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Liebe führt, wie zu erwarten, zu Dummheiten

von

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Eisige Flammen

Das Essen war ansonsten schweigend verlaufen, aber Rei war mehr als zufrieden. Sie waren nun so was wie Freunde, ein wirklich großartiger fortschritt! Natürlich war das bisher nur ein Wort, nur ein Begriff ohne weitere Definition, aber immerhin kam etwas wie Verantwortung und Verbundenheit mit diesem Wort. Es war ein Anfang, etwas, auf das man aufbauen konnte. Sehr gut!
 

Bevor Kai noch auf die Idee kam ihm beim Aufräumen zu helfen, scheuchte er ihn unter die Dusche, mit dem Kommentar, ihm nachher noch Kleidung hinzulegen. Eine gute Idee, wie Rei feststellte, denn so was wie Dankbar flirrte kurz durch den Blick seines Gastes. Langsam bekam er wirklich Übung darin, diese kleinen Gefühlsregungen zu sehen. Kai war wirklich ein einmaliger Junge.

Ein kurzes Kribbeln erfasste Rei bei diesem Gedanken, doch er ignorierte es gekonnt. Er konnte sich nicht in diesen verschlossenen Jungen verlieben, das ging einfach nicht und damit war die Sache für ihn auch gegessen. Es würde Monate dauern überhaupt eine freundschaftliche Bindung aufzubauen, eine Liebschaft war da wirklich nicht drin und das wollte er Kai auch ehrlich gesagt nicht zumuten. Der hatte genug Probleme mit sozialem Umgang, ein Junge der mehr als Freundschaft für ihn empfand, würde ihn wahrscheinlich komplett überfordern. Nein, so interessant Kai auch war und so gerne er seine harte Schale auch komplett knacken wollte, das war eine Sache die viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde, auch wenn es ein wenig schade war.

Kurz trat etwas Wehmut auf seine Züge. Nur noch ein paar Jahre, dann konnte er sich endlich von seinen Eltern abkapseln und ein eigenes, ein beständiges Leben führen.

Er liebte seine Eltern, keine Frage und er wusste, dass die beiden in dem Leben das sie führten ihre Erfüllung gefunden hatten, aber er konnte das nicht auf Dauer. Er musste sesshaft werden können, musste eine Partnerin oder einen Partner finden können, mit dem Wissen, auch bei demjenigen bleiben zu können. Es war interessant durch die Welt zu reisen, aber er wollte nicht immer wieder Menschen die er liebte zurücklassen müssen. Man sah ja, wohin es ihn gebracht hatte. Er war nicht einmal dazu im Stande sich jemandem zu Nähern, den er begann wirklich gern zu haben.

Vielleicht war er selbst gar nicht so anders wie sein Besucher.
 

Beschließend die trüben Gedanken sein zu lassen, räumte Rei die restliche Küche auf und ging dann in sein Zimmer um Kleidung zu suchen, die Kai auch passen würde. Das war ein wenig schwer, weil der Russe deutlich breiter gebaut war als er selbst. So wählte er nach kurzem Zögern für ihn 'gemütliche' Sachen, in der Hoffnung, dass sie weit genug waren.

Als er zum Bad ging, öffnete sich gerade die Tür und im nächsten Moment stand Kai vor ihm, nur mit einem Handtuch bekleidet.

Er spürte selbst, wie ihm leichte Röte bei dem Anblick in die Wangen stieg. Er war niemand der leicht rot wurde, aber das war selbst für ihn zu viel. Der Russe war mehr als nur gut gebaut und die noch immer leicht feucht glänzende Haut tat ihr Übriges.

Allerdings verging diese Bewunderung schnell wieder, als er die blauen Flecken bemerkte. Das sah wirklich nicht gut aus.

"Genug gestarrt?", kam es kühl von Kai, der ihn mit einer Mischung aus Kälte und einer Warnung ansah. Um die Situation einigermaßen zu überspielen, lächelte Rei nur vorsichtig.

"Komm mit.", war das einzige was er sagte, ehe er sich abwandte und ins Wohnzimmer ging. Der andere hatte keine Wahl als ihm zu folgen, schließlich hatte er noch immer die Kleidung.

"Setz dich."

Kai schien wieder enorm angespannt und langsam beschlich ihn Sorge, dass die Gerüchte um den sexuellen Missbrauch wahr waren. Er hoffte wirklich, dass dem nicht so war, auch wenn es viel erklären würde. Eigentlich hätte er ihn als nächstes dazu aufgefordert sich hin zu legen, aber das brachte er nicht über sich.

"Hey, Kai.", meinte er stattdessen sanft. Er wartete, bis er sich sicher war, dessen Aufmerksamkeit zu haben. "Ich tu dir nichts, ja? Entspann dich, ich will nur eine Salbe auf die blauen Flecken auftragen."

Das schien zumindest einigermaßen zu wirken, denn Kai entspannte sich, soweit er es mit diesen Prellungen konnte. Dennoch sah man, dass er sich nicht wohl fühlte.
 

Ein paar Augenblicke später hielt er Kai eine Tube Salbe hin, auf den verwunderten Blick hin lächelte er selbst nur.

"Wenn dir das lieber ist, kümmer' dich selbst um die Verletzungen soweit du kannst und ich widme mich denen auf deinem Rücken."

Ja, mit ein wenig Beobachtungsgabe und Empathie konnte man mit Kai auch ein Gespräch führen ohne viel zu sagen. Natürlich sahen das die meisten jugendlichen nicht, aber Rei war lange genug Situationen ausgesetzt in denen es von großem Vorteil war die Mimik und Gestik anderer interpretieren zu können, ohne, dass man sie näher kannte. Beispielsweise wenn er mal wieder auf eine neue Schule gekommen war.

Als ihm Kai die Tube aus der Hand nahm, berührten sich ihre Finger kurz. Mist, das war nicht gut. Noch einige Sekunden danach kribbelte seine Haut an den Stellen, die der andere gestreift hatte. Er musste wohl den Rest des Jahres damit leben, dass er scharf auf den verschlossenen Russen war. Es gab schlimmeres, denn wenn er eins gelernt hatte, dann, dass diese kribbelnde Aufregung auch durchaus seinen Reiz hatte. Es war nicht immer schlimm seine Bedürfnisse nicht befriedigen zu können und er würde es einfach genießen. So, wie er es schon das ein oder andere Mal einfach genossen hatte, schließlich war man nicht immer scharf auf jemanden, der auch an einem interessiert war. Es gab wirklich Schlimmeres.
 

In der Zeit in der sich sein Gast selbst verarztete, verschwand er noch einmal in der Küche und setzte Tee auf. Ein warmes Getränk konnte wunder gegen Anspannungen wirken und er wollte schließlich, dass sich Kai wenigstens ein wenig wohl fühlen konnte. Außerdem hatte er so eine Ausrede ihn allein zu lassen, damit er sich nicht am Ende bedrängt oder angestarrt fühlte.
 

Als er wieder kam hatte sich Kai bereits eine Hose angezogen und sah ihm mit seinem typischen ruhig, kalten Blick entgegen. Dennoch entging ihm das vorsichtige Mustern nicht. Er ignorierte es und stelle das Tablett ab, reichte dem anderen eine Tasse, der nach kurzer Skepsis das Getränk probierte und es dann offensichtlich für gut genug erachtete.

"Dreh dich am besten ein bisschen zur Seite, dann muss ich dir nicht so auf die Pelle rücken."

Plötzlich lag flammendes Eis in dem Blick von Kai. Seine Augen verengten sich leicht und schienen sich zu verdunkeln.

"Hör auf damit."

Etwas verwirrt hielt Rei inne: "Was meinst du?"

"Hör auf mich zu behandeln, als wäre ich krank, in welcher Hinsicht auch immer. Mir geht es gut und ich werde nicht gleich in Panik verfallen, nur, weil du mir den Rücken mit etwas Salbe beschmierst."

Im ersten Moment wusste Rei nicht so recht, was er darauf sagen sollte. Natürlich sollte er nicht übervorsichtig sein, aber das war schwierig, wenn man davon ausgehen musste, dass der Interaktionspartner vermutlich einmal sexuell missbraucht wurde.

"Das ist nicht so einfach für mich.", versuchte Rei es dann und setzte sich Kai gegenüber.

"Es gehen da gewisse Gerüchte um. Normalerweise glaube ich nichts, was ich nicht aus erster Hand weiß, aber... du bist nicht das, was man gesprächig nennen kann und so was fragt man auch nicht einfach. Ich will nicht, dass du dich unwohl fühlst oder schlimmeres."

Kurz legte sich angespannte Stille über das Zimmer. Hatte er es übertrieben? Hätte er das vorsichtiger formulieren sollen? Der stechende, durchdringende Blick seines Gegenübers machte ihn nervös. Es wirkte, als würde er etwas in seinen eigenen Augen suchen.

"Du denkst also, ich bin zu schüchtern um zu protestieren, wenn mir was nicht passt?"

Einerseits traf Rei diese Aussage, andererseits musste er schmunzeln, da ihm kurz das Bild eines schüchternen Kais in den Sinn kam. Jemand, mit hängenden Schultern, gebeugter Haltung und verängstigtem Blick. Nein, Kai war nicht schüchtern, nur verschlossen.

"Wer weiß denn, ob es dein Stolz nicht verbietet, diese Art der Schwäche zu zeigen? Ich will nicht, dass du glaubst dich zu etwas zwingen zu müssen, nur, damit mir nicht auffällt, dass du ein Problem mit irgendwas hast."

Kai schmunzelte darauf hin leicht, sein Blick änderte sich aber immer noch nicht. Eisige Flammen schienen ihn verschlingen zu wollen. Ein wohliges Schaudern ergriff Rei.

"Warum fragst du nicht einfach?"

Diese Antwort überrumpelte Rei derart, dass er kurz sprachlos war, was Kai dazu nutzte um weiter zu machen.

"Seit Wochen tanzt du um mich herum und versuchst Zeug aus mir raus zu kriegen, ohne, dass du direkt danach fragst."

Jetzt war es an Rei seinen Blick etwas zu verdunkeln. Er war sich nicht sicher, wohin das hier führen würde, aber der Russe redete, das war ein wichtiger Fortschritt.

"Du antwortest ja nicht mal, wenn ich vorsichtig frage. Warum sollte ich dann davon ausgehen, dass du das tust, wenn ich genauer nachfrage?"

Ein Schnauben und ein anderes abfälliges Geräusch entkam der Kehle seines Gegenübers, was Rei mehr als irritierte.

"Denkst du, ich antworte jemandem, der mich als pures Forschungsobjekt betrachtet? Hältst du mich für so bescheuert, dass mir das nicht auffällt? Du gibst dich mit mir ab, weil ich anders bin. Nicht so langweilig wie die anderen, nicht wahr? Du hast keine Tendenz dazu, dich wirklich mit mir anzufreunden, du willst mich nur kennen lernen, mich studieren. Du bist ein netter Kerl, aber ehrlich gesagt macht dich das nicht besser als die anderen, die nichts mit mir zu tun haben wollen, weil ich anders bin."
 

Er war geschockt über diese Aussage, das konnte er nicht leugnen. Genauso wenig wie er leugnen konnte, dass der andere recht hatte. Er hatte ihn einfach nur interessant gefunden.

Kurz kam so etwas wie Reue und Scham in ihm auf, bis er stutzte. Eine Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass er inne halten und nochmal über das Gesagte nachdenken sollte. Er nahm sich die Zeit, war seine Intuition doch eine seiner größten Stärken. Ja, er hatte einfach nur Interesse an ihm gefunden.

Rei lachte plötzlich auf, konnte einfach nicht anders. Fast hätte er ihn gehabt!

"Bei wie vielen hat das bisher funktioniert?", fragte er den anderen und musste sich kleine Tränen aus den Augen wischen.

"Eins muss ich dir ja wirklich lassen. Mit deiner Haltung und deiner Stimme zu spielen beherrschst du mehr als perfekt. Und zwar so gut, dass ich fast über den Inhalt hinweg gesehen hätte."

Er nahm einen Schluck seines Tees und sah in das undurchdringbare Gesicht Kais.

"Natürlich habe ich mich dir nur genähert, weil ich dich interessant fand. Das tue ich bei jedem anderen Menschen aber auch. Jeder Mensch tut das. Man nähert sich keinen Leuten, die man nicht interessant findet."

Zufrieden konnte er beobachten, wie die Miene von Kai sich ein wenig lockerte und sich so was wie ein Schmunzeln auf seine Lippen stahl. Nun nahm auch der sich das heiße Getränk wieder und nippte kurz daran.

"Ich meine es trotzdem ernst. Wenn du was wissen willst frag, aber hör auf dich so komisch zu benehmen."

"Botschaft angekommen.", antwortete Rei leicht lächelnd, entspannte sich jetzt auch wieder und überlegte kurz.

"Stimmt es, dass du von einem Lehrer angefasst worden bist?"

Jeder andere Mensch hätte ihn jetzt wohl schockiert angesehen ob dieser Direktheit, aber nicht so Kai. Der setzte nur sein bekannt hochmütiges Lächeln auf und ließ sich sogar zu einer Antwort herab.

"Er hat's versucht, da hab ich ihm das Handgelenk gebrochen. Seitdem kann er richtigen Sport vergessen.. und wahrscheinlich auch schweres heben."

Etwas in der Stimme des anderen ließ Rei erschauern und es war sicherlich nicht diese Gleichgültigkeit die der da zur Schau trug. Es war vielmehr die Genugtuung, die fast schon wie Freude wirkte, die dieses merkwürdige Gefühl in ihm auslöste. Kai war ein Alphatier, auch wenn er nicht immer so wirkte. Kam man in sein Revier, kam man ihm zu nahe, wurde kurzer Prozess gemacht.

Das gefiel ihm, er mochte dominante Männer, denn nur die schafften es, dass er tatsächlich mal die Führung abgab und seinen Kopf ausschalten, ja, entspannen konnte.

"Also ist das Gerücht vom sexuellen Missbrauch wirklich nur ein Gerücht?"

Kai nickte und das beruhigte Rei ungemein.

Dennoch war da was. Der andere benahm sich nicht umsonst so komisch, seit er hier war. Da waren immer wieder diese kurzen Momente in denen er verloren und ängstlich wirkte.

"Was ist es denn dann? Irgendwas ist doch mit dir."

"Ja.", war der einzige Kommentar Kais dazu, dann kehrte kurz Stille ein.

"Aber was ist mit dir, Rei? Du trägst auch ein dunkles Geheimnis mit dir herum, nicht wahr? Du lässt auch niemanden an dich heran."

Das Lächeln des Asiaten nahm eine traurige Komponente an und kurz trank er noch einen Schluck Tee. Wäre es Alkohol hätte er gesagt, er wolle sich noch Mut antrinken, aber vermutlich war es nur der Versuch, ein wenig Zeit zu schinden.
 

"So dunkel ist das Geheimnis gar nicht. Eigentlich ist es gar nicht dunkel. Meine Eltern bleiben nie länger als ein Jahr am gleichen Ort. Vielleicht auch mal eineinhalb. Es bringt mir nichts Freundschaften zu knüpfen oder irgendwas, was tiefer geht."

Kais Augen schienen noch etwas durchdringender zu werden und allmählich fühlte sich Rei ganz und gar nicht mehr wohl.

"Und deshalb bist du zu jedem kotzfreundlich und versuchst es allen recht zu machen. Natürlich Rei, ich glaube die sofort, dass das nur daran liegt, dass du keine sozialen Bande knüpfen willst. Wer hat dir so weh getan, dass du es nicht erträgst dich offen mit anderen anzulegen, aber du dennoch nicht erträgst, wenn man dir zu Nahe kommt?"

Jetzt war es Rei, der nicht mehr wusste, was er sagen sollte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Riitsuya
2015-07-16T15:31:50+00:00 16.07.2015 17:31
Wieder ein tolles Kapitel! Der Schluss hat nicht nur bei Rei eingeschlagen o_o
Wenn Kai mal redet, dann legt er aber auch die Fakten auf den Tisch xD
Freue mich schon sehr aufs nächste Kapitel *^*


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