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Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht

von

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Gegenwart – 3. Januarwoche - 20. Januar, Tag X – Das Leben zeichnet sich dadurch aus, dass niemand wirklich die Kontrolle hat

 

Müde reibt sich Kondō Isao über die brennenden Augen. Er bekommt langsam Kopfschmerzen, wie immer, wenn er emotional gestresst ist. Ein Blick auf die Uhr verrät ihm, dass sie erst seit einer dreiviertel Stunde im Krankenhaus sitzen, aber ihm kommt es vor wie eine Ewigkeit.

Langsam läßt er seinen Blick über seine Männer gleiten. Tetsu starrt in sein Smartphone und nach dem zu urteilen, was er manchmal vor sich hinmurmelt, sucht er sich im Internet Informationen über das zusammen, was Yamazaki hierher gebracht hat. Vielleicht ist das gar keine so schlechte Idee, alles, was Kondō darüber weiß, ist, dass es erstens tödlich enden kann und zweitens eine gewisse Rekonvaleszenzzeit in Anspruch nimmt.

Aber eigentlich will Kondō nicht darüber nachdenken, also wandert sein Blick schnell weiter zu Sōgo. Der Junge liegt noch immer da, nimmt dadurch drei Wartestühle gleichzeitig in Beschlag und tut so, als würde er schlafen. Doch Kondō kennt ihn besser. Er weiß, dass Sōgo genauso viel Angst hat wie sie alle hier, aber er weiß auch, dass sich vor allem Sōgo den Kopf darüber zermartert, wieso sie fast ein ganzes Jahr lang nicht bemerkt haben, dass ihr Zaki … nun ja, nicht mehr ihr Zaki ist. Nach seinem Kommentar gegenüber Tōshi vorhin zu urteilen, sieht Sōgo das in diesem Moment noch als persönlichen Affront, als eine Beleidigung seiner Intelligenz – das macht er oft, er projiziert seinen Ärger über sich selbst nur allzu gerne auf Tōshi – aber spätestens morgen wird Sōgo sich etwas ausgedacht haben, wie er Yamazakis Geheimnis zu seinem Vorteil ausnutzen kann.

Wahrscheinlich, schießt es Kondō durch den Sinn, wird er versuchen, Zaki und Tōshi zu verkuppeln, wie er es immer mit Zaki und Tama versuchte.

Und das wäre wirklich nicht das Schlechteste. Tōshi ist ein Hitzkopf. Er braucht jemanden mit einem beruhigenden Einfluß und da gab und gibt es keinen Besseren als Zaki. Denn egal wie sehr sich Hijikata auch immer wegen Zakis Badminton-Spleen und dieser Anpan-Milch-Diät ärgert, egal wie oft er Zaki piesackt, die beiden verbindet eine tiefe, innige Freundschaft – vielleicht nicht trotz sondern gerade deswegen.

Seufzend richtet Kondō seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Stellvertreter neben sich. Er hat ihm immer noch eine Hand auf die Schulter gelegt und drückt jetzt noch einmal tröstend zu.

Tōshi so unglücklich, so voller Selbstvorwürfe zu sehen, tut ihm in der Seele weh. Und ganz egal, wie sehr er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, wie gut er sein Gesicht in seinen Händen versteckt, Kondō weiß, dass sein ältester und bester Freund bittere Tränen vergißt. Und alleine das beweist ihm schon, wie tief das ist, was Tōshi mit Zaki verbindet – egal, ob dieser es sich eingestehen will oder nicht. Denn als Mitsuba damals starb, gelang es Tōshi viel besser, seine Tränen zu verbergen.

Als Kondō an Sōgos junge, leider viel zu früh verstorbene Schwester denken muß, zieht er unwillkürlich Vergleiche zwischen ihr und Zaki. Auch Mitsuba war ein sanfter, stiller Mensch mit einem gütigen – und leider schwerkrankem – Herzen, aber sie hielt länger durch als die Ärzte ihr prophezeit hatten. Sie war zweifellos eine Kämpferin, und auch Zaki ist ein Kämpfer. Voller Selbstzweifel, mit einem Hang zur Melancholie, obsessiv bis zur Selbstaufgabe und mit einem eindeutigen Sprung in der Schüssel, wenn es um einen ominösen „Gott der Polizisten“ geht, aber auch jemand, der bis zum letzten Atemzug kämpft – wenn nicht für sich selbst, dann garantiert für andere. Vor allem für seinen Fukuchō.

Tōshi ist der Grund, wieso Zaki noch bei uns ist.

Kondōs Augen füllen sich wieder mit Tränen, als er an all das denken muß, was Zaki im letzten Jahr erdulden musste. Er kann sich nicht einmal im Ansatz vorstellen, wie belastend es gewesen sein muß, sich derart selbst zu verleugnen und dabei immer zu lächeln. Und das wäre vielleicht noch ewig so weitergegangen, wäre da nicht diese Sache … dieses abscheuliche Verbrechen geschehen.

Entschlossen schiebt Kondō jeden Gedanken daran beiseite.

Anstatt darüber zu klagen, will er sich lieber darauf konzentrieren, wie stolz er auf ihren Spion ist. Zaki ist daran nicht zerbrochen.

Entschlossen presst Kondō die Kiefer zusammen.

Auch jetzt wird Zaki nicht zerbrechen.

„Zaki ist stark“, murmelt er in Gedanken versunken.

Tōshi neben ihm nickt nur und schüttelt dann den Kopf.

„So viel Blut...“, wispert er hinter seinen Händen.

Kondō schluckt einmal schwer. Obwohl er das mit allen Mitteln verhindern wollte, stürmen jetzt die Erinnerungen wieder auf ihn ein und er kann sich nur dumpf wundern, wie schnell sich das ganze Leben um hundertachtzig Grad wenden kann. Dabei sollte man doch denken, bei seinem Job sollte er das gewohnt sein...

Eine ganz normale Morgenbesprechung und plötzlich wird Zaki weiß wie der Schnee draußen, kippt zur Seite und liegt dann in einer sich schnell ausbreitenden Blutlache.

Alle Anwesenden reagierten sofort, und auch jetzt noch verspürt Kondō großen Stolz auf seine Männer. Die Erste-Hilfe-Maßnahmen gerieten wirklich nur eine Minute ins Stocken, als jemand Zakis Hemd öffnete und sie alle einen deutlichen Blick auf den Körper darunter werfen konnten und ihnen dämmerte, woher all das Blut stammte. Es dauerte noch ein paar kostbare Sekunden, bis sie den Grund dafür kannten – es war Harada, älter und erfahrener als sie alle, der schließlich eine erste Diagnose stellte und dann gerieten sie nicht in Panik. Jedenfalls nicht nach außen hin. Ungeachtet ihres Entsetzens handelten sie unverzüglich.

Sōgo holte einen Funkwagen.

Harada wickelte Zaki in eine Decke (die sich schnell mit Blut vollsog), denn es war kalt und schneite und auch wenn es nur ein paar Meter bis zum Auto waren, wollten sie nichts zusätzlich riskieren.

Jemand holte Mäntel und Mützen für Kondō, Tōshi und Sōgo und Kondō trug Zaki dann schnell zum Auto. Noch jetzt erinnert er sich, wie leicht und fragil sich dieser Körper in seinen Händen anfühlte. Und er erinnert sich, wie er in dieses weiße, stille Gesicht starrte und sich ein Teil von ihm immer wieder fragte:

wie konnten wir das so lange nicht sehen?

Mit eingeschalteter Sirene raste Sōgo durch Edo, während Kondō auf dem Beifahrersitz saß und mit dem Krankenhaus telefonierte, um sie anzukündigen. Tōshi hockte hinten auf dem Rücksitz, hatte Zaki in den Armen und jedes Mal, wenn Kondō einen Blick nach hinten warf, sah er, wie Tōshi ihren in beängstigender Geschwindigkeit ausblutenden Spion ein kleines bisschen fester an sich drückte.

„Entschuldigen Sie?“ Die freundliche Stimme einer Krankenschwester reißt Kondō aus seinen Erinnerungen. Sofort heben er, Tōshi und Tetsu den Kopf und sogar Sōgo schiebt sich die Schlafbrille in die Stirn und richtet sich angespannt auf. Sie alle versuchen, in der freundlichen Miene der Krankenschwester zu lesen, doch sie ist ein Profi durch und durch.

Nur die Art, wie sie eindeutig vor Kondō und Tōshi stehengeblieben ist, sagt ihnen, dass sie tatsächlich wegen ihnen hier ist und nicht wegen der anderen Wartenden.

„Sind Sie Angehörige oder Freunde von Yamazaki-san...?“



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