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Gregors Necronomicon

von
Koautoren:  Sam_Linnifer  Gezeitenfeuer

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Death Coach

Geneigter Leser – wenn du es bis zu diesem Kapitel geschafft hast: Meinen Glückwunsch zu so starken Nerven. Ich weiß nicht, warum du noch liest. Ob aus morbider Kuriosität heraus oder Amüsement oder vielleicht tatsächlich einfach, weil ich wie mit diesem Werk anvisiert, tatsächlich etwas in dir bewegt habe. So oder so mag dir im Verlauf der vorangegangenen Kapitel sicherlich bewusst geworden sein, dass ich eine sehr spezifische Persönlichkeit bin. Ein Charakter, der für manche Dinge wie geschaffen ist – und für andere wiederum wirklich so gar nicht.

Beispielsweise bin ich freiheitsliebend. Sehr. Ich mag meine Selbstbestimmung. Den Gedanken, dass mein freier Wille es ist, der mich lenkt und mein Leben bestimmt. Was daher wirklich nicht passt? Söldnerarbeit.

Das mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen. Aber Gregor, altes Haus – magst du jetzt denken -, warum nicht? Als Söldner kannst du anheuern, bei wem immer du willst! Ja, mein guter Freund, das mag sein. Aber hast du einmal angeheuert, ist dein Auftraggeber es, der bestimmt, wie die Dinge zu laufen haben. Er sagt, wer was tut. Wann, wo und wie. Mancher mag da mehr Freiräume zugestehen als andere, sicherlich. Aber es wird ein spezifisches Ergebnis gefordert und oftmals auf spezifische Weise. Hinzu kommt, dass ich weder ein brillanter Stratege, fähiger Krieger noch mächtiger Zauberer bin. Söldner verkaufen ihre einzigartigen Fertigkeiten. Und die, die ich da aufbiete… nun ja. Ich sollte nicht unbedingt damit hausieren gehen, nicht wahr? Das Zeitalter, von dem ich träume – das Zeitalter, in dem Nekromanten sich nicht mehr verstecken müssen -, ist eben noch fern.

Außerdem weiß man nie wirklich, wem man da Gehorsam schwört – selbst wenn’s nur vorübergehend ist. Zu viele Leute in dieser Welt verstehen sich ganz wunderbar darauf, andere zu täuschen, doppelte Spiele zu spielen. Und so mancher Lehnsherr streicht einem bei Nichterfüllung der Aufgabe nicht einfach nur den Sold. Anzuheuern und dann zu sagen „Nah, das gefällt mir nicht, ich zieh weiter“ – diesen Luxus lassen einem die Wenigsten.

Was das mit mir zu tun hat? Oder dem, wovon ich üblicherweise berichte? Nun: Ich heuerte an.

Ein paar Mal in meinem Leben. Ich kann’s, wenn ich mir Mühe gebe, mich zu erinnern, vermutlich immer noch an einer Hand abzählen. Ich bin einfach kein sonderlich guter Söldner. Aber wie du sicherlich inzwischen auch hast feststellen können: So bescheiden ich im Umgang mit anderen auch bin, so offenherzig und gern mal prahlerisch bin ich beim schönen Geschlecht. Und das war die Schlinge um meinen Hals, damals.

Ihr Name war Mirabelle-Antoinette Justinia Valisé. Aber da diese ordewey’schen Adelsnamen so lang und kompliziert auszusprechen sind und ihre Leute von oftmals einfacher Natur waren, erlaubte sie gewöhnlich, dass man sie einfach Mira rief. Ich mochte Mira. Sehr. Was ja irgendwie das Problem war – oder vielmehr, wurde. Sie hatte sehr kurzes, kastanienbraunes Haar. Ein schmales, fast schon dürres Gesicht. Kaum Brust. Ihre gesamte Figur war sehnig. Sie wirkte die meiste Zeit mehr wie ein Mann als alles andere. Und es war ein schönes Spiel, ihr ihre weiblichen Seiten zu entlocken. Sie mochte Süßspeisen. Und hatte mal jemandem Zähne ausgeschlagen, weil er gewagt hatte, darüber zu schmunzeln. Sie mochte Kleider. Sehr. Je aufwendiger, teurer und pompöser, desto besser. Aber sie trug sie nie. Ihre Arbeit als Söldnerin verwehrte ihr diese Freude. Gelegentlich lieh sie sich bei einem Schneider eines, probierte es an und flanierte für ein paar wenige Minuten in seinem Laden umher, ehe sie es wieder abgab. Das waren ihre Freuden. Ihre Momente, in denen sie sich als Frau fühlte. Ehe sie wieder in ihre Brustplatte schlüpfte, sich Dreck ins Gesicht schmierte, ihren Blick kalt und hart werden ließ und ihren wuchtigen, magischen Hammer nahm.

Der Hammer hat mich immer verwundert. Für so ein Ding braucht man zwei Arme, starke Arme. Aber sie schien ihn immer mühelos führen zu können. Hatte vermutlich was mit der Magie zu tun, die darin verzaubert lag.

Mira war sowas wie ein Hauptmann. So versuchte sie mir jedenfalls zu erklären, wie die Dinge bei ihr liefen. Sie führte einen kleinen, bunt zusammengewürfelten Haufen an Söldnern an. Ich war völlig ahnungslos in die Region spaziert, in der sie ihr Netz hatte. Kontakte in diverse Dörfer und Städte, Bekannte und Vertraute überall. Sie stellte ihre Truppe für jeden Auftrag zugeschnitten zusammen. Wen sie gerade nicht brauchte, der durfte sich solange andernorts Arbeit suchen. Rumziehen. Sie hielt niemanden wirklich fest. Naja, außer mich dann.

Ein kleines, verschlafenes Dörfchen hatte einen Hilferuf per Eilboten gesendet. Der Reiter hätte sein Pferd um Haaresbreite getötet. Irwing? Irwig? Illwir? Irgendwie sowas.

Ein Lehnsherr war dort samt seiner Familie auf dem Weg zu einem Ball verunglückt. Es galt wohl als offenes Geheimnis, dass ein Rivale da nachgeholfen hatte. Mich interessierte das alles leidlich, dummerweise hatte Mira von meinen Fähigkeiten und meiner Begabung erfahren. Irgendwelche magischen Handschuhe, die sie trug, erlaubten ihr, Johanna zu sehen. Sie gab sich neutral und beobachtete, wie vertraut wir miteinander waren. Das gab ihr alle nötigen Hinweise. Also erpresste sie mich dazu, ihr Angebot anzunehmen: Ich würde ihr helfen. Ich wäre ihr Experte für untoten Krempel. Ich würde dafür bezahlt werden, gleicher Anteil für alle – und sie würde mein Geheimnis nicht verraten.

Was hatte ich schon für eine Wahl? Sie war sehr überzeugend. Und hatte sehr stramme Schenkel.

Also bekam ich eine Rüstung und ein Breitschwert, von dem ich hätte schwören können, dass es schartig war. Man erwartete nicht wirklich von mir, dass ich kämpfte. Ich sollte lediglich aussehen, als könnte ich das. Um das Bild ihrer Truppe nicht zu brechen. Und dann, dann zogen wir nach I-irgendwas.

Der Lehnsherr sei als Untoter zurückgekehrt, hieß es. Ein grässliches Grauen, welches bei Nacht die Straßen des Dorfes heimsuchen würde. Unzählige Opfer habe es schon gefordert!

In dem Dorf mochten vielleicht ein paar Dutzend leben? Unzählige Opfer, wie sich zeigte, waren drei Betrunkene, die nachts die Taverne verlassen hatten und der Kreatur begegnet waren. Ging nicht gut für sie aus.

Dummerweise hieß das auch, dass niemand uns so wirklich sagen konnte, was das eigentlich für ein Geschöpf sein mochte. Man erzählte vom Rattern von Maschinen und dem Wiehern von Pferden, dem irren Lachen des Lehnsherrn und dem verzerrten Säuseln seiner Kinder. Hätte ich nur mal die Mühe investiert, nach dem Unfall zu fragen, hätte ich vorab erfahren können, dass sie per Kutsche unterwegs gewesen waren. Dass das gesamte Gespann eine gewaltige Böschung abgerutscht und in eine Schlucht gestürzt war. Aber ich war zu beschäftigt damit, unleidlich zu sein, über mein tragisches Schicksal zu jammern – innerlich natürlich -, und Mira auf den straffen Hintern zu glotzen.

Es ärgert mich sehr. Es ist nicht so… nicht so vernichtend und zermürbend und mich nachts mit Alpträumen auffressend wie es das vermutlich einige Jahre zuvor gewesen wäre. Ich hätte Leben retten können, hätte ich mal einen Moment nachgedacht. Aber Mira und ihre Truppe, die hatten magische Waffen und Rüstungen, Schriftrollen und Zaubertränke, Magie in solcher Vielfalt… da war es einfach schwer, zu glauben, dass ich tatsächlich irgendetwas hätte beitragen können.

Hinzu kommt zudem die Sache mit der Erpressung. Ich kann es wirklich nicht leiden, wenn Leute mich in irgendwelche abstrusen Geschichten hineinzwingen. Ich habe auch meinen Stolz – ich laufe lieber blindlings selbst hinein!

 

Mira legte einen Hinterhalt aus. Es gab nur eine wirkliche Straße und die führte einmal quer durchs gesamte Dorf. Sie wollte der Bestie auflauern und sie mit ihren sechs Mann Verstärkung niederbringen. Ich hätte sieben Leben retten können, hätte ich ihnen nur gesagt, dass sie’s lassen sollen.

Es ist schwierig, die Kreatur zu beschreiben, die dort ankam. Technisch betrachtet simpel, aber in seiner Ganzheit schwierig.

Es war die Kutsche. Die Pferde noch vorgespannt, deren Beine gebrochen, ihre Bäuche an scharfkantigen Felsen aufgeschnitten, der Hals verdreht. Vom Kutscher fehlte jede Spur auf der Sitzbank. Und die Vorhänge der Kutsche, schwarz wie die Nacht, waren allzeit zugezogen. Die Kutsche selbst war… nicht wirklich. Nicht materiell. Die Kutsche selbst war zum Geist geworden, mitsamt der Pferde und der Familie, verschmolzen mit ihnen und wiedererweckt.

Es gibt wenige Verzauberungen, die Waffen und Rüstungen befähigen, gegen Geister effektiv zu sein. Keiner von ihnen hatte etwas dergleichen bei sich. Sie konnten das Gespann beschädigen. Oder vielmehr, es verwunden. Aber es nicht bezwingen. Dafür war die Death Coach einfach zu mächtig, zu stark – zu schnell.

Ich sah ihre Leute, gestandene Kämpfer aus wer weiß wie vielen Schlachten, zittern und leise beten, als sie auf das Ding losgingen. Und die Kutsche, sie fuhr. Sie fuhr den Pfad entlang, bog nach oben in die Lüfte ab, schwenkte und sauste wieder hernieder, bretterte mit ratternden Rädern und unheimlich wiehernden Pferden durch die Meute durch. Mit jedem Mal riss sie jemandes Seele aus dessen Leib. Mit nicht mehr als einer Passage. Einer Berührung. Mehr war nicht nötig.

Und mit jeder gefangenen Seele, deren leises Wehklagen aus dem Inneren der Kabine zu hören war, wurde die Kutsche schneller.

Ich stand dort. Ich sah es, sah alles. In dieser unheimlichen Vollmondnacht, mit wenigen Fetzen Wolken am Himmel, unter kahlen, kränklichen Spätherbstbäumen, sah ich die Seelen guter Leute aus ihren Leibern gerissen, verdammt, die Erlösung verwehrt, um eine untote Kreatur schrecklicher Macht zu betreiben.

Vielleicht hatte die Kutsche mich nicht wahrgenommen. Aber ich wage es zu bezweifeln. Untote sind geduldig. Sie sind genügsam. Sie haben keine Eile. Vielleicht war ihr das Mahl genug. Vielleicht wollte sie einen Zeugen zurücklassen. Vielleicht… wollte sie nur abwarten, bis Xaraks Stimme auch mich verdorben hat und ich auf ihre Seite wechsle.

Ich erinnere mich noch, als noch zwei von ihnen standen, wie Mira sich mir zudrehte. Wut flackerte in ihren Augen. „Tu etwas!“, schrie sie. Was? Was um alles in der Welt hätte ich tun sollen? Mein Schwert zücken? Mich ebenfalls fressen lassen? Ich erwog, loszustürzen. Sie umzurennen. Zu Boden zu werfen, hoffend, dass die Kutsche uns verfehlen würde. Aber das verdammte Ding hatte schon fünf Seelen inne – es war einfach zu schnell. Es erreichte sie lange vor mir. Und riss die letzten Zwei von den Beinen. Und mit sich, gewissermaßen.

Ich empfand, dass ich es Mira schuldig war, das von mir verschuldete Desaster zu korrigieren. Und ich wusste, dass es gerade hier, in Ordewey, Möglichkeiten dazu gab. Die Seelen, die eine Death Coach gefangen hat, sind nicht automatisch verloren. Sie werden nicht sofort korrumpiert oder gefressen oder dergleichen. Die Kutsche fängt sie und nutzt sie, um sich selbst zu stärken, zu beschleunigen. Aber den Seelen selbst geschieht nichts. Und wird die Kutsche vernichtet, sind die Seelen frei.

Ich war es, der einen zweiten Hinterhalt legte. Ich war es, der in die nächste Stadt marschierte und vom dortigen Priester Hilfe forderte. Ich war es, der mit zwei Dutzend Anhängern Mermerus‘ auf der Lauer lag, gesalbte Priester, Orakel, Kleriker und Paladine. Mit solcher Übermacht, vorbereitet und gewappnet, war der Kampf weniger ein solcher als vielmehr ein Schlachtfest. Die Kutsche tauchte auf, ahnungslos, und ritt direkt in die Falle. Als der transparente Rahmen der Geisterkutsche brach, die Seelen in die Freiheit flohen – in Ereshkigals wartende Arme und Mermerus‘ heiliges Reich -, da herrschte genug Chaos, damit ich ungesehen davon schlüpfen konnte.

Tage später, als ich schon in ganz anderen Landstrichen unterwegs war, auf dem besten Weg in Richtung eines Hafens, um dieses vermaledeite Land zu verlassen, da erzählte mir Johanna von Mira. Dass sie wider meiner Bitte dort gewesen sei und zugesehen hätte. Dass sie sie hatte davonziehen sehen, zusammen mit ihrer Truppe, die sie selbst dann noch herumzukommandieren schien.

Ich weiß bis heute nicht, ob Johanna mich damit zu trösten versuchte und sich das alles ausgedacht hatte… oder ob es ihr ernst war. Ich bin dankbar, so oder so. Und ich habe, so will ich hoffen, für die Zukunft gelernt.

Dir, lieber Leser, soll diese Geschichte eine Warnung sein. Falls du erwägst, anderen Leid zuzufügen – sei dir gewiss: Es wird, früher oder später, einen Weg zu dir zurück finden. Also tue dir selbst einen Gefallen, wenn schon nicht um deiner Mitmenschen Willen, und versuche es stattdessen mit Diplomatie, mit Kompromissbereitschaft, mit Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Nhaundar
2018-06-03T11:03:36+00:00 03.06.2018 13:03
Auch ein sehr schönes Kapitel. :) Leider auch etwas traurig. Irgendwie hab ich den Eindruck, dass man als Nekromant immer sehr viel Leid und Tod erlebt, wenn man etwas herumreist. Vielleicht ist man auch einfach prädestiniert dafür, weil vielleicht auch Xarak immer wieder seine Finger im Spiel hat? Wer weiß. Aber ist auch wichtig, dass Gregor schön weiter reist und die Menschen und Elfen und anderen Völker die davon keine Ahnung haben darüber aufklärt was so alles in der Welt dadraußen los ist, zumindest was untotes Zeug betrifft. :D Sehr schön, freu mich wahnsinnig drüber und noch einmal herzlichen Dank für das tolle Geschenk mit dieser FF, immer wieder aufs Neue. ^^


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