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Die Legende vom Mädchen vom Mond der Illusionen ( LMMI )

von

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LMMI 4 Kapitel 8

Kapitel 8
 

Das ganze Schloss, und wohl auch die ganze Stadt, summten vor Geschäftigkeit wie ein Bienenschwarm vor dem Umzug. Heute war der große Tag, und es sollte natürlich alles perfekt werden.

Der große Tag.

Hitomi lief aufgeregt in Thanas Zimmer vor der ruhig dasitzenden Bewohnerin hin und her. Neben Thana saß Asuna, die sie mit milder Belustigung beobachtete.

"Nur hör auf, so herum zu laufen." beschwerte sich Thana, halb lachend. "Du machst mich noch ganz nervös!"

"Du hast gut reden!" meinte Hitomi. "Es ist ja nicht deine Hochzeit!"

"Ich habe dir doch gesagt, sie sind rechtzeitig fertig." Erwiderte Asuna und versuchte Hitomi zu beruhigen. Sie hatte nicht sehr viel Erfolg damit. "Falin und Ani haben noch jedes Kleid rechtzeitig zusammen geschneidert, da werden sie sich doch ausgerechnet bei dir keinen Patzer erlauben!"

"Mag ja sein, aber es ist fast Mittag!"

"Das ist noch über eine Stunde hin. Mehr als genug Zeit..."

Es klopfte an der Tür und Thana rief "Herein!"

Blinx schaute zur Tür herein und machte eine Kunstpause.

"Es ist da." Sagte er schlicht.

"Wo?" schrie Hitomi geradezu.

"In deinem Zimmer natür..."

Hitomi rauschte an ihm vorbei. Blinx schaute ihr hinterher.

"Frauen!"

Ein belustigtes Hüsteln von Thana brachte ihn dazu sich umzudrehen.

"Ist die andere Sache erledigt?" fragte diese. Blinx nickte.

"Alles klar. Sie war ganz begeistert. Wirklich eine gute Idee von dir."

Thana zuckte mit den Schultern.

"Ich weiß was es heißt, seine Eltern zu verlieren. Und was einem eine Aufgabe geben kann..."
 

Hitomi öffnete die Tür zu ihrem Räumen. Nichts zu sehen. Vielleicht im Schlafzimmer... Richtig! Da lag das Hochzeitskleid auf dem Bett und...

Hitomi blieb wie erstarrt stehen, die Hand erhoben um nach dem Kleid zu greifen.

"Wer bist? Und was machst du hier?"

Die Gestalt am Fenster fuhr erschrocken herum. Ihre langen, flammend roten Lockenhaare wirbelten dabei um ihren Kopf.

"Nichts!" rief das Mädchen und schüttelte dann Kopf. "Ich meine nichts schlimmes. Ich... Blinx hat mich gefragt ob... ob ich eure Zofe sein möchte... und Lady Thana hat zugestimmt und mir gesagt, ich solle hier warten..." dem jungen Mädchen schien etwas einzufallen. Sie versuchte einen Knicks, der wohl mangels Übung und wegen ihrer Aufregung völlig danebenging. So daneben, dass sie etwas unsanft auf dem Boden zu sitzen kam. Ihr ohnehin roter Kopf nahm jetzt eine überraschend dunkle Färbung an.

"Himmel, nun beruhige dich doch!"

Hitomi ging schnell zu dem Mädchen und half ihr hoch. Dabei sah sie sie das erste Mal richtig an.

"Moment. Dich kenne ich doch, ich habe dich schon mal gesehen..."

"Ich bin eine Freundin von Blinx. Er hat damals Eure Freundin vom Mond der Illusionen umgerannt..."

"Richtig, jetzt erinnere ich mich!" Hitomi musterte das Mädchen erneut.

"Neela, richtig? Du bist ein ganzes Stück gewachsen."

"Ich bin auch schon fast vierzehn." Sagte Neela, stolz dass Hitomi sich an ihren Namen erinnerte, und errötete dann erneut.

"Du sollst mir also helfen?" fragte Hitomi, um das Mädchen nicht unnötig zu quälen. Neela nickte.

"Naja, ich weiß nicht, ich habe noch nie Hilfe gebraucht..."

"Ihr habt auch noch nie ein Hochzeitskleid getragen, oder?"

Jetzt war es Hitomi, die ein wenig errötete.

"Naja, eigentlich nicht."

Die "Proben" mit dem Kleid ihrer Mutter zählten wohl nicht.

"Dann braucht ihr Hilfe. Glaubt mir, ich mache das nicht zum ersten Mal." Neela zögerte eine Sekunde. "Wenn auch noch nie bei jemandem wie euch, Mylady." Fügte sie dann hinzu.

Hitomi seufzte.

"Na schön, du kannst mir helfen. Aber nur unter einer Bedingung!"

Neela runzelte die Stirn. "Welche Bedingung?" fragte sie.

"Du hörst mit diesem Ihr und Euch und Mylady auf. Mein Name ist Hitomi."

"Wie ihr wünscht My..." erwiderte Neela automatisch und verbesserte sich dann. "Wie du möchtest, Hitomi." Sie schien den Geschmack der Wörter auf der Zunge zu testen und befand ihn anscheinend als ungewohnt, aber nicht schlecht.

"Gut. Dann lass uns anfangen. Ich bin ein wenig aufgeregt, weißt du. Es ist schließlich meine erste Hochzeit." Neela sah Hitomi an, Hitomi starrte zurück. Dann brachen sie beide in Gekicher aus.

"Das merkt man. Der war sehr schlecht." Bemerkte Neela und sah Hitomi dann in die Augen. Nach einer Weile der Stille grinsten beide.
 

"Bedauerst du es?" fragte Asuna in diesem Moment Thana. Thana legte den Stift sorgfältig weg und stützte das Kinn auf die zusammen gefalteten Hände.

"Was meinst du?" fragte sie ruhig.

"Das es nicht deine Hochzeit ist."

Thana hob eine Augenbraue und sah Asuna belustigt an.

"Nicht meine Hochzeit? Was soll das denn heißen?"

"Ach... nichts..." Asuna winkte lässig ab und Thana lachte.

"Ist es so offensichtlich?" fragte sie Asuna, mit mehr als nur milder Neugier.

"Für mich schon. Für jemand anderen... nun... sagen wir so, im Moment haben sie andere Dinge, an die sie denken müssen, aber später..."

"Nun, später ist später. Darum kann ich mich auch später noch kümmern. Aber... was ist mit dir?"

"Mit mir?" fragte Asuna überrascht. Thana nickte anerkennend. Wenn sie es nicht genau wüsste...

"Mich kannst du nicht täuschen, schon vergessen? Ich spüre deine Gefühle. Du kannst mir meine vielleicht am Gesicht ablesen... aber meinst du, ich würde nicht spüren wie aufgeregt du immer wirst, wenn der gute Allen in der Nähe ist? Meine Liebe, genauso gut könntest du dir ein Schild um den Hals hängen mit "Ich liebe Allen" darauf und roten Herzchen drum herum und...

"Schon gut, schon gut!" Asuna hob abwehrend die Hände. "Du musst nicht noch darauf herum herumtrampeln."

Thana sah sie verwundert an.

"Wieso trampeln?" fragte sie und ein Verdacht stieg in ihr auf. "Traust du dich etwa nicht an ihn heran?"

Als Asuna wegblickte und nicht antwortete, war das Antwort genug. Langsam breitete sich ein heimtückisches Grinsen auf Thanas Gesicht aus.

"Weißt du was? Mir kommt da gerade so eine Idee..." meinte sie nachdenklich.

"Eine Idee?"

"Ja... nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere."

Asuna drehte wieder den Kopf zu Thana.

"Hört sich gut an..." meinte sie nach einer Weile des Nachdenkens und ein gefährliches Funkeln trat in ihrer beider Augen.
 

Hitomi betrachtete sich glücklich im Spiegel. Das Hochzeitskleid war einfach ein Traum. Ganz in strahlendem Weiß, schien es zu funkeln obwohl keine Edelsteine eingearbeitet waren. Das war auch nicht nötig. Es wäre eher eine Beleidigung für die kunstvolle Arbeit gewesen. Hitomi hatte nicht die geringste Ahnung, wie man so etwas schneidern konnte. Es ließ sie größer und erhabener wirken und zugleich... majestätischer als in Wirklichkeit. In diesem Kleid sah sie nicht nur so aus wie eine wirkliche Königin, sie fühlte sich auch so. Sie wirkte, als ob es für sie genug wäre auf Zehenspitzen zu laufen, und genauso leicht wie eine Feder fühlte sie sich auch.

"Aha, ein Hochzeitskleid von Falin." Meinte Neela und kicherte unterdrückt. Hitomi wandte den Blick von ihrem Spiegelbild ab und suchte auf der glatten Fläche nach Neelas Augen.

"Woher weißt du das?"

"Oh, er und seine Frau machen Modelle mit einer ganz bestimmten Eigenheit."

"Eigenheit? Was meinst du damit?" fragte Hitomi und erinnerte sich dann an etwas.

"Da fällt mir ein, Ani hat etwas von einer Spezialität für... für Schüchterne gesagt."

Neelas Grinsen wuchs in die Breite.

"Ja, so könnte man es wohl nennen."

"Was denn?"

"Soll ich es dir wirklich zeigen?"

"Ja doch!"

"Gut. Na dann..."

Neele zog an ganz bestimmten Stellen des Kleides. Wie von Geisterhand gezogen rutschte auf einmal das ganze Kleid an Hitomi herab und sie stand splitterfasernackt und vollkommen überrascht da.

"Was zum... Neela!!!"

"Ich kann doch nichts dafür!" neckte Neela. "Ich sollte es dir doch zeigen!"

Hitomi sah sie mit hochrotem Kopf und funkelnden Augen an, konnte aber nicht lange wütend bleiben. Schon nach kurzer Zeit zuckte es um ihren Mund und ihre Röte wandelte sich etwas.

"Schüchtern, soso..."

"Mach dir nichts draus. Das ist doch nett gemeint. Und du bist nicht die erste Braut, die ein Hochzeitskleid mit diesen besonderen Eigenschaften hat."

"Du scheinst dich ja sehr gut auszukennen." Stellte Hitomi fest und sah Neela fragend an, während sie sich wieder anzog. "Ich hoffe doch stark, das passiert nicht wenn ich es nicht wünsche." Meinte sie.

"Oh nein, keine Angst. Da müsste dir schon jemand sehr stark an die Wäsche gehen."

Hitomi warf ihr einen "Jetzt mach nur ja keinen unpassenden Scherz"- Blick zu und Neela beschloss weise, weitere Überraschungen und Witzeleien zu unterlassen.

"Ich zeige dir, wie es geht- und worauf du achten musst, damit es auf gar keinen Fall passiert. Weißt du, ich helfe nicht das erste Mal jungen Bräuten... Ich weiß eigentlich gar nicht wieso, aber irgendwie sind wir vom Waisenhaus eine Art Hochzeitsveranstalter geworden. Hat sich einfach so ergeben. Eine Hochzeitsvorbereitung erfordert viel Lauferei und ähnliches... außerdem sind die Kinder sehr begeistert davon. Die Feiern sind immer sehr schön für sie, von den späten Stunden voller Wein einmal abgesehen, und sie fühlen sich fast, als ob sie wieder in einer großen Familie wären... und das Waisenhaus hat dann auch für ein paar Tage keine Probleme damit Essen zu bekommen. Brautleute kaufen immer zu viel, und wenn sie es mal nicht tun sollten, sorgen wir schon dafür."

Hitomi sah Neela nachdenklich im Spiegel an, die gedankenverloren am Kleid zupfte. Sie redete von den Kindern, nicht von sich selbst, aber sie hatte bei den letzten Sätzen nicht gelacht. Es war merkwürdig ein Kind wie sie reden zu hören, als ob sie eine Erwachsene wäre...

»Reiß dich zusammen Hitomi!« dachte sie. »Dieses "Kind" ist kaum mehr als zwei Jahre jünger als du. Und egal was du durch gemacht hast, sie ist eine Weise. Da ist das Alter etwas anderes, noch dazu auf Gaia«

"Hat das Waisenhaus kein Geld?"

Neela schreckte auf und sah sie durch den Spiegel verwirrt an.

"Wegen dem Essen. Du hast gesagt..."

"Ach so, nein." Neela atmete auf.

"Das ist es nicht. Wir bekommen schon genug zu essen, das ist kein Problem. Vor allem seid Blinx..." Neela wurde rot.

"Er übt einen gewissen Einfluss darauf aus, was vom Schloss verteilt wird?" fragte Hitomi und lächelte. Neela nickte verlegen.

"Ja. Es ist nicht, dass er etwas klaut oder so." versicherte sie rasch. "Aber er kann manchmal ziemlich überzeugend sein. Und auch schon mal ein wenig übertreiben."

Hitomi lachte.

"Soso, übertreiben... noch eine Null hinter eine Zahl setzten oder so etwas?"

"Ach, nicht so was großes."

"Schon gut Neela. Ich bin sicher, er überlegt sich sehr gut, was er machen kann und was nicht. Ich glaube nicht, dass es Thana entgehen würde, wen plötzlich viel verschwindet."

Sie drehte sich zu Neela um und sah sie ernst an.

"Und vor allem glaube nie, dass ihr uns gleichgültig seid. Niemand ist uns gleichgültig."

"Jetzt redest du schon wie eine richtige Königin Hitomi."

"Naja..." Hitomi war ein wenig verlegen. "Aber ich habe es ernst gemeint. Wenn du oder die anderen..." Hitomi verschluckte das Wort Kinder "Waisen etwas brauchen, sage es mir. Ich weiß von Thanas Gefluche und Vans grimmigen Blicken, dass das Geld meist vorne und hinten nicht reicht- der Aufbau hat eine Unmenge gekostet und tut es immer noch- aber das ist kein Grund, jemanden hungern zu lassen."

Hitomi sah betreten auf ihre Fußspitzen.

"Fast schäme ich mich. Ich habe mir nie wirklich Gedanken darüber gemacht..."

"Das reicht!" unterbrach sie Neela. "Das ist dein Hochzeitstag, vergiss das nicht! Heute hast du gefälligst glücklich zu sein. Und was das andere angeht... Deine Aufgabe als Königin ist es nicht, dafür zu sorgen dass irgendwer genug zu essen hat... deine Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass alle sich selbst versorgen können. Dazu ist die Königsfamilie da. Und um den Menschen Hoffnung zu geben. Jeder übersteht auch mal einen Tag Hunger, daran stirbt keiner. Aber wer die Hoffnung verliert, der stirbt. Du und Van, ihr müsst euch um die große Dinge kümmern. Van weiß das. Er weiß auch, dass sich andere wie Blinx um die einzelnen Menschen kümmern müssen. Wenn alle zusammen arbeiten, geht es schon gut. Hast du das nicht selbst gesagt bei Folkens Verhandlung? Also halte dich auch an deine Worte!"

Neela packte Hitomi grimmig bei den Schultern.

"So, und nun wollen wir doch mal sehen, ob wir deine Frisur nicht ein wenig aufmöbeln können. Und lächele! Eine Braut muss fröhlich sein, was ist sonst der Sinn einer Hochzeit?"

Hitomi lachte.

"Du bist verrückt, weißt du das Neela?"

"Aber ja doch. Wir alle sind verrückt. Die einen mehr, die anderen weniger. So lange es allen gut geht und alle glücklich sind, ist das doch prima!"
 

***
 

Hitomi klopfte das Herz bis zum Hals. Van lächelte ihr ermutigend zu.

"Du bist wunderschön!" sagte er andächtig, als er ihr in die offene Kutsche half. Für diese Fahrt und die anschließende Hochzeit war er in feierliches Blau gekleidet, mit gelegentlichen majestätischen Rottönen, die sich aber ganz harmonisch mit dem Blau und einigen weißen und goldenen Streifen mischten. Auf seiner Brust prankte der rote Drache, Zeichen des Herrscherhauses der Fanels.

Nach altem Brauch heiratete die königliche Familie etwas außerhalb von Fanelia, in einer kleinen Klosterkapelle im Wald, die als Dank für die wundersame Heilung des ersten Fanelschen Königs von einer schweren Krankheit erbaut worden war. Es war die älteste Kirche, die es in Fanelia gab. Das Brautpaar wurde dort vorgefahren und dann von Verwandten der beiden Familien in die Kapelle geführt. Im Fall von Hitomi hatte man sich geeinigt, dass Folken die Stelle von Hitomis Familie übernehmen sollte. Er hatte sich erst gesträubt, aber Thana hatte ihm ziemlich spöttisch erklärt, er wäre die passendste Wahl. Er war durch das Urteil kein Bürger Fanelias mehr, und auch kein Bürger eines anderen Landes von Gaia. Das war in gewisser Weise Hitomi ziemlich ähnlich, die bis zu ihrer Vermählung ja eigentlich auf Gaia auch staatenlos war.

Folken hatte sie missmutig angeschaut, aber kein vernünftiges Argument gegen diese Logik finden können. Außerdem hatte er das unangenehme Gefühl, dass Thana keine Ausrede gelten lassen würde.

"Wenn ich mich nicht irre, musst du jetzt deinem Volk zulächeln und winken." Bemerkte Hitomi, als Van sie immer noch anstarrte, nachdem die Kutsche losgefahren war.

Van lachte und riss sich zusammen.

"Ja, da hast du wohl recht. Aber es fällt mir sehr schwer, etwas anderes anzusehen als dich."

Hitomi war froh, dass sie vor Aufregung recht blass war, sonst wäre sie jetzt ziemlich dunkel angelaufen. Nicht, dass Van ihr sonst nicht auch Komplimente machte, aber das war nur, wenn sie allein waren.

Hitomi hielt sich an ihren eigenen Rat und lächelte und winkte den Menschenmassen zu. Irgendwie war es schon, als ob sie allein wären, entschied sie. Bei all den Hochrufen und dem Beifall konnte niemand außer ihnen verstehen, was sie sagten.

"Du siehst auch gut aus." Meinte sie deswegen zu Van. "Daran könnte ich mich fast gewöhnen."

Van antwortete nicht und Hitomi hatte Mühe nicht zu lachen. Sie wusste genau warum. Er hatte eine Abneigung gegen einengende Kleidung, und so wie es- zugegeben nur von ganz nahem- aussah, waren diese Sachen nicht nur einengend sondern auch sehr, sehr schwer.
 

Van und Hitomi blieben noch einen Augenblick in der Kutsche sitzen, bis Thana und Folken heran waren. Ab jetzt durften Van und Hitomi sich bis zum Ringtausch nicht mehr berühren, eine Zeremonie, die es auch auf Gaia ähnlich wie auf der Erde gab.

Folken ergriff Hitomis Hand, als sie als erste asustieg. Thana nahm die von Van, denn wer den Bräutigam führte musste eine Frau sein und umgekehrt.

Hitomi besah sich die Kapelle genauer. Sie war gestern schon einmal hier gewesen, aber es war den ganzen Tag schon diesig gewesen, und bei ihrer Ankunft hatte es zu regnen angefangen, so dass sie schnell wieder gegangen war. Die Kapelle hatte gestern eher unscheinbar gewirkt, stumpf und fast ein wenig grau, aber heute, bei strahlendem Sonnenschein, zeigte sie sich von ihrer besten Seite.

Sonnenlicht wurde von den farbigen Glasfenstern teilweise reflektiert, teilweise in die Kapelle gelassen, die so im Inneren in ein Kaleidoskop von wunderschönen Farben getaucht wurde. Die Blumen neben dem Weg zur Kirchentür blühten mit aller Kraft, erfrischt von gestrigen Regen und verströmten einen betörenden Duft nach Frühling. Die Luft war warm, ein kleine Brise brachte den Duft der Wälder mit und ganz allgemein war alles einfach traumhaft schön.

Gemächlich ging das Brautpaar auf die Kapelle zu, begleitet von den Menschen die ihnen gefolgt waren. In die Kirche selbst würden nur wenige gehen. Es war nicht genug Platz, um auch nur annähernd alle Leute herein zu lassen, und besonders Van war froh gewesen, als man darum sagen konnte, dass die verschiedensten Würdenträger allesamt draußen bleiben würden. Schließlich wäre man sonst nicht umhin gekommen, eine Anzahl von ihnen auszuschließen, was ungerecht gewesen wäre.

Thana hatte dazu gelacht und gemeint, dass der Brauch in dieser Kapelle zu heiraten wahrscheinlich aus genau diesem Grund entstanden war- um es selbst dem Königspaar zu erlauben, ganz für sich zu sein in diesem entscheidenden Moment.

Die einzigen Hochwohlgeborenen die noch hereingelassen wurden, waren natürlich Millerna und Allen. Beide hatten freudig die Einladung, Trauzeugen zu sein angenommen.

Unter den fröhlichen Blicken und Hochrufen der Menschen schritten sie zur Kirche. Hitomi stolperte einmal, doch Folken hielt sie so geschickt, dass es kaum auffiel als er ihr half das Gleichgewicht wiederzufinden.

"Nur nicht in Ohnmacht fallen." Meinte er. "Du hast schon Schlimmeres überstanden."

Hitomi grinste. "Keine Sorge. Ich falle nicht in Ohnmacht. Nicht jetzt. Nicht bis es vorüber ist, jedenfalls. Was danach kommt, dafür kann ich nicht garantieren."

"Oh, mach dir da keine Sorgen." Meinte Thana von der anderen Seite, die wieder einmal bewies was für erstaunlich gute Ohren sie hatte. "Van wird glücklich sein, dich zurück tragen zu dürfen."

Die Türen öffneten sich vor ihnen und sie betraten die kleine Kapelle. Innen gab es nur fünf Reihen Bänke für jeweils drei oder vier Personen, einen Altar und eine - Hitomi staunte nicht wenig- unwahrscheinlich groß wirkende Orgel, die auch sofort zu spielen begann, als sie die Schwelle überschritten.

Die sanften Töne hallten sehnsüchtig in der Kapelle wieder, drückten das Sehnen des Brautpaares nach ihrer Hochzeit aus. Während sie den Mittelgang hinunter gingen wechselte die Melodie zu einer Sinfonie der Erwartung. Die wenigen Menschen auf den Bänken, alle, die sich als wahrheitsgemäß als Freunde der Heiratenden bezeichnen konnten, nickten sie still an oder strahlten mit ihnen. Darunter war auch eine ziemlich nervöse Neela, die wohl bei einigen Hochzeiten gewesen war, aber noch auf keiner königlichen. Hitomi hatte sie regelrecht dazu zwingen müssen.

In der ersten Reihe saßen die beiden Trauzeugen, und wie sie Millerna und Allen so nebeneinander sah, steigen Erinnerungen in Hitomi auf... aber das war Vergangenheit. Im Moment sollte sie eigentlich nur die Gegenwart interessieren, sagte sie sich ein wenig belustigt.

Auf der anderes Seite saßen Blinx und Merle, und auch dieses Paar rief Erinnerung in Hitomi wach. Erinnerungen und die vage Erkenntnis, das wohl auch ihr Gang zum Altar nicht so unwahrscheinlich war wie sie allen immer weis machen wollten. Hitomi musste daran denken, wie sie Van bei ihrer ersten Begegnung geschlagen hatte... und später ja auch noch...

Entschlossen riss sich Hitomi zusammen. Weder in Lachen ausbrechen noch kichern war jetzt angebracht. Sie war einfach zu nervös, und so gingen ihre Gedanken spazieren...

Die Musik brach ab und holte Hitomi damit unwiderruflich in das Hier und Jetzt zurück. Thana und Folken führten sie vor den Priester, der die Arme hob. Über seine weiße, mit Gold und rot bestickte Soutane flossen die farbigen Strahlen der Sonne und ließen ihn wie einen Überirdischen erscheinen. Ein wenig kam dieser Eindruck wohl auch davon, dass er, wie der Altar, auf der Empore stand, die den heiligsten Teil der Kapelle bildete. Der Priester war schon recht alt, sein weißes Haar bedeckte nicht mehr seinen ganzen Kopf, aber er wirkte nicht schwach und seine Stimme war es ganz gewiss nicht.

"Wer tritt vor die Götter, um ihren Segen zu erbitten?" intonierte er, und Hitomi musste seine ruhige Stimme bewundern. Sie hatte höllische Angst, nur quietschen zu können oder ganz ihre Stimme zu verlieren. Was Van jetzt wohl dachte? Ging es ihm genauso?

"Vor die Götter tritt Van Slanzar de Fanel, Sohn von Goau und Varie und König von Fanelia." Antwortete Thana und ihre Stimme hallte klar und hell durch die Kapelle.

"Vor die Götter tritt Hitomi Kanzaki, Tochter von Yukiko und Seki vom Mond der Illusionen."

Folken und Thana ließen ihre Hände los. Ihre Aufgabe war glücklich erfüllt und sie setzten sich auf die Bank ihrer jeweiligen Seite. Allen und Millerna standen auf.

"Sind diese beiden diejenigen, die sie zu sein vorgeben?" fragte der Priester und beide gaben die rituelle Antwort der Trauzeugen.

"Sie sind wer sie sind und was sie sind und ihr Wille war frei als sie hier erschienen."

Hitomi war froh, dass sie schon strahlte, denn ansonsten hätte sie jetzt unweigerlich lachen müssen. "als sie hier erschienen" schien eine Absicherung gegen die zu sein, die in letzter Minute die Nerven verloren und ein wenig Nachhilfe brauchten.

"Dann sollen sie heute hier vereint werden." Sprach der Priester weiter. Hitomi und Van machten die zwei letzten Schritte und standen nun vor ihm. Der Priester senkte seine Hände über ihre Köpfe, aber ohne sie zu berühren. Das Göttliche brauchte keinen körperlichen Kontakt.

"Diese beiden Menschen sind heute hier an diesem heiligen Ort zusammen gekommen, um in den heiligen Stand der Ehe zu treten. Sie haben gelobt, ihr Leben dem anderen zu widmen und ihn zu lieben und so frage ich euch zwei:

Schwört ihr, den anderen zu lieben und zu achten und alles Gute und alles Schlechte mit ihm zu teilen bis ans Ende eurer Tage?"

"Ich schwöre." Sagte Van.

"Ich schwöre." Wiederholte Hitomi.

"Ist hier jemand anwesend, der einen Grund vorbringen kann, warum diese beiden Menschen nicht vereint werden sollen?" Schweigen erfüllte den Raum und der Priester hob erneut seine Stimme.

"Gibt es jemanden in diesem Raum, der etwas gegen diese beiden vorbringen kann?" Wieder Schweigen.

"Und so frage ich zum dritten und letzten Mal..." Hitomi war sehr froh darüber. "Hat jemand etwas gegen die Heirat dieser beiden vorzubringen?"

Als auch diesmal niemand antwortete, fuhr der Priester sichtlich zufrieden fort. Nun würde ihn niemand mehr aufhalten, die Krönung seiner Laufbahn vorzunehmen. Krönung im doppelten Sinn.

"Dann frage ich die beiden, habt ihr die Symbole eurer Vereinigung mitgebracht?"

"Das haben sie." Sagte Thana und reichte ihnen die Ringe. Anders als die Verlobungsringe waren diese klein und unscheinbar, einfache silberne Ringe ohne Verzierungen. Hitomi hatte sie ausgesucht, und Van hatte sofort verstanden. Sie brauchten keinen sichtbaren Beweis. Die Ringe selbst waren nur ein Symbol, und als solches waren diese einfachen Ringe mindestens so gut wie alle anderen.

"So frage ich denn dich, Folken Lacour de Fanel, willst du diese Frau zu deiner Ehefrau nehmen und sie lieben und achten bis ans Ende aller Zeit?"

Van sah Hitomi in die Augen. "Ja, ich will." Sagte er. Wollte er sagen. Aber seine Stimme überschlug sich, klang hoch wie die Stimme eines Jungen im Stimmbruch. Van lief feuerrot an. Von den Bänken kamen die Geräusche von unterdrücktem Kichern und Lachen.

Van holte ein paar Mal tief Luft und diesmal war seine Stimme voll und tief und so von Herzen kommend, dass sie noch Minutenlang im Raum nachzuhallen schien.

"JA, ich will!"

Hitomi schob ihm ihren Ring auf den Finger. Der Ring war das Symbol für diesen Schwur, und somit war er auch das Symbol für Van, dass er jetzt an sie gebunden war.

"Und so frage ich dann dich, Hitomi Kanzaki, willst du diesen Mann zu deinem Ehemann nehmen und ihn lieben und achten bis ans Ende aller Zeit?"

"Ja, ich will!" antwortete Hitomi und auch wenn ihre Stimme zitterte, war sie auch ohne Widerholung deutlich.

Gebannt beobachtete sie, wie Van ihr seinen Ring auf den Finger schob und dieses sichtbare Zeichen ihres Versprechens ließ ihr Herz noch schneller schlagen, als es das ohnehin tat. Jetzt war es passiert, es war kein Traum, durfte keiner sein...

"Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau und möge eure Liebe so beständig und strahlend sein wie der Sonnenaufgang."

Van sah ihr in die Augen. Das war einer der Momente, vor denen sie am meisten Angst hatte. Es war aber auch zu... küssten sie sich zu lange, würde es anzügliche Bemerkungen geben bis sie starben, küssten sie sich zu kurz...

Ein leises Husten von Thana erinnerte sie beide daran, dass nach Worten und Gedanken auch Taten folgen mussten und so beugten sie sich zueinander um sich zu küssen.

Nachdem die Schmetterlinge verflogen waren stellte Hitomi fest, dass sie und Van Arm in Arm schon fast den halben Gang hinunter waren und sich anscheinend genau lang genug geküsst hatten. Thana hatte ihr jedenfalls ein "Perfekt!" zugeflüstert, und wenn sie es sagte, musste es wohl stimmen.

"Na dann..." raunte Van ihr zu. "Gehen wir hinaus und zeigen uns unserem Volk, meine Königin."

Hitomi drückte seine Hand, die die ihre umschloss. Sie wusste, dass der wichtigste Teil dieses Satzes die beiden letzten Worte waren, und ganz und gar keine Titel gemeint war.
 

Epilog
 

"Hoch, hoch, hoch!"

Die Rufe hallten durch die große Halle, in der die Hochzeitsgäste nun schon mehrere Stunden lang aßen, tranken, jubelten und ganz allgemein feierten.

Erneut mussten Hitomi und Van aufstehen, um die Hochrufe entgegen zu nehmen. Thana an Hitomis Seite kicherte dabei wieder unbändig. Sie hatte zwar den frisch Vermählten verboten viel zu trinken- "Ihr habt doch heute Nacht noch etwas vor." hatte sie augenzwinkernd gesagt- aber das hatte sie selbst nicht daran gehindert, dem Wein ordentlich zuzusprechen.

Das war Brauch, hatte ein etwas verlegen dreinschauender Van erklärt. Eine Hochzeit war etwas, wo man sich richtig gehen lassen sollte. Und das betrinken war besonders beliebt, damit alle Leute, die am nächsten Tag in fremden Betten aufwachten, oder eher in Betten von Leuten die sie sehr gut kannten, eine Entschuldigung hatten. Hitomi hatte wissend und langsam genickt und sich jeden Kommentar verkniffen. Andere Länder, andere Sitten.

Nun war es schon ziemlich spät und anscheinend beschloss Thana auch dieses Mal, die Sache in die Hand zu nehmen. Sie schaute noch einmal mit einem seltsamen, wissenden und zugleich traurigen Lächeln zu Folken, der abgesondert an einem Fenster stand und hinaus starrte. Dann versuchte sie aufzustehen. Schon beim dritten Versuch stand sie recht sicher.

"Hörr.. Hört mal alle her!" rief sie nicht sehr zeremoniell und hob den Weinpokal. Sie starrte ihn ein paar Sekunden an, dann versuchte sie daraus zu trinken.

"Leer!" stellte sie verwundert fest und drehte den Pokal um. Das Publikum grölte vor trunkener Belustigung.

"Es ist ziemlich spät... was rede ich da... schon sehr spät! Ist es doch oder?" Sie riss sich zusammen und auf einmal klang sie noch fast nüchtern.

"Es ist spät und das Essen alle und es wird Zeit, dass wir unsere Brautleute ins Bett bringen! Genau! Das machen wir jetzt!"

Pfiffe der Begeisterung dröhnten durch den Raum und Hitomi wappnete sich innerlich. Was jetzt kam, war wahrscheinlich der peinlichste Teil der Hochzeit. Nein, nicht wahrscheinlich. Mit Sicherheit.

Ein paar Stühle fielen um, als die Festgäste sich von ihnen erhoben, aber niemand achtete darauf. Jeder wollte jetzt dabei sein. Das war der Teil, an dem alle Gäste am meisten Spaß hatten.

Mit einer grölenden Traube Menschen im Kielwasser wurden Van und Hitomi nun zu ihrem Zimmer geführt, in dem sie den Rest der Nacht verbringen würden. Und wie es ein, zu Hitomis Leidwesen unumgänglicher Brauch wollte, geschah das auf dem längsmöglichen Weg und unter allerlei anzüglichen Bemerkungen. Je näher sie schließlich dem Ziel kamen, desto weniger zweideutig wurden diese Bemerkungen und desto roter wurde nicht nur Hitomis Kopf.

Aufatmend bogen sie um die letzte Ecke und rannten die wenigen Meter bis zur Tür des Königszimmers fast.

"Und die letzte Zeremonie für heute!" grölte Thana und zwinkerte den beiden zu. Dann stieß sie die Tür auf. Van holte tief Luft und hob dann Hitomi in seine Arme.

"Die Betten sind kalt, aber ihr werdet sie sicher schnell aufwärmen!"

"So ist es richtig, der Mann steht und die Frau liegt!"

"Vergesst das Schlafen nicht!"

Unter diesen und anderen Bemerkungen trat Van mit Hitomi im Arm über die Schwelle. dahinter drehte er sich um, winkte einmal mehr oder weniger deutlich, da er Hitomi ja immer noch trug... und schmetterte dann die Tür mit seinem Fuß und aller Kraft die er hatte zu.

Und damit endet auch diese Geschichte.

Van öffnete die Tür.

"Wollt ihr nicht endlich verschwinden?" fragte er mit einem sehr eindeutigen Ausdruck in den Augen.

Die Leute, die sich um den Platz am Schlüsselloch gestritten hatten standen auf und schlenderten denen hinterher, die sich schon bei der ersten Bewegung der Tür umgedreht hatten und um den Titel des unbeteiligsten Ganges von ganz Gaia wetteiferten.

Van schaute ihnen nach.

Er schloss die Tür, wartete ein paar Augenblicke und öffnete sie dann wieder.

Die Unschuld auf den Gesichtern war nicht sehr überzeugend.

Schließlich hatte Thana Erbarmen und holte einige der nüchterneren Wachen herbei, die die Leute wegschoben und nicht mehr in diesen Flügel des Schlosses ließen. Sie zwinkerte Van noch einmal zu und verschwand dann.

Van seufzte, atmete tief ein, straffte sich und betrat das Feld seiner ersten Eheschlacht.
 

Ende von LMMI 4. Natürlich nicht Ende der Geschichte *zwinker*

Wer mehr will, muss mich schon auf meiner HP besuchen: www.lennstar.de.vu

LMMI 5 braucht wohl noch ne Weile, bitte nicht ungeduldig werden.

Ich ziehe aber gerade mit nem Webprojekt (wortschmiede.de.vu) im Notfallverfahren um, es dauert also noch 2,3 Tage bis meine HP auf dem neuesten Stand ist (Datum der Mitteilung: 30.9.05)



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-07-01T16:47:48+00:00 01.07.2011 18:47
hey
ich kann nicht glauben, dass ich noch kein kommi geschriben habe!!!
ich hab deine story schon drei mal gelesen und nix geschrieben! *schäm*
ich finde sie einfach hervorragend!!!
hier muss viel liebe, fantasie, schweiß und blut drin stecken!
es ist einfach sagenhaft, was du geschrieben hast.
vor allem ist es schön,
dass deine komplette geschichte aus mehreren teilen besteht.
so kann man wenigstens so tun, als wäre deine story hier zu ende...
aber es ist sehr schade, dass du sie nicht fertiggestellt hast.
das wäre bestimmt noch super geworden!!!
ich gehe mal davon aus,
dass du nach drei jahren auch nicht mehr weiter schreibst...
das ist so schade, eine verschwendung von talent.
obwohl, bei der arbeit die hier drin steckt
und die wenigen meinungen dazu,
da kann ich es schon verstehn, da verliert man die lust...

ich behalte deine story auf jeden fall,
vielleicht druck ich sie mir auch aus...
und ich hoffe, dass da vielleicht irgendwann nochmal was kommt.
Liebe Grüße


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