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Crystal of the Dark

von

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Tal der Erinnerungen

Kapitel 15: Tal der Erinnerungen:
 

Schweigend laufe ich neben Arkor her durch die belebten Straßen der Stadt. Immer wieder sehe ich mich neugierig um, bewundere die Wandmalereien und staune über die Vielfältigkeit der Auren, die sich hier tummeln, obgleich die meisten Dämonen in ihrer humanoiden Gestalt unterwegs sind. Längst nicht alle. Ich habe beobachtet, dass vor allem die Feuerdämonen, wie Sukkuben und Satyr grundsätzlich in ihrer dämonischen Gestalt durch die Straßen wandern. Warum ist das so? Ob ich Arkor danach fragen kann? Immerhin sind wir ja auch in humanoider Gestalt unterwegs. Dabei wären wir als Wölfe wesentlich schneller.
 

Kaum haben wir die Stadt verlassen, bleibt mein Vater stehen, streckt sich ausgiebig und funkelt mich herausfordernd aus grünen Augen an. "Bereit für ein kleines Wettrennen?"

Erst verdutzt, dann verschmitzt grinsend erwidere ich seinen Blick. "Wenn du unbedingt verlieren willst."

Er lacht herzhaft. "Vergiss es! Dafür bist du 1000 Jahre zu jung." Dann verwandelt er sich und sprintet auf den großen Wald zu.

"Hey! Das ist unfair! Warte gefälligst auf mich!" Auch ich verwandle mich in einen Wolf und wetze ihm direkt hinterher. In meinem Kopf hallt sein fröhliches Gelächter wieder. Sind eigentlich alle Väter so?
 

Wir jagen durch das Unterholz des Waldes, springen über umgestürzte Baumstämme und rennen platschend durch die unzähligen Flüsse. Bald schon ist das Wettrennen vergessen und ich genieße es einfach nur noch, wie der Wind durch das satte Grün zu fliegen. Völlig berauscht von der Geschwindigkeit, mache ich ein paar besonders lange Sätze und heule vergnügt, was einige Vögel aufschreckt. Das stachelt mich nur noch mehr an und im Zick Zack geht es weiter um die gigantischen Bäume, wobei ich absichtlich etwas lauter bin, damit noch mehr Vögel in den Himmel steigen. Es ist einfach nur atemberaubend schön, wie das Licht auf ihrem bunten Gefieder reflektiert wird.
 

"Man könnte meinen, du hast dein Leben lang nichts anderes getan, als durch den Wald zu laufen." erklingt Arkors belustigte Stimme in meinem Kopf.

Ich werde etwas langsamer, sehe mich um, doch zwischen all den Bäumen und den vielen Pflanzen, kann ich den grauen Wolf nicht erkennen. Dennoch muss er in meiner Nähe sein. Als ich etwas genauer hinschaue, kann ich allerdings rechts vor mir zwischen den Bäumen und dem durch das Blätterdach einfallende Licht die gold-braune Aura meines Vaters erkennen.

Ich laufe direkt darauf zu, doch er ist schnell und so folge ich ihm eine Weile schweigend. Erst als der Wald nach und nach in eine Wiese übergeht, deren üppiges Grün sich immer mehr dem schroffen Gebirgsuntergrund angleicht, wird er langsamer. Auf einem Vorsprung machen wir Halt und ich stelle mich neben ihn.
 

Anfangs dachte ich, er wollte mir zeigen, wie atemberaubend die Aussicht von hier ist, doch schnell wird mir klar, dass das nicht der Grund ist, warum er mich hierher gebracht hat.

Unter uns erstreckt sich ein öder Landstrich mit kargem Gestrüpp. Die Ebene unter uns wirkt trostlos und tot, als wäre alles Leben geflohen.

"Wo sind wir?"

"An der Grenze."

Fragend sehe ich ihn an. Was für eine Grenze?

"Diese Ebene war bis vor wenigen Jahren noch fruchtbar und grün. Wir waren oft hier draußen. Doch die Schatten verseuchen immer mehr Land. Wenn wir sie nicht aufhalten, wird es bald schon überall so aussehen."

Nachdenklich betrachte ich die trostlose Gegend. Selbst wenn wir die Schatten irgendwie vertreiben oder gar besiegen könnten, wie lange würde es wohl dauern, bis sich diese Ebene wieder erholt hat? Kann sich die Natur von einer derartigen Verseuchung überhaupt wieder erholen?

Meine Gedanken schweifen zur Irdischen Welt. Auch der Mensch richtet erheblichen Schaden an der Natur an, aber wo immer man ihr etwas Zeit gönnt, erholt sie sich auch wieder. Ob das hier ähnlich ist?
 

"Ich wüsste wirklich gern, was gerade in deinem Kopf vor sich geht, mein Kind."

Überrascht schrecke ich aus meinen Gedanken hoch und blicke meinem Vater direkt in die goldgelben Augen. Warmherzig sieht er mich an, bevor er seinen Blick wieder auf die Ebene richtet.

"Ich habe mich gefragt, wie lange es wohl dauern mag, bis sich dieser Ort vom Einfluss der Schatten erholt hat."

"Nun, das hängt davon ab, wie schnell wir diese Kreaturen vertreiben können. Es wird Jahre dauern. Vielleicht sogar Jahrzehnte oder Jahrhunderte. Wer weiß. Aber es gibt Gegenden, die schon länger unter dem Gift der Schatten leiden. Je näher wir dem Loch der verlorenen Seelen kommen, umso düsterer werden die Orte."

"Warum hast du mich hierher gebracht?"

"Ich will dir zeigen, was geschieht, wenn wir in unserer Aufgabe scheitern." Er wendet sich ab und sucht sich einen schmalen Pfad an der Klippe entlang, der hinunter ins Tal führt.

Ich folge ihm vorsichtig, denn immer wieder bröckeln Steine unter meinen Pfoten ab, und ich bin nicht sonderlich scharf darauf, hinter ihnen her zu stürzen in diese Tiefe.
 

Kaum betreten wir den Boden der Ebene, durchfährt mich eine unangenehme Kälte. Ich zögere, gebe ein leises Winseln vor mir und wage es nicht, mich von der Felswand zu entfernen, die wir eben herunter gekommen sind.

Arkor dreht sich zu mir um und legt den Kopf schief. Dann scheint er zu verstehen und ich werde von einer angenehmen Wärme eingehüllt, die sich als seine Aura entpuppt.

"Eiyu, fürchte dich nicht. Was du spürst, ist die Kälte der toten Erde unter deinen Pfoten. Aber es besteht keine Gefahr. Lass diese Finsternis nicht in dein Herz. Ich bin bei dir." Arkor kommt zu mir und stupst mich sanft an.

Noch immer etwas verunsichert, setze ich eine Pfote vor die andere. Die Kälte ist mehr als unangenehm aber mein Vater hat Recht: Uns droht keine Gefahr. Kein Grund also, sich zu fürchten.
 

Tatsächlich scheine ich mit jedem Schritt mutiger zu werden, und schon bald geht meine eher gebückte Haltung wieder über in einen aufrechten Gang mit hoch erhobenem Haupt. Immer weiter gehen wir die Ebene entlang, überqueren einige Gräben, die wie ehemalige Flussbetten aussehen und machen erst Rast, als wir vor einer schroffen Gebirgskette stehen. Arkor nimmt wieder seine menschliche Gestalt an und ich tue es ihm gleich.

"Von hier an sollten wir unsere Kräfte schonen."

Noch immer weiß ich nicht, wohin er mich führt. Allerdings beschleicht mich so ein ungutes Gefühl und schnell schiebe ich es beiseite, denn ich will lieber nicht daran denken.
 

Die Klettertour zerrt deutlich an meinen Kräften und schon bald hat das schlichte, schwarze Kleid einige Risse und ist völlig verdreckt. Vielleicht hätte ich mich vorher umziehen sollen. Auf einem Vorsprung rasten wir erneut und Arkor beginnt lauthals zu lachen, als er mich dabei beobachtet, wie ich das Kleid an der Seite einreiße, damit ich wenigstens etwas Bewegungsfreiheit beim Klettern habe.

"Die Aktion kommt zu spät, Aki. Ab jetzt müssen wir nicht mehr klettern."

Skeptisch sehe ich zu ihm herüber. Sein Sakko liegt neben ihm im Staub und die Hose sieht aus, als hätte er absichtlich den ein oder anderen scharfkantigen Felsen gestreift, damit sie möglichst schnell kaputt geht. Nur das Hemd scheint den Aufstieg halbwegs unbeschadet überstanden zu haben.

"Warum haben wir uns eigentlich nicht vorher umgezogen? Du wusstest doch, was uns erwartet."

"Sagen wir einfach, ich wollte keine weitere Verzögerung."

"Ah ja. Und der Anzug ist nur zufällig so ramponiert?"

"Für's Protokoll und auch für deine Mutter: Ja, das war reiner Zufall!"

"Und so unter uns?" grinse ich verschmitzt.

"So von Vater zu Tochter..." er winkt mich heran, um mir ins Ohr flüstern zu können. "... ich habe diesen Anzug immer gehasst. Aber deine Mutter findet ihn so toll."

Ich muss kichern. "Und deswegen schleppst du mich in so einen entlegenen Winkel der Unteren Welt?"

"Ja, natürlich. Nur deswegen." Trotz des Lachens höre ich den Sarkasmus deutlich heraus.

Ich werde wieder ernst. "Warum sind wir wirklich hier?"

Arkor steht auf und wuschelt mir dabei durch's Haar. Das muss eine Männerkrankheit sein! Ohne ein Wort zu sagen, geht er los und mit einem tiefen Seufzer folge ich ihm.
 

Unser Weg führt uns durch die kleine Gebirgskette. Dabei scheint Arkor sehr darauf bedacht zu sein, breite Pfade zu wählen, deren Abstieg kaum zu merken ist. Es dauert eine Zeit, bis wir erneut auf einer Ebene landen. Eine unnatürliche Kälte beherrscht diesen Ort. Es ist düster und sogar noch trostloser als auf der Ebene zuvor. Ich hocke mich hin, um etwas Sand aufzunehmen. Er fühlt sich kalt an, als hätte er seit Jahren keine Sonne mehr gesehen. Oder anderes Leben. Eine tiefe Traurigkeit stellt sich in mir ein. An diesem Ort hat schon lange keine Blume mehr geblüht.

Der Sand rieselt durch meine Finger und wird von dem leichten Wind davon getragen.

"Wir haben diese Ebene lange verteidigt. Noch vor 50 Jahren war das angrenzende Gebirge dort hinten die natürliche Grenze zwischen uns und den Schatten. Doch sie sind erstarkt und drangen einfach ins Tal. Als wir hier eintrafen, gab es bereits kein Leben mehr."

"Schwer vorstellbar, dass hier überhaupt einmal irgendetwas gelebt haben soll."

"Durch die Lage mag es dir wie ein einsames Tal vorkommen aber glaube mir, früher blühten hier die schönsten Nachtblumen der Unteren Welt. Es war ein friedlicher Ort und viele Jahrhunderte lang die Heimat von Harpyien und Gargoyles."

"Was ist aus ihnen geworden?" Frage ich leise, denn insgeheim fürchte ich mich vor der Antwort.

"Einige konnten fliehen und leben jetzt versteckt in den höheren Gebirgsketten. Aber die meisten hatten leider weniger Glück." Er geht ein Stück weiter und bleibt dann an einem knöchernen Gebilde stehen, das mich ein wenig an die gespenstischen Bäume aus den Spukgeschichten meiner Kindheit erinnert. Beinahe liebevoll streicht er darüber.

"Erinnerungen?" frage ich nur vorsichtig.

"Ja." Er seufzt leise und lehnt seine Stirn gegen seine Hand. "Vor über 800 Jahren war das einst der prächtigste Baum im ganzen Tal. Er war größer als die anderen, sein Stamm war dick und stark und er trug die saftigsten Früchte, die ich je gegessen hatte. Es war immer schon der Lieblingsplatz deiner Mutter gewesen. In diesem Tal hat damals unser Rudel gelebt." Arkor bückt sich und wischt ein bisschen Erde weg.

Unsicher, ob und was ich sagen soll, bleibe ich an seiner Seite stehen und beobachte ihn.

"Ich habe gehört, was deine Mutter erzählt hat. Hat sie seitdem das Thema noch einmal aufgegriffen?"

"Nein. Mut-... Eri-..." Ich stocke.

Arkor lächelt mild. "Fällt es dir so schwer? Halte es doch einfach wie dein Bruder. Sag Mam und Dad. Wir sind ja mittlerweile daran gewöhnt."

Ich spüre, wie ich rot werde und drehe verlegen den Kopf weg. Es ist immer noch so fremd für mich, sie direkt anzusprechen. "Mam..." Fühlt sich komisch an. Aber nicht falsch. Vielleicht, wenn ich es öfter verwende, wird es dann vertrauter. "Sie hat das Thema seither nicht mehr angeschnitten."

"Dachte ich mir fast. Für sie ist es noch immer unglaublich schwer, darüber zu sprechen. Du weißt, dass wir bei einem Angriff eine Tochter verloren hatten. Ihr Name war Laki. Sie war die jüngste unserer drei Kinder. Ihre älteren Geschwister hießen Gajun und Hirumi. Gajun, unser Ältester, war sehr temperamentvoll, ehrgeizig und hitzköpfig. Vom Wesen her war er Sai sehr ähnlich, weswegen ich wohl oft zu nachsichtig mit ihm bin. Aber auf ihn war immer Verlass und er hat seine Schwestern beschützt. Er wäre ein würdiger Nachfolger gewesen.

Hirumi dagegen war er schweigsam aber stolz und sehr klug. Für sie gab es keine Probleme, nur Lösungen, die schwerer zu finden waren. Sie war die Diplomatische.

Und Laki..." Ein trauriges Seufzen entgleitet meinem Vater. " Sie war unser Sonnenschein. Immer fröhlich, aufmerksam und sie pflegte zu allen Dämonen des Tals eine freundschaftliche Bindung. Sie war das Ebenbild deiner Mutter, glich ihr bis aufs Haar. Abgesehen von ihren sturmgrauen Augen. Genau wie Erina liebte auch sie diesen Baum, kroch stundenlang im Geäst umher und winkte den Harpyien von der Baumkrone aus zu. Nach ihrem Tod haben wir sie hier begraben, damit sie eins werden konnte mit ihrem Lieblingsort und dem Tal." Er erhebt sich und blickt zu dem Pfad, den wir gekommen sind.

"Für deine Mutter war es das Schlimmste, mit ansehen zu müssen, wie dieser Baum verdorrte und unter dem Gift der Schatten einging, als wir damals aus dem Tal flüchten mussten. Wir verloren nicht nur unsere Heimat, sondern auch das Andenken an unsere jüngste Tochter."

"Aber du sagtest doch, ihr habt es bis vor 50 Jahren noch verteidigt?"

"Das stimmt auch. Nach der Schlacht haben wir das Tal zurück erobert. Aber dieser Baum hat sich nie wieder erholt. Es war, als wäre er damals mit unseren Kindern zusammen gestorben, die bei der Verteidigung hier ihr Leben ließen. Auch wenn das Tal mit den Jahren wieder fruchtbar und bewohnbar wurde, so sind doch nur wenige der ehemaligen Bewohner hierher zurück gekommen. Zu groß war der Schmerz der Erinnerungen." Arkor legt seine Hand auf meinen Kopf und lächelt mich an. "Lass niemals zu, dass diese Generation das gleiche Schicksal ereilt."

Verwirrt sehe ich ihm nach, als er sich von mir entfernt. Wieso denn ich?
 

Einige Meter von mir entfernt bleibt Arkor stehen. "Aki, bist du glücklich? Ich meine hier bei uns."

"Schwer zu sagen. Ich bin ja erst einen Tag hier. Aber irgendwie fühlt sich hier alles viel vertrauter an als in der Irdischen Welt. Ob ich glücklich bin? Ich bin auf jeden Fall glücklich, dass ich eine richtige Familie habe. Und ich denke, der Rest kommt mit der Zeit von ganz allein."

"Du vermisst also nichts?"

Betrübt senke ich den Kopf. Es gibt da etwas - nein, jemanden -, den ich sehr vermisse. "Meine beste Freundin."

Arkor kommt zu mir, legt wieder seine Hand auf meinen Kopf und lächelt mich aufmunternd an. "Wahre Freundschaft hält ein Leben lang."

Seine Worte sollten mich sicher trösten aber sie erreichen das Gegenteil. "Aber ich werde sie nie wieder sehen. Und selbst wenn: Wie soll ich ihr erklären, dass ich nicht altere? Damit mag ich vielleicht fünf oder zehn Jahre gewinnen aber was ist danach?"

"Woher willst du das alles wissen? Nichts ist gewiss. Weder die Vergangenheit, noch die Gegenwart, geschweige denn die Zukunft. Begrabe deine Hoffnungen nicht, bevor du dem Lauf der Dinge nicht eine Chance gegeben hast. Ich habe auch lange geglaubt, ich würde dich nie wieder sehen. Aber nun stehst du vor mir und ich bin mehr als stolz auf die junge Frau, die du geworden bist."

"Ich habe doch noch gar nichts getan, worauf du stolz sein könntest." entgegne ich leise.

"Denkst du ernsthaft, Yrrian hat uns im Dunkeln tappen lassen, was dich betrifft? Ich weiß, dass du klug und ehrgeizig bist. Du setzt dich für die Leute ein, die dir wichtig sind. Du bist mutig und scheust dich nicht davor, bis an deine Grenzen und darüber hinaus zu gehen. Nur an deinem Temperament müssen wir noch etwas arbeiten, dadurch schießt du gerne über's Ziel hinaus."

"Na und? Was ist so falsch daran, auch mal mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, wenn einem keiner die Tür öffnet?"

"Die Kunst besteht darin, jemanden dazu zu bringen, dir diese Tür zu öffnen und denjenigen trotzdem in dem Glauben zu lassen, er würde dich davor stehen lassen."

Bitte was? Irgendwie komme ich da nicht ganz mit.

"Wenn du nicht weiter kommst, gehe einen Schritt zurück, zeige Einsicht, sei kompromissbereit und schmücke deinen Standpunkt etwas aus. So wirst du viel eher an dein Ziel gelangen, als wenn du stur immer nur auf deine Meinung beharrst."

Ein resignierendes Lächeln huscht über meine Züge. Hirumi war sicher eine Expertin darin. "Ich habe wohl noch eine Menge zu lernen."

"Lass den Kopf nicht so hängen, Aki. Du bist erst 21 Jahre jung. Die meisten Dämonen leben schon viele hundert Jahre und entwickeln trotzdem kein Taktgefühl." Arkor zieht eine beleidigte Miene. Ob er gerade an Luzifer denkt?
 

Ich sehe noch einmal zurück zu dem verknöcherten Gebilde. Arkor hat mich so weit von zu hause weggeführt, nur um mir diesen Ort zu zeigen. Ich hätte nie gedacht, dass meine Eltern einmal woanders gelebt haben als in dem Haus. Ich habe mir aber auch bisher keine wirklichen Gedanken darum gemacht. Aber seine Botschaft ist definitiv angekommen. Solange es in meiner Macht steht, werde ich unser Zuhause verteidigen und beschützen. Für meine Familie.
 

Mühselig ist der Aufstieg vom Gebirgspfad und ich frage mich, warum wir nicht einfach unsere dämonische Gestalt annehmen. Das wäre doch viel leichter.

"Du solltest vielleicht ein bisschen an deiner Kondition arbeiten, Aki. Du schnaufst schlimmer als ein sterbender Drache."

"Als Wolf hätte ich diese Probleme nicht."

Mein Vater lacht fröhlich. "Das ist doch völlig egal. Du solltest sowohl in deiner dämonischen wie auch in deiner humanoiden Gestalt gut in Form sein. Vielleicht kommst du einmal in die Verlegenheit in menschlicher Gestalt vor den Schatten fliehen zu müssen oder dich gegen sie zu verteidigen. Da fällt mir ein; kannst du eine Waffe führen?"

"Natürlich nicht! Waffen sind doch verboten."

"Ach, das hatte ich ganz vergessen. In der heutigen Zeit werden eher selten Schwertkämpfe ausgetragen. Yrrian erwähnte so etwas."

"Wann genau warst du zuletzt in der Irdischen Welt?" Skeptisch sehe ich ihn an.

"Noch nie, wieso fragst du?"

Ich glaube, mich trifft der Schlag. "Noch nie? Was soll das heißen?"

"Na, dass ich diese Welt noch nie verlassen habe. Erddämonen verfügen selten über genug magisches Potential um ein Portal zu öffnen. Wir könnten zwar durch das Portal gehen, dass die Welten miteinander verbindet, kämen aber nicht wieder zurück ohne fremde Hilfe."

Taumelnd komme ich zum Stehen. Seine Worte sind wie ein Schlag ins Gesicht. "Sagtest du nicht vorhin noch, ich soll meine Hoffnung nicht so leicht begraben, meine beste Freundin wiedersehen zu können? Und jetzt erzählst du mir, dass ich im Grunde gar nicht mehr in die Irdische Welt zurück kann?"

"Du bist wie dein Bruder. Du hörst nur das, was du hören willst. Ich sagte, es sei selten, dass ein Erddämon über das Potential dazu verfügt. Wer sagt denn, dass du es nicht besitzt? Und außerdem gäbe es ja noch die Möglichkeit, jemanden um Hilfe zu bitten. Es gibt eine Reihe hilfsbereiter Dämonen, die dich sicher auf einen Tagesausflug mitnehmen würden, wenn du sie nur nett darum bittest."

Obwohl er mir Mut zuspricht, will ich diese Hoffnung nicht keimen lassen. Eigentlich hatte mir ja schon Ian geraten, Rhea zu vergessen, aber es ist so schwer.
 

Schweigend gehe ich an Arkor vorbei, finde die Stelle, an der wir die Felswand erklommen hatten und klettere sie hinab.

Erinnerungen können so schrecklich weh tun.

Gerade als ich mich verwandeln will, legt mein Vater seine Hand auf meine Schulter.

"Magst du mir von ihr erzählen?"

"Von wem?"

"Deiner Freundin. Sie scheint dir wirklich viel zu bedeuten. Manchmal hilft es, ein bisschen zu reden."

"Wenn ich dich damit nicht langweile."

"Ganz und gar nicht. Lass uns derweil zu Fuß weiter gehen, wir haben es nicht eilig."

Ich hole tief Luft, bevor ich beginne, zu erzählen. "Sie heißt Rhea und ist seit der Mittelstufe meine beste Freundin. Sie war neu an unserer Schule und ich mochte sie auf Anhieb. Sie hat so eine erfrischend ehrliche Art an sich, sagt immer, was sie denkt und sie liebt Gerichte mit viel Knoblauch drin." Ich muss kichern. Das Bild, als ich sie zum ersten Mal hab kochen sehen, war einfach nur Gold wert. Es sollte ein Gemüseauflauf werden, nur war außer dem Knoblauch kaum Platz für großartig viel anderes Grünzeug und so taufte sie ihr Essen auf den Namen »Knoblauch-Spezial a la Rhea«. Ich habe selten etwas derart ekliges gegessen aber ihr hatte es geschmeckt.

"Knoblauch? Mir gruselt es schon allein beim Namen."

"Da fällt mir ein: Warum finde ich Knoblauch plötzlich so unangenehm? Das Zeug brennt tierisch in der Nase und das hat es vorher nicht!"

"Genau deswegen. Es ätzt die Nasenschleimhaut weg, tränt in den Augen und betäubt die Sinne. Fast wie das Gas der Schatten."

"Damit habe ich schon Bekanntschaft gemacht." brumme ich missmutig.

"Aus solchen Situationen kann man nur lernen."

Er ist so doof! Genau wie Ian. Darf ich ihm das eigentlich einfach so unverblümt an den Kopf werfen?

Ich glaube nicht.

"Aber wenn selbst der Knoblauch dich nicht vertrieben hat, muss deine Rhea wirklich ein ganz besonderes Mädchen sein."

"Ja, das ist sie. Ihr fröhliches Lachen ist ansteckend und sie ist einfach immer für mich da. Wenn es mir schlecht ging, hat sie mich wieder aufgebaut und mir Mut gemacht. Nie hat sie mich hängen lassen. In der Oberstufe habe ich immer mit ihr zusammen gelernt, damit ich an meine Wunschuniversität gehen und Medizin studieren konnte. Sie hat sich sogar mit eingeschrieben. Als ich sie fragte, warum sie das tat, meinte sie nur, es könnte ja auch spannend sein und so bliebe sie in meiner Nähe, falls ich etwas Dummes anstelle. Falls es ihr doch nicht zusagt, könne sie jederzeit etwas anderes studieren. Allerdings habe ich nie aus ihr heraus bekommen, was ihr größter Berufswunsch war. Sie schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, über mein Leben zu wachen und ihm den nötigen Schwung zu verpassen, sobald es zu trist wurde. Wenn ich es mir recht überlege, war sie wie mein Schatten. Wir hatten sogar eine gemeinsame Wohnung." Überlegend schaue ich zu Arkor, der sich allerdings in Schweigen hüllt. Warum überkommt mich das Gefühl, dass ich irgendetwas übersehe?
 

"Den Steilhang kracksel ich aber nicht so hoch. Was hälst du von einem Wettrennen zurück zur Stadt? Wer als Letztes ankommt, muss das Essen vorbereiten."

"Warum nur bis zur Stadt? Warum nicht bis zum Haus?" frage ich herausfordernd, doch er schüttelt den Kopf.

"Durch die Stadt können wir nicht so rennen."

"Warum nicht? Die Sukkuben und Satyr laufen doch auch in dämonischer Gestalt umher."

"Hast du dir einmal überlegt, was passieren würde, wenn alle in ihrer wahren Form durch die Straßen laufen würden?"

Dieses Mal ist es an mir den Kopf zu schütteln. Nicht, dass ich mir keine Gedanken gemacht hätte, ich komme nur einfach auf keine Erklärung.

"Stell dir vor, es würden plötzlich Drachen, Wölfe, Bären und Harpyien durch die Gassen wandern. Und dann frage dich, was nach ihrem Spaziergang wohl noch von der Stadt übrig wäre."

Da muss ich nicht lange überlegen. "Ziemlich viel Schutt und Asche."

"Ganz genau. Satyr und Sukkuben sind verhältnismäßig klein. Aber allein eine Harpyie kann bis zu drei Meter groß werden und erreicht eine Flügelspannweite von über zehn Metern. Im Vergleich zu einem ausgewachsenen Drachen natürlich immer noch winzig."

"Was? So groß sind Harpyien? Ich dachte immer, die werden kaum größer als ein Mensch."

"Man merkt, dass du nicht hier aufgewachsen bist. Bei Gelegenheit nehme ich dich einmal mit in die Berge, damit du eine echte Harpyie sehen kannst."

Meine Augen müssen vor Freude angefangen haben zu strahlen, denn Arkor lächelt mich liebevoll an und gluckst leise. "Na komm, lass uns nach Hause gehen."

"Ja, gern."

Sofort verwandelt er sich und hüpft den Steilhang hinauf. "Wer zuletzt am Stadtrand ist, ist 'ne lahme Ente!"

Wie bitte?!? Na warte! Dem werd ich's zeigen! Wäre doch gelacht, wenn ich den alten Knacker nicht überholen kann, pah!



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