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Prolog zensiert

Prolog:
 

Semesterferien. Sommer. Sonne. Strand.

Vier S. Nein DIE vier S. Neben Alina trete ich aus dem kleinen Ferienhaus, das wir die nächsten beiden Wochen bewohnen werden. Direkt vor uns erstreckt sich der strahlend weiße Sandstrand und dahinter das tiefblaue Meer. Das Häuschen ist idyllisch gelegen, auch wenn hier sicherlich nicht der Punk abgeht wie anderswo. Denn das kleine Küstenstädtchen, das nur einen Kilometer entfernt liegt, wirkt ziemlich verschlafen. Mich stört das nicht. Schwimmen, Lesen, faul am Strand herumliegen und eventuell den ein oder anderen Ausflug ins Inland und das wird ein super Urlaub.

„Komm lass uns vor in den Ort laufen! Mal schauen, was es da so alles gibt!“ Ohne auf meine Antwort zu warten läuft Alina los. Ich hätte mich jetzt viel lieber in den Sand gesetzt und einfach nur aufs Meer geschaut. Aber wenn sie unbedingt meint. Ihr langes, pechschwarzes Haar wippt über ihren gertenschlanken Rücken und das hellblaue Top. Ich laufe ihr nach. Direkt an der Wassergrenze. Die Wellen schwappen über meine nackten Füße. Meine flachen Riemchensandalen habe ich in der Hand. Wir brauchen gerade mal zehn Minuten, dann haben wir die Ausläufer der Uferpromenade erreicht. Hier ist der Sandstrand viel breiter und es stehen Liegestühle mit Sonnenschirmen in Reih und Glied. Kleine Geschäfte schließen sich von der Stadtseite an die Promenade. Es werden Souvenirs, Schmuck, Bademoden und was weiß ich noch alles verkauft. Aber wie magisch angezogen werde ich von der kleinen Eisdiele, die etwas zurückgesetzt zwischen einer Pizzeria und einem Geschäft für Angelausrüstung liegt. Alina lacht leise und folgt mir kopfschüttelnd. Nach über fünf Jahren Freundschafft kennt sie mich einfach zu gut. Für mich bestelle ich eine Waffel mit Karamell- und Jogurteis und für meine beste Freundin eine Kugel Stracciatella im Becher. Ich kenne sie eben auch. Breit grinsend überreiche ich ihr meine Beute und wir setzen uns auf eine Bank von der aus man einen guten Blick über den Strand hat. Alinas Augen sind fast sofort auf das Volleyballfeld gerichtet. Hält sie etwa schon wieder Ausschau nach einem Kerl? Seit ihr letzter Freund sich von ihr getrennt hat sieht sie allem nach, was zwei Beine und einen Penis hat.

„Endlich mal zwei Frauen, die wissen wie man das Leben genießt!“ Verwirrt läse ich den Blick vom Wasser und sehe den jungen Mann an, der sich neben mich gesetzt hat. Hellbraunes Haar, strahlend blaue Augen, markantes Gesicht und ein durchtrainierter Körper soweit ich es erkennen kann. Alles in allem nicht schlecht. Allerdings hat der Kerl den Kopf schief gelegt und schaut hauptsächlich Alina an. Ist ja klar. Nicht dass ich unattraktiv bin… Aber Alina ist ein richtiger Männermagnet. Langes schwarzes Haar, dunkle Augen, zarte Gesichtszüge mit asiatischem Einschlag (Ihr Opa ist Japaner), zierliche Gestalt. Ich dagegen bin einen guten Kopf größer als sie, habe rotblonde Haare, Sommersprossen und die Farbe meiner Augen erinnert an Whisky. Ich bin schlank, aber keinesfalls zierlich. Wenn Alina und ich zusammen ausgehen ist zu neunundneunzig Komma neun Prozent sie es, die von Männern belagert wird.

„Ein Eis kaufen kann jeder!“ gibt Alina schulterzuckend von sich.

„Nur tun es leider die wenigsten!“ Der Mann seufzt und lehnt sich zurück.

„Dieser ganzer Magerwahn geht mir auf die Nerven“ Da muss ich ihm zustimmen. Es kann ganz schön nervig sein, wenn alle um einen herum nur übers Abnehmen diskutieren.

„Und wenn wir auch eine dieser modernen Diäten machen?“ fragt Alina keck.

„Und das unser Gönnmoment des Monats ist?“ mache ich sofort weiter.

„Dann erschießt mich auf der Stelle!“ Er tut, als würde er sterben. Wir lachen und ich widme mich wieder meinem Eis, während Alina ihn erlöst.

„Nein, mal ehrlich, dafür essen wir viel zu gerne!“ Sie grinst.

„Gott sei Dank. Das ewige Kalorienzählen, Diät halten, wiegen… geht mich nämlich gehörig auf den Senkel. Es reicht, dass ich mit so jemandem meinen Urlaub verbringe.“ Er wirkt unglücklich.

„Sag jetzt nicht, du bist mit deiner Freundin hier?!“ Alina ist in solchen Situationen knallhart. Mich interessiert die Antwort genauso.

„Nein, mit meinem Bruder!“ Oh ich weiß, dass Kerle sowas auch machen, aber bis jetzt habe ich nur darüber gelesen.

„Er will abnehmen?“ fragt Alina mit mäßigem Interesse, während ich aufmerksam zuhöre. Magersucht soll ja auch unter Männern verbreitet sein, ob…

„Nein, zunehmen. Das Abnehmen geht bei ihm weil zu schnell. Jetzt hat… war er auch noch lange krank, dementsprechend hat er einiges aufzuholen. Aber genug davon… Habt ihr Lust etwas zu unternehmen?“ Was der Bruder dieses Mannes wohl hat? Ich schüttle kurz den Kopf. Ich bin viel zu neugierig! Das geht mich doch überhaupt nichts an!

„Vielleicht verrätst du uns erst mal deinen Namen?!“ Alina ist von seinem Angebot nicht abgeneigt und auch ich finde ihn ganz sympathisch.

„Daniel Wegner. Aber ihr könnt Danny sagen!“ Er lächelt.

„Ich bin Alina und das ist meine beste Freundin Mila.“ Wir geben ihm die Hand und dann zeigt Danny uns das Städtchen. So verbringen wir einen lustigen Nachmittag mit unserer neuen Bekanntschaft.
 

Wir verbringen auch die folgenden Tage viel Zeit mit Danny, was mich vermuten lässt, dass sein Bruder ein ziemlicher Langweiler sein muss, wenn die beiden nie etwas zusammen unternehmen. Gegen Ende unserer ersten Urlaubswoche fragt Danny, ob wir ihn zu einer Poolparty begleiten wollen. Natürlich sagen wir sofort zu. Und so kommt es, dass wir Samstagabend in Dannys Auto sitzen und unterwegs zu dieser Party sind. Oder eher zu einer Villa, wie wir sehen als Danny den Wagen parkt.

„Cool! Steigt hier die Party?“ Alina lehnt sich zwischen den Sitzen nach vorne und sieht bewundernd durch die Frontscheibe.

„Ne, das ist das Strandhaus meines Bruders. Wir schnappen uns nur schnell Raphael und dann geht es weiter zur Party!“ Danny lotst und zur Haustüre und schließt auf. Strandhaus? Das ist eine verdammte zweistöckige Villa! Sein Bruder muss ziemlich viel Kohle haben.

„Herein, herein die Damen. Mal sehen wo wir den Hausdrachen finden!“ Auch wenn Danny ein Lächeln aufgesetzt hat sehe ich etwas anderes in seinem Gesicht. Etwas, das ich nicht beschreiben kann. Er führt uns vom Flur aus durch eine modern eingerichtete Hightechküche in ein gemütliches Wohnzimmer. Es hat eine Glasfront und eine wunderbare Aussicht aufs Meer. Auf dem breiten Sofa sitzt ein Mann mit einem Laptop auf dem Schoß. Sein blondes Haar ist kurz, sein Gesicht wirkt ausgemergelt.

„Hey Raphael…“ Der Mann sieht auf. Helle, weißblaue Augen fixieren uns.

„War ja klar, dass du noch ein paar Weiber anschleppst!“ Seine tiefe Stimme schickt mir eine Gänsehaut über den Tücken. Dann lenkt er seinen Blick wieder auf den Laptop.

„Dann brauchst du mich ja nicht für deine Party!“ Kühl, emotionslos. Danny sieht uns kurz entschuldigend an.

„Raph, du hast versprochen mitzukommen!“ Der Blonde zuckt mit den Schultern.

„Mit dir ja. Aber nicht mit Karottenkopf und diesem Asienverschnitt.“ Mir klappt die Kinnlade herunter. Meint er etwa mich mit Karottenkopf? Das ist ja wohl die Höhe! Nur wegen der Farbe meiner Haare, für dich ich nicht mal etwa kann. Das ist schließlich genetisch festgelegt. Wütend starre ich ihn an. Sag mal wie alt ist der? Fünf? Sowas unhöfliches! Immerhin scheint Danny mir da zuzustimmen.

„Du schiebst jetzt deinen arroganten Arsch auf diese Party und bist gefällig nett zu Alina und Mila!“ Wütend funkelt er seinen Bruder an und nimmt ihm den Laptop ab. Der verdreht die Augen und steht in einer einzigen fließenden Bewegung auf. Ich mustere ihn. er ist schlank, eigentlich schon ziemlich dünn. Er kann definitiv ein paar Kilos mehr auf den Rippen vertragen. Ich schätze ihn auf etwa eins neunzig mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Er trägt einfache schwarze Shorts und ein weißes T-Shirt mit irgendeinem Bandlogo.

„Ja, ja, wenn’s unbedingt ein muss!“ Er schnappt sich Handy und Geldbörse vom gläsernen Couchtisch und verstaut sie in seinen Hosentaschen.

Wir verlassen das Haus über eine Glastür im Wohnzimmer. Danny erklärt, dass die Party ein paar Häuser weiter stattfindet und wir dahin laufen werden. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und gehe am Wassersaum entlang. Nach ein paar hundert Metern fällt mir auf, dass Dannys Bruder ein ganzes Stück zurück gefallen ist. Ich bleibe stehen um auf ihn zu warten. Er läuft an mir vorbei ohne den Kopf zu heben.

„Du heißt Raphael, oder?“ Ich hänge mich an ihn ran. Keine Reaktion.

„Ich bin Mila. Wir haben Danny Anfang der Woche kennen gelernt…“ Noch immer nichts. Das ist deprimierend. Vor allem, da er eigentlich voll mein Typ ist. Groß, markante Züge, breite Schultern. Okay es könnte etwas mehr an ihm dran sein. Aber seine Arme und Beine wirken nicht ganz so mager wie sein Gesicht. Danny hat irgendwann was davon gesagt, sein Bruder wäre lange krank gewesen. Wenn er sich also erholt und ein paar Kilo zunimmt… wäre er zumindest körperlich mein Traumtyp, dann reden will er ja scheinbar mit mir.

„Gefällt es dir hier?“ frage ich also um ihn doch irgendwie zu einer Antwort zu verleiten.

„Nein, warum habe ich hier wohl ein Haus?!“ Knapp, genervt. Aber logisch, wenn auch ironisch. Dann frag ich eben anders. So schnell gebe ich nicht auf.

„Warum hast du genau hier ein Haus gekauft?“ Ich breite die Arme aus und zeige an dem menschenleeren Strand entlang. Außer einigen Strandvillen in großen Abständen gibt es hier nichts.

„Die Ruhe vor nervenden Gören, die einfach nicht kapieren, dass ich keinen Bock auf sie habe!“ Meint er damit mich?! Unhöflicher Arsch.

„Wenn du dich nicht mit mir unterhalten möchtest, kannst du das auch freundlicher ausdrücken!“ Ich kann meine Wut nur mäßig unterdrücken. Raphaels helle Augen durchbohren mich.

„Verpiss dich. Du nervst!“ Damit beschleunigt er seine Schritte und lässt mich sprachlos zurück.
 

Die Party findet in einer Villa ähnlich der Raphaels statt. Als wir ankommen sind schon eine Menge Leute da. Danny führt uns durch das Haus und stellt den Gastgeber vor. Ein braungebrannter Kerl Ende zwanzig mit schwarzem Haar. Seinen Namen habe ich schon in dem Moment wieder vergessen in dem er ihn nennt. In Gedanken bin ich immer noch bei Raphael und unserem Gespräch. Falls man das so nennen kann. Das war total unhöflich, gemein und einfach nur fies von ihm gewesen. Raphael ist nur ein arroganter Arsch! Und deswegen werde ich ihn jetzt vergessen und auf der Party einen netten Mann kennenlernen. Und dazu brauche ich auch nicht mehr lange. Er heißt Tom… Tobi… Ach egal, irgendwie mit T halt und er ist wirklich zuvorkommend. Tanzt mit mir, unterhält sich freundlich (FREUNDLICH!!!!) mit mir und schenkt mir den ganzen Abend nach. Ich glaube er will mich betrunken machen?! Und ich muss zugeben er hat damit Erfolg. Ich fühle mich schon ziemlich beschwipst. Vielleicht sollte ich mal an die frische Luft gehen. Ich finde das ist eine gute Idee. Ich entschuldige mich schnell bei meinem Gesprächspartner und suche mir einen Weg nach draußen. Vielleicht sehe ich ja auch Danny und Alina wieder. Sie sind seit unserer Ankunft wie vom Erdboden verschluckt. Ich trete durch eine Glastür ins Freie. Inzwischen ist es schon dunkel. Die Stufen zum Strand hauts mich beinahe runter.

„Whoops!“ Vielleicht bin ich doch mehr als nur beschwipst. Wie viel habe ich eigentlich getrunken? Wenn man es genau nimmt ist das alles Raphaels Schuld! Erst war er so fies und dann hat er mich auch noch einfach stehen lassen! Wütend stapfe ich den Strand entlang. Wenn ich Glück habe ist jetzt wenigstens der Fels frei von dem Tim…Nein, Timo…Timothy, ja genau so heißt er, gesagt hat er habe so eine tolle Aussicht aufs Meer. Da war vorhin so viel los und jetzt ist es ja schon dunkel. Und die meisten Partygäste noch drinnen an dem beleuchteten Pool gewandert. Beschwingt laufe ich weiter bis der Stein vor mir aufragt. Und habe Pech. Da oben sitzt schon jemand.

„Hey, du da…“ Ich schwanke bei dem Versuch mehr als nur einen Schemen zu erkennen.

„…hast du etwas dagegen, wenn ich auch rauf komme?“ Es ist doch bestimmt Platz da oben für zwei.

„Ja!“ Kommt es postwendend zurück. Raphael! der arrogante Arsch! Muss er mir denn den ganzen Abend verderben? In einem Anflug von kindischer Wut stampfe ich mit dem Fuß auf, dass der Sand in alle Himmelsrichtungen fliegt. Und dann klettere ich einfach den Fels hoch. Ist mir doch egal ob er mich da oben haben will. verdammt ist das hoch! Gute vier Meter. Warum muss mir eigentlich immer erst auf halber Strecke einfallen, dass ich Höhenangst habe? Ich kann ja immer noch umdrehen! Und Raphael damit einen Gefallen tun? Nein! Niemals! Ein paar Minuten später habe ich es geschafft. Ich bin oben. Mit einem leisen Seufzer lasse ich mich vorne an der Kante neben Raphael fallen.

„So da bin ich!“ Er zuckt gar nicht. Ich betrachte ihn von der Seite. Er hat ein Bein angezogen und die Arme darauf gestützt, während das andere über die Kante baumelt.

„Warum hast du gefragt, wenn du doch hoch kommst?“ fragt er und seinem Ton ist anzuhören, dass er genervt ist. Bin ich wirklich so schlimm?

„Wollte höflich sein!“ nuschle ich und richte meinen Blick hinaus aufs Meer. Es glänzt im Licht des Vollmondes und tausende Sterne leuchten am Firmament.

„Hier ist es wunderschön!“ lasse ich verlauten und schlenkere mit meinen Füßen über der Kante.

„Wenn du schon unbedingt hier sein musst, kannst du dann wenigstens die Klappe halten?“ Schmollend presse ich die Lippen zusammen und lasse zur Strafe meinen Kopf an Raphaels Schulter fallen. Er zuckt kurz zusammen, stößt mich aber nicht weg. Wir sitzen einfach nur still nebeneinander, sehen hinaus aufs Meer. Dann legt Raphael mir einen Arm um die Schultern. Überrascht sehe ich zu ihm auf. Es ist so richtig angenehm. Es ist immer noch warm und so an die starke Schulter eines attraktiven Mannes gelehnt, könnte ich noch ewig so hier sitzen. Pfui! Ich muss aufhören solche Sachen zu denken. Das da neben mir ist immerhin Raphael, der noch ein nettes Wort zu mir gesagt hat. Aber was solls. Heißt es nicht immer, genieße den Moment? Unser ruhiges Beisammen sein wird plötzlich von einem leisen Klingeln unterbrochen. Raphael zieht sein Handy aus der Hosentasche und hebt ab ohne mich loszulassen.

„Danny, was gibt’s?“ Dann ist es für einen Moment wieder still.

„Ja, Karottenkopf sitzt neben mir! Ich bringe sie mit, okay?! Bis dann!“ Und schon legt er wieder auf. Schon wieder Karottenkopf! Kann er sich meinen Namen nicht merken oder was?

„Danny und deine Freundin sind auf dem Rückweg zu mir. Du sollst mal auf dein Handy schauen!“ Ich wühle in meiner Umhängetasche bis ich das kleine Teil zu fassen bekomme. Zehn verpasste Anrufe. Alle von Alina. Mein Handy ist auf lautlos. Ups. Ich zucke mit den Schultern und packe es wieder weg.

„Naja, jetzt weiß sie ja wo ich bin.“ Ich will es mir wieder an Raphaels Schulter gemütlich machen, da zieht er seinen Arm zurück und steht auf.

„Wir sollten auch langsam gehen!“ Enttäuscht macht sich in mir breit. Warum ausgerechnet jetzt wo es so schön ist? Seufzend folge ich Raphael zur Strandseite und schaue hinunter.

„Fuck ist das hoch!“ Wie zum Teufel bin ich da vorhin hoch gekommen? Ohne runter zu sehen wahrscheinlich. Meine Beine zittern. Und wie komme ich da jetzt wieder herunter? Ohne alle Knochen zu brechen?

„Das war es auch schon als du hoch geklettert bist!“ erwidert Raphael knallhart. Aber er hat ja recht. Das hätte mir vorher bewusst sein müssen.

„Bestimmt. Aber da hat der Alkohol und meine Wut die Höhenangst besiegt.“ Erkläre ich schnippig und schiebe gleichzeitig den Träger meiner Tasche höher.

„Heißt das, wenn ich dich wütend mache ist die Wahrscheinlichkeit, dass du hier heil runter kommst höher?“ Raphael sieht mich doch tatsächlich etwas besorgt an. Ich schnaube leise.

„Moralische Unterstützung tut es auch!“ Kurz zögert er, dann streckt er eine Hand aus.

„Gib mir deine Tasche! Ich klettere vor und bin genau unter dir!“ Ich tue was er sagt und sehe dann wie er über die Kante verschwindet. Keine zwei Minuten später höre ich ihn unten im Sand aufkommen.

„Hey, Karottenkopf, jetzt bist du dran!“ Ich beuge mich über die Kante, kann mich gar nicht richtig über die Bezeichnung aufregen.

„Ich dachte du wolltest mich moralisch unterstützen?!“ Raphael sieht zu mir auf.

„Tue ich doch! Immerhin stehe ich noch hier! Und jetzt schwing deinen Hintern über die Kante. Direkt unter dir ist ein Vorsprung!“ Ich habe nicht Wirklich eine Wahl, sonst sitze ich morgen noch hier oben. Und Hilfe rufen ist auch nicht drinne. Raphael hat meine Tasche. Vorsichtig lasse ich mich über die Kante gleiten bis mein Füße wieder einen festen Stand haben.

„Rechts ist eine Rinne…“ Raphael leitet mich jeden Schritt und die letzten eineinhalb Meter hebt er mich sogar runter. Mit noch immer wackeligen Knien stehe ich im Sand.

„Danke!“ Er geht gar nicht darauf ein, sondern schläft den Weg zu seiner Villa ein. ich dagegen Laufe ein paar Schritte ins seichte Wasser. Es ist eine viel zu schöne Nacht um jetzt schon heim zu gehen. Die Wellen schlagen noch immer angenehm warm um meine Knöchel. Da kommt mir so eine Idee. Wir könnten doch…

„Raphael rufe ich, doch er geht stur weiter. Ich verdrehe die Augen und renne los bis ich ihn eingeholt habe. Etwas atemlos und mit wirrem Haar bleibe ich vor ihm stehen, fasse ihn an der Hand.

„Lass uns schwimmen gehen!“ Er hält inne, die Augenbrauen skeptisch zusammengezogen. Im Mondlicht wirkt sein Gesicht viel zu ernst. Wie alt ist er eigentlich? Fünfundzwanzig? Dreißig? Das ist verdammt schwer einzuschätzen. Ich ziehe mir mein Strandkleid über den Kopf und lasse es einfach in den Sand fallen. Raphael steht unschlüssig da. Ich nehme ihm meine Tasche aus der Hand und stelle sie zur Seite. Er greift nach dem Saum seines T-Shirts. Zögert.

„Hör auf dich zu genieren und komm endlich!“ Da zieht er es aus und holt seine Wertsachen aus den Hosentaschen. Mann, ist der dünn! Das ist schon lange über schlank hinaus. Selbst im Mondlicht kann ich seine Rippen zählen. Und ich sehe die Narben. Verblasste silbrige Linien und eine neue. Kaum ein paar Wochen alt. Eine wulstige rote Narbe von seinem Brustbein bis zum Unterbauch. Eine OP-Narbe. Er verschränkt die Arme vor dem Bauch und senkt unsicher den Blick. Ich strecke ihm einfach stumm meine Hand hin. Nach einem kurzen Moment legt er seine hinein. Ich ziehe Raphael hinter mir her ins Wasser, verpasse ihm schließlich einen leichten Stoß, der ihn aus dem Gleichgewicht bringt und ihn untertauchen lässt. Ich lache, doch schon kommt seine Revanche. Eine ganze Ladung Wasser trifft mich. Prustend halte ich nach meinem Angreifer Ausschau. Kaum habe ich ihn entdeckt, stürze ich mich auf ihn. er taucht mich unter… Ich spritze ihn nass…

Irgendwann werden wir ruhiger. Ich habe beide Arme um Raphaels Nacken geschlungen. Unsere Gesichter sind sich ganz nah. Seine hellen Augen halten mich gefangen. Mein Herz schlägt schneller. Langsam kommt er näher, ich recke mich ihm entgegen. Unsere Lippen berühren sich. Erst federleicht, dann immer ungestümer. Mein Puls schießt in die Höhe. Seine Zunge stupst gegen meine Lippen. Mir wird ganz warm. Ich lasse ihn ein. Milliarden Schmetterlinge flattern in meinem Bauch. Raphaels Hände fahren federleicht meine Wirbelsäule entlang nach unten...
 

Etwas später…

Mit ineinander verschränkten Fingern waten wir aus dem Wasser und lassen uns erschöpft in den Sand fallen. Er schlingt einen Arm um meine Schultern und ich lege den Kopf auf seiner Brust ab.

„Mila, schau mal nach oben!“ Im nächsten Moment werde ich geblendet und muss erst mal die Augen schließen. Dann sehe ich, dass Raphael sein Handy in der Hand und scheinbar ein Foto gemacht hat.

„Hättest du dir dafür nicht einen anderen Zeitpunkt aussuchen können?“ frage ich.

„Nein, dieser ist perfekt!“ Sicher doch! Ich bin klatschnass, meine Haare sehen sicher aus, wie ein Wischmopp und meine Wimperntusche ist total verlaufen. Raphael lässt die Hand mit seinem Handy sinken.

„Wir sollten langsam wirklich zurück!“ Er richtet sich auf und zieht mich unweigerlich mit. Ich sammle meine Sachen auf und greife dann nach Raphaels Hand. Seine schlanken Finger schließen sich um meine. Gemeinsam machen wir uns auf den Rückweg.

Raphael schließt die Tür zu seiner Villa auf und bedeutet mir leise zu sein. Er führt mich durch das dunkle Haus und eine Treppe nach oben. Ander ersten Tür bleibt er kurz stehen und lauscht. Ich halte den Atem an, höre Alinas leises Lachen und Dannys tiefe Stimme. Da hatten wohl nicht nur wir unseren Spaß. Wir gehen zur nächsten Tür. Scheinbar Raphaels Schlafzimmer. Zumindest steht ein großes Bett in der Mitte des Zimmers. Ich nehme Anlauf und… Raphael hält mich davon ab noch immer klatschnass in die Kissen zu springen. Stattdessen geht er ziemlich zielstrebig auf einen Schrank zu und wirft mir ein Handtuch und ein T-Shirt zu. Er selbst streift sich trockene Shorts über. Ich ziehe mich um und lasse mich dann erschöpft neben ihm aufs Bett fallen. Er deckt uns zu und schlingt einen Arm um mich. Zieht mich näher zu sich ran. Wohlig schlafe ich ein.
 

Als ich aufwache steht die Sonne schon ziemlich hoch und scheint mir ins Gesicht. Von Raphael ist weit und breit nichts zu sehen. ich reibe mir die Augen und drehe den Kopf. Das Bett neben mir ist leer, die zerwühlten Laken bereits kalt. Aug dem Kissen, das Raphael zum schlafen benutzt hat liegt ein Briefumschlag. In akkurat geschwungener Handschrift steht mein Name darauf. Er ist nicht zugeklebt. Ich öffne ihn und ziehe ein Toto heraus. Das, das Raphael letzte Nacht gemacht hat. Ich sehe verträumt in die Kamera, eng an ihn geschmiegt. Er hat den Blick etwas gesenkt, so als sehe er nur mich an und lächelt. Sanft, zufrieden. Ich drehe das Bild um. Da stehen drei Zeilen:

»Danke für die schöne Nacht«

»Belassen wir es dabei«

»Raphael«



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