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Phoenix

von

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Searching

Das Geräusch des Regens an den Scheiben wird lauter, während ich in Gedanken meine Möglichkeiten durchgehe. Im Endeffekt entscheide ich mich allerdings für die Wahrheit - ich bin es leid, zu lügen. „Ich bin in Irland, Zu.“ Die Reaktion folgt direkt, auch wenn es nicht Hazukis Stimme ist. „WAS?! WO IST DER IDIOT? Wir sollten das nächste Flugzeug nehmen, dann schleif ich ihn an den Haaren nachhause!“ Asanao, unverkennbar. Mir entkommt ein belustigen Schnauben, bevor ich die Finger meiner freien Hand durch meine nassen Haare gleiten lasse. Als ob das irgendetwas ändern würde. Ich halte es in Japan doch gar nicht mehr aus. Allerdings kann ich Hazuki auch nicht böse sein, dass er den Lautsprecher aktiviert hat. Immerhin ist es Monate her, seit wir das letzte Mal Kontakt hatten. „Lass ihn in Ruhe, Nao.“ Oh, offenbar ist sogar Akinori anwesend. Nicht, dass es mich wirklich stören würde, aber es ist ungewohnt, zu wissen, dass sie alle zusammen gekommen sind, in der Hoffnung, dass ich den Anruf annehmen würde. Für einen Moment verkrampft sich mein Herz als ich daran denke, dass ich fast abgelehnt hätte und meine Finger wandern zu der Kette, die ich um den Hals trage, schließen sich langsam um das Kreuz, welches ich von dir zu unserem ersten Jahrestag bekommen habe. „Reo…Gehts dir gut?“ Ich muss schlucken und schüttle langsam den Kopf. Dann wird mir bewusst, dass er mich gar nicht sehen kann. „Nein.“ Er seufzt und ich verziehe das Gesicht. Ich hasse es. Er soll sich keine Sorgen um mich machen, ich bin ein erwachsener Mann und weiß, was ich tue.
 

Meistens jeden Falls. „Reo…“ Ich unterbreche ihn, weil ich genau weiß, was er sagen will und ich will es nicht hören. „Nein, ich komme zurecht.“ Auch wenn ich ihn nicht mehr hatte anlügen wollen. Technisch gesehen ist das nicht mal eine Lüge, nur eine andere Form der Wahrheit. Er muss nicht wissen, dass ich darüber nachdenke, dir zu folgen. Denn ich werde es nie so weit kommen lassen. Ich kann nicht. Selbstmord ist eine Sünde. Und egal wie sehr ich dich auch geliebt habe, diese Last kann und will ich nicht tragen. Allein um meine Mutter nicht zu enttäuschen. Sie war verständnisvoll genug, dich in meinem Leben zu akzeptieren, ohne Vorurteile. „Reo…“ Seine Stimme ist leiser geworden, aber auch klarer, vermutlich hat er den Lautsprecher ausgeschalten und das Zimmer verlassen. „Reo, ich hab Angst um dich.“ Diese Worte schneiden tief, tiefer als ich erwartet hätte und ich zwinge mich zu einem tiefen Atemzug, unsicher wie ich darauf reagieren oder antworten soll. In all den Jahren die wir uns kennen, hatte er das noch nie zuvor zu mir gesagt und ich weiß nicht, was er damit in mir auslöst, aber es gefällt mir nicht. „Bitte…“ Es ist, als würde er mir den Atem abschnüren, so viele Gefühle liegen in seiner Stimme und ich spüre überdeutlich wie neue Tränen in meinen Augen zu brennen beginnen. „Reo…“ „Es tut mir leid.“ Damit habe ich ihn und das Gespräch unterbrochen, lasse das Handy schweratmend sinken und schließe die Augen. Es war schön, mit ihnen zu reden, aber zu wissen, dass sie mich nicht verstehen, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack und ich weiß nicht, wie ich dagegen ankämpfen soll.
 

Es hat sich so viel verändert durch deinen Tod, dass die Kleinigkeiten mir erst aufgefallen sind, als ich am Flughafen stand. Niemand war da, der mich gefragt hatte ob ich das Flugticket wirklich eingesteckt hatte. Oder der mich damit aufzog, dass mein ernster Gesichtsausdruck einem Priester Konkurrenz machen würde und ich früher oder später noch gezwungen wäre, ein Flugzeug zu segnen. All diese kleinen Sticheleien fehlen mir unglaublich. Auch wenn du mich so oft in den Wahnsinn getrieben hattest, dass ich es gar nicht mehr zählen konnte. Wir waren so verliebt - was ist nur schief gelaufen? Mein Handy klingelt erneut - Asanao. Vermutlich will er mir persönlich ins Ohr brüllen. Nach kurzer Überlegung, drücke ich ihn weg und es dauert keine zwei Minuten, bis mir ein neuer eingehender Anruf angezeigt wird, dieses Mal von Akinori. Eins muss ich ihnen lassen, kreativ sind sie. Ausdauer haben sie auch. Aber ich fühle mich nicht in der Lage weiter mit ihnen zu reden, weswegen ich mein Handy schließlich ausschalte und auf den leeren Beifahrersitz neben mir werfe. Wie sehr wünschte ich mir, dass du hier wärst, Yusuke. Dass wir zusammen darüber lachen könnten, wie verzweifelt sie versuchen uns zu erreichen. Ich weiß, wir hatten geplant, irgendwann zusammen abzuhauen und niemandem zu sagen, wo wir sind.
 

Damals hatten wir darüber gelacht wer von der Band wohl als erstes einknickt und uns mit Anrufen bombardiert, heute wünsche ich mir, wir hätten die Band aufgelöst nach deinem Tod. Im Moment haben wir den Status „indefinite hiatus.“ Ich hasse diese zwei Worte so sehr. Sie enthalten eine Hoffnung, der ich mich nicht hingeben kann, noch will. Auf die Bühne zurück zu kehren scheint mir ebenso unmöglich wie den Mond mit meinen Händen zu berühren. Außerdem…Hat dieses Leben dich mir entrissen und ich würde nie wieder ein Instrument in die Hand nehmen können, nie wieder Gitarre spielen ohne an dich zu denken. Wenn sie lynch. weiterführen wollen, dann ohne mich. Das Gewitter scheint nachzulassen und ich muss seufzen. Also gibt es keinen Grund mehr hier zu verharren. Zum Glück weiß niemand, wo genau ich bin, Irland ist groß und meine Reiseziele hatte ich nur mit dir geteilt. Oder besser gesagt, meinem Tagebuch. Während ich den Motor anlasse, durchfährt mich ein kaltes Schaudern und einen kurzen Moment bin ich versucht, doch hier zu bleiben. Dann trete ich das Gaspedal durch und lasse die Klippen weit hinter mir. Stunden später parke ich das Auto erschöpft vor dem Hotel in dem ich mir ein Zimmer gebucht habe, nehme das Handy vom Beifahrersitz und begebe mich auf mein Zimmer um dort direkt ins Bett zu fallen. Morgen werde ich tanken gehen müssen. Das ist das Letzte, an das ich denken kann, bevor ich in den Tiefschlaf abzudriften beginne.
 

Als ich am nächsten Morgen nach einer kurzen Dusche mein Handy wieder anschalte, habe ich unzählige verpasste Anrufe von der Band und eine Mail meiner Mutter, welche ich stirnrunzelnd anklicke. Es ist länger her, dass sie mir geschrieben hat, wir telefonieren für gewöhnlich nur. Aber offenbar war es ihr wichtig. Es ist ein kurzer Text der mich erwartet und wider Erwarten ein Lächeln auf meine Lippen zaubert. >Ich bete dafür, dass Gott dich auf den richtigen Weg nach hause leiten wird, mein Sohn< Das ist alles, aber für einen Moment bin ich dankbar, dass sie mich versteht. Sie verlangt nicht, dass ich nach Japan zurück kehre, sie kennt mich viel zu gut dafür. Und zu wissen, dass sie für mich beten wird, gibt mir Kraft. Ich schreibe ihr kurz zurück, bevor ich beschließe, mich auf den Weg zur Kirche zu machen. Tanken kann ich später immer noch und ich weiß nicht mal, wohin ich heute fahren will, also spricht nichts dagegen. Bisher konnte ich es nicht ertragen, mich einem Gotteshaus zu nähern. Denn das letzte Mal, dass ich in einer Kirche war, war damals, mit dir. Vor einer gefühlten Ewigkeit und doch kommt es mir vor, als wäre es gestern gewesen und ich drehe langsam an meinem Ring. Er ist so schlicht, dass noch keiner irgendetwas bemerkt hat, genau wie es sein sollte.
 

Wir hatten den Zeigefinger gewählt, für die Ringe, um niemandem einen Hinweis zu geben, es war dein Vorschlag und doch war ich zuerst vollkommen verunsichert, mich so in der Öffentlichkeit zu zeigen. Erst als du mir gedroht hattest, dass wir uns ansonsten Ringe tätowieren lassen, fand ich deinen Vorschlag gar nicht mehr so schlimm. Kurz bleibe ich vor der Kirche stehen, atme tief durch. Die Zeremonie damals war klein, nur meine Mutter und mein Bruder waren dabei. Es war so wahnsinnig schwer gewesen, überhaupt jemanden zu finden, der bereit war uns zu verheiraten. Ohne die Hilfe meiner Mutter hätte es wohl gar nicht funktioniert. Der Geruch von Weihrauch empfängt mich wie einen alten Freund und ich schließe für einen Moment die Augen. Nachdem ich mich mit Weihwasser bekreuzigt habe, lasse ich den Blick schweifen, bewege mich langsam durch den linken Seitengang, bis zum Altar. Fast kann ich deine Anwesenheit spüren, wie du meine Finger mit deinen verschränkst und ein trauriges Lächeln legt sich auf meine Lippen. Ich konnte es nicht ertragen, zu deiner Beerdigung zu gehen. Ich war auch nicht an deinem Grab. Es war mir unmöglich, wollte ich dich doch in Erinnerung behalten, wie du warst, nicht wie du von mir gegangen bist. Während ich den Blick zum Kreuz hebe, muss ich wieder an meine Mutter denken. Sie war von Anfang an von dir begeistert, ungeachtet der Tattoos und Piercings oder der Tatsache, dass du kein Mädchen warst und das rechne ich ihr immer noch hoch an. Sie hatte dich einfach akzeptiert. Dabei wusste ich selbst nicht mal wirklich, dass ich auf Männer stehe, bevor du in mein Leben getreten warst…Die kurze Beziehung mit Hazuki hatte ich einer Phase zugeschrieben und meiner Neugier. Offenbar hatte ich mich geirrt.
 

Ein tiefes Seufzen entkommt mir und ich lasse mich langsam auf eine der harten Kirchenbänke sinken um zu beten. Es dauert, bis ich mich genug konzentrieren kann, schweifen meine Gedanken doch immer wieder ab. Allerdings fühle ich mich danach wirklich besser, als wäre eine Last von meinen Schultern verschwunden. Zumindest für einen kleinen Moment scheint es, als ob alles wieder in Ordnung kommen wird. Wer weiß, ob dem wirklich so ist. Aber ich bin gewillt, daran zu glauben. Mich auf die Zukunft zu konzentrieren. Auch wenn es schwer werden wird, ohne dich. Bevor ich die Kirche verlasse, zünde ich noch eine Kerze für dich an und erneut habe ich das Gefühl, dass du bei mir bist. Dieses Mal allerdings ist es, als würdest du mir neugierig über die Schulter sehen und lachend den Kopf schütteln. Oh Yusuke. Du hast keine Ahnung, wie sehr du mir eigentlich fehlst. Ich bekreuzige mich nochmal, verlasse die Kirche und werfe einen Blick in den blauen Himmel. Schäfchenwolken treiben vorbei, als würden sie fangen spielen und ich verziehe das Gesicht. Sogar die Wolken erinnern mich an dich und bessere Zeiten. Damals, als wir betrunken durch den Park gestolpert sind…Nur zu zweit. Ich weiß nicht mal mehr, wieso ich so viel getrunken hatte, wie du es geschafft hattest, dass ich so sorglos mit dir durch die Nacht gelaufen bin. Andererseits war es ein wunderschöner Abend. Wir hatten so viel Spaß zusammen. Es war kurz nach unserer Tour, nachdem du mir deine Gefühle gestanden hattest…
 

Wir waren nach Nara gefahren mit der Band, um uns auszuruhen und für ein Fotoshooting von Hazuki. Drei Tage Abstand zum Bandalltag. Es war wunderschön, auch wenn ich es vorgezogen gehabt hätte, zuhause zu bleiben und zu schlafen. Wir hatten uns die Gegend angesehen, Fotos gemacht und Akinori war von den zutraulichen Tempelrehen etwas durch die Gegend gehetzt worden, weil er ihnen die Kekse nicht schnell genug rausgerückt hatte. Es war eine der schönsten Nächte in meinem Leben gewesen. Wieso haben wir davon keine Bilder gemacht? Zwar gibt es Fotos von uns mit den Rehen, aber nicht von unserem kleinen Abenteuer im Park. Ich bereue es. Ich bereue auch, dass wir nicht mehr Fotos zusammen gemacht haben. Zwar gibt es zahlreiche Bandfotos von uns, aber keine Pärchenbilder. Die Fotos von unserer Hochzeit sind damals mit dir verbrannt und ich habe es nicht über mich gebracht, meinen Bruder nach den Negativen zu fragen. Als ich vor dem Hotel stehen bleibe, muss ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel wischen, gefolgt von einer weiteren Träne und danach noch einer. Ich hasse mich dafür, so schwach zu sein. Ich kann doch nicht in der Öffentlichkeit weinen. Was sollen die Leute denn nur denken? Mit zitternden Fingern zünde ich mir eine Zigarette an, um mich wenigstens etwas ablenken zu können und als ich das Feuerzeug sinken lasse, nehme ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr und drehe mich irritiert in diese Richtung.
 

Auf der Straße sitzt eine schwarz-weiß-grau-gefleckte Katze welche mich aufmerksam mustert und ich hebe eine Augenbraue. Die einzigen Tiere die ich hier bisher gesehen hatte waren Schafe, Kühe und Hütehunde. Aber gut, wieso sollte es hier auch keine Katzen geben? Sie starrt mich weiterhin an, während ich rauche und als ich die Zigarette fallen lasse, austrete und mich bücke um den Stummel aufzuheben und in ein Taschentuch zu wickeln, erwarte ich eigentlich, dass das Tierchen verschwunden ist, als ich aufsehe. Stattdessen sitzt sie immer noch da, ihr Schwanz geht von links nach rechts und als ich einen Schritt auf sie zumache, erhebt sie sich. Ein weiterer Schritt in ihre Richtung und sie wirft mir einen eindeutigen Blick zu, bevor sie davon läuft. Ich runzle die Stirn. Will sie, dass ich ihr folge? Als sie in einigen Metern Entfernung stehen bleibt und mich böse ansieht, muss ich seufzen. Was kann es schon schaden, einer Katze zu folgen? Also gehe ich ihr nach. Vielleicht auch, weil sie mich an dich erinnert. Das Tierchen scheint genau zu wissen, wohin sie will, immerhin führt sie mich quer durchs Dorf, immer wieder sich zu mir umdrehend, ob ich ihr auch folge. Niemand scheint sich an diesem seltsamen Anblick zu stören, die wenigen Leute die sich auf der Straße aufhalten, nicken mir nur freundlich zu, was ich nichtmal erwidern kann, weil ich so auf die Katze konzentriert bin. Vermutlich habe ich auch einfach nur den Verstand verloren, Katzen zu folgen wäre mehr was für Asanao.
 

Wer weiß schon, wo das enden soll? Aber mein Gefühl sagt mir, dass ich der Katze folgen soll und seufzend lasse ich den Blick schweifen. Mittlerweile haben wir die letzten Häuser hinter uns gelassen, der Weg beginnt uneben zu werden und ein kalter Wind ist aufgekommen, aber die Katze bleibt nicht stehen. Dafür tue ich es. „Entschuldige, Kleines…Aber ich glaube, ich gehe zurück.“ Seufzend sehe ich mich kurz um - ich will mich ja auch nicht verirren. Der Handyempfang hier draußen ist zwar gut, aber trotzdem. Im nächsten Moment reibt sich etwas schnurrend an meinen Beinen und ich gehe in die Hocke um der Katze den Kopf zu kraulen, welche sich enger an mich heran schmiegt und die Wange an mir reibt. „Du magst mich, hm?“ Sie miaut leise, das erste Mal, dass sie einen Laut von sich gibt und springt mir dann auf den Schoß um sich laut schnurrend an meiner Brust zu reiben. Ich muss lachen und beginne sie unter dem Kinn zu kraulen. „Ja ist ja gut…Du bist echt niedlich. Und wahnsinnig verschmust…Bist du hier die Dorfschönheit?“ Sie miaut erneut, was mich grinsen lässt. Einige Minuten lässt sie sich mit Kraul- und Streicheleinheiten milde stimmen, dann springt sie von meinem Schoß und tappst zielstrebig auf den einige Meter entfernt liegenden Wald zu - kurz sehe ich ihr nach, bevor ich aufstehe und ihr seufzend folge. Was habe ich schon zu verlieren?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  EndlessRain
2019-12-25T21:06:12+00:00 25.12.2019 22:06
Gnihihihihi ich stell mir das so genial vor, wie Akinori von den Rehen gejagt wird /D
*hust*

Reo ist auch so ein Held …
Natürlich hat er unzählige Anrufe auf seinem Handy, seine Freunde machen sich schließlich Sorgen >____<
Ob Hazuki seiner Mutter Bescheid gesagt hat? oô
Wenn Reo ja keinem Bescheid gegeben hat, dann dürfte seine Mutter das auch nicht gewusst haben u.u
Hach q.q
Mag ihn flauschen ey … armes Reo u.u

Bin aber gespannt, wo die Katze ihn hinbringt xD


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