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Gregors Necronomicon

von
Koautoren:  Sam_Linnifer  Gezeitenfeuer

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Kelpie

Bisher habe ich aus jeder meiner Erfahrung etwas Lehrreiches, etwas Gutes und letztendlich auch etwas Sinnvolles mitnehmen können. Etwas, was es wert war, erinnert und nun auch niedergeschrieben zu werden. Aus dieser Erinnerung jedoch – Nun, sie soll als Warnung dienen. Als Beispiel dafür, dass man die Welt nicht einfach in wenigen Worten und Regeln herunterbrechen kann! Und das Aberglaube nicht gleich Aberglaube ist. Es ist alleine schon Ironie genug, dass ausgerechnet ich in ein Klischee stolperte. Mit dem Selbstvertrauen der Jugend und dem Hochmut, die Welt um mich herum verstanden zu haben, lief ich in eine Gefahr, die ich einzuschätzen glaubte und letztendlich doch mehr gefordert hatte, als nötig gewesen wäre.
 

Die Rede ist von Kelpies.

Ja, die harmlos aussehenden Pferde und Reittiere, die verwaist und herrenlos in unwirtlichen Gegenden herumstreunern und alleine dadurch wirklich nicht vertrauenerweckend sind – oder sein sollten. Die Kreaturen, die Reisenden folgen und, sollte der Wanderer dumm genug sein auf diese Farce hereinzufallen und zu nahezukommen und sie auch noch anzufassen, sie ertränken, niedertrampeln und auch fressen - wie die Folklore zu berichten weiß. Dazu sollte ich sagen, dass das nicht meine erste Begegnung mit diesen Wesenheiten war.
 

Als ich also in das winzige Fischerdorf kam, hatte ich mit den Vorurteilen zu Kelpies lange aufgeräumt gehabt – aus ganz persönlicher Erfahrung. So wusste ich, dass diese Tiere in Sonnen- und Mondlicht geisterhafte Konturen hatten, während sie in Dunkelheit und düsterem Wetter tatsächlich die Form ihrer kürzlich verstorbenen Körper hatten – was je nach Todesart sie beinahe unversehrt aussehen ließ, oder sie zu scheußlichen Monstren verdammte. Sie waren Untote, die niemanden unterstanden, außer ihrem letzten Willen, ihren Herren bis nach dem Tod zu dienen; sie zu finden und zu schützen. Ruhelos an diese Quest gebunden, ohne viel Hoffnung auf Erlösung. Wenn man die Geschichten und Warnungen zu diesen Wesen hört, so ist es eigentlich traurig, was für ein falsches Bild wir von ihnen haben und wie grausam die Welt manchmal zu sein scheint. Allen Geschichten gemein ist ein Detail: Durch grausame Naturgewalten, Feindeinwirkung oder schlicht Unfällen wurden diese Reittiere dazu gezwungen sich gegen ihren Instinkt und für ihre Treue zu entscheiden. Durch Schicksalsschlag verloren sie nicht nur ihre Herren, sondern auch ihre Leben und mit diesem unerschütterlichen letzten Wunsch sind sie so tief im Jetzt verankert, dass sie sich als Geister manifestieren. Es muss natürlich noch andere Komponente geben. Nicht jedes treue Pferd wird zu einem Kelpie und nicht in jeder Gegend streifen sie umher. Wobei es wirklich interessant wäre, ob es in Wüstenregionen ebenfalls welche gibt. Bekannt ist mir jedenfalls von keinem Kelpie-Dromedar. Aus meiner Erfahrung wusste ich jedoch auch, dass sie nicht bösartig waren und zu helfen versuchten. Es war nur dummerweise wirklich keine gute Idee sie anzufassen. Ihre zersetzten Körper entzogen einem die Lebenskraft und so manch gerettetes Kind, verstarb auf dem Rücken eines Kelpies, welches es vorsichtig zu sicherem Feld trug.
 

Nun, ich ging also in dieses Dorf. Winzige und ängstlich an hohe Kalkwände gedrängte Häuser mit dem typisch freundlichen Seewetter, der einen das Vergnügen des Badens abnahm – man war vorher schon nass. Ich war wirklich nicht dort hingereist, um die Gastfreundschaft der Gegend zu testen, sondern aufgrund von Gerüchten, die mich so unwiderstehlich anlockten, wie beizender Wind und Nieselregen untrennbar zu diesem Fleckchen Erde gehörten. Seit einiger Zeit hatte es immer wieder neue angespülte Leichen gegeben, viel zu verwest, für die Zeiträume, in denen die jeweiligen Opfer als vermisst galten. Zugegeben, ich rechnete wirklich nicht mit einem Kelpie, sondern eigentlich mit einem 'Kollegen', dem man Hilfe anbieten konnte, oder im Zweifelsfall ein ernstes Wort reden, falls er einige grundlegende Sachen nicht verstehen wollte. Ich bandelte recht schnell mit einer jungen Frau an, die gerne bereit war Geschichten, Wärme und Zweisamkeit zu teilen. Lorraine war eine dieser Schönheiten, die nicht nach gängigem Standard schön waren, sondern durch ihren Charakter und ihren Willen beinahe leuchteten. Und wer war ich schon, nein zu sagen, als sie mich als eine der Ersten im Dorf begrüßte und unter ihre Fittiche nahm? „Ah, wieder einer der Abenteurer? Gut, du kommst besser mit mir.“ - Manchmal konnte das Gerüchtesammeln und Herangehen an eine Aufgabe so einfach sein!

Die Unbekümmertheit, mit der sie über dieses Thema sprach, war nur solange seltsam, bis mir ein weiterer Aspekt bewusst wurde.

Dieses Dorf lebte von seiner Düsterheit. Es war ein netter Nebenverdienst, den nicht wenigen Reisenden im Jahr die Gruselgeschichten des Ortes nahezubringen, lokale Horrorplätze zu erkunden und sie auf Monsterjagd zu schicken. Die einen suchten Geisterschiffe, die anderen Sirenen, die dritten eilten Lichtern im Wasser nach. Doch neu waren die Leichen. Das Dorf hatte seine Lektion gelernt, wie Lorraine mir mitteilte. Als die ersten zwei Dorfleute angespült worden waren – auf diese Weise entstellt, so umging man dieses Gebiet weitläufig und überließ dem Spuk sich selbst. Die restlichen Leichen stammten allesamt von Abenteurern. Ob es tatsächlich Geisterschiffe gäbe, oder andere der angeblichen Märe? Sie zuckte mit den Schultern, meinte, es wäre ihr egal. Das Dorf stünde hier seit Ewigkeiten - falls es Sirenen gäbe, so nahmen sie ihren Tribut von den Neugierigen. Gleiches galt für absurde Kreaturen, Geister und andere. Und natürlich könne ich diese Gebiete erkunden, aber keiner würde mich dorthin begleiten.
 

Zuerst zeigte sie mir einige lokale Besonderheiten. Zu dieser Jahreszeit war Lorraines Hauptverdienst das Muschelgraben. Ja, Graben. Es bedeutete durch elend tiefes, matschiges Watt zu stampfen und Würmer und unterschiedliche Muscheln zu bergen, sobald die Gezeiten es zuließen. Ich wurde von einer winzigen Insel zur nächsten geführt, bekam hier seltsam geformte Felsen, dort einen nie genutzten Galgen zu sehen. Das Wetter zog sich zu, und wir suchten Schutz auf einer der beständigeren Inseln. Mir wurde schnell unwohl in meiner Haut. Die auftürmenden Wolkenbahnen, kontrastreiches Zwielicht, das still werdende Meeresband in der Ferne, Donnerleuchten, ohne Grollen und wir winzig klein im Nirgendwo – da konnte man sich schnell unendlich unbedeutend fühlen.

Vielleicht war das auch der Grund für meine nachfolgende Dummheit – denn ich sah es zuerst. Keine hundert Meter entfernt stand da ein Kelpie. Das Tier sah unversehrt aus, ein kräftiges, dunkelbraunes Pony mit schief sitzenden, riesigen Körben auf dem Rücken. Dass es durchscheinend wurde, sobald eine Blitzreihe die Wolken aufhellte – nun, das war ein wirklich gut deutbares Indiz. Und ich? Nun, ich sagte ja, ich glaubte bereits mit den Vorurteilen aufgeräumt zu haben und zu wissen, was mich erwartete. Und vielleicht spielte auch wirklich Angst mit und der Drang sich zu beweisen – mir selbst? Lorraine? - wie mutig ich sei und wie versiert. Wie ich bereits niederschrieb: Es sind Geister. Mehr oder minder, was bedeutete, dass ich mit ihnen kommunizieren konnte. Was, nebenbei gesagt, nicht so einfach war, wie es sich anhörte. So stelle ich mir vor, wie ein Bewanderter in Naturmagie mit Tieren redete. Sobald ich mich einem Kelpie aussetze, so würde es seine Emotionen mir mitteilen können, Bilder und Facetten seiner Wahrnehmung. Ich machte also Lorraine auf unseren Gast aufmerksam und klärte sie über die Natur des Wesens auf – und was ich zu tun gedachte. Mit mehr Selbstvertrauen, als selbst mein eigener Sinn für Gefahr mir zugestand, ging ich also auf das Wesen zu und sprach beruhigenden Nonsens – denn auch das wusste ich: Sie hatten noch Reste ihres Wesens, sowohl in Instinkt, wie Ausbildung.

Dem letzten Kelpie hatte ich auf diese Art helfen können, herausfinden, wen oder was er suchte, damit man seine Erlösung anstreben könne. Unter dem Berg von Mähne und Algen war der Kopf des zottigen Viehs schwer zu deuten und nur das Spitzen der Ohren gab mir Hinweise, dass es mich bemerkt hatte. Ich hätte mich definitiv nicht umdrehen sollen, um beruhigend zu Lorraine zu lächeln, dann hätte ich eventuell bemerkt, wie sich unter dem Schopf ein unirdisches Leuchten sammelte. So war es unverhofft, als das Kelpie mich mit einem Grunzen attackierte. Es sprang mich regelrecht an, rammte den Schädel in meinen Magen, schlug mit den Hufen nach mir, verbiss sich in meine Haare und zog, im Drang, mich zu töten.

Es war nicht nur der körperliche Schmerz. Mehrmals trampelte es unsanft auf meinen Körper, verpasste mir Quetschungen und blaue Flecke – jeder Kontakt mit der Haut des Wesens war ein Zerren meiner Lebenskraft. Ich spürte, wie ich schwächer wurde, ausblutete aus einer seelischen Wunde – und das Tier damit auch noch rasender und kräftiger wurde! Ich versuchte nicht einmal, meine Waffe einzusetzen – wie gesagt: Geist. Ich entzog ihm einfach Energie, im Grunde meine eigene, und erschuf damit immerhin die Pattsituation, nur von ihm im Fleischwolf gedreht zu werden, statt ausgesaugt.

Ein schriller Frauenschrei erschrak uns beide. Oder eher das Kelpie, ich klatschte nur haltlos in den nassen und kühlen Watt, als die Bestie mit einem freudigen Wiehern über mich drüber stieg und auf Lorraine zottelte, die ihn mit einem hysterischen „Knut?“ rief. Ich schluckte und kaute Schlamm, als ich ihr warnend zurufen wollte. „Du verdammtes Mistvieh! Wo kommst du denn her? Komm her, du Missgeburt von einem Tier. Du verdammt stures Biest. Wen hast du da?“, hörte ich sie weinen und wusste bereits, dass es zu spät war, als ich genügend Kraft gesammelt hatte, um mich aufzurappeln. Die Sorge auf dem Gesicht, die Tränen und das Heben ihres Brustkorbes in unrhythmischen Schluchzen verblasste neben dem Bild, was sich mir bot. Das Pony stand direkt an ihr gelehnt und sie nestelte an den Körben. Ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Wortlaut des Gespräches, doch sie schimpfte ihn, er solle nicht beißen. Fragte mehrmals, wo Kai sei und Knut solle sie doch erst einmal zurück bringen, Kai müsse schon außer sich vor Sorge sein. Ob sie mitbekam, wie blass sie mit einem Mal war? Wie unsinnig und unkonzentriert ihre Worte wurden, als sie frustriert aufhörte an dem Gepäck zu hantieren und aufsaß? Lorraine starrte mich mit blinden Augen an, entschuldigte sich sogar für sein unmögliches Verhalten. Ich versuchte mehrmals sie mit Worten herunter zu locken, Sinn in ihren bröckelnden Verstand zu bekommen, sowie sie anzufassen – aber als letztlich auch ihre Augen anfingen, aggressiv zu leuchten, wusste ich, dass ich nichts ausrichten konnten. Hier war ich: Der mächtige Schwarznekromant-  und konnte rein gar nichts ausrichten! Mir blieb nichts anderes übrig, als in einigem Abstand zu folgen. Der Todgeweihten und dem Toten. Lorraine sprach sogar noch, erzählte in immer größer werdenden Abständen, mit vielen Pausen und Stocken, dass sie Knut aufgezogen hätte. Ein wahrer Teufel mit Fell, bissig und launisch, aber absolut treu ihrem Cousin gegenüber, der ihn letztlich ausbildete und mitnahm. Zum Fischen und Muschelfang. Sein Orientierungssinn sei legendär und mehr als einmal hätte er sowohl sie, wie auch Kai aus Eumenes Hölle befreit gehabt. Einmal, kurz vor der Küste, hätte ich sie fast gehabt. In dem Moment, als sie sich erinnerte, wie Knut bei einem Sturm ausgebüchst war - vor einigen Monaten, halb wahnsinnig vor Wut und Angst und schnurgerade im Meer verschwunden war. Mittlerweile lag sie auf dem Pferdekörper, ihre Stimme ein gedämpftes Wispern. Ich fragte, wo Kai denn sei, wenn Knut doch weg war. Doch es kam nur ein hilfloses Zucken und Seufzen und die Feststellung, dass sie müde sei. Selbst wenn sie gewollt hätte – ihr Körper war mit dem Pony verwachsen und ich sah mittlerweile ihre Knochen. Gegen Ende wurde das Kelpie immer schneller und ich hatte meine liebe Müh bei den kräftigen Bewegungen hinterher zu kommen. Ich dankte den Göttern – es erreichte nicht das Dorf. Es ging in die Knie, sobald es die Hufe auf Sand setze und löste sich mit einem wütenden und triumphierenden Kreischen auf. Zurück blieb Lorraine, mutige, störrische, halb verweste Lorraine.

Ich blieb nicht zum Begräbnis, auch wenn es das erste Mal sein sollte, dass ich Leuten begegnete, die meiner Geschichte glaubten, ohne mich aufknöpfen zu wollen und nicht nur für ihren Verlust beteten – sondern auch für das Kelpie.
 

Wie zur Strafe traf ich Kai keine zwei Dörfer weiter, wo er mittlerweile eine Frau gefunden und sich ein neues Heim gebaut hatte.
 

Und deshalb, werter Leser, nimm diese Warnung ernst – ebenso wie ich das tat und immer noch tue. Es gibt Erfahrungen, die sollte man nie tun und Erfahrungen, die braucht man nur einmal. Aberglaube mag in vielen Fällen übertrieben sein und auf Unwissenheit beruhen, doch sollte man nie in die Falle des Hochmuts fallen. Die Welt ist komplizierter als die simplen Wahrheiten, die wir uns zusammenbauen und die Erkenntnisse, die wir zu erlangen geglaubt haben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Nhaundar
2017-05-08T12:29:11+00:00 08.05.2017 14:29
Toll und traurig. Mit einer schönen Lehre. Gerade als Nekromant ist man irgendwie Magnet für so etwas. Da bin ich doch ganz froh, dass Gregor da nicht so finster in die Welt schaut, das würde sonst schnell hässlich werden.
Ich mag seinen Optimismus und seine teilweise stark vorhandene Unbekümmertheit. Anders ließe sich das wohl nur schwer ertragen.
Habt ihr toll eingefangen. :D Ihr habt ihn generell so gut getroffen! X3


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