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Wo wir einst wandelten

von

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Chaos.
 

Der Boden unter seinen Füßen schien sich zu bewegen. Ungewöhnlich schwer war jeder Schritt und mit beiden Händen versuchte er sich an den viel zu glatten Wänden abzustützen. Etwas war nicht richtig. War dies das Halamshiral, das er kannte? Die Sicht verschwamm ihm, immer wieder musste er blinzeln. Die stolzen Hallen, getragen von Säulen, verziert mit feinen Kunstwerken aus fernen Ländern – alles lag in Schutt und Asche. Im Sterben. Drakon. Kordillus Drakon. Wo war er? Er musste ihn in Sicherheit bringen. Er war sein Freund - und der erste Kaiser des orlaisianischen Reiches. Ein guter und gläubiger Mann. Nicht auszudenken, was geschehen würde, sollte ihm etwas zustoßen. Er musste weiter. Ein Schritt. Und noch einer.
 

Ein Knacken ließ ihn erschaudern. Es hallte durch den breiten Korridor hindurch und verebbte nach und nach. Die Stille, die es hinterließ, war nicht wenig aufreibend. Dann brachen sie durch. Jede Tür im Gang schlug weit auf und aus ihnen heraus quollen sie: Widerliche verderbte Kreaturen. Mit ihnen drang Unheil aus den Räumen, es breitete sich dunkel über dem Boden aus und färbte die Wände schwarz. Der Geruch von Verwesung lag in der Luft. Dunkle Brut. Halamshiral war voll davon!
 

Ein brennender Schmerz auf seiner Wange ließ ihn aufwachen. Der Elf setzte sich rasch auf, er war nicht allein in seinem Zelt. Haron war bei ihm. Er hatte ihn geweckt. Der Templer sah ihn finster an.
 

"Telana ist fort, Inquisitor."

Als liefe die Zeit einen Moment über langsamer wandte sich der Angesprochene, Ameridan, langsam dem leeren Schlafplatz neben sich zu. Seine Hand strich über die Felldecken. Sie waren kalt. Er spürte, wie seine Kehle trocken wurde und das Herz ihm hart in der Brust schlug. Telana. Seine liebste Telana.

"Wir müssen sie finden."

Haron nickte, dann kletterte er rücklings aus dem kleinen Zelt hinaus. Eisige Winterluft drang in dieses ein, als er die Planen zurückschlug.
 

"Sie hätte nicht vor dem Morgen aufwachen dürfen." Orinnas Stimme war weniger aufgewühlt und mehr etwas verärgert.

"Ich muss einen Fehler gemacht haben."

Sie inspizierte eine leere Phiole, aus welcher ein schwerer würziger Geruch entrann. Dann schnaubte die Zwergin.

"Das Schlafmittel hätte einen Ochsen ins Koma geschickt. Mindestens ’ne Woche lang."

"Es war kein Fehler." Auch Ameridan entschlüpfte dem niedrigen Zelt. Seine Stiefel sanken tief in den Schnee ein. Es musste die ganze Nacht über geschneit haben. Noch immer sanken schwere Flocken auf den Grund, der bereits voll mit ihnen war.

"Sie ist nicht sie selbst. Das alles hier", er schüttelte den Kopf, "Ich hätte sie niemals herbringen dürfen."

"Und Du? Du fühlst nichts?"

Orinna runzelte die Stirn. Es erschloss sich ihr nicht, weshalb die Magierin so anfällig war für die Präsenz des Avvar-Gottes, während Ameridan unberührt hiervon zu sein schien. Zumindest, was seine Fähigkeiten betraf – aufgebracht ob der bevorstehenden Aufgabe war er schon. Sie verstaute den leeren Glasbehälter in einer speckigen Ledertasche.

"Sie ist eine Träumerin." entgegnete er leise. "Eine Somniari."

"Ihre Verbindung mit dem Nichts ist gänzlich anders als die meine."

Er zog sich seinen schweren Umhang fest um die Schultern und sein Blick streife über das kleine Lager. Drei Zelte, ein ausgebranntes Feuer. Darum herum lagen Schnee, Eis und eine schier endlose Nacht.
 

Orinna konnte es nicht leugnen: Sie war froh, gar keine Verbindung zu dem Nichts zu haben. Es war nicht nur unnatürlich, es war ganz offensichtlich auch gefährlich.

"Wo fangen wir an?" Sie rieb sich die Nase

"Mit der Suche, meine ich."

"Haron, sieh Dich am Waldrand um." Der Inquisitor deutete in eine Richtung, von der alle wussten, dass in dieser ein dichtes Waldgebiet lag. Der große Templer nickte. Er wartete nicht die weiteren Befehle ab, sondern wandte sich um, um alsbald schon von der Nacht verschluckt zu werden.

"Orinna, geh den Fischer fragen."

Erst am Vortag waren sie einer kleinen Familie begegnet, die am Ufer des großen Wolkenkappensees lebte, der die Frostgipfelsenkte dominierte. Ihr Oberhaupt war ein hochgewachsener tätowierter Avvar, der sie freundlicher begrüßt hatte, als sie es erwartet hatten.

Die Zwergenfrau nickte ebenfalls. Sie richteten ihren Ledergürtel, an denen unzählige kleine Fläschen und getrocknete Kräuter baumelten. Dann zog sie sich ihre Kapuze über das rotblonde Haar und verließ entschlossen diesen Ort.
 

Ich komme mit Dir.

Der Geist hatte nicht geruht. Geister taten dies selten. Amridan war nicht undankbar, ihn an seiner Seite zu wissen. Manchmal war er ein Schatten, ein Schemen, der ihn begleitete. Und manchmal lebte er in einer Ecke des Verstandes des Elfen. Hier hauste er harmlos und friedlich. Immer, wenn sein Freund Hilfe benötigte, stand er ihm zur Seite – mit Rat und mit Taten.

"Gut."

Achtlos warf Ameridan die Zeltplane hinter sich zu, nachdem er seinen knorrigen Stab aus dem Inneren gezogen hatte. Ein trübes Licht erschien an dessen Spitze. Mit jedem Schritt schob er den Schnee vor sich her, in den er bald schon bis knapp unter seine Knie eingesunken war. Haron würde es einfacher haben als er. Orinna weniger. Die Nacht war eisig. Sein Stab war die einzige Lichtquelle, sah man vom sternenübersäten Himmelszelt ab, für das er in diesem Moment keinen Blick hatte. Der Schnee reflektierte ihr fahles Licht, sodass die späte Stunde nicht allzu finster war. Weniger bedrohlich war sie deshalb kaum – Ameridan fühlte sich, als wandere er im Schatten Hakkons mit jedem Schritt, den er tat.

Er weiß, dass Du hier bist.

"Soll er es wissen", entgegnete der Inquisitor seinem geisterhaften Begleiter, "ich fürchte ihn nicht."

Sie tut es.

Der Elf hielt inne. Die eisige Luft stand einige Sekunden in seinen Lungen, ehe er sie aus diesen hinauspresste.

"Ich weiß." gab er resignierend zur Antwort.

In Halamshiral wäre sie nicht nur sicher gewesen, sie wäre dort gebraucht worden – hätte an seiner Stelle Drakon zur Seite stehen können. Aber sie wollte nicht allein zurückbleiben.

Sie wollte Dich nicht gehen lassen.
 

Ein scharfer Wind schlug auf seinem Gesicht auf. Ameridan kniff die Augen zusammen und realisierte, dass er das Ufer des großen Sees erreicht hatte. Die Oberfläche erinnerte ihn an einen Spiegel, so glatt präsentierte sie sich in dieser Nacht.
 

Dort.

Ameridans Augen weiteten sich. Da war sie. Sie stand inmitten des Wassers und war so ruhig dabei, dass nicht die leichteste Welle von ihrem Körper ausging. Ihre Robe und der weite Umhang darüber waren aufgefächert und lagen im Bogen um sie herum auf dem Wasser, vollgesogen mit diesem. Das dunkle Haar trug die Spuren des geflochtenen Zopfes, der so oft über ihrer Schulter gelegen hatte in den letzten Jahren. Jetzt waren es offen und seine Spitzen ruhten ebenso im eisigen Nass. Das Bild, das sich ihm zeigte, erinnerte den Inquisitor an eine Seerose. Dunkler als ihre blumigen Schwestern, aber nicht minder schön.

Auch er trat ins Wasser. Seine Kälte stach durch das gewachste Leder seiner Stiefel hindurch und durch den Stoff seiner Gewandung. Bereits nach einem kurzen Stück verlor er jedwedes Gefühl in seinen Fußspitzen. Nur sehr langsam kam er voran. Sein Umhang, der sich schnell mit Wasser vollsog, stellte ein Gewicht an seinen Schultern dar, das versuchte, ihn zurückzuziehen. Doch er ließ sich nicht aufhalten.
 

Sie lebt.

Der Geist beantwortete eine unausgesprochene, nicht einmal gedachte Frage Ameridans. Ihre Pose wirkte lebendig. Doch das eisige Wasser, die Härte des Winters und ihre Ungerührtheit beängstigten ihn. Mehr, als er sich eingestehen wollte.
 

"Telana."

Sie rührte sich nicht.

Schnee lag auf ihren Schultern und auf ihrem Haupt. Er schmolz nicht. Er berührte sie. Langsam ging er um sie herum und stand nun inmitten des Sees vor ihr. Die schwarzen Strähnen rahmten ihr blasses Gesicht, unterbrochen nur von ihren schmalen spitzen Ohren. Ihre Lippen waren blau ob der Kälte und gefrorene Tränen standen unter ihren großen hellen Augen.

Ameridan küsste ihre Stirn. Erleichtert, sie gefunden zu haben, doch von Sorge erschlagen.
 

"Es tut so weh", flüsterte sie leise, "diese Präsenz. Sie ist… überwältigend."

Er zog sie eng an sich heran und versuchte, sie zu wärmen. Da die Kälte auch in ihm hochkroch, fiel ihm dies mit jeder voranschreitenden Minute schwerer.

"Wir können…"

Die Stimme erstarb ihr auf den Lippen.

"Wir können ihn nicht vernichten."

Hilfesuchend blicke sie zu ihm auf und zum ersten Mal, seitdem er sie gefunden hat, wirkte sie lebendig.

"Lass uns gehen, Vhenan. So lange wir noch können."

"Geh Du." antwortete er sanft.

"Kehre zurück nach Halamshiral. Warte dort auf mich. Ich werde ihn zerstören und dann kehre ich zurück zu Dir."

Sie wird bleiben.

"Ich bleibe, wo Du bleibst."

Ein blasses Lächeln strich über ihre Lippen.

"Aber ich habe Angst."

"Wir werden siegreich sein."

Seine Worte vermittelten Gewissheit, er war überzeugt davon.

"Und dann kehren wir zurück."

Sie wird nicht mit Dir zurückkehren.

"Du erfrierst hier draußen. Komm, ich bringe Dich ins Warme."

Er hob sie auf seine Arme. Sie wehrte sich nicht. Ihr Körper war seltsam steif. Ihr Blick war in der Ferne verloren. Was auch immer sie sah, es lag nicht in dieser Welt.

Sie stirbt, mein Freund. Sie weiß es.

"Nein. Nein, das tut sie nicht."

Das Ufer lag weit hinter ihnen. Näher war ein anderer fester Grund – eine kleine Insel inmitten des Sees.
 

Er brachte sie dorthin.

Ein verlassener Holzverschlag bot ihnen Schutz. Hier legte er sie nieder und beeilte sich, ein magisches wärmendes Feuer zu erschaffen.
 

Telana war in einen tiefen Schlaf gesunken. Albträume schüttelten ihren Körper, der dünne Leib verrenkte sich und schmerzverzerrtes Stöhnen perlte von ihren Lippen.

"Die Kleidung ist trocken." Orinna deckte die Elfe wieder zu, nachdem sie sich über den Zustand ihrer Gewandung Gewissheit verschafft hatte. Die schweren Schaffelle spendeten viel Wärme, aber nicht genug.

"Sie ist immer noch eiskalt."

Die Zwergin war vor einiger Zeit gemeinsam mit dem Templer hergekommen. Ameridan hatte einige Leuchtzeichen von der Insel aus ans Festland geschickt. Beide hatten diese wahrgenommen und waren dem stummen Ruf gefolgt. Haron stand in der Tür und starrte auf den See hinaus.

"Und sie hat Schmerzen." Sie hatte gezögert, ehe sie diese Feststellung äußerte. Es war nichts, was die anderen beiden nicht schon wussten. Es ausgesprochen zu hören jedoch, machte es realer.
 

Sie macht sich auf. Sie geht. Fort von hier.

"Nein!" Die Ruhe war aus Ameridans Stimme verschwunden.

Orinna und Haron starrten ihn an. Sie hörten die Stimme des Geistes nicht, wussten aber um seine Präsenz.

"Sie darf nicht gehen. Wir müssen… wir müssen uns beeilen. Hakkon vernichten und von hier verschwinden."

Bis eben hatte er neben ihr gesessen, nun jedoch stand er auf und ballte entschlossen seine Fäuste.

"Wir brechen auf."

"Wir können sie nicht hier zurück lassen." Orinna wirkte empört. "Nicht allein!"

Ihr müsst.

"Ihr müsst."

Telana war erwacht. Ihre zittrigen Worte und die Stimme des Geistes erklangen zur gleichen Zeit in Ameridans Ohr.

"Wir müssen." antwortete der Elf.

Der Schmerz, der in seinen Worten lag, drang tief in ihre Gemüter.

Deine Pflicht über Deine Liebe?
 

"Geht. Vernichtet Hakkon. Tut ihr dies nicht, werden viele Unschuldige sterben." flüsterte Telana leise.

Ein zerbrochenes Husten schloss sich ihren Worten ab.

"Ich kann nicht. Ich…"

Sie unterbrach sich und betastete ihre Nase. Blut lief aus dieser, ein dünner Strom. Abwesend wischt sie diesen fort.

"Ich kann nicht."

Ameridan legte die Spitzen seiner Finger auf ihre Lippen. Er hatte sich zärtlich zu ihr hinunter gebeugt.

"Hakkon fällt heute Nacht."

Erneut lächelte sie. Seine Lippen waren berührt hiervon. Er neigte sich an sie heran und küsste sie. Der penetrante eisenhafte Geschmack von Blut überschattete diese Geste.
 

Orinna stieß Haron an und zog ihren Kopf in einer eindeutigen Bewegung an die Seite. Der Templer verstand. Beide verließen die kleine Hütte.
 

"Ich hätte Dich niemals mit hierher bringen dürfen. Verzeih mir." Er hielt ihre Hand.

"Tel'abelas, Vhenan", wisperte sie, "ich bereue nicht, mit Dir gegangen zu sein. Ich habe es immer getan. Ich werde es immer wieder tun."

Ameridan musste an sich halten, stille Tränen lagen in seinen Augen.
 

"Kannst Du sie retten?"

Nein.

"Kannst Du sie schützen?"

Nicht lang. Hakkons Macht ist groß.

"Eine Weile?"

Eine Weile.

"Ich kehre zurück."

Sein Versprechen lag in der Nacht. Die schemenhafte Gestalt des Geistes glitt auf ihm an die Elfe heran und legte sich schützend um sie.

"Ich warte."

Ihre Stimme war nur noch ein Hauch. Dann schüttelte ein weiterer Krampf ihren Körper.

"So lange es sein muss."
 

Als Ameridan den kleinen Holzverschlag verließ, ließ er die Liebe seines Lebens zurück und mit ihr sein Herz. Am Rande seines Verstandes verbiss sich die Angst, ihr niemals wieder zu begegnen.



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