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Battle for the Sun

von

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How sinister and how correct

How sinister and how correct“

 

Placebo, „Ashtray heart“

 

Die schweren Stiefel stapften laut auf dem Gehweg auf.

Die Träger dieses klobigen Schuhwerks waren eine Gruppe von Engländern, alle in dunkler Kleidung gekleidet. Manche trugen Marineblau, andere Schwarz, das war Absicht, damit es nicht zu offensichtlich wie eine Uniform aussah, aber doch so gleichartig, dass man erahnen konnte, dass diese Leute zusammengehörten. Zwei von ihnen trugen Capes, welche die darunter steckenden Schwerter verdecken sollten. Insgesamt waren es sechs Leute: ein kleinerer junger Mann mit schwarzen Locken, einem übergroßen Mantel, bei dem die Ärmel hochgekrempelt waren, und einem großspurigen Grinsen im Gesicht; ein weiterer junger Mann, vermutlich ein wenig älter als der Erste, mit blonden Haaren und einem albernen Grinsen im Gesicht; ein etwa gleichaltriger Junge mit kastanienbraunen Haaren in einem Topfhaarschnitt, der mit offenem Mund die Hochhäuser, auf die sie zugingen, anstarrte und daher ständig stolperte; eine junge, rothaarige Frau, die verunsichert zwischen diesen Häusern und dem großen, stämmigen Mann neben sich hin und her blickte. Dieser Mann, der mit grimmiger Visage in der Mitte ging, hatte mittellange, hellbraune Haare und einen Dreitagebart – es war der „Schrank“, in den Dazai in zwei Tagen hineinlaufen würde.

Es war Dienstagnachmittag.

„Wir sind da“, sagte der Sechste im Bunde, ein älterer Herr mit lichten gräulichen Haaren, der einen mit Flicken übersäten Mantel trug. „Das ist das Hauptquartier der Hafen-Mafia.“

„Scheiße, das?“, entfuhr es dem Mann in der Mitte unflätig. „Diese monströsen Türme? Ich hoffe für dich, dass das so richtig ist, Fagin.“

„Ja, ja, mein Lieber“, entgegnete der Angesprochene. „Der gute Noah hier hat sich schlau gemacht und tatsächlich haust die Hafen-Mafia in diesen Prachtbauten.“

Der Junge mit den kastanienbraunen Haaren grinste selbstzufrieden bei der Erwähnung seines Namens. „Niemand ist so talentiert im Informationen beschaffen als wie ich.“

Sein blonder, albern grinsender Gefährte prustete los. „Whahaha! Als wie! Du bist unvergleichlich, Noah!“ Er stupste den neben ihm stehenden Jungen in dem übergroßen Mantel schallend lachend in die Rippen. „Ist er nicht unvergleichlich? Whahahaha!“

„Du lachst auch über jeden Scheiß.“ Der Angestupste rollte mit den Augen.

„Mein lieber Bates, sei so gut und stell dein Lachen ein“, rüffelte ihn Fagin. „Mein lieber Dawkins, überlass das Reden gleich vielleicht besser mir.“ Sein scharfer, unterkühlter Blick landete auf der einzigen Dame der Runde. „Nancy, meine Liebe, du siehst so blass aus. Fehlt dir etwas?“

Die junge Frau zuckte zusammen. „Nein. Ist nichts. Aber müssen wir uns wirklich mit der Mafia einlassen? Das klingt immer noch nach einer saublöden Idee.“

„Tsk, tsk.“ Fagin schüttelte den Kopf. „Diese Stadt ist zu groß, wir werden unseren entlaufenen Freund so niemals wiederfinden. Und an wen sollte man sich in derartiger Not sonst wenden, wenn nicht an ein paar Brüder im Geiste? Bill, willst du es ihr nicht mal erklären? Ihr fehlt es einfach an Verständnis.“

„Wir sollten die dämliche Diskutiererei sein lassen und voranmachen“, warf Bill, der „Schrank“, mürrisch ein. „Wenn die Schweizerin und ihre harmoniesüchtigen Lakaien ihn vor uns finden, war alles für den Arsch.“

Die Gruppe stapfte auf den Platz vor dem Hauptquartier der Hafen-Mafia. Unverzüglich versammelte sich dort ein Dutzend Anzugträger.

„Dies ist Privatgelände“, rief ihnen einer der Mafiosi entgegen. „Verlassen Sie umgehend das Grundstück.“

„Wir wollen mit eurem Boss reden“, erwiderte Bill bärbeißig.

„Das ist nicht möglich. Wenn Sie nicht auf der Stelle gehen, sind wir gezwungen, Sie gewaltsam zu entfernen.“

Ein düsteres Grinsen bildete sich auf dem Gesicht des hochgewachsenen Engländers. „Ja? Das will ich sehen.“ Sein dunkelblaues Cape flatterte im Wind.

Während Fagin und Noah sich hinter die anderen zurückzogen, grinsten Bates und Dawkins verschmitzt und machten ein paar Dehnübungen. Nur Nancy wirkte sehr bitter, als die Mafiosi ihre Maschinengewehre zückten und begannen, auf sie zu feuern.

 

„Boss! BOSS!“ Tachihara hechtete in Moris Arbeitszimmer, in dem der Boss der Hafen-Mafia gerade mit dem Führungsmitglied Chuuya Nakahara über eine unerfreuliche Angelegenheit diskutierte.

„Ist Anklopfen etwa aus der Mode gekommen?“, fragte Mori, milde stutzend.

„Verzeihung! Aber draußen sind- au!“ Verdutzt blickte Tachihara hinunter, wo Elise mit voller Wucht auf seinen Fuß gestampft war. Beim Hereinstürmen war er auf eines ihrer auf dem Boden liegenden Bilder getreten. Schmollend zog sich das übernatürliche Mädchen mit ihren Wachsmalstiften in eine andere Ecke des Raumes zurück.

„Draußen sind was, Tachihara?“, erkundigte sich Mori halb interessiert, halb irritiert, weil sein Untergebener so in sein Büro polterte. „Ich hoffe, es ist wichtig.“

„Du störst gerade ein wichtiges Gespräch“, wies Chuuya ihn zurecht.

„Draußen sind eine Hand voll Ausländer, die Sie sprechen wollen!“, brachte Tachihara endlich atemlos hervor. „Befähigte! Starke Befähigte! Sie haben schon drei Dutzend unserer Leute platt gemacht! Der alte Hirotsu und Gin halten gerade die Stellung!“

„Starke Befähigte, die mich sprechen wollen?“ Moris Stutzen intensivierte sich minimal. „Haben sie gesagt, was sie mit mir zu besprechen haben?“

Tachihara schüttelte den Kopf.

Der Boss faltete seine Hände und legte sein Kinn darauf ab. „Sag, Tachihara, haben sie unsere Männer getötet?“

Der Rothaarige verneinte erneut.

„Dann wäre es doch eine gute Idee, sie einmal danach zu fragen, warum sie so viel Aufwand betreiben, nur um mich zu treffen.“ Mori lächelte. „Bring sie her.“

„Ist das eine kluge Idee, Boss?“, wandte Chuuya skeptisch ein. „Vielleicht wollen sie Sie töten.“

Erstaunt blinzelte der Schwarzhaarige ihn an. „Oh, ja, in der Tat, das wäre schlecht. Aber mehr für sie als für mich.“ Sein Lächeln wurde eisig. „Akutagawa soll sie begleiten.“

 

„Kraaass~“ Bates bestaunte Rashomon den ganzen Weg nach oben. Eingeschüchtert von dem dämonenartigen Wesen war keiner von ihnen so wirklich – mit Ausnahme Noahs, der sich hinter Nancy versteckte und beim ersten Anblick von Rashomon „Friss sie, nicht mich!!“ gekreischt hatte.

Akutagawa wollte sie am liebsten alle auf der Stelle köpfen.

Aber er durfte ja nicht.

Er knurrte innerlich.

Die Engländer betraten das Arbeitszimmer Moris, der gespannt hinter seinem Schreibtisch auf sie wartete. Vor dem Tisch stand nach wie vor Chuuya und zog eine Miene, die dem Spruch von „sieben Tagen Regenwetter“ nicht gerecht wurde. Seine Laune war noch weit, weit darunter anzusiedeln. Mehr wie „sieben Tage Dazai.“ Ja, das traf es eher. Sie hatten andere Sachen zu besprechen, wichtige Sachen, und jetzt kamen irgendwelche dahergelaufenen Clowns und hielten sie von ihrer Arbeit ab. Wenn diese Clowns allerdings weiter draußen Terz machten, führte das nur zu noch mehr Problemen. Immerhin hatten sie keinen ihrer Leute getötet (dann hätten sie was erleben können!!), aber es war beunruhigend, dass sie, ohne selbst einen Kratzer davon zu tragen, sämtliche Männer, die sich ihnen entgegen gestellt hatten, außer Gefecht gesetzt hatten.

„Guten Tag, meine Herren, oh, und meine Dame“, begrüßte Mori die Engländer, die wenige Meter vor ihm stehen blieben. „Sie wünschen, mich zu sprechen? Mit wem habe ich denn das Vergnügen?“

Fagin trat aus der Reihe seiner Mitstreiter hervor und räusperte sich. „Sie sind also Herr Mori, ja? Vielen Dank, dass Sie uns so kurzfristig empfangen konnten. Gestatten Sie mir, mich vorstellen zu dürfen: Mein Name ist Fagin. Im Vereinigten Königreich bin ich ein sehr angesehener Wissenschaftler und-“

„Mach voran“, brummte Bill ihm dazwischen. „Ich will keine Sekunde länger als nötig in diesem Land bleiben. Ist schon schlimm genug, dass ich hierher zurückkehren musste.“

„Ja doch, mein Lieber, Geduld, Geduld.“

Chuuya hob kritisch eine Augenbraue.

Clowns. Hatte er doch von Anfang an gesagt.

„Nun, um es kurz zu machen“, fuhr Fagin fort, „uns wurde gesagt, dass die mächtigste Organisation in dieser Stadt Ihre verehrte Hafen-Mafia ist und wir benötigen in einer Sache dringend Hilfe.“

Ein ominöses Schmunzeln zierte Moris Gesicht, während Fagin sich um Kopf und Kragen redete. „So? Sie benötigen Hilfe? Ihre Worte schmeicheln mir zwar, aber ich hoffe, Ihre Quellen haben Sie nicht zu dem Trugschluss geleitet, dass wir eine Wohltätigkeitsorganisation sind.“

„Oh nein, nein, gewiss nicht!“, erwiderte der Engländer. „Wir würden Sie für Ihre Dienste natürlich mit einem angemessenen Gegenwert entlohnen.“

Die Truppe vor sich skeptisch musternd, wurde Chuuyas Blick noch kritischer.

Eine Hand voll Halbstarker, ein alter Mann und ein Schrank, dessen Alkoholfahne ich bis hierhin rieche. Nach dem großen Geld sehen die nicht aus.

„Ich gehe recht in der Annahme, dass Ihre Bitte an uns einen nicht ganz legalen Hintergrund hat?“, erkundigte Mori sich.

Fagin schluckte und tippelte nervös seine Finger gegeneinander. „Ihre Verschwiegenheit wäre uns sehr wichtig.“

„Bitte“, forderte der Boss ihn auf, „Sie haben mein Interesse geweckt.“

Erleichtert atmete Fagin auf und grinste fratzenhaft. „Sehen Sie, ein Junge aus unserer Gruppe ist uns in dieser Stadt verloren gegangen und es ist äußerst wichtig, dass wir ihn wiederfinden.“

„Lebendig? Oder tot?“ Dem gleichmütigen Tonfall nach hätte das Oberhaupt der Mafia genauso gut fragen können, ob die Gäste Tee oder Kaffee wollten.

„Lebendig wäre uns lieber, aber wenn es nicht anders geht, wäre auch tot akzeptabel.“

Wie sind diese Clowns denn drauf??, dachte Chuuya verdattert und schaute zum Boss, der ihn per Blickkontakt beschwichtigte. „Ich habe das unter Kontrolle“, sollte dieser Blick heißen.

„Darf ich fragen, warum dieser Junge für Sie so von Bedeutung ist?“

Von neuem nervös werdend, zupfte Fagin am Kragen seines Mantels. „Dieser Junge, er … er ist uns eben sehr wichtig. Und er darf nicht in die falschen Hände … ich meine, in schlechte Gesellschaft geraten. Er gehört ja schließlich zu uns und es wäre sehr traurig für uns, wenn er sich gegen uns stellen würde, verstehen Sie?“

Während der ältere Herr so stammelte, beobachtete Mori Nancy. Ihre Miene war voll von Bitterkeit und sie warf dem Alten Blicke zu, die Akutagawa im Vergleich freundlich wirken ließen.

„Das verstehe ich in der Tat“, antwortete der Boss. „Mir ist auch einmal einer meiner Leute abhanden gekommen. Wir vermissen ihn hier jeden Tag.“ (Chuuya grummelte an dieser Stelle und folterte in Gedanken einen gewissen brünetten Wirrkopf). „Bevor wir zu einer Vereinbarung kommen, habe ich noch ein paar Fragen, wenn Sie gestatten.“

„Gewiss, gewiss!“

„Der Herr neben Ihnen, verzeihen Sie, Ihr Name war …?“

„Sikes“, brummte der 'Schrank', „William Sikes.“

„Ah, Herr Sikes, haben Sie zufällig in der britischen Armee gedient?“

Sikes horchte auf. „Wie kommen Sie darauf?“

Mori lächelte. „Sie erwähnten, bereits einmal in diesem Land gewesen zu sein und es war wohl kein angenehmer Aufenthalt. Meine Erfahrung sagt mir daher, dass Sie wahrscheinlich zu Kriegszeiten hier waren.“

Die Aura des großen Mannes bekam etwas Bedrohliches. „Das geht Sie einen Scheißdreck an.“

„Bill“, zischte Nancy tadelnd und zog damit seinen Unmut auf sich.

„Halt du die Klappe!“

„Wir sind es doch, die etwas von ihnen wollen“, erwiderte Nancy unnachgiebig. „Wenn du so mit dem Boss der Hafen-Mafia sprichst, werden sie uns-“

Der Klang eines Schlages mit der flachen Hand schallte durch den Raum. Die junge Frau blieb wie erstarrt stehen und hielt sich ihre getroffene Wange.

„Herr Sikes“, sagte Mori in die aufgekommene Stille bitterernst hinein, als würde er gleich den Befehl geben, die Besucher doch zu exekutieren. „Wir werden nicht zu einer Vereinbarung kommen, wenn Sie Ihre eigenen Leute derart behandeln.“

Der Getadelte knarzte mit den Zähnen. „Es ist nur … auf den Krieg spricht man mich besser nicht an“, erklärte er sehr viel leiser als zuvor. „Meine Einheit hat eine Menge Verluste hinnehmen müssen. Und mir hat man die Schuld dafür gegeben – und eine unehrenhafte Entlassung.“

„Das ist tragisch, doch trotzdem dulde ich es nicht, wenn man keinen Respekt vor seinen Untergebenen hat.“

Chuuya lächelte in sich hinein. Genau deswegen hatte Mori die Hafen-Mafia zu so einer mächtigen Organisation machen können.

„Meine zweite Frage“, fuhr Mori wieder deutlich entspannter fort, „bezieht sich auf die Entlohnung, die Sie für uns vorgesehen haben.“

„Ah, ja!“ Fagin frohlockte. „Bates, mein Lieber, zeig dem netten Herrn, was du für ihn hast.“

Der Angesprochene trat hervor, lüftete sein Cape und machte eine Schwertscheide, in der eine Klinge steckte, von seinem Gürtel ab. „Ich präsentiere ...“ Er ahmte die Geräusche eines Trommelwirbels nach und ließ Chuuya mit den Augen rollen (CLOWNS!!), ehe er das Schwert andächtig auf dem Schreibtisch ablegte. „Ein Kunstwerk!!“

Unbeeindruckt blinzelte Mori das Präsent an. „Ein Schwert?“

„Neeei-eeen!“ Bates schnalzte empört mit der Zunge. „Ein Kunstwerk. Mit dem man verdammt gut Leute aufschlitzen kann.“

Mori zog das Schwert heraus und prüfte es kritisch. „Chuuya, ein Haar, bitte.“

„Häh?“

„Ein Haar. Gib mir eines deiner Haare.“

„Äh, was?“

Mori hielt eine Hand auf, ohne das Schwert aus den Augen zu lassen. Achselzuckend zupfte sich Chuuya ein Haar aus und überreichte es dem Boss. Dieser ließ das Haar umgehend auf die Klinge fallen. Das einzelne rote Haar wurde geschmeidig zerteilt.

„Ich verstehe.“ Mori lächelte zufrieden. „Diese Klinge wurde besonders bearbeitet, um bereits bei geringstem Kontakt etwas zu zerschneiden. Du stellst sie her?“

Bates klopfte sich selber auf die Schulter. „Dauert etwas, so eine Schönheit herzustellen, aber ich habe mich darauf spezialisiert, weil ich keine Fähigkeit besitze und ja auch irgendwie meinen Beitrag leisten muss.“

„Ich würde dieses Schwert als Anzahlung akzeptieren“, bot Mori schließlich an. „Wenn wir den Jungen finden, sollte Ihnen das noch etwas mehr wert sein.“

„Boss“, warf Chuuya ein, „haben wir im Moment nicht andere Probleme?“

Der Schwarzhaarige winkte ab. „So ärgerlich der Mord an unseren treuen Kreditnehmern von der Kirche auch ist, wir können dennoch eine kleine Nebentätigkeit ausführen, während wir nach dem Mörder suchen, der sich scheinbar unwissentlich mit der Hafen-Mafia angelegt hat.“ Moris scharfem Blick entging nicht das erneute nervöse Kragenzupfen seitens Fagin.

„Dawkins, das Bild unseres so arg vermissten Charles, bitte.“

Der junge Mann kramte ein zerknittertes Foto eines Jugendlichen mit braunen Locken und sanften Gesichtszügen aus seiner Manteltasche und legte es auf den Schreibtisch.

„Es zieht den armen Tropf immer in unwirtliche Gegenden“, erläuterte Fagin, um Rührseligkeit bemüht, dazu.

„Unwirtliche Gegenden?“, hakte Chuuya mit wachsendem Unmut nach. „Davon gibt es hier einige. Und allein Suribachi zu durchsuchen kann Tage dauern.“

„Suribachi?“ Fagin sah ihn fragend an.

„Ein riesiger Slum. Wenn sich hier jemand effektiv verstecken will, tut er das meistens in Suribachi.“

„Hmm, hmm ...“, machte der Engländer grübelnd, während Sikes sofort drängelte, dort zu suchen.

„Ein kleines Wort der Warnung noch“, ermahnte Mori seine neuen Geschäftspartner. „Sie kennen sich hier offensichtlich nicht aus und wenn es schlecht für Sie und Ihre Aktivitäten läuft, dann werden Sie eher früher als später Bekanntschaft mit dem Büro der bewaffneten Detektive machen.“

„Büro der bewaffneten Detektive?“ Sikes murrte. „Was soll das sein?“

Mori lächelte abermals, während sich eine Wolke draußen am Himmel vor die Sonne schob und einen düsteren Schatten in das Zimmer warf. „So wie ich das sehe … Ihr schlimmster Albtraum.“

 

„So weit, so gut.“ Dawkins streckte gähnend seine Arme nach oben, nachdem Akutagawa die Gruppe bis weit vom Hauptquartier weg begleitet und dort stehen gelassen hatte – natürlich nicht ohne noch einmal zu knurren, dass er die „lästigen Straßenköter“ liebend gerne köpfen würde. Noah hatte das wieder hinter Nancy getrieben.

„Nichts ist gut“, sagte die junge Frau erbost, die Noah hinter sich abschüttelte. „Was glaubt ihr, was passiert, wenn diese Hafen-Mafia herausfindet, dass das Schwert, das ihr ihnen angepriesen habt, nach nur kurzer Zeit stumpf wird?“

„Ganz ruhig, meine Liebe.“ Fagin winkte ab. „Bis es so weit ist, haben wir Charles längst und sind auf und davon.“

Sich keiner Schuld bewusst, zuckte Bates mit den Schultern. „Ich hatte die Order, ihnen nicht meine wirklich geniale Erfindung zu geben. Das Messer funktioniert wenigstens einwandfrei.“

„Außerdem“, polterte Nancy weiter, „wissen wir jetzt, dass die Morde, von denen wir über das Anzapfen des Polizeifunks gehört haben, die Hafen-Mafia betreffen. Wir sind uns doch sicher, dass das Charles war-“

„Kannst du das nicht noch lauter herausposaunen?“, schalt Fagin sie. „Es wäre in der Tat ärgerlich, wenn die Hafen-Mafia dahinterkäme und den kostbaren Jungen um die Ecke bringt, aber dies wäre immer noch wünschenswerter als dass er wieder diesen Gutmenschen-Spinnern in die Hände fällt – oder schlimmer noch: diesen bewaffneten Detektiven!“

Sikes grummelte. „Nach dem, was die schwarzhaarige Gruselvisage und sein rotgelockter Kompagnon erzählt haben, könnten diese Detektive wirklich zum Problem für uns werden.“

Erstaunt horchte Nancy auf. „Selbst du fandest diesen Boss der Hafen-Mafia unheimlich?“

Dem großgewachsenen Mann entwich ein dunkles Lachen. „Meine liebe Nance, ich bin schon vielen bösartigen Kreaturen begegnet“, er machte eine gehaltvolle Pause, „aber keine von denen hatte so tote Augen wie dieser Mistkerl in seinem schwarzen Turm da oben.“

„Wie gut, dass wir uns mit denen eingelassen haben.“ Angewidert wandte Nancy ihren Blick von den anderen ab.

Ungeduldig klatschte Fagin in die Hände. „Vor uns liegt eine Menge Arbeit. Noah, du versuchst herauszufinden, ob die Schweizerin und ihre Helferlein sich an dieses Büro gewandt haben. Ich glaube es zwar nicht, aber wer weiß, wozu diese Frau in der Lage ist, wenn sie verzweifelt ist. Bates, Nancy und ich überlegen uns etwas für den Fall, dass wir es wirklich mit den Detektiven und ihren äußerst lästig klingenden Fähigkeiten zu tun bekommen. Bill und Dawkins, ihr könnt euch in diesem Suribachi umsehen.“

Sikes wirkte nicht begeistert von diesem Plan. „Wieso soll Nancy bei dir bleiben und nicht bei mir?“

Als Fagin ein Lächeln lächelte, das dem von Mori alle Ehre machte, überkam Nancy ein kalter Schauer.

„Mein Lieber, eine junge Dame in einer fremden Stadt … da kann sonst etwas passieren. Und das wollen wir doch nicht, oder?“

Nancy fühlte das Blut in ihren Adern gefrieren.

 

Voller Stolz breitete Elise ihre eben fertiggestellten Bilder auf Moris Schreibtisch aus und verdeckte ungeniert alle Dokumente, die dort lagen. Der dunkelhaarige Mann quiekte verzückt.

„Wie wunderschön! Elisechen, du bist ein Naturtalent!“

Chuuya kratzte sich peinlich berührt unter seinem Hut und knirschte mit den Zähnen, als Elise sich zu ihm umdrehte und ihm den arrogantesten Blick zuwarf, der vermutlich je bei einem kleinen Mädchen gesehen worden war.

Manchmal war das hier das reinste Irrenhaus. Und das, obwohl der größte Irre längst fort war und anderen Leuten hauptberuflich auf die Nerven ging.

„Boss“, begann er sichtlich unzufrieden, „dieses Geschäft mit den Engländern …. Ich verstehe nicht ganz, was das sollte.“

„Oh?“ Mori blickte verwundert von Elises Kritzeleien auf. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück. „Du musst auf die leisen Zwischentöne achten, Chuuya.“

„Häh? Äh, ich meine, was meinen Sie?“

„Erstens“, Mori hob den Zeigefinger seiner rechten Hand, während die linke ein Bild von Elise hochhielt, das Fagin als wahnsinnigen Forscher zeigte. „Der 'angesehene Wissenschaftler' forscht mit Sicherheit an höchst illegalen Dingen. Das allein reicht noch nicht, um meine Neugier zu wecken, aber dafür gibt es ja zweitens.“ Er stellte seinen Mittelfinger ebenso auf. „Warum ist ihm wohl so viel daran gelegen, diesen Jungen zu finden? Und das tot oder lebendig? Im besten Fall bekommt er etwas wieder, was er noch braucht, im schlimmsten Fall werden nur Beweismittel vernichtet.“

Chuuya stutzte. Dass die Engländer Dreck am Stecken hatten, war offensichtlich, doch das, was der Boss so seelenruhig vortrug, ließ ihn schlucken.

„Drittens“, der Ringfinger ging hoch, „sind sie irgendwie in die Morde an den Kirchenoberen verwickelt und ich bin wirklich verärgert, dass wir unser Geld von unseren langjährigen Klienten nicht wiederbekommen. Das verlangt nach einer Kompensation, findest du nicht?“

„Sie wollen den Jungen also für sich behalten?“

Mori senkte seine Hände ab und fuhr mit ihnen über die anderen Zeichnungen, die die restlichen Engländer darstellten. „Wie ich Fukuzawa und seine Mannschaft kenne, wird es nicht lange dauern, bis sie sich ebenfalls in diese Angelegenheit einmischen. Wir müssen gar nicht viel machen.“ Er tippte mit einem Finger auf die Karikatur von Sikes, die ihn aussehen ließ wie einen Dämon. „Das dürfte noch recht interessant werden.“ Mori blickte von den Bildern auf und die Schatten, die ins Zimmer fielen, hüllten sein Gesicht ein. „Wir müssen nur den Jungen finden. Deine Idee mit Suribachi … du kennst dich dort doch gut aus, nicht wahr?“

Der Rothaarige zog einen missmutigen Schmollmund. „Ja und nein. Dieses Viertel ist immer im Wandel, deswegen ...“ Er hielt inne und seufzte. Die Frage des Bosses war eine andere gewesen. „Sie wollen, dass ich mich dort umsehe?“

„Nimm Akutagawa mit.“

Chuuya nickte anstandslos und verbeugte sich, während er innerlich stöhnte und fluchte. Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, zog Mori ein Bild hervor, das unter den anderen gelegen hatte. Es zeigte eine rothaarige Frau, doch nicht nur ihre Haare waren rot, alles an ihr war rot eingefärbt. Sein Schmunzeln kam dem eines Wahnsinnigen gleich.

„Elise, das hier ist eines deiner Meisterwerke!“

Das Mädchen strahlte selbstbewusst, als Moris Handy klingelte. Ein Blick auf das Display verriet ihm, um was es ging.

„Den Anruf habe ich bereits erwartet. Ist das nicht gemein, Elisechen? So viele Menschen wollen nur mit mir reden, wenn sie etwas von mir wollen. Einerseits ist es für uns ja von Vorteil, wenn wir ein paar 'Freunde' im Gericht haben. Aber andererseits sind wir doch wirklich kein Wohltätigkeitsverein. Was meinst du? Sollen wir ihnen helfen oder nicht? Das werden bestimmt wieder zähe Verhandlungen.“

Elise interessierte sich nicht für seine Klagen und färbte ein ganzes Blatt Papier mit dicken, aggressiven Strichen ihres Wachsmalstiftes tiefrot.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Fagin, Sikes, Dawkins, Bates, Noah und Nancy sind allesamt Namen von Charakteren aus Charles Dickens „Oliver Twist.“ Und jetzt dürft ihr eins und eins zusammenzählen, wer das ist, den sie suchen. *zwinker* Hier kam auch ein Hinweis, wer die „Tante“ sein könnte.
In einem der Mangabände zeigte Elise ihre Karikaturen der Detektive. Ich fand die herrlich und ließ sie daher auch hier zu ihren Stiften greifen. Komplett anzeigen

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