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Ich bin bereits tot

John-Cleaver-Reihe
von

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Kapitel 3: Ich helfe gern.

Mein Spiegelbild sah ziemlich ungesund aus, wie ich feststellen musste. Ich war doch überraschend blass, was noch daher rühren musste, dass ich an diesem Tag zwei Gedächtnisse zu mir genommen hatte. Und nach dem zweiten war Faren nicht in meiner Nähe gewesen. Genau wie in diesem Moment noch.

Ich saß in einem Verhörraum der ansässigen Polizeistation, gegenüber einem großen Spiegel, an einem einfachen Metalltisch. Ich wusste nicht, wie spät es war, da es weder Uhren noch Fenster in diesem Raum gab und die Polizisten achteten sorgsam darauf, dass ich nicht auf ihre Armbanduhren sehen konnte.

Langsam wurde mir kalt, während den beiden Beamten, die mich verhörten immer wärmer zu werden schien. Inzwischen hatten sie ihre Jacketts ausgezogen, sie über die Lehnen der grauen Plastikstühle gehängt und ihre Hemdsärmel bis zu den Ellenbögen hochgekrempelt. Dennoch waren ihre Köpfe rot, sie schwitzten; sie arbeiteten unter Hochdruck, um einen Mörder zu fassen, der ich nicht war.

Zum wiederholten Mal warfen sie die Fotos aller bis dahin gefundenen Leichen vor mir auf den Tisch und erwarteten – mal wieder – eine Reaktion, die aber ausblieb. Ich würde mich nicht als abgestumpft oder abgebrüht bezeichnen, aber auch nicht als sonderlich emotional. Obwohl mich das alles also wirklich traf, konnte ich das nicht zeigen und das wurde mir wohl negativ ausgelegt. Einer der beiden Männer schlug wütend auf den Tisch. „Reden Sie endlich, Shepherd!“

Murphy Shepherd, mein Deckname, war die Idee von Faren gewesen. Ich weiß bis heute noch nicht, wie er darauf gekommen ist, aber in jenem Moment interessierte mich das auch nicht weiter.

Der Zorn der beiden Männer war mir verständlich. Bei einem derart grausamen und scheinbar sinnlosen Mord wollte man nicht nur das Warum herausfinden, sondern auch schnellstens den Täter festsetzen, bevor er noch mehr Morde begehen konnte. Da tat es mir fast leid, dass ich nicht der Mörder war, damit es ihnen wieder besser gehen konnte.

„Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß“, erwiderte ich ruhig.

Je länger ich allerdings derart ruhig blieb, desto zorniger schienen die Polizisten zu werden. Einer von ihnen – er war deutlich jünger, frisch rasiert, mit vollem dunklen Haar – erhob sich mit einem genervten Seufzen von seinem Stuhl und begann aufgeregt auf und ab zu laufen. Ich sah ihm deutlich an, dass er diesen Fall so schnell wie möglich abschließen wollte.

Der andere war ein älterer Beamter, ein grauer Haarkranz rahmte seine, vom Schweiß glänzende, Halbglatze ein, hinter den leicht getönten Brillengläser waren seine Augen kaum zu erkennen, aber dass er wütend war, spürte ich dennoch. Er schaffte es lediglich, das nicht zu deutlich zu zeigen, ob aus Erfahrung oder wegen eines gänzlich anderen Temperaments. Faren erklärte mir später, dass sie vermutlich Guter Cop – Böser Cop gespielt hatten, aber bei meinem ratlosen Blick daraufhin, hatte er lediglich gelacht.

„Murphy“, sagte der ältere Beamte, dessen Name Belcer war, mit angestrengt ruhiger Stimme, „wir wollen doch alle nicht hier sein. Also sagen Sie uns einfach, was in diesem Motelzimmer geschehen ist.“

„Das habe ich bereits“, erwiderte ich. „Als ich ins Zimmer lag die Leiche schon dort.“

„Warum waren Sie überhaupt dort?“, fragte Belcer weiter.

Sie hofften, ich würde mich in Widersprüchen verstricken, an denen sie mich aufknüpfen könnten. Wenn in einer Großstadt ein Mord geschah, war das eine Statistik, in einer kleinen Stadt wie dieser dagegen war es persönlich.

„Ich habe ein Geräusch gehört und wollte nachsehen, was los ist. Es hätte ja sein können, dass jemand meine Hilfe braucht.“

Dass ich nicht einmal wusste, wie Erste-Hilfe funktionierte, mussten sie ja nicht wissen.

Belcer stieß ein tiefes Seufzen aus. „Warum waren Sie in der Nähe des Zimmers?“

Ich versuchte mir den Plan des Motels in Erinnerung zu rufen, ohne dabei zu viel Zeit verstreichen zu lassen. Dabei fiel mir eine Gerätschaft wieder ein, die in der Nähe gestanden hatte und ein Retter in der Not war: „Ich wollte mir etwas am Getränkeautomaten holen. Ich war durstig.“

Sicher hatte man auch das Kleingeld in meiner Börse sichergestellt – und das angespannte Schweigen der beiden Beamten darauf verriet mir, dass sie dem nicht entgegenzusetzen hatten.

Der jüngere Polizist – der wohl Flint hieß, wenn mich nicht alles täuschte – kam wieder zum Tisch zurück, stützte die Hände darauf und beugte sich vor. Die Ader auf seiner Stirn schien in einem ungesunden Rhythmus zu pochen.

„Sie laufen also einfach so in ein fremdes Zimmer, weil Sie jemandem helfen wollen“, stellte er fest. „Und Sie denken nicht daran, vielleicht selbst in Gefahr zu geraten?“

„Ich helfe gern.“

Und es gab kein Gesetz dagegen, aber das erwähnte ich lieber nicht. Ich wollte nicht Gefahr laufen, dass am Ende etwas fingiert wurde, nur damit ich ihnen ausgeliefert blieb.

Beide Polizisten tauschten einen Blick miteinander. Sie waren wirklich genervt, aber ich konnte es mir leisten, ruhig zu bleiben. Ich war erst nach dem Tod des Jungen ins Zimmer gekommen, ich hatte nichts berührt, es gab also nichts, das mich als Täter kennzeichnete.

„Haben Sie jemand Verdächtiges gesehen?“, fragte Flint ungeduldig. „Einen anderen Motelgast vielleicht? Einen Pizzaboten? Irgendwen?“

„Nein.“

Es wäre ein Leichtes gewesen, den schwarzhaarigen Mann ins Spiel zu bringen, aber das widerstrebte mir. Zum einen war er ein Verwelkter und damit zu gefährlich für die Polizei; zum anderen hatte er mich herausgefordert und das sollte er haben. Ich würde ihn stellen und zur Rechenschaft ziehen und niemand sonst.

In dieser Situation saß ich jedenfalls am längeren Hebel und die Polizisten wussten das ebenfalls, weswegen Flint sich nun aufs Drohen verlegte: „Wissen Sie, Murphy, in Kleinstädten werden gern mal harmlose Gäste als Mörder eingebuchtet, einfach nur damit die Leute beruhigt sind. Der große böse Wolf ist hinter Gittern und die Schäfchen sind endlich wieder sicher.“

Während er sprach, senkte er seine Stimme immer weiter, so dass er am Ende nur noch flüsterte, dabei aber alles überdeutlich betonte, so dass ich ihn gar nicht missverstehen konnte.

An Belcers Blick sah ich, wie unangenehm diesem die Taktik war, aber wahrscheinlich war ihnen beiden gerade alles recht, wenn es sie nur ans Ziel brachte. In diesem Fall auch, wenn das möglicherweise bedeutete, einen Unschuldigen – nämlich mich – einzusperren.

Glücklicherweise musste ich darauf auch nichts mehr sagen, denn da wurde bereits die Tür geöffnet. Flint trottete missmutig hinüber und lauschte dem, was der Störenfried ihm Wichtiges zuzuflüstern hatte. Darauf verfinsterte sich sein Gesicht schlagartig noch mehr. „Gut, soll reinkommen.“

Mit noch schlechterer Laune als zuvor, kehrte Flint zum Tisch zurück, sah bei den folgenden Worten aber Belcer an: „Sein Anwalt ist da.“

Ich war mehr überrascht als genervt, da ich, meines Wissens nach, keinen Anwalt hatte. Meine einzige Vermutung war, dass Faren mir einen solchen besorgt hatte. Aber als sich die Tür öffnete, kam keine mir fremde Person herein, sondern Faren. Ich erkannte ihn sofort, obwohl ich ihn das erste Mal in einem Anzug sah – und der stand ihm auch noch ziemlich gut. Mit der Brille, die sicher unecht war, und seinem Aktenkoffer in der Hand, wirkte er wie ein echter Anwalt, obwohl er sich den Kinnbart nicht rasiert hatte und sein Haar teilweise immer noch in einem hohen Pferdeschwanz trug.

„Miles Wright“, stellte er sich vor, obwohl das gar nicht sein Pseudonym war. „Freut mich sehr, meine Herren. Mein Mandant wird aber erst einmal kein Wort mehr sagen.“

Er zwinkerte mir zu, legte den Koffer auf den Tisch und setzte sich dann unaufgefordert neben mich. „Hallo, Mr. Shepherd. Machen Sie sich keine Sorgen, wir haben Sie hier bald wieder draußen.“

Ich nickte ihm zu, er sah die beiden Beamten auffordernd an.

„Dürfte ich mit meinem Mandanten allein sprechen?“, fragte er in einem Ton, der danach klang, als würde man ihm nicht widersprechen können.

Tatsächlich zogen die Beamten nach einem kurzen Austausch von Blicken bereits ab und schlossen auch die Tür hinter sich. Ich war dennoch unsicher, ob ich etwas sagen dürfte und schwieg daher, deswegen übernahm Faren für mich: „Keine Sorge, die Gespräche mit Anwälten sind vertraulich, die beobachten uns jetzt nur durch den Spiegel. Schau nicht zu auffällig hin.“

Ich wollte gerade stirnrunzelnd in den Spiegel sehen, ließ es aber bleiben, als er mich derart ermahnte und blickte lieber ihn an. Er war ungewohnt ernst, seine Stirn war sogar leicht gerunzelt. „Also, was ist passiert?“

So knapp wie möglich erklärte ich ihm, dass ich nachts von einem Verwelkten geweckt worden war, der mich anschließend zu dieser Leiche geführt hatte. Es war gut möglich, dass er auch selbst die Polizei verständigt hatte, um mich festnehmen zu lassen – oder um zu testen, wie ich auf eine menschliche Bedrohung reagierte. Aber das behielt ich erst noch für mich, denn der Gedanke war noch zu flüchtig und unbestimmt.

Faren nickte nachdenklich und gab ein verstehendes Geräusch von sich. „Also sind sie jetzt auf dich aufmerksam geworden. Hast du ihn von den Unterlagen deines Vaters erkannt?“

„Nein. Aber ich kann nicht alle Steckbriefe auswendig.“

Deswegen hegte ich noch die Hoffnung, dass ich ihn wiedererkannte, sobald ich erst einmal die Gelegenheit bekam, erneut durch die Unterlagen zu blättern. Aber mich beunruhigte, dass dieser Verwelkte bereits so viel über mich wusste, dass er mich sogar im Motel finden konnte.

War er mir gefolgt? Konnte er andere Verwelkte aufspüren und wusste so immer, wo ich mich befand? Das waren Dinge, die ich bedenken musste, wenn es um eine derartige Bedrohung ging.

„Hast du irgendetwas angefasst?“, fragte Faren.

Wie der Polizei zuvor, versicherte ich ihm, dass am Tatort keinerlei Spuren von mir gefunden sein könnten, da ich wirklich nur die Leiche gesehen und sonst nichts getan hatte.

„Gut“, stellte er zufrieden fest. „Damit haben sie keine Beweise gegen dich. Wir haben dich im Nu wieder draußen.“

Seine Zuversicht stimmte mich ebenfalls optimistisch, ich lächelte sogar wieder. Langsam erwachten Hunger und Durst in mir – und ich war furchtbar müde. Ich wollte nur noch ins Bett fallen und am besten eine Woche lang durchschlafen.

Faren winkte die Polizisten wieder herein. Ich wollte einwerfen, dass er sich vielleicht irrte und es wirklich nur ein Spiegel war, aber da öffnete sich bereits die Tür, als hätten sie wirklich nur auf ein Zeichen gelauert. Faren erhob sich mit seinem strahlendsten Lächeln. „Also, so sieht es aus ...“
 

Nur eine halbe Stunde nach diesem Ereignis, trat ich gemeinsam mit Faren ins Freie. Schützend hielt ich mir eine Hand vor die Augen, als mich die, von dem Schnee tausendfach zurückgeworfenen, Sonnenstrahlen trafen und blendeten. Glücklicherweise hatte er meinen Mantel mitgebracht, den er mir sofort um die Schultern legte, damit ich ihn anziehen könnte.

Während ich das tat, wunderte ich mich darüber, dass das Leben in dieser Stadt noch immer ganz normal weiterging, trotz dieses brutalen Mordes. Aber vielleicht irrte ich mich auch und selbst hier war es nur eine Statistik, möglicherweise war der Tote auch ein Fremder gewesen und damit nicht viel wert an diesem Ort.

„Wir kehren jetzt ins Motel zurück“, sagte Faren. „Dann schauen wir die Unterlagen durch.“

„Was, wenn er die Unterlagen gestohlen hat? Immerhin weiß er, in welchem Zimmer ich wohne.“

„Er kann nicht stehlen, was gar nicht da ist.“ Stolz klopfte Faren auf den Aktenkoffer. „Ich habe alles dabei. Deswegen sollten wir erst mal in ein Diner gehen, ich habe furchtbaren Hunger.“

Hatte ich ebenfalls, deswegen kam es mir gar nicht in den Sinn, dem zu widersprechen. Ich kam aber nicht umhin, ihn innerlich für seine Umsichtigkeit zu loben. Gleichzeitig fragte ich mich aber, ob es eine gute Idee war, solche Dinge an einem öffentlichen Ort zu besprechen.

„Wir besprechen ja nichts im Detail, nur oberflächlich, ich finde, das sollte noch gehen.“

Da ich wirklich hungrig war, stimmte ich dem einfach zu.

Am Auto angekommen blieb ich stehen und wartete darauf, dass Faren es umrundet hatte, um auf der Fahrerseite aufzuschließen. Die richtige Gelegenheit, um etwas anderes zu fragen, das mich schwer beschäftigte: „Woher kennst du dich eigentlich so gut mit diesem ganzen Kram aus?“

Er wusste sofort, was ich meinte, und sah mich schmunzelnd, über das Fahrzeug hinweg an. „Ich habe noch nie eine Folge von Law & Order verpasst.“

Ich blinzelte mehrmals verständnislos, was ihn wieder zum Lachen brachte. Statt einer weiteren Erklärung forderte er mich auf, endlich einzusteigen, und setzte sich selbst ins Auto. Aber noch während ich wirklich einstieg, kam ich nicht umhin, mich zu fragen, was ich eigentlich alles im Leben verpasst hatte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Namenserklärungen:
Murphy Shepherd = Murphy Pendleton aus Silent Hill Downpour und Alex Shepherd aus Silent Hill Homecoming.
Miles Wright = Miles Edgeworth und Phoenix Wright aus Ace Attorney (beides Anwälte ;D)
Belcer = Ricard Jay Belzer ist ein Schauspieler aus Law & Order: Special Victims Unit Komplett anzeigen

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