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Nachtgedanken

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Nachtgedanken

Nachtgedanken
 

Ich wollte in meinem Leben nie etwas anderes werden als Mutter. Schon immer habe ich mir vorgestellt wie es wäre mit meinen drei Kindern Zeit zu verbringen; zwei Jungen und ein Mädchen. Das war meine Wunschvorstellung, denn genauso bin ich aufgewachsen. Zwei ältere Brüder und ich. Es war nicht immer leicht mit meinen Brüdern und doch hat mich das aufwachsen mit ihnen Beiden so sehr geprägt, dass ich mir genau das auch für meine Kinder gewünscht habe.
 

Und jetzt sitze ich hier: 27 Jahre alt und werde wahrscheinlich nie Mutter werden. Drei Jahre haben mein Mann und ich es versucht. Drei Jahre sind nichts im Gegensatz zu den Jahren, die andere Ehepaare kämpfen um schwanger zu werden.
 

Aber was soll man tun, wenn einem die Kraft fehlt, um weiter zu machen? In den vergangenen drei Jahren habe ich so oft gekämpft. Darum von meiner Frauenärztin untersucht, anstatt vertröstet zu werden. Darum, dass mein Mann endlich auch einmal zum Arzt geht und sich durchchecken lässt. Darum, endlich einen Termin in einer Kinderwunschklinik zu bekommen. Darum, um alle nötigen Unterlagen für den nötigen Behandlungsplan für die Krankenkasse zu bekommen. Darum, dass mein Körper, mit Unterstützung sämtlicher nur zur Verfügung stehender Medikamente und Hormone, das tut was er eigentlich von allein sollte.
 

Ende Juni dieses Jahrs bekam ich die Nachricht das der erste Versuch unserer künstlichen Befruchtung fehlgeschlagen war. Und eigentlich hatte ich auch nichts anderes erwartet. Der Zyklus war sowieso scheiße gelaufen, mein Körper hat nicht so reagiert wie wir uns alles gewünscht hatten und im Endeffekt gab es nur eine verschwindend geringe Chance.
 

Nach dem negativen Ergebnis brach für mich eine Welt zusammen und mein erster Gedanke war alles ein zu lassen, bis mich mein Mann fragte, ob wir es noch einmal versuchen. Und ich sagte Ja. Obwohl es nicht mit dem übereinstimmte was ich fühlte.
 

Die erste Zeit danach kapselte ich mich viel von den anderen ab. Ich funktionierte. Ich stand auf, machte den Haushalt, ging arbeiten. Doch als ich einen Abend zur Arbeit fuhr, der nächste Versuch der künstlichen Befruchtung immer näher rückte und ich darüber nachdachte mitten in der Baustelle die Hände vom Lenkrad zu nehmen und einfach Gas zu geben, wusste ich, dass ich keinen zweiten Versuch überstehen würde.
 

Solcherlei Gedanken waren mir nicht neu, in der ersten Hälfte des Jahres ließ ich mir die Handgelenke tätowieren, um mehr Scheu davor zu haben mir die Pulsadern aufzuschneiden.
 

Ich zögerte das absolut nötige Gespräch mit meinem Mann endlos hinaus. Ich wusste wie sehr er sich Kinder wünschte und wollte ihn nicht enttäuschen. Wollte nicht versagen, wollte alles tun was ihn glücklich macht. Aber um welchen Preis?
 

Mein Mann ist niemand, der viel und gerne über seine Gefühle spricht, es gibt Tage, da weiß ich kaum was in ihm vorgeht. Aber als ich endlich den nötigen Mut gefasst und mit ihm über die Situation gesprochen habe, sagte er mir, dass er lieber ein Leben mit mir und ohne Kinder führen möchte als ein Leben ohne mich und ohne Kinder. Ich wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war mit ihm zu sprechen und spürte wie eine große Last von meinen Schultern genommen wurde.
 

Der Wunsch nach einem eigenen Kind wird wahrscheinlich nie verschwinden und die Hoffnung, dass es vielleicht doch noch klappt wird wahrscheinlich nie vergehen, aber ich muss mich damit abfinden, dass es mit höchster Wahrscheinlichkeit niemals etwas werden wird.
 

Ich kann auch nicht umhin zu finden, dass das Leben recht unfair ist. Mein Bruder und seine baldige Frau wurden direkt beim ersten Versuch schwanger. Ich habe einen Neffen, der im Januar dieses Jahrs geboren ist und ich habe mich wahnsinnig über ihn gefreut und mir fest vorgenommen die Art von Tante zu sein, die ihn mit Liebe und Geschenken überschüttet. Aber wie soll ich das tun, wenn ich ihn kaum sehe? Und das Gefühl habe bei meinem Bruder betteln zu müssen, um endlich mal einen Termin zu finden, an dem ich vorbeikommen kann. Wieso muss ich fünf Mal nachfragen, aber mein anderer Bruder kann mal eben spontan nach der Arbeit bei ihnen vorbeifahren?
 

Gestern erzählte mir meine „beste“, meine längste Freundin, dass sie schwanger sei. Und natürlich freut man sich irgendwie… aber als sie vor mir saß und ich mich für sie freuen sollte musste ich schauspielern. Sie weiß welchen Kampf ich um ein eigenes Kind gefochten habe und ich weiß nicht, ob sie gemerkt hat, dass meine Freude nicht so groß war wie ich es habe wirken lassen wollen.
 

Natürlich wünsche ich ihr nur das Beste und doch fragt man sich wieder: Warum sie und nicht ich? Warum gelingt allen in meinem Umkreis diese Sache so problemlos, nur mir nicht?
 

Wahrscheinlich werde ich die Patentante dieses Kindes. Das hat sie zumindest früher immer gesagt. Aber als ich erfuhr, dass sie heiratet habe ich selbstsüchtiger Weise angenommen Trauzeugin zu werden und dann wurde es doch jemand anders. Und erst als es mit dieser ehemaligen Freundin nicht funktioniert hat bin ich eingesprungen.
 

Ich weiß bei ihr nie voran ich bei ihr bin. Habe oft das Gefühl nicht von ihr Ernst genommen zu werden. Spreche über meine Interessen wie das Schreiben oder Animes wird sich lustig über mich gemacht, sie nennt mich Freak, weil ich mich im September über Lebkuchen freue. Nie sagt sie mir was sie in manchen Situationen von mir erwartet und manchmal ist sie sauer auf mich, ohne das ich weiß warum oder was ich falsch gemacht habe. Und ich bin es müde darüber nachzugrübeln. Manchmal frage ich mich, ob ich wirklich noch mit ihr befreundet sein möchte oder ob ich es nur noch bin, weil wir uns eben schon seit unserer Geburt kennen und auch unsere Mütter schon befreundet gewesen waren.
 

Es ist spannend wie ich in meinen Bekanntenkreis oft die Mutterrolle einnehme. Ich bin diejenige, die versucht alles zu klären, zu organisieren und zwischen den anderen Mädels zu vermitteln, wenn die sich mal wieder in der Wolle haben. Es stört mich nicht ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, aber manchmal wünschte ich mir, dass mich mal jemand zur Seite nimmt und sagt: „Ich sehe, dass du es überspielen willst, aber dir geht es nicht gut.“
 

Ich spreche nur selten und mit ganz ausgewählten Personen über mein Innerstes und auch dann halte ich viele Gedanken zurück. Ich will niemanden nerven oder noch zusätzlich mit meinem Gepäck belasten. Halte mich manchmal selbst vom Weinen ab, selbst wenn ich das Bedürfnis dazu habe. Sage mir selbst, dass ich mich nicht so anstellen soll. Dass es Menschen gibt, denen es noch schlechter geht. Die wirklich Depression haben. Menschen, denen es so schlecht geht, dass sie nicht aufstehen können. Nicht arbeiten gehen können, keine Zeit mit ihrer Familie verbringen können.
 

Und ich rede mir ein, dass es mir gut geht. Ich gehe arbeiten, ich verbringe Zeit mit meiner Familie und manchmal auch Zeit mit meinen Freunden, die ich jedoch eher als Bekannte bezeichnen würde.

Und vielleicht stimmt es, vielleicht geht es mir gut. Aber vielleicht auch nicht.
 

Mein Leben verlief nie einfach. Irgendetwas Unvorhergesehenes geschieht immer und es wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern. Aber ich einen Job, ein Dach über den Kopf, ein Auto und einen wundervollen Ehemann. Warum bin ich dafür nicht dankbarer? Warum erwarte ich an jedem einzelnen Tag die nächste große Katastrophe?
 

Vielleicht bin ich selber schuld, vielleicht würde ich mich anders fühlen, wenn ich offen und ehrlich mit jemanden über meine Empfindungen sprechen würde. Ich habe zwei absolut wundervolle Mädchen in meinem Leben mit denen ich das tun könnte, aber auch sie haben ihre Probleme im Leben und kämpfen ihre eigenen Schlachten, dass ich ihnen nicht noch mit meinen dunklen Gedanken die Zeit rauben will. Und wahrscheinlich ist das genau die falsche Einstellung.
 

Aber was soll ich tun? Ich habe nie gelernt wirklich über meine Gefühle zu reden. Kann mich nicht daran erinnern als Kind von meinen Eltern in den Arm genommen worden zu sein, wenn es mir schlecht ging. Aber vielleicht habe ich das auch verdrängt, um mich selbst bemitleiden zu können, nur um mir im nächsten Moment wieder sagen zu können:

„Stell dich nicht so an, Antonia. Anderen Menschen geht es viel schlechter.“



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