

 

„Warum bist du heute so erpicht darauf, irgendeinen Grund zum Feiern zu finden?“
 

 

Man durfte nicht alles, was Dôma wünschte, ansprach oder machte, einfach so hinnehmen. Der Dämon hatte manches Mal viel zu viele Flausen im Kopf oder irgendwelche anderen Pläne, die selten gut für sein Umfeld ausfielen. Kokushibo war sicherlich nicht daran interessiert, in dieses gefährliche Spinnennetz zu geraten – selbst wenn er Dôma bereits zu oft, zu nahe an sich herangelassen hatte.
 

 

Kokushibo machte sich immer noch vor, die komplette Kontrolle über alles zu haben – zu jedem Augenblick.
 

 

„Ach weißt du“, Dôma rückte ihm wieder auf die Pelle, drückte sich fast mit dem kompletten Körper an ihn, während sich die Arme um seine Taille legten, um diese Art der Umarmung aufrechtzuerhalten. „Ich würde einfach so gerne tanzen!“
 

 

Er blinzelte ein wenig irritiert aufgrund dieser Antwort, ehe er alle sechs Augen verdrehte. „Und du benötigst wirklich einen Grund dafür, um zu tanzen?“
 

 

Dôma war die wohl schamloseste Person, welcher Kokushibo jemals begegnet war und er war vielen Personen in seinem Leben begegnet. Dabei war es nicht relevant, ob menschlich oder dämonisch. Er würde es Dôma definitiv zutrauen, einfach inmitten von Menschen anzufangen zu tanzen – und vermutlich würde er damit einige Leute anstecken. Kokushibo selbst kannte die Anziehung, welche Dôma ausüben konnte – es war wie eine zweite Sonderfähigkeit, neben seiner mächtigen blutigen Dämonenkunst.
 

 

„Na ja“, gluckste Dôma, welcher seine Finger – ein weiteres Mal – versuchen ließ, seinen Uwa-Obi zu öffnen.

Kokushibo konnte wirklich nicht einschätzen, ob Dôma einfach nur flirten und mit ihm das Bett teilen wollte oder ob er wirklich zu feiern wünschte. Man musste jedoch anmerken, dass es allgemein nicht einfach war, Dôma zu durchschauen. Auch, weil dieser ebenfalls nicht immer wusste, was er wirklich wollte.

„Vielleicht suche ich einfach nur nach einem Grund, mit dir tanzen zu können, Kokushibo-sama!“
 

 

„Wieso solltest du das tun wollen?“
 

 

„Ach komm“, Dôma stützte sein Kinn auf Kokushibo's Oberkörper ab und klimperte mit den Augen zu ihm hinauf, biss sich hinzukommend auf die Unterlippe. „Man braucht keinen Grund, um mit jemanden tanzen zu wollen. Aber wenn du es wissen willst“, schnalzte er mit der Zunge, ehe er grinste. „Ich gehe davon aus, dass du dich ziemlich gut bewegen kannst. Nicht nur im Kampf oder im Bett, sondern abseits dessen!“
 

 

Das war in Kokushibo's Augen kein wirklicher Grund und vermutlich steckte auch noch was dahinter. Andererseits wollte er nicht hinter allem, was Dôma tun wollte, einen bösartigen Akt der Manipulation erkennen. Auch wenn diese Denkweise sicherlich dabei aushalf, nicht überrascht zu werden.

Überraschungen waren selten gut. Schon gar nicht, wenn sie irgendwie mit Dôma verbunden waren.
 

 

Sein vermutlich äußerst strenger Blick, ließ Dôma's Schmollmund nur größer werden und er jammerte einmal auf, während er sich löste.

„Schon verstanden“, schmollte er weiterhin, wie ein kleines Kind. „Du willst nicht. Wie langweilig und gemein. Du tust so, als würde ich darum bitten, dass wir uns gemeinsam auf Akaza-dono stürzen – worum ich natürlich niemals bitten würde. Ich weiß schon, warum Akaza-dono mein bestester Freund ist. Ich werde einfach nach ihm suchen, denn er tanzt ganz bestimmt mit mir!“
 

 

Kokushibo war es bereits gewohnt, dass Dôma ins Plappern verfiel. Dies hatte nie besondere Auslöser, es war wohl einfach eine Art Eigenschaft an ihn, die seine komplexe Persönlichkeit ausmachte.

Leider war sich Kokushibo aber auch ziemlich sicher, dass Dôma Nakime belästigen würde, um an den Aufenthaltsort von Akaza zu kommen, und dann würde er diesen belästigen. Anders als Dôma war er sich hinzukommend sehr sicher, dass Akaza ihm eher den Kopf abschlagen würde, als mit ihm zu tanzen.

Das alles schob er als gute Gründe vor, zu tun, was er im nächsten Moment auch schon tat.
 

 

Er streckte die Hand aus und fing Dôma's Handgelenk ein, um diesen davon abzuhalten wirklich zu gehen: „Warte.“
 

 

„Huh?“ Verwunderung trat in Dôma's Gesicht, welcher wohl eher überrascht davon war, dass Kokushibo sein Geplapper unterbrach, als davon, dass er ihn aufhielt.
 

 

„Tanz mit mir.“
 

 

„W-was?“
 

 

Kokushibo neigte den Kopf, als Dôma seine Aufforderung verwirrt hinterfragte. Dabei fragte er sich selbst, wie ehrlich er solche Reaktionen wahrnehmen sollte.
 

 

„Ich möchte, dass du mit mir tanzt. Erfüllst du mir diesen Wunsch, Dôma?“
 

 

„Deinen... Wunsch?“
 

 

Normalerweise war Dôma nicht dafür bekannt, irgendwas zu hinterfragen. Schon gar nicht, wenn es das war, was gut für ihn wäre. Dann nahm Dôma es mit offenen Armen entgegen, freute sich darüber und war zufrieden damit.

Ob Kokushibo es wirklich geschafft hatte, Dôma zu überraschen?
 

 

„Tanz mit mir“, forderte Kokushibo erneut auf, während er Dôma kräftig zu sich zog, um damit den eben noch aufgebauten Abstand zu überbrücken.
 

 

„Hier?“, fragte Dôma empört, nachdem er sich wieder gefangen hatte. „Wir haben nicht einmal Musik!“
 

 

„Du benötigst keine Musik, um dich zu bewegen. Ich ebenfalls nicht.“
 

 

„Kann Nakime nicht für uns Musik spielen?“
 

 

„Nakime muss anderen Aufgaben nachgehen, also nein.“ Und wieder fing Dôma an zu schmollen. „... schön, wenn du einen Ort kennst, an dem jetzt Musik gespielt wird, kann Nakime uns dorthin bringen und wir können dort tanzen.“
 

 

„Wie wundervoll! Ich kenne den perfekten Ort dafür, Kokushibo-sama!“
 

 

Wieso hatte Kokushibo nur das Gefühl, dass hier alles nach Dôma's Plan lief?

...und die Kälte klirrt ein Wiegenlied [Shinjuro x Ruka]

Natürlich hatte Shinjuro stets geplant, eine Familie zu gründen. Er war als Einzelkind aufgewachsen und hatte immer fest daran geglaubt, dass er mehr Kinder bekommen würde. Dazu war eine Hochzeit der erste Schritt, und er hatte unglaubliches Glück gehabt.

Ruka zu begegnen, war kein Wendepunkt in seinem Leben gewesen – aber es war der Moment, in dem er beschlossen hatte, dass er keine weiteren Jahre einsam verbringen wollte, sondern dass es genau der richtige Moment war.

Die größte Angst hatte er tatsächlich davor gehabt, ihr von den Dämonen zu erzählen, mit denen er stets zu kämpfen hatte. Doch Ruka war eine unglaubliche Frau gewesen, sie hatte ihn streng gemustert, ein paar rationale Fragen gestellt – und es dann einfach als Wahrheit hingenommen.

 

War es ein Zeichen von gegenseitigem Vertrauen gewesen? Schon so früh in ihrer Beziehung?

 

Es war für Shinjuro ein Zeichen dafür gewesen, dass sie scheinbar perfekt füreinander waren und er nichts mehr wollte, als diese Frau zu seiner Frau zu machen.

Mit 18 Jahren war er bereits recht alt gewesen, die meisten Hochzeiten wurden wesentlich jünger besprochen – man war lange Zeit verlobt, bevor man dann wirklich heiraten würde. Bei Shinjuro war es anders gewesen. Seine Familie hatte sich kaum eingemischt, der Kontakt zu seinen Eltern war schwieriger geworden, weil er selbst wohl etwas schwierig war.

Dämonenjäger lebten niemals lang und so war der junge Tod seines Vaters wie eine Schlucht zwischen seiner Mutter und ihm geworden. Shinjuro hatte das Anwesen der Rengoku's übernommen, während seine Mutter gegangen war. Es war genug Platz für seine Ehefrau und für künftige Kinder.

 

Ruka's erste Schwangerschaft kam überraschend schnell und war dennoch das größte Glück für Shinjuro. Er versuchte stets nach seinen Missionen nach Hause kommen zu können, um ihr beizustehen. Selbst wenn dies nicht notwendig war, die Schwangerschaft schien für sie keine Probleme bereitzustellen, von denen Shinjuro nur mal gehört hatte. Ganz egal wann er auftauchte, sie war so elegant wie eh und je. Sie schlief zu bestimmten Zeiten mehr und ihr Appetit hatte sich zeitweise verändert, doch bis auf den größer werdenden Bauch, konnte Shinjuro kaum Unterschiede erkennen.

 

Eventuell lag es auch daran, dass er eben grundsätzlich dennoch länger unterwegs war, nicht immer da sein konnte und auch jetzt noch eine rosarote Brille trug.

 

Für Shinjuro war es stets wichtig da zu sein, wenn Ruka das Kankagari betreiben wollte. Als er ihr zu Beginn der Kinderplanung von dieser Tradition seiner Familie erzählt hatte, hatte er nie damit gerechnet, dass sie dies ebenfalls durchführen wollte. Es wurde als durchaus anstrengend benannt und ohne jemand an ihrer Seite, könnte es eine gewisse Gefahr sein. Im Nachhinein hätte es Shinjuro wohl klar sein müssen, dass Ruka sich von einer kleinen Warnung nicht abwimmeln lassen würde.

Oft war es Shinjuro, welcher sie wieder ins Haus holen musste.

Das Kankagari war eine Tradition, welche maßgeblich für das charakteristische Haar und auch die Augen seiner Familie war. Shinjuro hätte niemals darauf bestanden, denn die Gesundheit seiner Frau ging vor – genauso wie ihr Wille.

 

Die Geburt an sich war für Shinjuro körperlich nicht ansatzweise so anstrengend, aber dafür verwandelte er sich zu einem innerlichen Wrack. Er konnte seiner Frau nur minimal helfen und es war die erste Geburt, welcher er beiwohnte. Zu seinem großen Glück, verlief die Geburt völlig ohne Probleme, Ruka ging es danach großartig und ihre Familie war endlich dabei zu wachsen.

 

Eine Handvoll Jahre später entwickelte sich ihr erster Sohn zu einem wahren Sonnenstrahl.

 

„Ich möchte alles essen, was auf dem Fest angeboten wird!“, erzählte Kyojuro aufgeregt, während Ruka darum bemüht war, seine Haarmähne zu zähmen.

Shinjuro selbst wusste nur zu gut, dass dies gar nicht so einfach war. Hinzukommend zappelte Kyojuro stets herum und war völlig fixiert darauf, allerlei Sachen zu erzählen.

„Gibt es dort auch Laternen? Ich würde soooo gerne eine Laterne haben und- oh! Otou-san! Ich habe Okaa-san im Garten geholfen! Ich wollte eigentlich die Blumen pflücken, aber Okaa-san sagt, dass sie weiter wachsen sollen! Kann ich ein Haustier haben? Ich finde Grashüpfer total super!“

 

Shinjuro wusste nicht, ob alle Kinder so waren – er ging jedoch davon aus, dass dies nicht so war. Er war vielen Kindern auf seinen Reisen begegnet oder auch im Kreise des Corps auf Kinder getroffen. Es mochte die Situation sein, doch nie war eines der Kinder auch nur halb so aufgeweckt gewesen wie Kyojuro.

 

„Grashüpfer, ja? Aber hast du nicht beim letzten Mal noch davon gesprochen, wie … lecker Käfer schmecken?“

 

Ja, Shinjuro wusste manchmal selbst nicht, was sein Sohn machte oder wie er auf bestimmte Weise denken konnte. Er verstand auf jeden Fall, dass sein Sohn einen starken Magen hatte, nachdem er erzählt hatte, wie er Käfer aus dem Garten gegessen hatte, scheinbar in einem unbeobachteten Moment von Ruka.

Sicherlich gab es Schlimmeres. Doch Shinjuro war sich sehr sicher, dass er so etwas als Kind nie getan hatte. Vielleicht hatte man es auch niemals wieder erwähnt, damit es nicht erneut passierte?

 

„Aber Otou-saaan“, verdrehte Kyojuro die Augen. „Da war ich doch noch klein! Jetzt bin ich groß! Und ich will unbedingt einem Grashüpfer Kommandos beibringen!“

 

„Bitte halt still, Kyojuro.“

 

„Oh- entschuldige Okaa-san!“

 

Prompt versuchte Kyojuro, sich keinen Millimeter zu bewegen, während Ruka die letzten Strähnen durchkämmte, damit sie das Haar zusammenbinden konnte. Shinjuro war über die Unterbrechung nicht unbedingt traurig. Er war sich ziemlich sicher, dass ein Grashüpfer kein Haustier sein sollte – genauso sicher war er sich jedoch auch, dass Kyojuro irgendwann mal einen einfach einfangen würden. Er sah schon vor sich, wie Ruka ihn mit wenigen Blicken verdeutlichen würde, dass es kein so schönes Erlebnis war, den Grashüpfer wieder herauszubekommen.

Andererseits war seine Frau wirklich sehr geduldig und liebevoll und ließ sich von gefühlt nichts aus der Ruhe bringen.

 

„So, jetzt bist du fertig“, kündigte Ruka schließlich lächelnd an, als sie Kyojuro noch einen Kuss auf den Haarschopf drückte und diesen dann entließ.

 

„Super! Sehe ich jetzt aus wie Otou-san?!“, fragte Kyojuro sofort aufgeregt, während er mit kindlicher Ungeschicklichkeit auf die Füße kam und sich prompt an Shinjuro drückte.

Lächelnd legte er einen Arm um seinen Sohn und die Hand dabei warm auf dessen Rücken ab.

 

„Oh ja, man kann euch kaum unterscheiden“, erwiderte Ruka kichernd, während sie ihre Hände auf ihren größer werdenden Bauch ablegte.

 

„Hast du gehört, Otou-san?“

 

„Das habe ich“, antwortete Shinjuro amüsiert.

 

Kyojuro's Aufmerksamkeit verschob sich jedoch ein weiteres Mal. Er löste sich von ihm und ging zurück zu Ruka an den Boden, um mit ungewohnter Vorsicht die Hände an ihren Bauch zu legen.

 

„Bewegt er oder sie sich?“, fragte er piepsig nach, während er versuchte irgendwas zu spüren.

 

Ruka trug ihr sanftes Lächeln auf den Lippen, schüttelte aber ein wenig den Kopf: „Ich glaube, er oder sie hat sich kurz gedreht, aber jetzt ist es wieder ruhig.“

 

„Oh man“, schmollte Kyojuro sofort, während er dennoch sein Ohr gegen den Bauch drückte, obwohl dieser von Stoff bedeckt wurde. „Wie lange dauert es denn noch, bis mein kleiner Bruder oder meine kleine Schwester zu uns kommt?“

 

„Ah, nur noch wenige Wochen.“

 

„Viel zu lang!“, jammerte ihr Sohn sofort.

 

„Nun, dein kleiner Bruder oder deine kleine Schwester soll ja gesund und munter zu uns kommen, Kyojuro“, mischte sich Shinjuro ein, während er neben seiner Frau in die Knie ging.

 

„Huh!“, machte Kyojuro fast entsetzt, ehe er rasch nickte. „Oh ja, dann lass dir ganz viel Zeit, Otouto oder Imouto! Und wenn du dann bei uns bist, dann werde ich dir alles zeigen und dich vor allem beschützen!“

 

Shinjuro fragte sich, ob ihr zweites Kind ebenso voller Energie sein würde, wie es bei Kyojuro derzeit der Fall war. Es könnte durchaus ein wenig anstrengend werden, andererseits war der Altersunterschied von fast sechs Jahren vielleicht auch groß genug, damit es relativ stressfrei sein könnte.

Am Ende war es völlig egal, Shinjuro liebte seine kleine Familie bereits jetzt und nichts würde das auf der Welt verändern können.

 

„Wollen wir dann langsam zum Fest aufbrechen?“, fragte Ruka schließlich an, während sie eine ihre Hände auf Shinjuro's Schulter ablegte, sowohl für den Halt, als auch für die Nähe.

 

„Jaaaa!“, rief Kyojuro sofort aus und sprang wieder auf seine Füße, um sogleich zur Haustür gehen zu können.
 

 

Shinjuro sah ihm lächelnd nach, wandte seinen Blick dann jedoch besorgt Ruka zu. „Und du bist wirklich sicher, dass es in Ordnung geht?“, fragte er leise nach. Er ließ eine Hand nun ebenfalls sanft und warm auf dem großen Bauch ruhen.
 

 

Die Geburt sollte theoretisch in drei Wochen erfolgen, aber auch Kyojuro war etwas früher gekommen, als errechnet. Das war nicht unbedingt negativ, bewies jedoch, dass man sich nicht komplett darauf verlassen konnte. Vor allem, wenn sie sich etwas mehr bewegen würden, wie es bei einem Fest üblich wäre.
 

 

„Natürlich Schatz“, erwiderte Ruka jedoch beruhigend. Sie schob ihre Hand zum Gesicht ihres Mannes hoch und streichelte zart über den linken Wangenknochen. „Ich fühle mich gut und ausgeruht genug dafür. Wenn wir zwischendurch ein paar Pausen einlegen und nicht ewig verweilen, wird es in Ordnung sein.“
 

 

Shinjuro vertraute seiner Frau immer, deshalb nickte er auch dieses Mal. Er hauchte einen kurzen Kuss auf die Lippen seiner Frau – durchaus mit dem Plan von einem längeren Kuss, jedoch wurde dieser durchbrochen...
 

 

„Otou-san! Okaa-san! Kommt schon!“
 

 

Ruka kicherte auf die liebenswerteste Weise: „Na komm, bevor unser Wirbelwind wieder auf deine Schultern klettert.“
 

 

Auch wenn das kein Problem für Shinjuro war, sollten sie Kyojuro wohl wirklich nicht unnötig warten lassen. Er half seiner Frau auf die Beine, damit sie zur Haustür kämen, wo sie bald noch ihre Schuhe anzogen, sodass sie bereit waren zu gehen. Kyojuro fand seinen Platz zwischen ihnen, jeweils mit einer Hand von Shinjuro und einer von Ruka in seinen.

So konnte Shinjuro auch ganz gut kontrollieren, dass Kyojuro nicht zu viel zog und nicht zu schnell durchrasen würde.
 

 

Ihr gemeinsamer Besuch beim alljährlichen Fest des naheliegenden Dorfes war wesentlich ruhiger und besonnener als Shinjuro gedacht hatte. Kyojuro war nicht mehr ganz so wild, nachdem er den ersten Yakitori-Spieß bekommen hatte.

Dennoch legte Shinjuro seine Besorgnis über Ruka erst ab, als sie sich auf dem Rückweg befanden und es Ruka nach wie vor gut ging. Da Kyojuro immer müder geworden war, hatte Shinjuro ihn irgendwann Huckepack genommen und trug ihn somit nach Hause. Er konnte das leise Schnarchen seines Sohnes hören, der sicherlich auch seinen Nacken vollsabberte. Glücklicherweise war er so etwas gewohnt und empfand es als ein völlig vertrautes Gefühl, welches ihn leicht lächeln ließ.

Damit Ruka etwas zur Ruhe kam, war ihr nach Hause Weg recht langsam, doch Shinjuro passte sich dabei nur zu gerne dem Tempo seiner Frau an. Er hielt sanft eine ihrer Hände in seinen, rieb kleine Kreise über die weiche, warme Haut und freute sich bereits darauf, wenn sie schlafen gehen würden.
 

 

Zu Hause angekommen, ging er nochmal sicher, dass Ruka wohlbehalten im Futon saß, bevor er Kyojuro in sein eigenes Zimmer bringen wollte. Es war für Shinjuro nicht wirklich überraschend, dass Kyojuro erwachte, sobald dessen Körper im Futon landete. Im ersten Moment öffneten sich die Augen langsam und blinzelnd; Shinjuro verharrte in jeder Bewegung, hoffnungsvoll, dass Kyojuro wieder einschlafen würde. Leider war das eine vergebene Hoffnung.
 

 

„Otou-san!“, fiepste sein Sohn und keinen Moment später, klammerten sich die Hände um seinen Arm. Die Müdigkeit steckte immer noch im Körper des Jungen, welcher sein Gesicht gegen seinen Arm drückte und gähnte. „Wollen wir . . . trainieren?“, fragte Kyojuro.
 

 

„Es ist jetzt Schlafenszeit“, antwortete er seinem Sohn, in der Hoffnung dieser würde sich einfach wieder brav hinlegen und schlafen.
 

 

Natürlich war dies ein reiner Traumgedanke.
 

 

„Otou-san“, jammerte Kyojuro prompt und drückte sich noch ein wenig mehr an ihn.
 

 

Es mochte daran liegen, dass Shinjuro natürlich häufig über Tage hinweg auch mal weg war, dass Kyojuro so anhänglich sein konnte. Selbst wenn er stets versuchte nach Hause zu kommen, auch wegen der zweiten Schwangerschaft seiner Frau, war dies wohl nicht zufriedenstellend für ihren Erstgeborenen.

Kyojuro war voller Energie und zumindest wenn sie gemeinsam trainierten, schlief er auch mal durch. Dennoch stahl er sich nur zu gerne ins Bett von Ruka und Shinjuro. Manches Mal rief er auch nach Shinjuro und er musste ihn rüber tragen. Es war selten ehrliche Angst vor einem Dämon im Schrank oder dergleichen, sondern vielmehr das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Nähe.
 

 

Außerdem war sich Shinjuro sehr sicher, dass Ruka ihren Sohn häufiger mal bei sich schlafen ließ, wenn er nicht da war. Es war nichts, was wirklich schlimm war, es verhalf wohl nur mehr denn je dazu, dass Kyojuro dies nur zu gerne wiederholte.
 

 

„Möchtest du mit bei uns schlafen?“, bot Shinjuro nun an.
 

 

Wenn er ehrlich war, dann genoss er diese Momente auch jetzt noch. Irgendwann wäre Kyojuro groß und wäre älter, nicht mehr daran interessiert, so viel Zeit bei seinen Eltern zu verbringen – es war sicherlich nicht negativ, dass Shinjuro diese Momente jetzt noch genießen wollte, oder?
 

 

„Ja, bitte!“, fiepste Kyojuro sofort begeistert und schlang seine Arme inzwischen um Shinjuro's Hals.
 

 

Lächelnd hob er seinen Sohn hoch und trug ihn mit ins Schlafzimmer. So wie Ruka ihnen einen Blick zuwarf, wirkte sie absolut nicht überrascht von dieser Wendung.

Während Shinjuro nur den Yukata wechseln musste, genauso wie Kyojuro, damit sie schlafen konnten, brauchte Ruka ein wenig mehr Zeit. Diese nutzte Kyojuro auch bereits, um den Doppelfuton so kuschelig wie möglich aufzubauen. Jetzt, wo Shinjuro auch seinen Zopf gelöst hatte, fiel das dicke, flammenartige Haar wieder um das Gesicht ihres Sohnes. Morgen früh wäre es sicherlich wieder komplett zerzaust.

Natürlich platzierte sich Kyojuro wieder in die Mitte und begann wieder Geschichten von seinem Alltag zu erzählen, während sie auf Ruka warteten.

Shinjuro hörte sich die Abenteuer im Gartenbereich ihres Anwesens an, sei es ein gerettetes Insekt oder wie er heldenhaft Ruka bei allem half, damit sich diese nicht zu viel bewegen musste.

Schließlich kam auch Ruka zu ihnen und prompt drehte sich Kyojuro ein wenig mehr herum, damit er mit ihnen beiden kuscheln konnte.

 

Ist er oder sie wach?“, fragte er neugierig nach.
 

 

„Nein“, schmunzelte Ruka, vernahm das empörte Schnauben von Kyojuro sehr deutlich und streichelte ihm durch das Haar. „Meinst du, ich soll trotzdem ein Lied singen? Dann kann er oder sie bestimmt besser schlafen, oder?“
 

 

Sofort erhellten Kyojuro's empörte Züge und er nickte rasch: „Oh ja! Komoriuta! Bitte!“
 

 

Shinjuro zog die Decke über ihren Körper, damit sie es schön warm und kuschelig hatte. Er versuchte das beherrschende Gefühl tief in sich zu verankern und dieses Bild von ihnen, hier liegend, völlig friedlich und ruhig, abzuspeichern. Genauso versuchte er auch die sanfte Stimme seiner Frau, die mit ihrem leisen Gesang das Zimmer füllte, in seinem Herzen aufzubewahren.
 

 

Dieser Moment war voller Perfektion.
 

 

Er hatte seine Frau, schwanger mit ihrem zweiten Kind und ihr Erstgeborener lag zwischen ihnen, voller Glück und Lebensfreude.
 

 

Und doch . . .
 

 

Heute sah es komplett anders aus.
 

 

„Was ist nur aus mir geworden?“, fragte er sich leise.
 

 

Dieselbe Frage, die er sich in der letzten Zeit immer und immer wieder stellte. Eine Frage, hervorgerufen von dem beinahe Tod seines ältesten Sohnes. Plötzlich schmeckte der Sake völlig bitter, wie das Gift, welches es war. Sein Kopf war voller Gedanken und Erinnerungen an eine glücklichere Zeit.

Wie viel hatte er davon wirklich verloren und was war davon noch zu retten?

Er wollte die guten Zeiten bewahren und retten, doch dann . . .
 

 

„Du machst es großartig, Senjuro! Du musst aber nicht so weit ausholen, das schwächt die Kraft in deinen Hieben eher ab!“
 

 

. . . war da Kyojuro's Stimme, die immer noch voller Leben und Mut war. Voller Stolz und Fröhlichkeit. Voller Liebe und Fürsorge.
 

 

Shinjuro's Herz zog sich zusammen, als er zur Shoji-Tür stolperte, welche den Blick in den Gartenbereich offenbarte. Dort, wo Senjuro mit einer Trainingswaffe stand und seine Schläge mit dieser übte, während Kyojuro mit etwas Abstand an seiner Seite stand. Es könnte ein wundervoller Anblick sein, doch alles, was Kyojuro sah, waren die Verletzungen und wie gebrochen sein Sohn war.
 

 

Er musste eine Augenbinde tragen, weil das Auge darunter komplett zerschmettert worden war.

Er musste einen Gehstock zum Abstützen in der Hand halten, damit er nicht plötzlich umfiel.
 

 

Shinjuro sah blaue Flecken und den Verband am Kopf, der eine Stelle schützte, die ebenfalls in seinem vergangenen Kampf verursacht worden war. Er erinnerte sich daran zurück, wie nahe ihm der Tod gewesen war. Kyojuro war mehr tot als lebendig gewesen. Und das alles nur, weil er nicht auf die Worte seines Vaters hören wollte!
 

 

„Hört auf mit dem Blödsinn!“, brüllte Shinjuro in die Richtung seiner Söhne.
 

 

Er konnte selbst von der Entfernung erkennen, wie Senjuro zusammenzuckte, so zerbrechlich und schwach. Kyojuro zeigte keine solche Regung, aber sein Körper war im jetzigen Moment allgemein geschwächt und seine Reaktionen äußerst schlecht.
 

 

Shinjuro wollte eine Faust um die Sake-Flasche bilden, doch er hielt keine in der Hand. Seit diesem beinahe Tod und den Worten, die er dennoch ausgerichtet bekommen hatte – für den Fall, dass Kyojuro gestorben wäre – vermied Shinjuro den Sake. Es war eine Entscheidung gewesen, die nicht wirklich klar getroffen wurde und doch eisern in ihm verfestigt war.
 

 

„Otou-san!“, rief Kyojuro ihm zu, dessen Gesicht sich zu einem sanftmütigen Strahlen verändert hatten.
 

 

Es erinnerte ihn sofort an Ruka.
 

 

„Möchtest du dazu kommen und uns Hinweise geben?“
 

 

Shinjuro biss die Zähne fest aufeinander, irgendwo zwischen Wut, Bedauern und Sehnsucht. Sein bereits angefressenes Herz, wurde nur noch mehr von all den Gefühlen zerfressen. Gefühle, von dem vor allem eines sehr mächtig war.
 

 

Angst. Die Angst vor Verlust.
 

 

„Ich möchte, dass ihr diesen Unsinn sein lasst und endlich einseht, dass ihr nicht dazu gemacht seid, in den Kampf zu ziehen!“, brüllte Shinjuro wieder. „Also geht ins Haus!“
 

 

Kyojuro sollte sich nach wie vor ausruhen, aber sein Sturkopf von einem Sohn ignorierte diese Anweisung, genauso wie Senjuro ignorierte, dass ihm kein Training erlaubt war. Shinjuro hasste diesen Anblick, er hasste vor allem auch den Gedanken daran, dass dies am Ende für den Tod seiner Söhne sorgen könnte.
 

 

Er hatte Ruka verloren – er konnte nicht auch noch seine Söhne verlieren.
 

 

Sein Herz verkrampfte, als er sah, wie Kyojuro seinen kleinen Bruder mit der freien Hand sanft tätschelte, fast tröstend und ihm zulächelte. Sie redeten miteinander, doch leise genug, damit Shinjuro nichts hören konnte.

Es gab nicht einmal ein Gefühl von Zufriedenheit, als sich seine Söhne wirklich zurückzogen. Es war kein Sieg oder dergleichen, aber ein wenig beruhigend. Wenn er weitermachte, würde er seine Söhne nicht verlieren – nicht im Kampf gegen einen oder mehrerer Dämonen.
 

 

Sobald sie außer Sichtweite waren, atmete Shinjuro angespannt ein und wieder aus. Seine Schultern fielen nach vorne, seine rechte Hand suchte Halt an der Shoji-Tür und er sackte ein wenig zusammen.

Eine Windböe ließ ihn auf murren, als sein schief hängender Yukata dadurch nur noch schiefer zu hängen schien. Doch mehr als das zog ihn ein Windspiel in den Bann. Sein müder Blick sah zu dem hölzernen Windspiel hoch, welches definitiv noch nicht lange hier hing. Er starrte es gerade zu an, beobachtete, wie sich die einzelnen Teile bewegten und ein leises Spiel hinterließen.

Plötzlich schwirrte der sanfte Gesang von Ruka in seinem Kopf, eine Wärme, die ihm mittlerweile so fremd war, und das Bild von seiner heilen Familie, zusammen gekuschelt im Doppelfuton.

Während die Bilder und Gefühle blieben, wurde die Wärme ersetzt – von der anhaltenden Kälte des Wetters und seiner Räumlichkeiten.
 

 

„Ruka“, murmelte er leise. „E... es tut mir leid.“
 

 

Er hatte zugelassen, dass sich alles veränderte.

Mit genug Glitzer wird alles zum Weihnachtsbaum [Tengen x Kyojuro]

Tengen war ganz klar der Meinung, dass man die Vorweihnachtszeit bereits feierlich und auffällig verbringen sollte! Glücklicherweise war das etwas, wo seine Frauen zustimmten, und so war ihr gemeinsames Zuhause ziemlich schnell voller Schmuck, Glitzer und Dekoration aller Art. Da er sehr gerne Besuch empfing, war das auch nicht verschwenderisch oder dergleichen. Wenngleich er die kritischen Blicke mancher Gäste durchaus zu spüren bekam. Es war nicht weiter relevant, denn Tengen stand eindeutig über solche Blicke oder kritische Stimmen, die einfach keinen so glänzenden Stil hatten wie er selbst.

Doch unter all seinen bisher empfangenen Besuch, gab es eine Person, die er dabei mehr als nur vermisste.

 

Kyojuro!

 

Ihm war natürlich klar, dass sein bester Freund unter den ganzen Hashira's nicht absichtlich fernblieb. So wie Tengen den Kampf gegen Upper Six überlebt hatte – sogar siegreich! - so hatte Kyojuro auch seinen Kampf gegen Upper Three überstanden. Dabei hatte es Kyojuro wesentlich schlimmer getroffen und im Grunde waren sie mittlerweile fast so etwas wie Rentner. Der Begriff klang alles andere als schön, deshalb verweigerte sich Tengen ihn anzunehmen und auch Kyojuro sah es ähnlich.

Wenn auch, vielleicht nicht aus denselben Gründen.

In Kyojuro's Fall war es wohl eher so, dass er unbedingt wieder auf Missionen gehen wollte. Tengen musste nicht mit Shinobu sprechen, um zu wissen, was diese davon hielt. Andererseits wollte beispielsweise Obanai nur zu gerne, dass Tengen weiterhin als Hashira diente, obwohl er seine linke Hand verloren hatte.

Natürlich war das kein allzu großer Verlust im Kampf, er hatte auch ohne dieser Hand Upper Six besiegen können, doch langfristig gesehen wäre es komplex. Tengen hatte sich dazu entschlossen, beim Training der zukünftigen Dämonenjäger zu helfen, wodurch er mit Gyomei mehr im Kontakt treten würde, doch er würde keine Missionen mehr übernehmen.

 

Doch Kyojuro war schon immer mit einer ganz anderen Mentalität in diese Sache hineingegangen. Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie Kyojuro selbstbewusst die Mission seines Vaters übernehmen wollte, wie er sich gegenüber Sanemi bewiesen hatte – und im Grunde vor ihnen allen.

Selbst Tengen musste eingestehen, dass Kyojuro wohl um ein Vielfaches beliebter war als er selbst, was die Mitglieder des Corps anbelangte. Völlig egal, ob es die Hashira waren, die Kakushi oder jüngere Dämonenjäger. Und er konnte es gut nachvollziehen – auch er hatte Grund genug, zu Kyojuro aufzusehen.

 

Deshalb war es komplett unmöglich zu tolerieren, dass dieser nicht zu Besuch kommen konnte!

 

Da er dennoch nachvollziehen konnte, dass Kyojuro nicht in der Verfassung dazu war, eine längere Reise in Angriff zu nehmen – und er definitiv nicht erneut Shinobu's Zorn auf sich ziehen wollte – unterließ es Tengen ihn dazu zu verführen. Glücklicherweise hatte er schon eine Lösung für das Problem gefunden.

 

Er würde einfach stattdessen Kyojuro besuchen!

 

Das war nicht ganz dasselbe, immerhin könnte er Kyojuro so nicht zeigen, wie wundervoll sein Haus aussah, doch er konnte etwas Weihnachtsstimmung zu seinem besten Freund bringen. Sicherlich konnte dieser etwas davon gebrauchen.

Also hatte er seine Krähe Nijimaru ausgesendet, um seinen Besuch anzukündigen, war aber im Grunde an denselben Tag los gereist. Er konnte sehr geduldig sein, doch seitdem er den Gedanken hatte, Kyojuro zu besuchen, überkam ihn die Freude einfach zu sehr!

 

Als er seine Frauen einzeln fragte, ob sie mitkommen wollten, entschieden sie sich einstimmig dagegen. Ganz offen freuten sie sich über ein paar Tage unter Frauen und wünschten Tengen Glück mit Kyojuro.

Tengen war kein Idiot, er hatte durchaus mitbekommen war alle drei Kyojuro ebenfalls sehr schnell ins Herz geschlossen hatten, nachdem sie ihm einmal begegnet waren. Verübeln konnte er es ihnen sicherlich nicht, eher vernahm er dies mit einer gewissen Zufriedenheit.

 

Während er sich bereits auf seiner Reise befand, kehrte Nijimaru mit einer Nachricht zurück, die irritierender nicht sein konnte.

Kyojuro riet ihm davon ab, zu Besuch zu kommen.

Selbst wenn Tengen nicht bereits unterwegs und auf halben Wege wäre, würde er sich davon wohl nicht abhalten lassen. Gerade wenn Kyojuro es ablehnte, musste es umso wichtiger sein! Er konnte nicht zulassen, dass sein bester Freund keine weihnachtliche Stimmung erlebte und alleine blieb.

Wobei sicherlich dessen kleiner Bruder vor Ort wäre. Nun! Tengen hatte schon ewig nicht mehr Senjuro gesehen oder gesprochen, das war also genauso überfällig wie ein Besuch bei Kyojuro Zuhause. Tatsächlich war Tengen nie aufgefallen, dass er Kyojuro's Zuhause noch nie gesehen hatte. Wenn sie sich trafen, dann am Schmetterlingsanwesen oder in einem nahen Dorf. Selbst Senjuro traf er bislang nur, wenn dieser mal im Schmetterlingsanwesen aushalf oder zu Besuch war.

Er erinnerte sich auch noch an Shinjuro, selbst wenn ihre Begegnungen nur sehr kurz waren und nie sehr … innig oder dergleichen. Tengen hatte für Abstand gesorgt, um der üblen Sake-Fahne zu entgehen. Er hatte nie darüber nachgedacht, was dieses offensichtliche Problem mit Kyojuro gemacht haben könnte. Kyojuro war einfach immer voller Leben und Freude, dass man gar nicht darüber nachdachte, wie viel dahinter stehen könnte.

 

Ob er ihn deshalb nicht bei sich daheim empfangen wollte?

 

Ganz offensichtlich musste Tengen auch dafür sorgen, dass Kyojuro verstand, dass es nichts gab, was sie voneinander langfristig fernhalten würde.

 

Bisauf der Tod vielleicht. Dem waren sie aber kürzlich erst beide von der Schippe gesprungen, also hatten sie sicherlich etwas Zeit, bis es doch dazu kommen würde! Außerdem war es auch ein großartiger Grund zu feiern, noch bevor Weihnachten vor der Tür stand.

Er hätte Kyojuro ja auch wirklich gerne zu sich eingeladen, so wie er es jedes Jahr gerne tat, aber er war ja zum Glück nicht sehr festgefahren. Deshalb dachte er auch nicht daran, den Rückweg einzuschlagen. Da der Weg etwas weiter war, musste Tengen dennoch nochmal in einem Gasthaus übernachten, doch umso früher war er dadurch am nächsten Tag unterwegs, was dazu führte, dass er auch recht schnell an sein Ziel gelangte. Da er noch nie beim Rengoku-Anwesen gewesen war, hatte er tatsächlich Nijimaru's Hilfe benötigt, um es korrekt zu erreichen. Tatsächlich enttäuschte es ihn auf den ersten Blick. Natürlich war es traditionell und damit auch wunderschön, aber es fehlte etwas...auffälliges! Wenn er dieses Anwesen sah, dann würde er niemals auf die Idee kommen, Kyojuro hier vorfinden zu können.

Erst eine bekannte Gestalt am Eingang eröffnete seinen Gedanken diese Möglichkeit.

 

Hielt dieser Junge eigentlich immer einen Besen in den Händen!?

 

„Senjuro! Hey!“, rief er dem jüngeren Bruder von Kyojuro mit seinem bekannten Strahlen zu, während er seine heile Hand zum Winken hob.

 

Er rechnete bereits damit, dass Senjuro ganz allgemein nicht schreien wollte und deshalb komplett still blieb, aber als er nahe genug da war, machte er einen überraschten Laut.

 

„Uzui-sama! Sie sind es!“, erwiderte Senjuro mit piepsiger Stimme.

 

Tengen konnte es ihm wohl nicht gänzlich übel nehmen, immerhin trug er seine Uniform nicht, sondern eine recht alltägliche Kluft, die natürlich dennoch auffällig und glänzend war, wie er selbst!

 

„Das bin ich!“, lachte Tengen, während er seine Hand in das Haar von Senjuro versenkte. Es war etwas kürzer als das von Kyojuro, selbst mit dem gebundenen Zopf war das offensichtlich. „Also! Wo finde ich deinen großen Bruder?“

 

Senjuro blinzelte ein wenig, ehe er besorgt einen Blick zum Haus warf: „Er ruht sich gerade aus, uhm . . . Aniue hat mir gar nicht gesagt, dass du vorbeikommen willst.“

 

„Ich habe Nijimaru losgeschickt, um euch zu informieren, aber ehrlich gesagt war ich bereits unterwegs, als ich die Antwort erhielt, also bin ich hier. Nennen wir es eine Überraschung“, antwortete Tengen entspannt. „Na los, Senjuro! Bring mich zu Kyojuro rein, ich muss hier eindeutig meinen Zauber verteilen.“

 

„D...deinen Zauber?“

 

Tengen schob Senjuro bereits in Richtung des Hauses, indem er seine Hand an dessen Rücken legte. Es war nicht so, als würde dieser sich wirklich dagegen sträuben, also kamen sie problemlos zum Haus, welches in kompletter Stille lag.

Alles wirkte sauber und aufgeräumt, doch laut Kyojuro besaß dessen jüngerer Bruder immer schon das Verlangen, alles sauber zu halten – vermutlich hatte er deshalb auch stets einen Besen zur Hand.

Tengen zog sich die Schuhe aus, bevor er ins Haus trat und sah sich nach dem bekannten Haarschopf um, den Kyojuro hatte – genauso wie Senjuro. Dieser stellte den Besen leise zur Seite, ehe er durch den Hauptraum ging, um an einer Tür anzuklopfen. Zaghaft schob er die Tür nur soweit auf, dass er seinen Kopf hindurchstecken konnte.

 

„Aniue? Uzui-sama ist zu Besuch“, kündigte Senjuro flüsternd an.

 

Tengen nahm ihm diese Geheimnistuerei nicht übel, auch wenn sich dies als sinnlos bewies. Zumindest was diese Weise anbelangte – Tengen hatte ein großartiges Gehör und auch wenn Senjuro flüsterte, war das nicht ansatzweise leise genug, damit er es nicht hören könnte. Vermutlich wusste Senjuro nichts davon.

Mit einem großspurigen Grinsen trat Tengen nun aber näher an Senjuro heran, bis er schließlich hinter diesem zum Stehen kam. Er hörte ein erschrockenes Piepsen, kam darauf, aber nicht zu sprechen.

 

„Kyojuro!“, rief er in den Raum, obwohl er doch eigentlich versuchte seine Stimme ruhig zu halten.
 

 

Selbst das Haus entsprach nicht dem, wie er Kyojuro beschreiben würde. Andererseits war Tradition vielleicht auch etwas, womit man Kyojuro beschreiben könnte. Immerhin war dieser auch in einer recht traditionellen Familie aufgewachsen und so war auch dessen Denkweise aufgebaut. Also konnte Tengen wohl darüber hinwegsehen, wie dieses Haus aufgebaut war und sich einfach darauf konzentrieren, eine wundervolle Zeit mit seinem besten Freund zu verbringen.
 

 

„Tengen.“
 

 

Auch wenn dieser nicht halb so glücklich klang, was fast schon beleidigend war. Vielleicht ignorierte Tengen gerade ein Dutzend Höflichkeitsfloskeln, aber er schob die Tür weiter auf und sich selbst an Senjuro vorbei, um ins Zimmer von Kyojuro zu kommen.
 

 

„Aber . . . was tust du denn hier?“
 

 

Das Lächeln, welches Kyojuro auf den Lippen trug, war nicht ganz so mitreißend wie sonst, doch er wirkte allgemein etwas erschöpft. So wie bei Tengen das linke Auge verdeckt wurde, war es auch bei Kyojuro der Fall. Nur, dass dieser eine langweilige Augenklappe trug!
 

 

„Ich weiß, du wolltest mich nicht hier haben, aber ich war schon unterwegs“, erklärte Tengen, während er sich vor Kyojuro's Futon in den Schneidersitz setzte. „Also bin ich trotzdem hergekommen. Ich wollte dich gerne wiedersehen, es ist schon viel zu lange her!“
 

 

Und jetzt war Kyojuro's Haut wenigstens wieder rosig und man sah das richtige Leben in dem athletischen Körper. Ganz egal, wie mitgenommen dieser auch sein mochte. Tengen glaubte fest daran, dass Kyojuro wieder in ihren Beruf durchstarten könnte, wenn er es wirklich wollte.
 

 

Wer, wenn nicht Kyojuro?
 

 

„Es ist nicht so, als würde ich dich nicht hier haben wollen!“, widersprach Kyojuro ein wenig empört.
 

 

„Ich werde Tee zubereiten“, redete Senjuro verunsichert dazwischen, ehe er auch schnell davon tapste.
 

 

Tengen konnte gefühlt jeden Schritt hören, genauso wie er das leise Seufzen von Kyojuro deutlich wahrnehmen konnte. Er lehnte sich auf einer Handfläche zurück und bedachte Kyojuro's Zimmer mit seinem Auge.

„Du scheinst deinen Sinn für Weihnachten noch nicht gefunden zu haben. Wo ist der Schmuck?“

Auch das Hauptzimmer und der Eingangsbereich hatten nichts gehabt, was an die Vorweihnachtszeit erinnerte. Selbst wenn er nicht wusste, wie es sonst hier aussah, er erinnerte sich jedoch an Kyojuro's Begeisterung, wenn er bei ihm zu Besuch gekommen war. Das sollte doch zumindest andeuten, dass Kyojuro nichts gegen diese spezielle Zeit des Jahres hatte.
 

 

„Unser Vater ist nicht wirklich ein Fan von...na ja... jeglichen Feiertag, den es so gibt“, erwiderte Kyojuro mit einem Lächeln, das fast verlegen wirkte. „Und genauso wenig mag er Besuch.“
 

 

Tengen stellte fest, dass er diese Art des Lächelns nicht auf Kyojuro's Gesicht mochte oder sehen wollte. Doch gerade konnte er es wohl nicht verhindern.
 

 

„Nun, ich schätze, dein Vater wird sich sowohl mit dem Einen als auch mit dem Anderen anfreunden müssen!“, meinte Tengen. „Denn ich habe entschieden, dass ich hierbleiben werde! Natürlich nicht für immer, aber für ein-zwei Tage und ich werde diesem Haus zeigen, was Weihnachten ist!“
 

 

Kyojuro verzog ein wenig das Gesicht: „Ah...h... Ich weiß nicht, ob das wirklich gut ist.“
 

 

„Sei unbesorgt“, winkte er ab. „Ich kenne doch deinen Vater noch von früher, außerdem muss er doch überglücklich darüber sein, dass du noch unter uns weilst. Ich kann klare Gründe erkennen, weshalb er nichts gegen meinen Besuch sagen wird. Ich werde auch brav sein und mich von seinem Zimmer fernhalten.“
 

 

Er wusste nicht, ob seine Worte sehr überzeugend waren oder ob Kyojuro einfach selbst den Mut fand, enthusiastisch zu nicken und dieses Mal mit einem echten Lächeln.

„Du hast recht. Allerdings besitzen wir wirklich keinen Schmuck hier.“
 

 

„Keine Angst“, grinste Tengen. „Ich habe ein bisschen was mitgebracht für den Fall der Fälle.“

Andere Personen wären jetzt wohl misstrauisch oder besorgt, aber Kyojuro behielt sein Strahlen im Gesicht und nickte leicht. Nicht ganz so enthusiastisch wie normal, aber Tengen schob dies auf die vorhandenen Verletzungen.

„Wie geht es dir sonst so?“, fragte er daher nach. „Du siehst immer noch ein wenig ramponiert aus.“
 

 

Kyojuro lachte auf: „Ach, es geht mir großartig. Etwas erschöpfter als normal, aber das wird sich mit der Zeit legen!“
 

 

Tengen konnte akzeptieren, dass sich Kyojuro in nächste Missionen werfen wollte – aber konnten das auch sein Vater und sein Bruder? Vor allem Letzterer hatte deutlich gelitten, als Kyojuro einige Tage noch nicht ansprechbar im Bett geruht hatte, bevor er zu sich gekommen war. Sie alle wussten natürlich, wie gefährlich ihre Missionen waren oder werden konnten – dennoch war es extrem beunruhigend, so etwas dann zu erleben.
 

 

„Und dein Auge?“
 

 

„Irreparabel beschädigt“, antwortete der Flammenhashira wie einstudiert. „Aber ich komme damit zurecht. Es war anfangs ein wenig ungewohnt, aber vermutlich kannst du es nachvollziehen.“
 

 

Schmunzelnd griff Tengen an sein eigenes Auge, welches er im Kampf gegen Upper Six verloren hatte. Vielmehr griff er nach der Augenklappe, die mittlerweile mit Edelsteinen geschmückt wurde. Genau so etwas sollte auch Kyojuro tragen, statt so ein tristes Schwarz, was seine Züge zu ernst und alt erscheinen ließ!
 

 

„Es war zu Beginn etwas seltsam, aber man lernt schnell damit umzugehen“, erwiderte Tengen nun nickend. „Jetzt können wir immer im Partnerlook unterwegs sein!“
 

 

Kyojuro gluckste und es war ein wundervolles Geräusch. „Ich glaube nicht, dass ich je so auffällig sein kann wie du, mein Freund!“
 

 

„Bitte, du bist schon längst auffälliger als ich.“

Das war schon immer Tengen's Ansicht gewesen. Er müsste sich mit tausenden Edelsteinen überhäufen, damit er auffälliger wäre als Kyojuro. Zumindest, wenn dieser sich wieder etwas anders kleidete und nicht seinen einfarbig-traditionellen Yukata zum Schlafen trug.

„Also, brauchst du noch etwas Ruhe oder-“
 

 

„Lass uns gleich anfangen!“
 

 

Diese Motivation stand Kyojuro eindeutig besser als Erschöpfung. Tengen hoffte nur, dass Kyojuro sich nicht seinetwegen verausgaben würde.

Er half seinem Freund auf die Beine, reichte ihm den Gehstock, welcher missmutig betrachtet wurde – Tengen konnte es nachempfinden – und er achtete auch gut darauf, dass Kyojuro sicher lief. Bevor sie einfach loslegten, suchten sie aber Senjuro in der Küche auf, welcher den Tee vorbereitete, aber prompt etwas besorgt dreinschaute, weil Kyojuro nicht mehr im Futon lag.
 

 

„Rate mal, Senjuro! Tengen möchte uns dabei helfen, eine weihnachtliche Stimmung ins Haus zu bringen“, meinte Kyojuro sogleich lächelnd.
 

 

Senjuro zog in etwa das gleiche Gesicht wie Kyojuro, bevor dieser überzeugt worden war. Die Verwandtschaft der beiden war nicht abzustreiten – wobei dies allein vom Aussehen her zutraf.
 

 

„Bist du sicher, Aniue?“, fragte Senjuro zaghaft nach.
 

 

Kyojuro nickte langsam: „Absolut. Tengen kennt unseren Vater ja auch, es wird sicherlich gut gehen. Wir werden nur ein wenig schmücken. Oh, aber leider besitzen wir keinen Baum zum Schmücken.“
 

 

Ein Weihnachtsbaum war sicherlich nicht überall gang und gäbe, Tengen besaß natürlich einen daheim, weil es perfekt war, um ihn glänzen zu lassen.

„Ach“, winkte er ab. „Mit genug Glitzer wird alles zum Weihnachtsbaum.“
 

 

„Ich mag deinen Optimismus!“, erwiderte Kyojuro strahlend.
 

 

„Dann lasst uns gleich anfangen!“
 

 

Glücklicherweise hatte sich Tengen keine großen Sorgen über seinen Besuch hier gemacht, denn alles lief einfach nur großartig! Na schön, Senjuro's Begeisterung könnte etwas stärker sein, aber die würde schon noch kommen. Immerhin hatte Tengen wirklich viel dabei – nun, so viel wie es in diesen Tragesack gepasst hatte. Es ginge besser und mehr, aber bei diesem tristen Haus wäre jede Kleinigkeit schon ausreichend, um es ein wenig hervorzuheben.
 

 

Nicht anderes verdiente Kyojuro, nachdem er beinahe gestorben war.
 

 

„Oh, ich habe übrigens noch ein kleines Geschenk für dich, Kyojuro!“
 

 

„Huh?“
 

 

Nachdem Tengen sicher war, dass Kyojuro gut stand und nicht plötzlich vor Überraschung umfiel, kramte er in seinem Sack nach dem Geschenk. Er packte allerlei andere Dinge aus, die er auf dem ganzen Tisch verteilte – eins davon glitzerte mehr als die Dinge zuvor. Tengen hatte seine Worte ernst gemeint!
 

 

„Hier ist es auch schon“, kündigte er schließlich an, bis der Sack fast komplett leer war.
 

 

„Aber es ist noch nicht an der Zeit, Geschenke auszutauschen“, warf Kyojuro ein.
 

 

„Lass uns das nicht zu ernst nehmen! Ich kann nicht mitansehen, wie du so normal aussiehst!“
 

 

Kyojuro blinzelte irritiert, trug aber weiterhin sein Lächeln auf den Lippen: „Normal?“
 

 

„Tada!“

Tengen ging nicht weiter auf Kyojuro's Verwirrung ein, stattdessen offenbarte er sein Geschenk – eine Augenklappe, versehen mit Edelsteinen. Damit ähnelte sie seiner, aber die Farben der Edelsteine war natürlich speziell gewählt worden. Sie würde perfekt zu Kyojuro's Haar und Auge passen.
 

 

„Eine Augen...klappe“, erwiderte der Flammenhashira noch etwas irritiert. Dennoch streckte er eine Hand aus und griff danach. Sie war etwas schwerer wegen der Edelsteine, aber auf den ersten Blick sollte man bereits erkennen, dass sie hochwertiger war als das Stück Stoff, welches bisher das zerstörte Auge bedeckte.
 

 

„Ich habe mir bereits gedacht, dass du keine Augenklappe tragen würdest, die wirklich gut für dich ist, also habe ich zur Sicherheit eine eingepackt!“, strahlte Tengen seinem Freund entgegen. „Sie wird dir definitiv besser stehen! Wobei ein wenig Glitzer fehlt . . .“

Wenn kein Schnee mehr fällt [Dôma x Kyojuro]

Niemand musste Kyojuro sagen, dass das, was er hier tat, völlig fern von jeglichem Überlebensinstinkt sein musste. Das war ihm bereits von Anfang an klar gewesen. Dennoch zog es ihn an und ließ jeden rationalen Gedanken verblassen in all seiner Lächerlichkeit.

Umgeben von Schnee, der bereits so hoch war, dass er über seine Knöchel reichte, während immer noch Schneeflocken von oben nach unten segelten, bahnte er sich seinen Weg. Normalerweise bemühte er sich um Anonymität und Verschleierung, doch heute würde man ihn mit Leichtigkeit verfolgen können. Er zog tiefe Spuren durch den Schnee, bis er auf ein frei geschipptes Gebiet stieß.

Kyojuro atmete auf, als er auf die erste Stelle trat, wo der Schnee nicht mehr ganz so hoch war. Er stampfte mit beiden Füßen auf, versuchte überschüssigen Schnee abzuklopfen, aber machte sich sogleich weiter auf den Weg. Jetzt, wo er so nah war, wollte er lieber keine Zeit mehr verlieren.

 

Er war bereits auf die Knochen durchgefroren und seine Hände warne schon ganz rot, obwohl er bemüht war, sie vor der Kälte zu schützen. Erst als er dem Tempel näher und näher kam, hatte er die Hoffnung darauf, etwas Wärme empfangen zu können.

Kyojuro klopfte gegen die schweren Türen des Tempels, während sein Atem ihm zittrig entkam und vor seinen Augen nach oben stieg. Er führte fast schon einen halben Tanz auf, bis die Tür endlich knarzend vor ihm geöffnet wurde.

 

„Oh, Rengoku-sama“, wurde er mit höflich-erfreuter Stimme empfangen. „Was für eine schöne Überraschung! Komm rein, komm rein! Du bist sicherlich schon ganz durchgefroren!“

 

„D-danke“, erwiderte Kyojuro mit bebenden Lippen, als er sich schnell in die vor Wind und Wetter geschützte Unterkunft begab. Es war immer noch eisig kalt, aber der Tempel selbst war weniger warm – die einzelnen Zimmer dafür umso mehr. Sein Blick suchte direkt nach der Person, welche er besuchen wollte, fand sie jedoch nicht.

 

„Dôma-sama hat sich heute bereits zurückgezogen. Er wird sicherlich sehr erfreut von deinem Besuch sein“, wurde er direkt informiert, ein leises Kichern hing in der freundlichen Stimme der jungen Frau.

 

Kyojuro kam nicht umhin, sich zu fragen, wie lange sie schon hier lebte – und wie lange sie noch haben würde. Gleichzeitig war sie ein bekanntes Gesicht, vielleicht gab ihr das so etwas wie eine Chance?

 

„Dann werde ich gleich zu ihm gehen“, erwiderte Kyojuro nun aber etwas gepresst.

 

Da er glücklicherweise nicht zum ersten Mal zu Besuch war, machte sich niemand mehr Gedanken über seine Anwesenheit. Besser gesagt; jene, die schon länger da waren, kannten ihn und jene, die noch nicht lange da waren, achteten auf die Reaktionen der anderen. Was darin endete, dass Kyojuro für sie kurzzeitig interessant war, dann aber genauso schnell wieder wie vergessen.

Er machte sich also auf den Weg, kannte mittlerweile die einzelnen Gänge und Türen des Tempels besser, als er sollte. Es dauerte länger als normal, bis er am Ziel ankam. Kyojuro schob es auf seinen durchgefrorenen Körper. Er hob eben die Hand an, um anzuklopfen – doch bevor seine Faust auf das Holz treffen konnte, schob sich die Shoji-Tür bereits auf.

 

„Wen haben wir denn da?“, summte ihm Dôma's allzu bekannte Stimme entgegen.

 

Kyojuro senkte langsam seine Hand, während er den Kopf ein wenig anhob, um in die regenbogenfarbenen Augen zu sehen, „Dôma“, erwiderte er leise.

 

Da seine Haut bereits eiskalt war, fühlte sich jene von Dôma fast schon warm an. Dabei hatte er deutlich vor Augen, wie kalt der Dämon war.

 

„Ohhh“, machte Dôma, als würde er ihn ehrlich bemitleiden. „Mein kleiner Schatz ist komplett durchgefroren.“

 

Unwirsch schlug Kyojuro die Hand an seiner Wange weg, spürte dabei die Verlegenheit in sich aufsteigen und war froh darüber, dass sein ganzes Gesicht wegen der Kälte rot war. Glücklicher sollte er wohl darüber sein, dass Dôma sich nichts aus solchen abwehrenden Handlungen machte.

Stattdessen zögerte er keine Sekunde, um Kyojuro's Hände zu erfassen und ihn ins Zimmer zu ziehen. Kyojuro spürte sofort die Wärme des Zimmers um ihn herum, wie sich die Hände urplötzlich lösten und in unmenschlicher Geschwindigkeit die Tür schlossen, ehe sie wieder an seinem Rücken zu fühlen waren.

 

„Welche Sorgen und Nöten führen dich heute zu mir, Kyojuro?“

 

Er konnte fühlen, wie das Gewicht auf seinen Schultern abzunehmen schien. Einerseits, weil Dôma geschickt damit begann, ihm den Haori und die Jacke abzunehmen, welche Kyojuro zum Schutz vor der eisigen Kälte getragen hatte. Doch andererseits war da auch etwas anderes, emotionales. Sein altbekanntes Lächeln erstarb nicht völlig, wurde aber schwächer und das Strahlen nahm ab.

Dennoch hielt Kyojuro noch daran fest, dass er ein Dämonenjäger war – mit ehrwürdigen Absichten! Selbst wenn er sich selbstmörderisch in die Arme von einem der mächtigsten Dämonen übergab.

 

„Wie nahe stehst du den anderen Kizuki?“, hinterfragte er also.

 

„Hm“, summte Dôma, er klang bereits jetzt amüsiert. „Die Upper Moons sind natürlich meine Freunde, wir sind eine kleine Familie. Leider sehen wir uns nicht so oft, wie ich es gerne wollen würde, hach... Wann immer ich versuche in Kontakt zu treten, werde ich in den meisten Fällen ignoriert, kannst du das fassen?“

 

Wenn Kyojuro ehrlich war, dann konnte er das nicht. Doch vermutlich waren all diese Dämonen klüger als er selbst.

 

„Aber die Lower Moons sind mir grundsätzlich egal. Sie sind so schwach und müssen so oft ausgewechselt werden. Es ist ewig her, dass jemand versucht hat, einen Upper Moon herauszufordern – es ist so langweilig, ohne einen geeigneten Herausforderer.“

 

Kyojuro war sich mehr als darüber bewusst, dass Dôma ihn nicht so viel berühren müsste, wie er es tat. Doch der Dämon zelebrierte es förmlich, ihn von der zugeschneiten und dadurch nassen Kleidung zu befreien. Zumindest soweit Kyojuro es zuließ.

 

„Wie wäre es mit einem Yukata von mir? Dann kann deine Kleidung richtig trocknen“, schlug der Dämon nun vor, fast als wäre er besorgt um Kyojuro's Gesundheit. „Ein heißes Bad würde wohl auch nicht schaden, aber ich schätze, das ist nicht in deinem Sinne?“

 

„Nein“, antwortete Kyojuro sofort. Es gab Grenzen zu wahren, selbst wenn es ein wenig lächerlich war. „Aber... den Yukata nehme ich gerne.“

 

„Aber natürlich.“

 

Dôma's Hände lösten sich von ihm und prompt fühlte es sich wieder so an, als würde das Gewicht der Welt auf Kyojuro liegen. Er schüttelte diese Gedanken ab und setzte lieber das Entkleiden weiter fort. Dôma kam mit einem Yukata der in einem warmen grün-Ton getaucht und übersät von Sonnenblumen war.

Kyojuro schob seine Arme in die weiten Ärmel und obwohl er definitiv keine Hilfe dabei benötigte, übernahm Dôma das Binden des Obi. Perfektionistisch richtete der Dämon den Yukata aus und schnürte routiniert den Obi. Der Yukata saß nicht zu eng und nicht zu locker – es war perfekt.

 

„Wie wäre es mit ein wenig Sake zum Aufwärmen?“

 

Kyojuro schüttelte den Kopf, während er Dôma die Kleidung von ihm zur Tür trug und den Kopf hinaussteckte. Er konnte hören, wie er einen Namen rief, und es dauerte nicht lange, bis die Kleidung ihm abgenommen und sich darum gekümmert wurde.

 

„Du weißt, ich trinke-“

 

„-keinen Sake oder Alkohol allgemein, ja“, seufzte Dôma. „Dabei schmeckt es wirklich großartig, auch wenn es nicht an das Blut von Frauen heranreicht.“

 

„Da kann ich nicht mitreden“, antwortete Kyojuro trocken.

 

Dôma kicherte, als hätte er einen guten Witz gemacht, während er weiterhin durch sein großes Gemach schritt. Dabei wirkte er so elegant, wie Kyojuro es bei keiner anderen Person vorher gesehen hatte. Leichtfüßig trat er an das Bett, ließ sich darauf fallen und klopfte in die Kissen und Decken neben sich.

„Komm zu mir, Kyojuro“, wies er mit zarter Stimme an, während er die Augenlider halb zufallen ließ.

 

Die regenbogenfarbenen Augen kamen dadurch nicht weniger zur Geltung und wirkten sich beinahe hypnotisierend auf Kyojuro aus. Auch ohne diesem Blick wäre er der Anweisung gefolgt. So fiel er bald schon in die großen, weichen Kissen zurück, die ihn fast ihn sich einzusaugen schienen. Er war umgeben von Weichheit und Wärme, die sich gut anfühlte. Sein Körper war nicht mehr ganz so ausgekühlt.

Dadurch empfand er umso deutlicher die eiskalten Finger vom Dämon, die sich wieder frech über sein Gesicht stahlen. Ohne weiteres wanderten sie zu seinem Haar und einen Augenblick später fühlte Kyojuro auch, wie sein Haar sich lockerer anfühlte und Strähnen mehr in seinem Gesicht hingen.

 

„Du hast nach anderen Kizuki gefragt“, sprach Dôma schließlich wieder an, während er fast schon zärtlich durch Kyojuro's Haar streichelte. „Genügt dir meine Gesellschaft etwa nicht mehr?“

 

„Sag das nicht so“, empört, aber mit roten Wangen, versuchte er die kalten Finger von sich zu drücken, obwohl sich die zarte Berührung viel zu gut anfühlte.
 

 

„Ich bin nur besorgt“, gluckste Dôma. „Ich will dich nicht an einen meiner Freunde verlieren. Ah, ich denke Akaza würde dich auch gerne haben.“
 

 

„Akaza?“, hinterfragte er sofort. Wann immer Dôma bereitwillig schien, Informationen von sich zu geben, nutzte Kyojuro diesen Moment. Es war ein wenig so, dass er sich damit selbst einreden konnte, nicht aus egoistischen Gründen hier zu sein.
 

 

„Hmhm“, summte der Dämon. „Upper Moon Three, genau genommen. Er ist ein großer Fan vom Kämpfen und er redet immer wieder von Kampfgeistern und dergleichen. Andererseits kann ich dich nur aus den Augen eines Laien beurteilen, aber für mich wirkst du wie ein Experte mit dem Katana.“
 

 

Das Letzte, was Dôma war, war ein Laie. Auch wenn der Dämon gerne so tat, als wäre er schwach und keine Bedrohung für irgendjemanden.
 

 

„Mit Akaza würde ich dich vielleicht sogar teilen, aber er ist immer so beschäftigt“, schmollte Dôma. „Ich schätze, das trifft auf alle meiner Freunde zu, also wirst du dich weiterhin mit mir begnügen müssen, Kyojuro!“
 

 

Kyojuro wusste nicht, ob er etwas anderes vorziehen sollte. Er konnte ja einfach schon froh darüber sein, dass Dôma sich nicht dazu entschloss, ihn einfach zu töten – denn das konnte dieser definitiv, wenn er wollte. Vor allem dann, wenn sich Kyojuro in eine solch verletzliche Position bringen ließ, wie jetzt auch.
 

 

„Das ist schon in Ordnung.“
 

 

„Nur in Ordnung? Ich bin wesentlich mehr als das.“
 

 

Schon wieder begann der Dämon zu schmollen, sich mehr über ihn zu lehnen und wirkte damit auf eine Art bedrohlich, die gleichzeitig Kyojuro's übervorsichtige Mauern fallen ließ.
 

 

„Wenn du einem anderen Kizuki begegnen würdest, würdest du merken, wie unglaublich freundlich ich doch bin“, warf Dôma weiterhin ein. Immerhin wanderten die kalten Finger dabei durch Kyojuro's Haar, rieben über seine Kopfhaut – fest genug, dass er sogar die langen Fingernägel in ihr spüren konnte. „Aber lass uns einfach nicht weiter über sie sprechen – lass uns lieber über deinen Besuch hier reden!“
 

 

Wann immer Kyojuro hier war und versuchte, an Informationen zu kommen, fielen sie recht winzig aus. Jeder würde behaupten, dass sich die Mühe gar nicht lohnen würde, immerhin lag Dôma's Tempel abseits von bewohnbaren Orten, das nächste Dorf war einige Stunden entfernt. Kyojuro sah das anders.
 

 

„Da gibt es nicht viel zu sagen. Du weißt, weshalb ich herkomme“, erwiderte Kyojuro ausweichend, bemerkte gar nicht wie er anfing sich unwohl zu winden.
 

 

„Informationen gegen Informationen“, gluckste Dôma.
 

 

Für den Dämon war das alles einfach nur ein Spaß. Wieso sonst sollte er sich einen Hashira in die eigenen vier Wände einladen und sogar umsorgen? Kyojuro war immer schon selbst aufopfernd gewesen, aber er war kein totaler Idiot. Er würde nicht die Menschen in Gefahr bringen, weder jene, die ihm wichtig waren, noch jene, die er nicht kannte. So minimal Dôma's Informationen ausfielen, so minimal fiel die Gegenleistung aus. Es war vermutlich wirklich komplett unnütz, hierherzukommen – zumindest wenn es darum ging.
 

 

„Aber ich gab dir keine Informationen und du fragst auch nicht wirklich nach welchen. Traust du dich nicht, Kyojuro?“
 

 

Kyojuro war sich sicher, dass er mutiger war als die allermeisten Menschen, aber auch Angst gehörte zum Menschsein dazu. Es zeigte auch Kyojuro, dass er trotz eines gewissen Egoismus, nicht seiner Menschlichkeit beraubt sein könnte.

Er versuchte im Moment jedoch eher, rational vorzugehen – soweit, damit nichts gegen ihn verwendet werden konnte, was er Dôma fragen wollte. Kyojuro presste seine Lippen aufeinander, ehe er sich urplötzlich aufrichtete und damit fast mit seiner Stirn gegen Dôma's Kinn stieß. Er zweifelte nicht an Dôma's Reaktionsvermögen, wenn dieser sich so langsam zurückbewegte, dann weil er es genau so wollte.
 

 

„Kennt sich einer der Kizuki mit Medizin aus?“, fragte er nun ganz direkt.
 

 

Dôma legte den Kopf schief: „Medizin? Oh weh, bist du etwa krank, Kyojuro? Ich könnte dich sicherlich gesund pflegen.“
 

 

Diese Worte, verbunden mit den kühlen Fingerkuppen in seinem Nacken, hinterließen eine Gänsehaut bei ihm. Errötend drückte er die Hand weg und schob sie auf eines der Kissen herunter.
 

 

„Das ist nicht... so einfach. Es geht um bislang... unerforschte Krankheiten.“
 

 

„Jedoch“, summte Dôma. „Unter den Kizuki gibt es kein solches Wissen? Ich weiß, einer der unteren Ränge hat mit Hypnose zu tun und war zumindest als Mensch irgendeine Art Arzt, aber ob das hilfreich ist . . .“ Das Schulterzucken vom Dämon sagte klar aus, dass dieser nicht an eine Hilfe dahinter glaubte. „Worum geht es hierbei?“
 

 

„Eine Person... in meinem Umfeld“, Kyojuro atmete tief durch. „Es ist dieselbe Krankheit, wie jene, an der meine Mutter verstarb.“
 

 

„Oh weh“, seufzte der Dämon auf, während sich dessen Hände plötzlich um Kyojuro's Gesicht legte – auch, damit er gezwungen war, ihn anzusehen. „Es ist dein kleiner Bruder, richtig? Welch Tragödie...“
 

 

Es hätte Kyojuro klar sein müssen, dass Dôma so schnell dahinterkommen würde.
 

 

„Keine Tragödie“, erwiderte Kyojuro. „Es muss nur eine Heilung gefunden werden. Er wird das überstehen.“
 

 

„Ist das so?“, schmunzelte Dôma amüsiert. „Dafür wirkst du aber sehr besorgt. Bist du deshalb hier? Ahhh... ein wahres Wunder, dass noch kein Dämonenjäger anhand von Anspannungen gestorben ist. Deine Schultern sind komplett verkrampft.“
 

 

Kyojuro akzeptierte, dass Dôma's Hände sich plötzlich auf seine Schulter legten und einen angenehmen Druck ausübten, in den er sich nur zu gerne hinein lehnte.

Er konnte an den bewegenden Kissen erahnen, dass sich Dôma hinter ihn begab, auch die Position der Hände veränderte sich ein wenig und der leichte Druck, wurde plötzlich stärker, aber weiterhin im angenehmen Bereich.
 

 

„Nun, es gäbe sicherlich eine Möglichkeit, ihn zu retten. Ganz einfach und schnell, ohne darauf hoffen zu müssen, jemand findet das richtige Medikament.“
 

 

„Nein.“
 

 

„Du weißt doch gar-“
 

 

„Weder ich noch mein jüngerer Bruder wird zu einem Dämon, Dôma.“
 

 

„... Fein, du wusstest doch, was ich sagen wollte.“
 

 

Es war mehr als offensichtlich in Kyojuro's Augen. Seufzend lehnte er sich mehr zurück, bis er gegen Dôma's unbeweglichen Körper stieß und sah, wie dessen lange Arme über seine Schultern nach vorne wanderten und sich die Hände in Brusthöhe ineinander legten.
 

 

„Ah“, machte Dôma. „Ich habe ganz vergessen, wie ermüdend die Reise hierher für Menschen sein kann. Vor allem bei diesem Wetter, was? Vielleicht solltest du dir etwas Ruhe gönnen. Ich werde natürlich auf dich aufpassen.“
 

 

Die größte und vermutlich auch einzige Gefahr im Umkreis war Dôma.
 

 

„Draußen wütet ohnehin ein kleiner Schneesturm, das ist keine Umgebung für einen zerbrechlichen Menschen.“
 

 

„Ich bin nicht zerbrechlich“, widersprach Kyojuro leise.
 

 

„Im Vergleich zu anderen Menschen? Ja, damit liegst du wohl richtig“, schnalzte Dôma vergnügt. „Aber es ist dennoch so einfach, dir Knochen zu brechen und Organe herauszureißen – dein sanfter Körper kann mir nichts entgegnen.“
 

 

Genau deshalb war es ja so, als würde er sich in die Höhle des Löwen begeben, wenn er zu Dôma kam – aber sie wussten das beide wohl nur zu gut.
 

 

„Aber das würdest du doch nicht tun, oder Dôma?“, fragte Kyojuro nach.
 

 

Dôma gluckste leise: „Niemals! Dennoch solltest du jetzt ein wenig ruhen. Zumindest so lange, bis kein Schnee mehr fällt. Und wer weiß? Vielleicht sieht die Welt dann für dich bereits ganz anders aus?“
 

 

Die Worte sollten ihn alarmieren und das taten sie auch – dennoch ließ sich Kyojuro von der Umarmung und körperlichen Nähe einlullen, genauso wie von dem leisen, sanften Summen eines alten Kinderliedes.
 

 

„Na schön, aber wenn kein Schnee mehr fällt, werde ich gleich wieder gehen.“
 

 

Kyojuro wusste selbst, dass er vermutlich noch etwas mehr seiner Zeit hier verbringen würde.

Weihnachtsgrüße über Ouija-Brett [Muzan x Akaza]

Nur Dôma allein konnte auf die verdammt dämliche Idee kommen, Weihnachten mit Halloween vermischen zu wollen.

 

Akaza war nur zu dessen Vorweihnachtsfeier gekommen, weil er ihm stundenlang auf die Nerven gegangen war – und wenn Akaza von Stunden sprach, dann meinte er auch Stunden.

Er fragte sich immer wieder, wieso sie miteinander befreundet waren – wieso er das irgendwann zugelassen hatte – und er fragte sich, wieso er es nicht noch irgendwie unterbinden konnte. Doch war man einmal Dôma's bester Freund, kam man da auch gar nicht mehr so leicht heraus. Es war wie so ein Spam-Abonnement, für welches du entweder vor Gericht ziehen oder dein Leben lang zahlen musstest. Leider gab es kein Gericht, vor welchem man Freundschaften kündigen konnte.

 

Wäre Dôma zumindest eine normale Person, dann wäre diese Freundschaft ja nicht ganz so schlimm – doch das war er nicht. Immer wieder kam er mit verrückten Ideen um die Ecke; eine seltsamer, als die andere. Nicht selten geriet Akaza dadurch in Probleme – sei es wegen der Polizei oder wegen irgendwelche andere verärgerten Personen.

Mittlerweile sollte er es besser wissen, das sagten auch Hakuji und dessen Verlobte, aber scheinbar war Akaza nicht lernfähig.

 

Dôma schoss den Vogel jedoch damit ab, dass er plötzlich mit einer kleinen Gruppe vor Akaza's Tür stand und die Feier bei ihm verlegen wollte. Gott allein wusste, was vorher passiert war. Und weil Akaza manchmal einfach nur dumm war, hatte er die kleine Gruppe hereingelassen in sein chaotisches Heim und ließ zu, dass sie seinen ohnehin leeren Kühlschrank noch mehr leerten und die letzten Flaschen Sake und Wasser ebenso. Dôma bemängelte seine Vorbereitung für eine spontane Party. Scheinbar war das alles gar nicht so wichtig, weil es einen bestimmten Grund dafür gab, dass die kleine Party nicht einfach beendet worden war, sondern fortgesetzt werden sollte.

Es war bereits zwei Uhr morgens gewesen, als die Leute vor Akaza's Tür gestanden hatten wie kleine Kinder, die vorhatten jemanden einen Streich zu spielen.

 

Irgendwie war es auch in etwa so etwas.

 

„...ein Ouija-Brett? Ernsthaft?“, schnaubte Akaza.

 

Dôma wirkte komplett überzeugt: „Ja! Ist das nicht cool?! Dieser Typ von dem Grusel-Laden hat es mir förmlich geschenkt! Das wird sicherlich lustig.“

 

Lustig würde Akaza es nicht nennen, aber er wusste bereits, dass es unmöglich war zu verneinen. Immerhin war nicht nur Dôma völlig begeistert.

 

„Können wir jetzt endlich anfangen!?“, fragte Ume, welche aufgeregt die Hände in den Schoß legte und mit den Fingern zappelte.

 

An ihrer Seite saß natürlich Gyutaro. Akaza fragte sich, was passieren würde, wenn Ume jemals heiraten würde. Sie war hübsch genug dafür, jemanden zu finden, der sie sofort zur Frau nehmen würde. Ob er auch neben dem Hochzeitsbett sitzen würde, um sicherzugehen, dass man gut mit seiner Schwester umgehen würde.

 

„J-ja! Bringen wir es h...hi... hinter uns!“, stammelte Hantengu ängstlich vor sich hin.

 

Auch er hatte seinen geschwisterlichen Beistand dabei. Nicht zum ersten Mal fragte sich Akaza, wie die Eltern mit gleich sieben dieser anstrengenden Kinder umgehen konnten. Allerdings konnte man sie niemals fragen, weil sie einfach nicht zu treffen waren. Es würde Akaza nicht wundern, wenn sie schon lange verstorben waren und weder Hantengu noch seine Brüder dies erwähnen würden. Die sieben waren größere Lügner als Dôma.

 

Und das zu schaffen, war gar nicht mal so einfach!

 

Bis hierher war die Gruppe wirklich nicht überraschend, selbst Gyokko, welcher seltsame Symbole in die Tischplatte ritzte oder auch Nakime, welche von Dôma bezirzt wurde, waren keine so großen Überraschungen.

 

„Willst du diese Scheiße etwa auch durchziehen, Kokushibo?“, fragte Akaza wütend.

 

Kokushibo war der wohl ernsthafteste Mensch, dem Akaza jemals begegnet sein könnte. Wie konnte er sich also auf diesen kindischen Spaß einlassen?

 

„Dôma war der Überzeugung, dies würde mir dabei helfen, meine Mitmenschen besser verstehen zu können.“

 

Akaza bezweifelte, dass dieser Unsinn irgendeinen Nutzen haben würde, doch während ihm diese ganze Sache noch gegen den Kragen ging, hatten seine Gäste bereits angefangen, das Brett aufzubauen.

Auch wenn es jetzt nicht so viel zum Aufbauen gab. Alle saßen aufgeregt drumherum und Dôma klopfte neben sich, damit Akaza folgen würde. Er warf seinem besten Freund einen tödlichen Blick zu, doch am Ende setzte er sich dennoch neben Dôma, welcher eine dämliche Weihnachtsmütze trug. Zumindest hatte er nicht versucht, so etwas auch auf Akaza's Kopf zu bringen.

 

„Dann lasst uns anfangen!“, meinte Dôma schließlich. „Mach das Licht aus Kokushibo! Oh, und diese Sanduhr sollen wir wohl umdrehen. Wenn sie durchgelaufen ist, müssen wir mit der Séance aufhören – nicht dass ein Geist in unsere Welt übergeht.“

 

Akaza verdrehte die Augen, während er Ume kichern hören konnte.

 

„Gut, wer von uns wird das Medium... Akaza! Willst du das übernehmen?“

 

„Was? Wieso soll ich das jetzt machen?“

 

„Weil du nicht so aufgeregt bist wie wir anderen!“

 

Akaza schnaubte und sah in Kokushibo's Richtung, welcher sogar noch weniger aufgeregt wirkte als Akaza. Immerhin war Akaza zumindest echt genervt.

 

„Komm schon, glaubst du echt ein Geist will mit Kokushibo reden? Nichts für ungut, Koku!“

 

Der Älteste in ihrer Runde blinzelte nur langsam, als würde er gar nicht verstehen, was hier vor sich ging. Seufzend verdrehte Akaza nochmal die Augen, doch schließlich legte er seine Finger auf den Marker. Dôma fiepste begeistert und legte ebenfalls die Finger daran.

 

„Gut, maximal fünf Personen sind erlaubt, also... Kokushibo? Ume und Gyutaro?“

 

Sobald alle ihre Finger an den Marker hatten, drehte Nakime die Sanduhr um und es kehrte Stille ein.

 

„Du musst jetzt fragen“, flüsterte Dôma ihm kindisch zu.

 

Akaza seufzte auf: „Ist hier ein Geist bei uns?“

 

Er glaubte wirklich nicht daran, dass irgendwas passieren würde, doch gerade als er sich über das alles lustig machen wollte, begann sich der Marker zu bewegen. Irritiert sah Akaza auf das Ja, welches als Antwort gegeben wurde.

 

„Wie aufregend!“, fiepste Dôma. „Los Akaza, frag etwas!“

 

„Uh-ähm... was denn?“ Er war hierauf nicht vorbereitet gewesen! „Ähm... Wie ist dein Name?“

 

„Doch nicht so was lang-huh!“

 

Akaza war kein Idiot, er wusste, was für ein guter Schauspieler Dôma sein konnte. Auch wenn sich der Marker vermeintlich bewegte, hatte dies keine Bedeutung. Dennoch spielte Akaza mit und las die Buchstaben laut vor, die angezeigt wurden.

 

„M – U – Z – A – N. Muzan?“

 

Und erneut das Ja.

 

Natürlich waren alle um sie herum total begeistert, aber Akaza glaubte weiterhin fest daran, dass dies nur ein Spiel von Dôma war. Dennoch folgte er jeder weiteren Anweisungen, stellte ein paar weitere Fragen und bekam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn eine Antwort kam.

Irgendwas hieran fühlte sich extrem seltsam an, obwohl Akaza überzeugt davon war, dass alles hier nicht echt war.

Erst Nakime's leise Stimme, die das Ende von der Sanduhr ankündigte, ließ Akaza aufatmen.

 

„Oh... wie schade“, seufzte Dôma. „Vielleicht sollten wir es einfach ignorieren?“

 

„Nein“, erwiderte Akaza. „Ich will euch endlich loswerden und meine Ruhe haben!“

 

„Uhhh! Wie fies, Akaza-dono!“

 

Akaza verdrehte die Augen und zog seine Hand vom Marker zurück, da auch Dôma das getan hatte.

 

„Es war gar nicht so spannend wie gedacht“, warf Ume schmollend ein, ehe sie gähnte.

 

„Natürlich nicht, das ist ja auch Unsinn“, erwiderte Akaza genervt. „Also los jetzt, zieht euch an und haut ab!“

 

Glücklicherweise waren alle hier es gewohnt, dass Akaza sie etwas harscher ansprach, vor allem bei einer solch späten Uhrzeit – oder eher früher? Die einzige Person, die jammerte, war natürlich Dôma, aber den konnte er mittlerweile gut genug ignorieren.
 

 

Als er endlich die Wohnungstür hinter Dôma schließen konnte, atmete Akaza auf und rieb sich die Schläfen. Erst als er wieder ins Wohnzimmer ging, bemerkte er das weiterhin aufgebaute Hexenbrett.
 

 

„Hm... Ich gebe es Dôma einfach nächstes Mal mit“, murmelte Akaza zu sich selbst.
 

 

Er räumte es schnell zusammen, ließ es auf dem Tisch liegen und machte sich dann endlich bettfertig. Gähnend war sein letzter Weg vor dem Bett das Badezimmer, wo er sich das Gesicht wusch und blinzelnd in den Spiegel sah. Für den Hauch einer Sekunde glaubte er jemand anderes zu sehen.
 

 

Waren das rote Augen gewesen?
 

 

Ah, er war eindeutig übermüdet! Blöder Dôma, mit seinen blöden Überraschungen! Er verließ das Badezimmer und wagte nochmal einen Blick ins Wohnzimmer.
 

 

„Huh...“, machte er irritiert.
 

 

Hatte er das Hexenbrett nicht wieder zusammengepackt? Er runzelte für einen Moment die Stirn, seufzte nochmal auf und packte dieses Brett dieses Mal wirklich weg. Danach machte er sich direkt auf den Weg ins Schlafzimmer und fiel sogleich dort ins Bett. Endlich war es an der Zeit, zu schlafen.

Akaza zupfte die Decke über seinen Körper, drückte sein Gesicht ins Kissen und war so gut wie eingeschlafen, als ihn ein Geräusch aufweckte.
 

 

Ein Klirren. Zerbersten von Glas. Was?
 

 

Ächzend drückte sich Akaza wieder ein wenig hoch – was war das gewesen? Ein genervtes Geräusch entrann ihm, als er sich erneut aufrichtete, um sich die Augen zu reiben und dem Geräusch auf den Grund zu gehen. Murrend schaltete er das Licht im Wohnzimmer wieder ein und blinzelte dagegen. Dann fiel ihm die Vase auf, die Gyokko ihm irgendwann mal geschenkt hatte – jetzt lag sie am Boden, Scherben verteilten sich im Zimmer, sowie das Wasser und der Blumen darin.

Wie konnte das denn passieren?

Nun, er musste das aufräumen, doch bevor er sich daran machte, fiel ihm etwas anderes auf.
 

 

Das Hexenbrett lag wieder aufgebaut auf dem Tisch.
 

 

„Was zur . . .“
 

 

Akaza war sich zu 100 % sicher, dass er es zusammengepackt hatte. Beim ersten Mal war es noch wahrscheinlich gewesen, dass er es sich eingebildet hatte – doch beim zweiten Mal? Er hatte noch ganz genau vor Augen.
 

 

„Dôma! Wenn das ein scheiß Witz von dir ist, bringe ich dich um!“
 

 

Seine Drohung schien ins Leere zu gehen, aber Akaza vertraute dem nicht. Nur Dôma würde solche Streiche spielen und das machte es sein.

Was auch sonst?

Er knurrte leise vor sich, bevor er Zeug aus der Küche holte, um erst einmal die zerbrochene Vase aufzuräumen, das Wasser aufzuwischen und die ohnehin welkigen Blumen wegzuschmeißen. Sobald das erledigt war, räumte er das Hexenbrett zum dritten Mal weg.

Statt es im Wohnzimmer stehenzulassen, nahm er die Schachtel nun mit ins Schlafzimmer, so müsste man es erst einmal von dort holen, um es erneut aufzubauen.
 

 

Akaza atmete noch einmal tief durch, ehe er sich wieder ins Bett legte und die Decke überzog. Er betrachtete die Schachtel auf seinem Nachtschrank, schloss dann aber bald schon die Augen und spürte, wie er wieder in den Schlaf abdriftete. Das Gefühl ganz leicht zu werden überkam ihn mehr und mehr, doch wie zuvor-
 

 

RATSCH!
 

 

Ein Geräusch ließ seine Augen aufschlagen und ließ ihn sofort im Bett sitzen. Verschlafen sah er sich hektisch um. Er tastete nach dem Schalter seiner Nachttischlampe, welche ein schwaches Licht abgab. Dennoch musste Akaza dagegen blinzeln, um klar sehen zu können.
 

 

Das Hexenbrett war verschwunden.
 

 

Akaza sprang förmlich aus dem Bett und sah sich fast etwas panisch um. Wie konnte es einfach weg sein?
 

 

„Dôma! Hör auf mit dem Blödsinn!“
 

 

Das konnte doch jetzt nicht wahr sein! Beunruhigt verließ er sein Schlafzimmer und fand das Hexenbrett wieder – wie zuvor schon auf dem Wohnzimmertisch. Er atmete tief durch, rieb sich die müden Augen und entschied, dass er vielleicht einfach mitspielen sollte. Wenn Dôma seinen Spaß wollte, dann würde er ihn bekommen.

Schnaubend ging Akaza nun also wieder zu dem Brett, kniete sich vor den Tisch und legte genervt eine Hand an den Marker.
 

 

„Fein, was willst du?“
 

 

Dôma war nicht in der Nähe – niemand war es. Also wäre dieser Streich sicherlich bald beendet, denn dieses Ding könnte sich nicht ohne eine weitere Person bewe- . . . Es bewegte sich!
 

 

Nein.
 

 

„Nein?“, wiederholte er piepsig, die Stelle, auf welche der Marker zielte. „Du... willst also nichts?“

Dieses Mal zog sich der Marker über die verschiedenen Buchstaben, nur um ein D – O – C – H zu buchstabieren.

„Was willst du dann?“

H – I – L – F – E.

„Ich glaube nicht, dass ich dir helfen kann. Ich glaube auch nicht, dass man Geistern helfen sollte.“
 

 

Geister. So ein Unsinn. Als ob es so etwas wirklich gab. Doch irgendwie musste er sich den ganzen Unsinn ja erklären!

Akaza sah sich um, als erstmal keine weitere Reaktion kam, vielleicht hatte Dôma jetzt seinen Spaß gehabt – wenn es einer seiner Streiche war? Er fühlte sich weiterhin beunruhigt.
 

 

„Bist du noch da?“, fragte er zaghaft nach.

Der Marker zog sich deutlich auf das Ja.

„Okay, vielleicht solltest du einfach wieder gehen? Ins Reich der Toten oder woher du auch immer kommst?“

Akaza war nicht wirklich überrascht, als der Marker mit einem Ruck zum Nein schwankte und seufzte nur nochmal auf.

Doch statt nun wieder zu schweigen, schob sich der Marker weiter. Daher versuchte sich Akaza darauf zu fixieren, was ihm gezeigt wurde.

N – I – C – H – T T – O – T.

„Du... bist nicht tot? Nun, du musst es sein, wenn du über das Hexenbrett kommunizierst.“
 

 

Akaza verstand nicht ansatzweise, was hier vor sich ging, aber er war definitiv nicht bereit dazu, sich in den Wahnsinn treiben zu lassen. Nur schien dieses Hexenbrett stets zu ihm zurückzukommen und Hilfe zu verlangen.
 

 

„Fein, hast du irgendeinen Plan, wie ich dir helfen kann?“, fragte Akaza nach.
 

 

Sofort zog sich der Marker über das Brett zurück zu einem Ja. Anscheinend hatte dieser Geist nur darauf gewartet, diese Frage gestellt zu bekommen. Akaza würde seine Frage gerne wieder zurückziehen, denn er kannte haufenweise Horrorfilme und wusste ganz genau, wie das ausging.
 

 

Einige Leute würden sterben und er wurde von einem Geist besetzt. Andererseits war er schlauer als die Leute in Horrorfilmen, also . . .
 

 

„Gut, gehen wir es an.“
 

 

Es brauchte tatsächlich nur wenige Tage, damit sich Akaza daran gewöhnte, scheinbar einen Geist in seiner Wohnung zu haben. Nachdem er nach den ersten Nächten noch geglaubt hatte, er träumte einfach nur seltsam. Muzan war jedoch mehr als überzeugend damit, dass er wirklich existierte. Mittlerweile zerbrach der Geister aber keine Sachen mehr, stattdessen warf er ihm irgendwas an den Kopf.
 

 

War das besser? Akaza wusste es nicht.
 

 

Nun hatte er jedoch nicht nur damit zu tun, zur Arbeit zu gehen und seinen Alltag zu überstehen, er musste auch irgendwelche seltsamen Zutaten zusammensuchen. Zutaten, die sicherlich am Ende seinen eigenen Tod bedeuten würden.

Seine Unterhaltungen mit dem Geist sahen im Grunde immer gleich aus, auch weil es keine andere Möglichkeit gab. Es verlief immer über das Hexenbrett und war kurz und knapp. Akaza stellte Fragen und musste sich dann auf das konzentrieren, was ihm gezeigt wurde.

Geduld war nicht unbedingt eine Sache, welche der Geist zu besitzen schien und die zeigte er oftmals damit, dass er erneut Sachen nach Akaza warf.

 

Es könnte beleidigend sein, wenn es Akaza nicht irgendwie auch amüsieren würde.
 

 

Das alles führte jedenfalls dazu, dass er zu Weihnachten in seiner einsamen Wohnung saß. Hakuji hatte ihn natürlich eingeladen, aber Akaza hatte damit abgelehnt, dass er die Tage darauf vorbeikommen würde.

Er hatte das Hexenbrett bei sich und war umgeben von seltsamen Sachen – angefangen von Tierblut, bis zu chemischen Flüssigkeiten und einem weißen Hut. Als Akaza ihn sich spaßeshalber selbst aufgesetzt hatte, hatte es nicht lange gedauert, bis er vom Stuhl geschubst worden war.
 

 

Akaza konnte immer noch nicht wirklich glauben, was er hier alles machte. Wenn am Ende herauskäme, dass dies nach wie vor ein Witz von Dôma war, dann würde er diesen definitiv umbringen!
 

 

Das Rütteln am Hexenbrett machte im Grunde darauf aufmerksam, dass um ein Gespräch gebeten wurde. Vermutlich die klaren Anweisungen darüber, wie sie weiter fortfahren sollten. Auch wenn Akaza im Grunde alles machte, er musste nur aufschreiben, was Muzan da von sich gab, damit er es dann umsetzen konnte.

Er legte eine Hand an den Marker, damit Muzan anfangen konnte, ihm die Buchstaben zu zeigen und Worte zu formen, damit sie – mehr oder weniger gut – miteinander reden konnten.
 

 

„Ja, heute ist Weihnachten. Belauschst du etwa meine Telefonate?“
 

 

Der Gedanke war amüsierend und erschreckend zugleich. Er sollte besser nicht daran denken. Zumindest hatte sich der Geist frühzeitig gezeigt, immerhin lud Akaza auch gerne mal andere Personen bei sich ein und das nicht für Unterhaltungen.
 

 

„Du warst es, der so schnell wie möglich dieses Ritual durchführen wollte, also machen wir das jetzt auch. Ich hatte ohnehin nichts geplant. Weihnachten ist nicht so mein Fest.“
 

 

Was man wohl auch daran erkennen konnte, dass seine Wohnung überhaupt nicht geschmückt wurde. Er sah darin keinen Sinn, immerhin war er hier alleine und lud auch niemanden über Weihnachten ein. Es war wohl pures Glück für ihn, dass Dôma woanders feierte und nicht plötzlich hier auftauchte.
 

 

Wobei man bei Dôma mit allem rechnen sollte.
 

 

Als sich der Marker wieder begann zu bewegen, versuchte sich Akaza darauf zu konzentrieren, immerhin dachte er hierbei an Anweisungen, die wichtig wären für alles.
 

 

F – R – O – H – E W – E – I – H – N – A – C – H – T – E – N.
 

 

Akaza kam nicht umhin, die Augen zu verdrehen: „Jaja, dir auch, oder so. Ich hoffe, du hast nicht vor, meinen Körper zu besetzen.“
 

 

Aber selbst wenn – dann hätte er zumindest mal etwas Spannendes zu erzählen. Muzan's Antwort war jedoch recht deutlich, als sich der Marker auf das Nein zog. Das war beruhigend, auch wenn es natürlich weit hergeholt war, einem Geist zu vertrauen.
 

 

„Weißt du, wenn das alles funktioniert und du wirklich wieder leben kannst, sollten wir vielleicht auf ein Date gehen“, warf Akaza in die Luft.
 

 

D – A – T – E.
 

 

„Eine Verabredung“, führte er weiter aus, um den Geist zu erklären, was er gemeint hatte.
 

 

Es war wohl so ziemlich verrückt einen Geist so etwas zu fragen. Akaza wusste nicht einmal aus welchem Zeitalter dieser kam und inwiefern dieser vielleicht verheiratet gewesen war. Andererseits war dieser Verrückheitslevel gerade genau das, was Akaza ausmachte.
 

 

Und als er ein Ja zur Antwort bekam, fühlte es sich gar nicht so verrückt an.

Christbaumkugeljongleur [Dôma x Akaza]

Wenn Dôma etwas war, dann ein Magnet für Herzen und begeisterte Gesichter. Akaza hatte diese Erfahrung bereits früh gemacht. Als Dôma angestellt worden war, um all die Design- und Werbeideen an den Mann zu bringen, hatte Akaza nicht viel von ihm gehalten. Ein Dauerstrahlen, verbunden mit unschuldigen Augen, die klimperten und dem Bedürfnis nach körperlicher Nähe? Für Akaza waren das eindeutige Anzeichen dafür gewesen, diesen Mann nicht zu mögen.

 

Dann hatte er gesehen, wie Dôma präsentierte, ihren Kunden Honig ums Maul schmierte und dabei so unglaublich verzückt wirkte, dass man sich im Grunde nur in ihn verlieben konnte.

 

Seitdem Dôma bei ihnen arbeitete, machten sie mehr Gewinne als je zuvor. Akaza verstand also vollkommen, dass Dôma für ihre Firma äußerst wichtig war. Endlich bekamen sie größere, aufwendigere Aufträge und konnten wachsen. Für Akaza war das ebenfalls großartig, dafür konnte er über Dôma als Kollegen hinwegsehen.

Aus irgendwelchen Gründen, die er nicht ganz nachvollziehen konnte, wurde er jedoch zum Lieblingskollegen gekrönt und es verging kein Tag ohne Dôma.

Vielleicht hatte sich über ein-zwei Jahre auch eine Freundschaft aufgebaut. Immerhin musste Akaza jedes Mal mit in Restaurants oder Bars, die Dôma austesten oder einfach besuchen wollte. Und nicht selten musste Akaza Dôma dann auch mit nach Hause nehmen, weil dieser etwas zu viel getrunken hatte.

 

Akaza hatte jedoch auch mitangesehen, wie manipulativ und furchtbar Dôma sein konnte. Wie er Witze über Personen riss – sei es ihr Aussehen, ihre Art zu denken oder ihr Glauben – und sie lächerlich machte. Dabei tat er dies nicht einmal heimlich, sondern genau vor deren Augen.

In Dôma hatten sich ein Engel und ein Dämon getroffen und wer gerade am Steuer saß, wusste man erst, wenn man bereits voll in einem Gespräch gefangen war.

Akaza hatte kein Problem damit, dem Kerl eine Kopfnuss zu verpassen oder zu schlagen, wenn er ihm zu sehr auf den Sack ging, aber dies konnte er natürlich nicht immer machen oder nicht zu übertrieben. Dabei würde eine Gehirnerschütterung vielleicht dabei helfen, dass er anfing, freundlicher zu jedem zu sein – immer!

 

Er war sich ziemlich sicher, dass hinter diesem scheinbar plötzlichen Sinneswandel mehr steckte, als nur ein hässlicher Charakter, aber er war kein Psychologe und Dôma tat nicht wirklich anderen weh. Zumindest nicht körperlich. Selbst wenn er sich lustig über etwas oder jemanden machte oder ehrlich darüber redete, konnte man es kaum beleidigend nennen – es schien rational zu sein, aber eben eiskalt und direkt.

Genau deshalb war er vermutlich in seinem Job so gut – er sprach eben auch die unschöne Wahrheit aus oder verschleierte sie perfekt.

 

Das alles erklärte vermutlich nicht, weshalb sie genau hier waren.

 

„Ich freue mich so sehr, deine Familie kennenzulernen, Akaza-dono!“, zwitscherte Dôma mit einem Strahlen, das verboten gehörte.

 

„Du musst nicht so übertreiben“, brummte Akaza.

 

Weihnachten stand vor der Tür und natürlich sollte er zurück in sein Heimatdorf kommen, wo seine Familie feiern wollte. Seine Familie war hierbei nur zum Teil richtig. Seine Eltern waren früh gestorben und auch seine Großeltern hatten es nicht mehr lange gemacht. Adoptiert wurde er von einem Mann, der ein Dojo leitete.

Akaza wusste nicht wirklich, wieso Keizo so gutherzig war. Nicht nur, dass er Akaza aufgenommen hatte, er hatte auch Hakuji aufgenommen. Seinen Zwillingsbruder. Man musste wohl anmerken, dass Hakuji definitiv die bessere Wahl für alles war, da Akaza schon früh für Ärger gesorgt hatte.

Heute war Hakuji verheiratet mit Koyuki – die Tochter von Keizo, welche für Akaza immer eine Schwester gewesen war. Sie hatten ein gutes Verhältnis zueinander, aber sich ein wenig auseinander gelebt über die Zeit. Immerhin war Akaza in die große Stadt gezogen, um seinen Traumberuf als Designer nachzukommen, während Hakuji im kleinen Dorf blieb, um das Dojo von Keizo weiterzuführen.

 

Sie sahen sich zu bestimmten Feiertagen wieder und Weihnachten gehörte dazu. Im Allgemeinen war das immer schön und gemütlich, doch Akaza konnte sich nicht vor Fragen retten, die in sein Liebesleben führten.

 

Bis auf seine Schwärmerei für Kyojuro, welcher damals in der Nähe von Keizo's Dojo gelebt hatte, gab es da nicht viel zu erzählen. Vermutlich würde er auch jetzt noch für Kyojuro schwärmen, aber leider war dieser weggezogen, um ebenfalls seinem Traumberuf zu folgen – Lehrer. Wie man so etwas werden wollte, war für Akaza fragwürdig, aber gleichzeitig passte es perfekt zu Kyojuro.

 

Da aus dieser Schwärmerei nie etwas geworden war – wegen Akaza's schüchternen, jüngeren Ich – war er nicht völlig unschuldig, aber romantisch sehr unerfahren. Er hatte nie eine Beziehung angesprochen, nie jemanden mitgebracht und er war es Leid.

Hakuji riss Witze darüber, Keizo redete über die ganzen jungen Frauen, die noch jemanden suchten, Koyuki würde ihn mitleidig ansehen und gleichzeitig versuchen, vor allem zu bewahren.

 

Und das ganze drei Tage oder sogar länger.

 

Dôma war da keine wirkliche Rettung, doch Akaza hoffte wirklich, dass dieser etwas mehr Ablenkung hereinbringen würde. Vor allem, da die sonst so kleine Familienfeier unangenehm größer werden würde.

Groß war an dieser Stelle wohl zu viel des Guten, aber das, was sich Akaza vorstellte, war zu viel für sein schnell genervtes Ich. Keizo's Schwester würde samt ihren drei kleinen Bälgern auftauchen. Natürlich schleppte sie auch ihren Mann mit und den Bruder ihres Mannes, der dafür seine Frau mitschleppte, samt weiteren Kindern in verschiedenen Altersgruppen.

Für Akaza klang das nach einem Albtraum!

 

„Ach, ich wette, es wird wundervoll und spaßig!“, meinte Dôma immer noch strahlend.

 

Akaza hatte Dôma als Ablenkung mitgenommen, auch wenn es vielleicht schwieriger wäre zu erklären, dass sie einfach nur Kollegen und Freunde waren, als sich den nervigen Fragen hinzugeben. Doch noch etwas anderes hatte ihn dazu gebracht, Dôma einzuladen. Die Information darüber, dass Dôma ansonsten alleine wäre. Angeblich besaß er keine Familie und wollte sich nirgendwo einfach einladen.

Ihm war bewusst, dass Dôma ein Lügner war – hin und wieder zumindest – doch er wusste nicht, wann er mal die Wahrheit ansprach. Was Akaza jedoch wusste, war, dass er nie etwas über eine Familie mitbekommen hatte – weder gab es Bilder noch Geschichten darüber. Es schien, als wäre sie für Dôma nicht existent, und vielleicht war es auch so?

 

„Werden wir sehen“, seufzte Akaza leise.

 

Und dann waren sie auch schon da. Der Bus ließ sie unweit vom Dojo seines Adoptivvaters heraus und die letzten Meter zu laufen war nicht anstrengend. Außer man war Dôma und verbrachte sein Leben gerne damit zu jammern.

 

„Du hättest mir sagen können, dass wir Bergsteigen müssen!“

 

„Das ist ein mickriger Hügel!“

 

„Meine Beine tun weeeeeh!“

 

„Stelle dich nicht so an!“

 

Akaza konnte nicht fassen, dass Dôma wegen einer minimalen Erhöhung anfing ihm in den Ohren zu liegen! Er war mehr als erleichtert als sie ankamen und ohne weiteres ging er zum Eingangsbereich, um die Klingel zu betätigen. Lange musste er nicht warten, bis die Tür geöffnet wurde.

 

„Akaza! Da bist du ja!“, Koyuki warf sich kichernd an seinen Hals, hinter ihr erschien auch Hakuji, der beschützende Ehemann, der er war.

 

Akaza erwiderte die Umarmung lächelnd: „Ja, der Bus hatte eine kleine Verspätung. Sind alle anderen schon da?“

 

„Natürlich sind sie das. Sie sind gestern schon angereist“, antwortete Hakuji.

 

Er musste alles tun, um nicht das Gesicht zu verziehen, wenn er daran dachte, alle zu begrüßen.

 

„Und du hast ja wirklich jemanden mitgebracht“, sprach Koyuki wieder an.

 

Was im Grunde alles war, was Dôma benötigte, um sich ins Rampenlicht zu drängen, nicht dass es Akaza etwas ausmachte.

 

„Hallo! Es freut mich so sehr, euch kennenzulernen!“, lachte Dôma auf. „Mein Name ist Dôma! Wow! Hast du eigentlich auch dunkles Haar, Akaza-dono? Auf allen Bildern, die ich von dir gesehen habe, hattest du immer schon pinkes Haar! Und du musst Koyuki sein, dein Kimono ist ja einfach bezaubernd!“

 

Akaza sah, wie Koyuki sofort ein wenig Dôma verfiel, piepste und kicherte und ganz erfreut von der offenen und gesprächigen Art war, die Dôma an den Tag legte. Hakuji hingegen wirkte fast etwas missmutig und grummelig.

 

„Kommt rein, es ist ja schon sehr kalt draußen“, meinte Koyuki nun freundlich, während sie Dôma an die Hand nahm und mit sich zog.

 

Akaza folgte natürlich und sobald sie Jacken und Schuhe losgeworden waren, landete ihr kleines Gepäck für die nächsten Tage erstmal dorthin, wo es nicht weiter stören würde. Dôma schaffte es die ganze Zeit über, mit Koyuki zu sprechen, und Akaza verlor den Faden irgendwo zwischen Haarnadeln und Ohrringen. Was ihm nicht entfiel, war Hakuji's weiterhin grummeliger Blick.

 

„Entspannt dich. Dôma steht auf Typen“, meinte Akaza im Vorbeigehen, sodass er hinter seiner Schwägerin und seinem Kollegen im Hauptraum auftauchte, wo es bereits nach Sake roch und das Geplapper von Kindern nicht einmal das Lauteste hier im Zimmer war.
 

 

Schon jetzt empfand er dieses ganze Setting als äußerst anstrengend, aber Dôma fühlte sich offenbar pudelwohl. Lächelnd lief er umher, schüttelte Hände, stellte sich vor, gab das eine oder andere Kompliment von sich und lachte in den perfekten Momenten. Er hockte sich vor die Kinder, welche beeindruckt waren von seinen Augen und tätschelte sanft ihre Köpfe.

Dôma war wesentlich besser hierbei, als Akaza es war. Er vermied jeglichen Körperkontakt, während er dennoch alle begrüßte und versuchte sich die Namen der Kinder zu merken – die er aber sofort vergaß, sobald er sich abgewandt hatte.
 

 

Da sie nun ebenfalls da waren, wurde jedoch das alljährliche Schmücken vom Weihnachtsbaum eingeläutet. Eine Sache, die sie eigentlich alle gemeinsam machten, doch meistens waren es die Kinder, die es übernahmen und die Erwachsenen unterhielten sich, während sie aufpassten, dass sich niemand verletzte.

Mit Dôma als Gast veränderte sich das minimal.
 

 

„Oh-oh! Ich helfe euch beim Schmücken, einverstanden?“, fragte er die ganzen Kinder mit einem meisterhaften Hundeblick.
 

 

Den es vermutlich nicht brauchte, denn es piepste aus jeder Ecke ein fröhliches Ja und jedes Kind war prompt damit beschäftigt, Dôma so ziemlich alles vor die Nase zu halten, was es in den Kartons gab. Natürlich lobte und schwärme Dôma über alles und schlug Plätze vor, wo etwas besonders gut zur Geltung kommen würde. Es war so, als würde Dôma den ganzen Tag nichts anderes tun.
 

 

„Wie süß er mit den Kindern umgeht“, schwärmte Koyuki sofort lächelnd, während sie Hakuji's Hand drückte.
 

 

„Er scheint das genaue Gegenteil von unserem Akaza zu sein“, lachte Keizo auf, während er ihm auf die Schulter schlug.
 

 

Akaza grummelte auf, um zu zeigen, dass er es gehört hatte und . . . um zu grummeln.
 

 

Hakuji's Blick in seine Richtung sagte im Grunde schon genug, aber natürlich musste er es für alle laut aussprechen: „Nun, Gegensätze ziehen sich an. Willst du uns nicht von Dôma erzählen, Akaza?“
 

 

„Da gibt es nichts zu erzählen“, antwortete er ausweichend.
 

 

„Wie habt ihr euch kennengelernt? Seid ihr ein Paar? Ihr wärt so süß als Paar!“
 

 

Akaza sah entsetzt zu Koyuki, welche sich davon aber nicht irritieren ließ und jetzt wo die beiden angefangen hatten, stieg der Rest der Familie mit allerlei Fragen oder Schwärmereien ein.
 

 

Wegen so etwas hatte er Dôma doch nicht eingeladen!
 

 

Mit jeder Frage mehr wurde es schwieriger ihnen auszuweichen oder abzuweisen, vor allem da Hakuji alles genaustens hinterfragte, um Akaza in Verlegenheit zu bringen. Dôma der zwischendurch zu ihnen kam und sich dabei stets hinter Akazas Stuhl stellte, war da auch keine Hilfe. Akaza kannte es gar nicht anders, als das Dôma seine Nähe suchte, aber für alle hier, war das natürlich ein deutliches Zeichen!
 

 

„Ich . . . brauche frische Luft!“
 

 

Akaza ließ seiner Verwandtschaft nicht die Gelegenheit, ihm dazwischenzufunken. Prompt stand er auf und floh förmlich durch die nächste Tür in den Gartenbereich, um durchzuatmen.

Vielleicht hätte er sich lieber durch Fragen quälen sollen, über ein nicht vorhandenes Liebesleben, anstatt sich Fragen anzuhören, ob er nicht mit Dôma zusammen war. Er hatte nicht damit gerechnet, dass man sie als mehr, als nur Freunde ansehen würde. Andererseits war Dôma ihm immer schon auf die Pelle gerückt.

Seufzend entfernte er sich etwas mehr von der Tür und setzte sich an den Rand der Engawa, von wo aus er einen guten Blick durch die Fenster hatte. Er schnaubte leise, als er sah, wie Dôma Kinder hochhob, damit diese Sache an den Baum hängen könnten. Als dieser dann plötzlich anfing, die Kugeln durch die Luft zu werfen, verdrehte Akaza die Augen.
 

 

Natürlich konnte dieser Idiot auch Jonglieren.
 

 

Innerlich betete Akaza dafür, dass keine der Kugeln zerbrechen würde, weil Dôma sie doch noch fallen ließ. Leider war es diesem mehr als nur zuzutrauen. Deshalb wandte Akaza den Blick lieber wieder schnell ab, um das Unheil nicht zu sehen, welches eventuell geschehen würde.

Vielleicht war seine eilige Flucht für seine Verwandtschaft eher Grund, weiteren Fantasiegespenstern nachzujagen, als auf den Boden der Tatsache zurückzukommen. Sicherlich würde Akaza das miterleben, sobald er wieder zum Essen hineinging und die Fragerunde weitergehen würde. Solange wie möglich würde er sich nun aber hier draußen versteckt halten.
 

 

„Akaza-dono!“
 

 

Dôma's Klagen waren deutlich zu hören, als dieser plötzlich die Tür aufriss. Akaza zuckte ein wenig zusammen, als er sich gerade umdrehte. Noch ehe er Dôma sehen konnte, warf dieser sich fast von hinten auf ihn und ließ Akaza ächzen.
 

 

„Dôma!“, beschwerte er sich sofort. „Du bist schwer!“
 

 

„Und du bist einfach herausgegangen!“
 

 

„Ich hatte nicht das Gefühl, als würde es dich stören.“
 

 

Immerhin war Dôma beschäftigt gewesen, mit den Kindern und dem Baumschmuck. Offensichtlich war ihm das aber nicht genug, wenn Akaza ihn nicht dabei beobachtete.
 

 

„Du hast meine Showeinlage verpasst!“, warf Dôma schmollend ein.
 

 

„Du musst das Jonglieren?“
 

 

Irritiert sah sein Kollege ihn an, ehe er strahlte: „Du hast es ja doch gesehen!“
 

 

„Ja, durch das Fenster und ich habe weggesehen, weil ich nicht mitansehen wollte, wie du alles kaputt machst.“
 

 

„Wie fies, ich bin sehr geschickt!“, behauptete Dôma sofort, während er sich mittlerweile neben ihn gesetzt hatte – viel zu nahe.
 

 

Akaza war das gewohnt, deshalb machte er sich auch nie etwas daraus, aber vielleicht konnte er nachvollziehen, dass seine Familie bereits mehr zwischen sie sah. Immerhin brachte Akaza zum ersten Mal jemanden mit und dann rückte dieser ihm die ganze Zeit auf die Pelle.
 

 

„Warum bist du hier draußen? Es ist arschkalt!“
 

 

„Ah, ist mir zu viel da drinnen geworden“, antwortete Akaza, da nahm er wesentlich lieber die Kälte. „Und du solltest aufhören Koyuki anzuflirten, Hakuji tötet dich bereits mit Blicken.“
 

 

„Ich flirte nicht mit ihr, ich unterhalte mich ganz normal“, schnaubte Dôma.
 

 

Leider wusste Akaza, dass dies der Fall war. Nur sein Zwilling konnte das nicht einschätzen, völlig egal, wie oft Akaza ihm sagen würde, dass Dôma schwul war. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht einmal, ob Dôma zu 100 % schwul war. Immerhin sah er oft, wie dieser auch mit Frauen flirtete oder über ihre Schönheit träumte . . . Nun, es war definitiv nicht Akaza's Angelegenheit.
 

 

„Wie auch immer“, sagte Dôma an dieser Stelle auch entspannt. „Deine Familie ist echt freundlich, Akaza-dono!“
 

 

„Du solltest diesen -dono echt lassen, ich bin doch kein König oder so.“
 

 

„Aber ich mag es, dich so zu nennen!“
 

 

Akaza verdrehte die Augen: „Wenn du das so empfinden willst. Meine Familie scheint dich auch zu mögen. Sie sind geradezu begeistert davon, wie du mit den Kindern umgehst.“
 

 

„Oh, sie sind ja auch alle so süß und liebenswert! Ich wünschte, ich hätte Geschwister gehabt! Wobei es wohl anders ist, wenn man Geschwister hat, also sollte ich mir wohl doch keine wünschen! Dann könnte ich jetzt auch nicht hier sein und mit dir Weihnachten feiern!“
 

 

„Solltest du dich nicht eher darüber freuen, bei deiner Familie zu sein? Feiert sie kein Weihnachten oder so?“
 

 

„Hm? Oh, nein. Ich habe einfach keine Familie“, zuckte Dôma glucksend mit den Schultern.
 

 

„Jeder hat eine Familie, wie bist du sonst auf die Welt gekommen?“
 

 

„Ganz einfach, ich wurde in dieser Perfektion erschaffen, die ich jetzt ausstrahlen kann!“
 

 

Akaza schnaubte amüsiert: „Perfektion? Davon sehe ich aber nichts.“
 

 

„Du bist immer so gemein zu mir, Akaza-dono!“

Und plötzlich warfen sich die Arme von Dôma wieder um ihn, was Akaza erneut die Augen verdrehen ließ.

„Aber ich weiß, dass du mir so nur deine Liebe zeigst!“
 

 

„Ich hör' wohl nicht richtig!“ Akaza blies die Wangen auf, aber kaum getan, drückte Dôma ihm sogar einen Kuss auf die Wange und lachte dabei.

Es sollte ihn wohl nicht wundern, wenn seine ganze Familie wirklich davon überzeugt wäre, dass sie ein Paar waren. Er konnte förmlich die Blicke vom Fenster aus spüren.

„Nächstes Jahr nehme ich dich nicht mit.“
 

 

„Du willst also, dass ich Weihnachten einsam und allein verbringe?“
 

 

„Du bist nie lange einsam und allein, wenn du es nicht sein willst.“
 

 

„Ja, weil unsere Mitmenschen meine Perfektion anerkennen. Vielleicht musst du mich ja gar nicht mitnehmen, weil ich einfach eine eigene Einladung von Koyuki bekomme“, kicherte Dôma.
 

 

Und leider war auch das für Akaza vorstellbar.

Familienfeiern und andere Katastrophen [Akaza x Kyojuro]

Es war noch nicht lange her, dass sie es geschafft hatten, Muzan Kibutsuji vernichtend zu schlagen. Es war für ihre Seite beunruhigend gut ausgegangen und ihnen war sicherlich allen bewusst, dass einer der Gründe dafür die Zusammenarbeit mit dem einen oder anderen Dämon gewesen war. Nicht jeder Dämonenjäger stimmte da einfach zu oder hieß diese Veränderung willkommen, aber sie hätten es im Kampf wesentlich schwerer gehabt, ohne die dämonische Mithilfe.

 

Ihr wohl größtes Ass war dabei Upper Moon Three gewesen.

 

Mit dessen unglaublicher Stärke, seinem Kampfgeist und Wissen, hatten sie es geschafft Muzan Kibutsuji und dessen Anhänger und Gefolge zu besiegen. Doch dadurch hatte sich nicht das Aussterben der Dämonen gesichert. Sie existierten weiterhin und sie alle mussten weiterhin Jagd auf sie machen. Bislang waren sie sich jedoch zumindest darin sicher, dass es keine neuen Dämonen geben würde – vielleicht würde sich dieses Wissen aber nochmal wandeln.

 

Doch um sich darüber Sorgen zu machen, hatten sie an anderer Stelle wieder Zeit. Heute gab es andere Probleme zu bewältigen.

 

Kyojuro war kein Mann, der sich vor Konflikten scheute. Ihm war Harmonie immer lieber. Manchmal musste man jedoch einen Konflikt eingehen, damit es danach Frieden geben konnte, ohne irgendeiner Anspannung. Dennoch war es heute definitiv nicht leicht zu händeln.

 

Es wäre das erste richtige Aufeinandertreffen von seiner Familie mit seinem Freund.

 

Zu erklären, wann sich das Gefühl gebildet hatte, wäre eindeutig zu komplex. Kyojuro wusste nur, dass von einem überwältigenden Hass nichts mehr zu spüren war – mit seltsamer Leichtigkeit hatte Akaza diese Gefühle verdreht. Es gab nichts, außer einer brütenden Liebe in seinem Brustkorb, die er für diesen Dämon empfand.

Trotz zahlreicher Bemühungen war es ihnen bislang nicht gelungen, Dämonen zurückzuverwandeln, und die weiteren Forschungen wurden auf das kommende Jahr verschoben – oder zumindest auf den Zeitraum, nachdem Weihnachten als beendet gelten würde. Normalerweise waren solche Tage nicht unbedingt eine Befreiung für Hashira's oder andere Dämonenjäger, doch nach dem großen Kampf gegen Kibutsuji, erlaubten sie sich alle eine kleine Pause.

 

Solche freien Tage verbrachte Kyojuro am liebsten mit seiner Familie oder seinen Freunden – mittlerweile auch äußerst gerne alleine mit Akaza. Doch heute war es etwas Besonderes.

 

Nach dem Tod ihrer Mutter hatten sie Weihnachten nie besonders zelebriert, auch weil Kyojuro nicht oft freibekam, um irgendwas mit Senjuro zu zelebrieren. Doch jetzt, wo der große Kampf gegen Kibutsuji vorbei war, hatten sich eben auch andere Dinge verändert. Sein Vater hatte bei dem Kampf mitgeholfen und sich von seiner Sucht nach Sake gelöst. Es war lange nicht alles so gut wie einst mal, aber es besserte sich. Kyojuro war sehr stolz auf seinen Vater und er war auch stolz darauf, dass sie nun bereit waren, Weihnachten richtig zu feiern.

Doch er wollte Weihnachten mit all seinen Liebsten feiern und dazu gehörte jetzt definitiv auch Akaza. Vor allem auch deshalb, weil Akaza eben niemanden hatte, mit dem er es sonst feiern könnte. Die Alternative wäre wohl Tomioka gewesen, und davon wäre am Ende doch niemand begeistert.

 

Natürlich hatte Kyojuro bereits seinen Bruder, genauso wie seinen Vater, darüber informiert, dass er Akaza mitbringen würde. Die Reaktionen waren sehr verschieden gewesen. Senjuro war nachgiebiger und nach ein paar Fragen und Gesprächen war er mehr als bereit dazu, Akaza als einen Teil ihrer Familie anzusehen und sich freundlich ihm gegenüber zu verhalten.

Aber Senjuro war in seinen Augen nie das Problem gewesen.

Die Meinung seines Vaters hatte anders ausgesehen. Zuerst hatte er mit einem leeren Blick in die Ferne gestarrt und jede Unterhaltung abgeblockt. Dann war es bis hin zur Wut übergegangen.

 

Sein Vater war definitiv nicht bereit dazu, einem Dämon zu verzeihen, der Kyojuro beinahe umgebracht hätte.

 

Kyojuro konnte es teilweise nachvollziehen, wenn er an Senjuro dachte, und er war froh darüber, dass dieser keinerlei romantische Interessen besaß. Zumindest soweit er es bislang wusste. Dennoch half es nicht, sich zu entspannen.

 

„Du hättest ruhig drinnen warten können.“

 

Kyojuro schrak aus all seinen Gedankengängen, als ihm eine neckische Stimme diese Worte direkt ins Ohr sagte.

 

„Akaza …“

 

„Du solltest deine Sicherheit nicht außer Acht lassen! Ich hätte dich ganz einfach umbringen können!“

 

Kyojuro drehte sich zu dem Dämon und blinzelte ihm strahlend entgegen. Ihnen war beiden bewusst, dass Akaza auch so eine ganz schöne Gefahr darstellte, auch wenn Kyojuro vorbereitet wäre. Doch darum ging es nicht.

 

„Sieh mich nicht so an, ich meine es ernst! Du musst besser auf dich aufpassen, wenn du alleine unterwegs bist!“

 

„Aber du bist ja bei mir und wirst immer auf mich aufpassen“, flötete Kyojuro schmunzelnd.

 

Er ignorierte, wie Akaza die Augen verdrehte, und griff einfach nach den Händen des Dämons. Die Haut von Dämonen war eiskalt, aber gerade gab es kaum einen Unterschied. Die Temperaturen waren ganz allgemein nicht sonderlich hoch, also hätte Kyojuro wohl wirklich im Haus warten sollen. Sein Vorhaben hieran war natürlich, dass sie sich kurz vorab unter vier Augen sehen und sprechen konnten.

Aber das Sprechen verschob sich nach hinten, als Akaza sich ihm stattdessen entgegenstreckte und ihre Lippen sich prompt trafen. Ohne ein Zögern fielen Kyojuro's Augenlider zu und er streckte sich den kalten Lippen des Dämons entgegen.

 

Natürlich war es ziemlich kühl, vor allem mit einem Dämon, der selbst eine sehr kalte Körpertemperatur hatte. Doch Kyojuro hatte – vielleicht wegen seiner Flammenatmung oder auch aus einem anderen Grund – immer schon eine etwas höhere Körpertemperatur. Die Kälte machte ihm also gefühlt weniger aus, als es bei anderen Personen der Fall wäre?

 

Vielleicht redete er es sich auch nur ein.

 

„Wir sollten jetzt wirklich hereingehen“, merkte Kyojuro nach ein paar weiteren Küssen an, die ungewöhnlich unschuldig für sie waren.

 

Normalerweise war es wirklich schwer, Akaza davon abzuhalten, seine Unterlippe aufzubeißen oder überhaupt Luft zwischendurch zu holen. Kyojuro brauchte den Sauerstoff und Akaza meckerte nicht selten darüber.

 

„Hah...“, seufzte der Dämon. „Wollen wir nicht doch lieber alleine feiern?“

 

Mit so einem Vorschlag hatte Kyojuro eigentlich schon wesentlich früher gerechnet, bisher war es überraschend, dass Akaza einfach zugestimmt hatte. Vielleicht holte die Nervosität jetzt ein, als er bemerkte, dass Kyojuro es ernst meinte. Er war ja ein wenig froh darüber, dass er sich nicht Akaza's Familie stellen müsste. Und gleichzeitig würde er nur zu gerne zeigen, was für ein großartiger Schwiegersohn er doch wäre!

 

„Dafür ist es jetzt wirklich zu spät. Meine Familie weiß doch schon, dass du dabei sein wirst. Senjuro hat alles vorbereitet und freut sich schon auf dich!“

 

Na gut, freuen war vielleicht zu viel des Guten.

 

„Na schön“, seufzte Akaza nicht überzeugt. „Dann geh voraus.“

 

Kyojuro hatte nicht vor, dem Dämon den Rücken zuzuwenden, denn er traute es Akaza durchaus zu, einfach abzuhauen. Deshalb behielt er eine Hand von Akaza in seiner und zog ihn an dieser dann auch schon mit sich, damit sie den Abstand zum Anwesen überwinden konnten.

 

„Du weißt, was ich dir alles gesagt habe, oder?“

 

„Ja doch“, verdrehte der Dämon die Augen. „Ich werde alles Mögliche tun, um nicht bedrohlich zu wirken und halte mich zurück, auch wenn dein Arsch von Vater sich daneben benimmt.“
 

 

Und es ging los...
 

 

„Akaza, bitte-“
 

 

„Was denn? Solange er nicht da ist, kann ich doch sagen, was ich will!“
 

 

„Mein Vater hat sehr gute Ohren, also würde ich dich darum bitten dies nicht so auf die leichte Schulter zu nehmen!“
 

 

Akaza sah nicht so aus, als würde er es ihm glauben. Dass er nichts weiter dazu sagte, gab Kyojuro aber ein wenig die Hoffnung, dass er dennoch brav sein würde. Auch wenn er Kyojuro's Vorschlag – oder eher Wunsch – mal etwas anderes anzuziehen offenbar ignoriert hatte. Er trug seine bekannte Weste und seine – ein wenig zu tief sitzende – Hose mit dem Gürtel, an welchem die Quasten hingen. Kyojuro hatte nichts gegen dieses Outfit. Schon gar nicht, wenn sie sich mal näher kamen. Für eine Familienfeier war es aber nicht wirklich angebracht...
 

 

Dennoch öffnete er nun die Tür zu seinem Zuhause, damit sie gemeinsam eintreten konnten. Kyojuro wurde seine Schuhe los, während Akaza auch solche nicht trug.
 

 

„Anieu!“, fiepste Senjuro als er in den Flur trat.
 

 

„Senjuro“, erwiderte Kyojuro sofort lächelnd, während er Akaza weiterhin mit sich zog. „Das hier ist Akaza. Akaza, das ist mein jüngerer Bruder – Senjuro.“
 

 

Er bekam fast einen Herzinfarkt, als Akaza einfach nach vorne griff und ein paar lockere Haarsträhnen von Senjuro durch seine Finger gleiten ließ. Sein jüngerer Bruder fiepste ebenfalls erschrocken auf und weitete die Augen verunsichert.
 

 

„… Du hast nicht gelogen, als du meintest, das Haar läge in der Familie.“
 

 

„Ich würde niemals lügen, Akaza“, schnaubte Kyojuro, während er dennoch nach Akazas Hand griff, um Senjuro's Haar aus dessen Griff zu befreien, der glücklicherweise recht sanft war.
 

 

„Uhm... freut mich sehr dich kennenzulernen Akaza-san!“
 

 

„Akaza reicht aus“, meinte der Dämon direkt. „Senjuro“, ließ er sich dann über der Zunge zergehen und runzelte dabei etwas die Stirn. „…Kyojuro klingt besser.“
 

 

„Du bist nicht hier, um unsere Namen zu bewerten“, schnaubte Kyojuro, während er lächelnd die Schulter seines Bruders tätschelte, damit sich dieser nun auch etwas mehr entspannte. „Lasst uns weitergehen. Wo ist denn Vater?“
 

 

„Er wartet bereits am Tisch“, antwortete Senjuro.
 

 

Das erklärte nur noch mehr die Verunsicherung seines Bruders. Es ließ Kyojuro aber mehr denn je hoffen, dass sein Vater nicht mitbekommen hatte, wie negativ Akaza derzeit noch dachte. Es war nicht leicht gewesen, seinen Vater davon zu überzeugen, dass Akaza mit ihnen feiern durfte. Vermutlich hatte er sich nur einverstanden gezeigt, weil er mit seinen Söhnen feiern wollte. Das erste gemeinsame Weihnachten, ohne Sake oder irgendeiner Ignoranz.

Kyojuro hatte sich darüber gefreut, immerhin hatten Familienfeierlichkeiten bisher ohne ihren Vater auskommen müssen. Jetzt war nicht nur ihr Vater bereit dazu, es gab sogar eine weitere wichtige Person in seinem Leben – in Form von Akaza.
 

 

„Dann gehen wir doch gleich zu ihm!“
 

 

Kyojuro gab sich mutiger und optimistischer als er eigentlich war, aber er versuchte es vor allem wegen Senjuro auszustrahlen. Dieser nickte ein wenig und ging voraus, damit sie ins Hauptzimmer gehen konnten, wo bereits der Tisch stand, mit Geschirr eingedeckt, fehlte nur noch das Essen an sich. Es war bereits hübsch geschmückt worden, man konnte Weihnachten förmlich fühlen, aber ebenso lag etwas Anspannung in der Luft, die nicht so leicht zu bekämpfen wäre.

Ihr Vater saß, wie von Senjuro gesagt, am Tisch und starrte fast etwas finster vor sich hin. Das war definitiv kein guter Einstieg in diese Sache.
 

 

„Otou-san“, sprach Kyojuro ihn dennoch lächelnd an, während er Akaza an der Hand mit sich zog. „Ich habe Akaza mitgebracht.“
 

 

„Hmpf“, grunzte Shinjuro unzufrieden.
 

 

Kyojuro war erleichtert, dass es hier dennoch nicht nach Sake roch. Es schien, als würde diese Unzufriedenheit nicht direkt für einen Rückfall sorgen. Die Augen, welche denen von Kyojuro so ähnlich und doch ganz anders waren, richteten sich wütend auf Akaza, welcher das ziemlich entspannt hinnahm.

Wenn man bedachte, dass dieser jahrhundertelang unter dem Dämonenkönig gedient hatte, war das wohl keine Überraschung.

Als weiterhin Ruhe herrschte, fühlte sich auch Kyojuro langsam unwohler, also sah er zu Akaza.
 

 

„Äh...Akaza, das ist mein Vater“, versuchte er also den Dämon zum Reden zu bringen.
 

 

„Hmhm.“
 

 

Akaza machte es ihm allerdings nicht sonderlich einfach. Kyojuro sah zu Senjuro, welcher nur noch verunsicherter wirkte. Natürlich hatte er mit so etwas gerechnet, aber sein Optimismus hatte ihn hoffen lassen, dass alles viel besser ausgehen würde.
 

 

„Setz dich doch hierher, Akaza“, er drückte den Dämon an seinen fast nackten Schultern auf eines der Kissen am Boden. „Ich werde dann neben dir sitzen.“ Natürlich würde er das. Er ließ seine Hände auch nachdem er Akaza heruntergedrückt hatte, noch auf dessen Schultern liegen und versuchte durch sanftes Reiben die Muskeln zu entspannen. „Ich werde Senjuro dabei helfen, alles herüberzutragen.“
 

 

Kyojuro hoffte einfach, dass es hier keinen Mord geben würde, während Senjuro und er weg wären. Langsam zog er seine Hände zurück und verließ das Zimmer in Richtung Küche, die Zwischentür ließ er dabei absichtlich offen, um die beiden halbwegs im Auge zu haben.
 

 

„Meinst du... es wird alles gut gehen, Aniue?“
 

 

„Aber natürlich!“, antwortete Kyojuro sofort. „Sei unbesorgt, es wird großartig werden!“
 

 

Hoffentlich.
 

 

Vermutlich erkannte Senjuro seine Sorgen und selbst wenn nicht, das hektische Tempo, welches er an den Tag legte, war Antwort genug. Doch als sie zurück ins Zimmer kamen, herrschte weiterhin eine Totenstille und es schien sich niemand bewegt zu haben. Das war beruhigend und gleichzeitig auch nicht.

Auch beim zweiten Mal herrschte dieselbe Totenstille, und dann war der Tisch auch schon fertig gedeckt und sie alle setzten sich hin. Vielleicht hätte Kyojuro Akaza nicht direkt dieses Mal mitbringen sollen, nicht beim ersten familiären Weihnachtsessen seit dem Tod ihrer Mutter. Jedoch wollte Kyojuro, dass Akaza dazugehörte – denn das tat er für ihn bereits.

Doch auch wo sie jetzt zusammen saßen, herrschte eine unangenehme Stille. Senjuro schenkte allen den frisch aufgebrühten Tee ein, was jedoch keine sonderlich große Geräuschkulisse bot.
 

 

„Es sieht großartig aus, Senjuro und es riecht auch so gut“, lobte Kyojuro schließlich lächelnd. „Oder was sagst du dazu Otou-san?“
 

 

Wenn die Personen nicht von alleine reden wollten, dann würde er eben dafür sorgen. Darin war Kyojuro gut, weil es ihm stets wichtig war, seine Mitmenschen zu hören und nicht nur selbst zu reden. Während er seinen Vater ansah, schob er eine seine Hände auf Akazas Oberschenkel, um sie sanft darauf abzulegen.
 

 

„Oh, ja“, Shinjuro hüstelte ein wenig, während er zu Senjuro sah. „Es sieht... wirklich gut aus, Senjuro.“
 

 

Auch wenn sie sich langsam näher kamen, war es immer noch sehr seltsam, so vertraut miteinander umzugehen. Zumindest, wenn es ihren Vater inbegriff.
 

 

„D-danke Otou-san!“, piepste Senjuro erfreut, ehe er zaghaft zu Akaza sah. „Ähm... kannst du überhaupt mitessen, Akaza?“
 

 

Der Dämon, scheinbar überrascht davon angesprochen zu werden, sah zu Senjuro und nickte ein wenig. „Das kann ich durchaus. Ich habe mich mittlerweile wieder an die menschliche Ernährung gewöhnt. Ich werde nur nicht so viel zu mir nehmen können, ich bin jedoch sicher, dass es großartig schmecken wird. Kyojuro schwärmt immerzu von deinen Kochkünsten.“
 

 

„Sie sind ja auch wundervoll!“, mischte sich Kyojuro strahlend ein, während Senjuro ein wenig verlegen wurde.
 

 

Er spürte, wie sich kalte Finger auf seine Hand legten und drehte den Kopf immer noch strahlend in Akazas Richtung, welcher jedoch Shinjuro nieder starrte.
 

 

„Genau das liebe ich an dir, Kyojuro“, redete Akaza jedoch weiter. „Du erkennst sofort, in welchen Dingen jemand gut ist und motivierst sie dazu, dranzubleiben. Ganz egal, in welcher Hinsicht.“
 

 

Kyojuro versuchte Akazas Aufmerksamkeit mehr zu sich zu ziehen, indem er sanft in dessen Oberschenkel zwickte, er ignorierte nebenbei die Röte aufgrund des offenen Liebeszugeständnisses.
 

 

„Ich gebe mein Bestes“, meinte er schließlich.
 

 

„Das tust du immer. Auch wenn ich es nicht immer nachvollziehen kann, wie nachsichtig du doch sein kannst. Es ist dennoch sehr liebenswürdig.“
 

 

Kyojuro war es gewohnt, allerlei Komplimente von Akaza zu bekommen, doch gerade jetzt fühlte es sich nochmal anders an. Vielleicht auch, weil Akaza die ganze Zeit Shinjuro anstarrte.
 

 

„Fangen wir doch an zu essen!“, schlug Kyojuro nun also vor.
 

 

Ob diese Art der Anspannung die ganze Zeit bleiben würde? Kyojuro hoffte, dass es nachlassen würde, umso mehr Zeit sie eben alle gemeinsam verbringen würden. Selbst wenn es sich nur um ein paar Stunden handelte. Während sie sich alle inzwischen Essen nahm, bemerkte Kyojuro, wie Akaza's angefangenes Blickduell Erwiderung fand – und seufzte leise auf. Das hatte er sich alles irgendwie anders vorgestellt. Vielleicht hatte er es sich auch zu einfach vorgestellt.
 

 

Während sie schließlich alle aßen, versuchte Kyojuro stets, Gesprächsstoff aufzubringen. Er redete über die neuen Forschungen von Shinobu, ließ Senjuro etwas davon erzählen, wie er im Schmetterlingsanwesen aushalf und sondergleichen. Shinjuro versuchte stets positive Worte zu finden, und es war schön zu hören, doch er war verschwiegen, vermutlich auch wegen Akaza, der ebenfalls verschwiegen war, wenn man wusste, wie er sonst drauf war.

Zumindest Kyojuro entspannte sich immer mehr und das sah er auch bei Senjuro. Sie waren jedoch nie wirklich das Problem gewesen. Es führte jedoch dazu, dass sich Kyojuro auch mehr an Akaza lehnte. Da Akaza seine dauerhafte Begleitung während den Missionen war, verbrachten sie ziemlich viel Zeit zusammen. Kyojuro hatte nie zuvor eine romantische Beziehung geführt, aber er hätte auch nicht geglaubt, dass er körperliche Nähe so sehr genießen würde, wie er es tat.
 

 

Selbst wenn Akazas Körper wirklich eiskalt war.
 

 

Er lehnte sich dennoch gerne an ihn und hielt dessen Hand sanft in seiner. Mittlerweile hatte sich Akaza auch angeeignet, nicht zu viel Druck auszuüben, wie er es zu Beginn getan hatte. Das hieß – weniger blaue Flecken für Kyojuro!
 

 

„Und du ernährst dich nur durch gespendetes Blut?“
 

 

Kyojuro war etwas verwirrt, als sein Vater das Wort erhob und sah blinzelnd zu ihm, während er den Kopf immer noch an Akazas Schulter ablehnte.
 

 

„Oh, es spricht“, schnaubte Akaza.
 

 

Sofort kniff er Akazas in den Arm, während er weiterhin Shinjuro ansah. „Das sagte ich dir bereits, Otou-san. Akaza ernährt sich wie die anderen befreundeten Dämonen von Blut, das vorher gespendet wird.“
 

 

„Ich habe nicht dich gefragt!“, maulte Shinjuro gereizt.

Kyojuro war es gewohnt, die laute Stimme seines Vaters zu hören, selbst wenn sich ihr Verhältnis verbesserte. Senjuro hingegen zuckte bereits wieder zusammen. Das schien auch ihr Vater bemerkt zu haben, denn er warf einen entschuldigenden Blick in Senjuro's Richtung, ehe er jedoch wieder feindselig zu Akaza blickte.

„Ich sehe doch die Male!“, warf dieser schließlich Akaza vor. „Du vergehst dich an das Blut meines Sohnes!“
 

 

Kyojuro fasste sich instinktiv an den Kragen seines Hemdes und zupfte es ein wenig zurecht. Auch wenn gerade nichts darunter zu sehen wäre, überkam ihn ein beunruhigtes Gefühl.
 

 

„Wir reisen gemeinsam, es ist so einfacher an Blut zu kommen“, antwortete Akaza ehrlich, ehe er schmunzelte. „Und Kyojuro gibt mir sein Blut gerne, ganz egal auf welche Art.“
 

 

„Akaza“, zischte er, während er sich nun von dessen Schulter löste und einen vorsichtigen Blick in die Richtung seines Vaters wagte. Er räusperte sich schließlich: „Ich habe nichts dagegen, wenn Akaza das Blut zeitweise direkt von mir bezieht, Otou-san. Es sind eher Ausnahmen, wenn wir länger auf einer Mission sind und nicht so schnell zurückkommen können oder wenn die Mission etwas anstrengender war.“
 

 

Auch wenn man es Akaza selten ansah, denn dieser war immer noch ein Dämon und war mächtiger als die meisten noch lebenden Dämonen. Doch wo dieser normalerweise eben dann Menschen aß, brauchte es einen Ersatz. Blut eignete sich, aber dafür benötigte es dieses regelmäßiger, als das direkte Fleisch eines Menschen.
 

 

„Wie kannst du ihn überhaupt so an dich heranlassen? Er hätte dich beinahe umgebracht!“
 

 

„Ja, aber-“
 

 

„Da gibt es doch kein aber!“
 

 

Kyojuro hatte nicht erwartet, dass sein Vater dies sofort verstehen würde. Immerhin waren selbst ein paar seiner Freunde nicht begeistert gewesen, als sie die anbahnende Romanze bemerkt hatten. Gerade Sanemi hätte ihm wohl nur zu gerne den Kopf abgerissen.
 

 

„Ich habe nicht vor, Kyojuro jemals wieder zu schädigen“, mischte sich Akaza sogleich ein. „Und selbst wenn, dann wäre er durchaus dazu fähig, mich abzuwehren. Er ist wesentlich stärker als du zu denken scheinst.“
 

 

„Ich weiß, dass er stark ist!“
 

 

„Ach ja? Wieso hast du ihn dann nie unterstützt?“
 

 

„Kommt scho-“, versuchte sich Kyojuro einzumischen.
 

 

„Dieses Thema werde ich sicherlich nicht mit einem Monster wie dir ausdiskutieren!“
 

 

„Monster? Ich habe ihn in einem Kampf verletzt, ohne ihn vorher zu kennen. Ganz im Gegensatz zu dir!“
 

 

„Du hast kein Recht dazu, irgendwas an unserer Vergangenheit zu bewerten!“
 

 

„Genauso hast du kein Recht dazu, deinen Sohn zu bewerten!“
 

 

„Wenn er mit seinem beinahe-Mörder romantisiert, dann habe ich dieses Recht sehr wohl!“
 

 

„Bisher war seine Si-“
 

 

Bevor Akaza aussprechen konnte, schlug Kyojuro nun seine Hand auf dessen Mund, um ihn zum Schweigen zu zwingen. Er spürte deutlich das Murren und Grummeln. Wenn Akaza seine Hand entfernen wollen, würde, dann könnte dieser das auch ohne Weiteres tun. Kyojuro war froh darüber, dass Akaza einfach akzeptierte, für den Moment zu schweigen.
 

 

„Lasst uns nicht streiten“, meinte Kyojuro schließlich tief durchatmend. „Lasst uns doch einfach das gute Essen genießen und die Gesellschaft von allen.“
 

 

Senjuro nickte sofort schnell, was aber keine Überraschung war.
 

 

„Wie soll ich etwas genießen, mit diesem Monster in meinem Haus?“
 

 

Kyojuro konnte Akaza knurren hören, spürte es fast etwas gegen seine Hand vibrieren und gab die Hoffnung auf, dass es niemand sonst hier bemerken würde.
 

 

„Otou-san, Akaza ist kein Monster. Er rettet mit mir gemeinsam Menschen und ernährt sich nur noch von Blut freiwilliger Spender.“
 

 

„Aber das tut er doch nur deinetwegen, nicht, weil er plötzlich einen Sinneswandel hatte.“
 

 

Kyojuro strahlte für einen Moment: „Ja, er tut es für mich! Ist das nicht schön?“
 

 

„Es ist fragil!“
 

 

„Nichts hier ist fragil!“ Akaza hatte seine Hand von seinem Mund geschoben, um antworten zu können. „Ich würde niemals zulassen, dass sich unsere Beziehung löst!“
 

 

„Na, das klingt ja gesund“, schnaubte Shinjuro.
 

 

„Es ist einfach nur Akaza's Art seine Liebe zu zeigen, mehr nicht“, mischte sich Kyojuro wieder ein. „Aber jetzt kommt schon, so kann man doch Weihnachten nicht genießen. Ich habe mich so sehr darauf gefreut, dass wir heute alle zusammen feiern, friedlich!“
 

 

Akaza wirkte mindestens genauso verbissen wie Shinjuro, was amüsant wäre, wenn sie sich nicht gegenseitig den Kopf abreißen wollten. Als sein Vater wieder anfing zu essen, entspannte sich Kyojuro dennoch ein wenig, denn dies könnte ein kleines Friedenszeichen sein? Noch ein wenig angespannt sah Kyojuro zu Akaza, welcher nun aber ebenfalls langsam wieder anfing zu essen.

Leise aufatmend tat Kyojuro es indessen ebenfalls, genauso wie Senjuro. Ein wenig Anspannung lag weiterhin in der Luft und immer noch wurden böse Blicke hin und her geworfen. Das war definitiv keine wirkliche Festtagsstimmung, aber hatte Kyojuro diese sofort erwartet? Nicht wirklich.
 

 

Zumindest lief das restliche Essen relativ ruhig ab und so konnten sie das ohne weitere Vorkommnisse beenden. Kyojuro half Senjuro beim Abräumen, auch wenn er mit einem unguten Bauchgefühl die beiden Streithähne alleine ließ.

Ihr erstes Weihnachtsfest verlief sicherlich nicht so sinnlich, wie man es sich vorstellte, aber noch gab es kein Blut oder dergleichen.

Mit Senjuro alleine zu feiern war immer wesentlich einfacher gewesen, aber das zu vergleichen war wohl auch etwas komplex.

Statt einer sinnlichen Stimmung, die jetzt gerne aufkommen könnte, gab es laute, klopfende Geräusche von der Haustür aus.
 

 

„Hast du etwa noch jemanden eingeladen?“, fragte sein Vater missmutig, der seinen Tee noch grummeliger anstarrte, als vorher.
 

 

„Äh, nein“, antwortete Kyojuro irritiert, während er zur Tür ging.
 

 

Als er sie öffnete, sah er eine panische junge Frau. Er würde sie nicht als Bekannte bezeichnen, aber er war sich sicher, sie bereits mal im Dorf gesehen zu haben. Noch bevor er fragen konnte, was los war, zerrte sie an seinem Arm.
 

 

„Rengoku-sama! Rengoku-sama! D...da! Ein Dämon!“
 

 

„Ein Dämon?“, fragte er sofort alarmiert nach.
 

 

Als wäre dies das Stichwort für alle anderen, tauchten sowohl Senjuro als auch Akaza und Shinjuro auf.
 

 

„Im Dorf! E... es zerstört alles!“
 

 

„Akaza?“, fragend sah er hinter sich.

Als ehemaliger Upper Moon Three war es für Akaza ziemlich leicht, Dämonen aufzuspüren oder zu bemerken, wenn sie sich in der Nähe befanden. Es war unmöglich, dass dieser es nicht mitbekommen hätte.
 

 

„Ich dachte, wir wollen das gemeinsame Fest genießen.“
 

 

Kyojuro konnte durchaus nachvollziehen, welche Kritik sein Vater vorher geübt hatte, aber er dachte, sie wären darüber hinweg.

„Akaza!“
 

 

„Was? Du hast dich so sehr auf heute gefreut, als ob ich das zerstören würde, wegen eines schwächlichen Dämons“, schmollte nun Akaza ein wenig.
 

 

„D…d...dämon!“
 

 

Kyojuro sah zur jungen Frau zurück, welche jetzt verschreckt in Akazas Richtung deutete – manchmal vergaß er, dass so etwas nicht so normal war. Vor allem, da Akaza seine dämonischen Merkmale auch nie versteckte.
 

 

„Er ist ein Freund“, stellte er sofort klar. „Ich werde mein Katana holen und mit euch kommen.“
 

 

„Ich werde mitkommen“, meinte Akaza sofort.
 

 

„Ich ebenfalls!“
 

 

„Uh?“, verwirrt sah Kyojuro zu seinem Vater, welcher bereits sein eigenes Katana anlegte und auch das von Kyojuro bei sich trug.

Senjuro wirkte an dieser Stelle nur noch überforderter.
 

 

„Überlass das lieber den Profis, alter Mann“, schnaubte Akaza.
 

 

„Sei lieber still, sonst bist du der erste Dämon, den ich köpfen werde!“
 

 

„Dein Niveau würde nicht einmal in die Nähe meines Halses kommen.“
 

 

„Ach ja?!“
 

 

Kyojuro seufzte auf: „Genug!“ Er stellte sich zwischen die Streithähne und griff nach seinem Katana. „Es ist nicht notwendig, dass wir alle gehen!“
 

 

„Ich werde mitkommen!“, riefen sowohl Akaza als auch Shinjuro zeitgleich aus. Nur um sich daraufhin wieder finstere Blicke entgegenzuwerfen.
 

 

Kyojuro sah besorgt zu Senjuro, welcher mit den Schultern zuckte. „Ich werde einfach hier auf euch warten.“
 

 

„Es wird nicht lange dauern“, versprach Kyojuro, als er Akaza bereits zur Tür schubste, damit er mehr Abstand zu Shinjuro gewann. „Sei bitte vorsichtig. Akaza, konzentriere dich darauf, dass kein Dämon sich dem Haus nähert.“
 

 

„Das musst du mir nicht sagen. Natürlich passe ich auf deinen Bruder auf, wenn dein Vater es schon nicht tut!“
 

 

„Ich beschütze meinen älteren Sohn vor deinen manipulativen Künsten!“
 

 

Kyojuro wusste schon jetzt, dass dies extrem anstrengend werden würde. Aber vielleicht kämen sie sich ja alle etwas näher, wenn sie gemeinsam einen Dämon bekämpften?
 

 

Er spürte kalte Lippen auf seinen Drücken, piepste überrascht auf, hörte seinen Vater knurren und Akaza lachen.
 

 

Vielleicht würde das alles auch länger dauern, bis es Sympathien zwischen seinem Vater und Akaza gäbe.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Sains
2024-03-16T19:36:52+00:00 16.03.2024 20:36
Kyaaaa
Das ist total süß geschrieben ❤️
Ich bin total gespannt, ob sie sich je vertragen und hoffe auf die Fortsetzung des one shot.
Mir gefällt gut, dass du den Hass der beiden aufeinander so gut darstellst und auch, dass dieser nicht direkt aufhört.

Armer kyojuro .... aber ich liebe dieses setting


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