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Tagebuch einer Trainerin

Pokémon Weiße Edition (Nacherzählung)
von

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Professor Esche

Während Cheren und ich direkt zum Labor aufbrechen, die neuen Pokémon auf dem Arm, macht Bell noch einen kleinen Umweg. Sie müsste noch schnell etwas erledigen, meinte sie, dauert nicht lang. Und so stehen wir hier nun vor dem Labor, spielen mit unseren neuen Pokémon, und warten. Das Labor von Professor Esche steht ganz im Norden der Stadt, etwas hangaufwärts und ein Stück in den Wald hineinversetzt. Es ist das größte Gebäude im Dorf und außerdem das einzige mit einem roten Dach – alle anderen Häuser Avenitias sind mit blauen Schindeln bedeckt. Die leuchtend orangeroten Ziegel und die Größe des Gebäudes machen das Labor zu einer beeindruckenden Erscheinung vor den austreibenden Bäumen des Waldrands und den immergrünen Tannen dahinter, aber mehr noch fallen der hohe Anbau mit seinem spitzen Dach, der noch viel höhere Kamin und das Windspiel davor auf. Vor dem Gebäude ist ein kleiner Park, dem man noch etwas ansieht, dass sich hier vor kurzem die zehnjährigen des Dorfes getroffen haben, um auf Einlass zu warten, und wie wir hatten sie ihre Augen sicher die ganze Zeit auf die große Uhr gerichtet. Cheren fegt Kekskrümel von einer der Bänke, und dort setzen wir uns und warten.

Und warten noch ein bisschen…

Und warten weiter…

Und warten noch etwas länger…

Als der Mittag langsam in den Nachmittag übergeht und der Minutenzeiger der großen Uhr auf dem Platz vor uns schon eine ganze Runde gedreht hat wird es mir zu bunt. Langsam wird es kalt und wir wollten Avenitia heute noch verlassen, am liebsten, bevor die Sonne untergeht. Cheren wird auch langsam grummelig, und so biete ich mich an, Bell zu suchen.

Obwohl ‚suchen‘ hier das falsche Wort ist - ‚holen‘ trifft es besser.
 

Der erste Ort, an dem ich suche, ist Bells Wohnung – ein kleines, blau bedachtes Haus in einem ganzen Dorf voller kleiner, blau bedachter Häuser. Meine Mutter lacht gerne darüber, wie verloren ein Fremder hier wäre, aber wenn man in diesem Dorf aufgewachsen ist, weiß man, wo man seine Freunde findet, und auch der Postbote weiß immer, in welchen der grauen Mettallbriefkästen er die Briefe zustellen muss. Bells Haus ist leicht zu erkennen an den hübschen Blumenbeeten, die ihre Mutter angelegt hat, und mehr noch an den albernen Gartenzwergen ihres Vaters.

Bell ist zu Hause und in eine hitzige Diskussion mit ebendiesem Vater verstrickt. Soweit ich durch die halboffene Tür mithören kann, hat der es sich nämlich noch einmal anders überlegt. Er will nun doch nicht, dass Bell mit uns loszieht, immerhin ist vierzehn ja kaum besser als zehn und sie ist einfach noch zu jung für eine so gefährliche Reise. Bell fühlt sich betrogen, so kurz vor ihrem Aufbruch doch die fest versprochene Erlaubnis entzogen zu bekommen, und so stehen beide mit hochrotem Kopf im Wohnzimmer und brüllen sich an, währen ich nur schockiert zusehen kann. Floink sitzt zitternd neben Bells Füßen, hilflos im Angesicht des brüllenden Mannes, der seiner neuen Trainerin solches Leid zufügt, und auch ich kann mir nur die Hände über die Ohren legen und mit weiten Augen zusehen, bis Bell sich endlich durchsetzt. Versprochen ist versprochen, die Taschen sind gepackt und die Reise geplant – wenn er sie jetzt noch aufhalten will, müsste er Bell einsperren und in Ketten legen. Ihr Vater scheint geneigt, das auch zu tun, besinnt sich dann aber eines Besseren. Bell darf gehen, wirft sich, blind vor Tränen, die Tasche um und ruft Floink in seinen Pokéball zurück. Ich lege Bell tröstend den Arm um die Schultern und führe sie aus dem Haus, froh, meiner tränenblinden Freundin zumindest ein bisschen helfen zu können.
 

„Tut mir leid, dass du das sehen musstest“, wimmert Bell, als sie sich außer Hörweite des Hauses kräftig die Nase schnäuzt und ihre geröteten Augen trocknet.

„Ist schon gut“, tröste ich, „Wir kennen ja deinen Vater…“

Schockiert bin ich dennoch, dass er so weit gehen würde. Ich wusste, dass Bells Vater besorgt ist, dass er denkt, es wäre unvernünftig und gefährlich, mit zehn Jahren die Welt zu bereisen, aber so wütend wie heute habe ich weder ihn noch Bell je erlebt. Bis eben dachte ich auch, der Kompromiss, erst mit vierzehn aufzubrechen, hätte ihn zufrieden gestellt…

„Erzähl bitte Cheren nichts davon“, bittet Bell mich, „Ich will ihn nicht noch mehr belasten.“

„Er wird schimpfen, weil du uns warten lassen hast“, warne ich.

„Ich weiß. Das ist mir lieber so.“

Ich klopfe meiner Freundin aufmunternd auf die Schultern. Es ist ungerecht, aber ich respektiere ihre Gefühle. Sie will nicht, dass Cheren sich Sorgen macht… lieber nimmt sie die Rüge über ihre Unpünktlichkeit in Kauf. Es kommt mir falsch vor, aber es ist nicht meine Entscheidung.
 

Meine Sorge scheint ohnehin unbegründet, denn obwohl sich Bell alle Mühe gibt entgeht Cherens scharfen Augen natürlich nicht, dass sie geweint hat, und er schluckt seine Rüge ungesagt herunter, winkt uns nur, ihm und Serpifeu ins Labor zu folgen. Bell ruft Floink wieder aus seinem Ball, um es im Arm halten zu können, und Ottaro springt sofort auf meine Schulter, um nicht hinter dem Konkurrenten zurückzubleiben. Ich streichle ihr amüsiert den flauschigen Kopf.

„Schön, dass ihr noch kommen konntet“, begrüßt uns die Professorin, „Ein wenig spät, aber an der Zeremonie für die Zehnjährigen wolltet ihr ja ohnehin nicht teilnehmen. Ihr habt sicher schon viel von den Kindern gehört, die schon von ihrer Reise zurück sind, aber lasst mich trotzdem noch ein paar Worte zu eurer Sicherheit sagen…“

Tatsächlich haben wir in den letzten vier Jahren bereits alles gehört und gelesen, was es zu wissen gibt, aber wir wagen nicht, zu widersprechen, als Professor Esche sich in ihren viel geübten Vortrag über Sicherheit und Regeln für junge Pokémontrainer stürzt und uns Schritt für Schritt herunterbetet, wo wir übernachten können und Schutz finden, an wen wir uns mit welchem Problem wenden und worauf wir Acht geben müssen. Auch, wie man hilfsbereite Fremde von gefährlichen Fremden unterscheidet wird thematisiert, wie man auf Gefahrensituationen reagiert, wie man sich vor wilden Pokémon schützt und ein paar Worte über Traineretikette und Preisgeld in lockeren Kämpfen. Es ist wenig wirklich Neues dabei und ich habe Mühe, nicht einzunicken, immerhin bin ich heute vor lauter Aufregung besonders früh aufgestanden. Zum Glück reißt Ottaro mich mit einem gezielten Klaps aus dem Schlaf, ehe die Professorin meine geistige Abwesenheit bemerken könnte.
 

„Aber genug der langen Vorträge“, meint sie schließlich, zu unser aller Erleichterung, „Ich sehe, ihr habt euch mit euren Pokémon bereits angefreundet und erste Erfahrungen im Kampf gesammelt?“

Cheren, Bell und ich grinsen einander schuldbewusst an, aber die Professorin scheint nicht wütend zu sein. „Es sagt einiges über euer Talent als Trainer, dass ihr so schnell eine Bindung zu euren ersten Pokémon aufgebaut habt. Was haltet ihr davon, diese Bindung noch ein wenig zu vertiefen, zum Beispiel durch einen Spitznamen?“

„Gute Idee!“, findet Bell, sofort wieder wach und munter, „Was meinst du Floink, wie willst du heißen?“ Sie hebt ihr Pokémon hoch und wirft einen prüfenden Blick zwischen dessen Hinterläufe. „Ein süßer Name für einen hübschen Jungen… Ich weiß, ich werde dich Rex nennen, das heißt König. Ein großer, starker König.“

„Floink!“, grunzt das Pokémon vergnügt, und Bell lacht fröhlich.

Ich lächle und wende mich meinem Ottaro zu, dass mich mit großen Augen ansieht. „Was meinst du?“, frage ich, „Würde dir der Name ‚Umi‘ gefallen?“ Ottaro quietscht zustimmend. „Das bedeutet ‚Meer‘.“

„Wie nennst du dein Serpifeu, Cheren?“, fragt Bell neugierig, und setzt unseren Freund gehörig unter Zugzwang.

„Ich hatte eigentlich nicht vor…“, er seufzt tief, „Naja, warum nicht. Er soll Siegfried heißen, ‚der Siegreiche‘. Zufrieden?“ Serpifeu plustert sich stolz auf, was wohl als Zustimmung zu werten ist.
 

Zum Abschluss, und nicht ohne einen weiteren lehrreichen Monolog, überreicht Professor Esche uns noch jeweils einen Pokédex und den Auftrag, diesen im Verlauf unserer Reise zu füllen. Das Gerät bietet auch hilfreiche Informationen über die Pokémon in unserem Team, eine Trainer ID, mit der wir uns ausweisen können und, für den Notfall, ein GPS System, damit wir nicht verloren gehen. Bells Vater soll sagen, was er will; diese Reise ist so sicher, wie ein Abenteuer es maximal sein kann. Und es wird noch besser: Direkt vor dem Labor wartet meine Mutter, um jedem von uns eine digitale Karte zu überreichen! Cheren ist begeistert, denn eine solche ist ungemein praktisch und wesentlich handlicher als seine aus Papier, zumal Mamas Karten sich wohl mit dem GPS des Pokédexsystems verbinden und so den genauen Standort ermitteln können. Verlaufen können wir uns also schonmal nicht mehr. Wir bedanken uns aufrichtig und überschwänglich, und ich erlaube Mama gerne, mich noch einmal fest an sich zu drücken. Umi springt auf meinen Kopf und schleckt Mama zutraulich das Gesicht ab, bis sie zu lachen beginnt.

„Nun aber los, lasst euch nicht aufhalten“, meint Mama schließlich, „Immerhin wollt ihr in Gavina sein, bevor es dunkel wird, und Professor Esche muss euch noch zeigen, wie man Pokémon fängt...“

Weil wir gerade erst gesehen haben, wie lange die Professorin dozieren kann, trifft die Warnung ins Schwarze, und wir sprinten geradezu los, um schnell an die Dorfgrenze zu kommen.

Die Professorin folgt uns lachend, aber ohne zu rennen.



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