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Tiefrote Herbsttänze

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Tiefrote Herbsttänze

Ein kühler Windstoß pfiff durch die Höhle, verleitete das kleine Feuer der Öllampe, welches nicht viel mehr vermochte, als wild zuckende Schwärze an die unebenen, schartigen Wände zu werfen, zu noch heftigerem Flackern. Stundenlang lag er hier, tat nichts, denn die Flammen anzustarren, ließ sich hypnotisieren von den wirren Tänzen, welche die Dunkelheit um ihn herum aufführte. Undurchschaubare Muster, zügellos und wirr schwammen sie dahin. Nie klar oder vollständig, nie verständlich. Nie wirklich. So boten sie meist nur einen stetig bewegten Hintergrund für all die Erinnerungen, die sich vor seinem inneren Auge abspielten. Wenn er sich hinwegträumte in seine Vergangenheit oder fort in eine Zukunft, die es niemals geben konnte. Weit fort, nur hinaus aus dieser Höhle, die er wohl nie wieder verlassen würde.

Wieder einmal wandte er den Blick ab von den flackernden Schatten und suchte mit den Augen den Eingang zu seiner Schlafstatt und seinem Gefängnis. Gedämpftes, halb ergrautes Licht fiel von dort aus in die Höhle. Wolken mussten den Himmel verhängen, doch von seiner Position aus konnte er sie nicht sehen, konnte niemals weiter sehen als bis zu dem kleinen Ahornbaum, welcher den Rest seiner Aussicht tilgte. Nun, da die Wolken schwerer und die Winde frischer wurden, strahlten dessen Blätter in einem satten Rot, segelten im Herbstwind umher und fanden Pirouetten drehend ihren Weg zu dessen Wurzeln. Von Winden geschaukelt tanzten sie durch die Luft, vor dem ewig bewegungslosen Stamm entlang, bis sie letztlich die steinige Erde erreichten. Man könnte meinen, sie wollten den starren Baum und ihn mit ihrer Wendigkeit vorführen und verlachen. Um den Ahorn war der Untergrund bereits tiefrot eingefärbt durch das viele Laub, welches dieser bereits verloren hatte - ein kräftiges, klares Rot, wie er selbst es früher in all den Dörfern zurückgelassen hatte. Eine rote Spur des Blutes und des Feuers. Es gab auf dieser Welt keine schönere Farbe, keinen erfüllenderen Anblick, als dieses klare Leuchten, dieses Kunstwerk aus Licht und Tod. Er hatte es gern getan, oh ja... Sein Schwert mit frischem Schmerz benetzt, die Hütten verbrannt, die Schätze, die Frauen und den Wein genommen. Manche behaupteten, sie täten es des Geldes wegen, raubten andere aus, weil sie selbst nichts hatten - doch seiner Meinung nach war dies nur eine nebensächliche Nichtigkeit. Würde er sich denn sonst so nach diesen Zeiten zurücksehnen? Geld konnte man auch anders beschaffen. Wen interessierte schon die Beute, wenn man dieses schmerzverzerrte, strahlende Rot haben konnte? Er wollte Blut, Schreie und Feuer. Das erfüllende Gefühl, das ihn durchlief, wenn wieder ein Raubzug erfolgreich verlief und die Bauern vor ihm zitterten und um ihre geschändeten Töchter weinten. Dies war das wahre Leben gewesen, wahre Freiheit.

Die Ahnung eines Lächelns legte sich auf sein zerstörtes Gesicht. So entstellt es auch war, verbarg es jedoch kaum, wie grausam und verdorben dieser Ausdruck anmaßte. Nur gab es dieser Tage keine angsterfüllten Dorfbewohner oder brennenden Häuser mehr für ihn – das Einzige, was er noch zu Gesicht bekam, war der sanfte Blick der Miko, die ihn jeden Tag versorgte. Seine Kikyo. Denn wie üblich wartete er auch in diesem Moment im Grunde nur darauf, dass sie zu ihm kam, wartete darauf, die rote und weiße Seide ihres Kimonos hinter dem Ahornbaum aufblitzen zu sehen. Auch sie würde tanzen. Nicht wild wie das Feuer. Nicht orientierungslos wie das gefallene Laub in dieser kühlen Herbstbrise. Nein, nicht seine Kikyo. Elegant, aufreizend wie eh und je würde sie unter das blutverschmierte Blätterdach treten, während ihr Kimono, ergriffen vom frischen Wind, ihre schlanken Beine umschmeicheln würde. Ihr Haar würde sich diesem hinreißenden Tanz anschließen, ihre stets sanften Züge umspielen und ihrem tadellosen Antlitz diesen Hauch von Unvollkommenheit verleihen, der sie noch reizender erscheinen ließ. Ein schmales Schmunzeln verzerrte erneut seine verbrannten Lippen. Auch trotz Kikyos perfekter Erscheinung blitzte manchmal ein Schimmer von Makelhaftigkeit auf, immer nur für einen winzigen Augenblick, kaum fassbar. Wie sehr wünschte er sich, sie würde diese kleinen Abgründe ihrer selbst offen zeigen, nur ein einziges Mal. Nur einmal wollte er diese beherrschte Fassade fallen sehen, Gier in ihrem Blick finden oder Lust. Sein Lächeln wurde eine Spur dreckiger. So ein kleiner Ausfall würde seiner hübschen Miko wirklich vorzüglich stehen.

Er würde es ihr beibringen... Er würde sie Kikyo zeigen, seine Freiheit. Er würde sie mit sich nehmen, ihr die schönsten Kunstwerke zeichnen aus Klagen und Flammen, bis dieses liebliche Rot auch auf ihre Reinheit abfärben würde. „Du gehörst mir, Kikyo...“ Seine verrußte Stimme, nicht mehr als ein Krächzen, schabte schwach über die kalten Steinwände, bevor sie in sich zusammenfiel - doch daran störte er sich im Moment nicht, war er doch viel zu tief in seinen Gedanken versunken. Irgendwann... Irgendwann würde er seine Miko mit sich nehmen und diesen stillen Ort verlassen, der ihn festhielt. Irgendwann würde er wieder durch die Dörfer ziehen, die verängstigten Bewohner rennen und schreien sehen, kopflose Tänze aufführend in der Hoffnung, seiner Klinge zu entgehen. Irgendwann würde er sein geliebtes Rot wiedersehen, das wahre Rot. Diesen einzigen, euphorischen Ton, den er fast noch mehr liebte als seine Kikyo.

Eine weitere kühle Windbö fegte durch die in zuckendes Zwielicht getauchte Höhle. Verzweifelt wand sich die kleine Flamme, wehrte sich mit aller Kraft dagegen zu erlöschen. Ein kleines, abgestorbenes Blatt des Ahornbaumes wirbelte mit hinein, ein winziger Fleck des Rotes, welches ihn so sehr an sein vergangenes Glück erinnerte. Kaum eine Handbreit neben seinen Fingerspitzen blieb es, sich ein letztes Mal im Windhauch wiegend, liegen, ein winziger, blutiger Spritzer in der Trostlosigkeit des eintönig grauen Steins. Aus dem Augenwinkel konnte er gerade noch eine der gezackten, feurigen Ecken erkennen. So greifbar nah und doch – ganz gleich, wie sehr er sich auch anstrengen würde – für ihn unerreichbar weit entfernt.

Mit einem rauen Ton, der in jeder anderen Kehle wohl ein Seufzen dargestellt hätte, schloss Onigumo die Augen wieder. Irgendwann, Kikyo, irgendwann würde auch er wieder tanzen, mit seiner Klinge, umgeben von seinem Rot, an der Seite seiner Miko... Irgendwann...



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Kerstin-san
2018-01-20T15:04:32+00:00 20.01.2018 16:04
Hallo,
 
Onigumos Gedankenwelt zieht einen unweigerlich in seinen Bann. Am Anfang hat man das Gefühl, dass er seine erzwungene Unbeweglichkeit als sehr belastend empfindet, während zum Ende hin ganz klar der Tatendrang in ihm aufkommt und einen da schon sehr an Narakus abwartendes und planendes Wesen erinnert. Ich kann ihm das Gefühl des eingesperrt seins allerdings nicht mal verübeln. Allein die Vorstellung, dass man selbst monatelang bewegungslos in einer Höhle ausharren muss und vollkommen auf die Hilfe einer praktisch Fremden angewiesen ist, würde mir auch nicht behagen.
 
Seine Sehnsucht nach seinem alten Banditenleben und die große Freude, mit der er sich an all das Leid und den Schmerz, den er damals verursacht hat, zurückerinnert, warwirklich beängstigend. Seine Gewaltfantasien gegenüber Kikyou sind dann aber wirklich noch ne Spur verstörender. Ich frage mich, ob Kikyou Onigumo gegenüber mitleidsloser handeln würde, wenn sie wüsste, was für Fantasien er hat oder ob sie ihm trotz allem helfen würde, weil er momentan eben auf Hilfe angewiesen ist und sonst elendig sterben würde.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Von: abgemeldet
2015-11-09T16:51:42+00:00 09.11.2015 17:51
Hallo!

Jetzt mal ganz im Ernst: Wo ist die Fortsetzung? :)

Ersteindruck
Das war sehr, sehr bildhaft und du hast hier in einem Bruchteil an Worten eine enorme, fesselnde Atmosphäre kreiert. Ich liebe ohnehin roten Ahorn und kann mich nicht entsinnen, ihn schon einmal in ähnlicher Form als Element eingebunden gesehen zu haben. Obendrein hast du Narakus Gedankenwelt so verzerrt dargestellt, dass man permanent zwischen Ekel und Faszination schwankte - seine Besessenheit war greifbar, von Anfang an. Ein bisschen las es sich auch, als sei die vorher ruhige, fließende Umgebungsbeschreibung, die von einem Detail zum nächsten "umblendete", ab da an gefährlich geworden.
Schaurig schön.
Was mir neben der Charakterwahl gefiel, war die Art wie man Kikyou aus seiner Sicht erlebte. Da war ja nicht nur die Vorgeschichte, bei der ein Hollywoodblockbuster alt ausgesehen hätte (nicht, weil es überladen, sondern da das Grauen mit Schändungen und Euphemismen gespickt war) - nein, man konnte sich auch an der lauernden Ruhe seiner Gedanken erfreuen. Ein Raubtier, das auf zurückkehrende Kräfte wartet! Man tendierte innerlich sofort dazu, der Miko zurufen zu wollen, dass sie sich um die falsche Seele bemüht.

Zu den Formalien
Es sind mehr Vorgaben als gefordert enthalten, und ich hoffe natürlich, dass es nicht die letzte Geschichte zu "Inu Yasha" gewesen sein wird! Das wäre grandios.
Meine Lieblingsphrase war übrigens das gedämpfte, halb ergraute Licht, dicht gefolgt von ein kleines, abgestorbenes Blatt des Ahornbaums und "schabte schwach über die kalten Steinwände".

Tippfehler, die mir auffielen:
- "so baten sie meist nur" (so boten sie)
- "Schlafstadt" (Schlafstatt)
- "Auch trotz Kikyos" (ohne 'auch')
- "durch die Dörfer ziehen die verängstigten Bewohner rennen und schreien sehen" (ziehen und die verängstigten)
- nicht wild, wie das Feuer (kein Komma, da Vergleich)
Sonst könntest du noch den ein oder anderen Absatz einfügen, z.B. vor der wörtlichen Rede oder wenn es von Handlung auf Gedanken wechselt. Aber das sind winzige Kleinigkeiten! Dein Stil ist bereits jetzt malerisch schön.

Viele Grüße, Morgi
Antwort von:  ZockerCat
09.11.2015 18:47
Die "Schlafstadt" ist ja peinlich :"D
Da werde ich gleich mal was ausbessern, danke dir.

Na, dann hat es ja genau die Atmosphäre getroffen, die ich im Kopf hatte. Freut mich! Vor allem dieses "Schwanken zwischen Ekel und Faszination"; so geht es mir bei Naraku die ganze Zeit und es ist natürlich beflügelnd, dass es der Leser dabei genauso empfindet ^^

So viele liebe Worte - das lässt den Autor stolz bis über beide Ohren grinsen ~

Liebe Grüße und auch ein ganz dickes Dankeschön,
ZockerCat

Von:  CheyennesDream
2015-11-07T17:20:14+00:00 07.11.2015 18:20
Du hattest mich schon mit dem Titel eingefangen, vor allem weil er so gut zur Jahreszeit passt. Deine Umsetzung ist wunderschön bildhaft. Beim lesen hatte ich ständig, das was du beschrieben hast vor Augen.
Da sollte man dich fragen, weshalb du nie vorher eine FF geschrieben hast.
Die verwendete Situation, Onigumos begehren ist gut nachvollziehbar. Dessen Gedanken, Wünsche wirken so real.
Einfach Klasse

Chris






Antwort von:  ZockerCat
08.11.2015 14:44
Gerade von dir ist das ja ein wirklich tolles Lob ^^
Na, man weiß ja vorher nicht, ob das eigene Geschreibsel neben all den anderen talentierten Autoren auch gelesen und für gut befunden wird - Deswegen gibt's erst recht ein ganz liebes Dankeschön für deinen Kommi~
Von:  Todesengel1618
2015-11-01T16:08:36+00:00 01.11.2015 17:08
Wirklich wundervoll und bezaubernd geschrieben! Ich kann es gar nicht so in Worte fassen…zu sehr bin ich von deiner Geschichte beeindruckt und gefangen, und von deiner Wortfertigkeit so sehr überwältigt! Du schreibst es so graziös schön…deine Wortwahl die du in deiner Geschichte immer wieder benutzt ist atemberaubend…so etwas macht eine sehr gute Geschichte aus…die von einem sehr guten Autor erschaffen wurde! Bei dem Text den du geschrieben hast, merkt man erst so richtig, dass du in Deutsch richtig gut ausgebildet wurdest! Ich bin zwar in Deutsch und in Geschichte schreiben zwar auch gut…aber lang nicht so gut wie du!
Und außerdem, da ich in dem Anime "Inu Yasha" den Charakter Narake alias Onigumo sehr gerne mag, ist es noch ein Extra Punkt dazu, denn ich dir überreiche! Und im übrigen hast du seine Geschichte vortrefflich geschrieben und verinnerlicht! Einfach brillant perfektioniert! Du bringst diese Erzählung auf dem Punkt genau! Diese Geschichte ist es wert hochgeachtet zu werden! Ich glaube Narake oder Onigumo wäre stolz auf dich! ^-^ *-*
Und genau aus diesem Grund verneige ich mich vor dir ehrfurchtsvoll…du hast das ganz ganz toll gemacht! Respekt! *richtig begeistert ist* Vielleicht schreibst du ja noch eine Inu Yasha Geschichte dazu oder so…würde mich mächtig freuen! Und außerdem hast du das Potenzial und Können dazu! Vielleicht mal bis bald! ^o^

LG, Todesengel1618
Antwort von:  ZockerCat
04.11.2015 16:39
Danke dir! Um Himmels Willen, so viel Lob - ich werd' ganz rot xD
Freut mich, dass es dir gefallen hat und ich dich so begeistern konnte. Weitere Fanfictions zur Serie sind schon in Planung, nur erst einmal nicht zu Onigumo... Aber vielleicht setze ich mich irgendwann auch noch an eine kleine Fortsetzung hierzu, mal sehen ^^
Dein lieber Kommentar hat mich auf jeden Fall angespornt ;)

Noch ein ganz dickes Danke und liebe Grüße,
ZockerCat


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