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Unausgesprochen

von

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Wendepunkt

„Yamraiha… steckt in Schwierigkeiten?“

Sharrkan hatte das dumpfe Gefühl, als habe jemand eine Faust in seinen Magen gerammt. Er ignorierte Maires ausgestreckte Hand, die vor seiner Nase hin und her wedelte und konzentrierte sich darauf, die unerklärliche Furcht niederzuringen, die diese Worte bei ihm ausgelöst hatten. Wenn ihre Freundin solche Strapazen auf sich nahm, um Yamraiha aus der Klemme zu helfen, musste es sich um eine wirklich ernste Angelegenheit handeln.

„Inwiefern Schwierigkeiten?“, forschte er nach und Maire schien hellauf erzürnt.

„Hörst du mir eigentlich zu?! Ich darf ni-“

„SCHLUSS DAMIT!“
 

Es war ein Glück, dass Sharrkans Ausruf in der Lautstärke des Schankraumes unterging, doch er reichte aus, damit die Magierin sichtlich zusammenzuckte.

„Sag mir auf der Stelle, was los ist!“, forderte er ein wenig gemäßigter. „Ansonsten kannst du lange auf den Schlüssel warten!“

Mit bangem Blick schaute Jaron von einem unnachgiebigen Gesicht ins andere. Es war kaum zu sagen, wer von den beiden wütender aussah. Minutenlang herrschte Stille zwischen ihnen, bis Maire schließlich als erste wieder zu sprechen begann.

„Ich weiß selbst nicht genau, was passiert ist“, offenbarte sie. „Es gibt Gerüchte, dass in Magnostadt eine Rebellion im Gange ist, aber warum oder wofür habe ich nicht herausgefunden.“
 

Irgendwo in Sharrkans Hinterkopf regte sich eine vage Erinnerung. Hatte Eline nicht mal sowas erwähnt? Hatte sie ihm nicht von Wüstennomaden erzählt, die haarsträubende Geschichten bis nach Heliohapt weitertrugen? War es dabei um Rebellen gegangen? Ganz sicher hatte sie ihm kein Land genannt, denn sonst wäre er bei Magnostadt bestimmt aufmerksam geworden, oder etwa nicht? Hätte er bloß besser zugehört!

„Bist du dir sicher, dass da was dran ist?“, fragte Sharrkan und Maire griff in ihren Rucksack, den sie neben sich ans Tischbein gelehnt hatte. Sie zog eine handtellergroße, mit Rauch gefüllte Glaskugel hervor – ein Auge der Rukh.
 

„Hiermit hat Yamraiha mich letzte Woche kontaktiert“, sagte sie. „Sie meinte, es gebe Unruhen in Magnostadt, hätte aber keine Zeit für Einzelheiten. Sie hat ziemlich gehetzt gewirkt, sich ständig umgedreht und so… Jedenfalls bat sie mich darum, ein magisches Utensil aus ihrem Zimmer zu holen und es ihr zu bringen. Sie wolle damit die Ausführung eines Zaubers stoppen, ansonsten könne Magnostadt für immer zerstört werden.“

Maire stockte kurz. „Ich darf dir das eigentlich gar nicht erzählen“, betonte sie abermals. „Wenn in Sindria, Kou oder Reim der Eindruck entsteht, dass aus Magnostadt wieder eine Bedrohung hervorgeht, könnte das in einem erneuten Krieg enden. Gerade nach den letzten Ereignissen…“

„Keine Sorge!“ Sharrkan hob abwehrend die Arme. „Ich verrate es niemandem! Erst recht nicht meinem Bruder.“
 

Aus ihrer Mimik war nicht herauszulesen, ob sie tatsächlich auf seine Ehrlichkeit vertraute oder sich zum Reden gezwungen fühlte, doch in jedem Fall fuhr sie fort: „Leider ist es nicht so leicht, an dieses magische Utensil zu kommen. Yamraiha hat ihr Zimmer mit einem Zauber versiegelt, bevor sie abgereist ist. Außer ihr selbst kommt niemand hinein, nicht mal ein Magi.“

„Das sieht ihr ähnlich“, warf Sharrkan dazwischen und verdrängte den Gedanken, dass er vielleicht nicht ganz unschuldig an diesen Vorkehrungsmaßnahmen war.

„Der Schlüssel öffnet die Tür auch ohne ihre Anwesenheit“, erläuterte Maire. „Den einen trägt sie bei sich und der andere“ – sie zeigte mit dem Finger auf Sharrkans rechte Hand – „ist eine exakte Kopie, die den Bann ebenfalls brechen sollte.“
 

Unscheinbar wie eh und je lag der kleine, bronzene Gegenstand in seiner Handfläche.

„Er sollte den Bann brechen?“, wiederholte Sharrkan skeptisch.

„Er wird den Bann brechen“, versicherte ihm Maire.

„Hat Yamraiha das bestätigt?“

„Nun… nein.“

„Wäre es dann nicht sicherer, du hättest ihren Schlüssel genommen?“

„Das war der Plan! Als Yamraiha sagte, sie könne selbst nicht aus Magnostadt heraus – sieh mich nicht so an, ich weiß den Grund doch auch nicht!“, fügte sie hitzig hinzu, bevor Sharrkan Luft holen konnte. „– wollten wir einen Treffpunkt für die Übergabe vereinbaren.“
 

„Aber?“, fragte er in ihre Pause hinein und Maire machte einen furchtbar beklommenen Eindruck.

„Aber jemand hat sie unterbrochen und das Gespräch beendet“, antwortete sie. „Seitdem herrscht Funkstille. Das Auge der Rukh reagiert nicht mehr, was entweder bedeutet, dass sein Gegenpart zerstört wurde oder ein mächtiger Zauber die Kontaktaufnahme blockiert.“

„Du denkst also, Yamraiha ist was zugestoßen?“ Sharrkans Mund fühlte sich auf einmal trockener an als zuvor auf Heliohapts Straßen.

„Ich kann es zumindest nicht ausschließen“, gab Maire leise zu. „Ich muss schnell nach Magnostadt und nach ihr sehen, aber ich kann nicht ohne das magische Utensil gehen, das sie so dringend wollte. Darum bin ich hierhergekommen. Weil sie mir erzählt hat, dass du ihren Ersatzschlüssel nie zurückgegeben hast.“
 

Die Bedienung wühlte sich mit erhobenem Tablett bis zu ihnen durch und stellte zwei Krüge und einen Becher in ihre Mitte, bevor sie sich den ungeduldigen Rufen der nächsten Kunden widmete. Maire verteilte die Getränke unter ihnen und erst als Jaron sich zu Wort meldete, fiel Sharrkan wieder ein, dass er ja auch noch mit am Tisch saß.

„Darf ich mal probieren?“, fragte er, ließ seinen eigenen Tee links liegen und schielte auf die Bierkrüge der Erwachsenen.

„Du spinnst wohl! Du bist zehn!“, sagte Sharrkan entrüstet und nahm demonstrativ einen großen Schluck. Er beobachtete Maire, die zaghaft an ihrer Schaumkrone nippte und sprach endlich aus, was ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte: „Ich dachte, dieser Arik hätte sie begleitet? Warum hat er Yamraiha nicht geholfen?“
 

Maire musterte ihn einen Moment, als müsse sie abwägen, wie viel er verdiente zu erfahren.

„Sie haben sich wohl gestritten“, entgegnete sie knapp und Sharrkan setzte fix den Krug an die Lippen, damit sie sein verhaltenes Grinsen nicht sehen konnte.

„Hör auf, dich darüber zu freuen!“, fauchte sie ihn an. „Es sollte dir lieber leidtun, nachdem du ihr so vor den Kopf gestoßen hast!“

„Ich ihr?!“, prustete Sharrkan. „Guter Witz! Ich hab euch beide doch gehört, kurz bevor wir in Sindria eingelaufen sind! Yamraiha hat sich in diesen Deppen verknallt und somit war das Thema durch!“

Du bist ein Depp!“, echauffierte sich Maire. „Glaubst du, wir hätten über Arik gesprochen?! Wir haben über dich geredet!“
 

Sharrkan starrte sie an, wie vom Donner gerührt. „Über mich?“

„Yamraiha hat mir erzählt, wie eifersüchtig du warst – ja, und da brauchst du jetzt auch gar nicht rot werden!“, sagte sie, was nur dazu führte, dass er noch deutlicher anlief. „Ich hab sie gefragt, ob du dir wegen Arik und ihr Sorgen machen müsstest und sie hat es verneint. Dann hab ich gefragt, ob sie in dich ver-“

„Schon gut! Schon gut!“, rief er, um ihre Stimme abzuwürgen und stand plötzlich auf den Beinen, ohne gemerkt zu haben, wie er aufgesprungen war. Ein riesiges Loch im Boden, das sich unter seinen Füßen auftäte, wäre ihm gerade überaus willkommen gewesen.

„A- Aber Arik…“, stammelte er. „Sie ist mit ihm nach Magnostadt gegangen!“

„Um bei den Aufräumarbeiten zu helfen“, erinnerte ihn Maire. „Das hat sie dir doch gesagt!“

„Dann lief nichts mit ihm?“

„Nein, auch wenn er das wahrscheinlich gerne gehabt hätte.“
 

Fassungslos ließ Sharrkan sich zurück auf seinen Stuhl fallen, zog das Bier zu sich heran und trank es in einem Zug leer. Yamraiha hatte sich in ihn verliebt?! In ihn?! Das konnte nicht stimmen! Wie passte ihr Auftreten zu seinen Annahmen? Wie passten ihre Aussagen zu seinen Auslegungen? Und allmählich dämmerte ihm, welchen Sinn ihr sonderbarer Satz machte und dass er nicht nur auf sie, sondern offensichtlich auch auf ihn zutraf: Da hab ich die Signale wohl völlig falsch gedeutet.

„Hey! Aufwachen!“ Der Tritt gegen das Schienbein traf ihn unvorbereitet, erzielte aber die gewünschte Wirkung und beförderte Sharrkan sofort zurück in die Gegenwart. Maire hatte erneut ihre Hand ausgestreckt. „Gibst du mir nun den Schlüssel?“
 

„Nein.“

Für einen Augenblick sah sie so aus, als wolle sie ihn umbringen. „Wie nein?!“

„Nein, ich gebe ihn dir nicht. Ich komme selbst mit.“

„Das ist ein Scherz!“

„Keineswegs. Ich gehe mit dir nach Magnostadt.“

„Ist dir klar“, wisperte Maire bedrohlich ruhig, „dass das eine Stadt voller Magie ist? Ich kann dich da überhaupt nicht gebrauchen! Du wärst ein Klotz am Bein! Ich nehm dich nicht mit! Nein! Auf gar keinen Fall! Vergiss es!“

„Dann willst du es also ohne Schlüssel probieren?“, fragte Sharrkan mit gespielter Neugier und stützte seinen Kopf auf den Ellenbogen ab.
 

Maire knallte die Fäuste auf die Tischplatte, sodass das Bier neben ihr leicht überschwappte.

„Wie willst du das deinem Bruder beibringen?!“, polterte sie.

„Lass das mal meine Sorge sein.“

„Oder deiner Verlobten?!“

„Das kriege ich schon hin.“

„Du weißt noch, dass in Bezug auf Magnostadt nichts öffentlich werden darf, oder?!“

„Beruhig dich! Ich hab einen Plan.“

„Ach ja?! Und welchen genau?“

„Das wirst du dann sehen…“

„Mit anderen Worten: Du hast absolut keine Ahnung!“
 

Sharrkan versuchte Maires Blick standzuhalten ohne zu Blinzeln. Das Letzte, was er wollte, war ihr zu signalisieren, wie sehr sie mit ihrer Vermutung ins Schwarze getroffen hatte. Denn in Wahrheit konnte er sich nicht festlegen, bei welchem Gespräch er den schlimmeren Ausgang vermutete:

Seinen Bruder, der ohnehin schlecht auf ihn zu sprechen war, so geschickt anzuschwindeln, dass er ihn aus dem Land ließ, klang schon in seiner Fantasie absurd. Für mehrere Tage einfach zu verschwinden würde das Königshaus allerdings erst recht in Alarmbereitschaft versetzen. Was für eine Ausrede sollte er Armakan also präsentieren, ohne sein Misstrauen zu wecken?

Unangenehmer als das, war eigentlich nur die Konfrontation mit Eline. Dass er sie so nah an sich herangelassen hatte, musste ihren Heiratswunsch noch weiter bestärkt haben. Was würde sie dazu sagen, wenn sie erführe, dass er wegen einer anderen Frau abreisen wollte?
 

Mit geschürzten Lippen und verschränkten Armen saß Maire vor ihm, bis sie schließlich einen entnervten Seufzer ausstieß und abermals in ihrem Rucksack langte. Zum Vorschein kam ein flaches, rundes und mit blauem Tuch umwickeltes Objekt.

„Hier drin befindet sich ein magisches Utensil des zweiten Typs“, erklärte sie mürrisch. „Ich hätte es zwar lieber mit nach Magnostadt genommen, da ich nicht weiß, was mich dort erwartet, aber nun ja…“

„Was bewirkt es?“ Sharrkan wollte das Tuch wegziehen, doch Maire hielt seine Hand fest.

„Du darfst es erst benutzen, bevor wir aufbrechen!“, warnte sie ihn. „Das Magoi, was darin gebündelt wurde, ist auf vier Tage limitiert. Danach löst sich der Zauber auf.“

„Welcher Zauber?“, fragte er, nun ebenfalls gereizt, dass er ihr jede Information aus der Nase ziehen musste.
 

„Eine Variation von Shallal Sarab“, antwortete Maire. „Ein Trugbild. Eine durch Wassermagie erzeugte Spiegelung. Eine Projektion, die sich genauso bewegen kann wie sein Anwender.“

„Sowas wie ein Doppelgänger?“

„Nicht ganz. Bei einem Doppelgänger könntest du keinen Unterschied zu einer realen Person feststellen. Eine Spiegelung ist jedoch leichter zu enttarnen. Man kann sie nicht berühren und sie kann auch nicht sprechen. Außerdem ist sie seitenverkehrt, in deinem Fall zum Beispiel Linkshänder.“

Sharrkan malte sich die – zugegeben recht gruselige – Existenz seines eigenen stummen Ichs aus, wie es in Lebensgröße durch sein Zimmer spazierte. Die Bediensteten würde man damit sicher täuschen können und solange diese Armakan meldeten, dass bei ihm alles unauffällig war, standen die Chancen gut, dass er seinen kleinen Bruder nicht zu sich beorderte. Mit Eline sah das Ganze allerdings schon ein wenig schwieriger aus…
 

„Das ist ziemlich riskant“, sagte Sharrkan und Maire zuckte mit den Schultern.

„Was anderes kann ich dir nicht anbieten“, erwiderte sie. „Versuch‘s oder überlass mir den Schlüssel!“

„Ich hab nur vier Tage Zeit?“

„Vier, höchstens fünf – vorausgesetzt, das magische Utensil bleibt intakt und befindet sich immer im selben Raum wie die Spiegelung.“

Vorsichtig nahm Sharrkan den verhüllten Gegenstand hoch. Er war leicht, dünn und fühlte sich irgendwie zerbrechlich an. Ohne groß zu überlegen reichte er ihn an den verdutzten Jaron weiter. „Kann ich dir das anvertrauen?“
 

Obwohl sein Schützling zustimmend nickte, stand ihm die bittere Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. „Ich würde Euch viel lieber auf der Reise begleiten“, gestand er.

„Das kann ich unmöglich verantworten“, widersprach Sharrkan. „Wer weiß, wie gefährlich es in Magnostadt wird.“

„Aber ich bin stark, das habt Ihr vorhin selbst gesehen! Ich bin ein Fanalis! Ich kann mich verteidigen! Ich kann Euch helfen!“, bettelte Jaron. „Bitte nehmt mich mit!“

„Nein, ich brauche dich unbedingt hier.“ Sharrkan schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Du kriegst die wichtigste Aufgabe von allen: Du bist der einzige, der dafür sorgen kann, dass ich im Palast nicht auffliege. Würdest du mir diesen Gefallen tun, Jaron?“
 

Der Junge schwieg und blickte hinunter auf seine halbvolle Teetasse. „Na schön…“, murmelte er endlich und Maire klatschte zufrieden in die Hände.

„Dann wäre das wohl geklärt“, sagte sie geschäftsmäßig. „Am besten treffen wir uns morgen wieder vor dem Gasthaus, da fällst du am wenigsten auf. So um die Mittagszeit, würde ich vorschlagen.“

Sie beugte sich halb über den Tisch und stach Sharrkan drohend mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Und ich rate dir, bloß den Schlüssel nicht zu vergessen! Ansonsten hetz ich dir einen solchen Fluch auf den Hals, dass nicht mal Yamraiha dich noch zusammenflicken kann!“



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