Ein neuer Morgen...
Am Schultor angekommen blieb sie erst einmal wie angewurzelt stehen.
Der Anblick, welcher sich ihr bot, war einfach atemberaubend.
Chizuru wusste, dass diese Schule keine Gewöhnliche war. Hier werden nur Eliteschüler angenommen. Hier wird der Grundbaustein für Kinder gelegt, welche einmal Milliardenkonzerne leiten würden. Dies ist auch der Grund, weshalb es hier neben den regulären Kursen, tief greifende Fachkurse gibt. Und dies scheint ebenso Grund genug zu sein, ein Schulgelände von endloser Eleganz zu gestalten.
Noch immer steht die Dunkelhaarige vor dem Eingang zu ihrer neuen Schule. Vor ihr liegt eine Straße, die von verspielten Laternen und romantisch wirkenden Bänken umgeben ist. Nach links und rechts erstreckt sich eine kleine Parkanlage. Kirschblüten tänzeln umher und tauchen im Zusammenspiel mit den Sonnenstrahlen die Einfahrt in einen magischen Ort.
Am Ende der Straße thront ein majestätisches Gebäude mit hohen Fenstern und einer hellen, beinahe schon Freundlichkeit ausstrahlenden Fassade. Grüne Inseln laden zum Wohlfühlen ein und lassen den Schulalltag vergessen.
Langsam Schrittes schreitet Chizuru die Auffahrt entlang, prägt sich dabei jedes Detail ein und vergisst beinahe, dass sie inzwischen schon 15 Minuten zu spät ist.
Die automatisch funktionierende Glastür gewährt ihr Einlass in einen imposanten Vorraum. Hohe Fenster lassen den, für ein Schulgebäude ungewöhnlich sauberen, Raum hell erstrahlen. Vor ihr führt eine Treppe hinauf in die erste Etage direkt auf ein Zimmer zu, welches scheinbar als Sekretariat fungiert.
Zaghaft klopft sie an und wartet auf ein kurzes Signal von innen, bevor sie den Raum betritt.
Schüchtern läuft Chizuru an den Tresen und wird von einer freundlich lächelnden jungen Frau empfangen.
„Ah, du musst Yukimura Chizuru sein. Willkommen an der Kizoku High. Mein Name ist Kimikiku. Hier hast du deinen Stundenplan, den Schlüssel für die Schließfächer und in dieser Mappe sind noch einige Informationen zu unserer Schule, sowieso ein Bogen auf dem du deine Zusatzkurse einträgst. Gib ihn bitte bis Ende der Woche ab. Hast du gleich irgendwelche Fragen?“
Ein wenig überfordert mit dem Redeschwall der Sekretärin benötigt Chizuru einen Augenblick bevor sie zaghaft nach dem Weg zum Klassenzimmer fragt.
„Heisuke wird dich gleich abholen, warte einfach noch ei-“
Schwunghaft wird die Tür beinahe aus ihren Angeln gerissen, als ein Junge mit einem breiten Grinsen gemütlich den Raum betritt.
„Ich soll die Neue abholen.“
Hastig verbeugt Chizuru sich, was der Sekretärin ein Schmunzeln ins Gesicht zaubert, bevor sie die beiden einander vorstellt.
„Also dann, Chizuru. Schön dich kennen zu lernen, aber wir sollten uns jetzt wirklich beeilen, Hijikata-sensei wird nicht begeistert sein, dass wir zu spät sind.“
Schon wird Chizuru von Heisuke an der Hand durch etliche Gänge geschliffen bevor sie an einer Tür zum stehen kommen. Noch einmal atmen beide tief durch, bevor Heisuke auch hier schwungvoll die Tür öffnet und den Raum betritt.
Ein prüfender Blick seitens des Lehrers, aber keine Ermahnung oder irgendein Tadel. Es scheint, als wäre man dieses Verhalten von dem Braunhaarigen gewohnt.
Zaghaft betritt nun auch Chizuru das Klassenzimmer, wird aber mit einem freundlicheren Lächeln begrüßt.
„Mein Name ist Hijikata. Ich freue mich dich in meiner Klasse Willkommen heißen zu können. Stell dich doch bitte vor.“
Nachdem Heisuke meinte, ihr Lehrer wäre wenig begeistert, dass sie zu spät sind, hatte sie mit einer weniger freundlichen Begrüßung gerechnet. Erst jetzt nachdem die Aufregung von ihr abfällt, spürt sie überhaupt wie nervös sie war. Erleichtert stellt sie sich nun vor die Klasse und verbeugt sich kurz.
„Ich bin Yukimura Chizuru. Da mein Vater aus beruflichen Gründen nach Kyoto versetzt wurde, werde ich von nun an diese Schule besuchen. Freut mich euch kennen zu lernen.“
„Setz dich bitte auf den freien Platz neben Sen und ab morgen bitte ich dich pünktlich zu sein.“
Wenn Hijikata bei den letzten Worten nicht gelächelt hätte, dann hätte sie jetzt weniger Angst, immerhin wäre es dann ein eindeutiger Tadel gewesen und keine Warnung.
Nachdem sich die Braunhaarige auf ihren Platz niedergelassen hat, fährt ihr Lehrer weiter mit dem Unterricht fort.
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„Also wenn du irgendwo Hilfe brauchst, dann lass es mich wissen. Wenn du möchtest komme ich am Wochenende vorbei, dann können wir abgleichen, welchen Unterrichtsstoff du schon kennst und wo du nacharbeiten musst.“
In dieser ersten Woche haben Sen und Chizuru festgestellt, dass sie in die gleiche Richtung nach Hause gehen, weshalb Sen sich nun an Chizurus Fersen geheftet hat. Auch Heisuke ist mit von der Partie und so laufen die drei gemeinsam nach Hause.
„Gerne, wenn du Zeit hast, können wir uns Sonntag bei mir treffen.“
Heisuke ist von dieser Idee genauso angetan, wie die beiden Mädchen und lädt sich selbst umgehend ein, was seine Begleiterinnen mit einem Lachen quittieren, in das der Braunhaarige mit einstimmt.
An der nächsten Abbiegung verabschiedet sich Heisuke und so laufen die Mädchen allein weiter.
„Und weist du schon welche Zusatzkurse du besuchen wirst?“
Chizuru hatte den Zettel grob überflogen. Direkt ins Auge ist ihr dabei nichts geflogen, selbst jetzt muss sie überlegen, was noch gleich alles zur Auswahl stand.
Gestaltende Künste, Hauswirtschaft, Finanzwesen, Kampfkünste, Japanische Geschichte, Naturwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Politikwissenschaften.
„Noch habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht.“
„Ich habe Gestaltende Künste und Hauswirtschaft gewählt. Es wäre so toll, wenn du mit zu mir in die Kurse kommst.“
Freudestrahlend bleibt Sen stehen.
„Überleg es dir gut. Wenn du weist, wo du in Zukunft stehen möchtest, dann weist du auch, welche Kurse du besuchen musst. Du kannst hier alles erreichen, aber genauso kannst du auch fallen. Diese Schule bietet dir Möglichkeiten, wie keine andere. Ich muss jetzt in die andere Richtung. Wir sehen uns Sonntag, Chizuru.“
Zuhause angekommen bereitet Chizuru zuerst einmal das Abendessen vor. Ihr Vater wird etwa eine Stunde nach ihr nach Hause kommen. Genug Zeit um noch etwas zu kochen.
Die erste Woche verlief ruhig. Die Braunhaarige hatte sofort Anschluss in ihrer neuen Klasse gefunden und auch den größten Teil des Unterrichtsstoffes kannte sie schon. In Sen hat Chizuru eine scheinbar verlässliche und gute Freundin gefunden. Heisuke ist zwar manchmal etwas anstrengend mit seiner lauten Art, besitzt aber allem Anschein nach ein reines Herz. Nach ihrem Zu-Spät-Kommen am ersten Tag, hat sich Hijikata-sensei als strenger, aber fairer Lehrer erwiesen, auch er hat ihr Hilfe angeboten, falls sie in irgendeinem Fach nicht hinterher kommt.
Seufzend brät Chizuru die Hähnchenstücke an, gart das Gemüse und füllt den Reiskocher.
Morgen wird sie das erste Mal ihren Verlobten kennen lernen. Sie hat noch keinem in ihrer Klasse von ihrer Verlobung erzählt. Was sollte sie auch sagen? Sie hatte lediglich einen Namen. Kein Bild. Keine Charakterbeschreibung. Noch nicht einmal Eckdaten. Sie müsste lügen, um zu behaupten keine Angst zu haben. Direkt nachdem sie und ihr Vater die Entscheidung gefällt und sich mit den Eltern in Verbindung gesetzt haben, wurde der morgige Termin besprochen. Als zukünftige Frau verlangte man von ihr Kochen und den Haushalt führen zu können, weshalb das erste Treffen bei ihr zu Hause stattfinden würde. So konnten sich ihr Verlobter und ihre Schwiegereltern ein Bild von ihr machen.
Den Reis füllt Chizuru in zwei Schüsseln. Das Fleisch und Gemüse serviert sie auf Tellern. Dazu stellt sie Soyasauce und Teriyakisauce.
Völlig in Gedanken versunken und mit der Zubereitung des Abendessens beschäftigt, hört sie nicht die sich öffnende Tür und schreckt zusammen, als ihr Vater sie direkt anspricht.
„Verzeihung. Ich war mit meinen Gedanken nicht anwesend.“
Ein Lächeln ziert die Lippen des älteren Herrn. So kannte er seine Chizuru.
„Bereit für morgen?“
Ein mulmiges Gefühl breitet sich in Chizuru aus. Langsam vergeht ihr wirklich der Appetit.
„Ich denke schon.“
Sie greift noch einmal zu dem Hähnchenfleisch, während ihr Vater sich am Gemüse bedient.
„Kazamas Vater hat mir heut einen Besuch auf Arbeit abgestattet. Er ist ein wirklich umgänglicher Mensch. Ich denke nicht, dass du dir Sorgen machen musst.“
Vorsichtig, möglichst unauffällig legt Chizuru ihre Stäbchen und Schüssel auf ihr Tablett. Ihre zitternden Hände verbirgt sie in ihrem Schoß. Lächelnd blickt sie ihrem Vater ins Gesicht.
„Das klingt gut. Dann bin ich zuversichtlich.“
Ein Nicken seitens ihres Vaters zeigt ihr, dass dieses Gespräch beendet und er mit ihren Antworten zufrieden ist.
Nach einer kurzen Verbeugung verlässt Chizuru den Raum und begibt sich in ihr Zimmer.
Sie schließt die Schiebetür hinter sich.
Es gibt kein Zurück mehr.
Die erste Träne rollt.
Sie darf ihren Vater nicht enttäuschen.
Die zweite Träne findet den Weg nach unten.
Zweifel kommen in ihr auf.
Eine weitere Träne rinnt über ihre Wange hinab zu ihrem Kinn.
Hat sie wirklich das Richtige getan?
Eine Sintflut salziger Tropfen werden von der Schwerkraft nach unten gezogen und hinterlassen dunkle Flecken auf ihrer Schuluniform.
