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Unter einem Mond

Wichtelgeschichte für Erenya
von

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Ein Leben

Das Donnergrollen über ihren Köpfen klang wie ein ferner Kanonenschlag. Seit gestern schon kannte der Himmel nur das Grau des Tages und das Schwarz der Nacht. Sehnsüchtig blickte Harada auf, vermisste die Wärme der Sonne und verfluchte das stete Rauschen des Regens, das ihn mit seinem nervtötenden Trommeln auf den Dächern allmählich in den Wahnsinn trieb. Wenn es nicht bald nachließ, stand in Frage, ob die Schiffe den Hafen von Edo überhaupt verlassen konnten und damit auch, wann sich Erenya auf dem Heimweg befinden würde. Der Gedanke weckte in Harada eine Hoffnung, die ihm so egoistisch erschien, dass er sich fast dafür schämte. Natürlich wünschte er ihr die Abreise aus Japan – nicht bloß, weil es in diesen kriegerischen Zeiten das Beste für sie war, sondern vor allem, weil sie allein die Vorstellung an Zuhause so glücklich machte, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Doch genauso, wie es Sekunden gab, die ein ganzes Leben zu dauern schienen, war dieser eine Monat mit ihr flüchtiger gewesen als ein einziger Windstoß und jetzt war ihnen nur noch der heutige Tag geblieben, bevor Bram im nächsten Morgengrauen ablegen wollte.
 

Harada stand unter dem Vordach des Gasthauses und verfolgte, wie ein Rinnsal auf der Straße nach und nach zu einem kleinen Bach anschwoll. Die meisten Passanten rannten durch den Schauer eilig an ihm vorbei oder – wenn sie etwas mehr Zeit hatten – stellten sich ebenfalls unter und so kam er nicht umhin zu hören, wie der Mann neben ihm einem anderen berichtete: „Die Streitkräfte der neuen Regierung scheinen schließlich doch die Shougitai-Gruppen anzugreifen, die am Kan‘ei-Tempel in Ueno stationiert sind.“

Was für ein sinnloses Blutbad das geben wird, dachte Harada missmutig und wie aufs Stichwort erinnerte er sich wieder an Shiranuis Aussage, Kodo habe mit den Truppen des Kaisers ein Bündnis geschlossen, um seine Rasetsu mit Blut zu versorgen. Wenn dem wirklich so war, würden sie sich nun ebenfalls in Ueno aufhalten, da ging Harada jede Wette ein.
 

Hin- und hergerissen zwischen der Entscheidung, Kodo direkt zu stoppen und größeren Schaden zu verhindern oder Erenya morgen zum Schiff zu bringen und ihr Lebewohl zu sagen, suchte er nach einem Kompromiss und wusste doch längst, dass manche Pflichten eben einen hohen Tribut zollten. Schweren Herzens betrat er das Gasthaus und traf Erenya in ihrem Zimmer an, wo sie auf den Matten hockte, die Haare noch nass vom Baden, und dabei war, Tee zuzubereiten. „Das passt ja gut“, sagte sie lebhaft und schob Harada einen Becher hin. „Ich wollte dich gerade holen.“

Er setzte sich ihr gegenüber und nippte an dem bitteren Getränk, unschlüssig, wie er die Angelegenheit beginnen sollte, bis sie misstrauisch die Brauen hob.

„Stimmt irgendwas nicht?“
 

Sorgfältig platzierte Harada den Tee wieder zwischen ihnen und sagte dann: „Erenya, ich fürchte, wir müssen unseren Abschied vorverlegen. Es gibt da in Ueno eine sehr wichtige Sache, die ich erledigen muss und die keinen Aufschub duldet.“

Im prasselnden Regen, der ihnen laut in den Ohren dröhnte und jegliche Geräusche verschluckte, ging Erenyas zaghafte Frage beinahe unter. „Wann musst du fort?“

„Am besten jetzt gleich.“

Harada wagte es nicht, ihr in die Augen zu sehen, weil er glaubte, die Enttäuschung in ihrem Blick nicht ertragen zu können. „Verzeih mir“, fügte er hinzu. „Ich hätte gerne noch einen letzten Abend mit dir verbracht.“

„Nein, es soll dir nicht leidtun. Es ist in Ordnung“, sagte sie mild und als er sie doch ansah, zeigte sie ihm ein ehrliches Lächeln. „Ich war eben nur ein bisschen überrumpelt, aber du hast so unglaublich viel für mich getan und es steht mir nicht zu, noch mehr zu verlangen. Außerdem muss es dir wirklich wichtig sein, denn so ernst hab ich dich bisher nicht erlebt.“
 

Eigentlich wollte er Erenya für ihr Verständnis danken und ihr sagen, dass er ihr gerne geholfen hatte. Er wollte ihr sagen, wie schlimm die Gewissheit an ihm nagte, dass er sie niemals wiedersehen würde, was für eine fantastische Frau sie war und noch tausend andere Dinge. Doch Harada brachte keinen Ton über die Lippen, so groß war der Kloß in seinem Hals.

„Wie verabschiedet man sich in deinem Land von einander?“, fragte er schließlich, vor allem um das unangenehme und quälend lange Schweigen zu beenden.

„Man gibt sich die Hand“, antwortete Erenya mit gebrochener Stimme und streckte ihm ihre eigene entgegen. Harada ergriff sie und umschloss ihre zarte, warme Hand mit seiner großen, kräftigen. Sie hielten einander fest, Minute um Minute, als wolle keiner den anderen als erstes loslassen, während die Tränen haltlos über Erenyas Gesicht strömten.

„Ich versuche morgen früh am Hafen zu sein“, versicherte Harada ihr. „Ich beeile mich, versprochen.“
 

Das Wetter war ungnädig wie eh und je und helle Blitze zuckten wie ein Inferno durch die aufgewühlten Wolkentürme. Harada nahm es als Ironie des Schicksals, dass der Himmel genau die Unruhe spiegelte, die gerade in seinem Inneren tobte. Ob sie nun Nachsicht gezeigt hatte oder nicht, bedauerte er dennoch, Erenya so mir nichts, dir nichts zurückzulassen. Es fiel ihm schwer, mit der Erkenntnis abzuschließen, dass all ihre gemeinsamen Momente nun unwiederbringlich der Vergangenheit angehörten und er klammerte sich an die winzige Chance, sie vor Auslaufen des Schiffes noch einmal sehen zu können. Vielleicht würde es ihm dann auch möglich sein, die Notwendigkeit der Trennung ihrer beider Leben zu akzeptieren, die sich einfach auf zu unterschiedlichen Pfaden bewegten.
 

Über eine Stunde sprintete er durch Pfützen und Schlick und erreichte Ueno pünktlich zu Einbruch der Dunkelheit. Mit einem kläglichen Grummeln zog das Gewitter weiter in den Westen und erlaubte der Erde, sich endlich von den starken Regenfällen zu erholen. An einem Gewässer machte Harada Halt, um etwas zu trinken, neuen Atem zu schöpfen und auf Kodo und die Rasetsu zu lauern, die keinen anderen Weg einschlagen konnten, als den, der an ihm vorbeiführte. Leise und versteckt wartete er auf ein Zeichen, dass die Armee im Anmarsch war, bis etliche rote Augen in der Finsternis glommen – und sich noch eine andere Person urplötzlich zu ihm gesellte.
 

„Du hast diesen Ort also wirklich gefunden, Harada.“

Shiranui schien denselben Plan gehabt zu haben wie er, denn mit einem breiten Grinsen stand er auf einmal hinter ihm.

„Um eine große Menge Blut für die Rasetsu zu bekommen, hat Kodo-san sich mit den Extremisten der neuen Regierung verbündet“, meinte Harada. „Hast du das nicht gesagt, Shiranui?“

„Ist das so?“

„Nun ja, nach diesem großen Kampf werden sie sich versammeln und nach Blut suchen. Und weil ihre Erscheinung zu auffällig ist, werden sie nur bei Nacht losziehen.“

„Deine Waffe mag alt sein, aber du hast einen scharfen Verstand.“
 

Schwungvoll stellte Shiranui seine Tasche ab und zeigte Harada die Silberkugeln, mit denen er seine Pistole lud, um die Rasetsu zu töten, da ein einfacher Speer dafür angeblich nicht ausreichte. Doch Harada dachte nicht im Geringsten daran, sich deshalb aus der Schlacht herauszuhalten und trat mit ihm zusammen Kodo und dessen Heer entgegen. Mochte Shiranuis Intention – zu beweisen, dass ein echter Oni einer Imitation immer überlegen war – von Haradas auch noch so abweichen, war die Rückendeckung des einen für den anderen trotzdem eine unverzichtbare Stütze, als die Rasetsu unter tosendem Gebrüll auf sie zustürmten. Für jeden Gegner, den Harada besiegte, tauchten zwei weitere auf, sodass er manchmal kaum wusste, in welche Richtung er zuerst schlagen sollte. Nebenher hörte er die trommelfellzerfetzenden Schüsse Shiranuis, die über die Lichtung hallten und zwischen den Bäumen des Waldes verklangen.
 

Ein Rasetsu nach dem anderen fiel den Männern zum Opfer und es waren kaum noch welche übrig geblieben, da traf ein Schwert Harada längs in die Seite. Der stechende Schmerz jagte unkontrolliert durch seine Glieder und er keuchte auf, ging in die Knie und fühlte das Blut rasch durch seine Kleidung sickern. Verschwommen nahm er wahr, wie nur noch Shiranui und Kodo sich inmitten der Leichen gegenüberstanden, wie Shiranui seine Waffe abdrückte, doch keine Patrone mehr übrig hatte und Kodo bereits eine Bombe zündete. Mit letzter Kraft warf Harada seinen Speer und traf das Oberhaupt des Yukimura-Clans in die Schulter. Die Bombe fiel ihm aus der Hand und explodierte mit einer Wucht, die die Erde erzittern ließ und seinen Körper einige Meter weit in den Fluss schleuderte.
 

Harada stolperte zurück und rutschte am Stamm eines großen Baumes hinab, ohne dessen Halt er nicht glaubte, noch länger aufrecht sitzen zu können. Schwindel und Übelkeit gewannen die Oberhand über seine Sinne und er spürte die Kälte des aufgeweichten Bodens und die harten, knotigen Wurzeln im Rücken, genauso wie das warme Blut zwischen seinen Fingern. Schwerfällig blickte er zum Himmel hinauf und entdeckte den Mond, so voll und schön wie in der Nacht, in der er Erenya die Geschichte vom Hasen erzählt hatte. Und der Gedanke daran, dass er diesen Mond nie wieder mit ihr gemeinsam ansehen würde – sie nie wieder ansehen würde – schmerzte Harada viel mehr als seine eigentliche Verletzung.
 

Wie durch einen Nebelschleier bemerkte er Shiranui, der langsam auf ihn zukam, und er flüsterte schwach: „Die Schuld von Koufu… Ich habe sie zurückgezahlt.“

„Für einen einfachen Menschen schlägt in dir wirklich wahrer Stolz“, entgegnete der Oni und nahm neben Harada Platz, doch sowohl die Stimme als auch die Bewegung konnten ihn kaum mehr erreichen. Einzig die Frage nach seinem nächsten Ziel drang in Haradas Bewusstsein vor und ihm fielen die beiden einzigen Menschen ein, die ihm je etwas bedeutet hatten und die noch immer irgendwo auf ihn warteten: Erenya und Shinpachi. Doch so wie es gerade aussah, würde er keinen von beiden je wiedertreffen. Hatte Shinpachi das bei ihrem Abschied bereits geahnt? Würde Erenyas Schiff ohne Komplikationen ablegen können und sie sicher nach Hause bringen? Eine undurchdringliche Schwärze nahm Harada die Sicht und noch ehe er gegen die Ohnmacht ankämpfen konnte, hatte sie ihn mit ihren Klauen in die Tiefe gezogen.
 

Dann brannte die Welt. Sie brannte scharlachrot und glühend heiß, wie ein Meer aus züngelnden Flammen. Ihre Wellen leckten an Haradas Körper, riefen in ihm Höllenqualen hervor und verzweifelt schnappte er nach Luft, meinte im Qualm zu ersticken und schaffte es weder aus dem Feuer zu entkommen, noch durch Asche und Rauch etwas zu erkennen. Die kühle Hand auf seiner Stirn wirkte wie eine rettende Insel in der unbarmherzig lodernden See und führte ihn sanft wieder hinaus aus Hitze und Leiden. Gleißendes Sonnenlicht drang durch seine geschlossenen Lider und eine Weile blieb Harada still liegen und versuchte zu rekonstruieren, was Wirklichkeit und was Traum gewesen war. Die Schmerzen in seiner rechten Flanke brachten Erinnerungen an die Schlacht gegen die Rasetsu zurück und widersprachen sich mit seiner festen Annahme, in jener Nacht den Tod gefunden zu haben.
 

Mühsam schlug er die Augen auf und erblickte niemand geringeren als Erenya, die sich besorgt und verweint über ihn gebeugt hatte und ihm mit einem kalten Lappen den Schweiß abtupfte.

„Was tust du denn hier?“, fragte er, die Kehle so rau wie Sandpapier, doch sie legte zischend einen Finger an die Lippen.

„Nicht sprechen!“, ermahnte sie ihn. „Du darfst dich nicht überanstrengen. Das Fieber ist immer noch sehr hoch.“

Staunend betrachtete Harada den mit Matten ausgelegten Raum, in den durch eine offene Schiebetür der helle Tag und der Gesang der Vögel hinein fluteten. Unter ihm war ein weicher Futon ausgebreitet, über ihm ein paar leichte Decken. Erenya schien seine verwunderte Miene zu registrieren, denn sie sagte: „Ich hatte so ein schlechtes Gefühl und bin dir nach Ueno gefolgt. Aber ich konnte dich nicht finden, bis ein fremder Mann mit blauem Haar mir den Weg gezeigt hat. Du warst halbtot, also bin ich ins nächste Dorf gerannt und hab um Hilfe gebeten. Da haben sie dich hierher gebracht.“
 

Harada brauchte einen Moment, damit sein Gehirn die Information erfassen konnte. „Wie lange hab ich geschlafen?“, fragte er zerstreut.

„Zwei Tage“, antwortete Erenya auffallend hastig, tauchte den Lappen in einen Eimer voll Wasser und plauderte weiter: „Ein Arzt war bei dir und hat sich die Wunde angesehen. Er sagt, sie sei nicht tief, aber du hast ziemlich viel Blut verloren und-“

„Du hast dein Schiff verpasst.“

Der Eimer kippte um, verteilte seinen Inhalt flächendeckend über den Fußboden und ließ die Matten dunkelgrün anlaufen, doch Erenya richtete ihn erst, als es schon zu spät war.

„Ich habe Bram eine Nachricht für meine Eltern mitgegeben“, sagte sie leise. „Er kommt in einem Jahr wieder und holt mich ab.“
 

Harada richtete sich so schnell auf, dass auch die letzte Farbe endgültig aus seinem Gesicht wich.

„Warum hast du das gemacht?“, fragte er fassungslos. „Warum hast du das für mich gemacht?“

Er konnte förmlich dabei zusehen, wie sie bis unter den Haaransatz errötete.

„Ich möchte bei dir bleiben“, wisperte sie. „Ich bin dort zuhause, wo du bist.“

Und noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er seine Arme um sie geschlungen, ihr den Kopf in den Nacken gelegt und all die tausend ungesagten Dinge, für die es keine Sprache gab und nie geben würde, in einem leidenschaftlichen Kuss vereint.
 

„Womit hab ich dich nur verdient“, murmelte er, lehnte seine warme Stirn gegen ihre wohltuend kühle und strich ihr behutsam eine Strähne hinters Ohr. In Erenyas rehbraunen Augen lag so viel Liebe, wie er nie zu träumen gewagt hatte und zu gerne hätte er sie auf der Stelle noch einmal geküsst – wieder und wieder und rückwirkend für all die Male, die er zu blind gewesen war, um zu erkennen, dass es ihr die ganze Zeit nicht anders ergangen war als ihm. Vielleicht war der Krieg im Land längst nicht gewonnen, doch mit ihr an seiner Seite – da war Harada sich sicher – würde er jedes Hindernis überwinden können.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Erenya
2015-02-08T22:17:27+00:00 08.02.2015 23:17
Ich liebe das alternative Ende. ;__; ich hatte so geflennt als der Kampf mit Kumpel Shiranui gegen die Rasetsu kam. ich dachte mir so "Nein, ich habs in der Serie schon kaum überstanden, warum, Kunoichi~ Warum tust du mir das an!" und dann... Das Ende und ich dachte "Kunoichi ich hasse und liebe dich gleichzeitig, es ist so schön!" ich heule jetzt noch wenn cih es lese. Deswegen gehe ich.


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