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Die Legende vom Mädchen vom Mond der Illusionen ( LMMI )

von

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LMMI 4 Kapitel 4

Kapitel 4
 

Es schepperte laut, als ein paar der tönernen Teller auf dem Boden landeten und zerschellten. Hitomi zuckte zusammen. Die zwei Frauen, die eben noch geschwatzt hatten, warfen ihr erschrockene, beinahe ängstliche Blicke zu. In fliegender Eile versuchten sie die Scherben zusammen zu suchen. Hitomi machte Anstalten ihnen zu helfen oder sich bei ihnen zu entschuldigen- schließlich war sie es gewesen, deren wütender Blick die Frauen erschreckt hatte- aber dann entschied sie anders. Letztendlich hatten die beiden ihre Pflicht vernachlässigt, und sie würde mehr stören als nützlich sein.

»Sehe ich wirklich so zornig aus?« fragte sich Hitomi. Doch dann sagte sie sich, dass sie zu Recht sauer war.

Schon von weitem konnte sie ihn hören. Ein paar Soldaten standen lässig an die Wand gelehnt, während ihr König im Übungsraum mit dem Holzschwert auf eine Strohpuppe eindrosch.

"...nein, auch nicht. Vielleicht hängt es mit diesem Mädchen zusammen."

"Was für ein Auftritt! Auf einem Drachen!"

"Ja, und anscheinendend kennen sich..." der letzte Sprecher erhielt von seinem Gegenüber einen Stubser. Er drehte den Kopf, folgte dem weisenden Blick und erkannte Hitomi.

Unbehaglich stellten sich die Soldaten gerader hin, augenscheinlich verunsichert über das, was gleich passieren würde.

Hitomi sah sie mit ihrem wütenden Blick an, und der ihr nächststehende äußerte zögernd. "Der König möchte nicht gestört werden... von niemandem lautete seine ausdrückliche Anweisung."

"Aha." Hitomi hatte nicht vor, klein bei zu geben. Sie trat noch einen Schritt nach vorne und stand nun nur Zentimeter von dem Soldaten entfernt, der ihr immer noch den Weg versperrte.

Sie sah ihn an.

Er wand sich.

Hitomi beschloss, ihre Wut nicht an ihm auszulassen, so schwer es auch war. Aber der Soldat führte nur seine Befehle aus.

"Es ist gut. Ihr könnt gehen. ICH werde dafür sorgen, dass er nicht gestört wird."

"Ähm..." Sichtlich hin und her gerissen zwischen Pflicht und Überlebenswillen gab der Soldat schließlich letzterem den Vortritt, gefolgt von seinen Kollegen.

Hitomi trat ein und schloss die Tür hinter sich. Van zeigte keine Reaktion sondern machte ohne Pause weiter, als ob er sie nicht bemerkt hatte. Aber das hatte er. Das winzige Zucken um seine Augen, als sie eintrat, und das Bemühen sie niemals anzuschauen waren Beweis genug.

Um ein Haar hätte Hitomi gelächelt. So genau kannte sie ihn. Und darum wusste sie auch genau, dass sie gewinnen würde wenn sie entschlossen genug blieb. Das allerdings würde schwer sein, denn sie wusste ebenso gut, dass er ihr nur aus Sorge verboten hatte ihn zu begleiten.

Hitomi wartete eine weitere Minuten, und als Van sie dann immer noch nicht bemerken wollte ergriff sie die Initiative.

"Ich werde mitkommen." sagte sie entschlossen, doch Van zeigte keine Reaktion. Jetzt wurde Hitomi wirklich wütend. Besorgt sein war eines, sie fortgesetzt zu ignorieren etwas anderes.

"Bist du schwerhörig Van?"

Noch ein paar Augenblicke lang reagierte Van nicht, dann seufzte er.

"Du kommst nicht mit." sagte er sanft. "Das habe ich dir doch schon gesagt. Es ist viel zu gefährlich. Ich mache mir halt Sorgen um dich."

Bei seinem sanften, liebevollen Ton wäre Hitomi beinahe in ihrem Entschluss schwankend geworden, aber dann riss sie sich zusammen. Wenn sie bei so etwas einmal nachgab, dann würde sie es immer wieder tun, und das würde sie nur unglücklich machen. Sie beide. Nur Van wollte das nicht verstehen.

"Und ich mache mir wohl keine Sorgen um dich, hm? Ich werde mitkommen."

"Wirst du nicht. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Ich kann auf mich aufpassen."

"Und ich wohl nicht?" erwiderte Hitomi ätzend. Van sah an ihr vorbei.

"Gut, wie du willst. Dann kämpfe." Mit diesem Worten schnappte sich Hitomi eines der anderen Übungsschwerter. Van blinzelte und sah sie entgeistert an.

"Was soll das denn?" fragte er sie verwirrt. Hitomi antwortete ihm, indem sie mit dem Schwert zuschlug.

"Hitomi!" Dieses Mal lag Entsetzten in Vans Stimme.

"Ich sagte doch, du sollst kämpfen." wiederholte Hitomi kalt ihre Forderung, während sie sich auf ihren Atem konzentrierte. Ein und Aus. Langsam. Sei dir deines Körpers vollkommen bewusst. Weder über- noch unterschätze ihn. Befreie deinen Geist von allem Ballast und konzentriere dich nur auf die Waffe in deinen Händen. Lass das Schwert zu einem Teil von dir selbst werden und bewege dich, als ob es ein Teil von dir wäre.

"Weißt du Van..." plauderte Hitomi und schlug zu "ich habe ein bisschen geübt während ich weg war."

Eine rasche Kombination aus Hieben, die Van überrascht parierte. Seine Verwirrung verwandelte sich in Bestürzung, als er sah dass Hitomi es ernst meinte.

"Ich dachte mir, ich sollte nicht verlernen was ich bei Norenkai gelernt habe. Stabkämpfer aber gibt es auf dem Mond der Illusionen nicht. Kendo dagegen ist zumindest in meinem Land weit verbreitet."

Ein schneller Wechsel von Schlägen, der Van zurück weichen ließ.

"Das reicht jetzt Hitomi. Du wirst meine Meinung nicht ändern. Egal was du machst!"

Hitomi lächelte nur.

"Ich bin ziemlich gut geworden, weißt du." Sie lächelte nur, als Van sich endlich wehrte und sie seinen Schlag parierte. "Ich bin die beste in meiner Schule. Ich mache dir einen Vorschlag: Wenn ich gewinne, musst du mich mitnehmen. Dann habe ich bewiesen, dass ich genauso gut auf mich aufpassen kann wie du."

"Und wenn du verlierst?" fragte Van lauernd.

"Dann bleibe ich hier." antwortete Hitomi. Gleich darauf schallt sie sich in Gedanken eine Idiotin. Egal wie gut sie geworden war, sie konnte niemals das Jahrelange Training bei einem Meister wie Vargas aufbieten. Van war stärker als sie, geschickter und wahrscheinlich auch wendiger durch das Training von Kindesbeinen an. Er würde sie besiegen können wann immer er wollte. Das einzige, was sie vielleicht rettete war Vans Zurückhaltung. Er würde nicht mit aller Kraft kämpfen können, aus Angst sie zu verletzten.

Das Problem dabei war nur... für sie galt genau das selbe.

"Gut, abgemacht." Blitzschnell schlug Van zu, kaum dass er ausgeredet hatte. Schon ein paar Hiebe später war Hitomi klar, dass sie ihn noch unterschätzt hatte. Er würde sie nicht ernsthaft verletzten. Aber alles was keine dauernden Schäden zurück ließ...

Schließlich ging es um ihre Sicherheit. Für Van war es in gewissem Sinn, als ob er um ihr Leben kämpfen würde.

Aber auch Hitomi kämpfte mit tödlicher Entschlossenheit. Auf keinen Fall würde sie klein beigeben. Sie durfte nicht verlieren. Niemals würde sie es aushalten in Sicherheit zu Hause zu sitzen, wenn Van sich in Gefahr begab.

Zu Hause...

Krachend schlugen die Schwerter aufeinander. Hitomi gelang es, Van einen schmerzhaften Schlag zu versetzten. Hätten die Schwerter eine scharfe Klinge besessen und wären sie aus Eisen gewesen, hätte er jetzt Armwunde bis zum Knochen.

Doch auch Hitomi hatten schon mehr als einen blauen Fleck kassieren müssen. Ihr ganzer Körper schmerzte, nicht nur von den Schlägen sondern auch von der Anstrengung mit Van mithalten zu müssen.

Sie tanzten umeinander, fast jeder Schlag wurde pariert und sofort gekontert. Aber es wurde immer deutlicher, dass einer von ihnen im Vorteil war.

»Auf der Erde wäre er bestimmt Weltmeister!« schoss es ihr durch den Kopf, als ihre Klinge erneut unter einem von seinen Schlägen vibrierte. »Ich verliere und kann nichts machen. Er ist einfach zu gut. Aber ich darf nicht verlieren!«

"NEIN!!!" Hitomis Schwert flog aus ihrer Hand, und der ungeheure Druck von Vans Kombination ließ sie taumeln.

»Was war das?« fragte sie sich panisch als sie stolperte und nach hinten umfiel. »Ich habe nicht bemerkt, was er gemacht hat! Ich habe verloren!«

Hart schlug sie auf dem Boden auf, der feucht von ihrer beider Schweiß war. Van fiel neben ihr auf die Knie und hielt ihr sein Schwert an die Kehle. Seine Brust hob und senkte sich in rasendem Takt, aber er schien trotzdem nicht außer Atem zu sein, ganz im Gegensatz zu Hitomi, der bei jedem Atemzug stechender Schmerz durch die Brust fuhr.

Van sah ihr in die Augen uns sie starrte zurück. Jede Aggression war aus ihren Augen verschwunden. Lange Zeit sahen sie sich einfach nur an. Dann hob Van langsam sein Schwert von ihrer Kehle und schleuderte es angewidert in die Ecke während er sich neben sie setzte.

"Du bist verdammt gut Hitomi. Das hätte ich echt nicht erwartet." Man hörte ihm die Anstrengung kaum an, und doch raste sein Puls noch immer und sein Gesicht war gerötet. Hitomi war noch schlimmer dran.

"Aber trotzdem hatte ich keine Chance gegen dich." antwortete sie stoßweise "Du hättest mich schon gleich zu Anfang besiegen können."

"Vielleicht." antwortete Van ausweichend. "Aber vielleicht auch nicht."

Wieder sahen sie sich in die Augen. Schließlich schluckte Hitomi und schloss resigniert die Augen.

"So sei es denn." flüsterte sie. "Ich halte meine Versprechen. Da ich..." Vans Hand verschloss ihr den Mund.

"Sprich es nicht aus, Hitomi." sagte er zärtlich. "Denn dann müsste ich darauf bestehen, dass du dein Versprechen hältst."

Hitomi riss die Augen auf und konnte kaum glauben was sie da gerade gehört hatte. "Willst du damit sagen, du..."

"Was mich angeht, ist das hier nicht passiert."

Hitomi schaute auf eine blutende Wunde an Vans Arm.

"Oh, so etwas passiert häufiger beim Training. Sagen wir, ich habe noch nie etwas von einem bestimmten Versprechen gehört, einverstanden?"

"Du lässt mich wirklich mitkommen?" fragte Hitomi noch einmal. Van holte tief Luft und nickte schwer.

"Ja. Ich weiß, dass ich dich nicht daran hindern kann. Ich könnte dich nie mit Gewalt festhalten lassen, und wenn ich das nicht mache..." Er beugte sich ganz dicht über Hitomi und ein breites Lächeln ließ sein Gesicht erstrahlen. "weiß ich, dass ich dir nichts lange verweigern kann. Dazu liebe ich dich viel zu sehr." Van beugte sich noch weiter herunter und küsste zärtlich seine Angebetete.
 

***
 

Thana schaute von der Brücke hinab auf die Bäume, über die der Crusador hinwegglitt. Grüne Wipfel, bewegt vom Wind und doch so weit entfernt von jedes Menschen Hand...

Natürlich hatte niemand ein Wort des Einspruchs erhoben, als sie am Morgen entgegen ihrer ursprünglichen Absicht verkündet hatte, sie nun doch zu begleiten. Auf die Frage nach dem Grund hatte sie nur mit den Schultern zucken können. Sie wusste nicht, warum sie sich so plötzlich anders entschieden hatte. Sie hatte einfach nur das Gefühl gehabt...

Eine kleine Hand schob sich in die ihre und drückte sanft. Thana lächelte.

"Woran denkst du?" fragte Flöte leise. Obwohl sie fast flüsterte, und obwohl die Besatzung der Brücke nicht gerade leise war, konnte Thana trotzdem jedes ihrer Worte deutlich verstehen. Sie fragte sich, ob sie der Grund dafür war oder Flöte.

"Ich frage mich, was in uns wohl die Entscheidungen für uns trifft."

"Etwas? Nicht du selbst?"

Thana zuckte mit den Schultern.

"Das ist es ja. Ich weiß es nicht. Ich habe keinen Grund, nun doch mit zu kommen und trotzdem..."

"Vielleicht ist es ein Grund den du nur noch nicht kennst, oder besser, den du noch nicht erfassen kannst. Ihr Menschen seid seltsam. Ihr trefft oftmals Entscheidungen ohne zu wissen warum. Dennoch sind sie im Nachhinein oft besser als die, die man erwarten würde."

"Und Götter sind nicht so? Da erinnere ich mich aber an die ein oder andere Gelegenheit..."

"Nun ja, ich bin seid vielen tausend Jahren in diesem Körper. Das kann ja nicht ohne Folgen bleiben."

Thana lachte erheitert, doch ihr Schwermut wollte nicht von ihr weichen.

"Ich habe Angst, Flöte. Etwas in mir fürchtet sich, fürchtet sich vor dem was vor uns liegt, und ich weiß nicht warum. Ich weiß nicht einmal, was in mir sich fürchtet."

Flöte nickte langsam. Weniger um zu zeigen das sie verstand, als vielmehr das sie Thanas Ängste ernst nahm.

"Höre auf deine Ängste, aber lass dich nicht von ihnen leiten. Angst ist ein guter, wenn auch nicht immer verlässlicher Ratgeber. Als Herrscher aber ist sie untauglich."

Thana kicherte. "Da gibt es nicht bloß einen. Aber zum Glück für uns auch welche, die ihre Aufgabe sehr gut verrichten."

Eine Weile schwiegen sie, Hand in Hand und den Blick gerichtet auf die unbekannte Zukunft, die dort am Horizont auf sie wartete.

"Flöte?"

"Ja?"

"Danke. Danke dafür, dass du mir Mut machst."

"Gern geschehen. Wozu ist eine Mutter..." wie seltsam das Wort klang, wenn es ein kleines Mädchen zu einer fast erwachsenen Frau sagte, auch wenn dieses Mädchen die Frau groß gezogen hatte "...denn sonst da. Ach, und da wir gerade bei Mutter sind... ist das nur was vorübergehendes, oder wird das ernsthaft mit deinem Verehrer?"

"FLÖTE!"

Alle Personen auf der Brücke schauten verwundert auf Thana, die mit hochrotem Kopf aus dem Fenster starrte.

"Du bist sehr indiskret." rügte Thana Flöte leise, als sie sich wieder einigermaßen im Griff hatte. "Und eine Spionin."

"Ich bin eine Göttin, schon vergessen? Es gehört gewissermaßen zur Definition. Was wäre ich für eine Göttin, wenn ich das nicht wüsste? Und was wäre ich erst für eine Mutter?"

"Trotzdem geht es dich nichts an."

"Wenn du es sagst..." Flötes Augen funkelten, als sie sich zu Gades umdrehte und ihm ein wissendes Lächeln schenkte, woraufhin dieser sich sichtlich unwohl zu fühlen begann. Dann lachte sie still vergnügt in sich hinein, während sie sich enger an Thana schmiegte. »Und außerdem ist es so viel lustiger.«
 

***
 

Die Rampe schlug mit einem metallischen, unheilverkündenden Ton auf dem steinigen Boden auf. Der Wind heulte leise um die schwere Eisenplatte und die Schritte darauf klangen hohl und einsam. Die Luft war seltsam geruchlos.

"Gespenstisch." meinte Hitomi und erschauerte. Nirgendwo war jemand zu sehen. Das Dorf wirkte nicht nur verlassen, sondern ausgestorben. Nicht einmal Vögel waren zu sehen. Es war, als ob irgendwas die Tiere davon abhielt in die Nähe der Hütten zu kommen.

Van betrat den Boden und bückte sich. Er nahm ein paar der staubtrockenen, schwarz verfärbten Stängel vom Boden auf und betrachtete sie eingehend.

"Getreide." sagte er und alle anderen starrten überrascht auf den Boden.

"Das soll Getreide sein?" fragte Allen verwundert. Wortlos drückte Van ihm die Stängel in die Hand.

"Es sieht zumindest so aus." stimmte Allen ihm nach ein paar Sekunden des Schweigens zu. "Aber was zum Teufel ist damit passiert? Um so auszutrocknen braucht es Monate. Und es hat in letzter Zeit viel geregnet."

"Hier eigentlich nicht, aber du hast Recht, Allen."

"Es ist nicht ausgetrocknet." stellte Flöte tonlos fest. Thana erschrak. Es war vielleicht nicht für die anderen ersichtlich, aber sie, die Flöte besser kannte als die anderen...

"Natürlich ist es ausgetrocknet!" Widersprach Van verwundert, aber auch irritiert. Dass Flöte etwas so offensichtliches verneinte...

"Es ist nicht ausgetrocknet, es ist tot." erklärte Flöte und bückte sich. Ihre kleinen Hände gruben sich in den Boden. "Alles hier ist tot. Die Pflanzen, die Tiere, der Boden..." langsam rieselte die Erde durch ihre Finger "...sogar in der Luft ist nichts lebendiges mehr."

Hitomi sah unwillkürlich nach oben. Wie um Flöte zu bestätigen fegte eine Böe über den Boden, wirbelte die tote Erde auf und ließ die Halme der Pflanzen müde rascheln.

"Gehen wir ins Dorf." bestimmte Van mit fester Stimme und setzte sich in Marsch. Im gehen drehte er den Kopf. "Hitomi..." er stockte mit offenem Mund. "pass auf dich auf." Hitomi nickte und lächelte ihm zaghaft zu. Sie fühlte sich ein bisschen schuldig. Nun machte Van sich doch Sorgen um sie.

Van und Allen gingen voran, die Frauen folgten und hinten gingen Gades und ein paar aus der Mannschaft. Alle waren sichtlich nervös.

Je näher sie dem Dorf kamen, desto unheimlicher wurde es. Weder Mensch noch Tier zeigte sich, kein Lachen spielender Kinder, kein Hundegebell, dass die Fremden begrüßte. Keine lebende Seele.

Plötzlich blieben Van und Allen ruckartig stehen. Den Blick zu Boden gerichtet waren sie zur Salzsäule erstarrt.

"Was ist?" fragte Millerna und drängte sich zwischen die zwei. Dann erstarrte auch sie.

"Bei allen Göttern!" Sie drehte sich um, und die anderen konnte erkennen, dass sie grün im Gesicht geworden war. "Kommt lieber nicht näher. Das ist..."sie schüttelte den Kopf. Entweder, weil sie keine Worte fand oder weil sie wusste, dass es nichts bringen würde. Es würden trotzdem alle sehen wollen.

Zu dieser Überzeugung waren wohl auch Van und Allen gekommen und gingen zur Seite. Jeder der herantrat wurde erschüttert. So etwas hatte noch niemand von ihnen gesehen.

"Wie eine Mumie. Nur schlimmer." flüsterte Hitomi.

Das war es. Vor ihnen, vom vergilbten und schwarz gewordenen Getreide fast bedeckt, lag eine Leiche. Es war unzweifelhaft ein Bewohner dieses Dorfes, das zeigte allein schon die Ochsenpeitsche in seiner Hand. Aber die Haut auf seinem Gesicht war eingefallen, dünn wie Pergament und bleich wie der Mond.

"Hier ist sein Ochsenkarren." meldete Allen, der zwanzig Meter zur Seite gegangen war. Dort war eine Senke, und er war nur bis zur Hüfte zu sehen. Diese Senke hatte den Karren auch vor ihren Blicken verborgen. "Und die Ochsen." fügte er nach einer Pause hinzu. Seine bedächtigen Schritte zu ihnen zurück sagten mehr als alle Worte, dass sie die Tiere im Zustand nicht von ihrem Herren unterschieden.

"Was machst du da Flöte?"

Alle drehten sich alarmiert zu Thana um, deren erschrockener Aufruf sie überrascht hatte. Flöte hatte sich neben den toten Bauern gehockt und bedeckte nun sein Gesicht mit ihren Händen. Unglauben huschte über ihre kindlichen Züge.

"Nichts. Alles tot."

"Das sieht man doch!" rief einer aus der Mannschaft. Er taumelte ein paar Schritte zurück, als ihn Flötes eisiger Blick traf.

"Bevor du Urteile fällst, solltest du die Bedingungen beachten." meinte sie kalt und stand auf.

"Fällt euch an der Leiche nichts auf?" fragte sie in die Runde. Alle schüttelten den Kopf, doch dann... "Er ist nicht verwest, oder?" fragte Gades. "Meinst du das?"

Flöte nickte und erklärte "Es ist mindestens drei oder vier Tage her dass er gestorben ist. In dieser Zeit müssten deutliche Verwesungsspuren auftreten. Zumindest müsste er von Ratten angefallen worden sein. Dem ist aber nicht so. Auch alles andere hier..." sie machte eine weitreichende Geste "Ich bin mir ziemlich sicher, dass in den letzten Tagen nicht ein einziges Lebewesen dieses Gebiet betreten hat. Weder Vogel noch Maus, nicht mal eine Fliege... alles Leben hat diesen Ort gemieden."
 

Sie fanden noch weitere Leichen, alle in einem ähnlichen Zustand wie die erste. Es schien, als hätte das Leben die Menschen mitten in ihrem Alltag einfach verlassen. Sie fanden Frauen, die gerade Essen gekocht hatten- Essen, das nun ebenfalls aussah, als sei es vor Jahrtausenden vertrocknet. In einer Hütte war eine Frau beim Weben, einen Arm auf der Lehne ihre Stuhles, die Finger um einen nicht mehr vorhandenen Faden geschlossen, der jetzt als ein Haufen Staub am Boden lag.

"Wolle ist auch in gewissem Sinn lebendig." bemerkte Flöte dazu und wurde danach noch nachdenklicher. Irgendetwas schien die Wolle in ihr ausgelöst zu haben.

Aus einer Hütte taumelte Allen geradezu heraus und verbot kategorisch jedem, sie zu betreten. Was Flöte allerdings nicht daran hinderte, trotzdem hinein zu gehen. Doch aus sie fand es danach besser, jedem anderen das Betreten der Hütte zu verbieten.

"Das scheint das Zentrum zu sein." äußerte sie sich.

"Das Zentrum wovon?" fragte Van.

"Des Zentrum der Todesaura... oder wie auch immer du es nennen willst. Die Personen dort drin sehen am schlimmsten aus."

"Dann müssen wir es uns doch gerade ansehen." meinte Van, doch Flöte schüttelte entschieden den Kopf.

"Das bringt dir auch nichts." Van wollte trotzdem hinein, doch Allen versperrte ihm den Weg.

"Was ist los? So viel schrecklicher kann es auch nicht mehr sein." Doch Allens gequälter Blick sagte etwas anderes.

"Van, da drin..." Er schluckte und unendliches Grauen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. "Dieses Gebäude war die Schule des Dorfes." schloss er lahm.

"Oh." Van sah ihn an, blickte auf den Eingang und drehte sich dann wortlos um.

"Gehen wir. Oder meinst du, wir können noch etwas erfahren?" fragte er Flöte. Diese verneinte.

"Wir dürften alles gesehen haben, was nötig ist."

Schweigend, aber rasch gingen sie zum Crusador zurück. Kaum an Bord starteten sie. Sie würden es an diesem Tag nicht mehr zurück nach Fanelia schaffen, aber in wortloser Übereinkunft wollten alle so weit wie möglich entfernt sein, wenn die Nacht kam.
 

"Wir sind uns wohl alle einig, dass wir so schnell wie möglich herausfinden müssen, was mit diesem Dorf passiert ist." fasste Allen zusammen. "Die Frage ist: Wie finden wir etwas heraus? Ich habe noch nie von etwas auch nur im entferntesten ähnlichem gehört."

"Das hat keiner." meinte Van bedrückt, doch zu seiner Überraschung meldete sich Flöte zu Wort.

"Das stimmt nicht ganz. Ich habe von etwas gehört- es sogar schon gesehen- was diesem hier sehr ähnlich ist."

"Was?" Alle starrten Flöte an.

"Wieso hast du das nicht eher gesagt?" fragte Van verärgert. "Du musst aus allem ein Geheimnis machen!"

Flöte ging mit einem Schulterzucken über diesen Vorwurf hinweg.

"Ich habe am Anfang nicht daran gedacht, und dann war ich mir nicht sicher. Ich bin es jetzt auch noch nicht ganz, aber ich sollte euch wohl davon erzählen...

Es war kurz nach der Erfindung der Schicksalsmaschine in Atlantis. Durch sie war es möglich geworden, den eigenen Körper zu verändern... aber nicht, einen toten wieder ins Leben zurück zu rufen. Das haben einige probiert. Das Ergebnis war ähnlich dem, was wir in diesem Dorf gesehen haben. Um ein Wesen wieder ins Leben zu bringen, mussten Hunderte sterben. Die Natur lässt sich nicht so einfach besiegen. Der Preis für neues Leben ist hoch. Die Versuche wurden eingestellt, bevor Menschen zu Schaden kamen.

Wie dem auch sei, ich bin mir sicher, dass das Wissen um diese Technik mit Atlantis untergegangen ist. Aber Wissen kann niemals für immer verschwinden. Es kann verloren gehen, verschüttet werden... aber man kann diese Dinge nicht aus dem Gefüge des Universums tilgen. Früher oder später wird wieder jemand auf das Geheimnis stoßen- und meine Befürchtung ist, dass genau das passiert ist."

"Ein anderes Experiment der Zaibacher?"

"Nein, Allen." Flöte schüttelte energisch den Kopf. "Wenn diese Experimente schon vor einem Jahr gelaufen wären, hätte ich sie früher oder später gespürt."

"Wie?"

Flöte lachte. "Wenn das so einfach zu erklären wäre... Aber vielleicht kann uns Thana weiterhelfen."

"Ich?" Thana schien überrascht zu sein. Wie sollte sie erklären...

"Ich möchte wissen, ob du etwas in diesem Dorf gespürt hast."

"Empathisch?" Flöte nickte, und Thana rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.

"Ich weiß nicht..."

"Du musst etwas empfunden haben, da bin ich mir sicher. Außerdem habe ich dich beobachtet. Ich habe den Eindruck gehabt, du streitest mit dir selbst. Beschreibe deine Eindrücke."

Thana nickte und begann stockend zu berichten, immer wieder von nachdenklichen Pausen unterbrochen.

"Schon bevor wir das Dorf betraten hatte ich ein ungutes Gefühl. Ich dachte, es wäre meine eigene Angst oder die der anderen, aber dann merkte ich, dass es nicht das war. Diese Angst konnte ich nämlich auch spüren- und sie war anders als das Gefühl. Je näher wir dem Dorf kamen desto stärker wurde es. Schmerz, Hilflosigkeit und vor allem Entsetzen, ein unglaubliches Grauen. Am stärksten war das Gefühl dort wo... wo die Schule war."

Die Gesichter von Flöte und Allen verzogen sich, und Hitomi fragte sich nicht zum ersten Mal, was mit den Kindern geschehen war. Noch schlimmer als die anderen Leichen...

Eigentlich wollte sie darüber nicht nachdenken, aber es war wie ein Zwang. Er bohrte in ihr, gaukelte ihr Schemen von grässlichen Gestalten vor...

"Bist du dir sicher, dass es dort am schlimmsten war, und nicht im Dorfzentrum?" fragte Flöte lauernd.

"Ja. ganz sicher. Das hat mich am meisten verwundert."

"Hat das eine Bedeutung?" meldete sich nun auch Milana zu Wort, die seit dem Abzug aus dem Dorf nicht mehr gesprochen hatte.

"Ich denke schon." antwortete Flöte. "Die Zustände der... Leichen haben sich leicht unterschieden. Je näher der Schule, desto schlimmer. Auch andere Anzeichen deuten darauf hin, dass die Ursache für ihren Tod in etwa kreisförmig war und an der Schule das Zentrum hatte- dort, wo die jüngsten waren, die meiste Lebensenergie."

"Die meiste Lebensenergie? Du meinst, jemand hat tatsächlich versucht..." keuchte Hitomi ungläubig.

"Habe ich das nicht gesagt?" fragte Flöte verwundert, seufzte dann jedoch traurig. "Ja, das glaube ich. Ich denke, jemand hat versucht einen Menschen wieder zu beleben. Ob die Fokussierung auf die Schule Ansicht war, weiß ich nicht. Wahrscheinlich passiert das automatisch- die Konzentration des Effektes da, wo am meisten Energie vorhanden ist, ähnlich wie bei Magneten die sich gegenseitig anziehen."

"Aber wer macht so etwas?" fragte Hitomi verzweifelt.

"Genau das werden wir herausfinden." rief Van wütend und schlug mit der Faust auf den Tisch. "Und dann werde ich diejenigen, die dafür verantwortlich sind zur Rechenschaft ziehen!"
 

"Wie können sie so fröhlich sein?" fragte Hitomi Van leise, der sie in seinen Armen hielt. Sie standen abseits der anderen, die vor dem Crusador ein großes Feuer entzündet hatten, dessen gelbe Flammen die umstehenden Bäume in ein düsteres, unheilvolles Licht tauchten. Vielleicht erschien es Hitomi aber auch nur unheilvoll. Hier, am Rand der Lichtung war von der Wärme des Feuers kaum noch etwas zu spüren. Die Luft war kühl und der Wind blies dann und wann kalt durch die beginnende Nacht. In der Ferne war eine Eule zu hören, die die Menschen wohl böse anheulte.

"Ich glaube, das hatten wir schon mal, oder?" fragte Van lächelnd. "Sie feiern, dass sie leben."

"Denken sie denn gar nicht an die Menschen, die gestorben sind?"

"Doch. Aber wenn man zuviel über den Tod nachdenkt, ruft man ihn herbei."

"Das ist doch Aberglaube."

"Mag sein." gab Van zu. Dann drehte er Hitomi zu sich um. "Hör zu, du darfst dir nicht immer so viele Sorgen machen. Das macht dich nur fertig. Diese Menschen sind tot, und du kannst nichts mehr daran ändern. Wenn du verhindern willst, dass noch mehr sterben, dann nützt es überhaupt nichts, wenn du dein Denken von den Toten bestimmen lässt. Denke an die Zukunft, nicht an die Vergangenheit. Lass die Toten ruhen, und sorge dich um die Lebenden."

Hitomi öffnete den Mund um etwas zu antworten, schloss ihn dann aber wieder. Sie sah in Vans Augen, in denen Entschlossenheit neben Trauer stand, Liebe neben dem unbeugsamen Willen, die Schuldigen zu bestrafen.

"Ich weiß nicht, ob ich das kann. Es klingt irgendwie grausam. Ich... ich will nicht noch einmal so etwas sehen müssen. Warum passiert so etwas?" Eine Träne schimmerte am Rande ihres Auges, und Van wischte sie behutsam ab.

"Das weiß ich nicht Hitomi. Diese Welt ist grausam, das weißt du. Ich bin traurig, dass ich dich hier mit rein gezogen habe..."

"Nein, Van." widersprach Hitomi ihm entschlossen. "Ich bin hier, weil ich das wollte. Es war meine Entscheidung. Hast du das schon vergessen?" Hitomi griff sich an den Hals und zog an der Kette ihres Pendels. Seit kurzer Zeit erst hing daran noch etwas anderes. Das Silber des Ringes erschien Hitomi dumpf in der Dunkelheit, als sie den Ring nun ansah.

"Ich habe diesen Ring angenommen. Du hast gefragt, ob ich für immer bei dir bleiben möchte. Ich habe gewusst, dass diese Welt gefährlicher ist als meine. Ich habe es als Teil meiner Entscheidung akzeptiert." Ihre Hand umklammerte den Ring. Hitomi blickte nun auf und sah Van direkt in die Augen. "Ich bin hier, hier bei dir, weil ich dich liebe, weil ich ohne dich nicht leben kann!"

"Ach Hitomi!" unendlich sanft und zärtlich fuhr Van ihr mit der Hand über die Wange. "Du weißt nicht, wie glücklich du mich machst, weil du bei mir bist. Aber es tut mir trotzdem leid. Ich kann nur hoffen, ich bin diese Schmerzen wert." Zögernd beugte er sich zu ihr herab, doch dann zog er Hitomi entschlossen an sich und unter seinem Kuss löste sich Hitomis Anspannung und ihre Tränen flossen hemmungslos.
 

Diener wichen schleunigst aus, als ihr König zusammen mit Hitomi, Thana und Flöte die Schlossgänge entlang ging. Ihre sorgenvollen Mienen sagten deutlich, dass es im Moment besonders ungünstig war, im Weg zu stehen. Die Asturianer waren nach Hause weitergeflogen, um dort alles in ihrer Macht stehende zu tun, um den Schuldigen für das schreckliche Schicksal des Dorfes zu finden. Sie hatten versprochen, so schnell wie möglich zurück zu sein, möglichst noch am nächsten Tag.

Wer sich nicht um die Rückkehrer kümmerte war natürlich Merle. Sie, Blinx und Asuna standen in einem der Gänge und unterhielten sich genauso lautstark wie intensiv. Van blieb stehen und mit ihm alle anderen. Unmerklich begann er zu lächeln. Das war Merle, wie er sie kannte. Sie ging einem oft auf die Nerven, aber ohne sie hätte er genau diese Nerven wohl längst verloren. Merle war in dieser Hinsicht sowohl Training als auch Entspannung. Dennoch gab es jetzt wichtigeres zu tun. Dieser Meinung war wohl auch Flöte, denn nachdem die Streitenden sie auch nach einer Minute noch nicht zu bemerken schienen, drängte sie sich zwischen Hitomi und Van durch, packte sowohl Merle als auch Blinx an ihren Ohren und beendete so die Diskussion sehr schnell und wirkungsvoll.

"Da ich bloß zwei Hände habe, und deine Ohren sowieso außerhalb meiner Reichweite sind, kommst du dieses Mal gnädig davon."

Asuna blinzelte verblüfft. Sie hatte ja schon eine Menge Behandlungen erlebt, aber dass ein kleines Mädchen so mit ihr sprach...

Doch dieses Mädchen kümmerte sich nicht weiter um sie, sondern zupfte an Blinx Ohr.

"Und da du hier neuerdings dafür zuständig bist, wirst du sofort einen Brief schreiben und an Eliandra schicken." Flöte setzte für Van erklärend hinzu "Ich denke nämlich, es ist am besten, die Sache mit dem Dorf ihr zu überlassen. Du kannst da nichts machen Van, aber ihr gelingt es vielleicht wenn ich mithelfe. Aber erst mal müssen wir herausfinden, wer dafür verantwortlich ist."

"Was zum Teufel ist denn los?" fragte Asuna. "Von welch einem Dorf redet ihr?"

"Wer will das wissen?" stellte Flöte die Gegenfrage. Thana antwortete ihr, bevor Asuna es selbst tun konnte.

"Das ist Asuna, sie ist so etwas wie die Regentin in Zaibach. Ist ein bisschen kompliziert und verwirrend. Sie machen da den Versuch, die Politik vom Volk mitbestimmen zu lassen. Nennt sich konstitutionelle Monarchie oder so."

Flöte schnaubte vernehmlich, und erstickte Merles Versuch sich frei zu kämpfen ohne sichtbare Anstrengung.

"Eliandra hat mir von dir erzählt. Vielleicht kannst du uns sogar helfen. Komm mit. Ich diktiere Blinx den Brief irgendwo, wo es ruhig ist, und dabei erfährst du auch was passiert ist. Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass die Sache geheim bleiben sollte."

Endlich ließ sie die beiden Katzenmenschen los, die sich erleichtert die schmerzenden Ohren hielten.

"Van, wir gehen in dein Zimmer." befahl sie und marschierte los.

"Nehmt es ihr nicht übel." meinte Thana leise. "Die Sache geht ihr nur mehr zu Herzen, als sie es zeigt. Sie muss auf ihre Art damit fertig werden."

"Dann hoffe ich nur, dass sie schnell damit fertig wird." maulte Merle.
 

»Das mit dem schnell fertig werden kann ich wohl vergessen.« dachte Merle sich, als Flöte mit dem Diktieren des Briefes und somit dem Bericht fertig war. Normalerweise hätte sie nie geglaubt, was Flöte erzählt hatte, wenn nicht das steinerne Gesicht von Van gewesen wäre, und das Verhalten von Hitomi, die sich eng an ihn schmiegte. Beides war Beweis dafür, dass sie wirklich das Grauen erlebt hatten, was das Mädchen soeben beschrieben hatte.

Flöte drehte sich um und musterte Asuna.

"Was ist mit dir. Weißt du etwas darüber?"

Asuna schüttelte stumm den Kopf. Auch sie war schwer erschüttert. Es war eine Sache, Menschen Auge in Auge zu töten, aber das... ein Dorf, wahllos, ohne Rücksicht...

So war sie auch mal gewesen, und das machte ihr am meisten Angst. Die Angst, dass ihr altes Wesen immer noch irgendwo in ihr steckte und wieder herausbrechen konnte.

"Nein, ich weiß nichts darüber, aber ich kenne einen Ort, an dem man vielleicht etwas darüber finden kann. Wenn überhaupt, dann dort."

"Was für einen Ort?" fragte Flöte gespannt und auch die anderen beugten sich interessiert vor.

"Ich habe ihn erst vor kurzem entdeckt. Ich hatte noch nicht genug Zeit, mich überall genau umzuschauen. Es ist eine Art Archiv über Geheimprojekte aus der Zeit vor dem Krieg. Versuche aller Art, darunter auch Aufzeichnungen über Glücksblut und Lebensverlängerungsmittel. Aus Angst vor dem, was dort versteckt sein könnte habe ich niemanden davon erzählt. Außer mir gibt es nur eine Person, die davon weiß."

"Ist diese Person vertrauenswürdig?"

"Das weiß ich nicht mit Sicherheit, Thana." Antwortete Asuna mit einem Schulterzucken. "Aber sie ist die vertrauenswürdigste, die ich in Zaibach kenne. Wenn ich dort jemanden vertrauen kann, dann ihr."
 

Hitomi saß in der Wanne und starrte an die Wand. Die schrecklichen Bilder gingen ihr nicht aus dem Kopf. Das war schon gestern so, aber heute...

Es heißt, der Verstand brauche eine Weile, um nach einem großen Schock alles zu verarbeiten. Vielleicht hatte war dieser Schock so groß gewesen, dass es einen ganzen Tag gebraucht hat. Männer, Frauen, Kinder, Opfer des Wahnsinns. Wieso nur mussten die Menschen immer nach mehr streben, als ihnen zustand, nach Dingen, die doch offensichtlich nicht möglich waren ohne schreckliche Folgen.

Lag es in der menschlichen Natur? War der Mensch schlecht, schlecht von der Geburt an und verstellte er sich nur? Und wenn ja, was war dann mit ihr?

"Nein!"

Hitomi riss sich zusammen und stieg entschlossen aus der Wanne. Das konnte nicht sein. Sie hatte viel schreckliches gesehen, aber auch viel Gutes. Es gab gute und schlechte Menschen, aber es war ihnen nicht bestimmt, so zu sein. Beides, das Gute wie auch das Böse waren Teil eines jeden. Es kam darauf an, was man tat.

In ein Badetuch gehüllt schaute Hitomi in den Spiegel. "Ich bin nicht böse!" schienen ihre Augen verängstigt zu schreien. "Und viele andere auch nicht."

Es sind nur ein paar Unbelehrbare, und die meisten folgten ihnen aus Angst oder Unwissenheit oder Täuschung. Oft denken sie auch etwas Gutes zu tun und verursachen doch etwas Böses. Folken zum Beispiel. Er wollte nur das Töten beendet, und daraus entstand genau, was er verhindern wollte. Oder Asuna. Sie ist nicht böse, nur weil sie Schlechtes getan hatte. Sie hatte bloß Hilfe gebraucht.

Aber wie war es mit denen, die etwas so Grausames tun konnten? Ein ganzes Dorf auslöschen nur aus der Sucht nach einem längeren Leben?

Hitomi erschrak. Sie hatte nie lange darüber nachgedacht, was Flöte damals gesagt hatte über das heilige Wasser, dass das Leben der Tihani verlängerte. Nun verstand sie es. Sie hatte auch vorher gedacht es zu verstehen, aber erst jetzt war ihr wirklich klar was Flöte gemeint hatte. Wenn dieses Geheimnis herauskam würden sich die Menschen tatsächlich gegenseitig ohne Rücksicht umbringen, um an das Wasser zu kommen.

"Verdammt!" Hitomi schlug mit den Fäusten gegen die Wand. Dabei stieß sie eines der Gläser mit farbigen Essenzen um. Es fiel zu Boden und zersprang laut klirrend.

Der scharfe Schmerz, der von ihrem Bein kam, brachte sie wieder zur Vernunft. Ein Splitter des Glases hatte sich dicht über ihrer Ferse in ihren Fuß gebohrt. Mit zusammen gebissenen Zähnen holte sie die kleine Scherbe heraus. Zum Glück war es nur ein kleiner Schnitt, er hörte sicher schon bald auf zu bluten.

"Alles in Ordnung, Hitomi? Ich habe etwas zerspringen gehört..."

Van drehte sich mit rotem Kopf um. Hitomi lächelte. Er war nur mit einer Hose bekleidet. Wenn er das Glas gehört hatte, musste er nebenan gewesen sein- in seinem Badezimmer.

"Du machst dir zu viele Sorgen, Van." sagte Hitomi, doch ihre Stimme zitterte. "Es ist nur ein Kratzer. Mit ist etwas heruntergefallen."

"Ein Kratzer? Wo?" Van drehte sich sorgenvoll zu ihr, sah dabei aber an ihr vorbei.

"Am Fuß."

"Zeig her." Hitomi setzte sich auf die Wanne und hielt ihm ihren Fuß hin. Van war sichtlich erleichtert, als sich die Wunde wirklich nur als unwichtig herausstellte.

"Das hätte gefährlich werden können. Ein bisschen größer, ein kleines Stück in eine andere Richtung und es hätte die Sehne zertrennen können."

Van blickte zu ihr auf. Die Sorge in seinen Augen rührte Hitomis Herz und plötzlich fing sie an zu weinen.

"Hitomi!" Van sprang erschrocken auf und nahm sie in die Arme. "Es kann doch nicht so weh tun?"

"Nein!" Hitomi schüttelte schniefend den Kopf. "Nein, das ist es nicht." Ihr Herz schlug schneller. Nein, nicht alle Menschen waren schlecht.

"Van? Bleib bei mir, ja? Lass mich nicht allein. Lass mich niemals allein."

"Niemals!" schwor ihr Van mit heiserer Stimme. "Ich lasse dich niemals allein Hitomi." beruhigend fuhr er ihr durchs nasse Haar, fühlte die Strähnen zwischen den Fingern und ihren Körper, der sich an ihn klammerte. "Ich liebe dich viel zu sehr, um dich allein zu lassen."

"Dann bleib bei mir. Lass mich nicht los. Halt mich die ganze Nacht in deinen Armen."
 

Der nächste Morgen brach an, strahlend hell und mit azurblauem Himmel. Es schien, als wollte die Natur alle schrecklichen Dinge vergessen machen. Doch leider konnte es niemand vergessen...

"Schwer, sehr schwer." antwortete Asuna auf Hitomis Frage. Sie waren nach dem Mittag hinaus in den Schlossgarten gegangen.

"Ich bin keine richtige Herrscherin. Ich möchte so viel tun, aber alles was ich machen will, wird vom Rat zerredet. Es geht vorwärts, ja, aber das ist mehr den einfachen Menschen zu verdanken, die sich nicht um die oft widersprüchlichen Anweisungen, die von der Regierung kommen, kümmern."

Gedankenverloren blieb Asuna stehen und betrachtete die Rosen. "Ich bin wie diese Rose." meinte sie leise. "Schön, aber voller Dornen. Meine Entschlossenheit ist meine Dorne nach außen, aber die meisten sind nach innen gerichtet, mein Wissen darum wer ich bin und was ich in der Vergangenheit getan habe..."

"Die Vergangenheit ist vorbei..."

"...und nun ist es Zeit nach vorne zu sehen? Das klingt hübsch Hitomi, aber sei mir nicht böse wenn ich sage, du hast nicht die geringste Vorstellung davon, wie ich mich fühle."

"Nein, wahrscheinlich nicht." gab Hitomi zögernd zu.

"Wie steht es überhaupt mit dir und Van?" fragte Asuna plötzlich mit einem Grinsen auf dem Gesicht.

"Was meinst du?"

"Was denkst du denn? Ihr seid jetzt immerhin verlobt, lebt in Zimmern direkt nebeneinander..."

"Asuna! Du bist ja schon so schlimm wie Thana!" wehrte sich Hitomi erschrocken und drehte ihr den Rücken zu, um nicht zu zeigen wie rot sie wurde.

"Soll das etwa heißen, außer Küssen ist noch nichts passiert? Hitomi, du musst dich besser um ihn kümmern!"

"Jetzt reicht es aber!" schrie Hitomi. "Das ist doch wohl meine Sache, was wir miteinander..." Hitomi schlug die Hand vor den Mund und starrte Asuna böse an. Die zwei Frauen ein Stück entfernt wendeten demonstrativ ihre Blicke ab. Ihr Gespräch nahmen sie allerdings noch nicht wieder auf.

"Schon gut, vergib mir." Bat Asuna leise um Verzeihung und zog Hitomi mit sich. "Aber wenn ihr beide so schüchtern seid... Komm mit."

"Mitkommen? Wohin?"

"Wirst du schon sehen. Es wird dir gefallen, glaub mir."
 

"Hier muss es irgendwo sein... ah, da!" Asuna hatte sie durch die halbe Stadt gezogen, am Marktplatz im Zentrum vorbei und in eine der kleineren Straßen. Hitomi hatte ihr schon entlocken können, dass sie auf der Suche nach einem Laden war, aber mehr nicht. Als das Ziel jetzt offensichtlich wurde stutzte Hitomi.

"Das ist ja nett gemeint, aber jetzt ist doch nicht die Zeit, sich Kleider zu kaufen." meinte Hitomi tadelnd.

"Ach was, wir sind Frauen. Dafür ist immer Zeit." antwortete Asuna schmunzelnd.

"Aber ich habe nicht mal Geld dabei, und du sicher auch nicht." Doch Asuna wischte den Einwand beiseite.

"Das ist egal. Ich habe hier Kredit. Außerdem- du bist die Verlobte des Königs. Sie werden dir ein Dutzend Kleider aufdrängen, wenn du nur versprichst sie bei offiziellen Anlässen zu tragen."

"Oh. Das kenne ich. Werbung."

Asuna erwiderte nichts, sondern stieß Hitomi vor sich in den Laden. Der Besitzer hinter dem Tresen schaute auf und sein Gesicht erstrahlte in Überraschung und Freude.

"Majestät, welch eine Ehre, wir hatten schon gehört..."

"Psst!" machte Asuna. "Nicht so laut. Ich bin froh, dass keiner weiß wer ich bin."

Der Mann nickte verständnisvoll. "Wir haben auch niemandem gesagt wo wir herkommen." Dann richtete sich sein Blick auf Hitomi. "Und was ist mit ihr? Wenn ich mich nicht irre, muss ich sie bald auch mit Majestät ansprechen." Deutlich konnte man es hinter seiner Stirn arbeiten sehen.

Asuna lachte. "Habe ich es dir nicht gesagt Hitomi? Und genau das ist der Grund, warum wir hier sind."

"Ah! Na dann..." Der Mann huschte an ihnen vorbei, schloss die Tür und drehte das Schild an der Tür, das bis eben noch geöffnet angezeigt hatte.

"In solch einem Fall kommt bitte nach hinten. Übrigens, mein Name ist Falin."

Falin hüpfte zu einer Tür neben dem Tresen und man konnte ihm aus dem Nachbarraum rufen hören.

"Was soll das Asuna?" Hitomi fühlte sich ziemlich unsicher als sie ihm folgte. "Was meintest du mit `genau deswegen sind wir hier´?"

"Wie du sicher schon gemerkt hast, ist Falin Schneider."

"Ich hätte es beinahe übersehen." antwortete Hitomi spitz. Der Raum den sie betraten war nicht ganz so voll wie der erste, dafür standen hier mehrere Schneiderpuppen der verschiedensten Größen. "Ich dachte erst, die ganzen Kleider hier gehören einem Theater."

Asuna blieb so plötzlich stehen als wäre sie gegen eine Mauer gerannt, dann lachte sie schallend los und konnte sich gar nicht wieder einkriegen.

Falin kam wieder zurück und mit ihm eine mollige Frau mit ausgeprägten Lachfalten im Gesicht.

"Was ist denn so lustig?" fragte sie neugierig.

"Dass Hitomi Falins Herkunft auf den ersten Blick erkannt hat." klärte Asuna sie auf und fügte für Hitomi hinzu "er war nämlich wirklich beim Theater für die Kostüme verantwortlich. Eines Tages kam eine neue Schneiderin mit dem schönen Namen Ani..."

"...und Ani hat sich sofort in ihn verliebt und ihn sich geschnappt." setzte die Frau lachend hinzu. "Und ich bin bis heute ganz glücklich mit meiner Wahl. Er gehorcht mir aufs Wort."

"Ehedrachen." erwiderte ihr Mann liebevoll während er dabei war, etwas Platz zu schaffen.

"Was wollt ihr?" fragte die Frau nun in einem etwas Geschäftigeren Ton.

"Ein Hochzeitskleid für die zukünftige Braut von Van." antwortete ihr Mann ihr und schnaufte vernehmlich. "Ich glaube, wir brauchen mehr Platz."

"Es würde reichen, wenn du öfters aufräumst." erwiderte Ani.

"Oder du." warf Falin den Ball zurück. "Wie dem auch sei, das ist dein Gebiet. Ich gehe mit unserer Freundin nach draußen."

Seine Frau nickte und zog die sprachlose Hitomi auf das Podest in der Mitte des Raumes.

"Na dann, wollen wir mal sehen, was?"

"Äh..." Hitomi stand einfach nur da und kam sich ziemlich verloren vor. Es war ja nicht so, dass sie nicht schon über ein Hochzeitskleid nachgedacht hätte... aber eigentlich sollte man selbst die Entscheidung treffen, eines zu kaufen, und nicht so überrumpelt werden.
 

Ani hatte Maß genommen und war danach für zwei, drei Minuten in einem Raum verschwunden, der wohl so etwas wie ein Lager war. Heraus gekommen war sie mit einigen weißen Kleidern auf ihren beiden Armen, die sie vorsichtig an die Wand gehängt hatte.

"Das sind natürlich nur unsere Vorführmodelle. Wir schneidern jedes nach dem individuellen Maß der Kundin und nach ihren Wünschen."

"Nach ihren Wünschen?" Hitomi starrte ehrfürchtig auf die Kleider. Sie konnte nicht genau benennen was es war, das Muster, die Rüschen... irgendetwas war an jedem Kleid anders als an allem anderen, keine zwei glichen sich auch nur ungefähr und alle waren Meisterwerke.

"Ja, manche Frauen haben Sonderwünsche für ihr Hochzeitskleid. Sie wollen ja makellos aussehen, und ich habe bis jetzt noch keine Frau erlebt, die sich für makellos hält. Was ist mit dir?"

Hitomi wurde rot. "Ich will nicht sagen, ich fände mich hässlich..."

"Aber...?" fragte Ani schmunzelnd. Hitomi grinste zurück und dann lachten beide.

"Keine Sorge." meinte Ani schließlich. "Den meisten Frauen ist nicht bewusst, dass ihre Männer keine perfekte Frau haben wollen. Das wäre ja langweilig. Sie wollen ihre Frau. Die, die sich von allen unterscheidet. Und ein König ist da sicher keine Ausnahme."

Unsicher lachend trat Hitomi zu einem von den Kleidern. "Ich glaube, das da gefällt mir am besten."

"Guter Geschmack." meinte Ani und zwinkerte ihr dann zu. "Ehrlich, das sage ich nicht nur so. Ich finde auch, das würde dir am besten stehen." Sie machte eine kurze Pause und musterte Hitomi überlegend.

"Warte mal einen Augenblick." Sie rannte hinaus ohne auf Hitomis Antwort zu warten. Diese konnte hören, wie sie sich mit Asuna unterhielt. Erst schien Asuna verwundert, dann beantwortete sie eine Frage sehr bestimmt. Ani kam wieder herein.

"Gut, ich glaube, ich zeige dir etwas spezielles, das einige dieser Modelle haben."

"Etwas spezielles?" Hitomi fand, dass diese Frau sich ziemlich rätselhaft benahm.

"Wirst schon sehen!" antwortete Ani belustigt. "Du wirst es schon sehen!"
 

Zwei Stunden später taumelte Hitomi aus dem Zimmer in den Verkaufsraum des Geschäftes. Ein Hochzeitskleid nach Maß zu schneidern war sicherlich eine anstrengende Sache- dafür Maß zu stehen aber auch.

Asuna und Falin saßen zusammen an einem kleinen Tisch und hatten jeder einen Becher in der Hand. Auf einem Öfchen stand ein kleiner Kessel aus dem zarter, rötlicher Dampf aufstieg. Die beiden schauten ins Leere und schienen sie erst gar nicht zu bemerken.

"Ich glaube, du hast doch Recht." meinte Asuna leise und blickte dann zu Hitomi. "Da bist du ja. Und? Hab ich dir zu viel versprochen?"

"Ich kann mich nicht erinnern, dass du mir überhaupt viel versprochen hast." antwortete Hitomi scherzhaft. Asuna lachte.

"Versprich nichts, was du nicht halten kannst." entgegnete sie, trank ihren Becher aus und stand auf. "Ich glaube, wir sollten dann so langsam gehen. Nicht, dass sich noch wer Sorgen macht, weil wir einfach nicht zurück kommen wollen. Außerdem müssen die Leute hier ja auch Geld verdienen."

"Nicht doch!" wehrte Falin ab. "Es war mir ein Vergnügen, mich mal wieder mit dir zu unterhalten. Und es ist eine Ehre, dass die zukünftige Königin von Fanelia ihr Hochzeitskleid von uns schneidern lässt. Davon abgesehen werden uns die Leute den Laden einrennen, wenn das bekannt wird."

Asuna lachte und umarmte den Mann und dann Ani. Hitomi verabschiedete sich zurückhaltender, aber nicht weniger herzlich und zusammen traten sie den Rückweg an.

"Woher kennst du die beiden überhaupt?" fragte Hitomi Asuna vor dem Laden.

"Oh, ganz einfach. Sie kommen aus Zaibach. Da sie allerdings für die alte Regierung gearbeitet haben, hat ihnen das Probleme bereitet. Falin hat nicht nur für das Theater gearbeitet, sondern auch für den Palast von Dornkirk. Jeder braucht Kleidung, auch Hexer oder wer auch immer. Im Grunde ist das kein Verbrechen, aber leider brauchen die Menschen Sündenböcke- etwas, das ich immer noch nicht richtig verstehe. Entweder man ist schuldig, so wie ich, oder nicht. Ich habe vieles verbrochen. Aber Falin ist es, der angeklagt wird. Die Welt ist ungerecht."

Hitomi erwiderte nichts darauf. Sie konnte Asuna im letzten Punkt nicht widersprechen, und dass sie sich schuldig fühlte war etwas, das Asuna mit sich selbst ausmachen musste. Sie war gezwungen worden und Hitomi war der Meinung, so wie sie sich einsetzte sollte man die Vergangenheit vergessen. Aber sie wusste auch, dass man sich oftmals viel schuldiger fühlte, als man war, sich auch für Dinge verantwortlich fühlte nur weil man sie nicht verhindern konnte...

"Jedenfalls" fuhr Asuna fort "habe ich mit ihm und einigen anderen eine Abmachung getroffen. Sie wurden des Landes verwiesen. Das war ihre einzige Strafe. Öffentlich wurde es natürlich etwas aufgebauscht. Aber inoffiziell habe ich ihnen allen genügend Zeit gegeben, und notfalls auch Geld, um sich woanders eine neue Existenz aufzubauen. Dafür berichten sie mir von den Ereignissen in den Städten in denen sie jetzt leben." Asuna schmunzelte. "Sie sind sozusagen mein Geheimdienst, denn offiziell darf Zaibach auch keine Botschaften in anderen Ländern haben. Wir sind immer noch ziemlich isoliert."

"Das muss sich ändern." rief Hitomi unbedacht.

"Und wie?"

"Äh..." Hitomi zuckte beschämt mit den Schultern. "Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Aber es kann doch nicht besser werden, wenn die Leute nicht miteinander reden."

"Da hast du schon Recht. Aber die meisten wollen nicht, dass die Beziehungen mit Zaibach besser werden."

Ein leichtes Grinsen stahl sich auf Hitomis Gesicht. "Nun, ich schon. Und immerhin bin ich bald die Königin von Fanelia, wie du immer wieder betonst. Da sollte sich doch was machen lassen!"

Asuna lachte. "Ja, man kann Van schlecht etwas ablehnen, was Zaibach betrifft. Und selbst wenn er nicht will, du kannst ihn sicher überreden." Sie zwinkerte Hitomi zu. "Da wir gerade beim überreden sind... Ani hat dir sicherlich ihre berüchtigten "Extras" gezeigt, oder?"

Röte färbte Hitomis Gesicht. "Lass das. Das ist kein Thema, worüber ich jetzt reden möchte."

"Zu viel Öffentlichkeit?" stichelte Asuna weiter. "Sollen wir im Schloss weiterreden? Bei einem Stück Kuchen und..."

"Sieh mal!" wurde sie von Hitomi unterbrochen. "Ist das nicht der Crusador da hinten?"

Asuna kniff die Augen zusammen und schaute in die Richtung, in die Hitomi zeigte. "Möglich." meinte sie schließlich zweifelnd. "Es könnte aber auch ein anderes Luftschiff sein."

"Nein, nein, das ist der Crusador, da bin ich sicher." widersprach Hitomi ihr und zog sie am Arm mit sich. "Komm schnell, dann sind wir noch vor ihrer Landung da."

Hitomi war froh, so dem peinlichen Thema aus dem Weg gegangen zu sein, aber die Ankunft der Asturianer stimmte sie trotzdem nicht fröhlich. Jetzt konnte sie nicht mehr vergessen, was passiert war. Auch das gehörte dazu zu herrschen dachte Hitomi, sich mehr Sorgen machen zu müssen als die normalen Menschen, die nur ihre alltäglichen Sorgen hatten. Für sie war ein auf gespenstische Weise vollkommen ausgelöschtes Dorf nichts weiter als eine schaurige Geschichte. Für Van und andere war es etwas, für das sie eine Lösung finden mussten. Falls es überhaupt eine gab.
 

Leider hatten Hitomis Freunde in Asturia auch kein Glück gehabt. Millerna und Dryden waren gleich da geblieben, doch Allen war umgehend wieder zurück gekehrt. Man beschloss, sofort noch aufzubrechen um Asunas Archiv so schnell wie möglich zu erreichen.



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